Erster Auftritt

[438] Weinberl, Christoph, beide treten im geschmacklosen Sonntagsstaat von links auf.


CHRISTOPH. Das wär'n Abenteuer? ich dank' –

WEINBERL. Ja lieber Freund ich kann Ihnen die Abenteuer nicht herzaubern. Glauben Sie, mir is das ang'nehm, da herumz'gehn wie a Waserl, mir, dem obendrein noch jedes[438] offne G'würzg'wölb einen heimlichen Gewissensbiß macht.

CHRISTOPH. Den ganzen Vormittag is uns nix unterkommen, nix aufgestoßen.

WEINBERL. Wir wollen die Hoffnung nicht sinken lassen, – vielleicht stoßt uns jetzt Nachmittag was auf. Arg wär' das, wenn wir vier Stund weit herfahreten, einen ganzen Tag in der Residenz zubrächten, ohne einen Jux 's Geld verjuxt –

CHRISTOPH. Das wär' a Jux! Vor allen andern müssen wir doch wieder unter die Leut gehn, in den öden Gassel da wer'n wir nix erleb'n.

WEINBERL. O Freund in die öden Gasseln erlebt man allerhand, das is ja grad das Abenteuerliche. Wie oft hab' ich gelesen in die Bücher: »Er befand sich ohne zu wissen wie, in einem engen abgelegenen Gäßchen, plötzlich gewahrt er an der Ecke einen Mann in einen Mantel, ihm war's als ob er ihm gewunken – an der andern Ecke sieht er auch einen Mann, ihm deucht als hätt' er ihm gewinkt, unentschlossen steht er da, er weiß nicht, soll er dem folgen, der ihm gewinkt, oder dem, der ihm gewunken – da öffnen sich plötzlich die Fenster –«


Philippine öffnet a tempo das Fenster im Hause der Madame Knorr im Prospekt.


WEINBERL ohne dieses zu bemerken, fährt fort. »Und eine zarte weibliche Hand –«


Philippine hat eilig am Fenster ein Glas mit Wasser ausgespült, und schüttet es, ohne herabzusehen, auf die Straße und schlägt sogleich wieder das Fenster zu.


WEINBERL den es beinahe getroffen, erschrocken zur Seite springend. No, sein S' so gut –

CHRISTOPH. Das ging' mir grad noch ab –

WEINBERL. Wenn ich jetzt einen halben Schritt weiter links g'standen wär', so könnt' ich sagen, daß ich in der Residenz überschüttet worden bin.

CHRISTOPH. Was logiert denn für ein Völkel da droben? –

WEINBERL liest den Schild. »Anna Knorrs Modewaren-Verlag« –[439]

CHRISTOPH. Das is eine schöne Mod, daß man d' Leut anschütt.

WEINBERL nach rechts in die Szene sehend. Sieh, dort steht ein Mann.

CHRISTOPH. Winkt uns aber nicht. –

WEINBERL. Er kommt näher – er bleibt wieder stehn – das is ja –

CHRISTOPH. Meiner Seel –

WEINBERL. Das is der Herr von Brunninger.

CHRISTOPH. Der öfters zu unsern Prinzipal kommt.

WEINBERL. Der kennet uns glei –

CHRISTOPH. Fahrn wir ab. –


Beide wollen links ab.


WEINBERL. Halt! – Bleibt wie vom Donner gerührt stehen. Das is Blendwerk, das kann nicht sein – Zeigt erstarrt mit der Hand in die Szene links.

CHRISTOPH erschrocken. Der Herr Zangler! –

WEINBERL. Der Prinzipal! –

CHRISTOPH. G'schwind da ins Haus herein –

WEINBERL. Dem Abenteuer weichen wir aus! –


Beide eilen in das offne Haustor, mitten im Prospekt, und bleiben unter der Einfahrt, sich links drückend, stehen.


CHRISTOPH. Er wird gleich vorbei sein.

WEINBERL. Nur ruhig! –


Quelle:
Johann Nestroy: Werke. München 1962, S. 438-440.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Einen Jux will er sich machen
Nestroys Werke in zwei Bänden. Erster Band: 1. Der böse Geist Lumpazivagabundos, 2. Weder Loorberen noch Bettelstab, 3.Die beiden Nachtwandler, 4. Einen Jux will er sich machen, 5. Der Zerissene (Bibliothek Deutscher Klassiker)
Einen Jux will er sich machen: Posse mit Gesang in 4 Aufzügen