Achtzehnter Auftritt

[317] Titus. Spund. Später Konrad.


TITUS erstaunt. Der Herr Vetter?! – Wie kommen denn Sie daher?

SPUND. Auf eine honettere Art als du. Durchgehen is nicht meine Sach!

TITUS. Ja, freilich, wenn man einmal Ihre Dicken hat, dann geht man nicht leicht wo durch.

SPUND. Du Makel der Familie du. Kommt näher auf ihn zu, und erblickt mit Staunen die grauen Haare. Was is denn das!? Graue Haare? –

TITUS für sich, betroffen. Ui je! –

SPUND. Du bist ja rotkopfet?

TITUS sich schnell fassend. Ich war es.

SPUND. Und jetzt? –

TITUS. Jetzt bin ich grau.

SPUND. Das is ja nicht möglich –[317]

TITUS. Wirklichkeit is immer das schönste Zeugnis für die Möglichkeit.

SPUND. Du bist ja erst sechsundzwanzig Jahr'?

TITUS. Ich war es gestern noch; aber der Kummer, die Kränkung, daß ich verlassen von meinem einzigen leiblichen Herrn Vettern als hülfloser Durchgänger in die Welt hab' müssen, hat mich um ein Jahrtausend älter gemacht; ich bin über Nacht grau geworden.

SPUND verblüfft. Über Nacht?

TITUS. Schlag Sieben bin ich fort von z' Haus, drei Viertelstund später schau' ich mich in den Spiegel der Unglücklichen, ins Wasser hinein, da war mir, als wenn meine Haar so g'wiß g'sprengelt wären. Ich schieb' das auf die Dämmerung, wähle den Linigraben zur Untertuchet, deck' mich mit die Nachtnebel zu, schlaf' ein; – Schlag Mitternacht wecken mich zwei Frösch' auf, die auf meinem Halstüchel zu disputieren anfangen, da gibt mir ein Anfall von Desperation den klugen Einfall, mir einige Hände voll Haare ausz'reißen, sie waren grau; – ich schieb' das auf den Silbersichelreflex der Mondenscheibe, schlaf' weiter. Auf einmal scheucht mich ein ungeheures Milliweiberg'schnatter auf aus dem tiefsten Linigrabenschlummer – es war heller Morgen, und neben mir macht grad ein Rastelbinder Toilett, er schaut sich in einem Glasscherben, der vielleicht einst Spiegel war, ich tu' desgleichen, und ein eisgrauer Kopf, den ich nur an dem beigefügten Gesicht für den meinigen erkenne, starrt mir entgegen.

SPUND. Das wär' ja unerhört!

TITUS. Oh, nein, die Geschichte spricht dafür. Da war zum Beispiel ein gewisser Belisar, von dem haben S' g'wiß g'hört?

SPUND. Belisar? War das nit ein Bierversilberer?

TITUS. Nein, er war römischer Feldherr. Den hat seine Frau durch'n Senat d' Augen auskratzen lassen.

SPUND. Das tun sonst d' Weiber selber.

TITUS. Die hat aber den Codex Justinianus z' Hülf' g'nommen.[318] Das nimmt sich der Mann zu Herzen, und in dreimal vierundzwanzig Stund' is er grau. Jetzt denken Sie, Herr Vetter, das, wozu ein römischer Feldherr drei Täg' hat braucht, das hab' ich über Nacht geleistet, und Sie, Herr Vetter, sind der Grund dieser welthistorischen Begebenheit.

SPUND sehr ergriffen. Titus, Bub, Blutsverwandter – ich weiß gar nit, wie mir g'schieht – ich bin der Vetter einer welthistorischen Begebenheit! – Schluchzend. Neunzehn Jahre hab' ich net g'weint, und jetzt kommt das Ding völlig schußweis.


Trocknet sich die Augen.


TITUS. Is gut, wenn das alte Bier herauskommt.

SPUND die Arme ausbreitend. Geh her, du eisgrauer Bub! Umarmt ihn.

TITUS ihn ebenfalls umarmend. Vetter Spund! – Prallt plötzlich heftig aus seinen Armen zurück.

SPUND darüber erstaunt. Was springst denn weg, als wie ein hölzerner Reif?

TITUS für sich. Bei ein'm Haar hätt' er mich beim Zopfen erwischt. Laut. Sie hab'n mich so druckt, mit Ihr'm Ring, glaub' ich.

SPUND. Sei nicht so heiklich; her da an das Vetterherz! Umarmt ihn derb.


Titus hält während der Umarmung mit der rechten Hand seinen Zopf in die Höhe, damit er Spund nicht in die Hände kommt.


SPUND ihn loslassend. So! – Übrigens, daß ich dich nicht mehr druck' mit dem Ring – Zieht einen dicken Siegelring etwas mühsam vom Finger.

TITUS währenddem beiseite. Wenn der den Zopfen sieht, so is's aus; denn das glaubet er mir doch nicht, daß mir aus Kränkung ein Zopfen g'wachsen is.

