Vierter Gesang.

[33] Voltaire, schläfst du denn auch zufrieden und gelassen?

Grinst auch dein Lächeln noch um die entfleischten Zähne?

Man nannte deine Zeit zu jung, um dich zu fassen:

Taugt dir die jetzige? Wir sind ja deine Söhne!

Es stürzen über uns des Tempels tausend Sparren,

An welchem Tag und Nacht dein reger Arm minirt.

Die Erde mußte dich mit Ungeduld erharren,

Die achtzig Jahre lang du schmeichlerisch hofirt.

Wohl höllisch war die Glut, die ihr für euch gefühlt.

Erhebst du niemals dich von deinem Ehebette,

Darauf ihr euch umarmt, vom Grabgewürm durchwühlt?

Schaut nie dein Geisterblick aus seinem Knochenbette

Der frommen Schlösser Grab, der Klöster öde Stätte?

Was sagen sie dir dann, die Riesen, die getödtet,

Die Mauern, die verstummt, die Tempel, die vergessen,

Die für die Ewigkeit dein heißer Hauch verödet?

Was klagt dir jedes Kreuz? Was klagen dir die Messen?[34]

Wenn nächtens dein Gespenst des Heilands Kreuz umkreist,

Sprich, blutet er dann noch, wenn deine Faust es rüttelt,

Bis, wie du heiß ersehnt, der Nägel Dreizahl reißt,

Wie Blumen, die ein Sturm vom schwachen Stengel schüttelt?


Hältst deine Mission du würdig nun beendet?

Und wie der Schöpfung Herr, da er sein Werk vollendet,

Findest auch du es gut und Alles wohlgeraten?

Dann darf ich dich zu Gast bei meinem Helden laden.

Du brauchst nur aufzustehn – denn Rolla ist der Mann,

Mit dem sich der Komthur zu Tische setzen kann.


Siehst du die Kinder hier, die seufzend sich umwinden?

Wie ihre Glieder nackt sich in einander binden,

Scheint es, als ob ein Leib zwei Seelen bergen müßte.

Ein Schluchzen, wild und fremd, halb Jauchzen, halb Gestöhn,

Bricht ihrer Lippen Schluß, erschüttert ihre Brüste.

In Ohnmacht sank die Lust da sie die Beiden küßte.

Um ihres Anblicks Gunst, der ach, so jugendschön,

Verließe selbst das Volk der Sterne seine Bahn –

Und sieh – den Beiden ist die Liebe nur ein Wahn!


Wer aber lehrte sie die himmelsvollen Worte,

Die doch die Liebe nur, aufquellend aus dem Herzen,

Erstockend gießen darf durch trockner Lippen Pforte?

O Weib! Seltsames Heim der Wonnen und der Schmerzen!

Du mystischer Altar, darauf man Opfer bringt,

Bei deren That der Fluch zwischen Gebete klingt!

Kennst du das Paradies, die Luft, darin sie lebt:

Die Sprache ohne Volk – dies Kind der Ewigkeit –[35]

Die Sprache, die von selbst, seit Adams grauer Zeit,

Sobald der Rausch beginnt, auf jeder Lippe bebt.


Welch eine Blasphemie! Zwei Engel ohne Liebe!

Zwei Herzen, rein wie Gold, die wohl des Himmels Söhne

Dem Vater trügen zu, bewundernd ihre Schöne.

Thränen? – Und Liebe nicht? – Das murmelnde Getriebe

Der traumvergessnen Welt, der Wind, der säuselnd streicht,

Die Nacht, die im Genuß der süßen Lust erbleicht,

Ein Duft, der Wollust haucht, der Wein, den man vergoß,

Die Küsse ohne Zahl, und ach, vielleicht ein Sproß

Des Elends mehr, der einst dem Tag die Fäuste ballt ...

Und keine Liebe! – Nein! Nur ihre Spukgestalt!


Ihr Klöster enggewölbt, ihr Zellen fahl und bloß,

Darin das Wort verstummt – die Liebe kennt nur ihr!

Ihr Schiffe dumpf und kalt, ihr glaubensgrauen Hallen,

Wer euch geküßt, ist stets in Ohnmacht noch gefallen.

Kommt! Oeffnet euren Schoß, umschließt die Beiden hier,

Die wild um Sinnenlust in einem Bette werben,

Das nur gemacht, darauf zu schlafen und zu sterben!

Laßt doch ihr Herz einmal durch eure Thore ziehen!

Reißt mit dem härnen Strick die Lenden ihnen auf!

Begießet ihre Stirn mit eisig kalter Tauf,

Zeigt ihnen doch, wie man mit frommen, wunden Knieen

Der Grüfte steinern Dach berutscht, und fragt sie dann,

Wie anderwärts man noch von Liebe reden kann!


