Neunzehntes Kapitel.

[164] Der Bericht, welchen der Anführer von Herzog Albrechts Leuten, Herrmann von den bisherigen Schicksalen seiner Geliebten gegeben hatte, war vollkommen richtig, aber er hatte seine Lücken, und unsere Leser werden uns erlauben, dieselbigen auszufüllen.

Das Gerücht von dem wiederaufblühenden Glück der geliebten Sophie war ihrer Freundinn Ida an den österreichischen Gränzen entgegen gekommen, und das Verlangen Theil an dem Triumph der wiedereingesetzten Königinn zu nehmen, hatte die Gräfinn bewogen, den Reiseplan, den ihr Herzog Albrecht aus weisen Ursachen vorgeschrieben hatte, zu ändern, und sich auf den Weg nach Prag zu machen.

Sie trat in dem Hause ab, das sie noch immer so gern die Wohnung ihres Vaters nannte, und wer kann das Entzücken beschreiben, das ihre Erscheinung daselbst anrichtete! Die gutherzige Münsterinn dachte vor Freude zu sterben, ihre Ida[164] als Gräfinn von Würtemberg und doch noch immer so zärtlich, so kindlich gegen sie gesinnt wie zuvor, wieder zu erblicken. Fast leblos vor Wonne lag sie in den Armen ihrer Tochter, wie die Gräfinn sich noch immer von ihr wollte nennen hören; Idas Thränen flossen in die ihrigen, Thränen der Liebe, des Danks, und mancher frohen und wehmüthigen Erinnerung.

Wo ist mein Vater? rief die Gräfinn, als Thränen und Liebkosungen ihr Zeit zu einer Frage ließen. Die Münsterinn, ohne zu zweifeln wer mit dieser zärtlichen Benennung gemeynt sey, schickte eine treue Magd nach der Matthäuskirche, wo Münster die Aufsicht über den Bau des Hochaltars führte, um ihn abzurufen, ohne die Ursach seiner Abforderung zu melden, aber sie eilte zu Ida zurück, von der sie sich ungern einen Augenblick trennte. Sie saßen neben einander. Mariens Hand ruhte in dem Schoße ihrer Pflegetochter und ward von der Ihrigen festgehalten. Idas Arm umschlang den Nacken ihrer Mutter, ihre Augen waren mit dem Ausdruck unbeschreiblicher Zärtlichkeit auf sie gerichtet, nur wenig Worte wurden gewechselt, aber Thränen und Blicke vertraten die Stelle.

So fand sie der alte Münster. Ida stand auf ihn in ihre Arme zu schließen. Die Scene der sprachlosen Zärtlichkeit erneuerte sich, und erst[165] spät in die Nacht hub jene süße vertrauliche Unterhaltung zwischen den glücklichen Dreyen an, die jeder meiner Leser sich malen kann, welcher Jahre lang von seinen Lieben getrennt war, entfernt von ihnen tausenderley Glück und Unglück erfuhr, das er ihnen nun beym Wiedersehen gern auf einmal vor Augen legen, auch ihre Schicksale hören, und alles alles nachholen möchte, was er bisher versäumen mußte. Das Verlangen, den redlichen Münster und seine Gattinn zu sehen, war vielleicht die Hauptursache der Reise nach Prag, aber nicht die einzige gewesen. Auch Sophie war ein Gegenstand von Idas Sehnsucht. Aber wie sollte sie vor ihr erscheinen? – Sie war in einer Verfassung, welche es ihr verbot, sich öffentlich bey Hofe zu zeigen. – Münster, der seiner Königinn bekannt war und von ihr geschätzt wurde, übernahm das Geschäft, ihr die Anwesenheit der Gräfinn von Würtemberg und ihre Wünsche zu melden. Sophie kam denselben entgegen; sie erklärte sich, sie wolle zu besserer Geheimhaltung der Gegenwart ihrer Freundinn sie nie anders als in dem Hause ihrer Eltern sehen, und diesen Abend sie in Begleitung einer einigen Dame besuchen.