SPUND ihm den Ring gebend. Da hast d' ihn. Du mußt wissen, daß ich da bin, um dich als g'machten Mann in die Stadt zuruckz'führen, daß ich dir eine prächtige Offizin kauf' – daß ich –

TITUS freudig. Herr Vetter! –

SPUND. Aber wie du ausschaust, der Rock – ich muß dich[319] der gnädigen Frau vorstellen als meinigen Verwandten, und dann is noch wer drin –

TITUS erschrocken. Etwan der Friseur? –

SPUND. Friseur? Lacht mit tölpischer Schalkhaftigkeit. Du Bub du, stell dich net so; ich hab' schlechte Augen, aber der Person hab' ich's recht gut ang'sehn, auf was es abg'sehn is. Wenn nur der Rock –


Konrad tritt aus der Seitentür rechts und will zur Mitte ab.


SPUND zu Konrad. Oh, Sie, sein S' so gut, hab'n S' keine Bürsten?

KONRAD. A Bürsten? Ich glaub'. Sich an die Tasche fühlend. Richtig, ich hab s' da im Sack bei mir. Gibt Spund die Bürste.

SPUND. So, geben S' her; können schon wieder gehn.


Konrad zur Mitte ab.


SPUND zu Titus. Jetzt geh her, daß ich dich a bissel sauber mach'. –

TITUS betroffen. Was wollen S' denn?

SPUND. Drah dich um –

TITUS in großer Verlegenheit. Sie wer'n doch als Herr Vetter nicht Kleiderputzersdienst' an dem Neffn üben?

SPUND. Ich bedien' nicht den Neffen, ich bürst' einer Naturerscheinung den Rock aus, ich kehr' den Staub ab von einer welthistorischen Begebenheit, das entehrt selbst den Bierversilberer net. Drah dich um!

TITUS in größter Verlegenheit, für sich. Gott, wann der den Zopfen sieht! – Laut. Fangen S' vorn an.

SPUND. Is a recht.


Bürstet an Titus Kleidern.


TITUS in höchster Angst, für sich. Schicksal, gib mir eine Scher', oder ich renn' mir ein Messer in den Leib!

SPUND etwas tiefer bürstend. Schrecklich, wie sich der Bub zug'richt' hat.

TITUS für sich. Is denn keine Rettung, es muß blitzen. Blickt nach der ihm gegenüberstehenden Seitentür links, welche sich etwas öffnet und aus welcher nur Constantiens Arm mit einer Schere in der Hand sichtbar wird. Ha! Da blitzt ein blanker Stahl in meine Augen; die Himmlische zeigt mir eine englische Scher'! –

SPUND. Drah dich um, sag 'ich![320]

TITUS. Da stell'n wir uns herüber. Geht, ohne seine Rückseite gegen Spund zu wenden, auf die linke Seite der Bühne, so, daß er mit dem Rücken nahe an der Seitentür links zu stehen kommt. Da is die wahre Lichten. Langt zurück und nimmt aus Constantiens Hand die Schere.

SPUND. So drah dich um!

TITUS. Nein, jetzt werden S' vorn noch a Menge Staub bemerken.


Während Spund noch an den Vorderklappen des Rockes bürstet, schneidet er sich rasch den Zopf ab.


SPUND. Nicht wahr is; jetzt umdrahn amal.


Wendet ihn herum.


TITUS zieht während dieser Wendung den abgeschnittenen Zopf mit der linken Hand vorne über den Kopf herab, so, daß Spund, welcher den Rücken des Rockes ausbürstet, nichts bemerken kann – für sich. Habe Dank, Schicksal, die Amputation is glücklich vorüber.

SPUND indem er bald aufhört zu bürsten. Schau, Titus, du bist a guter Kerl, du hast dich g'kränkt um einen hartherzigen Vettern, und warum war ich hartherzig? weil du rote Haar' hast g'habt; die hast aber jetzt nicht mehr, es is also kein Grund mehr vorhanden, ich kann jetzt net anders, ich muß weichherzig wer'n. Du bist mein einziger Verwandter, du bist – mit einem Wort, du bist so viel als mein Sohn, du bist mein Universalerb'.

TITUS erstaunt. Was!?


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 317-321.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Talisman
Der Talisman: Posse mit Gesang in drei Acten (Komedia)
Der Talisman
Johann Nestroy 'Der Talisman'
Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.412, Der Talisman
Der Talisman

Buchempfehlung

Neukirch, Benjamin

Gedichte und Satiren

Gedichte und Satiren

»Es giebet viel Leute/ welche die deutsche poesie so hoch erheben/ als ob sie nach allen stücken vollkommen wäre; Hingegen hat es auch andere/ welche sie gantz erniedrigen/ und nichts geschmacktes daran finden/ als die reimen. Beyde sind von ihren vorurtheilen sehr eingenommen. Denn wie sich die ersten um nichts bekümmern/ als was auff ihrem eignen miste gewachsen: Also verachten die andern alles/ was nicht seinen ursprung aus Franckreich hat. Summa: es gehet ihnen/ wie den kleidernarren/ deren etliche alles alte/die andern alles neue für zierlich halten; ungeachtet sie selbst nicht wissen/ was in einem oder dem andern gutes stecket.« B.N.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon