Elftes Kapitel.

Katarine ist Alekens und Ulrichs Ehrenretterin.

[88] Die Frau von Unna schien ernstlich über Herrmanns Zudringlichkeit erzürnt zu seyn, sie enthielt sich diesen Tag, den letzten seines Aufenthalts zu Plettenburg, das kleinste Wort mit ihm zu wechseln, doch hatte sie darum, wie es am Tage lag, ihre Absicht ihn und Ulrichen zu trennen, nicht aufgegeben.[88]

Herrmann blieb entschlossen, seine Schwester Katarine nach ihrem Schlosse zu begleiten, und Ulrich von Senden ward in dem nehmlichen Augenblick, da dieses öffentlich kund gemacht wurde, eingeladen, noch einige Tage nach Abreise der andern zu Plettenburg zu bleiben.

Ulrichs Gesicht hatte sich bey Herrmanns Erklärung, daß er sein Gast auf seinem Schlosse seyn wolle, mit einer Todenblässe überzogen, und schnell kamen bey der Einladung, die er von Bernden auf Alizens Veranlassung erhielt, Leben und Freude in seine Züge zurück; Herrmann sah zum erstenmahle, daß er die Hand seiner schönen Schwägerinn küßte, und ihr einige verbindliche Worte sagte. Alize erröthete und schlug die Augen nieder, indessen Ulrich sie mit einem Blicke ansah, der den höchsten Grad von Dankbarkeit ausdrückte.

Was ist das? sagte Herrmann, der dieses alles bemerkte, zu sich selbst. – Sollte ich mich in Alizen und in diesem Ulrich von Senden geirrt haben ? sollten sie vielleicht nichts von dem allen seyn, wofür ich sie hielt. – Ha! ohne Zweifel findet ein geheimes strafbares Verständniß unter beyden statt. Daß sie sich ehemahls liebten, zeugen ihre verstohlnen Blicke, ihr schnelles Erröthen, ihre widersprechenden Handlungen; daß diese Liebe noch immer dauert, beweißt ihr jetziges Betragen. –[89] War es darum, gleißnerische Alize, daß du Ulrichen von mir zu entfernen suchtest, damit ich nicht etwa eure strafbare Vertraulichkeit entdecken und die Ehre meines Bruders rächen möchte? – Suchst du ihn jetzt darum bey dir zu behalten, damit du, ohne dich vor den Augen einer vielleicht eifersüchtigen Frau und eines argwöhnischen Bruders zu scheuen, ungestört deiner Leidenschaft nachhängen kannst? –

Der Schein war in Herrmanns Augen so gänzlich wider Alizen, daß er sich verwunderte, wie sein Bruder Bernhard so verblendet seyn könne, Dinge nicht zu merken, die, wie er meynte, einem Jeden in die Augen fallen mußten, und ein Glück war es für die beyden Beschuldigten, daß Herrmann nicht voreilig genug war, Bernden seine Gedanken mitzutheilen.

Herrmann reiste mit Katarinen und ihren Kindern ab; gutherzige liebliche Geschöpfe, mehr Abdrücke ihres liebenswürdigen Vaters als ihrer Mutter. Herrmann beschäftigte sich gern mit ihnen, und erholte sich an ihrem Anblicke, wegen des Verdrusses, den ihm Katarinens lästiges Geschwätze machten.

Er überzeugte sich immer mehr von dem schlechten Herzen dieser Frau, ihre Zunge schonte keines einigen ihrer Verwandten, alle suchte sie bey Herrmannen zu verläumden, selbst die unschuldigen[90] Nonnen, Agnes und Perronelle. – Sie rühmte mit inniger Selbstzufriedenheit den ihr ganz besonders eigenen Scharfblick, das Laster in seinen verborgensten Schlupfwinkeln zu entdecken, und führte einige Beweise von diesem Talent an, welche würklich einzig in ihrer Art waren. – Sie war eben in ihrem Sündenregister auf die Frau von Unna gekommen, und Herrmann erwartete nun nichts gewisseres als die Bestättigung seiner in den letzten Augenblicken des Aufenthalts zu Plettenburg gefaßten Meynung, zu hören, Ulrichen der Untreu und Alizen der Verführung angeklagt zu sehen; aber wie erstaunte er, als nichts von dem allen erfolgte, als er ganz das Gegentheil von dem erfahren mußte, was er erwartet hatte.

Diese Alize, sagte Katarine, ein armes Fräulein aus dem durchächteten Hause von Langen, ist recht zum Glück in unsere Familie gekommen, Bernhard würde vielleicht unverheyrathet geblieben seyn, wenn sie nicht gewesen wäre. Sie ist ihm mit eiserner Treue ergeben, geht ihm fast nie von der Seite und wird dadurch die Geissel aller Frauen unserer Gegend, denen sie von den Männern unablässig zum Beyspiel vorgestellt wird. – Sie ist nicht häßlich wie du gesehen haben wirst, auch fehlt es ihr nicht an Anbetern, und ich habe daher immer geglaubt, sie halte sich insgeheim für ihre äußerliche Strenge schadlos; aber so viele Jahre,[91] in welchen ich sie nun unabläßig beobachtete, haben mich endlich überzeugt, daß sie ein Geschöpf ohne Geist und Herz ist, welchem diese Art der Tugend nicht schwer fallen kann.

Herrmann sah Katarinen mit starren verwunderungsvollen Augen an, und wußte nicht, wie er eine Frage einleiten sollte, um sich über das Verhältniß, das er zwischen Ulrich und Alizen wähnte, zu belehren.

Ist sie eine Freundinn von dir und deinem Manne? fragte er endlich mit angenommener Gleichgültigkeit.

Von mir? erwiederte sie, ich glaube ja. Du siehst, ich meyne es gut mit ihr, und verdiene also ihre Freundschaft, auch ist sie freundlich und freygebig gegen die Kinder; aber mein Mann ist, wie es scheint, der Gegenstand ihrer tiefsten Verachtung, wenigstens weis ich, daß sie nie ein freundliches Wort gewechselt haben als heute. Du hast ihre Einladung gehört, ich erstaunte und freute mich, daß sie Ulrich mit Höflichkeit aufnahm; denn die Wahrheit zu gestehen, er macht so wenig aus ihr, als sie aus ihm, er geht ihr überall aus dem Wege, und wie ich glaube, ist er in all den Jahren unsers Ehestandes nicht dreymahl auf Plettenburg gewesen. – Herrmann konnte sich nicht enthalten, den Kopf zu schütteln, und suchte durch eine Menge[92] künstlicher Fragen noch einen Anschein von dem, was er dachte, herauszubringen, aber er erlangte nichts weiter, als zu seinem grossen Vergnügen, die Ueberzeugung, daß er sich in seinem Urtheil von Ulrich und Alizen geirrt habe. Wie hätten sie eine bessere Zeuginn ihrer Unschuld haben können als Katarine.

Selbst in dem Klaglibell wider den Herrn von Senden, welches Katarine nun zu verlesen begunnte, kam nicht ein Wort von Verdacht der Untreu vor, sondern alle ihre Beschwerden zielten nur auf Misvergnügen und üble Bewegungen, an welchen die gute Dame wohl durch ihr eignes schlechtes Herz, davon sie jetzt so deutliche Proben ablegte, schuld seyn mochte.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 88-93.
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Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe