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[20] Von allen Wüstlingen der ersten Stadt der Welt,
Die stets, an Laster alt, das Laster jung erhält,
Wo überfüllt der Markt, da Wollust schwach im Zoll,
Kurzum der Stadt Paris, – war's Jakob Rolla wohl,
Der es am ärgsten trieb. – Nie lag im bleichen Strahl,
Der zitternd sich durch's Glas der Schänkenlampe stahl,
Solch ungefüges Kind mit aufgestütztem Arm
Bei lautem Würfelspiel des Tisches Marmor warm.
Nicht eigner Wille war's, der ihn durch's Leben lenkte:
Der Leidenschaften Zug. – Er ließ sie weiter schießen,
So wie ein fauler Hirt den Bach zu seinen Füßen.
Sie lebten voll und wahr – der Körper Rolla's schenkte
Den bleichen Gästen all nur Herberg auf der Reise,
Die bald in blinder Wut das eigne Bett zersetzten,
Bald sich im Finstern selbst grausam zu Tode hetzten
Nach brünstiger Hirsche und nach römischer Fechter Weise,
Und sich berauschten bald bei traulichen Gesängen,
Wie hundert Vögel laut und liebend sich umdrängen,
Wenn sie in einen Busch des Sturmes Laune bannte.[21]
Sein Vater, ein Baron mit ländlichem Verstande,
Ließ diesen Sohn erziehn wie einen reichen Erben
Und dachte nicht, daß er, trotzdem nur auf dem Lande,
Von seinem Gute selbst die Hälfte schon verzehrte. –
Nun kam's, daß Rolla schon, zu Rüste ging das Jahr,
Sein unumschränkter Herr mit neunzehn Sommern war,
Und Alles kannte, nur – die Kunst nicht, zu erwerben.
Zudem war Arbeit ihm, was für das Schiff die Klippe;
Wenn er von Broterwerb und von Beruf nur hörte,
Umzog verächtlich stets ein Lächeln seine Lippe.
Mit seinem Gute fuhr er fort nun zu schlaraffen
Und blieb der große Herr, als den ihn Gott erschaffen.
Vom müden Herkules, der sich zur Ruhestätte
Den Stein des Scheidewegs erkoren, wird erzählt,
Daß er die Sinnenlust von sich gewiesen hätte
Und als die Schönere die Tugend dann erwählt.
Nun nennt man nichts mehr schön, ob gut, ob schlecht es heiße,
Die Welt, die sitzt und wählt, kann nicht die unsre sein:
Die Wege trat die Zeit so breit auf ihrer Reise,
Daß zwischen beiden nicht mehr Raum ist für den Stein.
So kam denn Rolla nach Paris mit zwanzig Jahren. –
Wer einer Hauptstadt naht, wird auf den ersten Schritt
Schlachthäuser, Kirchhöfe und Mauern nur gewahren;
Und so auch stößt, wer neu in die Gesellschaft tritt,
Auf die Kloaken erst. – Hier schließt sich die Gemeinheit
Breit wie ein Festungswall rings um die heilige Reinheit
Wohl – man verhüllt die Scham – und doch umarmt das Laster
Der Wollust feilen Leib auf offnem Straßenpflaster.[22]
Die Menschen hielten nie noch Ihresgleichen wert
Bevor er nicht gelöscht in eklen, trüben Pfützen
Die helle, keusche Glut von jenem scharfen Schwert,
Das er von Gott empfing, vor ihnen sich zu schützen.
Rolla war gut, gerad und edel von Natur,
Doch was das Leben glatt und sauber macht: Gewohnheit,
War stets ein Ekel ihm. – Nie folgt' er ihrer Spur
In Freude oder Leid und hielt für Götter nur
Den Tollmut und den Stolz, Stiefbrüder der Gewohnheit.
Er nahm, was er besaß – und in den Tag hinein
Ging's nun mit wilder Lust und zügellosem Jagen.
Nie hat ein Adamssohn im hellen Sonnenschein
Die Weltverächterei so breit zur Schau getragen;
Er ließ das Volk das Volk, den König König sein.
Man sah ihn unverstellt, allein, mit lauter Hast
Den Mummenschanz, den man das Leben nennt, durchstreifen,
Wie Alcibiades die schleppend lange Last
Des goldenen Gewands, durch Gosse und Palast
Den lassen Stolz gleichsam als Königsmantel schleifen.
Es wußte alle Welt, daß er sein Gut verzehrte,
Und, wie er's trieb, wohl kaum drei Jahre brauchen werde.
Die Leute lächelten und konnten's nicht begreifen –
Und dann – so hörte man ihn einstens selber sagen,
Kann eine Kugel ich mir durch den Schädel jagen.
Treuherzig wie ein Kind und wie ein Fürst großmütig,
Gleich wie die Hoffnung hehr und wie das Mitleid gütig,
Hielt Armut er an sich stets für Unmöglichkeit.
Der Panzer, den er trug, war seiner Brust zu weit,[23]
Geschmiedet wohl allein zum heißen Tag der Schlacht;
Doch dieser Tag war kurz wie eine Sommernacht.
Drei Tage ohne Trank durchbangt das Wüstenroß,
Und der ersehnte Sturm bricht immer noch nicht los,
Der Himmelstrank ihm reicht auf staubigem Palmenblatt.
Die Sonne schwer wie Blei; und unter ihrem Brande
Hängt von der Palme Haupt das Haar so welk, so matt.
Den Brunnen sucht des Roß im weiten Wüstensande:
Die Sonne trank ihn aus; auf heißem Felsenstumpf
Schläft haargesträubt der Leu und brüllt im Traume dumpf.
Die Kraft verläßt das Roß; noch bohrt es in den Sand
Die blutigen Nüstern ein – und gierig schlürft die Glut
Des durstigen Wüstenstaubs das halbgestockte Blut –
Es stürzt und jäh erlischt der großen Augen Brand.
Nicht lange – und es zieht die Wüste schon das bleiche
Und stille Todtentuch um die geliebte Leiche.
Es wußte nicht, daß es den lauten Karawanen,
Und der Kameele Spur im Schatten der Platanen
Nur hätte folgen dürfen und die Stirne bücken,
Um bald in Bagdads Schoß die weichste Streu zu finden,
Und duftig grünen Klee auf goldnen Futterkrücken,
Und Brunnen, welche nie die Sonne kann ergründen.
Wenn alles Leben auch aus Erdenstaub geboren,
Hat sicherlich der Herr besondern Stoff erkoren,
Wenn er im schönsten Strahl der ersten Morgensonne
Ein Wesen schuf, das nie, gleichwie der Lüfte Aar,
Mit überjochtem Hals des Menschen Sklave war,
Dem Freisein Leben heißt und Freiheit Lebenswonne.
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