[Vorrede]

[115] Gnädige Fraw! Es ist vnschwer zu erweysen, daß vnter aller Arth zu reden die Poeterey (den Mißbrauch außgenommen) die Stelle vnd den Vorzug habe, ja daß sie von den ältisten Zeiten an eine Lehrerinn der Frömigkeit, eine Erforscherin der Natur, eine Mutter der Tugenden, eine Geleitßmännin der Weißheit vnd ein Duäll der gutten Künste vnd Sitten gewesen sey. Vnter allen Poetischen sachen oder Getichten aber ist sonder zweiffel nichts vber die Schawspiele, darinnen die Verwirrungen der Gemütter, die Fälle deß Lebens, der Vnbestand deß Glücks vnd das thun vnd lassen der Menschen, nebenst so schönen Lehren vnd Sprüchen, mit kluger erfindung, vnnd nach der Personen eygenschafft bequemen Worten dermassen außgedruckt wird, daß wir darauß das geschehene nüetzlich betrachten, das gegenwertige vernünfftig anstellen, vnd das künfftige besser suchen oder vermeyden, ja vns mit vorstellung solcher Exempel in Glück vnd Vnglück desto leichter schicken vnd richten können. Darumb haben viel Kayser, Fürsten vnd Helden von dergleichen Tragedien nicht allein jederzeit sehr viel gehalten: Sondern auch dieselbigen zu schreiben sich mit grosser Embsigkeit selbst beflissen. Heutiges Tages ist diese herrliche Kunst eben wie andere auß Nachläßigkeit vnd Vnverstande der Leuthe so gar verloschen, daß in Lateinischer Sprache wenig tüchtiges, in der Deutschen aber, die sich doch sonsten etwas wittern wil, durchauß nichts dergleichen an den Tag gebracht worden. Meine Judith hier, welche ich doch auch vor etzlichen Jahren an Erfindung vnd Worten einen grossen Theyl aus dem Italiänischen entlehnet, kan sich deß Tituls eines vollkommenen Schawspieles nicht rühmen, alldieweil jhr so viel an schönheit vnd demjenigen, was der Gelehrten Künstler Aristoteles haben wil, allerseits fehlet, daß ich sie auff den Platz vnd für Augen so vieler Richter zu stellen bedencken trüge, wann ich nicht hoffete, es würden die sachen, darvon darinnen gehandelt wird: die Ehre Gottes nemblich, die[115] Liebe deß Vaterlandes vnd die Handhabung der Keuschheit dasjenige, was an jhr tadelhafftig vnd nicht sonder Mackel ist, etzlicher massen bekleiden vnd vordecken. Die Historie an sich selber ist E. Gn., derer grösseste Erquickung vnd Trost auff lesung Geistlicher sachen bestehet, besser bekandt, als daß ich sie alhier wiederholen dürffe. Zwar wird sie von vnsern Theologen nicht für ein eygentliches Glied der heyligen Schrifft vnd also zu sagen für kein Evangelium gehalten; weil Hieronymus selber diß Buch gar zweyffelhafftig anzeucht; weil Hilarius in der Vorrede vber den Psalter, Gregorius Nazianzenus in den Versen von der H. Schrifft, Eusebius im 10. Cap. deß 3. Buches seiner Historien vnd bey jhm Origenes, Epiphanius im Buche vom Maß vnd viel andere es vnter das Verzeichnüß der Bücher deß Alten Testaments nicht setzen; weil es die Laodicenische vnd andere Geistliche Zusammenkunfften wie auch das Buch der Canonum oder Richtschnuren der Kirchen, welches der Kayser Justinian bestetigt hat, vor Alters nicht angenommen; weil es von den Juden nie für gültig erkandt noch in der Hebreischen Bibel jemals gefunden, vnd etwan nur aus Chaldeischer Sprachen vmbgesetzt worden; weil es im Newen Testament nirgend wird angezogen; weil das 4. vnd 5. Capitel so viel anzeigen, alß ob sich diese Geschichte nach der Wiederkunfft aus der Babylonischen Gefängnüß begeben, im 1. vnd 2. Cap. aber angereget wird, daß es bey Nebucadnezars Leben fürgegangen, der länger alß für 60 Jahren gestorben war, vnd also die Zeiten, was etwan gleich der Ehrwürdige Beda vom Cambyses, so der andere Nebucadnezar solle genennt worden sein, einwerffen wil, gar vbel stimmen; weil derjenigen meinung, welche fürgeben, es scheine, daß die Historie auff die Zeit Manasse treffe, nach dem er aus der Babylonischen Gefängnüß zurück kommen, darumb nicht bestehet, daß Holofernes im 5. Cap. von den Juden alß einem vnbekandten Volcke Nachfrage helt vnd weder im Buche Judith vom Manasse, noch in deß Manasse Historie einige erwehnung von der Judith oder dem Holofernes oder sonst