Siebenzehnter Auftritt

[262] Flora. Titus mit schwarzer Haartour zur Mitte hereinstürzend.


TITUS. Is ein Unglück g'schehn? Oder kirrn Sie vielleicht jedesmal so, statt'm Hereinsagen?

FLORA sich mühsam fassend. Nein, bin ich erschrocken!

TITUS für sich. Seltenes Geschöpf, sie erschrickt, wenn einer anklopft, sonst ist den Frauenzimmern nur das schrecklich, wann keiner mehr anklopft.

FLORA. Der Herr wird sich drüber wundern, daß ich so schwache Nerven hab'?

TITUS. Wundern über das Allgemeine? Oh, nein! Die Nerven von Spinnengeweb', d' Herzen von Wachs und die Köpferl von Eisen, das is ja der Grundriß der weiblichen Struktur.

FLORA beiseite. Recht ein angenehmer Mensch, und die rabenschwarzen Haar'; – ich muß aber doch – Laut und in etwas strengem Ton. Wer is der Herr, und was will der Herr?

TITUS. Ich bitt', die Ehr' is meinerseits. Ich bin Ihr untertänigster Knecht und empfehl' mich.

FLORA nickt ihm erstaunt ein kurzes Adieu zu, weil sie glaubt, er will fort; als er stehen bleibt, sagt sie nach einer Pause. Na? – Diese Rede sagt man, wenn man fortgehn will.

TITUS. Ich aber sag' sie, weil ich dableib'n will. Sie brauchen ein'n Knecht, und als solchen empfehl' ich mich.

FLORA. Was? Der Herr is ein Knecht?

TITUS. Zur Gärtnerei verwendbar.

FLORA. Als Gehülfe?

TITUS. Ob Sie mich Gehülfe nennen, oder Gärtner – das is alles eins; selbst – ich setz' nur den Fall – wenn es mir als Gärtner gelingen sollte, Gefühle in Ihr Herz zu pflanzen – ich setz' nur den Fall – und Sie mich zum unbeschränkten Besitzer dieser Plantage ernennen sollten – ich setz' nur den Fall – selbst dann würde ich immer nur Ihr Knecht sein.

FLORA beiseite. Artig is der Mensch – aber – Laut. Seine Reden sind etwas kühn, etwas vorlaut.[262]

TITUS. Bitt' untertänig; wenn man sagt: »ich setz' nur den Fall«, da darf man alles sagen.

FLORA. Er ist also –?

TITUS. Ein exotisches Gewächs, nicht auf diesen Boden gepflanzt, durch die Umstände ausgerissen, und durch den Zufall in das freundliche Gartengeschirr Ihres Hauses versetzt, und hier, von der Sonne Ihrer Huld beschienen, hofft die zarte Pflanze Nahrung zu finden.

FLORA. Da fragt es sich aber vor allem, ob Er die Gärtnerei versteht?

TITUS. Ich habe Menschenkenntnis, folglich auch Pflanzenkenntnis.

FLORA. Wie geht denn das zusammen? –

TITUS. Sehr gut; wer Menschen kennt, der kennt auch die Vegetabilien, weil nur sehr wenig Menschen leben, und viele unzählige aber nur vegetieren. Wer in der Fruh aufsteht, in die Kanzlei geht, nachher essen geht, nachher präferanzeln geht, und nachher schlafen geht, der vegetiert; wer in der Fruh ins G'wölb' geht und nachher auf die Maut geht, und nachher essen geht, und nachher wieder ins G'wölb' geht, der vegetiert; wer in der Fruh aufsteht, nachher a Roll' durchgeht, nachher in die Prob' geht, nachher essen geht, nachher ins Kaffeehaus geht, nachher Komödie spiel'n geht, und wenn das alle Tag' so fortgeht, der vegetiert. Zum Leben gehört sich, billig berechnet, eine Million, und das is nicht genug; auch ein geistiger Aufschwung g'hört dazu, und das find't man höchst selten beisammen; wenigstens, was ich von die Millionär weiß, so führen fast alle aus millionär'scher Gewinn- und Vermehrungspassion ein so fades, trockenes Geschäftsleben, was kaum den blühenden Namen »Vegetation« verdient.

FLORA beiseite. Der Mensch muß die höhere Gärtnerei studiert haben; Laut. so dunkel sein Kopf auswendig is, so hell scheint er inwendig zu sein.

TITUS. Sind Ihnen vielleicht die schwarzen Haar' zuwider?

FLORA. Zuwider? Er Schelm wird nur zu gut wissen, daß ein schwarzer Lockenkopf einem Mann am besten laßt.[263]

TITUS für sich. Die Peruck'n wirkt.

FLORA. Er will also hier einen Dienst? Gut, Er is aufgenommen; aber nicht als Knecht; Er zeigt Kenntnisse, Eigenschaften, besitzt ein vorteilhaftes Äußeres –

TITUS für sich. Die Peruckenkraft wirkt heftiger.

FLORA. Er soll die Aufsicht über das Gartenpersonale haben, Er soll den übrigen Befehle erteilen; Er soll nach mir im Garten der Erste sein.

TITUS beiseite. Die Peruck'n hat gesiegt. Laut. Ich weiß so wenig, wie ich mich bedanken soll, als ich weiß, wie ich zu solchem Glück komme.

FLORA seine Haare betrachtend. Nein, diese Schwärze, ganz italienisch!

TITUS. Ja, es geht schon beinahe ins Sizilianische hinüber. Meine Mutter war eine südliche Gärtnerin.

FLORA. Weiß Er aber, daß Er ein sehr eitler Mensch ist? Mir scheint, Er brennt sich die Locken.


Will mit der Hand nach den Locken fahren.


TITUS zurückprallend. Oh, nur net anrühren! ich bin sehr kitzlich auf'm Kopf.

FLORA. Närrischer Mensch! – Unter anderm aber, in diesem Anzug kann ich Ihn der gnädigen Frau nicht vorstellen.

TITUS. Also gilt bei Ihnen das Sprichwort: »Das Kleid macht den Mann«, das Sprichwort, durch welches wir uns selbst so sehr vor die Schneider herabsetzen, und welches doch so unwahr ist; denn wie viele ganze Kerls gehn mit zerrissene Röck' herum.

FLORA. Aber der Anzug hat so gar nix, was einem Gartner –

TITUS. Oh, der Anzug hat nur zu viel Gärtnerartiges, er is übersä't mit Fleck, er is aufgegangen bei die Ellbögen und an verschiedenen Orten; weil ich nie ein Paraplü trag', wird er auch häufig begossen, und wie er noch in der Blüte war, hab' ich ihn oft wie eine Pflanze versetzt.

FLORA. Das ist dummes Zeug. Nach der Tür rechts deutend. Geh' Er durch das Zimmer in die Kammer hinein: in der Truhen, wo der Zwiefel liegt, find't Er den Hochzeitanzug von mein'm seligen Mann.[264]

TITUS. Das Hochzeitkleid des Verblichenen soll ich anziehen? – Hören Sie – Fährt sich kokett mit der Hand durch die Locken. Da kann ich nichts davor, wenn Gefühle erwachen, die – Sieht sie bedeutungsvoll an, und geht zur Seitentür rechts ab.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 262-265.
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