Ottilie

Unweit Freiburg, in einer romantisch-schönen Gegend, erhebt sich ein mittelmäßiger Berg, von dem Volke des Landes mit dem Namen benennt, den ihr an der Spitze der alten Sage stehen seht, mit welcher ich euch, meine Thueren, in dieser Stunde der Ruhe unterhalten will.

Warum dieser kleine Auswuchs des Erdballs Ottilien-Berg genannt wird, was die Schöne, die man noch jetzt in stillen Nächten aus seinem Schoose hervorgehen sieht, über die mondbeglänzte Fläche gen Zähringen zu wallen, aus den Wohnungen des Himmels zur Erde herabstürzte, und wie sie hienieden ihren Wandel führte, das sollt ihr jetzt von mir erfahren. Seht, die Natur um uns her schickt sich an zu ihrem Winterschlafe, das Rauschen des Regens in dem falben Laube, das Heulen des Sturms an den Fenstern, und das Knistern der dürren Reiser im Kamin, erfüllt die Seele mit einem ahnenden Schauer, und bereitet sie vor zum Gehör abentheuerlicher Geschichten.

Vor Zeiten ward das ganze Elsaß von einem Fürsten beherrscht, den ich, weil die Sage seinen Namen vergessen hat, und doch jedes Ding seine Benennung haben will, Rörich nennen will. Er war ein weidlicher jovialischer Herr, freute sich seines guten Landes und seiner glücklichen Einwohner, und that Niemand Leids, als wer seiner Liebe zum Vergnügen Hindernisse in den Weg legte, oder einem seiner Lieblinge oder Lieblinginnen im Lichte stand. Seine Lieblinge waren brave Jäger und Zecher, und seine Freundinnen wohlgestaltete gefällige Mädchen, die man auf seinen Lustschlössern zu Dutzenden in leichter Nymphentracht herumschwärmen sah.

Herrn Rörich war nirgend so wohl, als in der Mitte seines kleinen Serails, und er verließ gern und oft seine Residenz, seine Tugendpredigenden Räthe und seine fromme Gemahlin, um in den Armen der lieblichen Dirnen, die ihn hier umgaukelten, es zu vergessen, daß ein Fürst noch einige andere nicht unwichtige Pflichten hat, als die Freude.

Frau Ottilie, seine Gemahlin, war ehemals schön gewesen, und hatte seine Augen, da er noch ein Jüngling war, dermaßen entzückt, daß er ohne ihren Besitz zu sterben vermeinte; aber der Besitz dieses Kleinods war durch kein andres Mittel zu erlangen, als durch die geweihte Hand des Priesters, denn Ottilie war zwar arm, war keine Fürstin, aber sie war tugendhaft.

Beide hatten, nachdem gesetzmäßige Liebe sie vor Gottes Altare verbunden hatte, zwei Jahre ihres beiderseitigen[2] Frühlings wie im Himmel, im Vaterland der Liebe und Eintracht verlebt, aber als diese für den flatterhaften Rörich so lange Zeit verflossen war, als Ottiliens Reize ihm gewöhnlich wurden, als frische blühende Schönheiten ihm von allen Seiten winkten, da hatten die glücklichen Tage ein Ende. Die gute Fürstin wurde vernachlässigt und würde gänzlich vergessen worden sein, wenn nicht die Liebe der Stände und des Volks, die sie besaß, ihren Gemahl noch immer in einiger Verbindung mit ihr erhalten hätte. Das Volk hoffte auf einen Reichserben, und die Geistlichkeit, deren Gunst Ottilie in vorzüglichem Grade erworben hatte, versicherte, daß nur ein Sohn von ihr das Land beglücken könne; Ursache genug für den Fürsten, die längst beschlossene Scheidung von einem Jahre zum andern zu verschieben, und sich indessen die Zeit mit andern Schönen zu vertreiben, welche weniger eigensinnig wie die Fürstin, dem verliebten Rörich nicht zumutheten, daß er eben den Weg zu ihrem Herzen durch die Kirche nehmen sollte.

Die Ursache, warum sich die Geistlichkeit so besonders für die Fürstin interessirte, und sie so gewaltig in ihren Rechten schätzte, war ihre große Frömmigkeit, nämlich ihre Sucht, Kirchen und Klöster zu erbauen, und die Freigebigkeit, mit welcher sie die Armen, das ist diejenigen, welche das Gelübde der Armuth gethan hatten, bedachte. – Es gab noch einige Theile von Ottiliens Frömmigkeit, die uns nicht unbeträchtlich dünken: als die Wohlthätigkeit, mit welcher sie sich auch wahrer Dürftigen[3] annahm, die Geduld, mit welcher sie die Ausschweifungen und die wachsende Härte ihres Gemahls ertrug, der Abscheu vor allen verdächtigen Tröstungsmitteln, die man ihr unter der Hand anpries; aber diese Punkte kamen nicht in Rechnung, und die Fürstin hätte immer hart gegen die Nothleidenden, ungestüm gegen ihren Beleidiger und selbst leichtsinnig und ausschweifend sein können, wenn sie nur fortgefahren hätte, Kirchen und Klöster zu bereichern, so wäre ihr eben der Schutz der Mächtigen im Lande, der Priesterschaft, zu Theil geworden, den sie jetzt genoß.

Es war nicht schwer, die Stütze zu erkennen, welche Ottilien hielt, nur fehlte es Rörichen an Nachsinnen, die Mittel zu erforschen, wie dieselbe zu untergraben wäre. Ein Jahr ging nach dem andern hin, und kein Versuch, die unglückliche Fürstin zu stürzen, gelang, selbst nicht der alte abgetragene Vorwand eines verbotenen Grads der Verwandtschaft; denn Ottilie war aus einem zu dunkeln Geschlecht entsprossen, als daß sie eine nahe Muhme von Rörichs Fürstenhause sein konnte: selbst nicht der bedenkliche Umstand, daß sie ihrem Gemahl nur Töchter gebar, die noch dazu im ersten Lenz des Lebens dahin starben, denn der weissagende Mund der Priester verkündete, daß der gewünschte männliche Erbe doch endlich erscheinen würde.

Es war im zehnten Jahre des traurigen Fürstenstandes der armen Ottilie, als ein Weib endlich auf das leichte Mittel fiel, wie die Verhaßte aus dem fürstlichen[4] Bette zu verdrängen sei. Rörich trug jetzt mit Hintenansetzung aller seiner übrigen Geliebten die Bande einer gewissen Kunigunde, die ganz das Vorbild ihrer Namenschwester war, welche in spätern Zeiten Alberts fürstliches Haus veruneinigte, und den Vater und die Söhne entzweite. Die ältere Kunigunde war so schön, so stolz und so arglistig, als ihre späte Nachahmerin; sie strebte unablässig danach, Ottiliens Stelle einzunehmen, und kannte den Weg recht gut, auf welchem dieses möglich war.

Ihre Habsucht entzog dem Fürsten die Mittel, seiner Gemahlin so viel zum Unterhalt zu reichen, als er bisher, um sie doch durch etwas für seine erkaltete Liebe schadlos zu halten, gethan hatte, und da die arme Fürstin ihre Beschützer, die Pfaffen, nicht mehr so reichlich bedenken konnte, als vordem, so viel auch ein großer Theil des Ansehens hinweg, das sie bei ihnen hatte, und der Trieb, sie bei ihren Rechten zu erhalten, nahm merklich ab. Ueberdies war Kunigunde schön, arglistig und leichtsinnig genug, einen von Ottiliens vornehmsten Vertheidigern mit Liebe zu fesseln, und ihm die Belohnung seiner Leidenschaft unter einer Bedingung zu gewähren, welche der Untergang der Fürstin war.

Rörich spürte die Wirkung von dem verborgenen Miniren seiner schlauen Geliebten, ohne die Ursache errathen zu können. Man sprach nicht mehr so eifrig für die Fürstin, tadelte die Ausschweifungen ihres Gemahls nicht mehr mit solcher Strenge, und einst ließ sich gar der[5] fürstliche Beichtvater verlauten, Ottilie sei nicht mehr jung, die Hoffnung auf einen Sohn von ihr bleibe lange außen, und sollte sie bei ihrem diesmaligen Wochenbette dieselbe wiederum täuschen, so würde für sie nichts besser sein, als das Kloster, und für gewisse Andere nichts zuträglicher, als eine neue Fürstin.

Ein solcher Wink aus dem Munde eines solchen Mannes konnte nicht ohne Wirkung sein. Man gab noch am nämlichen Tage der Fürstin zu verstehen, sie würde wohl thun, die Residenz zu verlassen, denn bei ihren gegenwärtigen Umständen würde ihr die Landluft besonders zuträglich sein.

Ottilie gehorchte mit ihrer gewöhnlichen Geduld, ohne ein Zeichen des Unwillens blicken zu lassen. Nur ein Zug von verachtendem Spott war in ihrer Miene, als man ihr von einer Wahl unter ihren Lustschlössern sagte. Man hatte ja nach und nach fast alle ihre Güter eingezogen und ihr von den vielen Schlössern, die sie früher besessen, nur ein kleines Berg schloß gelassen, über welches sie allein verfügen konnte. Dieß hatte sie in der ersten Zeit ihres Glückes zu bauen angefangen, aber ehe es noch fertig war, hatte sich ihr Schicksal schon so geändert, daß sie es, nach seiner völligen Vollendung, Zähringen nannte, und es zum Schauplatz ihrer Thränen weihte. Tausende hatte sie hier in den vielen Jahren ihrer Leiden vergossen, und sie war froh, daß man ihr diese heilige Wohnung der Schwermuth gelassen hatte, damit sie auch ihre letzten Zähren daselbst weinen könnte.[6]

Sie reiste nach diesem Orte, dem einzigen, den sie wählen konnte, und unter tausenden gewählt haben würde, ohne daß man ihr vergönnte, eine einzige von ihren treuen Frauen mit zu nehmen. Man sagte ihr, sie würde an dem Orte ihrer Wahl alle Bedienung finden, die sie bedürfe, und sie ließ es sich gefallen, weil ihr bekannt war, daß sich unter den Dienstleuten von Zähringen wirlich Viele befanden, auf deren Treue sie sich verlassen konnte.

Ach sie wußte nicht, wie verändert sie Alles finden würde! Man hatte auf ihrem geliebten Schlosse bereits so geschaltet, als ob es seine Eigenthümerin verändert hätte. Ihre Leute waren abgeschafft, und andere an ihre Stelle angenommen, welche sie nicht kannte. Statt der alten Kastellanin, auf deren Wartung sie sich bei ihrem bevorstehenden Kindbette getröstet hatte, fand sie eine zierliche junge Dirne, welche ihr zwar mit der äußersten Höflichkeit und Ehrfurcht entgegen kam, aber zu welcher sie eben um ihrer Zierlichkeit, Jugend und gezwungenen Höflichkeit willen unmöglich ein Herz fassen konnte. Ach, was würde sie erst gefühlt haben, wenn sie diejenige, welche ihr ihre Dienste mit so vieler Bereitwilligkeit anbot, gekannt hätte! Es war Kunigunde selbst, welche alle ihre Maaßregeln so genommen, sich blos darum in diesen Posten gedrängt hatte, um derjenigen, welche sie stürzen wollte, nahe genug zu sein, damit keiner der ihr zugedachten Streiche mißlingen könnte.

Kunigunde war klug genug, einzusehen, daß Ottiliens gesunkenes Ansehen durch die Geburt eines Sohnes,[7] welche doch immer möglich war, schnell wieder empor kommen, und alle ihre Anschläge vernichten würde; ihr blieb also nichts übrig, als, es möchte auch erfolgen was da wollte, es so einzurichten, daß man die Fürstin allemal für die Mutter einer Tochter halten müsse. Als sie aber eines Tages der Sache tiefer nachdachte, und es nicht für unwahrscheinlich hielt, daß Ottilie, ungeachtet der Tücke, die sie ihr anzuthun sich bestrebte, doch endlich obsiegen, und die Stelle, von welcher sie sie zu stoßen gedachte, wieder erlangen könnte, so schien es ihr nöthig, daß die Fürstin unausbleiblich in dem bevorstehenden Wochenbette nebst ihrem Kinde sterben, und also auf ewig für sie unschädlich gemacht werden müsse.

Es ist unbekannt, ob Ottilie, bei allem Widerwillen gegen ihre aufgedrungene Pflegerin, eine Ahnung von dem ganzen Umfange ihrer Bosheit hatte, aber so viel versichert die Sage, daß sie einst, bei ihrer Rückkunft aus der von ihr erbauten Marienkapelle, sich in ungewöhnlicher Aufregung befunden, den ganzen Tag weder Speise noch Trank zu sich genommen habe, und des Morgens aus dem Schlosse verschwunden sei, ohne daß man je habe erfahren können, was aus ihr geworden.

Wie leicht es Kunigunden wurde, den Fürsten über den Verlust seiner Gemahlin zu trösten, und sich zu rechtfertigen, wie leicht, die Stelle der Verlornen einzunehmen, dieses sind Dinge, welche nicht in unsere Geschichte gehören, da es uns obliegt, uns von der Heldin derselben nicht zu weit zu entfernen.[8]

Die Wahrheit von der ganzen Sache, welche erst nach anderthalb hundert Jahren ganz an das Licht kam, war diese: Ottilie, eine eifrige Verehrerin der heiligen Jungfrau, welcher sie Kirchen und Kapellen zu Dutzenden gebaut hatte, versäumte keinen Tag, in dem Heiligthume, das sie ihr zu Zähringen weihte, ihre Andacht zu verrichten, und ihre Hüterin Kunigunde, welche hieraus kein Arges hatte, dachte nicht daran, ihr diesen kleinen Trost zu rauben.

Eines Tages, als Ottilie besonders eifrig zur Königin des Himmels gebetet hatte, sank sie auf den Stufen des Altars in einen heiligen Schlummer, der ihr eine Menge Träume vorführte, welche ihr ihre wahre Lage deutlich schilderten, ihr den Namen und die Absichten ihrer Verfolgerin nannten, und ihr Alles sagten, was sie von ihr für sich und ihr Kind zu fürchten habe. – Nie haben Träume so deutlich gesprochen, nur Schade, daß sie zu kurze Zeit dauerten, um ihr über das Nothwendigste, über die Mittel, dem Unglück zu entgehen, Unterricht zu geben.

Ein Geräusch von außen verscheuchte das leichte Heer der Traumgebilde, und sie erwachte in einem Zustande, der sich nicht schrecklicher denken läßt. Welch ein Gefühl, den geöffneten Abgrund vor sich zu sehen, die Hand im Nacken zu fühlen, welche uns hinabstürzen wird, ohne hinlängliche Kraft zu besitzen, sich zu retten, ohne weit und breit einen Retter zu sehen, der das ersetzen könnte, was unsere Schwachheit nicht vermag![9]

»Ich traue auf dich, Heiligste des Himmels, treue Warnerin!« sagte Ottilie, als sie in der Nacht nach der schrecklichen Entdeckung leise von ihrem Lager aufstand, das Schloß an der Thür, das sie vorsichtig mit dem Oel der nächtlichen Lampe getränkt hatte, sanft zurückzog und die steinerne Wendelstiege hinabschlich. »Ich traue auf dich, du wirst die Gewarnte nicht verderben lassen, oder, soll sie ja umkommen, dich wenigstens ihres verlassenen Kindes erbarmen. Flucht ist das Einzige, was ich zu meiner Rettung thun kann.«

Es war in einer der kältesten Nächte des Christmonats, als die bedrängte Fürstin das Schloß verließ, das sie in glücklichen Zeiten erbaut hatte. Es gelang ihr, durch ein niedriges Fenster in den beschneiten Garten, und von da durch eine nur von innen verschlossene Thür auf das Feld zu kommen. Kunigunde hatte auf Alles, nur nicht auf die mögliche Flucht ihrer Gefangenen gedacht; sie glaubte, ihre Gefahr sei ihr verborgen, und würde sie auch dieselbe gewahr, so müßte ihr Zustand ihr es unmöglich machen, derselben zu entgehen.

Ottilie war in einer Art von Betäubung, als sie den gefährlichen Schritt wagte; wie hätte sie sonst die gewisse Gefahr für die ungewisse wählen können? Sie sah ihrer Entbindung täglich entgegen, was sollte aus ihr werden, wenn die gefürchtete Stunde sie hülflos überraschte? was sollte alsdann aus ihr werden, wenn dieselbe auch glücklich vorüber ging? sie wußte keinen Zufluchtsort, hatte auf keinen gesonnen. Die Fußtapfen im tiefen Schnee[10] mußten ihren Weg verrathen, und das Glücklichste, was ihr begegnen konnte, war, daß sie hier aufgefunden und in die Hände ihrer Verfolger zurückgebracht wurde.

Die unglückliche Fürstin dachte jedoch gar nicht an den wahrscheinlich unglücklichen Erfolg ihrer Flucht, ihr ganzes Wesen war zu sehr von einem unnennbaren Gefühl der heftigsten Schmerzen des Körpers und der Seele erfüllt. Sie strengte sich über Vermögen an, um nur einige Schritte weiter zu gehen, um nur einige Spannen weiter von der Feindin entfernt zu sein, vor welcher sie der Traum gewarnt hatte, aber endlich verließen sie ihre letzten Kräfte, und sie sank ohne Empfindung auf einen großen Feldstein nieder.

Als sie wieder zu sich selbst kam, hörte sie das silberne Glöcklein auf ihrer Marienkapelle zur Metten läuten, denn die Christnacht war eben angebrochen, und ein heißer Seufzer zur Königin des Himmels drängte sich aus ihrem beänstigten Herzen. Sie schlug die Augen auf und sah an ihrer Seite auf dem Feldsteine eine schöne große Frau sitzen, deren Gestalt sie ganz erkennen konnte, ungeachtet die finstere Winternacht rund umher ihren Schleier ausgebreitet hatte. Ein mildes Licht, das aus der unbekannten Gefährtin selbst auszugehen schien, machte ihr dies Gesicht voll Majestät und sprechender Milde, machte ihr diesen Blick voll Mitleid, mit welchem ihr Auge auf ihr ruhte, sichtbar, und sie wollte schon einige Worte aussprechen, wie sie ihr das Entzücken über einen solchen Anblick in den Mund gab, als sie in den Armen der[11] Fremden einen Gegenstand gewahr wurde, der noch ganz andere Gefühle in ihr erregte, welche zu fassen ihr Herz zu beengt, welche auszusprechen ihre Zunge zu schwach war.

Ein neugebornes Kind von blendender Schönheit lag auf dem rosenfarbnen Schoos der Fremden, und wurde von ihrem himmelblauen Mantel liebreich gegen die schneidende Kälte geschützt. – Mit einem leisen unartikulirten Ton der Freude streckte Ottilie ihre Arme nach dem kleinen lächelnden Engel aus, den ihr die Fremde entgegen hielt, denn ihr Herz sagte ihr, wie nahe sie mit demselben verwandt sei. Es ist dein Kind! rief etwas im Innersten ihrer Seele, und ein Blick nebst etlichen abgebrochenen Worten der Unbekannten bejahte es.

»Ich fand euch,« sagte sie auf weiteres Befragen, »hier in dem hülflosesten Zustande, und stand euch bei, so gut ich konnte. Aber was soll nun aus euch und eurem Kindlein werden?«

»Ach! mir wird bald auf ewig geholfen sein,« sagte die schwache Fürstin. »Ich fühle bereits den Tod im Herzen! Ich glaube, die Freude über die Neugeborne hat es vollends gebrochen! –«

»Aber was soll ich mit der verlassenen Kleinen beginnen?«

»Sie ist nicht verlassen, wenn sie in euren Händen ist; ihr scheint mir eine gute Frau zu sein. Fördert das Kind, das ich euch hinterlasse, zur Christenheit, und seid[12] seine Pathe; euch und die Königin des Himmels erwähle ich zu seinen Taufzeugen.«

Die Fremde lächelte ein wenig, und fragte, wie die Neugeborne heißen sollte?

»Marie!« erwiederte die Fürstin, »nach ihrer vornehmsten Pathe, und wollt ihr ihr noch einen Namen zum Andenken ihrer unglücklichen Mutter geben, so nennt sie Ottilie.«

Die Unbekannte schwieg ein wenig, thaute darauf eine Hand voll Schnee mit ihrem Hauch zu Wasser auf, sprengte es über das Haupt des Kindes und gab ihm seine Namen.

»Wer seid ihr?« fragte die Fürstin, die dieser Handlung mit Andacht zugesehen hatte.

»Ich heiße Marie!«

»Woher kommt ihr? und wohin geht euer Weg?«

»Ich komme von oben, und walle dort nach meinem Hause, wo die silberne Glocke tönt.«

»O nun kenne ich euch!« rief Ottilie mit einem unaussprechlichen Blicke. »Heil mir! mein Kind ist wohl berathen! –« Darauf wandte sie sich auf die Seite, schloß die Augen und verschied. –

Die Königin des Himmels, – meine Leser werden wohl nicht mehr zweifeln, wer die Fremde war, – ließ einige himmlische Thränen auf die Entseelte fallen, vertraute der mütterlichen Erde den Körper, und bedeckte das Grab mit dem Feldsteine, auf welchem sie neben ihr gesessen hatte. Das Kindlein aber hüllte sie in ihren[13] Sternenmantel und nahm es mit sich hinauf in ihre ruhigen Wohnungen.

Wer kann die Geheimnisse der Ueberirdischen fassen, und wer kann genau sagen, wie es mit der Erziehung der kleinen Marie bei ihrer himmlischen Pathe beschaffen sein mochte? So viel läßt sich aus dem, was die Sage von diesen wunderbaren Dingen aufbehalten hat, schließen, daß es die Absicht der Königin des Himmels war, das junge Fräulein für die Welt und nicht unmittelbar zum Leben der Seligen zu erziehen; daher sammelte sie solche Gegenstände um sie her, oder gab vielmehr allen Dingen, welche ihr in den obern Regionen vorkommen mußten, ein solches Ansehen, wie sie in das Leben hienieden paßten. Engel und Selige kamen der kleinen Erdbürgerin wie schöne goldgelockte Jünglinge und Jungfrauen vor, die Feste des Himmels hatten viel Aehnlichkeit mit den irdischen, bei welchen Tugend und Wohlstand herrscht, und selbst die kleinen Geschäfte, zu welchen sie, so wie sie heranwuchs, angehalten wurde, waren die nämlichen, wie sie ihr etwa in ihrem künftigen Erdenleben bestimmt sein mochten.

Daß indeß ihr Herz in der himmlischen Gesellschaft, in welcher sie sich befand, unendlich veredelt, ihr Geschmack an Dinge gewöhnt werden mußte, wie man sie auf Erden selten findet, das läßt sich denken, und so vortheilhaft das erste für sie war, so zog das andere doch gewisse üble Folgen nach sich, die sich nicht ganz vermeiden ließen. Ein Glück wär' es für die kleine Marie gewesen,[14] wenn sie in den obern Regionen völlig hätte heranwachsen, oder ewig daselbst bleiben können; aber eine halbe vollendete Erziehung, und wäre es die beste von der Welt, kann nie großen Nutzen schaffen.

Die junge Erdbürgerin hatte das siebente Jahr eben angetreten, als sie von ihrer Pathe vorgenommen und folgendermaßen angeredet ward: »Mein Kind, du trittst heute aus den Gränzen der Jahre, da der Mensch blos lebt und athmet, ohne sich selbst zu kennen; deine Begriffe werden von nun an sich besser entwickeln, und da es nicht fehlen kann, daß du hier auf eine Menge Dinge stoßen wirst, die nicht recht zu denselben passen, so ist es nöthig, daß ich dir die Augen über deinen wahren Zustand öffne. Das Land, in dem du lebst, ist nicht dein Vaterland; du bist in einer viel gröbern Luft geboren, als die wir hier athmen, bist zu einem Leben bestimmt, das weit unter demjenigen ist, das wir hier leben; gern behielt ich dich bei mir, aber dies ist mir gar nicht, oder nur unter gewissen Bedingungen erlaubt, die du schwerlich erfüllen wirst.«

Die kleine Marie weinte sehr, als sie von Trennung von einem Orte sprechen hörte, der ihr mit allen seinen Bewohnern so theuer war.

»Möchtest du gern bei mir bleiben?« fragte die Heilige.

»O gern, gern liebe Pathe!« rief das Kind, welches anfing noch heftiger zu weinen.

»Aber,« sagte sie, »du wirst größer werden, wirst[15] Unarten annehmen, welche uns hier oben fremd sind; Vorwitz, Eigensinn und Stolz werden sich in deinen Handlungen äußern, und bei dem ersten Vergehen dieser Art würde ich genöthigt sein, dich dahin zu verstoßen, woher du kamst. Willst du also das Glück immer genießen, das dir jetzt so theuer ist, so sei auf deiner Hut, denn von nun an wirst du in mannichfache Versuchung kommen, deren kleinste für deine Kräfte zu schwer sein möchte. Dürfte ich es auch wagen, dir, wenn du zum erstenmal unterliegst, zu verzeihen, so würde dich doch ein zweiter und dritter Fall unausbleiblich in die Tiefe, aus der du gekommen bist, hinabstürzen.« –

Die kleine Sterbliche war klug genug, ihre Pathe um einige Regeln zu bitten, nach welchen sie in der gefährlichen Epoche, welche ihr angekündigt wurde, sich zu richten hätte, und sie erhielt folgende Lehren, die die Heilige, um sie dem Kinde desto merklicher zu machen, in diese kurze Denkreimlein kleidete. »Strebe,« sprach sie mit warnender Miene, »strebe nicht nach höhrem Himmelsglück; sieh es droht der Sterblichen Gefahr. – Schaue nicht ins Erdenthal zurück, das zu Tod und Elend dich gebar. – Und verwende deine kühnen Blicke nie nach dem, was dir verboten war.«

Marie dankte ihrer Pathe, und wiederholte die drei goldnen Regeln so oft bei sich selbst, bis sie ihr unvergeßlich waren.

Auch hätte man glauben sollen, sie wären ihr ganz und gar entbehrlich gewesen; sie hatte an der kindischen[16] Einfalt und Unschuld, die in ihrem Herzen wohnten, ein paar Schutzengel, die sie sicherer vor tausend Versuchungen vorbei führten, als die ernstlichsten Warnungen. Sie wußte nichts von den Gefahren, die sie täglich bedrohten, denn Unbekanntschaft mit dem Bösen ließ sie immer recht handeln, ohne daß es ihr Mühe, Ueberwindung oder Nachdenken kostete.

Die himmlische Marie hatte die Freude, ihre kleine Namesträgerin zur Vollkommenheit der Engel heranwachsen zu sehen, und gewann sie immer lieber. Sie gab ihr unzählige Beweise ihres Wohlgefallens, unter denen, um sich nach der sinnlichen Natur des Kindes zu bequemen, freilich auch manche waren, die nicht recht in die überirdischen Regionen zu gehören schienen; und es war nicht unmöglich, daß die schönen Kleider und die bunten Zeitvertreibe, an welchen es ihr die zärtliche Pathe nie fehlen ließ, den ersten Grund zu dem nachmaligen Falle des armen Mädchens legten.

Es war gegen Allerheiligen, als Marie ihre kleine Pathe vornahm, und zu ihr sagte: »Ich schwebe hinauf in die translunarischen Gefilde, die höhern Feste des Himmels zu feiern, und lasse dich hier zurück, wo es dir auch nicht an Freuden fehlen wird, die sich für dich passen. Nur sei mit dem zufrieden, was dir zukömmt, und suche dich nirgend einzudrängen, wo du nicht hingehörst. Vor allem aber beachte deine drei Regeln wohl. Du weißt, daß du in meiner Burg schier Alles thun und an allen Orten sein kannst, wo du willst. Und die wenigen[17] Gegenden, die dir verboten sind, kennst du auch; es sind die Zinnen meiner Thürme, von welchen du herabstürzen könntest, und vor allem meine Bäder, in welchen dir die Gefahr zu ertrinken droht. Du siehst, daß ich es gut mit dir meine, und dir nichts untersage, als was dir schaden kann. Doch hast du deinen freien Willen; die Schlüssel zu allen Thüren sind in deiner Hand, und du kannst thun, was dir gefällt.«

Die kleine Erdbürgerin gelobte von neuem Gehorsam und gute Aufführung, und man trennte sich auf baldiges Wiedersehen.

Auf Allerheiligen wurde in Mariensburg eine Art von offnem Hof gehalten, und manches Fest gefeiert, bei welchem sich alle Heiligen der zweiten und dritten Ordnung versammelten. Die kleine Marie durfte, als eine Sterbliche, freilich diesen Dingen nur in der Ferne zusehen, aber auch dieses gewährte ihr schon unendliches Vergnügen, bis sie an einem Tage, bei Betrachtung und Anlegung ihrer glänzenden Gewänder, den Geschenken ihrer Pathe, auf den Einfall kam, sie könne, so geschmückt und schön wie sie war, wohl eine von den Eingebornen des Himmels vorstellen, und wenigstens incognito einem von ihren Festen mit beiwohnen. Sie hatte diesen Tag ihre drei Regeln schon zwanzigmal wiederholt, aber es fiel ihr nicht ein, ihr Verhalten nach denselben zu prüfen; sie hielt das, was sie vorhatte, nicht für unrecht, und führte es kühnlich aus, ohne von den Thürhütern erkannt zu werden.[18]

Auch unter den Anwesenden war Niemand, der sie zu kennen schien, und ihr darum seinen Umgang versagte, denn ihr Betragen war so edel, so ganz nach den Sitten des Himmels gebildet, daß sie wohl eine Gespielin der Engel abgeben konnte; doch hielt sie sich mehr zu ihres Gleichen, und fand unter den eilftausend Jungfrauen der heiligen Ursula und den unschuldigen Kindlein manche liebe Gefährtin.

Was sie einmal versucht hatte, geschah öfters, und kein Tag verging, daß sie sich nicht in dem glänzenden Zirkel befand, in den sie nicht gehörte. Doch schien es, als wenn man sie nach und nach kennen lernte, und sich darum von ihr entfernte. Sie sah in diesen Tagen der Vernachlässigung unter der zahllosen Menge noch ein liebenswürdiges Geschöpf, welches gleich ihr nicht beachtet wurde, und mitten in der großen Versammlung einsam zu sein schien.

Marie hatte nie davon gehört, daß sich oft unter die Kinder des Himmels ein böser Geist zu mischen pflegt, und daß daher auch hier Behutsamkeit nöthig sei. Niemand warnte sie, und sie gesellte sich daher ohne Bedenken zu dem, welcher gleiches Schicksal mit ihr hatte.

Man unterhielt sich mit einander, man gewann sich lieb, und es kam bald dahin, daß der Unbekannte von Marien unzertrennlich war. Es würde dem unglücklichen Mädchen leicht gewesen sein, in ihrem gewählten Gefährten einen Verführer zu erkennen, wenn sie gewußt hätte, was Verführung wäre, und wenn nicht der betrügerische[19] Geist, welcher darauf sann, ihr ihr Glück zu rauben, erst dann mit seinen zweideutigen Vorschlägen und Unterhaltungen hervorgetreten wäre, als er sie schon gewöhnt hatte, Alles, was er sagte, schön und gut zu finden.

»Mich wundert,« sagte er eines Tages, »wie deine Patronin dir den Zutritt zu den höhern Festen des Himmels versagen und dich hier der langen Weile Preis geben kann; denn so viel mußt du doch gestehen, daß ohne mich dir die Stunden sehr langsam verfließen würden. – Geschah es deshalb, daß sie dich von der schönen Erde entführt hat, um dir hier die unschuldigsten Freuden zu entziehen?«

»Die Erde ist nicht schön, wie meine Pathe sagt,« antwortete Marie; »der Himmel ist schöner als Alles.«

»Mag wohl sein,« erwiederte der Verführer, »aber glaubst du denn dich hier im Himmel zu befinden? – Arme Betrogene, auf einem kleinen Planeten lebst du, von den Erdbewohnern Mond genannt, dessen Hauptbestimmung ist, ihren Nächten zu leuchten. – Kannst du dir vorstellen, daß der Diener der Erde schöner sei, als die Erde selbst? – O solltest du sie sehen die schöne leuchtende Kugel, solltest du sie nur von Ferne sehen. Ich sollte meine, auf den Zinnen dieser Burg müßtest du sie in heitern Nächten erblicken können!«

»Da hinauf zu steigen ist mir verboten,« erwiederte Marie.

»Wie ich dir gesagt habe,« rief er, »sie beneidet dir den Anblick des Glückes, das sie dir raubte.«[20]

Die leichtgläubige Sterbliche hörte den Reden des Verführers so lange zu, bis sie Eingang bei ihr fanden, und ehe die Nacht erschien, stand sie an seiner Seite auf der verbotenen Zinne. »Diese leuchtende Kugel,« sagte der gefährliche Gesellschafter, indem er auf die aufgehende Erde deutete, welche, weit schöner und größer als der Mond, in ihrer Herrlichkeit am Rande des Himmels heraufwandelte, »dieses glänzende Gestirn ist dein Geburtsland; wir sehen es auf der andern Seite des Planeten, auf dem wir jetzt sind, alle Nächte, aber deine Neiderin hat absichtlich ihre Burg auf diesen dunkeln Fleck verlegt, um dir auch die kleine Freude zu rauben, dein Vaterland in der Ferne zu sehen. Ach, und solltest du es erst in der Nähe erblicken! die tausend von dir nie gesehenen, unaussprechlichen Dinge, die es enthält! – Laß mich abbrechen! Einst war ich da, und ich hoffe, bald dahin zurück zu kehren!«

Marie sah den Sprechenden mit einem traurigen Blicke an, den er wohl verstand; um ihre Sehnsucht aufs höchste zu treiben, begann er mit himmlischer Beredsamkeit von allen Schönheiten der Erde, von allen ihren verführerischen Scenen zu sprechen; Dinge, welche freilich der Zuhörerin nur halb verständlich waren, die aber eben darum für ihre Neugierde desto größeren Reiz hatten.

»Lebe wohl,« sagte er am Ende, als er merkte, daß er Gift genug in ihr Herz gestreut hatte, »lebe wohl auf lange Zeit. Mich dünkt, meine Rückkehr zur Erde steht[21] nahe bevor, vielleicht, daß wir uns einst in ihren seligen Gefilden wieder finden.«

»Und wie macht ihr es, ihr Himmlischen,« fragte die Sterbliche, »euch hinüber zu schwingen?« – »Wir tauchen uns,« sagte der Verführer, »siebenmal in ein ätherisches Bad, dergleichen deine Patronin wohl auch in ihrer Burg haben wird, und dadurch werden wir leicht genug, um von den Fittigen der Winde, denen wir gebieten, uns an jeden Ort hintragen zu lassen, wo wir zu sein wünschen.«

Marie blieb nachdenkend zurück und schaute mit trüben Blicken ihrem fliehenden Gefährten nach. Keine Nacht verging hinfort, daß sie nicht auf die Zinne stieg, und das Gestirn, das man ihr als Geburtsland bezeichnet hatte, so kläglich anweinte, als je in der Epoche der Empfindsamkeit ein liebekrankes Mädchen den Mond angeweint haben mag.

Ruhe und Heiterkeit waren aus ihrem Herzen gewichen. Statt der Liebe und Sehnsucht nach ihrer Wohlthäterin, wohnte in ihrer Seele düstres Mißbehagen, Argwohn und heimlicher Unwille. Sie dachte nach, was Marien wohl bewogen haben möchte, sie von der schönen Erde hieher zu versetzen, und erschuf sich selbst eine Geschichte hiervon, in welcher sie die Bedrängte, und die wohlthuende Heilige die Tyrannin war. Sie fing beinahe an, Marien zu hassen, und daß ihr bei diesen Gesinnungen ihre Gebote nicht mehr heilig sein konnten, läßt sich denken. Zwei derselben hatte sie schon ungestraft gebrochen, und auch das dritte[22] zu übertreten, dünkte ihr Kinderspiel. Sie kannte keinen heißern Wunsch, als diese Gegenden, die ihr jetzt öde und traurig dünkten, mit den schönern Gefilden der Erde zu vertauschen, und wollte ihn befriedigen, sollte es auch ihr Leben kosten.

»Was zögre ich so lange?« sagte sie zu sich selbst, »was habe ich zu scheuen? Das Mittel zur Stillung meiner Sehnsucht ist ja in meinen Händen! Hier ist der Schlüssel zu Mariens Bädern, von deren Kraft mich der Engel unterrichtet hat. Ich tauche mich siebenmal in die ätherischen Futhen, und wie wohl, o wie wohl wird mir sein, wenn ich mich von der spiegelglatten Fläche, leicht wie die Luft, erhebe und hinüber schwebe, hinüber in die Gefilde des Lichts, wo ich geboren ward, und wo, wie mein Freund mich versichert, so herrliche Dinge meiner warten!«

Mariens Bäder waren auf einem der höchsten Mondgebirge angelegt; eine ehrne Mauer umschloß sie, und diamantne Riegel verwehrten den Eingang. Die Gebirge waren von dem leichtfüssigen Mädchen schnell erstiegen, der weite Umfang der himmelhohen Mauer, die sie bisher nur von weitem gesehen, ward ohne Grauen betrachtet und die Riegel vermittelst des goldenen Schlüssels hinweggeschafft. Die weiten Pforten flogen krachend aus einander und eröffneten eine gränzenlose überraschende Aussicht. Die kühne Sterbliche hatte erwartet, in irgend ein hohes Gewölbe zu kommen, wo marmorne Becken den Gliedern kühle Erfrischung anböten; aber ein See, den das Auge nicht übersehen konnte, zeigte sich ihren Blicken,[23] und über demselben keine andere Decke als der dämmernde Abendhimmel, an dessen Horizonte das Lieblingsgestirn der Betrogenen schön und schrecklich heraufstieg. Das Schicksal wollte, daß sie gerade eine Stunde zu ihrer verwegenen That gewählt hatte, in welcher die Mondbürger einer Erdverfinsterung entgegen sahen. Die Sonne stand hinter dem dunkeln Planeten, der einen fürchterlichen Schatten auf das Gestirn warf, das die Pflegetochter der Heiligen zuvor nie anders als silberhell und rein erblickt hatte. Der unverfinsterte Theil der Erde war roth wie Blut, und der Rand der glatten See schien von seinem Abglanz in Feuer zu schwimmen. Marie bebte zurück! Nun, rief es ihr wie aus tiefer Ferne entgegen, nun tauche dich siebenmal in die ätherischen Fluthen, und schwebe hinüber, hinüber nach deinem Geburtslande! – Aber die Sterbliche schauterte muthlos in sich zurück und wandte sich zu fliehen. Doch der Vorwitz hieß sie umkehren. Nur noch einmal mußte sie das glühende, immer dunkler werdende Gestirn betrachten, ungeachtet es ihr nicht mehr gefiel; nur die Spitze des Fingers in dieses Wasser tauchen, obgleich seine gränzenlose Ausdehnung ihr Grauen machte, und ihr die Lust benahm, sich darin zu baden. Sie that Beides, und warf dann die ehrnen Pforten im Fliehen hinter sich zu, daß der Wiederhall im Thale den krachenden Ton zehnfach zurückgab.

Tausend Schrecken jagten hinter der Fliehenden her. Sie kam athemlos auf ihrem Zimmer an, warf sich auf[24] ihr Bette, und verhüllte sich in die Decken ihres Lagers. Ein Schlaf, voll der schrecklichsten Phantasien, überfiel sie, aus welchem sie am Morgen – durch die Stimme ihrer himmlischen Wohlthäterin – erweckt wurde.

»Marie!« rief diese mit liebkosendem Tone, »Marie, mein Kind! was fehlt dir? du bist krank, wie ich fürchte! Todesblässe ruht auf deinem Gesicht, kalter Schweiß deckt deine Glieder! Kann Krankheit und Tod auch in diese Wohnungen der Ruhe eindringen? Doch du bist eine Sterbliche, und wohl dir, wenn du in der unbefleckten Unschuld, die noch deine Seele ziert, wohl dir, wenn du in meinen Armen den Geist aufgäbest!«

Die Worte der Heiligen schnitten der Sünderin durchs Herz; sie verbarg ihr Gesicht unter der Decke, und zog ihre Rechte sträubend zurück, welche St. Marie gefaßt hatte, um ihren Puls zu fühlen.

Ach, die verrätherische Rechte! es war eben diejenige, welche in vergangener Nacht es wagte, das geweihte Wasser zu berühren! Die Heilige hielt sie fest, und entdeckte an den viertem Finger derselben, der die Frevelthat verübte, das erste Glied in Gold verwandelt, daher auch noch dieser Finger der Goldfinger genannt wird, bis auf diesen Tag.

