Drey und dreyßigstes Kapitel.

Wer andere aus der Grube ziehen will,

fällt oft selbst darein.

[314] Herrmann durchflog den Wald, um seinen Verfolger zu finden, er fand ihn nicht. Er eilte nach dem Schlosse, um Graf Petern zu warnen, auch dieser war nicht zu finden. Seine Kammerdiener sagten, der Ritter von Hertingshausen habe ihn vor einer halben Stunde im Namen König Siegmunds abgefordert; auch nach Herrmann sey gefragt worden, weil er in dem nemlichen Flügel des Schlosses seine Wohnung hatte, und man habe geantwortet, er sey wahrscheinlich auf die Jagd gegangen.

Herrmann konnte errathen, welchen Weg Kunzmann mit dem unglücklichen Grafen genommen habe, Peters Einfalt an jeden Ort zu locken, wohin er wollte, konnte dem schlauen Verräther nicht schwer werden. Der Retter des armen Schlachtopfers verdoppelte seine Schritte, aber er hatte den Schloßhof noch nicht zurückgelegt,[314] als er sich von der Wache umgeben sahe, welche ihm in König Siegmunds Namen das Schwerd abforderte, und ihn bat, ohne Weigerung den Arrest anzunehmen, den man ihm ankündigte.

Herrmann folgte, oder vielmehr er mußte folgen. Seine Weigerung hätte nichts gefruchtet, als daß er vielleicht einige von den unschuldigen Ausrichtern des königlichen Befehls verwundet oder getödtet hätte, ohne sich frey zu machen. Man brachte ihn in einen Thurm, der an der Nordseite des Schlosses stand, zuckte auf seine Frage, was er verbrochen habe, die Achseln, und versprach, auf seine Bitte, Leute in den Wald zu schicken, um Graf Petern aufzusuchen, welcher, wie er sagte, von Lebensgefahr bedroht würde. –

Um den Mittag ward der Gefangene vor seinen Richter gestellt, König Siegmund sah ihn mit einem Blicke an, den er noch nie an ihm wahrgenommen hatte. Herrmann stand vor ihm mit jener festen Miene, die nur der Unschuld eigen ist. – Schleicher! niederträchtiger Heuchler! rief der König endlich. Mußtest du darum den Tugendprediger machen, auf jene erlaubte Lust mit neidischem richtenden Blicke hinschielen, um im Verborgenen nach demjenigen streben zu dürfen, was das Eigenthum deines Herrn ist? –[315]

Mein König! sprach Barbara, die Herrmann jetzt erst gewahr ward, verzeihet, verzeihet seiner Jugend! Er hatte den Wein vielleicht zu oft kredenzt, seine Sinne waren benebelt, und überdies, was ist ein Kuß? –

Ein Kuß? schrie Siegmund, ein Kuß ist euch Kleinigkeit? Verrätherinn! ihr liebt Herrmann, sonst würdet ihr nicht so sprechen! –

Hat man mich vielleicht vor Hertingshausen genommen? fragte Herrmann mit verachtendem Blicke auf die Gräfinn. –

Bist du mit meinem Augen im Bunde? rief der König. – Auch mir stellten sie bey der verruchten That nicht deine, sondern Hertingshausens Gestalt vor; aber ich war im halben Schlummer, und die Gräfinn hat Recht; nicht er, du warest es, der sich an meinem liebsten Kleinod vergriff! –

Mein Herr! mein König! sprach Barbara mit bittendem Blicke, gewiß ihr irrt; ja ja, Hertingshausen war es, nicht der arme unschuldige Herrmann! nur ihn, nur ihn schont, wenn ihr nicht auch mich tödten wollt! –

Fort aus meinen Augen! schrie Siegmund. Nicht der Kuß bringt dich ums Leben, der ist ja Kleinigkeit, wie die Gräfinn sagt, aber, daß sie dich liebt, daß die Schönste der Welt dich liebt,[316] mit dir sterben will, – O entsetzlich! – Fort! Fort aus meinen Augen? – Herrmann ward in sein Gefängniß zurückgeführt. Er durchschaute den ganzen Plan seiner verruchten Anklägerinn: ihre schwankenden Reden, ihre künstlich geäußerte Zuneigung sollte Siegmunds Eifersucht aufs höchste treiben, sie, das wußte sie, konnte sich mit einem Blick, einer Thräne vor dem Zorn ihres Geliebten schützen, aber Herrmann mußte das Opfer desselben werden.

Das war ein Meisterstreich! sagte Barbara, als sie mit ihrer Zofe allein war. Siegmund hatte im Rausche nur allzugut gesehen. Mein Hertingshausen hätte unausbleiblich sterben müssen! Wie gut, daß ich Siegmunds benebelten Augen Herrmanns Bild unterschieben konnte. –

Ich war so froh, sagte die Zofe, als ich ihn hier auf dem Schlosse sah, war so froh, daß er Kunzmanns blutgierigem Schwerdte entgangen war, und nun dieser neue Anfall! O hätte ich euch nur nicht gesagt! –

Weichherzige Närrin! ich glaube, du weinst? –

Und ihr liebtet ihn doch ehemals! –[317]

Komm in meine Lage, und du wirst erfahren, welch einen Haß verschmähte Liebe erzeugt! –

Herrmann könnte ich nicht hassen, wenn er mich tausendmahl verschmähte! –

Hör auf! und sieh nach dem Fenster, das auf die Heerstraße geht – Kömmt Hertingshausen noch nicht? – Er wird doch einen von meinen Aufträgen ausgerichtet haben! –

Die Zofe weinte und sahe durchs Fenster, welches Herrmann zur nemlichen Zeit in seinem Gefängnisse auch that.

Der nördliche Thurm des Schlosses, wo Herrmann war, hatte die Aussicht auf die Heerstraße, die sich vom Walde nach dem Schlosse herauf zog. Der Abend dämmerte heran, ein Trupp Reuter that sich aus dem Wald hervor, und sprengte mit verhängtem Zügel aufs Schloß zu. In ihren Blicken saß Entsetzen, und die Worte, welche sie, als sie sich jetzt am Thor von den Pferden schwangen, mit einander wechselten, waren mehr verworrnes Geschrey, als Gespräch zu nennen. Doch war Herrmanns vergittertes Fenster niedrig genug, um ihn einige abgebrochene Laute verstehen zu lassen. Der entsetzliche Fang, rief der eine[318] von den Reutern, den ihm der Eber in die linke Seite gegeben hat, nie sah ich etwas ähnliches. – Ja wohl! schrie der andere, mehr die Wunde von einem breiten Schwerdte, als von dem Hauer einer wilden Bestie! der Ritter von Unna sagte es wohl, als er uns ihm zu Hülfe schickte, er muß den Geist der Weissagung haben! –

Und ganz ganz todt?

Ja leider! – Er war doch ein guter Herr! betrübte kein Kind! –

Mich jammerte der brave Kunzmann, der muß ihn recht vertheidigt haben! er blutete auch stark!

Stand er nicht wie das lebendige Bild der Verzweiflung neben dem Todten und weinte und raufte sein Haar! nie dachte ich, daß er ihn so liebte! –

Er mag ihn ja geliebt haben! rief einer von denen, welche zuerst geredet hatten, und Herrmann schlug sein Fenster zu und sank fast empfindungslos auf den Boden.

So? So triumphirt das Verbrechen, und die Unschuld muß verderben? O ewiger Richter[319] wo ist deine Rache? So rief Herrmann und verfiel in eine Betäubung, aus welcher er erst nach einer Viertelstunde durch das hole Rasseln eines Wagens geweckt wurde. Das Geschrey, das sich erhub, unter welchem er auch die klagende Stimme der Gräfinn zu vernehmen glaubte, sagte ihm, daß man den Leichnam des unglücklichen Grafen von Cyly brächte. Ein kalter Schauer überlief seine Glieder, und er vermochte nicht ans Fenster zu gehen, und das klägliche Schauspiel mit anzusehen.

Es ist schwer zu beschreiben, mit was für Gedanken und Empfindungen Herrmann die Zeit der fürchterlichen Stille, die auf dieses Trauergetös folgte, zubringen mochte. – Es war weit nach Mitternacht, als er aus seinen schrecklichen Träumereyen durch ein Geräusch an der Gefängnißthür geweckt wurde.

Die Riegel öfneten sich. Eine weibliche Stimme rief, Ritter von Unna, ihr seyd frey! –

Ich frey? auf wessen Befehl? –

Durch Hülfe eines armen Mädchens, welches Mitleid mit euch hat, und ihre schweren Sünden gern durch eine gute That abbüßen wollte. Fliehet! Fliehet! ehe es zu spät wird! –[320]

Ich fliehen! Die Unschuld fliehet nie! –

Gilt eure Unschuld hier etwas? –

Ich muß wenigstens erst Graf Peters Blut rächen, seinen grausamen Mörder entdecken! –

Wird man euch hören? –

Siegmund muß, muß mich hören! Ich will diese Barbara vor seinen Augen entlarven! –

Meine Frau? O ich bitte euch, macht euch nicht unglücklich. –

Deine Frau? Bist du auch eine von ihren Sündengenossinnen?

Ich bin! – ja ich bin! – o ich bitte euch, fliehet! Die Gräfinn hat jetzt allein auf dem Schlosse zu gebieten. Der König hat es vor einer Stunde eilig verlassen. Ein reitender Bote von Prag, brachte Nachrichten. – Man spricht von wichtigen Veränderungen. Aber was mache ich, eilet, ehe es zu spät wird! Ich muß den Thurm wieder verschliessen, in welchem man gesonnen ist, euch durch Hunger zu tödten. Man wird euch nicht gleich vermissen, weil in den nächsten Wochen niemand diese Schlösser wieder öffnen wird, aber mich wird man vermissen, und ihr macht ein[321] Mädchen, welches es gut mit euch meynet, unglücklich, wenn ihr länger zögert.

Es ist wohl zu glauben, daß Herrmann nach dem, was er hier vernahm, nicht länger zögerte, seiner Retterinn zu folgen. Er drückte ihr dankend die Hand und fragte nach ihrem Namen: sie nannte ihn, und erzählte zum Abschied, – (welche Zofe hört auch in den bedenklichsten Augenblicken auf zu erzählen) – erzählte, daß Ritter Kunzmann seiner Verwundung und des Bittens der Gräfinn ungeachtet den König hätte begleiten müssen, und daß dieser vermuthlich aus einem Ueberbleibsel von Verdacht ihn nicht so gnädig wie vordem angeblickt habe.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 1, Leipzig 1788, S. 314-322.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

Buchempfehlung

Schlegel, Dorothea

Florentin

Florentin

Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?

134 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon