Neun und zwanzigstes Kapitel.

Wenzels Bruder kommt zum Vorschein.

[294] Es war der Montag nach Sankt Vitalis Tag, als die Gefangenen auf dem Schlosse Soclos ankamen. Herrman kannte diesen Ort als den Hauptsitz des Hauses der Garas, und er konnte sich vorstellen, was der unglückliche König an einem Orte, wo nichts die Gewalt seiner Feinde einschränkte, zu hoffen habe.

Doch täuschten ihn diesesmahl schrecklicher seine Erwartungen, welche ihm nichts als Beschimpfung und Tod für seinen Herrn in der Ferne zeigten.

Die Begebenheit, welche König Siegmunden hieher brachte, war angelegter Plan; so wollte, so mußte man sich seiner hinterlistig bemächtigen, um ihn vom Throne zu stossen, um einen andern auf denselben zu heben; aber in der Ausführung dieses teuflischen Anschlags hatte man allerdings die Gränzen überschritten, welche man sich vorgeschrieben haben mochte, und man hielt es für gut, nun zu den Regeln der Bescheidenheit und des Wohlstandes zurückzukehren. Die Kräfte des Weins hatten bey jenem unglücklichen Mahle verursacht, daß Siegmunds Feinde es ganz vergaßen, daß der, den sie wie einen Sclaven behandelten, doch gleichwohl ein König war, daß sie sich selbst noch mehr als ihn durch ihre unwürdige Aufführung beschimpften.[294] Der Rausch war ausgeschlafen. Wuth und Rache kochten nach wie vormahls in den Herzen der Garas, aber sie schämten sich eine Rolle fort zu spielen, welche ihnen das Recht entreißen, und es auf die Seite des verhöhnten Sohns Kaiser Karls des vierten wenden mußte.

Dem Könige wurden die Fesseln abgenommen; man gab ihm statt des Kerkers, in den er anfangs geworfen ward, ein wohlverwahrtes Gemach, ging so weit ihn zu fragen, ob er die Aufwartung seiner gefangenen Diener verlange, und ihm auf die Bejahung dieselben ihrer Fesseln entladen zuzuschicken.

Siegmunds Zustand war leidlich, und er wurde noch erträglicher als Nikolaus und Andreas ihr Schloß verließen, weil Reichsgeschäfte sie in die Hauptstadt forderten, und ihrer Mutter die Aufsicht über ihren erhabenen Gefangenen übertrugen.

Es ist unmöglich, daß ich bey dieser Stelle der Geschichte, so wie bey andern vorbeyschlüpfen kann, ich muß meinen Lesern einige Worte von dieser Helena Gara, der Wittwe des Nikolaus, den Siegmund ehemahls ermorden ließ, der Stiefmutter des Feldherrn Nikolaus und des Statthalter Andreas sagen. Sie war eine junge schöne Person von fünf und zwanzig Jahren, welche zu wenig Kummer über den Verlust ihres bejahrten Gemahls gefühlt hatte, um einen dauernden Haß wider seinen[295] Mörder zu fassen. Sie sprach nur von Rache und Blut, so lange es ihre Söhne hörten, schmiegte sich nur in ihre Anschläge, weil sie mußte, und sahe Siegmunds Gefangenschaft auf dem Schlosse Soclos aus Ursachen gern, welche mit den Anschlägen seiner Feinde nichts gemein hatten.

Helena war ein Weib, wie es in den damahligen Zeiten viel gab, ein Wesen aus Ueppigkeit und Herrschsucht zusammen gesetzt. Siegmund war ungeachtet seiner Jahre einer der schönsten Prinzen der damaligen Zeit, er war, seine Widersacher mochten ihn nun nennen wie sie wollten, war ein König; so lange Wenzel lebte, der Bruder eines Kaisers, und starb dieser, oder verlor er den Thron, sein wahrscheinlicher Nachfolger; was für Betrachtungen für die Dame des Schlosses! Hatte sie auch noch eine Wahl? konnte sie noch zweifelhaft seyn, ob sie den ungerechten weitaussehenden Anschlägen ihrer Söhne beytreten, oder sich eines unschuldigen Prinzen annehmen wollte, der ihr das, was sie für ihn thun konnte, auf doppelte Art zu vergelten vermochte?

Helena sah sich schon im Geist als Siegmunds Geliebte, als seine Gemahlinn, als die Besitzerinn des höchsten Throns der Welt, und die ersten Schritte, die Erfüllung ihrer Wünsche einzuleiten, wurden eilig gethan. Sie genoß des[296] unumschränkten Zutrauens ihrer Söhne, sie wußte, daß sie durch das Geschäft, den jungen Ladislaw, auf Siegmunds erledigten Thron zu befestigen, lang würden abwesend gehalten werden, und sie säumte nicht, ihren Operationsplan zu eröfnen.

König Siegmund bekam einen ganzen Flügel des Schlosses zu seiner Bewohnung, seine Hofstatt, welche bisher nur aus Kunzmann und dem Ritter von Unna bestand, wurde vermehrt. Er ward königlich bedient, bekam Erlaubnis, den Garten zu besuchen, und konnte es an nichts abnehmen, daß er ein Gefangner war, als an der Wache, welche seine und seiner Diener Schritte allemahl in einiger Ferne beobachtete.

Siegmund jauchzte über die Veränderung seines Schicksals, welche ihm Anlaß gab, seine Hoffnungen noch mehr zu erweitern. Er forschte nach dem Grunde der glimpflichen Begegnung, die ihm wiederfuhr, und es konnte ihm nicht lang verborgen bleiben, daß er ihn in der Gewogenheit der Fürstinn Gara suchen müsse. – Helenas Bild hing in allen seinen Zimmern, auch hatte sie Siegmund etliche mahl von Fern im Garten gesehen und bewundert.

Weiberschönheit war die Klippe, an welcher er am leichtesten scheiterte, auch war sein Wohlgefallen an den Reizen der Damen mit einer so[297] guten Meynung von seinen eigenen verbunden, daß er sich keine schöne Frau als grausam gegen seine Liebe vorstellen konnte. Wie Helena gegen ihn gesinnt war, das konnte ihm nicht lang verborgen bleiben, ihre Handlungen sprachen für sie. Siegmunds Liebe zur Gemächlichkeit, die er mit seinem Bruder gemein hatte, sein Herz zu sinnlichen Vergnügen, ward täglich auf neue Art geschmeichelt, und seine Dankbarkeit, seine Neigung für die schöne Zauberinn, die so sinnreich war, ihm seine Gefangenschaft angenehm zu machen, wuchs desto mehr, da sie schlau genug war, ihm nie in den Weg zu kommen, ihm die Möglichkeit ihr persönlich zu danken stets vergeblich wünschen zu lassen. Die Gemälde von ihr, und die Lobeserhebungen der Leute, welche sie ihm zugegeben hatte, machten Siegmunds Dankbarkeit zur Liebe, die Begierde sie zu sehen, zur Flamme. Es wurden heimliche Anschläge geschmiedet, Botschaften hin und her geschickt, zufällige Zusammenkünfte veranstaltet, bis endlich ein Verständnis zwischen beyden zu Stande kam, das man für gut hielt, des Wohlstands wegen, mit einem Schleyer zu umhüllen, der aber durchsichtig genug war, allen Bewohnern des Schlosses nichts zu rathen übrig zu lassen.

Kunzmann von Hertingshausen spielte bey diesen Dingen eine große Rolle, er schien zu dem Geschäft, Unterhändler einer verbotenen Liebe zu seyn,[298] einen sonderlichen Beruf zu haben, und er erwarb sich durch seine Talente die gränzenlose Neigung seines Herrn.

Herrmann war in solchen Dingen einfältig, er kannte nur eine Art Liebe, die, welche er für seine Ida fühlte, oder wie sie etwa zwischen Engeln statt finden mag. Verbindungen von anderer Art nannte er verboten, und war nicht schlau genug seinen Widerwillen dafür zu verbergen. Er hatte als Knabe an Kaiser Wenzels Hofe, als er noch geneigt war, alles für Recht zu halten, was sein Herr that, Leichtsinn und Ueppigkeit in ihrer häßlichen Gestalt kennen gelernt, und er trauerte aufrichtig, hier diese Auftritte von einem Fürsten erneuert zu sehen, den er liebte und schätzte, an dem er so ungern eine Familiengleichheit mit seinem schwelgerischen Bruder entdeckte.

König Siegmund war nicht gewohnt Misbilligung seiner Handlungen in den Augen seines Dieners zu lesen. Herrmann ward zurückgesetzt, und der schlaue Bote der Liebe, der gefällige Hertingshausen überall hervorgezogen.

Da Herrmanns Achtung für seinen Herrn zu fallen begunte, so ward der Vorzug, den ein anderer vor ihm erhielt, nicht allzu schmerzhaft von ihm empfunden. Er beneidete Kunzmann sein Glück bey einem Fürsten nicht, den er jetzt, ach wie gern, verlassen hätte. Was soll ich endlich[299] hier in diesem weichlichen müßigen Leben? sagte er zu sich selbst. Ist dies die Art sich empor zu schwingen, sich der Hand einer Gräfinn von Würtemberg würdig zu machen? O fliehe, fliehe Herrmann! hier verträumst du deine Zeit auf strafbarere Art, als die gewesen seyn würde, welche dir Münster in einem so gehäßigen Lichte vorstellte!

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 294-300.
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Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

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