Die 6. Scena.

[126] JUDITH.

Abra geh', es ist von nöthen, daß man heimlich sich erkiest,

Ob die Königliche Wache für der Thür verhanden ist.

ABRA.

Es ist ein tieffes Schweigen;

Ich seh' auch niemandt als die Sternen,

Die sich von fernen

Am hellen Himmel zeigen.

JUDITH.

Nun Judith, jetzt ists Zeit, den Weiber Muth zu lassen;

Jetzt muß die schwache Handt den kühnen Degen fassen

Für Spindel vnd für Garn; sie muß durch einen Streich

Erlösen Israels betrübtes Königreich.

GOTT, der du Davids Faust so kräfftig hat gereget,

Daß Goliath von jhm zu Boden ward geleget

Durch einen Schleuderstein, das Vngehewre Thier;

Der Jael hat gesterckt, sey jetzundt auch bey mir[126]

Vnd führe diesen Arm, damit er dem Tyrannen

Sein Lohn ertheylen mag, der deinen Dienst verbannen

Vnd dich Entzeptern wil: es werde diese Nacht

In Freyheit vnser Landt, die Kirch in Rhue gebracht!

ABRA.

Deß Himmels Gnade sey mit dir

Vnd rette dich vnd vns auß Nöthen!

Hilff GOTT, ein Weib das nimbt jhm für,

Den Wüterich zu tödten,

Der vnter seine grimme Macht

Viel Volck vnd Länder hat gebracht:

Sie wil das Haupt abhawen,

Das ich auch anzuschawen

Zu furchtsam bin.

JUDITH.

Abra, nim es hin,

Was bißher vns hat gejrret

Vnd den Erdenkreiß verwirret.

Was für diesem zu vollbringen sich entschlossen hat kein Mann:

Das hat GOTT durch mich gethan.

ABRA.

O der grossen Helden That!

Zittert mir doch Arm vnd Beine,

Anzusehen nur alleine,

Was dein Muth verrichtet hat.

Wie nichts vnd nichtig sind der Menschen Thun vnd Zier?

Wo ist deß Heyden Macht? sein stoltzer Kopff ist hier!

JUDITH.

Wir mussen fliehn für allen dingen!

Komm, laß vns vns'rem Vaterlande

Sein Heyl vnd seiner Feinde Schande

Zur gueten Zeitung bringen!

CHOR DER GEFANGENEN KÖNIGE.

Es wil mir nicht zu Sinne,

Daß dieses Edle Weib

Mit arger Liebe könne

Beflecken jhren Leib.


Ihr Ehrliches Gesichte

Zeigt viel ein bessers an:

Die Zucht, aus der ich richte,

Benimbt mir allen Wahn.


Doch kann sie Fewer fassen

Vnd gibt demselben nach,

Der nichts verdient alß hassen,

So ists ja Spot vnnd Schmach.
[127]

So muß ich ja erfahren,

Wie Blüte der gestalt

Sehr ähnlich sey den Wahren,

Die selten werden Alt.


Ich wil gar gerne sagen,

Daß freylich vngemein

Zugleiche sich vertragen

Keusch vnd auch schöne sein.


Doch wil mir nicht zu Sinne,

Daß dieses Edle Weib

Mit arger Liebe könne

Beflecken jhren Leib.

Quelle:
Judith-Dramen des 16./17. Jahrhunderts. Berlin 1933, S. 126-128.
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