Zweiundzwanzigster Auftritt

[269] Vorige. Zwei Gartenknechte. Die Gartenknechte treten zur Mitte ein, jeder zwei Körbe mit Obst tragend.


ERSTER KNECHT. Da is das Obst.

FLORA. Das hätt' gleich soll'n ins Schloß getrag'n werden.

CONSTANTIA. Das wäre eine saubere Manier, daß man das Obst nur so durch die Knechte hinaufschickt.

FLORA. 's war ja immer so.

CONSTANTIA auf Titus zeigend. Der Herr Gärtner wird die Früchte überbringen, dies ist zugleich die schicklichste Gelegenheit, ihn der gnädigen Frau vorzustellen.

FLORA zu Constantia. Vorstellen? Wie finden Sie es denn auf einmal nötig, ihn der Gnädigen vorzustellen? Sie hab'n ja grad vorher g'sagt, es is ganz unstatthaft, so einen Bengel der gnädigen Frau vor Augen zu bringen.

CONSTANTIA verlegen. Das war – das heißt –

TITUS. Bengel?

FLORA mit boshaften Triumph über Constantias Verlegenheit. Ja, ja!

TITUS. Das ist arg.

CONSTANTIA sehr verlegen. Ich habe –

TITUS. Das is enorm –

FLORA. Na, ich glaub's – es is ja –

TITUS. Mir unbegreiflich, Zu Flora. wie Sie das Wort »Bengel« auf mich beziehen können.

FLORA. 's waren die eigenen Worte der Madam.

TITUS zu Flora. Erlauben Sie mir, es gibt außer mir noch Bengeln genug, und ich bin kein solcher Egoist, daß ich alles gleich auf mich beziehe.

CONSTANTIA sich von ihrer Verlegenheit erholend. Ich wollte –

TITUS auf Constantia deutend. Wenn diese Dame wirklich ihre Lippen zu dem Wort »Bengel« hergegeben, so hat sie wahrscheinlich einen Knecht, vielleicht einen von diesen beiden Herren Auf die Gartenknechte zeigend. gemeint, denn mich hat sie ja noch gar nicht gekannt, und kennt mich selbst jetzt noch viel zu wenig, um über meine Bengelhaftigkeit das gehörige Urteil zu fällen. Zu Constantia. Hab' ich nicht recht?[269]

CONSTANTIA. Vollkommen!

FLORA sehr aufgeregt und ärgerlich. Also will man mich zur Lügnerin machen?

TITUS. Nein, nur zur Verleumderin.

CONSTANTIA zu Titus. Also kommen Sie jetzt.

FLORA. Er soll aufs Schloß kommen? Und warum denn gar so eilig? Die gnädige Frau is ausg'fahr'n.

CONSTANTIA. Nun, und da wird es doch schicklicher sein, daß der Herr Gärtner auf die gnädige Frau wartet, als sie auf ihn?

TITUS. Das is klar. Zu Constantia. Sie weiß nichts von Etikette. Das Schicklichste auf jeden Fall is, daß ich bei Ihnen wart', bis der günstige Moment erscheint.

FLORA sehr ärgerlich, beiseite. Zerreißen könnt' ich s', die Person, die! –

TITUS. Als Gärtner muß ich aber doch mit dem gehörigen Anstand – Ah, da is ja, was ich brauch'.


Eilt zum Fenster und reißt die Blumen aus den Töpfen.


FLORA. Was is denn das? Meine Blumen! –

TITUS. Müssen zu einem Strauß herhalten. Ein Band brauchen wir auch. Zum Tisch eilend. Da liegt ja eines. Nimmt ein breites Atlasband und wickelt es um die Blumen.

FLORA. Was treibt Er denn? Das neue Band, was ich erst aus der Stadt –

TITUS. Zu so einer Feierlichkeit ist das Beste noch zu schlecht. Zu Constantia, auf Flora deutend. Die Gute, sie weiß nichts von Etikette.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 269-270.
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