4.


Beiträge zur Charlatanerie in Polen.

Nahe bei Cracau befindet sich ein Bauer, welchen ich als eine der sonderbarsten Erscheinungen im Reiche der Arzneikunde anrühmen darf; welcher auch wegen der Neuheit seiner Art von Kenntniß nicht weniger Zulauf hat, als ehemals[16] der gutmüthige, launichte Michael Schuppach in Langenau, oder der finstere, grobe Monddoctor in Berlin. Dieser Pole empfängt seine Kranken oder ihre Abgesandten eben so stumm, als ein Fisch. Er befragt sie weder um Geschlecht, Alter, Gewohnheit, Beschaffenheit der Krankheit, noch um andre Umstände, die gewöhnlichen Aerzten zu wissen nöthig scheinen; auch den Urin beguckt er nicht. Der Wundermann verachtet das alles; nur das Hemde des Kranken muß ihm vorgewiesen werden. Dieses beriecht er sehr bedächtlich, und giebt alsdann seine Orakelsprüche. Seine Mittel bestehen unveränderlich in einem Decoct von Graswurzeln, in einem Bade, wozu er klein gehacktes Stroh und Gamomillen giebt, und endlich in einem Geschmiere, welches er Balsam nennt, und aus Butter, Bier, Essig und Leinöl zusammengesetzt ist. Für die Consultation sowohl, als für die Mittel bezahlt man zwölf polnische Gulden oder zwei Reichsthaler, und so fertigt er die Krankenboten mit der beschniffelten sehwarzen Wäsche wieder nach Hause ab. Ich hätte sehr gewünsch, diese, so viel mir bewußt ist, in ihrer Art einzige Charlatanerie genau untersuchen, oder wenigstens ihre Entstehung ergründen zu können; aber so dumm das Aeußerliche dieses Bauers scheint: so ist er doch schlau genug, sich mit Niemanden über die Grundsätze seiner Kunst einzulassen; und sobald eine zudringliche und, seinem Bedünken nach, naseweise Frage an ihn geschieht, fertigt er die[17] Neugierigen damit ab, daß die Vorsehung ihre Wundergaben nach ihrer Willkür ausspende, und daß es auf der Erde eine Menge Dinge gebe, die nicht jedermann zu fassen fähig sei. Dieses war nun freilich ein Argumentum ad hominem; nur zerbrach ich mir umsonst den Kopf, um zu ergründen, wie in aller Welt unser erzdumme Bauer zu Hamlets Lieblingssittenspruch möchte gekommen sein.


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Ein Barbier dieses Landes verdient auch hier, seiner besondern Studien und Praxis wegen, einen Platz. Dieser Mann, der ehemals ein Fuhrknecht war, setzte sich in den Kopf, ein Wundarzt zu werden. Um von der Pike auf zu dienen, rasirte, schröpfte und klystirte er so lange, bis er so viele Baarschaft zusammengescharrt hatte, um ein Jahr lang eine auswärtige Akademie besuchen zu können. Es erhellt aus den Quittungen, die er auf Begehren eines jeden, etwas ungläubigen, vorzulegen keine Schwierigkeit machte, daß er folgende Collegia dort gehört habe: Geometrie und Latein, Anatomie und Forstwissenschaft, Physiologie und Oekonomie, Chemie und Logik, Naturhistorie und Metaphysik, Botanik und Astronomie, Pathologie und Hydraulik, Klinik und Mathematik, Chirurgie und Fechten, Bandagenlehre und Tanzen, Accouchement und Reiten,[18] und zum Beschluß ein Privatissimum über venerische Krankheiten und die französische Sprache. Sie glauben vielleicht, dieses sei Satire; aber es ist gewiß Thatsache, und kann auf alle Fälle diplomatisch belegt werden. So schwer mit Wissenschaften beladen kehrte unser Polyhistor zurück, und trommelte sich selbst zum Wundermann aus. Seine Operationen waren alle in der Manier der größten Lichter der Chirurgie. So richtete er z.B. heute einen gebrochenen Fuß a la Pott ein; morgen amputirte er denselben a la Alanson; nur Schade, daß der Patient eine halbe Stunde nach der unglücklichen Operation a la *** starb.

Champagner Wein empfiehlt unser Wundermann, wegen der darin enthaltenen fixen Luft, ganz besonders bei venerischen Krankheiten und Krebsschäden. Seine Recepte übertreffen alles, was je die beiden großen Aerzte, Baldinger und Tode, gesammlet und bekannt gemacht haben.


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Vor einigen Jahren kam ein Bauer hieher. Dieser war ein zweiter Tisserant: er machte Mirakel und für sich, noch mehr, Geld! Unter andern seiner Wundercuren war eine skirrhöse Brust. Rings um diese legte er ein Aetzmittel; die Brust fiel ab, und, siehe da! es war eine lebendige Schildkröte unter ihr. Lachen Sie nicht! die Sache wurde in vollem Ernste ausgesprochen, und[19] Sie werden Leute, die sonst gewiß nicht dumm sind, zu Hunderten antreffen, die die Wahrheit dieser Geschichte eidlich bekräftigen werden. – Allein die Frau starb, und dieser mein Schildkrötenarzt mußte seine häufigen Contribuenten und die Stadt verlassen. Dieser Kerl war ehedem Knecht bei einem Wundarzt in Preußen.


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Die Verachtung und der Abscheu, welche man bei den meisten Völkern gegen die Scharfrichter hegt, sind auch in Polen allgemein; und doch findet der Glaube an die medicinische Wunderkraft der Scharfrichter sich hier eben so häufig, als man in einigen Gegenden Deutschlands und der Schweiz beobachtet. Hier sind sie im Besitz besonderer Mittel. Sie curiren hauptsächlich Beinbrüche und Laxationen, und legen sich stark auf das Prophezeihen aus dem Urin. Hundefett ist ihr Universalmittel.


In Cracau verdient sich der Scharfrichter bei dem Enthaupten ein ansehnliches Stück Geld.

Es herrscht dort noch immer der unsinnige Wahn, daß die fallende Sucht durch das getrunkene warme Blut eines Hingerichteten gehoben werden könne. Kaum ist der Kopf von dem Rumpfe eines Delinquenten herunter geflogen: so wird dieser umgestürzt, das Blut in ein Trinkgefäß[20] aufgefaßt, und so, schäumend und sprudelnd, dem nahe stehenden Patienten eingegossen. Das erste Glas voll ist das theuerste; die übrigen vermindern sich der Folge nach im Preise. So wie dieses Getränk hinunter gestürzt ist: so jagt ein mit einer Peitsche bewaffneter Henkersknecht mit dem Kranken im vollen Laufe davon, um den Umlauf dieses Mittels zu bewerkstelligen, bis der Elende aus Mattigkeit dahin stürzt. Noch ist es allerdings sonderbar, daß die Scharfrichter bei dieser Operation nach einem festgesetzten Tarif zu Werke gehen. Judenblut kostet weniger, als Christenblut; das vorzüglichste oder theuerste ist das Blut einer Jungfrau oder eines Junggesellen.


S. De la Fontaine chirurgisch-medicinische Abhandlungen, Polen betreffend, S. 186.

Quelle:
[Nebel, Ernst Ludwig Wilhelm:] Medicinisches Vademecum für lustige Aerzte und lustige Kranken [...] Theil 1–4, Frankfurt, Leipzig 1795 (Bd. 1), 1796 (Bd. 2); Berlin, Leipzig 1797 (Bd. 3); Berlin, Leipzig 1798 (Bd. 4), S. 16-21.
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