Zwey und zwanzigstes Kapitel
Herr Haller beweißt durch sein Exempel, daß Müßiggang der Anfang aller Thorheit ist

[170] Jucundens Geschichte war zum Ende. Das unglückliche Mädchen war in meinen Augen mehr als halb entschuldigt; sie war verführt worden. Leichtsinn und Unbekanntschaft mit der Welt hatten sie auf einen schlüpfrigen Weg hingerissen, und sie hatte doch Festigkeit genug gehabt, sich auf demselben aufrecht zu erhalten, ohne der Tugend ganz untreu zu werden. Amalie hatte weniger Entschuldigung für sich; sie war nicht schön, ihrer Versuchungen zu Fehltritten waren wenig, sie war ihre eigene Verführerinn gewesen, sie hatte sich einem Manne aufgedrungen, der ihrer nicht werth war, hatte freywillig einen Stand gewählt, von welchem sie wußte, daß ich ihn verabscheute; Ursachen genug, sie in meinen Augen verhaßt zu machen. Doch auch für sie sprach die mütterliche Liebe, und noch mehr das Mitleiden: war sie nicht gestraft genug, an einen Mann wie Feldner gefesselt zu seyn? Waren ihr nicht alle Wege zum Glück verschlossen? und bestand nicht ihre ganze Aussicht auf Aenderung ihres Schicksals, in der elenden Hoffnung auf die Wiederkehr eines Mannes, welcher sie haßte und verachtete, eines Mannes ohne Charakter, ohne Grundsätze, ohne Amt und Vermögen?[170]

Mein Kopf schwindelte mir, wenn ich an diese Dinge dachte. Nichts war im Stande, die schwarze Gedanken über diesen Gegenstand, die meine Seele erfüllten, zu verdrängen, als die noch schwärzern Vorstellungen von Peninnens Schicksal. Ich verglich den Brief dieser Unglücklichen mit dem was mir ihre Schwestern von ihr zu sagen wußten, und alles räthselhafte war mir aufgeklärt. Sie hatte Gabrielen von der Seite ihres Gemals gedrängt, sie lebte in seinem Hause als seine erklärte Buhlerinn; sie prangte noch mit ihrem glänzenden Elend und scheute sich nicht, mich mit ihrem baldigen Anblick zu bedrohen, mir ihre Schande selbst vor die Augen zu legen. Ihr Bezeigen gegen ihre Schwestern, der geheimnisvolle Aufenthalt in ihrem Hause, ob sie ihm gleich einen andern Vorwand gab, die wenige Zeit, die sie bey ihnen zubrachte, um ja die Gelegenheit zu vermeiden, sie gründlich von allem was sie angieng, zu benachrichtigen, der Glanz der sie umgab, die Geschenke, die sie machen konnte, alles, alles bestätigte die Geschichte, die ich mir von ihr zusammen geträumt hatte, und der Entschluß, sie auf ewig aus meinem Herzen und aus meinen Augen zu verbannen, war fest gefaßt.

Ich nahm ihren letzten Brief, nahm die Juwelen, welche sie die Kühnheit hatte, mir als eine Art von Bestechung zu schicken, und siegelte beydes ein, ohne es mit einer Erklärung meiner Gesinnungen gegen sie zu begleiten. Ich hatte es[171] versucht, ihr einige Worte zu schreiben, aber unzufrieden mit allem, was aus meiner Feder floß, hatte ich diese Versuche verrichtet, und war entschlossen, daß sie nie wieder etwas von meiner Hand lesen sollte. Nicht einmal die Aufschrift würdigte ich selbst zu machen. Ich trug es Jucunden auf. Sie weinte, Amalie bat, und suchte ihre Schwester zu vertheidigen, aber ich war unerbittlich, und untersagte beyden, der verworfenen Wienerinn, wie ich Peninnen nannte, ein Wort im Guten oder im Bösen zu schreiben, wie wohl hätte insgeheim geschehen können, wenn ich es nicht verboten hätte. Einander zu lieben, für einander zu bitten, sich gegenseitig zu entschuldigen, und einander in Verlegenheiten mit Rath und That beyzustehen, war aller meiner Kinder Weise, und ich konnte solches wohl leiden, wenn es nur nicht auf Unkosten der Gerechtigkeit, und meines mütterlichen Ansehens geschahe.

Wie demjenigen, welcher durch die Hand des Wundarztes ein schadhaftes Glied von seinem Leibe trennen läßt, um sein Leben zu erhalten, zu Muthe ist, so war mir, als ich mich nun nach meinen Gedanken ganz von Peninnen losgemacht hatte. Angst und Schrecken vor dem fürchterlichen Schritte, empfindliche Schmerzen, und ach der Gedanke, daß doch wohl ein gelinderer Weg hätte gewählt werden können, nach demselben. Peninna war ehemals mein Liebling, war mein Stolz – aber nein, sie hatte aufgehört tugendhaft[172] zu seyn, und ich durfte nicht mehr an sie denken. – Hannchens Fall kam mir denn zuweilen wohl in den Sinn, aber er war bey weitem nicht der ihrige. Bey jener sprach Liebe, verführte Unschuld, und bittere Reue für die Verbrecherinn, aber was hatte diese für sich anzuführen? – Sie hatte den Regierungsrath, in dessen Hause sie lebte, nie geliebt, mehrere Weltkenntniß als Hannchen hatte, mußte sie zu keinem so leicht zu verführenden Gegenstande machen, und was die Reue anbelangt? – Ha die Reue! Peninna triumphirte in ihrem Verbrechen, und Hannchen ward durch Gram und Beschämung über dasselbe getödtet.

Von diesem Zeitpunkte, von diesem an Peninnen zurückgeschickten Briefe an, begann eine neue Epoche meines Lebens, die sich durch stille Schwermuth vor allen andern auszeichnete. Wir sahen wenig Gesellschaft. Herr Walter und Charlotte kamen, seit das Fräulein von Vöhlen in meinem Hause lebte, aus Ursachen die sich errathen lassen, seltener als sonst mich zu besuchen. Ich war die meiste Zeit mit meinen drey Töchtern allein, und wenn Julchen sich zuweilen von uns trennte, so war es um bey Klaren zu seyn, welche sie und den kleinen Ludwig vorzüglich liebte, und gern um sich hatte. Mein Mann liebte die Einsamkeit, und lies sich wenig als bey der Mahlzeit sehen. Ich hatte schon längst meine eigenen Gedanken über seine Aufführung gehabt, Gedanken die durch sein[173] düsteres nachdenkendes Wesen, durch Julchens Entdeckungen, und ach durch den endlichen Erfolg nur gar zu sehr bestättiget wurden.

Julchens Trieb zu Nachforschungen konnte durch nichts ganz ausgerottet werden, und das sonderbarste war, daß selbst denn, wenn sie auf keine Entdeckungen ausgieng, sich ihr dieselben ungesucht darboten. Sie war diejenige, die im ganzen Hause alles zuerst sah, hörte, und vermuthete.

Sie hatte mich schon längst auf gewisse Leute aufmerksam gemacht, welche viel bey ihrem Vater aus und eingiengen, sich halbe Tage mit ihm verschlossen, und mit niemand im ganzen Hause ausser ihm, ein Wort wechselten. Das närrische Mädchen konnte das Märchen vom Ritter Reutlingen noch immer nicht vergessen, und sie verglich die Gesellschafter ihres Vaters oft mit Franzens Lehrmeistern in der Magie; eine Vergleichung, welche durch das Ansehen dererjenigen, von welchen die Rede war, ziemlich gerechtfertiget wurde. Es waren ernste, bleiche, gedankenvolle Leute, in schlechter altväterischer Tracht, mit stummen verschlossenem Munde und weiten tief zur Erde gesenkten oder feyerlichen gen Himmel gehobenen Augen, konnte man in ihnen wohl die einigen Zauberer unserer Zeit, die Unterthanen des wunderbaren Königs der Philosophen verkennen?

Herrn Hallers gegenwärtiger Haupttrieb, der Durst nach Gold war mir bekannt, und es war mir nie unwahrscheinlich gewesen, daß er denselben[174] auf die thörichtste Weise zu befriedigen suchen würde. Die Art, mit welcher er zuweilen von dem kleinen Schatze sprach, welchen Julchen einsmals in dem Hohenweiler Keller fand, und ihm überlies, hatte mich oft in Furcht gesetzt, er würde zum Schatzgräber werden, aber die Unmöglichkeit in Ritter Reutlingens unterirdischen Gang zu kommen, welchen er für den Behälter unermeßlicher Reichthümer hielt, hatte seine Begierde nach Schätzen auf eine andere Seite gelenkt: er glaubte die Erfüllung seiner Wünsche kürzer haben zu können, wenn er nach der Quelle alles Goldes, nach dem Stein der Weisen trachtete. Die geheimnisvollen Schriften der Alchymisten wurden seine einige Lektüre, alle Adepten des ganzen Bezirks seine vertrauten Freunde, und das innere seiner Zimmer, gewann gar bald das Ansehen eines Laboratoriums. Niemand durfte sich in dieses Heiligthum wagen, und ich würde wahrscheinlich nicht sobald etwas von der innern Gestalt desselben erfahren haben, wenn nicht Julchen an dem Tage, da sie bey ihrem Vater für ihre Schwestern bitten wollte, sich eingedrungen, und alles erblickt hätte, was bisher noch kein unheiliges Auge beschaute.

Mich dünkt, ich habe es schon erwähnt, wie übel ihr ihre Zudringlichkeit bekam, doch erhielt sie Verzeihung, weil Herr Haller wirklich, seit dem im Keller gefundenen Schatze, eine Art von Liebe für sie hegte, und sie, da er denselben zu den ersten seiner alchymischen Versuche angewendet hatte, gewissermaßen[175] für den Grund und die Schöpferinn seines künftigen Glücks hielt.

Herr Haller war, nachdem sich sein Zorn über Julchens ungebetene Erscheinung gelegt hatte, viel zu beschäftigt gewesen, sie von der Vortrefflichkeit des Geheimnisses aller Geheimnisse zu über zeugen, und sie hatte seine langweiligen Demonstrationen viel zu bald unterbrochen, um ihren Vorsatz, für ihre Schwestern zu bitten, auszuführen, als daß bey so wichtigen Unterhaltungen ein Augenblick hätte übrig bleiben sollen, ihr Verschwiegenheit über das geschehene aufzulegen, und so war es natürlich, daß ich alles erfuhr, und durch Julchens Entdeckung überzeugt wurde, wie richtig ich bisher Herrn Hallers geheime Beschäftigungen gemuthmaßt hatte.

Ob diese Ueberzeugung im Stande war, mein ohnedem auf tausenderley Art gekränktes Herz zu beruhigen, gebe ich einem jeden zu bedenken. Ach Himmel! ich sah voraus, wohin uns dieser neue Irrweg meines unglücklichen verlornen Mannes endlich führen würde! – und was noch mehr, ich klagte mich selbst wegen dieses Unglücks an, nannte mich nach meiner Gewohnheit die Urheberinn alles Bösen.

Ich gieng weit in die Vergangenheit zurück, ich erinnerte mich, daß ich es war, die ihn durch List, durch das Testament seines Onkels, bey welchem ich die Hand im Spiele hatte, nach Hohenweiler brachte, um ihn von meinen Nebenbuhlerinnen[176] in seiner Geburtsstadt zu entfernen. Hätte er Hohenweiler nie gesehen, sagte ich zu mir selbst, so würde er nie in die Bekanntschaft der Herren von Wilteck gerathen seyn, welche der Grund zu allem Unglück in unserer Familie ist; sein böses Schicksal hätte ihn nicht in seinen besten Jahren vom Amte getrieben; sein geschwächter guter Ruf hätte ihm nicht den Weg zu jeder andern Beschäftigung seines Standes verschlossen, und er wär nicht in ein müßiges geschäftloses Leben gerathen, welches die ungeheuersten Misgeburten von Ausschweifungen auszuhecken pflegt, und das dem thätigen Geist des Menschen so unangemessen ist, daß er sich ehe dem Verbrechen, oder den seltsamsten lächerlichsten Thorheiten überläßt, als ganz unwirksam bleibt!

Wie sinnreich ist doch der Unglückliche sich selbst zu quälen! Diese angeführten Betrachtungen erschwerten mir mein Schicksal im ganzen Ernst, und es kam mir nur selten in den Sinn, daß wenn ich jenesmal nicht so gehandelt hätte, wie ich that, die Dinge freylich anders, aber bey Herrn Hallers festgesetzter Neigung zu Irrwegen schwerlich besser gegangen seyn würden.

Ich that unrecht mich mit fruchtlosen Grübeleyen zu martern; ein vernünftiges Nachsinnen auf Mittel zu unserer Rettung wär unstreitig heilsamer gewesen, aber hatte ich nicht schon allen meinen Scharfsinn zu diesem Endzwecke vergeblich angestrengt? und sprang nicht die Mine, ehe man[177] wußte von welcher Seite man der Gefahr entgegen arbeiten sollte?

Man erlaube mir an dieser Stelle, welche ohnstreitig eine der traurigsten meines Lebens ist, kurz zu seyn. Herr Haller erfuhr das Schicksal aller seiner Vorgänger; er ward ein Raub der Betrüger. In dem Augenblicke, da sie ihm mit der Hoffnung geschmeichelt hatten, seine Arbeit würde durch den herrlichsten Anblick belohnt werden, den sich sein zerrütteter Verstand denken konnte, verliessen sie ihn, und hinterliessen ihm anstatt der erwarteten Schätze, Kohlenstaub und Asche, und für die gerühmte Essenz der Unsterblichkeit, das Gefühl eines durch ungesunde Arbeiten erschöpften Körpers, und einer durch getäuschte Hoffnung gänzlich ermatteten Seele.

Die geringen Ueberbleibsel unsers Vermögens, die wir mit nach Traußenthal brachten, waren dahin; auch diesen unsern geliebten Aufenthalt mußten wir aufgeben, denn diejenigen, welche meinen Mann mit ihrem Gelde bey seinen Arbeiten unterstützten, hatten nunmehr ein näheres Recht auf unsere Wohnung. Sie mußte verkauft, und zu Bezahlung unserer Schulden angewendet werden.

Herr Haller war in Verzweifelung, ich und meine beyden ältesten Töchter trauerten, daß wir die geliebte Hütte mit dem Rücken ansehen mußten, und Julchen, welche immer mehr zu den lebhaftesten Gefühlen der Schwärmerey heranreifte, und dieselbe insgeheim durch dazu passende Lektüre nährte,[178] letzte sich mit den Schutzgeistern ihres Lieblingsaufenthalts, und befahl ihnen, die stille Wohnung der Unschuld und des Friedens, bey ihren künftigern Besitzern nie durch Laster oder wildes sittenloses Geräusch entweihen zu lassen.

Niemand war bey der ganzen Sache ruhiger als Fräulein Klare von Vöhlen, sie tröstete uns mit der kalten Miene der Unempfindlichkeit, und wir wußten von sicherer Hand, daß sie unter denen, welche nach dem Besitz unsers kleinen Hauses strebten, eine der vornehmsten war. Hätte sie es doch hinnehmen mögen, wir hätten es ihr ja so gern als jedem andern, der den gesetzten Preis dafür zahlte, gönnen wollen, aber daß sie so heimlich dabey verfuhr, das gab der ganzen Sache ein so falsches, verrätherisches, schadenfrohes Ansehen, daß wir ganz irre an ihr wurden.

Wir hatten mit Madam Charlotte Walter, die, wie man weis, Klaren ohnedem nicht wohl leiden konnte, manche Konferenz über diesen Punkt, und das Urtheil fiel nie zu ihrem Besten aus. Klare hatte zu viel Stimmen wider sich. Jucunde und Amalie, gegen welche sich das Fräulein von Vöhlen allemal sehr stolz und adelich bezeugt hatte, schlugen sich gleich auf Charlottens Seite, ich war neutral, und die Beschuldigte hatte also niemanden für sich, als Herrn Walter, welcher von keinem Menschen Böses dachte, und Julchen, welche Klaren immer geliebt hatte, und zu standhaft in ihrer Freundschaft war, um bey[179] dem schlimmsten Anschein wankend zu werden.

Quelle:
Benedikte Naubert: Die Amtmannin von Hohenweiler. Bdchen. 1–2, Band 2, Mannheim 1791, S. 170-180.
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