Sophiens sanfter milder Charakter war durch langes Leiden noch mehr veredelt worden. Das Unglück hatte allen Stolz in ihr getilgt, sie hatte[166] zu sehr erfahren, wie ein zufälliges vorübergehendes Gut die Krone sey, als daß sie jetzt, da sie sie von neuem trug, an den kleinen armseligen Ceremoniel hätte hängen sollen, das mit derselben verbunden war. Sie hielt sich nicht für zu erhaben, die Wohnung eines geringen Bürgers zu besuchen. Freundschaft führte sie in Münsters Haus, so wie sie Mildthätigkeit und Menschenliebe oft in noch weit niedrigere Hütten führten. Ida lag in Sophiens Armen, Thränen der Freude strömten aus beyder Augen, aller Unterschied des Standes war vergessen, die Königinn fühlte das Glück eine wahre Freundinn an ihren Busen zu drücken so lebhaft, daß ich glaube, sie hätte sich mit gleicher Herablassung betragen, wenn die, welche sie liebte, auch nicht die Gräfinn von Würtemberg, wenn sie blos Ida Münsterinn gewesen wär.

Vertrauliche Gespräche gingen von Mund zu Mund. Sophie erzählte die lange Geschichte ihres Leidens, und beschloß sie mit der traurigen Bemerkung, wie wenig der Urheber derselben, ihr Gemahl, durch das, was er auch gelitten hatte, gebessert sey. Der einige Gewinst, den sie von den Trübsalen hatte, die ihr an seiner Seite zu Theil wurden, war etwas mehr Liebe und Achtung als sie im Anfange ihrer Ehe von ihm genoß. Wenzel hätte noch weniger Mensch seyn müssen als er war, wenn nicht seine treue Leidensgefährtinn, seine[167] Freundinn, seine Trösterinn, eine Art von Dankbarkeit in seinem Herzen hätte erregen sollen.

Das Gerücht sagte, wie wir bereits gehört haben, von Sophien, sie sey durch ihre Leiden andächtig geworden, und wir können ihm nicht ganz widersprechen. Sophie war andächtig, war vielmehr ernst, aber nicht das, was man bigott nennt. Wem sind die Geschichten des Märtyrers der Wahrheit, des redlichen Johann Huß nicht bekannt? Er fing in den damaligen Zeiten an zuerst aufzutreten; seine Reden waren ganz anders als die der Pharisäer und Schriftgelehrten seiner Zeit. Die Königinn liebte ihn und hörte ihn gern. Die Aufmerksamkeit des Erzbischofs verhinderte, daß sie hierinn nicht allemahl so handeln konnte wie sie wollte, aber der geheime Umgang mit Ida machte, daß sie anfing unter der Decke der Verborgenheit sich auch hierinn mehr zu erlauben als zuvor.

Im schlechten bürgerlichen Gewande, oft ohne alle Begleitung, oft zu Fuß, besuchte die Königinn ihre Freundinn, und beyde traten denn den Weg nach der Matthäuskirche an, wo der Prediger der Wahrheit sich hören ließ. Sophie war in ihrer geringen Tracht nicht so von ihrer Hoheit entkleidet, daß man sie nicht hätte kennen sollen, sie und die schöne Fremde, welche man immer an ihrer Seite sah, erregten Aufmerksamkeit; die Prager[168] Bürgerinnen freuten sich ihre Königinn bey ihren Andachtsübungen mitten unter sich zu haben. Hussens Beyfall vermehrte sich, vornehmlich bey dem weiblichen Geschlecht. Mehrere Damen von Stande machten sich es zur Ehre, ohne allen Schmuck, gleich den ersten Bekennerinnen des Christenthums, in seinen Predigten zu erscheinen, und die Geistlichkeit schrie mit tausend Zungen über den Unfug.