dergleichen Belägerung geschihet; weil Judith im 9. Cap. diejenige That, so Simeon vnd Levi an den Sichemiten begangen, dermassen lobet vnd herauß streicht, welche Jacob im 49. Cap. deß 1. Buchs Mose, alß er die Welt gesegnen soll, weniger alß gut heisset; weil sie Gott vmb die Gnade deß Betrügens bittet, mit heraußputzung vnd liebkosenden Worten ziemlich weit gehet vnd eines vnd anders vorgiebt, das einem Frawenzimmer sich gleichwol allerdings nicht geziemet: jedennoch dieweil jhr Vertrawen zu Gott, die behaltung der Keuschheit auch mitten vnter derselbten vnd deß Vaterlandes Feinden, das Männliche Hertze in einem Weiblichen Leibe, die Nüchterkeit bey Vollen Leuthen, das jnbrünstige Gebeth vnd dergleichen wo nicht ein warhafftiger Verlauff, dennoch kein böses Exempel sindt; dieweil auch Augustinus vnd andere den Text jhrer Außlegung gewürdiget vnd jhn zum wenigsten für leydlich haben gelten lassen; als wird man mich hoffentlich wol für entschuldiget halten, daß ich an stat einer Electra, einer Medea, einer Helena vnd wie etwan die Heydnischen Spiele sonst heissen, diese Keusche vngeschmünckte Judith[116] auff den Schawplatz führen vnd in solcher Tracht, wie es die Deutsche sauberkeit mit sich bringt, habe vorstellen wollen. Bevorauß wartet sie E. Gn. auff, nicht sich für Ihr zu zeigen alß ein Exempel, sondern (nebenst dem daß ich wegen gnädiger Wolmeinung vnd vieler Gutthat diese Zuschreibung an E. Gn. zu richten für meine Person grosse Vrsach habe) an deroselbten viel mehr zu sehen die Tugenden, welche theyls die Kirche an jhr selbst gelobet vnd theyls nicht gefunden hat. Judith henckt gantze Reichthümber an die Ohren, ergrösset jhre Natürliche Schönheit mit der gemachten Hoffarth vnd verblendet deßjenigen Augen, der durch die Augen auch im Hertzen Blind wird: E. Gn. höchster Schmuck ist Demutt, eine solche Zier, die dero Vhralten hohen Standt nicht niedriger, dero Zeitliche Gütter nicht geringer, sondern Sie selber vor der Ehrbarn Welt desto ansehnlicher macht, weil sie Weltliche Pracht vnd Ansehn nicht achtet. Judith erlegt den Feind des Göttlichen Namens mit gewaffneter Hand: E. Gn. macht die Degen der Verfolger stumpff vnd schwach mit ernstem Gebethe. Judith erbittet Hülffe vnd Beystandt von oben her vnd befreyet durch solche Verleyhung jhr Vaterlandt: Wann dem Eyfer der Gotteßfurcht, dem Christlichen Leben vnd Wandel, der vngefärbten Andacht so E. Gn. führen, von männiglich nachgestrebt würde, es solte auch vnser betrübtes Vaterlandt von Gott bald erhöret, in seine gehörige Rechte vnd Freyheit gesetzet, von Leibes- vnd Gewissens-Zwang vnangetastet vnd in solchem Stande sein, wie alle trewe Patrioten wüntschen vnd hoffen. Ich wolte den Vergleich ferner strecken vnd von E. Gn. hohen Gaben vnd Schätzen der Tugendt weitleufftiger reden: aber wie ein vngeschliffener Mahler ein Bildt, je mehr er daran künstelt, nur schlimmer vnd vngestallter macht; also würde ich mit meinen vngewaschenen Worten E. Gn. wolverdientem Preyse besorglich mehr entziehen alß geben vnd zusetzen. So ist auch E. Gn. von Rhumretigkeit vnd begier deß Lobes dermassen abgesondert, daß sie auch dißfals die Warheit eine Schmeicheley vnd diese vngebundene freye Rede mit dem Namen einer Poetischen erfindung tauffen möchten. Hierumb ich dann lieber dero Vollkommenheit mit stillschweigen ehren vnd den Höchsten, welcher Sie an so vielen Tugenden mit voller Handt bereichert hat, allein bitten vnd hertzlich ersuchen soll, daß Er E. Gn. ersprißlichen Segen vnd Wolfarth verleyhen vnd Sie den Ihrigen Ihr Gn. lange Zeit einen Trost vnd Frewde, in gemein aber allen ein solches Exempel der Gotteßfurcht, Andacht vnd hochrhümlichen Wandels wolle sein lassen, als wie E. Gn. bißher jederzeit löblich gewesen ist vnd die Heldinn Judith (oben außgestellte mängel beygesetzt) vor Zeiten sol gewesen sein.

Breßlaw, den 13. deß Hornungs, im 1635. Jahre.

E. Gn. Trewgehorsamer Diener

M. Opitz.[117]

Quelle:
Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts. Berlin 1933, S. 115-118.
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