»Marie!« rief jetzt die Königin des Himmels in einem ganz andern Tone, »Marie! was hast du gethan? – O zweite Eva! du hast von dem verbotenen Baume gekostet, und Verstoßung aus dem Paradiese wird dein Theil sein!«[25]

Mit Entsetzen über die Donnerstimme ihrer Wohlthäterin warf sich jetzt die kleine Marie aus dem Bette, um auf den Knieen um Gnade zu flehen. »Ich habe von keinem verbotenen Baume gekostet,« schrie sie mit kindischer Einfalt, weil sie die figürliche Rede der Heiligen nicht verstand, »ich habe nichts gethan, als – –«

»Ja, ja,« unterbrach sie die erzürnte Königin des Himmels, »du hast nichts gethan, als alle meine Gebote übertreten! Siehe, Verworfene! deine eigene frevelhafte Hand zeugt wider dich; kannst du das Brandmahl an diesem Finger auslöschen?«

Das Mädchen, welches vor Bestürzung nicht wußte, was es that, rieb unaufhörlich an dem vergoldeten Gliede, um den verrathenden Flecken zu tilgen, und weinte dazwischen so kläglich, daß es der Heiligen jammerte.

»Du bist ohne Rettung für mich und diese glückliche Wohnung verloren,« sagte sie nach langem Stillschweigen, »aber doch steht es in meiner Macht, dein Schicksal zu lindern, und es soll geschehen, wenn du aufrichtig genug bist, mir Alles zu gestehen, was in meiner Abwesenheit vorgegangen ist.«

Und Marie erzählte in einem so treuherzigen, kunstlosen und kummervollen Tone, daß das Herz der Heiligen vollends gebrochen ward.

»Du bist zu bedauern,« sagte sie, »aber noch ein mal, du bist nicht zu retten; das Urtheil der Verstoßung aus diesen Wohnungen der Ruhe ist unwiderruflich. Doch das hast du ja gewünscht, du hast dich ja in dein Geburtsland[26] zurück gesehnt; nun so gehe denn hin, und siehe, was für Glückseligkeiten dort deiner warten. O Marie, Marie! nur eine Geschichte, nur die Geschichte deiner Mutter, nur die Geschichte deiner Geburt darf ich dir erzählen, um dir über die Beschaffenheit des Landes, wohin du dich sehnst, die Augen zu öffnen!«

Und die Heilige erzählte eine lange, schauervolle Geschichte, ganz dieselbe, die wir unsern Lesern mitgetheilt haben, aber mit Bemerkungen durchflochten, wie sie nur eine Himmlische machen kann. Die kleine Marie horchte aufmerksam zu und bewahrte jedes Wort in ihrem Herzen; ach, sie wußte, daß es die letzten waren, die sie aus dem Munde ihrer Wohlthäterin hören sollte!

»So gehe denn hin,« sagte die Königin des Himmels, indem sie am Ende die weinende Sterbliche in die Arme schloß, »ich muß dich von mir lassen. Deine Strafe ist die Verbannung von meinen Augen, und der Verlust des Namens, den du mit mir gemein hast. Erkühne dich nicht, dich auf der Erde, wo du nunmehr bald sein wirst, Marie zu nennen; nenne dich Ottilie, nach deiner unglücklichen Mutter. Ich werde dich nicht ganz verlassen, wenn du außer diesem Gebot noch folgendes in Acht nimmst: Rede nie zu kühn von den Geheimnissen der Oberwelt, die du bei mir kennen lerntest, und sei nicht stolz darauf, daß du unter den Himmlischen erzogen wurdest, – du siehst, wie wenig dir dieser Vorzug genutzt hat.

Morgen beim Erwachen wirst du dich auf dem Grabe[27] deiner Mutter, wo du zuerst athmetest, befinden. Dein Vater, welchen ich auf deine Ankunft vorbereiten will wird dich aufsuchen, und dich in alle Rechte einer Tochter von ihm einsetzen. Du wirst nicht unglücklich sein, wenn du tugendhaft bist, auch ist es dir erlaubt, mich einmal in deinem Leben, in deiner höchsten Noth zu Hülfe zu rufen, wo ich dann nicht ermangeln werde, dir zu deiner Rettung zu erscheinen, und dich vielleicht an den Ort zurückzuführen, den du jetzt verlassen mußt.«

Unter Seufzen, Weinen und Abschiednehmen verfloß der Rest dieses traurigen Tages, und am Abend entschlief die kleine Ottilie, um in dem Lande der Thränen zu erwachen.

Aus der Erzählung ihrer Pathe wußte sie, daß der Ort ihrer Geburt und das Grab ihrer unglücklichen Mutter durch einen gemeinen Feldstein bezeichnet ward, welcher mitten in einem öden Thale lag, und sie erstaunte also nicht wenig, als sie sich beim Erwachen auf einem Monumente von weißen Marmor, unter einem hochgewölbten Dome sah, von dessen Mitte eine brennende Ampel herab hing. Marie hatte ihr verschwiegen, was für Veränderungen sich seit ihrer Geburt in dieser Gegend zugetragen hatten, und uns will obliegen, ihren Fehler zu verbessern.

Kunigundens Glück, das sie auf den Untergang einer unglücklichen Fürstin baute, dauerte kurze Zeit; die Rache des Himmels verfolgte sie, das Blut Ottiliens von ihren Händen zu fordern. Der Verlust ihrer Reize hatte[28] ihr zeitig das Herz ihres Gemahls geraubt, sie mußte neuen, frischer blühenden Schönheiten weichen, so wie Ottilie ihr gewichen war. Eine lange schmerzhafte Krankheit führte sie dem Tode entgegen, und in den Augenblicken, da sich das Grab vor ihren Füßen öffnete, war es, daß sie Rörichen zu sich berief, und ihm das ganze Bekenntniß ihrer Sünden ablegte. Ein Schauer durchbebte ihn, als er erfuhr, Ottilie sei nicht im Kindbette gestorben, wie man vorgegeben hatte, sondern verloren gegangen, und weil man es nicht der Mühe werth gehalten habe, sie aufzusuchen, vermuthlich umgekommen.

Es ist unbekannt, was Rörichen bei Erzählung dieser Begebenheiten so erschütterte, ob Grauen vor der Bosheit, welche seine beklagungswürdige Gemahlin zur Flucht nöthigte, oder Furcht, sie möchte wieder kommen und ihre Rechte auf seine Person geltend machen. Er verließ die Sterbende mit Verwünschungen, und ließ, weil mehrere Personen bei Kunigundens Bekenntniß gegenwärtig gewesen waren, und die Sache sich nicht verbergen ließ, in allen seinen Landen eine große Belohnung für denjenigen ausrufen, welcher ihm Gewißheit von dem Schicksal der verlornen Fürstin bringen würde.

Um diese Zeit war es, da das Gerücht erscholl, es befände sich in der Feldmark von Zähringen ein Stein, bei welchem große Wunder geschähen. Des Nachts wollte man öfters einen hellen Glanz um denselben gesehen, und himmlische Stimmen dabei gehört haben, und da er bei Tage der Sitz der herumschweifenden Bettler war, so behaupteten[29] viele, daß Lahme, die auf demselben ihre Ruhe genommen hatten, mit dem vollen Gebrauch ihrer Glieder aufgestanden wären, und Blindgeborne hier unverhofft den ersten Strahl des Lichts erblickt hätten. Diese Begebenheiten erregten großes Aufsehen im Lande, und die Umwohner, welchen es je länger, je gewisser ward, daß der wunderbare Stein die Gebeine irgend eines Heiligen decken müsse, kamen bei dem Fürsten mit der Bitte ein, hier eine Kapelle bauen zu dürfen.

Rörich, welchen das Laster jetzt zu verlassen begann, und der daher je zuweilen einige Mahnungen vom erwachenden Gewissen spürte, dachte dasselbe auf die Art zu befriedigen, wie es in seinen Tagen gewöhnlich war. Die Erbauung einer Kapelle, die man ihm vorschlug, war ihm eine erwünschte Sache. Er begleitete seine Einwilligung mit dem Versprechen, die Kosten des Baues selbst zu tragen, wirkte vom heiligen Vater mit schwerem Golde ansehnliche Indulgenzen aus, und kam selbst nach Zähringen, an der heiligen Stelle zu beten, und der Nachsuchung nach Reliquien beizuwohnen.

Der Feldstein wurde in seiner Gegenwart aufgehoben, und man stelle sich das allgemeine Erstaunen vor, als man im Schoos der kleinen Höhle, die sich nun dem Auge zeigte, den unverwesten Leichnam der verlornen Fürstin fand. Eine solche Erscheinung, mit den Wundern ihres Grabsteins zusammen genommen, war hinlänglich; sie zum Range einer Heiligen zu erheben. Aller Augen schwammen in Thränen der Andacht, aber aus Rörichs[30] Augen strömten noch ganze andere Thränen; er schlug an seine Brust, und ging nach Schloß Zähringen zurück, wo er sich drei Tage lang vor Jedermann verschloß, und erst am vierten wieder hervorging.

Er ließ den Prior des benachbarten Klosters kommen, weil er zu schwach war, den Weg der Buße selbst zu gehen, beichtete sein langes Sündenverzeichniß, und begehrte Rath und Trost für sein Gewissen. Die Antworten, die er erhielt, lassen sich denken. Seine Schätze strömten in die Seckel der Klosterherrn, und über Ottiliens Grabe erhob sich der herrliche Bau, dessen wir auf den vorigen Seiten gedacht haben.

Aber dies war nicht hinlänglich, Rörichs gefoltertem Herzen Ruhe zu geben; eines lag ihm in Sinne, wofür ihn weder geistlicher noch weltlicher Trost helfen konnte. Es war offenbar, daß seine verklärte Gemahlin erst nach der Entbindung gestorben war, und man hatte deshalb in dem Grabe nach den Gebeinen ihres Kindes gesucht, weil man vermuthete, es könne mit ihr gleiches Schicksal gehabt haben; aber als man nichts fand, so ward es Rörichen gewiß, daß dieser unglückliche Sprößling seines Hauses noch leben müsse. Dieses geliebte Kind, das einzige Ueberbleibsel der beleidigten Heiligen, wieder zu finden, war sein einziger vorherrschender Gedanke. Alle Mittel, das verlorne Kleinod auszuspähen, wurden Jahre lang vergebens versucht, und man urtheile, wie dem Fürsten zu Muthe war, als einst in einer durchweinten Nacht, kurz vor Anbruch des Tages, Marie im Himmelsglanze[31] vor ihm stand, sich für die bisherige Pflegerin seines Kindes bekannte, und ihm den Ort bezeichnete, wo er die Ottilie finden würde!

Ottilie hatte sich noch nicht von der Verwunderung über den Ort, an welchem sie erwachte, erholt, als sie von außen das Geräusch von vielen Kommenden, und an den hohen Kirchenfenstern den Schein wehender Fackeln vernahm; denn der Fürst hatte nicht gesäumt, und wat sogleich, als das nächtliche Gesicht verschwand, aufgestanden, seine Leute zu wecken, und mit nach der Kapelle zu gehen, zu welcher er allein den Schlüssel hatte, so daß er dem kommenden Tage zuvoreilte, und noch in der ersten Morgendämmerung an dem Orte anlongte, welcher sein liebstes lang gesuchtes Kleinod bewahrte.

Die Pforten flogen auf, Ottilie, welche sich langsam von ihrem Grabsteine emporichtete, sah einen Mann mit offnen Armen auf sich zueilen, welchen mehr der Gram und die Gewissensbisse, als die Jahre', zum Greise gemacht hatten. Ihr Herz bewegte sich bei seinem Anblicke, und sie flog in seine ausgebreiteten Arme. »O mein Vater! o meine Tochter!« ertönte aus Beider Munde, und tausend Liebkosungen füllten das beredte Stillschweigen, welches denselben folgte.

O Natur, wie mächtig ist deine Stimme! Was anders, als dein Ruf konnte Rörichen bewegen, die Niegesehene beim ersten Anblick als Tochter in die Arme zu schließen? Wer anders als du lehrte Ottilien denjenigen mit der Zärtlichkeit eines Kindes zu umfangen, der weder[32] durch seinen Anblick, noch durch seine Thaten Liebe zu erregen vermochte. Was Ottilie durch die himmlische Pflegemutter von dem Thun und Wesen ihres Vaters wußte, gereichte ihm zu keinem Vortheil, und seine Physiognomie war gewiß keine von denjenigen, an welche sich ihre Augen in den obern Regionen gewöhnt hatten; dennoch ward ihr Herz zu ihm hingerissen, und sie nannte ihn tausendmal Vater, mit einem Tone, der sein Innerstes durchbebte. Er seiner Seits war durch vielfache Bande an die Wiedergefundene gefesselt. Daß sie wirklich seine Tochter sei, daß hier kein Betrug unterlaufen könne, bewies sein weissagender Traum und das Wunder, durch welches Ottilie in die verschlossene Kapelle gekommen war; auch trugen ihre Züge eine so unverkennbare Aehnlichkeit mit denen ihrer unglücklichen Mutter, daß kein Zweifel an ihrer Herkunft möglich war. Aber wäre auch alles dieses nicht gewesen, so war das junge Fräulein so hinreissend schön, so war in ihrem ganzen Betragen, in jedem Laut ihrer harmonischen Stimme, so etwas Ueberirdisches, daß Jeder, den sie des Namens Vater gewürdigt hätte, und wär' er es auch nicht gewesen, sich im Besitze eines solchen Kindes glücklich geschätzt haben würde.

Rörich führte das himmlische Mädchen triumphirend in sein Schloß, und theilte den ganzen glücklichen Tag der Wiederfindung in die Unterhaltung mit ihr, in die Einrichtung ihres Hofstaats, und in Vorbereitung zu glänzenden Festen, mit welchen er sein Glück feiern wollte.[33] Er eilte von Einem zum Andern, und vollendete nichts; die Freude machte ihn trunken, und Alles, was er unternahm, würde verkehrt gegangen sein, wenn er nicht verständige Leute gehabt hätte, die seinen Fehler verbesserten.

Ottilie wurde allen seinen Vasallen und Lehnsleuten als ihre künftige Fürstin vorgestellt, denn eine von Rörichs ersten Handlungen war, seiner Tochter das Erbrecht zu versichern. Jedermann jauchzte ihr Bewunderung, fast möchte ich sagen, eine Art von Anbetung zu, denn man konnte in ihr die Himmelsbewohnerin nicht verkennen. Das Gerücht von dem Orte, wo sie erzogen worden war, ging von Munde zu Munde, weil Rörich mit dem, was er hiervon im Traume vernommen hatte, nicht allzu geheim gewesen war, aber Ottilie behauptete gegen Jedermann, selbst gegen ihren Vater, über diesen Punkt ganz das bescheidene Stillschweigen, das ihr ihre himmlische Pathe auferlegt hatte. Ueberhaupt war ihr Betragen über ihre Jahre; denn man kann ausrechnen, daß sie noch sehr jung war, als sie zur Erde zurückkehrte. Ihr Vater fand es nöthig, ihr Lehrer in allerlei Dingen zu geben, aber sie war in den meisten schon so wohl unterrichtet, daß sie die Meister beschämte, und das Wenige, worin sie nicht wohl in den überirdischen Gegenden Unterricht erhalten haben konnte, lernte sie so schnell, daß man auch hierin bald ihre Erziehung für vollendet erklären mußte.

Bei Talenten von dieser Art, die man übernatürlich finden mußte, war es nicht gut möglich, zu vergessen,[34] woher Ottilie gekommen; auch gab es noch andere kleine Umstände, die die wunderbaren Sagen von ihr vermehrten, und sollte es auch nur das goldne Glied eines rechten vierten Fingers, und sollte es auch nur eine reiche Garderobe gewesen sein; denn wir haben zu melden vergessen, daß die freigebige Pathe ihr nichts von den kleinen Geschenken vorenthielt, die sie ihr je gemacht hatte. Alles wurde in ihrem Zimmer in schönen Truhen wohl verwahrt gefunden, und von den Kammerfrauen mit Verwunderung hervorgezogen. Goldne und silberne Kleinode, Perlen und edle Steine, die nicht zu schätzen waren, und wogegen der Schatz unserer lieben Frau zu Loretto Kleinigkeit ist, woraus ihr sehet, daß sie solche Sachen besser wegschenkt, als ihr sie ihr zu geben vermögt. Dazu Kleider von wundernswürdiger Schönheit, die noch obendrein die Tugend oder Untugend hatten, nie zu veralten, und mit der Eigenthümerin zu wachsen.

Welches irdische Mädchen glaubt nicht, daß Ottilie unter diesen Umständen glücklich war? Man bedenke selbst, Schönheit, Talente, Jugend, Liebe eines zärtlichen Vaters, allgemeine Bewunderung, frohe Aussichten in die Zukunft, und zu dem allen noch eine solche artige Garderobe. Doch diese Glückseligkeiten ganz zu schmecken, müßte Ottilie nicht außer ihrem Vaterlande erzogen worden sein. Sie war in den obern Regionen an Dinge gewöhnt, welche sie hienieden ganz vermißte, und wiederum fand sie hier andere, an die sie sich nicht zu gewöhnen vermochte. Häßlichkeit, Elend, Vergänglichkeit, Armuth,[35] Alter, Krankheit, Tod, was für Gegenstände für eine ehemalige Himmelsbewohnerin, die von diesem allen nur das Gegentheil zu sehen gewohnt war! Sie verschloß ihre Betrachtungen, die sie über diese traurigen Eigenthümlichkeiten der Erde machte, wie ihre meisten Gedanken, in ihrem Innerstern, aber ihre tiefsinnige Miene, und dann und wann ein sehnsuchtsvoller Blick nach dem Himmel, zeigte denen, welche immer um sie waren, ganz deutlich, was sie dachte und fühlte.

»Dies ist also die schöne Erde?« sagte sie in den melancholischen Stunden, deren sie viele hatte, zu sich selbst, »das ist also das blendende Gestirn, das mir auf den Mondgebirgen so verführerisch entgegen leuchtete? O der glänzenden Außenseite, und o des häßlichen Innern!«

Ottiliens philosophische Betrachtungen hätten ganz gut für eine Klosterfrau, oder für eine Kandidatin des Todes passen mögen; aber ein Mädchen in der Blüthe des Lebens, zur Behauptung einer großen Rolle in der Welt bestimmt, hätte nicht so denken sollen, und S. Marie legte in diesem Punkte mit ihrer Erziehung keine Ehre ein. Ein anderer noch schwärzerer Flecken in Ottiliens Charakter, ebenfalls eine Folge der Geschichte ihrer frühern Jahre, war ihr Stolz. Ottilie hätte blind sein müssen, wenn sie nicht ihre Ueberlegenheit über Alle, die sie kannte, hätte einsehen wollen; allerdings war sie schöner, klüger, weiser, tugendhafter und einnehmender, als alle ihre Zeitgenossen; aber wie ist es möglich, so etwas recht[36] lebendig zu fühlen, und Andere nicht neben sich zu verachten!

Es ist wahr, sie war gegen Niemand hart oder unbescheiden, aber in ihrer Milde war eine gewisse Herablassung, die Jedermann von ihr zurück schreckte. Das größte Glück des Lebens, die Freundschaft, kannte sie nicht, konnte sie nicht kennen; nur eine gewisse Art von Gleichheit verbindet die Herzen, und Ottilie fand unter allen Jungfrauen ihres Alters keine Gleiche. – Und was die Liebe anbelangt – doch hiervon laßt uns weitläuftiger reden.

Ottilie hatte eigentlich bei allem Mißmuth, den ihr die Unvollkommenheiten der Erde einflösten, noch keine wirklichen Leiden erfahren, aber jetzt kam die Zeit, da sie auch diese kennen lernen sollte. Sie war achtzehn Jahr alt, der Fürst litt an den Folgen der Ausschweifungen seiner Jugend und sah seinem Ende entgegen, und die Stände forderten einen Reichsnachfolger; Niemand konnte ihnen denselben geben, als Ottilie, ihre künftige Fürstin, und man drang in sie, sich zu vermählen.

Arme Ottilie, dich vermählen! Wer verdiente wohl die Ehre deiner Hand, wenn Frau Pathe Marie sich nicht ins Mittel schlug und irgend einen Engel herab schickte, mit dir das Erdenleben zu theilen! Schon der Gedanke an eine Verbindung mit einem irdischen Jünglinge war der verwöhnten Ottilie schrecklich! Tausende buhlten um sie, Ritter und Helden, Könige und Kaisersöhne hielten sich nicht zu hoch, zu ihren Füßen zu seufzen; aber[37] sie mochten Helden oder Weise sein, mochten wegen ihrer Schönheit oder Anmuth für das höchste Ideal männlicher Vollkommenheiten gehalten werden, Ottiliens Anforderungen entsprachen sie doch nicht. Sie fand keinen himmlischlächelnden Johannes, keinen goldlockichten Gabriel unter ihnen, und was Vollkommenheiten der Seele anbelangte, da sah es noch bedenklicher aus.

Ottiliens Bewußtsein himmlischer Vorzüge und der daraus entsprungene Stolz war mit keiner Bösartigkeit verbunden. Sie trauerte aufrichtig, keinen von denen, deren Herz an ihr hing, mit Liebe, ganz mit der heißen innigen Liebe belohnen zu können, deren ihre überirdische Seele fähig war; auch jammerte sie die getäuschte Hoffnung eines guten Volks, dessen Glückseligkeit sie wünschte, und der stille Gram ihres Vaters. Sie strebte, sich selbst zu überwinden, und fing an, den Lehren einer weisen Hofdame, welche das Amt hatte, sie in den Sitten der Erde zu unterrichten, aufmerksamer zuzuhören. Ottilie hatte Sinn und Fähigkeit für Alles, was man ihr lehren wollte, nur in jenem Punkte war und blieb sie unwissend. Sie fand in dem, was man in ihrem Geburtslande Tugend, Recht und Wohlstand nannte, so viel, was sich nicht mit den Begriffen vertrug, die sie aus dem Leben des Himmels mitgebracht hatte, sie wog Alles mit so gewissenhafter Wage ab, hatte überall so viel Einwendungen, daß ihre Lehrerin immer die Grundsätze der schweren Wissenschaft von vorn mit ihr durchnehmen mußte, ohne glücklicher zu sein, als die vorigen Male. Ein besonders[38] schweres Kapitel, an welchem oft die Geduld der Lehrerin und der Schülerin scheiterte, war das von Liebe und ewiger Verbindung. Ottilie wollte schlechterdings nichts von dem einen ohne das andere wissen, und die Hofmeisterin behauptete, Prinzessinnen müßten bei dem Letztern nie auf ihr Herz, nur auf Staatsinteressen sehen.

Der Wunsch der jungen Fürstin, sich zum Besten Anderer überwinden zu können, machte, daß sie sich jetzt entschloß, die lästigen Vorlesungen noch einmal zu hören, und da dieses mit dem Vorsatz geschah, das, was man ihr sagte, wahr zu finden, so kam der Entschluß am Ende wirklich zur Reife, denjenigen, zu welchem sich ihr Herz nur ein wenig neigte, mit ihrer Hand zu beglücken.

An ihrem Hofe war ein Jüngling, den man nur den Ritter ohne Namen nannte, weil Niemand, und er selbst nichts von seinem Herkommen zu sagen wußte; übrigens war er brav und gut, ohne von seinen Tugenden viel Lärm zu machen, und wohlgestaltet, ohne eben durch überschwengliche Schönheit Andere neben sich zu verdunkeln. Immer hatte ihn Ottilie mit einem geheimen Wohlwollen angesehen, hatte Antheil an Allem genommen, was ihm anging, und sein Glück, das sie wünschte, auf alle Art zu befördern gesucht.

Nie hatte er sich erkühnt, seine Augen auf die erhabene Dame zu richten, die ihm wohlwollte, und doch war er es, auf welchen jetzt ihre Wahl fiel. »Er ist der Einzige,« sagte sie ihrer Duenna, »für den ich etwas[39] mehr fühle, als für die Andern; wenn ich mich recht prüfe, so hängt mein Herz mit einer Art von schmerzhafter Zuneigung an ihm, es ist mir, als wenn ich ein geheimes inniges Mitleid gegen ihn empfände, als hätte er Unrecht von mir erlitten, das ich ihm vergüten müßte. Ist das nicht das Gefühl, das ihr auf der Erde Liebe nennt?«

Die Duenna lachte und meinte, es könne wol einst Liebe werden, und sie würde wohlthun, es zu Erfüllung der Wünsche ihres Volks sorgfältig zu nähren.

Ottilie gehorchte, und sandte bald darauf Botschaft an ihren Vater, wie sie nunmehr gesonnen sei, seine Befehle zu erfüllen und ihre Hand an einen Mann zu vergeben, den sie sich gewählt hätte. Rörich ließ die frohe Post in seinem ganzen Reiche erschallen, und kam mit ansehnlichem Gefolge gen Freiburg, wo Ottilie residirte, die Hochzeit zu feiern. Nach dem Bräutigam fragte er gar nicht, denn er war entschlossen, sich Jeden gefallen zu lassen, der seiner Tochter gefiel.

Er trat in den Saal, wo sie ihn im Brautgewande, mit der Myrthenkrone im blonden Haar erwartete. Der Gewählte, der eben jene seltsamen unerklärbaren Regungen für Ottilien fühlte, wie sie für ihn, Regungen, die er nie Liebe zu nennen gewagt haben würde, hätte sie nicht geboten, lag zu den Füßen der reizenden Fürstin, erstaunt, überrascht von dem übergroßen Glück, das ihm winkte, und Beide flogen dem kommenden Vater entgegen, seinen Segen zu holen, und von ihm begleitet vor[40] den Altar zu eilen. Aber Rörich bebte zurück. »Kennst du den, den du dir gewählt hast?« fragte er mit einem schreckensvollen Blick auf feine Tochter. – »Er ist der einzige, der nie dein Gemahl werden kann, er ist dein Bruder!«

»Mein Bruder?« wiederholte Ottilie. »Meine Schwester?« schrie der erstaunte Ritter! – Es ist nicht zu beschreiben, was für Unordnung diese seltsame Entdeckung unter der frohen Versammlung anrichtete. Der Fürst nahm am Ende seine Tochter besonders vor, und entdeckte ihr das Geheimniß von der Geburt des Ritters. Er war einer von den vielen Sprößlingen aus Rörichs verbotenen Verbindungen, war der einzige aus der großen Zahl, der zum männlichen Alter herangewachsen war. Die Kinder der feilen Buhlerin, (so urtheilte die strenge Moral der damaligen Zeiten,) waren frühzeitig von der Erde vertilgt worden, aber dieser, der Sohn einer verführten Unschuldigen, lebte, um einst das Glück zu genießen, das das Schicksal seiner gekränkten Mutter versagt hatte.

Die sonst immer sanfte, immer ehrfurchtsvolle Ottilie redete bei diesen Entdeckungen hart gegen ihren Vater. Ueber die getrennte Verbindung trauerte sie nicht, da sie nichts als schwesterliche Liebe gegen ihren unglücklichen Bräutigam fühlte, aber sie bewies mit triftigen Gründen, daß Rörich grausam an den Verlassenen gehandelt habe, ihn in der Dunkelheit aufwachsen zu lassen, bewies, daß ihm, nicht ihr das Erbrecht zukäme, und schwur, daß sie nie den Fürstenhut tragen wolle, der ihm gebühre.[41]

»Dies war es,« sprach sie, indem sie sich ihrem Bruder weinend um den Hals warf, »dies war die geheime Empfindung von dir angethanem Unrecht, dessen Vergütung mir oblag! O Heil mir, daß ich dir sie gewähren kann! Du bist der Sohn meines Vaters, du wirst einst mein Fürst sein, und ich bitte nichts von dir, als Ruhe und Freiheit, mein Leben in der Stille, ohne eine von euren gezwungnen Verbindungen beschließen zu dürfen.«

Wir haben schon erwähnt, daß Ottilie sehr unwissend in den Rechten und Sitten der Erde war, und wir brauchen zum Beweis davon nichts anzuführen, als ihr Betragen bei dieser Begebenheit!

Der Fürst zürnte über nichts so sehr, als daß sie so laut von diesen geheimen Dingen sprach, und sein Zorn stieg aufs höchste, als er in den Augen seiner Räthe und des Volks Billigung ihrer Worte und den Wunsch las, den edlen biedern Ritter ohne Namen, den Jedermann wegen seiner bescheidenen Verdienste liebte, lieber zum Fürsten zu haben, als die eigensinnige Ottilie.

Ich übergehe, wie der zärtliche Bruder das Verfahren seiner himmlischen Schwester aufnahm und beantwortete, und sage nur so viel, daß der harte Vater es für gut hielt, die liebenden Geschwister zu trennen und den verlassenen Jüngling dem Volke, das ihm zujauchzte, aus den Augen zu bringen. Er selbst schied von Ottilien mit grimmigen Zorn und ließ ihr des andern Tages andeuten, sie möchte sich von Freiburg nach Zähringen begeben, und gewärtig sein, nachdem sie seine Zärtlichkeit so lange getäuscht und seiner Nachsicht gespottet[42] hätte, daß er ihr nächstens einen Bräutigam seiner eignen Wahl vorstellte, von welchem sie nur der Tod solle befreien können.

Jetzt erst lernte Ottilie die Leiden ihres traurigen Geburtslandes kennen. Die Ungewißheit wegen des Schicksals eines geliebten Bruders, und die Furcht vor den Drohungen eines harten Vaters preßten ihr Seufzer aus, wie noch keine aus ihrer Brust geflohen waren.

»Sei mir gegrüßt, Haus der Thränen,« sagte sie, als sie gen Zähringen kam, »hier duldete meine Mutter ihre letzten Leiden, hier werde auch ich den Rest des bittern Kelchs leeren: denn ich weiß es, den Tod meines Bruders, und die Verbindung mit einem Ungeliebten, werde ich nicht überleben können.« –

Ottiliens liebster Aufenthalt bei Tage war die Marienkapelle und das Grab ihrer Mutter, und die Nächte, wo der Schlaf sie floh, brachte sie auf dem Altan der hohen Burg zu, um ihrem alten Freunde, dem Monde, jeden Blick, den er auf die Erde warf, abzustehlen, und sich der frohen Tage der Kindheit, die sie in seinen heiligen Regionen verlebt hatte, zu erinnern; Ursachen genug, diesem lieblichen Gestirn hold zu sein, welche keines von unsern ehemaligen Mondmädchen mit ihr gemein hatte.

»O Wohnung der Ruhe!« rief sie ihm oft entgegen, wenn er am Horizonte glühend heraufschwebte, mitten am stillen Mitternachtshimmel in voller Klarheit leuchtete, »o Wohnung der Ruhe, Niemand kennt deine stillen Freuden[43] besser als ich! Wie sehr bedaure ich es, daß mich ein böser Geist aus deinen lichtvollen Regionen auf die unruhige Erde herabstürzte, welche nur in der Ferne mit einem lieblichen verführerischen Schimmer prangt!«

Ottiliens Herz war erweicht, war zum höchsten Grad von Wehmuth gestimmt; noch ein anderes Gefühl lauschte im Hinterhalt: der Wunsch, irgend eine gleich empfindende Seele zu finden, mit welcher sich ihre unnennbaren Gefühle theilen ließen, und das Schicksal führte schnell die Erfüllung herbei.

In einer durchweinten schlaflosen Nacht tönte ihr von dem Nachbarberge, der Zähringen gegenüber liegt, und in der Folge mit ihrem Namen benannt wurde, ein Laut herüber, wie sie ihn auf der Erde noch nie gehört hatte. Ottiliens Herz schlug laut für den Zauber der Musik, aber diese gehörte mit unter die Dinge, welche ihr der Aufenthalt in den überirdischen Regionen verleitet hatte. Die Tonkunst war damals auf der Erde noch in ihrer Kindheit, und konnte dem verwöhnten Ohre des Fräuleins den Laut der himmlischen Harfen und der Hymnen der Seligen nicht zurückrufen. Aus der erhabenen Orgel athmete noch kein überirdischer Hauch, und in der göttlichen Harmonika glaubte man noch nicht Chöre von Geisterstimmen zu hören. Ottilie warf alle Instrumente von sich, die sie meisterlich spielte, weil sie keinem den gewünschten Ton entlocken konnte, und übte nur ihre eigne Stimme, welche an Wohlklang Alles übertraf, was je unter dem Monde gesungen worden ist.[44]

Jetzt glaubte sie zum erstenmal etwas zu hören, was der Harmonie ihrer eignen Stimme gleich kam. Sie horchte gespannt, und der himmlische Laut verdoppelte sich. Bald darauf wallten Ströme von Harmonien herüber, der Wiederhall im tiefen Thale antwortete mit tausend Stimmen, und die Sterne am Himmel schienen stille zu stehen, um nichts von den unaussprechlich süßen Tönen zu verlieren.

»Was ist das?« fragte Ottilie, welcher ahnend das Herz schlug, »wo bin ich? Im Lande der Geister? Ist dies Raphaels Harfe, oder der Gesang der himmlischen Jungfrauen? –

Wer bist du unbekanntes Wesen, wer bist du, das mir mitten im tiefsten Kummer diese Erquickung gewährt?«

Der harmonische Laut tönte fort, jetzt stärker und nun wie Chöre von Tausenden, wie das Rauschen mächtiger Gewässer, bis er endlich sich wie in tiefer Ferne verlor, und in sanften Accorden dahin starb. Da senkte sich der Schlaf auf Ottiliens Augenlieder, und sie erwachte von den himmlischen Träumen, die sie umgauckelten, erst beim Aufgang der Sonne.

Der Eindruck von dem, was sie diese Nacht gehört hatte, war dauernd; sie war diesen ganzen Tag über wie berauscht, und seufzte der Nacht entgegen, die ihr Entzücken erneuern sollte. Sie wartete nicht vergebens; die Harmonien von dem benachbarten Berge tönten wiederum durch die nächtliche Stille, und verscheuchten ihren Gram, oder gaben ihm vielmehr einen neuen Schwung, der der Schwärmerin Wollust dünkte.[45]

Man wird mit der Zeit Alles gewohnt; Ottilien war es in den folgenden Nächten nicht genug, zu hören, sie wünschte auch zu sehen, und nichts konnte sie von Befriedigung ihrer Neugier abhalten. Wir haben schon vorher erwähnt, daß sie die Sitten der Erde nie gewohnt werden konnte, und die Fesseln des Wohlstandes nicht achtete; was hätte sie also hindern sollen, mitten in der Nacht das Schloß zu verlassen und hinüber zu eilen, um den Urheber der göttlichen Harmonien, die sie bezauberten, kennen zu lernen? Alle Besorgnisse, welche ein anderes Mädchen hätten auf dem verschlossenen Zimmer fest halten können, waren ihr fremd; geschwind war die weite Ebene überflogen, war der dicke Wald durchirrt, und bald stand sie dem himmlischen Tonkünstler gegenüber, der ihr Herz zu sich gezogen hatte.

Sein Anblick vollendete den Eindruck, den seine Töne auf Ottilien hervorgebracht hatten. Eine große majestätische Gestalt, welcher der helle Mondenstrahl, der sie umglänzte, ein überirdisches Ansehen gab, ein Gesicht von einer ungewöhnlichen Schönheit, die durch den Ausdruck tiefen Kummers eher erhöht, als vermindert wurde! Und dieser Blick, der sich in dem unermeßlichen Raume des Himmels zu verlieren schien, diese funkelnde Thräne im Auge! – Ottilie stand sprachlos im Anschauen und Anhören verloren! Ein unnennbares Gefühl für den Unbekannten schlug in ihrem Herzen, und sie kehrte erst kurz vor der Morgendämmerung nach Zähringen zurück, um wieder einen Tag zu verträumen.[46]

»Wer ist er?« fragte sie sich selbst. »Ist es möglich, daß die Erde solche Söhne hat? O dann ist sie nicht so arm, als ich dachte! O daß ich ihn nicht eher kennen lernte! – Aber was macht er hier? Ist es sein Geschäft, die Nächte mit seinem Harmonien zu erfüllen? Und diese Harmonien, woher quellen sie? aus einer Flöte? – So hat nie eine Flöte getönt! Er ließ sie im Grase liegen, als er sich entfernte, ich schlich hinzu, und setzte sie an den Mund; sie gab den gewöhnlichen Ton von sich, der mir in den Ohren wehe thut. O nur sein Hauch, sein überirdischer Hauch kann sie so beleben, daß sie Entzücken in das Herz, und Gott weis, welche sonderbare Gefühle in die Seele strömt.«

Die Fragen, welche Ottilie an sich selbst that, wagte sie in den nächsten Nächten unmittelbar an ihn zu richten. Hören und Sehen war ihr nun nicht mehr genug, auch sprechen mußte sie ihn. Nur Schade, daß er ihre Fragen so unbefriedigend beantwortete.

»Wer bist du?« fragte sie ihn.

»Ein Verbannter!«

»Wohin gehen deine Seufzer?«

»Nach meinem Vaterlande.«

»Was suchst du hier?«

»Einen Gefährten, mich zu begleiten.«

»Einen Gefährten?« wiederholte Ottilie mit einem forschenden Blicke, »wie verstehst du das?«

Der Unbekannte schwieg und ergriff seine Flöte, der er sanfte wehmuthsvolle Laute entlockte. Ottilie dachte[47] jetzt nicht mehr daran, mit Fragen in den Unbekannten zu dringen, und viel zu früh brach für sie der Morgen an, wo man sich trennen mußte.

Ottilie lebte und webte jetzt nur in dem Unbekannten. Dies war das Ideal himmlischer Vollkommenheit, das ihr vorschwebte! Alles an ihm entsprach den geheimen Wünschen ihrer Seele, selbst seine Schwermuth, die so wohl mit ihrem Herzen harmonirte. Der bedrängte Bruder und der harte Vater wurden jetzt ganz vergessen, oder sie kamen nur in den nächtlichen Gesprächen mit dem Unbekannten zum Vorschein; denn nach und nach wurde man vertrauter, und obgleich er alle Fragen, die seine Person unmittelbar betrafen, nur räthselhaft beantwortete, so erhielt er doch bald aus ihrem Munde eine vollkommene Erzählung ihrer eignen Geschichte.

O wie theuer ward ihr ihr neuer Freund, als er jeden Schritt, den sie gethan hatte, billigte! O wie süß tönte ihr das feine nicht überspannte Lob aus seinem Munde! Wie wohl war ihr, wenn sein Blick mit Wohlgefallen an ihrer Schönheit hing! Sie war nur Anbetung von ihren Bewunderern gewohnt, aber hier fand sie etwas, das ihr unendlich mehr schmeichelte, die Herablassung eines höhern Wesens zu ihr. Sie schien sich nicht zu erniedrigen, wenn sie ihm etwas von den Gefühlen ihres Herzens merken ließ, sondern es war ihr, als ob sie sich einige Stufen über ihre Sphäre erhöbe, wenn sie zu ihm aufblickte und ihn Freund nannte.

»Wer bist du?« sagte sie oft zu ihm, wenn sie sich[48] lange genug in seinen Feuerblicken gespiegelt hatte. »Mich dünkt, dich schon früher gesehen zu haben, unsere Freundschaft ist nicht neu: mich dünkt, sie muß schon Aeonen lang gedauert haben! –« Der Unbekannte wußte dann so hinreißend von dem verborgenen Einverständniß der Geister, von dem Wiederfinden verwandter Seelen in unbekannten Welten und dergleichen geheimnißvollen Dingen zu reden, daß Ottilie, welche nichts mehr liebte, als geheimnißvolle und überirdische Gegenstände, vollends unwiderstehlich an ihn gefesselt ward.

Wußte er ihre Fragen, so weit sie ihn betrafen, nicht mehr zu beantworten, so lenkte er ihre Wißbegierde auf Gegenstände, wo er sie in vollem Maaße befriedigen konnte. Die ältesten Geschichten der Erde waren ihm bekannt. Er führte die neugierige Fragerin in die ersten Wohnungen der Unschuld, sprach von der Entstehung der Erde und ihrem schrecklichen Untergange in den Wassern der großen Fluthen, als wenn er selbst dabei gewesen wäre; aber bei nichts hielt er sich länger auf, als bei dem Mährlein von den Kindern des Himmels, welche nach den Töchtern der Menschen sahen, wie sie schön waren, und von den Helden, die aus diesen Verbindungen entsproßten. Dies war sein Lieblingsthema, und wenn dann Ottilie fragte, ob sich wol wirklich je etwas dergleichen zugetragen habe, so sah er sie mit einem seiner unaussprechlichen Blicke an, und versicherte, daß dergleichen sich nicht allein zugetragen habe, sondern auch noch jetzt zutragen könne.[49]

»Giebt es nicht,« sagte er bei einer der nächtlichen Unterhaltungen, mit einem leisen Drucke ihrer Hand, »giebt es nicht Sterbliche, welche auf der Erde schlechterdings nicht ihres Gleichen finden können, und glaubst du nicht, daß zu solchen die Söhne des Aethers gern herabsteigen, sich mit ihnen in himmlischer Liebe zu verbinden?«

»Und welches ist das Loos der Glücklichen, die solcher Liebe gewürdigt werden?« fragte die zitternde Schwärmerin.