Ihr stummen Mönche sogt mit trankesgierem Mund

Der Liebe Ewigkeit aus eurer Kelche Grund.

Ihr habt den Herrn gesucht bei Sonnenlicht und Kerzen,[36]

Und saht im Traume dann ihn mit durchstochnem Herzen,

Und saht, wie grüßend er durch's goldne Fenster schwand,

Wenn zu der Orgel Klang das Morgenrot erstand. –

So schuf die Liebe euch den Himmel schon auf Erden!


Sieh, greiser Arouet – der Mann da, lebensprühend

Und diese schöne Brust mit Küssen überglühend,

Der Mann wird morgen schon zu Grab getragen werden.

Wie, du mißachtest ihn? – Laß ab, das darfst du nimmer,

Er las ja, was du schriebst Nichts beut ihm mehr auf Erden

Den allerkleinsten Trost, den schwächsten Hoffnungsschimmer.

Wenn Glaubenslosigkeit zur Wissenschaft sollt' werden,

Wird Rolla noch berühmt und du wirst nur geehrt,

Wenn diese Nacht dein Grab zu theilen er begehrt.


Glaubst du, wenn Rolla nur die ärmste Hoffnung fühlte,

Der schwächste Faden nur ihn noch am Leben hielte,

Er hätte seinen Tod durch solch ein Bett entehrt?

Der Tod! – O laß ihm nur den leisesten Gedanken,

Daß er ein Schritt nur ist nach einem schlimmen Orte,

Dem schlimmsten, was verschlägt's? Er wird darum nicht wanken,

Wird lächelnd zusehn nur, wie durch des Weltalls Pforte

Sein bleicher junger Freund die freie Seele trägt

Und huldigend dem Herrn der Zeit zu Füßen legt.


Dein Werk ist's, Arouet! – Schau dir den Menschen an:

Er ward, wie du gewollt! – Seit sich dein Mund geregt,

Seit gestern ist es erst, daß man so sterben kann. –

Als Brutus über Roms Ruinen ausrief: »Tugend,

Du bist ein Name nur!« – rief er's nicht lästernd aus,

Denn ihm war Alles hin, sein Ruhm, sein Heim und Haus.[37]

Sein schöner Lieblingstraum: des Staates freie Jugend,

Sein Weib, sein Freund, sein Blut und seines Heeres Massen.

Nichts hoffte er sich mehr von Glück und Erdenlauf.

Doch wie auf Trümmern er so dasaß, ganz verlassen,

Zu sterben schon gewillt, sah er zum Himmel auf –

In diesem weiten Feld war Alles ihm belassen,

Hier atmete sein Herz die Luft der Hoffnung doch:

Ihm blieben ja sein Schwert und seine Götter noch!


Was aber bleibt denn uns, was uns, den Gottesmördern?

Ihr blöden Widder, sprecht – was meint ihr denn zu fördern,

Wenn vom Altare ihr den Nazarener reißt,

Wenn ihr sein blutig Kreuz tief in den Abgrund schmeißt,

In den es polternd stürzt, um nimmer zu erstehen?

Und was dann wollt ihr – sprecht – auf seinem Grabe säen?

Den Menschen hofftet ihr nach eurem Wunsch zu kneten,

Und auch die Welt! Seht doch – nun ist es gegenwärtig!

Wie herrlich eure Welt, und euer Mensch – wie fertig!

Die Berge sind gestürzt, die Thäler eingetreten!

Ihr habt den Lebensbaum gestutzt, so klag, so triftig;

Wie säuberlich und blank sind eure Eisenstraßen;

Alles ist groß und schön – nur eure Luft ist giftig!

Ihr habt so stolz darin die Worte tönen lassen,

Die mit dem Sturm der Nacht in alle Ferne fliegen.

Schreckliche Götzen sind aus ihrem Schwall erstiegen –

Und vor dem grausen Bild entfloh der Vögel Heer.

Die Frömmelei ist todt, man straft die Priester Lügen,

Doch auch die Tugend stirbt, man glaubt an Gott nicht mehr;

Der Edle prunkt nicht mehr im Alter seines Blutes,[38]

Der Divan des Bordells ist nun sein Adelsitz;

Das Wort ist herrenlos, ein Findelkind des Mutes,

Und frei des Menschen Geist, wie Wolkenzug und Blitz.

Dafür begehrt das Volk der Stiere wilden Kampf;

Wenn einer arm und stolz – elend und reich auf Erden,

So ist er nicht mehr Narr genug, um Mönch zu werden –

Er thut's der Mode nach und athmet Kohlendampf.

Quelle:
Alfred de Musset: Rolla. Wien 1883, S. 33-39.
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