XLIII. Brief.

Der Verwalter an den Magister.

[324] Wilmershausen den 20 Septembr.


Wohlgelahrter

Guter Freund,


Ihr Brief, den ich vor einer Stunde erhalten habe, hätte mir bald das Garaus gemacht. Es wäre kein Wunder, ich thäte mir ein Leids. Sie geben mir einen gar schlechten Trost in Ihrem Briefe, und der Herr v.N. kann es sein Tage nicht verantworten, daß er mich um meine Versorgung[324] gebracht, und es nun nicht einmal Wort haben will. Ich habe immer so ein gutes Vertrauen zu ihm gehabt, daß ich Häuser auf ihn gebauet hätte: aber nun sehe ich, daß man heutiges Tages Niemanden quer über den Weg trauen darf. Ich weiß wohl, daß Ihr Herr so schlimm an sich nicht ist. Wenn ich die deutsche Wahrheit sagen soll, so stecken sie darhinter und verhetzen ihren Herrn gegen mich; denn das weiß Jedermann, daß Sie ihn link und recht machen können: aber Sie werden schon einmal davor Ihren Lohn bekommen. Nehmen Sie es nicht übel, ich bin ein einfältiger Mann und rede, wie es mir vom Herzen gehet. Sie sind ein hochstudirter Mann und wenn Sie anfangen zu disputiren, so muß unser einer freilich fünfe lassen gerade seyn: das sollen Sie mir doch nicht weiß machen, daß der Herr von N. nicht sollte Schuld daran seyn, daß mich der Herr von W. abgeschaffet hat. Die gnädige Frau hat mirs selber unter den Bart gesagt, der glaube ich und kehre mich wenig an Ihre lateinischen Brocken. Will mich der Herr v.N.[325] nicht versorgen, so muß ich desperat werden, und unter die dicksten Soldaten gehen, und das liebe Vaterland mit rujeniren helfen. Ich habe noch dreisig Gülden, dafür will ich meine Frau in den Spittel kaufen, meine Lise kann einem Herrn dienen, und meine zwei kleinen Kinder lasse ich dem Herrn v.N. vor die Thür setzen. Will er sich ihrer annehmen, so ist es gut, wo nicht, so mag er es auch verantworten. Ich bin ein geschlagener Mann; ehe ich mein Brod vor der Thür suche, will ich lieber einem großen Herrn dienen. Auf einen Schulmeister habe ich mein Tage nicht studiret, und nun ist es zu späte, daß ich erst anfangen sollte, nach Noten singen zu lernen, und meine Finger sind auch überdem zum Trillern auf der Orgel schon zu steif. Grüßen Sie Ihren Herrn von meinetwegen, und sagen Sie es ihm nur, daß ich ihm alles mein Unglück auf den Kopf Schuld gebe, er mag es nun worthaben wollen oder nicht. Künftige Woche gehe ich in die Stadt zu den Werbern und lasse mich unterhalten, hernach werde ich nicht mehr nöthig[326] haben, ihm viel gute Worte zu geben. Aber so viel ist richtig, meine zwei Kinder soll ihr Herr ernähren, ich lasse sie ihm vor die Thür setzen, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Uebrigens verharre ich allstets.


Meines vielgeehrten Herrn Magister

ergebner Diener

Peter Bornseil.

Quelle:
Johann Karl August Musäus: Grandison der Zweite, Erster bis dritter Theil, Band1, Eisenach 1760, S. 324-327.
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