Münsters geschickte Hand hatte bey Ausschmückung der Kirche, wo Huß predigte, ein Meisterstück geliefert, welches aber so beschaffen war, daß nur wenige es sehen durften, und daß es daher in einer abgelegenen Halle verschlossen ward. Verschiedene Gruppen der herrlichsten Bildsäulen, die Italiens Schüler Ehre machten, stellten hier den großen Stifter des Christenthums in den heiligsten Stunden seines Lebens, und auf der andern Seite den Bischoff von Rom mit aller Pracht der Könige umgeben, im Gefolg seiner Kardinäle vor. Welch ein Gegensatz! – Ida beredete ihren Vater es der Königinn zu zeigen. Sophie war entzückt ein Bild wirklich vor Augen zu sehen, das Huß so oft in seinen Reden mit ziemlich kühnen Worten entwarf. Ein künstlicher Mahler mußte dies Meisterstück im Kleinen nachbilden, und die Königinn gab ihm einen Platz in ihrem geheimen Betzimmer. Huß[169] fuhr fort, auf die Sitten der damaligen Geistlichkeit zu schmähen, er spielte oft auf Münsters herrliche Arbeit an, mehrere Personen bekamen sie zu sehen, mehrere ließen sie nach Sophiens Beyspiel nachbilden, und dieses Stück ward bald die öffentliche Zierde der Speisesäle und Betzimmer in unterschiedlichen Privathäusern. Wuth und Rache kochte in dem Herzen der Geistlichkeit, alle sahen auf die Königinn und nannten sie die Ernährerinn dieses Unfugs, aber sie saß zu hoch um sich an ihr zu rächen, und man fand es bequem, ihre Freundinn Ida für ihre Verführerinn zu halten, und die Sache auf sie zu kehren. Huß ward indessen immer öffentlicher angefochten, es kam zu einem Reichsstreit, welcher, weil die Bestechbarkeit Wenzels bekannt war, ihm sehr ansehnliche Geschenke eintrug. Wenzel war nicht undankbar; er sah Hussen als den14 ersten Urheber dieses Zuflusses in seinen Schatz an, und machte ihn zu seinem Beichtvater. Die beyden schönen Ketzerinnen Ida und Sophie wurden kühner, und auf diese Art geschah es, daß Ida, als sie einst die Reden ihres Lieblingslehrers allein besucht hatte, sich in den Händen des Erzbischofs Subinko befand, ehe es ihr nur einfiel, Gefahr zu ahnden.[170]

Ida ging in tiefen Gedanken nach Hause, als sie in die Gewalt ihrer Verfolger gerieth, sie hatte ein Privatgespräch mit Huß gehabt, welches ihre ganze Seele einnahm. Huß war kein Prophet, aber der große Einfluß, den er überall hatte, sein gewaltiger Anhang durch das ganze teutsche Reich machte, daß ihm Dinge bekannt wurden, welche andern verborgen blieben. Er kannte Ida als die Gräfinn von Würtemberg, er wußte Graf Eberhards Unglück und hatte ihr diesen Abend gesagt, sie solle auf Rettung für den denken, welcher ihr auf der Welt am liebsten wär, und der von seinen Feinden zu Regensburg gefangen gehalten würde. Der fromme Mann glaubte sehr deutlich geredet zu haben; er wußte nicht, daß ein schönes Mädchen wohl einen Mann kennen könne, der ihr so lieb als ihr Vater, und daß sie bey einer solchen Rede zweifelhaft werden müsse, welcher von beyden gemeynt sey.

In den Zweifeln, welche hierüber ihr Herz bestürmten und in dem Vorsatz, den heiligen Mann des andern Tages genauer zu fragen, ging sie vor sich hin und sahe die Gewappneten, welche sich ihr entgegen stellten, ohne Furcht, merkte erst dann, daß sie um ihrentwillen hier wären, da das Schreyen um Hülfe schon zu spät war.

Sie ward vor den Erzbischoff geführt, hörte eine ernste Vorhaltung ihrer Ketzerey und das Urtheil,[171] sie solle nach Ungarn in ein Kloster gebracht werden, mit ziemlicher Gleichgültigkeit an. Nur die Sorge ihrer Freunde um sie machte ihr einigen Kummer, der sich sehr vermehrte, als es ihr einfiel, daß es ihr nunmehr unmöglich seyn würde, etwas zu Rettung desjenigen zu thun, von dessen Gefahr ihr einige Winke gegeben worden waren.

