|
[368] Mädchen und Pursche mit Blumenkränzen stehen zu beiden Seiten gereiht. Specht ist beschäftigt, Ordnung im Ganzen zu halten. Mit dem Aufziehen der Kurtine beginnt folgender Chor, an dessen Schlusse Nelkenstein, von Dienerschaft begleitet, eintritt.
CHOR.
Ihr habt in unsre Mitte hier
Gnädig Euch herbegeben,
So große Freude hofften wir
Schon nicht mehr zu erleben.
Mit Euch zieht Glück in diese Hallen ein,
Aus vollem Herzen laßt uns Vivat schrein!
ALLE. Vivat!
Dorothea und Natzi treten hinter dem Gutsherrn auf und stellen sich zu Specht links in den Vordergrund.
NELKENSTEIN nach dem Chore. Ich dank' euch, liebe Leute! Euer Empfang war herzlich; hat mir viel Freude gemacht.
SPECHT. Zu gnädig, Euer Gnaden; aber Hochdieselben glauben nicht, wie mühsam ich ihnen das eingebleut hab'! Todesstrafe auf ein Vivat zu wenig oder zu viel, darum ist es gegangen.
NELKENSTEIN. Nun, mein alter Specht –
SPECHT. Erlauben Hochdieselben höchst untertänigst – Zu Dorothea. fang dein Gedicht jetzt an!
DOROTHEA. Ja, Papa!
SPECHT. Langsam und deutlich![368]
DOROTHEA. Ja, Papa!
SPECHT. Wird's werden oder nicht?
DOROTHEA. Ja, Papa! Tritt vor, verneigt sich und fängt an, mit ungeschickter Ängstlichkeit ohne Bewegung zu deklamieren.
Von fernen Ländern kommt Ihr her,
Schon lange stand dies Schloß hier leer,
Wir – wir –
SPECHT zupft sie am Kleid und souffliert. Wir sahen –
DOROTHEA deklamiert. Wir sahen –
SPECHT wie oben. Her –
DOROTHEA wie oben. Wir sahen her – her –
SPECHT wie oben. Wir sahen hin.
DOROTHEA zu Specht. Aber zupf' mich der Papa nicht immer, das ganze schöne Kleid wird ruiniert.
SPECHT leise und grimmig. Wirst weiter deklamieren!
DOROTHEA. Ja, Papa! Deklamiert. Wir sahen hin –
SPECHT leise. Mach' doch Auktionen mit der Hand!
DOROTHEA leise. Sie machen mich konfus, Papa; ich weiß nit weiter –
SPECHT leise und grimmig. Wie ein Stock is das Madel!
DOROTHEA glaubt, er habe souffliert, deklamiert. Wie ein Stock –
SPECHT aufschreiend. Halt ein, Unglückliche! Wie wir nach Haus kommen, so vernicht' ich dich.
NELKENSTEIN begütigend. Ruhig, Specht, was kann das Mädchen davor? Eine kleine Verwirrung –
SPECHT. Ich bin desparat –
NATZI. Ich kann ja das Gedicht von lauter Zuhören, ich werd's gleich fertig deklamieren.
SPECHT entzückt zu Natzi. O Retter in der Not! Indem Natzi vortritt. Und nur schön, mit Agierung, Mussi Natzi!
NATZI deklamiert monoton und äußerst schnell, mit den Bewegungen einer Marionettenfigur.
Von fernen Ländern kommt Ihr her,
Schon lange stand dies Schloß hier leer,[369]
Wir sahen her, wir sahen hin,
Im Schlosse war kein Gutsherr drin.
Und Euere Abwesenheit
Erfüllte uns mit Herzeleid,
Wir dachten nun in einemfort:
Warum weilt er am fernen Ort?
Wär't Ihr noch lange ausgeblieb'n,
Der Gram hätt' uns bald aufgerieb'n,
Allein das Schicksal
Stockt.
wol – wollte –
Bricht plötzlich ab. Jetzt kann ich nicht weiter. Jetzt soll wieder die Dorothee –
NELKENSTEIN lächelnd. Es ist genug – ich bin überzeugt –
SPECHT. Aber der Natzi hätt' noch singen sollen.
NATZI tritt sogleich vor. Ja, jetzt kommt erst der G'sang.
NELKENSTEIN. Nein, diesen Genuß will ich mir durchaus auf ein andermal versparen.
NATZI. Wie es gefällig ist.
DOROTHEA zu Natzi. Wir haben keine Ehr' aufgehoben.
NATZI. Ah, ich hab' ihm sehr gefallen.
NELKENSTEIN. Mein lieber Specht, Ihr speist heute bei mir.
SPECHT entzückt. Diese Auszeichnung –
NELKENSTEIN zu den übrigen. Und euch gebe ich allen nächsten Sonntag ein Fest. Jetzt geht nach Hause.
SPECHT. Nur einmal Vivat schreien lassen s' Euer Gnaden noch! Winkt mit dem Hut.
ALLE. Vivat! Sie gruppieren sich mit den Blumengirlanden gegen das Tor des Schlosses, in welches Nelkenstein, von der Dienerschaft begleitet, eintritt; währenddem wiederholt sich das Ende des vorigen Chores.
CHOR.
Mit Euch zieht Glück in diese Hallen ein,
Aus vollem Herzen laßt uns Vivat schrein!
Der Vorhang fällt.
Buchempfehlung
Nachdem Christian Reuter 1694 von seiner Vermieterin auf die Straße gesetzt wird weil er die Miete nicht bezahlt hat, schreibt er eine Karikatur über den kleinbürgerlichen Lebensstil der Wirtin vom »Göldenen Maulaffen«, die einen Studenten vor die Tür setzt, der seine Miete nicht bezahlt.
40 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro