Zwölftes Kapitel.

Vernichtete und von neuem entworfne Plane.

[109] Herrmann schwang sich auf sein bereit stehendes Pferd und sprengte zum Stadtthor hinaus, sein Geist war auf so mannichfache Art beschäftigt, daß er den Weg nicht bemerkte, den er hinter sich legte, nicht gewahr ward, daß der Abend hereinbrach, und nichts von den Fragen des alten Andreas vernahm, wo man Nachtherberge nehmen wollte. Idas Umarmung, die ihm so deutlich sagte, daß sie ihn liebte, die Nachricht von ihrem Stande, der seinem Ehrgeiz so angemessen war, die Ungewißheit, wer sie eigentlich sey, was für Aufgaben zum tiefsten Nachsinnen! Er vergaß über diesen Dingen denjenigen Punkt ganz und gar, der ohnstreitig der Münsterin das wichtigste war, und sie wahrscheinlich allein bewogen hatte, ihm das übrige zu entdecken,[109] er vergaß das Gesuch der ehrlichen Bürgerin beym Kaiser, das er mit seiner Vorbitte unterstützen, um dessen Willen er nur noch einen einigen Tag zu Prag bleiben sollte.

Ich weiß nicht, welcher Gedanke ihm die Erinnerung an die vergessene Sache noch endlich herbey führte; genug, auf einmahl fuhr sie wie ein Blitzstrahl durch seine Seele, er besann sich wo er war, sah die hereinbrechende Nacht, sah Prag in weiter Ferne hinter sich liegen, und schalt auf seine Unachtsamkeit.

Wir müssen augenblicklich zurückkehren, rief er seinem Diener zu, indem er sein Pferd umlenkte, ich habe was nothwendiges vergessen, habe ein wichtiges Geschäft beym Kaiser, habe –

Andreas hatte diesen Tag über schon etliche mal Zweifel wegen des gesunden Verstandes seines neuen Herrn gehabt, und diese wurden in diesem Augenblick durch die Heftigkeit, mit welcher Herrmann sprach, durch den Inhalt seiner Rede, und durch seinen verstörten Blick fast zur Gewißheit gemacht.

Mitlerweile stieß der Ritter der treuen Minne sein Roß an, und nahm den Weg, den er eben gekommen war, mit solcher Eile von neuem vor sich, daß Andreas ihn aus den Augen verlor, ehe er sich noch recht besonnen hatte, was für seinen unglücklichen Herrn zu thun seyn möchte.[110]

Ihm nachzueilen war jetzt das nothwendigste. Zum Glück war es nicht in die Weite des zurückgelegten Weges, sondern nur ein benachbartes Gebüsch, was ihn seinen Augen entzogen hatte, er erblickte ihn bald von neuem, und setzte die Reise dicht hinter ihm, oder vielmehr, um immer ein wachendes Auge auf seine Handlungen zu haben, fast an seiner Seite fort.

Die Geschichte meldet nicht, wenn Herrmann Prag erreichte, und wenn Andreas von der schlechten Meynung, die er von ihm hatte, zurück kam, das erste geschah vermuthlich sehr bald, und das andere sehr spät. – Es kam alles zusammen die Unruhe des jungen Ritters zu verlängern und zu vermehren. Diesen Abend, oder vielmehr diese Nacht noch nach Hofe zu gehen war unmöglich. Die erste Nachricht, welche er am Morgen erhielt, war, der Kaiser sey des vorigen Abends nach Kunradsburg abgegangen. Er eilte dahin, um nach Krumlau gewiesen zu werden. Er fand ihn nicht; man wies ihn an den dritten und vierten Ort, und als er endlich nach vielen Tagen wieder zu Kunradsburg angelangt, Wenzeln wirklich daselbst getroffen, und sich überzeugt hatte, daß der Kaiser wohl diesen Ort alle die Zeit über nicht möge verlassen haben, so ward ihn der Zutritt zu denjenigen, den er sonst alle Stunden ungefordert sehen konnte, so schwer gemacht, daß er die Sache[111] völlig aufgab, und sich begnügte, einen seiner ehemaligen Freunde bey Hofe, der sich endlich von ihm sprechen ließ, sein Gewerbe aufzutragen. Der Höfling versprach die pünktlichste Ausrichtung, und vergaß die Sache im nächsten Augenblicke.

Herrmann setzte seine Reise nach Ungarn fort, er fieng an mit den seltsamen Dingen, welche sein Gemüth anfangs so sehr verwirrten, bekannt zu werden, und für andere Gegenstände Gefühl zu haben. Andreas begunnte zu merken, daß sein Herr wirklich Verstand wie andere Menschen, und ein Herz wie ein Engel habe. Seine Milde, seine Herablassung nahm den alten Knecht gänzlich für ihn ein, er hätte sein Leben für ihn aufgeopfert, und Herrmann konnte mit Recht hoffen, daß er ihm geringere Opfer nicht versagen würde.

Der junge Ritter wußte, daß Andreas lange im Hause des alten Münsters gelebt hatte, es war Möglichkeit, daß er etwas vor Idas Herkommen wußte, und er sparte keine Mühe ihn zu Eröffnung alles dessen, was ihm bekannt war, zu bewegen, aber der Alte hatte entweder nichts zu entdecken, oder Münster war zu schlau gewesen ihm einen Diener mitzugeben, der nicht im Stande gewesen seyn sollte, die Geheimnisse des alten Herrn vor dem neuen zu verbergen.[112]

Der nemliche Unmuth, welcher den Ritter bey dieser Fehlschlagung seiner Hofnungen befiel, herrschte auch zu Prag in dem Münsterschen Hause. Münster war unzufrieden mit seiner Frau und vermißte den Umgang seines jungen Freundes, ob er gleich auch gegen ihn einen kleinen Unwillen in seinem Herzen hegte; Ida weinte über ihren Herrmann und durfte ihre Thränen niemand als ihrer so genannten Mutter sehen lassen, diese wartete täglich, nach Hofe berufen und um ihr Begehren befragt zu werden, und – wartete vergebens. Er muß mich vergessen haben, rief sie in der Fülle ihres Unmuths aus, muß abgereist seyn ohne meinen Auftrag auszurichten. – Gleichwohl hat man ihn den Tag nach dem Abschiede von uns noch hier geseben. Er ist in Kunradsburg gewesen, wo der Kaiser sich jetzt aufhält. – Nun nun! wenn Wenzel zurückkehrt! Geduld, Zweiflerinn! es wird noch alles gut werden.

Aber Wenzel kehrte zurück, und die ehrliche Bürgerinn ward nicht nach Hofe gefordert! – Tage, Wochen, und Monate vergingen, und sie entschloß sich endlich zu dem Mittel ihre Zuflucht zu nehmen, durch welches man ungezweifelt nicht allein Zutritt bey Wenzeln erhalten, sondern auch überzeugt seyn konnte, ihm angenehm zu seyn und alles von ihm zu erlangen was man wünschte.[113]

Die Münsterinn legte eines Morgens in Abwesenheit ihres Mannes ihre festlichsten Kleider an, langte aus dem heimlichen Schatze, den auch sie gleich ihrem Manne in ihrer jetzigen kleinen Wohnung vergraben hatte, zweyhundert goldne Schilde die Hälfte des ganzen, besonn sich ein wenig, ob sie wohl mit so einer Wenigkeit vor dem geizigen Kaiser erscheinen dürfe, ob sie nicht das Ganze aufopfern müsse um glücklich zu seyn, vermehrte endlich die Summe noch mit funfzig ihrer ersparten Goldstücke und machte sich auf den Weg.

Die Art, mit welcher sie ihre Gabe bey Wenzeln anbrachte, und das was sie bey ihm suchte, steht in unserer Geschichte nicht umständlich verzeichnet, doch ergiebt sich das letzte aus den Folgen, und was das erste anbelangt, so ist bekannt, daß man wenig Nachsinnen brauchte um Wenzeln mit Schonung seiner Delicatesse eine Bezahlung einer geforderten Gnade beyzubringen.

Ida sah ihre Mutter ausgehen und wiederkommen. Ihre festliche Kleidung, ihre gedankenvolle zweifelnde Miene bey dem ersten, und ihr triumphirender Blick bey dem andern, fiel ihr auf, aber sie fragte nicht: andere Gedanken, Gedanken an ihren Herrmann beschäftigten sie zu sehr um ihr Neugier für etwas anderes überzulassen.

Wirst du nie aufhören zu weinen, fragte die Mutter, als sie des Nachmittags bey der Arbeit[114] saßen. Mädchen, Mädchen! die Einsamkeit nährt deinen Kummer, ich muß dich herausreißen, oder mir es gefallen lassen dich auf ewig zu verlieren.

Laßt mir meine liebe Einsamkeit, rief Ida, indem sie mit der einen Hand ihre Thränen trocknete, mit der andern die Hand ihrer Mutter an ihre Brust drückte. Welche Gesellschaft sollte ich dieser ruhigen Stille, der Freundin meines Grams, vorziehen?

Je nun, sprach die Mutter, freylich nicht die Gesellschaft unserer Jungfern, die sich so gern deine Gespielinnen nennen, aber wenn ich dich in eine Sphäre bringen könnte, wo alles was schön und groß ist dich umglänzte, und wo du doch überall als die schönste hervorstrahltest, nicht wahr, Ida, da würde dir wohl seyn, da würdest du nicht mehr so viel an deinen Herrmann denken, oder thätest du es, so würde es nur mit froher Hoffnung, nie mit Thränen geschehen?

Ich sehne mich nicht nach Unmöglichkeiten, Mutter; ich begehre nur in eurem Hause zu glänzen, wenn ihr es so nennen wollt.

Und wenn deine Bestimmung der Hof wär?

Ich danke Gott, daß er es nicht ist.

Wenn die Kaiserinn dich unter ihre Frauenzimmer aufnähme?[115]

O die unvergleichliche Dame! rief Ida, indem sie Sophiens seidne Locke küßte, die sie noch immer an einer goldnen Schnur am Halse trug. Ja ihr zu dienen, sie täglich zu sehen, von ihr geliebt zu werden, das wär etwas –

Das du dir wünschtest? – Nun so freue dich: deine Wünsche sind erfüllt. Du wirst die Dunkelheit, die sich schlechter für dich schickt als du meinst, vielleicht morgen verlassen, man wird dich nach Hofe fordern, du wirst eine Gespielinn der edelsten Jungfrauen dieses Landes seyn, und du hast nun nichts weiter zu thun, als dich ihnen gleich zu achten, es gänzlich zu vergessen, daß du bisher unsre Tochter genannt wurdest.

Mutter, schrie das Mädchen, indem sie von ihrem Sitz aufsprang, euch vergessen? meine Herkunft vergessen? mich in eine Sphäre mischen, in welche ich nicht gehöre? – Ihr versucht mich? nein, so eitel, so pflichtvergessen ist Ida nicht. Ihr müßt mir nicht jede kleine Aeußerung meiner Gedanken so übel auslegen. Ich liebe die Kaiserinn weit weniger als euch, möchte ihre Gesellschaft nicht für die Eurige vertauschen. Zärtlich schmiegte sich das liebliche Mädchen bey diesen Worten an den Hals ihrer so genannten Mutter, welche in Thränen ausbrach, sie fester an sich drückte, und schluchzend betheuerte, sie verdiene die Liebe ihrer Ida nicht; ein Ausdruck, welcher dem jungen Mädchen[116] sehr anstößig war, weil sie ihn nicht so gut verstand als der Leser.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 109-117.
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