Siebzehntes Kapitel.

Herrmann zieht gen Italien.

[145] Die Freunde verliessen den Grafen, um in der Einsamkeit die Erstlinge ihres Glücks zu geniessen. Also warst du mein Vertheidiger bey dem Grafen, nicht mein Ankläger wie ich meynte? rief Herrmann, als er sich von seinem ersten Erstaunen erholte.

Konnte der gutmüthige Herrmann sich doch endlich zu bösen Verdacht gegen seinen Ulrich hinreissen lassen? erwiederte von Senden.

Und also kann ich, darf ich dich künftig Freund und Bruder nennen, und du wirst nicht mehr den Unschuldigen verfolgen, und dein Ohr vor der Stimme der Wahrheit verschliessen?

Verschloß ich es je? Wahrheit und Unschuld strahlten mir in die Augen, Todesangst überfiel mich, wenn ich dich mit all deiner Liebenswürdigkeit vor mir sahe, wie du um meine Freundschaft warbst, mir aus vollem Herzen trautest, und der Gedanke in meiner Seele aufstieg, die Richter haben gerichtet, ich muß[145] ihn ermorden! Unaufhörlich, auch wenn du nicht um mich warest, schwebte dein Bild vor mir, bald bleich und blutig, bald lächelnd und bittend, im Auge den vollen Ausdruck der Schuldlosigkeit. – Mein Herz blutete, mein Verstand schwankte, tausendmal wär ich lieber gestorben, aber ich mußte thun, was ich that! – Doch laß uns die Augen auf ewig von dem Vergangenen abwenden! die Fesseln sind gebrochen, du vergiebst mir, und wir sind Freunde auf ewig!

Herrmanns Freude über das Herz, das er gewonnen hatte, wuchs mit der Dauer der Unterredung, aber Ulrich ward am Ende still und nachdenkend. Laß mich! sagte er zu seinem Freunde, ich vergesse, daß mir die Loszählung von meinem Eide erst auf künftige Nacht bevorsteht, und daß bis dahin unsere bisherige Lage noch nicht verändert ist.

Herrmann lächelte ein wenig über die strenge Gewissenhaftigkeit seines Bruders und verließ ihn, um Anstalten zu jener Abreise zu machen, deren Eil ihm der Graf so dringend empfohlen hatte, und die ihm nur darum anstößig war, weil sie den verhaßten Namen Flucht führte.

Was in dieser Nacht mit Ulrichen von Senden vorging, auf welche Art er aus der großen über die halbe Welt ausgebreiteten Gemeinschaft[146] der12 Geheimnisvollen entlassen, auf welche Weise ihm Wille und Möglichkeit benommen wurde, in Zukunft an ihren Angelegenheiten Theil zu nehmen, oder irgend einen Gebrauch von der Wissenschaft derselben zu machen, dies blieb Herrmann verborgen, und so oft er in spätern Zeiten, als er Muth genug bekam, dieser Dinge in fröhlichen Stunden zu gedenken, eine scherzhafte Frage hierüber an Ulrichen wagte, so scheuchte ihn ein ernster Blick zurück, und gebot ihm Stillschweigen.

Des andern Tages fand Herrmann seinen Freund weit liebenswürdiger als je zuvor, sein Betragen war zutraulich und offen, seine Miene heiter und froh, und wenn der Ritter von Unna nicht von ohngefähr jene Dinge berührte, denen Ulrich diese Nacht entsagt hatte, so schien sich kein Geheimniß in seinem Herzen zu befinden, das er nicht geneigt gewesen seyn sollte ihm zu entdecken.

Selbst über seine ehemahlige, ach leider noch nicht ganz erloschene Liebe zu der reizenden Frau von Unna, und über seine seltsame Heyrath mit[147] Katarinen, sprach von Senden ohne Zurückhaltung. Er erzählte seine Geschichte mit ihr weitläuftiger als es nöthig und den Gränzen dieses Buchs angemessen ist, sie anzuführen. Katarine hatte tausend heimliche Künste genutzt den von Senden für sich einzunehmen, und seine ehemalige Geliebte, deren Namen sie nie erfuhr, aus seinem Herzen zu reissen. Unmuth, und vielleicht auch der Wunsch sich an der unerbittlichen Aleke zu rächen, hatten ihre Bemühungen erleichtert, und Zuredungen und heimliche Ränke dienstfertiger Mittelspersonen das ihrige gethan. Es lebte zu den damahligen Zeiten in jedem angesehenen Hause einer oder etliche Mönche, welche unter dem Titel der Beichtväter allerley Nebengeschäfte trieben, unter welchen die Stiftung unglücklicher übelgewählter Heyrathen nicht das geringste war; von ihnen schreibt sich wahrscheinlich noch das Sprüchwort her, daß Ehen im Himmel geschlossen werden, denn sie pflegten sich desselben allezeit bey den Bündnissen, die sie für gut hielten, zu bedienen. Ihre Geschicklichkeit übertraf alles, was die heutigen Heyrathsstifter verstehen, und was sie wollten, mußte ein Paar werden, es mochten sich auch die größten Hindernisse in den Weg legen. Pater Bonifax, Fräulein Katarinens Beichtiger, übte hier seine Gewalt unumschränkt aus, sie ward Frau von Senden, und das übrige blieb der Fügung des Himmels überlassen.[148]

Der Graf von Unna hatte binnen der Zeit von einem Jahre, welche Katarine aus Furcht vor dem Kloster in seinem Hause zubrachte, Muse genug gehabt, ihre böse Seite kennen zu lernen, die Kenntniß ihres Charakters befestigte das Urtheil, das er von ihrem ganzen Hause zu fällen pflegte, und er gönnte ihr die Hand des redlichen Ulrichs sehr ungern; aber was war zu thun, die Ehe war einmahl im Himmel geschlossen, und auch er mußte einwilligen. Leser, du kannst dir keine Vorstellung von der Gewalt machen, welche die Mönche in jenen unseeligen Zeiten auch über die besten aufgeklärtesten Seelen auszuüben wußten.

Mit recht zähle ich den alten Grafen von Unna unter einen der hellsten Köpfe seiner Zeit, wir haben sein Urtheil über die heimlichen Gerichte gehört, welches ohnstreitig ehe ins achtzehnte als in das funfzehnte Jahrhundert gehörte, dessen ohngeachtet fehlte es ihm nicht an Schwachheiten und Vorurtheilen. Sein unüberwindlicher Haß gegen die Herrn von Unna, seine Vettern, gehörte mit unter dieselben, er war in diesem Stück so hartnäckig, daß alles, was Herrmann zum Besten seiner Geschwister sagen konnte, übel aufgenommen ward, und leicht zu seinem eigenen Nachtheil hätte gereichen können.

Ulrich bat ihn in der Stille, einzulenken, und die Sache nicht zu weit zu treiben, du weißt[149] nicht, sagte er, wie nahe es dir schon war, daß du für den kleinen Anschein von gutem Verständniß zwischen dir und deinen Geschwistern, bey deinem ehrwürdigen Oheim hättest leiden müssen. Seine Worte: Es sey dir ein ganz anderer Empfang bestimmt gewesen, den nur ich verhindert hätte, die du ganz verkehrt auslegtest, waren nur allzuwahr. Der Graf, der dich immer geliebt hatte, ohne dich zu kennen, weil du mit seinen verhaßten Vettern in Uneinigkeit lebtest, der dir blos aus diesem Grunde alle Gnade erzeigt haben würde, war aufs äußerste wider dich aufgebracht, als er erfuhr, du wärest zu ihnen gereist, hättest sie ehe gesprochen als ihn, würdest von ihnen geliebt und mit Lustbarkeiten beehrt. Es kostete mir Mühe, die Vorurtheile, die er wider dich gefaßt hatte, zu tilgen, und es zu verhüten, daß du nicht so wie beschlossen war, ungehört von seiner Thür gewiesen wurdest.

Herrmann erkannte die neuen Verbindlichkeiten, die er Ulrichen hatte, und seufzte, daß auch die besten Charaktere nicht ohne Flecken sind. – Er hielt es in die Länge für schwer sich in die kleinen Eigenheiten des guten Geistes zu fügen und sah es nicht ungern, daß der Tag seiner heimlichen Abreise angesetzt war.

Herrmann hatte den Wunsch geäußert, nach Venedig zu den deutschen Rittern zu gehen, welche[150] damals eben einen Zug wider die Türken vorhatten, und der alte Graf hatte sich demselben nur darum widersetzt, weil er fürchtete, der geliebte Herrmann möchte daselbst seinen Bruder Johann von Unna antreffen, und dadurch in neue Verbindung mit dem ihm verhaßten Hause gerathen. Herrmann wußte, daß dieser Bruder, einer der geliebtesten unter seinen Geschwistern, den deutschen Orden trug, und konnte es sich nicht leugnen, daß der Wunsch ihn zu finden, ihn besonders nach Venedig zog, aber der kluge Ulrich beredete ihn, sich über diesen Punkt nie gegen den eigensinnigen Greis zu erklären, und auf diese Art geschah es, daß der alte Graf in alles willigte, was sein junger Vetter wünschte, und ihn zum Zuge wider die Türken so stattlich ausrüstete, als vielleicht noch kein Herr von Unna ausgerüstet worden ist.

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 145-151.
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Herrmann von Unna
Herrmann von Unna: Eine Geschichte aus den Zeiten der Vehmgerichte. Band 1 bis 3 in einer Transkription von Sylvia Kolbe

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