Neunter Auftritt

[541] Lips und Kathi.


KATHI mit Lips durch die Mitte eintretend. Ich kann mir's denken, daß Euer Gnaden müd sind, wer g'wohnt is in Equipagen z' fahrn, und nur auf Teppich zu gehn –

LIPS. Wenn ich nur die Dichter, die die Wiesen einen Blumenteppich, die den Rasen rasender Weise ein schwellendes grünes Sammetkissen nennen, wenn ich nur die a 3 Stund lang barfuß herumjagen könnt', in der so vielfältig und zugleich so einfältig angeverselten Landnatur, ich gebet was drum.

KATHI Milch, Messer und Brot aus dem Schrank bringend und auf den Tisch setzend. Um so besser, hoff' ich, wird Ihnen 's Frühstück schmecken.

LIPS. Was servierst du mir denn da?

KATHI. Brot und Milch.

LIPS. Kipfeln habt ihr nicht?

KATHI. Das is unser schönstes Brot.

LIPS. Und euer einziger Kaffee besteht in Milch? Wenigstens hat man keine Wallungen zu riskieren.

KATHI. Ich wär' glücklich, wenn ich Euer Gnaden alle Leckerbissen der Erde vorsetzen könnt'; aber –

LIPS. Du liebe Kathi, du bist so eine liebe Kathi, daß mir dieses Frühstück, von deiner Hand gereicht, zum allerleckersten Leckerbissen wird.

KATHI. Nein, nein, das Leben hier muß Ihnen schrecklich sein.

LIPS. Na, so viel merk' ich wohl, daß's mir früher zu gut gangen is, und daß nur diese Einförmigkeit des b'ständigen Gutgehens die Sehnsucht nach besonderer Gemütsaufregung in mir erzeugt hat. Jetzt geht's aber schon acht Tag so, und acht Tag in der Unruh wäre genug Aufregerei, und jetzt hab' ich erst noch eine ganze aufgeregte Zukunft zu erwarten. Und dann is noch was – noch was –

KATHI teilnehmend. Was denn? sag'n S' mir alles, Herr Göd.

LIPS. O du liebe Kathi, du kommst mir allweil lieber vor.


Will sie ans Herz drücken.[541]


KATHI. Aber Göd –

LIPS. Was mir außerdem is, das kannst du gar nicht beurteilen. Nicht wahr, du hast noch niemand umgebracht?

KATHI. Was fallt Ihnen nicht noch ein!

LIPS. Na wenn sich zum Beispiel einer aus Lieb zu dir was angetan hätt', wärst du seine indirekte Mörderin.

KATHI. Gott sei Dank, so eine grimmige Schönheit bin ich nicht.

LIPS. O Kathi! Du weißt gar nicht, was du für eine liebe Kathi bist!


Umfaßt sie.


KATHI. O gehn S' doch –

LIPS. Daß ich dir also sag', ich hab' Visionen.

KATHI. Die Krankheit kennen wir nicht auf'n Land.

LIPS. Das sind Fantasiegespinste in den Hohlgängen des Gehirns erzeugt, die manchmal heraustreten aus uns, sich krampusartig aufstellen auf dem Niklomarkt der Einsamkeit – erloschene Augen rollen, leblose Zähne fletschen, und mit drohender Knochenhand aufreiben zu modrigen Grabesohrfeigen – das is Vision.

KATHI. Nein, was die Stadtleut für Zuständ' haben –

LIPS. Wenn's finster wird, seh' ich weiße Gestalten –

KATHI. Wie is das möglich? Bei der Nacht sind ja alle Küh' schwarz.

LIPS. Und 's is eigentlich eine Ochserei von mir, hab' ich ihn denn absichtlich ertränkt? Nein! und doch allweil der schneeweiße Schlossergeist. – Du machst dir keine Vorstellung, wie schauerlich ein weißer Schlosser is.

KATHI. So was müssen S' Ihnen aus'n Sinn schlagen.

LIPS. Selbst diese Milch erinnert mich – wenn s' nur a bisserl kaffeebraun wär' – aber weiß is mein Abscheu. Stoßt die Milchschüssel von sich, daß einiges davon auf den Tisch herausläuft.


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 541-542.
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