»Unsterblichkeit!« erwiederte er, indem er seine Rechte gegen den funkelnden Sternenhimmel erhob. »Der ganze Weltraum, die ganze Ewigkeit ist unser, und wir geben sie, wem wir wollen. O sterbliches Mädchen, im Arm eines unterrichtenden Engels Aeonen hindurch von Planeten zu Planeten zu fliegen, und alle Wunder der Schöpfung und ihre geheimsten Urkräfte zu erspähen, in meinem Arm, Ottilie, die ganze lange Ewigkeit die Fülle der Liebe zu genießen, deren inneres Wesen nur Unsterbliche kennen, – welch ein Loos! – Sprich nur ein Wort, und es ist das Deinige!«

Ottilie schwieg; sie vermochte nicht zu sprechen, es war, als ob Himmel und Erde um sie vergingen; nur der Unbekannte stand fest in all seiner Herrlichkeit vor ihren Augen.

»Kennst du mich?« fragte er mit einer Stimme,[50] wie die Harmonie der Sphären, indem er sie fester in seine Arme drückte.

»Ich kenne dich nicht, aber ich bebe vor dir!«

»Liebst du mich? – O sage Ottilie, sage, daß du mich liebst, und du bist mein auf ewig!«

»Du bist furchtbar, Unbekannter!« schrie das Mädchen, indem sie sich aus seinen Armen riß. »Wie kann ich dir Liebe gestehen, ohne dich zu kennen! Nenne dich; bist du ein Mensch, ein Engel des Lichtes, oder ein Geist der Nacht, der auf mein Verderben lauert? Nenne dich, und ich schwöre bei Gott und der heiligen Jungfrau –«

Kaum war der heilige Name, vor welchen die Geister der Finsterniß beben, über Ottiliens Lippen gegangen, als alle Gegenstände vor ihrem Gesicht zu wanken begannen, und eine seltsame Bestürzung sie überfiel, welche sie verhinderte, ihre Worte zu enden.

Ihr war es, als verwandle sich das Gesicht des Unbekannten in immer andere und andere Gebilde, von welchen das letzte einen Schauer durch ihre Gebeine goß, der sie zu Boden stürzte. Sie sah das Gespenst, das ihr nun nicht mehr unbekannt war, in einen dünnen Nebel zerfließen. Nacht umzog ihre Augen und ihr vergingen die Sinne.

Sie befand sich, als sie erwachte, in ihrem Bette; der Tag dämmerte an ihren Fenstern, und sie konnte sich mit aller Mühe nicht erinnern, ob die Begebenheit der vergangenen Nacht Traum oder Wirklichkeit gewesen sei.

Sie fühlte sich den Tag über so krank, daß sie erst[51] in der folgenden Nacht sich aus dem Bette emporriß, um an das Fenster zu eilen. Die Melodien des Unbekannten waren es, die sie mit ihrer Allgewalt herbei zogen. Sie tönten zauberischer, als je, von dem Nachbarberge herüber, und Ottilie zerfloß in Thränen.

»Ist es Wahrheit? ist es Traum?« schrie sie mit gerungenen Händen. »Sollte der, den ich liebe, der einzige, den ich lieben kann, wirklich ein Geist des Verderbens sein? Nein, nein! wie dürfte er es wagen, den Engeln ihren Glanz, den Himmeln ihre Harmonie zu stehlen? – Aber sein letzter Anblick! Dies war genau das Gesicht des Verführers, der mich ehemals durch seine bösen Rathschläge aus den Wohnungen der Ruhe stürzte! Wie, wenn er seine Versuche erneuern, wenn er streben wollte, mich noch tiefer hinab zu ziehen? – Sprach er nicht jenesmal von der Möglichkeit, mich in den Gefilden der Erde wieder zu finden? – Aber was bewegt ihn, dich durch alle Welten zu verfolgen? – muß es denn eben der Wunsch, dich zu verderben, sein? was hätte er für Ursache, dich zu hassen? – Wird er nicht vielleicht durch eben jene wunderbare Sympathie an dich gefesselt, die du für ihn fühlst? – Ach ja, ich fühle es, er ist der einzige, der mein Herz erfüllt! Alles möchte ich mit ihm theilen, selbst das Elend! Aber Ottilie! ein böser Geist, ein Feind der Gottheit? – Nicht doch, kein Feind, vielleicht einer von jenen Mittelgeistern, deren Natur du nicht kennst. Nennt er sich nicht selbst einen Verbannten, der sein Vaterland sucht, und zur Reise dahin einen Gefährten[52] wünscht? O Ottilie, wenn du seine Gefährtin, seine Wegweiserin zu den Wohnungen des Lichtes würdest! wenn du ihn in den Schoos der Ruhe zurückbrächtest, aus welchem ihn vielleicht das Schicksal, das selbst über die Geister herrscht, unverschuldet gestoßen hat!«

Ottilie philosophirte auf eine sehr gefährliche Art, welche bewies, daß sie schon eine geraume Zeit die Schülerin eines verdächtigen Geistes gewesen war; auch sagte ihr ein geheimes innres Gefühl, daß sie auf bösen Wegen sei, aber die Gewalt, die sie auf derselben fortriß, war darum nicht minder stark. Die Himmelsstimme auf dem Nachbargebirge tönte indessen noch immer fort; Ottilie machte sich auf, den gewohnten Weg zu gehen, und sie würde ihn wirklich gegangen sein, wenn nicht körperliche Schwachheit sie zurückgehalten hätte. Ihre Füße versagten ihr die Dienste, und sie sank zu Boden.

Mit Mühe schleppte sie sich endlich nach ihrem Lager zurück, wo sie die ganze Nacht in einem Meer von Träumen schwamm, die so wild durch einander gauckelten, daß ihre Vernunft zu wanken begann.

Erst gegen Morgen, da die Traumgebilde deutlicher wurden, stand ein Gesicht hell und rein genug vor ihr, um ihr unvergeßlich zu bleiben. »Willst du,« fragte der böse Engel, ihr Verfolger, der vor ihr schwebte, »willst du mich jetzt verlassen, wo deine und meine Seligkeit in deiner Hand steht? – Doch freilich, ein besseres Erdenglück winkt dir; siehe hier den Bräutigam, den dir dein Vater gibt, und freue dich seiner Wahl.« – Ottilie[53] schaute auf, und erblickte die Gestalt eines benachbarten Fürsten, welcher in der ganzen Gegend wegen seiner thierischen Ausschweifungen und der Ruchlosigkeit seines Wandels berüchtigt war. Die Gestalt seines Körpers war so abscheulich als seine Seele. Alle Laster hatten ihr Bild auf sein Gesicht gezeichnet, und es war unmöglich, ihn ohne Grauen anzusehen.

Ottilie wandte das Gesicht mit einem lauten Schrei von der scheuslichen Larve. »Denke nicht,« fuhr der Geist fort, »denke nicht, daß dir Gram und Abscheu die Seligkeit eines baldigen Todes gewähren werden. Jahre lang wirst du in den Banden dieses Ungeheuers schmachten; an Geist und Körper verwahrlost, wirst du dem Grabe zuschleichen, und endlich noch vor deinem Peiniger hinabsinken, nicht mehr die himmlische Ottilie, wie jetzt, um derentwillen Engel die Reiche des Lichts mit der traurigen Erde vertauschen!«

»Und was soll ich thun, mich zu retten?« schrie die Verzweifelnde.

»Du kennst den Ort, wo ich wohne,« rief er im Verschwinden, »wirf dich in meine Arme, die dort immer für dich offen stehen.«

»Ottilie,« tönte jetzt eine sanfte Stimme, wie aus tiefer Ferne ihr entgegen, »ist deine alte Wohlthäterin so ganz von dir vergessen, daß du lieber bei den Mächten der Finsterniß, als in ihrem Schooße Rettung suchst?«[54]

Die Geängstigte blickte auf; sie sah eine lichte Wolke am Horizont vorübergleiten, in welcher sie den rosenfarbnen Schimmer von Mariens Gewand zu erkennen glaubte.

»Ach,« rief sie weinend, »er ist mir so nah, und du so fern! Marie! Marie! komm herab, die Deine zu retten!«

Ottilie befand sich am Morgen so unwohl, daß ihre Frauen nach geistlichen und leiblichen Aerzten sandten. Den letzteren war es unmöglich, ihr zu helfen, da ihrer Krankheit ein Seelenleiden zu Grunde lag, und sich den ersten zu vertrauen, war dem unglücklichen Mädchen bedenklich. Welche Sterbliche spricht gern von den Angelegenheiten des Herzens mit einem Manne?

Die Duenna, welche das Leiden ihrer Gebieterin sah, und von ihr zwar nicht den Grund desselben, aber doch ihre Bedenklichkeiten in Ansehung des nöthigen Bekenntnisses vernahm, suchte Rath zu schaffen. »In einem Kloster von Freiburg,« sagte sie, »lebt eine sehr fromme Nonne, welche bedrängten Gewissen so kräftig rathen kann, als der beste Beichtiger; gebietet, daß sie herüber komme, sie wird euch ihren Trost nicht versagen.«

Ottilie willigte ein, und die Nonne erschien; eine ehrwürdige Figur, welche zu einem Gemählde der heiligen Anna oder Elisabeth hätte dienen können; sie ließ sich liebreich zu den Schmerzen der jungen Leidenden herab, und hörte ihre Klagen.[55]

»Ach,« sagte sie, »seid ihr auch in die Stricke des verführerischen Geistes gefallen, der seit undenklichen Zeiten in diesen Gebirgen haußt? Nur getrost, mein Kind, ihr seid nicht die erste, die ich aus den Schlingen dieses Bösewichts rettete. Seine Versuchungen sind mancherlei, und ich könnte euch Tage lang erzählen, wie viel Gestalten er annimmt, die Menschen zu bethören. Daß er jeden auf seiner schwächsten Seite zu fassen weiß, seht ihr an eurem eignen Exempel. Stolz, Vorwitz und Schwärmerei waren von jeher eure Fehler, und ihr seht, wie er sich diese Unvollkommenheiten eurer sonst so guten Seele zu nutze machte.«

Ottilie, welche bisher gewohnt war, nur die Stimme der Schmeichelei zu hören, hatte Muth genug, den Ton der Wahrheit in dem Munde der ernsten Predigerin auszuhalten. Sie ging in sich, sie sah die Abgründe, welche sich zu ihren Füßen öffneten, und griff begierig nach den Rettungsmitteln. Die Nonne schied von ihr, und hinterließ sie beruhigt; sie besuchte sie wieder, und ging nie von ihrer Seite, ohne ihr aufs neue gute Lehren zu geben. Diese bestanden vornehmlich darin, ihre Ohren vor der Stimme ihres Verführers zu verschließen, die noch immer jede Nacht in der Ferne zauberisch ertönte, und sich nie in seine Gebiete zu wagen, welches besonders die östlichen Gebirge gegen Zähringen über waren.

Es ist unglaublich, was für Ueberwindung es Ottilien kostete, ein Gefühl aus dem Herzen zu bannen, welches schon so tiefe Wurzel in demselben gefaßt hatte. Ihr,[56] die ihr jemals durch das Laster in irgend einer glänzenden Hülle getäuscht wurdet, ihr kennt den Kampf, in welchem so wenige siegen. Ottilie siegte, und es ist zu glauben, daß sie Ruhe, Schönheit, Heiterkeit, welche fast ganz in dem gefährlichen Selbststreit verloren gingen, endlich wieder erlangt haben würde, wenn nicht das Schicksal von einer andern Seite auf sie losgestürmt und sie dem Ende ihrer Leiden entgegengeführt hätte.

Fürst Rörich ließ seiner Tochter ansagen, sie möchte darauf denken, das Brautgewand zu bereiten, und den Kranz zu schmücken, denn in wenig Tagen würde er mit demjenigen erscheinen, den er ihr zu ihrem Gemahl bestimmt hätte. Ottilie erbebte, gehorchte aber, denn Gehorsam war auch eine von den schweren Aufgaben, die ihr die Nonne auferlegt hatte.

»Du bist durch Stolz gefallen,« sagte sie zu sich selbst, »durch Demüthigung muß du dich wieder aufrichten. Keiner unter den Jünglingen der Erde erschien dir deiner würdig, aber ein böser Geist, der alle Vollkommenheiten, die du wünschtest, durch zauberische Künste anzunehmen wußte, der deiner Eitelkeit schmeichelte, dich zu dem Range einer Göttin zu erheben versprach, dieser fand ohne mühsames Streben Eingang in deinem Herzen. Büße nun auch für deine Thorheit, und nimm den, den dir dein Vater zum Gemahl erwählte, ohne fernere Rücksprache mit deinem Eigensinn an.«

Ottiliens Entschluß war stark und gut; sie bestärkte ihn durch Gebete auf dem Grabe ihrer Mutter und in[57] Mariens Kapelle, und erwartete dann mit heiterer Miene den Vater und den Bräutigam. Die Farbe ihrer Wangen und die matten Augen widersprachen dem lächelnden Munde; sie war bleich und abgezehrt, aber immer noch liebenswürdig.

Die Erwarteten erschienen mit großem Gefolge, der Vater mit der gebietenden Miene eines Fürsten, die Ottilie sonst nicht an ihm kannte, und der Bräutigam – ganz das Ebenbild des schrecklichen Traumbildes, das ihr in jener Nacht vorschwebte. – Es fehlte wenig, daß die Arme nicht ohnmächtig wurde, und als sich vollends der bestimmte Gefährte ihres Lebens ihr mit eckelhafter Zudringlichkeit näherte, und in der rauhen Mundart wilder Jäger und Zecher mit ihr von Liebe sprach, da schwanden ihr die Sinne, und sie mußte sich an den Wänden aufrecht erhalten, um nicht umzusinken.