Doch auch hieraus wußte sie sich zu helfen. Ein kostbarer Ring bestach einen von ihrer Wache, brachte den Brief, den wir oben erwähnt haben, in Sophiens Hände, und machte Herrmannen zum Retter ihres Vaters. – Sie hofte das, was wirklich erfolgte, die Ausrichtung ihres unbestimmten Auftrags, und trat ihre Reise mit doppelter Ruhe an, weil sie sie an einen Ort führte, an welchen sie ohnedem gedacht hatte.

Sie fürchtete sich nicht vor ewiger Einkerkerung an dem Orte, wohin man sie bringen wollte, sie hatte keinen Begriff davon, daß man eine Person, welche eigentlich nichts verbrochen hatte, so hart strafen könne, sie hofte in ihrem künftigen Aufenthalte immer einer gewisseren Freyheit zu genießen und vielleicht daselbst ihre Geschäfte eben so gut ausrichten zu können, als wenn sie unter Herzog Albrechts Schutz nach Ungarn gekommen wär; wer kennt nicht die Hofnungen der unerfahrnen Unschuld! Ida wußte ja wenigstens dies,[172] daß sie sich hier nicht unter der Gewalt des heimlichen Gerichts (für sie das einige Schreckliche in der Welt) befand. –

Wir finden es schicklich unsere Leser hier von den Aufträgen zu unterrichten, welche der Herzog von Oesterreich seiner Freundinn bey ihrer ersten Abreise aus Nürnberg gab. Sie betrafen die unglückliche Königinn Marie von Ungarn, König Siegmunds erste Gemahlinn, welche man bisher für tod gehalten hatte, und von deren Leben Herzog Albrecht durch Herrmannen einst einige Winke bekam. Der jungen Prinzessin Elisabeth von dem Leben ihrer Mutter Nachricht zu geben, mit ihr vereint sich zu bemühen das Kloster ausfindig zu machen, in welchem die Königinn Marie lebte, dieses war das hauptsächlichste, was Albrecht von der Gräfinn von Würtemberg in jenen Stunden des Abschieds forderte. Er legte ihr Plane vor, nach welchen sie bey diesen Nachforschungen zu Werke gehen sollte, und wir haben schon damahls bemerkt, daß sie ihr schwer auszuführen dünkten. Ihr war es lieber, nicht an dieselben gebunden zu seyn, und bey Betreibung dessen, was ihr selbst am Herzen lag, so handeln zu können, wie es Zufall und Gelegenheit gab. Auch hielt sie es für grausam, einer unglücklichen Tochter mit dem Leben ihrer Mutter zu schmeicheln, ehe man wüßte, ob man ihr das, was man versprach, würde wahr machen[173] können, eine mit kindlicher Liebe erfüllte Seele in Ungewißheit wegen des Schicksals der Urheberinn ihres Daseyns zu setzen, ohne im Stande zu seyn, ihre Unruhen heben zu können. Ida kannte die Qualen kindlicher Besorgnisse und aus diesen und ähnlichen Gründen war es ihr in manchen Augenblicken fast lieber, daß sie nicht auf die Art nach Ungarn kam, wie anfangs beschlossen war.

Sie hatte sich bey dem Erzbischoffe, als er ihr ihr Urtheil sprach, die Freyheit ausbedungen, den Ort, den man ihr zum Aufenthalt bestimmte, wenn er ihr misfiel, mit einem andern Kloster verwechseln zu können, und er hatte kein Bedenken getragen ein Versprechen zu geben, das er ja jeden Augenblick zurück nehmen konnte. Dieses waren die festen Stützen, auf welchen die Hoffnung der armen Ida ruhte. Sie glaubte auf diese Art unterschiedliche Klöster durchlaufen zu können, ohne daß jemand etwas muthmassen, ohne daß man ihr irgend etwas vorwerfen könne, als allenfalls ein wenig Unbeständigkeit. Hätte sie dann diejenige gefunden, die sie suchte, so sollte eine Bothschaft der Prinzessinn Elisabeth das Leben und den Aufenthalt ihrer Mutter kund thun, Herzog Albrecht und seine Verlobte würden dann, wie sie meynte, herbeyeilen, die Gefundene und die Finderinn frey zu machen, und – und man würde glücklich seyn.[174]

Quelle:
Benedikte Naubert: Herrmann von Unna. Theile 1–2, Teil 2, Leipzig 1788, S. 164-175.
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