Achtzehnte Szene

[50] 1.2.3.4.

(Bühne frei)FadTrübSchlankel,

Felix, Guido, Robert,

Edmund,

Hutzibutz


Phlegmatisch.


FAD allein, kommt schmauchend aus der Seitentüre. Edmund! Edmund! – Is richtig schon wieder fort! Das is doch schrecklich mit dem Buben – hat halt ganz das unruhige Blut von sein' Vatern – muß immer auf den Füßen sein wie ich. Setzt sich.


[50] Melancholisch.


TRÜB allein, aus der Seitentüre kommend. Guido! – Er ist nicht hier! – Er flieht mich – der Sohn flieht seinen Vater in der ersten Stunde des Wiedersehens –? Ich weiß es, für mich gibt es nur eine Freude – die wehmütige Erinnerung an die Unvergeßliche. Setzt sich zum Bilde und fängt später daran zu malen an.


Sanguinisch.


SCHLANKEL zur Mitte eintretend. Die Liebhaber sind im Kaffeehaus drüben und stecken die Köpf' zusammen wie die Schaf', wenn's donnert; es muß schon über jeden das Ungewitter der Eifersucht losgebrochen sein, aber was nutzt das? Auf so ein Donnerwetter folgt ein Regenguß von weiblichen Tränen, ein Sturm von männlichen Beteuerungen, die Wolken des Argwohns werden zerstreut, und die Sonne der Liebe tritt wieder hervor im vollsten Glanz, noch schöner, als wenn 's Donnerwetter gar nicht gewesen wär'. Das wär' g'fehlt! Was hätt' denn ich da erzweckt? Nichts als einige Trinkgelder, auf die, wenn die Liebhaber ins klare kommen, noch immer ein bedeutender numerus retardatus von Prügeln folgen kann. Nix da! Rache ist mein Gewerbe! Rache an Hutzibutz! Die müssen zuschanden werden, die auf den Beistand des Kleiderputzers bauen, ich stürz' ihr Glück in den Staub, daß er's g'wiß nicht mehr ausbürsten kann. Man hört vor der Türe Geräusch. Sie kommen daher, jetzt werden wir gleich hören, wie die Angelegenheiten stehn. Verbirgt sich unter dem Tisch.


Felix, Guido, Robert und Edmund treten zur Mitte ein.


FELIX. Nur so kann's gehen. Hier gilt's einen raschen Entschluß. Einen Geniestreich ausgeführt und die Braut heimgeführt, so heißt die Losung.

GUIDO. Ja, wenn aber –

ROBERT. Geh in die Hölle mit deinem Aber! Du und Edmund, ihr beide seid keines kühnen Gedankens fähig.[51]

EDMUND. Aber was hast du denn immer mit mir? Ich tue ja alles, was du willst.

FELIX. Unsere Mädchen davon in Kenntnis zu setzen ist jetzt das erste; sie sprechen ist nicht ratsam, denn wir haben jeder die interessante Eigenschaft, dem Vater der Geliebten verhaßt zu sein, also muß zum schriftlichen Verfahren geschritten werden. Ordnet Papier auf dem Tische.

GUIDO. Bei meinem dezidierten Unglück muß die Sache noch eine schreckliche Wendung nehmen.

ROBERT zu Guido. Sag' mir nur, was hat denn dich schon für ein Unglück getroffen?

GUIDO. Keines – aber ich habe Ahnungen, fürchterliche Ahnungen, welche noch eintreffen müssen.

ROBERT. Ich habe auch eine Ahnung, und die ist schon eingetroffen.

GUIDO. Welche?

ROBERT. Daß du ein Narr bist.

FELIX. Also hurtig, die Feder zur Hand, sämtliche Requisiten sind bereit.

EDMUND. Ich tue alles und warte ruhig den Ausgang ab.


Alle viere setzen sich zum Tisch und schreiben und sprechen während dem Schreiben das folgende.


ROBERT. Den Wagen besorge ich.

FELIX. Gut.

GUIDO. Und wohin geht die gefährliche Fahrt?

FELIX. Nach Zittendorf.

SCHLANKEL für sich, vorne unter dem Tischteppich hervorsehend und ein Blatt Papier aus der Tasche ziehend. Die wichtigsten Punkte muß ich mir mit Bleistift notieren. Auf dem Boden schreibend. Also nach Zittendorf.

FELIX. Zittendorf liegt zwei Stunden über der Grenze; mein ehemaliger Hofmeister ist Amtmann dort.

SCHLANKEL für sich. Aha, 's is aufs Durchgehn abg'sehn.[52]

FELIX. Bis Abend sind wir wieder zurück, um jeder dem Vater seiner Geliebten ein Märchen von heimlicher Trauung aufzubinden; 's gibt dann einen Sturm, doch ist der vorüber und die Nolens-volens- Einwilligung erhalten, dann gestehen wir die List, fallen noch einmal zu Füßen, erhalten Verzeihung, Segen, stehen auf, wechselseitige Umarmung zwischen Tochter, Vater, Braut, Bräutigam, Schwiegervater; Bouteillen in die Luft geknallt, Gesundheit getrunken, Vivat geschrien, 's wird gelacht, geküßt, gescherzt, und so beschließen wir den Tag als die vier glücklichsten Paare der Stadt.

SCHLANKEL für sich. Ich bin keine verliebte Köchin, aber diese Suppen werd' ich versalzen.

GUIDO. Ich sehe Unglück über unsern Häuptern schweben.

SCHLANKEL für sich. Anpumpt! 's Unglück liegt bei eure Füß'.

ROBERT. Halt 's Maul, du Rabe, der nichts als Unheil krächzt! Stampft unwillig mit dem Fuße; zu Edmund, welcher neben ihm sitzt. Verzeih, ich hab' dich auf den Fuß getreten.

SCHLANKEL für sich. Nein, 's war meine Hand.

EDMUND. Ich hab' nichts gespürt.

SCHLANKEL. Ich glaub's, aber ich! Alle viere schreiben fort.


Phlegmatisch.


FAD. Ob mein Sohn was gelernt hat in die drei Jahr'? Wenn er nix g'lernt hat, liegt auch nix dran, viel Wissen macht Kopfweh, und ich hab' zwar in meinem Leben nicht Kopfweh g'habt, 's muß aber ein sehr unangenehmer Zustand sein.


Sanguinisch.


HUTZIBUTZ tritt zur Mitte ein, die vier Liebhaber betrachtend. Wie sie da beisammen sitzen und schreiben! Das is halt schön, wenn die Knaben so fleißig sein, da können d' Eltern a Freud' haben.[53]

FELIX. Ah, Hutzibutz, gut, daß du da bist, du mußt vier Briefe bestellen.

GUIDO. Könnte nicht jeder von uns seiner Schwester das betreffende Billett einhändigen?

FELIX. Nichts da, wir müssen gleich fort, wir haben noch Anordnungen genug außer dem Hause zu treffen, und für was bezahlen wir ihn denn? Zu Hutzibutz. Und du, besieh die Adressen genau, daß du nicht etwa die Briefe verwechselst, 's ist schon einmal geschehn.

HUTZIBUTZ halb für sich. Das wäre auch noch kein Unglück; 's wird schier in ein' jeden 's nämliche drin stehn. Liebesbriefe zu schreiben, das könnt' überhaupt ganz abkommen, und ein Lithograph machet da ein prächtiges G'schäft dabei; man brauchet ja nur vier Formular': eins mit einer Liebeserklärung, eins mit einer Eifersucht, eins mit einer Versöhnung und Bestellung, und eins mit einem gänzlichen Bruch. Wenn man das so 'druckter zu kaufen krieget als wie die Trattawechseln, so brauchet man nur immer Namen und Datum auszufüllen, und die verliebte Welt wäre versorgt auf ewige Zeiten. Die vier Liebhaber haben die Briefe zusammengelegt.

FELIX. Jetzt seh' ich erst, keine Oblaten sind da, tut nichts. Vor ihm Auf Hutzibutz zeigend. ist ja die Sache kein Geheimnis.

ROBERT. So, alles ist fertig. Zu Hutzibutz. Mache schnell! Die vier Liebhaber geben ihm jeder den Brief.

HUTZIBUTZ. Unter anderm, wissen Sie schon von dem neuen Feind, den wir erst kriegt haben?

ALLE VIER. Einen Feind –?

HUTZIBUTZ. Den Balbierer Schlankel, dem ist meine Pfiffigkeit ein Dorn im Aug', drum tut er mir in Ihren Angelegenheiten alles zu Fleiß.

FELIX. Am Ende hat der uns bei unseren Geliebten das böse Spiel bereitet.

GUIDO UND EDMUND. Kein Zweifel!

ROBERT aufspringend. Her mit ihm, daß ich ihn zertrete, zermalme, zerreiße![54]

SCHLANKEL unter dem Tische, für sich. Meine Situation fängt an, bedenklich zu werden.

ROBERT wütend. Hutzibutz, schaff' mir ihn her, sogleich, die größte Tracht Prügel, die je auf dieser Erde ausgeteilt wurde, soll er von mir erhalten –


Melancholisch.


TRÜB im Anblick des Bildes versunken. O süße Erinnerung, du stürmst zu mächtig auf mich ein, mein Herz vergeht in Wehmut.


Sanguinisch.


ROBERT. Schaff' ihn mir, sechs Dukaten sind dein Lohn.

SCHLANKEL unter dem Tisch, für sich. Man setzt einen Preis auf meinen Buckel.

FELIX. Die Rachegedanken sind jetzt zur Unzeit, die Ausführung unseres Planes muß uns das erste sein. Kommt nun mit mir – halt – wo ist denn –? In den Taschen suchend. Meine Brieftasche mit Irenens Porträt habe ich verloren.

HUTZIBUTZ. Sie wird Ihnen beim Schreiben untern Tisch g'fallen sein. Geht zum Tisch und will suchen.

EDMUND. Du hast sie mir ja auf der letzten Station zum Aufheben gegeben; hier ist sie.

FELIX. Richtig!

ROBERT. Also ans Werk!

EDMUND. Wo hab' ich denn meine Handschuhe? Sucht in den Taschen.

HUTZIBUTZ. Sie werden unterm Tisch liegen.

EDMUND. Suche sie! Hutzibutz geht zum Tisch und will suchen. Ich hab' sie schon.

HUTZIBUTZ. So? Ich such' alles, was verlorengeht, unterm Tisch, denn man glaubt nicht, was oft alles unter ein' Tisch liegt. Unter diesem Tisch zum Beispiel bin ich selber schon g'legen. Zu Guido. Es war damals ein Verdacht wegen Ihnen, daß ich Posten trag', der[55] alte Herr kommt nach Haus, und mir ist kein anderer Zufluchtsort übriggeblieben als dieser Tisch. Das hätten Sie sehen sollen! Da ist der Herr von Froh gestanden, da die Fräulein Marie, da 's Stubenmädel und ich bin so da unten g'legen, ich werd's Ihnen gleich zeigen. Will unter den Tisch kriechen.

FELIX. Nun ja, wir haben jetzt gerade Zeit, deine Erzählungen anzuhören! Zu seinen Freunden. Kommt! Alle vier zur Mitte ab.

HUTZIBUTZ allein. Die wollen's auch noch nicht recht glauben, daß ich einer der gescheitesten Kerle meines Zeitalters bin. Ich hab' eine Idee, über die sie staunen sollen und die diesen Schlankel zuschanden macht vor mir. Die Brief abgeben, das wär' jetzt eine leichte Sach', aber nein! In Gegenwart des Vaters und meines Feindes, des Balbierers, will ich den Mädeln die Brief überbringen und, wenn alles geglückt ist, dem Schlankel sagen: »Siehst du, das hab' ich getan, du Dalk, du!« Darin liegt ein unendlicher Triumph; das muß allgemeine Achtung erwecken vor meinem Rosimi. Wirklich, bei mir is's schad', daß mich das Schicksal nicht auf einen höhern Posten gestellt hat, denn ich bin nicht jung, ich bin nicht schön, ich bin nicht reich, ich bin bloß Verstandesmensch. Bei mir hat die Natur viel vernachlässigt, nur den Geist hat sie so musterhaft gebildet. Sonderbares Mißverhältnis, das! Zur Mitteltüre ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Gesammelte Werke. Ausgabe in sechs Bänden, Band 3, Wien 1962, S. 50-56.
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