»Ottilie?« sagte sie zu sich selbst, als man sie auf ihr Zimmer gebracht hatte, »du, an Himmelsgestalten, an die Sprache der Engel gewöhnt, du, das Weib eines solchen Ungeheuers? – O dafür lieber den Tod. –«

Es waren wirklich die ernstesten Sterbensgedanken, mit denen sie zur Ruhe ging, und nur die Kenntniß ihrer Pflichten konnte sie abhalten, nicht durch eine Nebenthür aus der Welt zu schlüpfen; doch war der Kampf zwischen Religion und dem Entschlusse zu diesem äußersten Mittel nicht klein. Sie warf sich unruhig auf ihrem Lager hin und her, und riß sich endlich empor, um[58] dem schrecklichen Zustand zwischen bangen Schlummer und wachenden Träumen zu entgehen:

Sie flog ans Fenster. »Ach,« seufzte sie, »die Stimme dort drüben, die sonst meinen Gram einschläferte, tönt jetzt nicht mehr! – Es ist gut, daß sie schweigt, es war die Stimme eines Verführers! – Und doch redete dieser Verführer so wahr. – Ist nicht der Mann, den mir mein Vater bestimmt, eben derjenige, den die Gestalt mir im Traume zeigte, und wenn nun auch das Uebrige erfüllt wird! Wenn nun meine eigne Hoffnung auf einen baldigen Tod mich täuscht, wenn ich, an Leib und Seele verwahrlost, Jahre lang dem Grabe entgegenschmachte, vielleicht im Umgange eines solchen Ungeheuers selbst bös und lasterhaft werde? – Man hat Beispiele, daß gute sanfte Geschöpfe in den Armen solcher Männer zu wüthenden Unholdinnen wurd! – O Entsetzen! Arme, arme Ottilie!

Doch, könntest du nicht vielleicht das Gegentheil erwarten? vielleicht ihn bessern und zur Tugend zurück führen? Wie, wenn du ihn nun jede freundliche Miene von dir mit einer guten Handlung erkaufen ließest, und dadurch tausendfaches Gute hervorbrächtest? O dies wäre Triumph und Ueberwindung einer Heiligen! – Versuche es! Der Gegenstand deines Abscheus vermag Alles über deinen Vater, laß ihn dein Jawort durch die Befreiung deines unglücklichen Bruders lösen; gelingt dieses, so wird Alles gelingen, und du wirst mitten im Elend nicht unglücklich sein!«[59]

Ottilie hatte kaum diesen Gedanken völlig durchdacht, als sie unter ihrem Fenster im Garten Stimmen vernahm, welche ihre Aufmerksamkeit erregten. Es waren die Stimmen der beiden Fürsten, welche die Mitternachtsstunde von dem Trinkgelage aufgescheucht hatte, und die noch einen Gang in die freie Luft thaten, um die Dünste des Weins verrauchen zu lassen. Beide sprachen mit lallender Zunge, doch der Inhalt ihres Gesprächs bezeugte noch deutlicher, als ihre Stimme, in was für einem Zustande sie waren.

Ottilie hörte mit Abscheu ihrer Unterhaltung zu, und war schon im Begriff, sich zu entfernen, um nichts mehr zu hören, als sie den Namen ihres Bruders vernahm, und durch denselben zurück gehalten wurde.

»Er muß sterben,« sagte der Bräutigam, »das ist die erste Bedingung, die ich euch bei dieser Heirath mache. Das Volk liebt ihn, und er könnte meinen Kindern einmal das Erbrecht auf eure Lande streitig machen.«

»Aber,« sagte der Vater, »wenn nun Ottilie auf ihrer Bitte beharrt? Noch diesen Abend lag sie zu meinen Füßen und flehte um seine Befreiung.«

»O ich verspreche ihr Alles« versetzte der andere, »und das erste Geschenk, das ich ihr mache, wenn ich sie in meiner Gewalt habe, ist der Kopf des gefährlichen Jünglings, der mir auf mehr als eine Art Eintrag thun könnte!«

Das Ende dieses abscheulichen Gesprächs übertraf noch seinen Anfang. Ottilie entfernte sich vom Fenster,[60] verhüllte sich und weinte. »Also keine Rettung!« seufzte ihr Herz. »Hier der Abgrund der Hölle in den Armen dieses Verworfenen, und dort ewiges Verderben im Rachen eines selbst gewählten Todes. – Aber Thörin, bleibt dir nicht noch ein Mittel übrig, die Flucht?«

Ottilie besann sich ein wenig; ihr fiel ein Kloster ein, an den äußern Gränzen des Landes, im Schooße eines wilden Waldes gelegen, fast von Niemand gekannt, als von ihr, die es in glücklichen Tagen oft ohne alle Begleitung besucht hatte. Die Nonnen waren arm und suchten ihr Glück in der Dunkelheit; nie hatten sie Geschenke von ihr annehmen, oder sie anders als einsam in ihre Mauern einlassen wollen, weil sie fürchteten, auf andere Art einen Theil dessen, worin sie ihre höchste Seligkeit setzten, zu verlieren. Dahin gedachte Ottilie zu fliehen. Nächtliches Reisen, am Tage Aufenthalt in Höhlen und Gebirgen, durch welche der selten betretene Weg nach dem gewünschten Zufluchtsort führte, sollten sie, wie sie meinte, vor Nachstellung und Einholung schützen, und der Segen ihrer himmlischen Pathe das Werk bekrönen.

»O Dank dir!« rief sie, indem sie sich zu der schnell beschlossenen Reise anschickte, »Dank dir, du Heilige, für diesen glücklichen Einfall! er kam von dir, du wirst ihn ausführen helfen.«

Das Zimmer wurde leise eröffnet, der öde Garten durchflogen, und nun lag das freie Feld vor ihr, und der Wald mit seinen Dunkelheiten, und das Gebirge,[61] durch dessen verschlungene Thäler ihr der Weg so wol bekannt war. Sie eilte muthig fort, ohne daran zu denken, bei welcher Gelegenheit sie die Bekanntschaft mit diesen labyrinthischen Gängen erlangt hatte. Ihr kam es nicht in den Sinn, daß es die Melodien des verführerischen Geistes waren, die sie zuerst diesen Weg gehen hießen, den sie nachher so wohl gewohnt ward, und daß sie sich jetzt wirklich mitten in seinem furchtbaren Gebiete befand. Sie dachte an nichts als an Rettung und Flucht vor ihren irdischen Verfolgern, und sah oft zurück, ob sie etwas zu fürchten habe.

Jetzt war es ihr, als hörte sie im wiedertönenden Thale den Fußtritt vieler Menschen, jetzt schimmerte durch den Wald, den sie eben zurückgelegt hatte, der Schein von Fackeln, jetzt vernahm sie Stimmen, bald näher, bald ferner, und nun konnte sie die Sprache der beiden noch halb trunkenen Fürsten deutlich verstehen.

»Ach,« rief sie, und sank am Fuß des Berges nieder, »ach ich bin verloren! man hat meine Flucht entdeckt!« – »Wo ist sie! wo ist sie!« brüllte jetzt die Stimme des abscheulichen Bräutigams aus dem nahen Gebüsch, »hier muß sie sein, ich sah noch vor Kurzem den Schimmer ihres weißen Gewandes im Mondlichte.«

Ottilie sprang auf. »O rette, rette mich, heilige Marie!« rief sie indem sie sehnsuchtsvoll nach dem Himmel blickte. – »Hier bin ich, dein Retter!« ertönte die harmonische Stimme des Geistes aus dem Gebirge; »sei willkommen, du Himmlische, in meinen Armen! Weder[62] irdische noch überirdische Mächte sollen hinfort uns trennen!«

Ottilie wandte ihr Auge von der glänzenden Gestalt des Verführers, der dicht hinter ihr stand; ach, sie kannte ihn genug, um ihn zu fliehen, aber seine schimmernde Außenseite war ihrem Herzen noch immer gar theuer.

»Rette, rette mich, Marie, Mutter der Gnade!« schrie sie nochmals, und wandte ihr Gesicht nach dem Berge. »Einmal, in meiner höchsten Noth wolltest du mir Hülfe gewähren, siehe, der schreckliche Augenblick ist erschienen! Meine irdischen Feinde sind dicht hinter mir, und dort winkt der Verführer, mit welchem mein verrätherisches Herz im geheimen Einverständniß steht.«

In der That waren die sichtbaren Feinde ihr jetzt so nahe, daß sie den Zipfel ihres Gewands zu fassen glaubten; aber derjenige, welcher allen, außer ihr unsichtbar war, ließ sie einen nächtlichen Dunst ergreifen, und machte einen zweiten Versuch, die Verfolgte in seine Arme zu fassen.

Aber die Heilige vernahm die Stimme des flehenden Mädchens. Der Berg that sich auf, und nahm sie in seinen Schoos, und schloß sich krachend hinter ihr zu, daß die Erde unter ihren Verfolgern bebte. Auch rauschte es fürchterlich in den Wipfeln der Tannen, welche das Geistergebirg krönten, und am fernen Horizont rollte der Donner.

Der getäuschte Verführer war es, der durch den Wald wie ein Sturmwind tobte, er war es, der die[63] Gewitterwolken zusammenballte, um tödtende Blitze auf seine irdischen Brüder zu schleudern, da seine Rache die Heilige nicht erreichen konnte, welche ihm seinen Raub entrissen hatte.

Die erschrockenen Verfolger Ottiliens standen unten am Berge, und wußten nicht, ob sie bleiben oder fliehen sollten; der Vater stimmte für das Letzte, und sein Zechgeselle für das Erste; dieser versicherte mit tausend Flüchen, daß er Alles für angelegte Sache halte, und daß er seine Braut aus der verschlossenen Höhle des Berges reißen, oder hier umkommen, und ihre Schützer mit sich in den Tod nehmen wollte.

Der anbrechende Tag sah tausend Werkleute beschäftigt, die Eingeweide des Berges zu durchwühlen, aber Alles, was man hervorriß, war ein klares Bächlein, das sprudelnd hervorstürzte und im Hinabströmen sich so ansehnlich vergrößerte, daß die getäuschten Arbeiter und ihr tollkühner Herr sich entfernen mußten.

Er und Rörich schieden im grimmigen Zorn von einander; er beschuldigte den Vater der geretteten Heiligen der Zauberei und kein Monat verging, so überschwemmten seine Völker Ottiliens Geburtsland, und drohten es zur Wüste zu machen.

Rörich war in Verzweiflung; er lebte seit dreißig Jahren in seinem Lande im tiefsten Frieden, und hatte den Gebrauch der Waffen längst vergessen; auch seine Räthe verstanden sich nach seinem Beispiel besser darauf,[64] die Becher zu leeren, als einem erbitterten Feinde, dem es nicht an Tapferkeit fehlte, die Spitze zu bieten.

Er und sein Land wären verloren gewesen, wenn Ottiliens Vorbitte ihm nicht die Himmlischen geneigt gemacht hätte. In einer schlaflosen Nacht schwebte Marie im Himmelsglanze vor ihm, und an ihrer Seite die bleiche Ottilie, welche in den ätherischen Gefilden die Rosen ihrer Wangen noch nicht hatte wieder er langen können.

»Du siehst,« sagte die Himmelskönigin, »daß diese gerettet ist. Es wäre mir ein Leichtes, auch den andern Bedrängten, der in deinen Banden schmachtet, zu befreien; aber ich hoffe, du selbst wirst dein eignes Bestes nicht verkennen. Gib dem Helden die Freiheit, dessen Schwert allein etwas wider deinen wüthenden Gegner vermag; stelle ihn an die Spitze deiner Heere, und danke ihm nach erhaltenem Siege, wie Pflicht und Natur es gebieten!«

Man hatte Niemand genannt, aber es war Rörichen leicht, zu errathen, daß von seinem Sohne die Rede war. Er war um so geneigter zu gehorchen, da Ottiliens Schicksal ihm schon längst günstigere Gefühle gegen den unglücklichen Jüngling eingeflößt hatte, für den sie sich bei ihrem Leben mit so heißer inniger Theilnahme zu verwenden pflegte. Er war überdem jetzt sein einziger Nachkomme, und nach Ottiliens Tode derjenige, auf welchen aller Augen sahen.

Der bisherige Ritter ohne Namen wurde aus dem Gefängnisse im Triumph nach Zähringen geholt, wo ihn[65] Rörich zum erstenmal mit dem Namen Sohn in seine Arme schloß. Der Befreite schwur bei dem Berge, der seine unglückliche Schwester vor ihren Verfolgern geschützt hatte, sie zu rächen und das Vaterland zu retten, und trank zur Bekräftigung des Eides dreimal aus dem klaren Bächlein, das nebst dem Gebirge, aus dessen Schoos es entspringt, Ottiliens Namen führt.

Er hielt, was er versprach: seine Siege machten ihn zum Besitzer zweier Fürstenthümer; denn nicht allein sein Vaterland, sondern auch das Land des überwundenen Feindes huldigte seinen Verdiensten. Manche herrliche Königstadt, manche paradiesische Gegend ward sein Eigenthum, aber kein Ort war ihm theurer als das Thal zwischen Zähringen und dem Ottilienberge, der nun von dem verführerischen Geiste der Nacht befreit war, und nur zuweilen von dem stillen Schatten der Seligen besucht wurde, die noch in den himmlischen Gefilden mit Sehnsucht an ihrem Geburtslande hing, und in mondhellen Nächten gern zu seinen friedlichen Gegenden herabschwebte.[66]

Quelle:
Benedicte Naubert: Volksmährchen der Deutschen. Neue Ausgabe 1–4, Band 3, Leipzig 1840, S. 2-67.
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