|
[1] An einem sonnenklaren Maientage des Jahres 1489 wanderte ein schlanker Jüngling auf der breiten Heerstraße, die von Westen nach Nürnberg führte, der ehrwürdigen Reichsstadt zu. Schon waren ihm viele Menschen begegnet zu Fuß wie zu Roß und hoch mit Kaufmannsgütern beladene Wagen, umgeben von zahlreichem Geleit, denn ohne solches wagte Niemand die Waaren zu versenden, die so noch oft genug in die Hände der rohen Raubritter fielen, die ihr Wesen gerade am Aergsten von ihren düstern Burgen herab in der Nähe der freien Reichsstadt trieben, deren Reichthum sie beneideten, deren Bürgerstolz sie haßten und deren Bürgern sie schon darum gern einen Verlust und Schaden zufügten, weil diese selbst oft genug den hohlen Glanz des Ritterthums verdunkelten, und wo es in ihrer Macht war, sich nicht scheuten, seine Angehörigen,[1] wenn sie dieselben eines Frevels überführen und habhaft werden konnten, nach ihren strengen Gesetzen zu strafen und zu richten.
Schon an diesem belebten Verkehr hätte der Jüngling erkennen müssen, daß er dem Ziel seiner weiten Wanderschaft sich endlich näherte – aber als er jetzt aus dem gewaltigen Reichsforste trat, durch den sein Weg zuletzt geführt: da lag sie vor ihm, die große, sich weit ausbreitende Stadt, in der doch ein Giebel dicht an den andern gedrängt den Nachbar zu überragen strebte, indeß zahlreiche Thürme miteinander wetteiferten den Himmel zu begrüßen und in kunstvollen Formen sich von ihm abzuzeichnen. Höher darüber thronte die Veste, die vor etwa fünfzig Jahren neu erbaut worden war von den Bürgern Nürnbergs, nachdem sie Ludwig der Bärtige von Baiern 1420 niedergebrannt und Markgraf Friedrich von Brandenburg sie sammt allen Rechten einige Jahre später an die Stadt Nürnberg verkauft hatte. Da und dort blinkten die grünen Wellen der Pegnitz, welche die Stadt durchströmt und in zwei Hälften schneidet: die Lorenzer und die Sebalder Seite, so genannt nach ihren Kirchen, den herrlichsten Denkmalen gothischer Baukunst. Da und dort, besonders aus den Vorstädten steigt düsterer[2] Rauch auf, der kommt aus den gewaltigen Schornsteinen der zahlreichen Gießhütten, in denen die Kunst und das Handwerk zugleich arbeiten im innigsten Verein, um nützliche Geräthe zu schaffen für den Hausgebrauch und vollendete Werke monumentaler Kunst zur Ehre Gottes für die erhabenen Tempel, in denen alle Künste sich vereinigen dem Herrn zu dienen und alles Volk ihm zuzuführen.
Auf einer kleinen Anhöhe hat der Wanderer sich niedergelassen, und indessen er die Stadt betrachtet, in die seine Sendung lautet, und ihm das Herz groß und weit wird bei ihrem Anblick und dem Gedanken, daß er da drinnen Brüder seiner Zunft und Kunstgenossen finden wird, in deren Mitte eine reiche Zukunft voll begeisternder Thätigkeit ihn erwartet, können wir ihn selbst betrachten.
Er ist lang und schlank und von edlem Wuchse, sein Gesicht glatt und fein, nur jetzt etwas von der Frühlingssonne auf langer Wanderschaft gebräunt, unter der edelgebauten Stirn scheinen hohe Gedanken zu wohnen, und noch mehr leuchtet aus den tief dunklen Augen das Feuer echter Begeisterung. Das üppige braune Haar, halblang in der Mitte gescheitelt und rundum glatt geschnitten, bedeckt ein kleiner runder Strohhut.[3] Ueber den enganliegenden Beinkleidern von bräunlichem Leder trägt er eine Art kurze Blouse von rothbrauner Farbe, am schwarzen Ledergürtel hängt ein kurzes breites Schwert und um die Schultern am festen Riemen ein ledernen Sack. Die kurzen Stiefeln von ungeschwärztem Leder bezeugen in ihrem abgerissenen Zustand auch die Weite des Weges, den sie zurückgelegt.
Nachdem er das letzte Stück Brod, das er in dem Sack gefunden, der seine ganze Habe enthielt, verzehrt, ging er auf's Neue mit rüstigen Schritten auf die Stadt zu und betrat sie bald durch ein langes düsteres Thor. Er wußte nirgend Bescheid und bog ohne Weiteres in die enge Gasse ein, die ihn in der Richtung des Kirchthurms zu führen schien, den er sich von Weitem als sein Wanderziel ausersehen. Aber bald verschwand ihm dieser vor den höher aufsteigenden nahen Giebeln, die in den engen, oft krummlinigen Straßen seinen Blick beschränkten, und er ging durch dieselben ohne Plan und Ziel, nur gelockt von der Neuzeit des Anblickes, der sich ihm bot, der Bewunderung und Freude, die ihn erfüllten.
Der Wanderer kam von Straßburg und hatte am Rhein und in Franken, das er jetzt durchzogen, wohl manchen stattlichen Bau und manche aufblühende Stadt[4] gesehen; auch war ihm wohl das Sprüchlein bekannt, demnach kein Fürst so schön wohne wie die Fugger zu Augsburg und die Tucher zu Nürnberg: aber Alles, was er hier sah, übertraf doch seine Erwartungen. Hohe, oft fünfstöckige jedoch schmale und tiefe Häuser kehrten die Giebelseite der Straße zu, so zwar, daß die verschiedenen Geschosse sich treppenartig übereinander thürmten und von der Straße aus den Aufblick nach oben beschränkten. Viele Fenster, meist hoch und weit, oft oben in Bogen gewölbt, schmückten die Häuser, symmetrisch und doch mannigfaltig vertheilt. Zuweilen vereinigten sich zwei oder drei Fensterfelder zu einem vorspringenden Chörlein, das schöne Wappenschilder von zierlicher Steinmetzarbeit schmückten. Wie der Giebel war meist auch die obere Gruppe der Fenster pyramidisch angeordnet und der Giebel selbst Treppenförmig ausgeschnitten, an manchen Häusern auch die einzelnen Stufen mit aufstrebenden Steinverzierungen gekrönt. Ueber den weiten Eingang der Häuser stieg häufig ein kunstgerechter Spitzbogen empor mit steinernem Laubwerk umwunden, oder zeigten sich buntgemalte Wappenschilder oder Zunftzeichen. Und wo ein Haus eine Straßenecke bildete, da fehlte selten an der scharfen Ecke ein vorspringender Wegstein mit einem steinernen[5] oder ehernen Standbild; bald war es ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln, bald ein Ritter mit geschwungenem Speer oder ein Lindwurm. Wo ein weiterer Platz sich zeigte, da stand inmitten gewiß ein Brunnen mit schönen Statuen oder feinem Gitter darum, oder war irgend ein künstliches Druckwerk daran, daß wie von selbst das Wasser heraus und gen Himmel sprang, an der Erde im weiten Steinbecken sich sammelnd.
Hatte der neue Ankömmling auch schon da und dort gleich schöne Bauwerke und Steinmetzarbeiten gesehen, noch nirgend war es ihm vorgekommen, daß sie so dicht zusammen sich drängten, so gleichsam den Bedürfnissen des täglichen Lebens dienten, zu ihnen zu gehören schienen. Und welch' ein wogendes Leben war das auch, das sich dazwischen bewegte! Auf Wagen oder Schleifen wurden Waarenballen von geschäftigen Händen aufgethürmt zu weiterer Versendung, oder abgeladen und in die weiten Hofräume der Häuser geschafft. Ueberall waren die Erdgeschosse Werkstätten, aus denen ein munter bewegtes Leben voll rüstiger Arbeit klang, oder Kaufläden, an deren Fenstern kunstvolle Geräthschaften oft von Gold und Silber blitzten, so daß unser Fremdling schon bei sich selbst eine solche Gasse die Goldschmiedsgasse nannte, noch ehe er wußte, daß sie[6] wirklich diesen Namen führte. Zwischen den geschäftigen Arbeitern, die aus den Werkstätten ab und zu gingen, schritten stattliche Herren, die zum Rath gingen, manche in Pelz und Sammt gekleidet, gleich als ob sie Edelleute wären, indeß sie doch nur bürgerlicher Herkunft, aber den geachtetsten Geschlechtern Nürnbergs angehörend, hatten sie unkundlich selbst vom Kaiser die Erlaubniß zu solch reicher Tracht erhalten, die sonst allein dem Adel zukam. Daneben wandelten gleich reich gekleidete Frauen, die nicht nur mit den Schleppen ihrer seidenen Damastkleider, sondern auch mit ihren weiten hängenden Aermeln die Straße fegten, dem Rath zum Trotz, der schon einmal eine Verordnung wider die Länge solcher Aermel erlassen. Aber neben dem Stolz, der wie aus der Kleidung auch aus der Haltung dieser Frauen sprach, lag auch etwas so Ehrbares und Züchtiges in ihrem Auftreten, das allen Begegnenden Achtung einflößte und die sie erblickenden Männer, mochten sie dem weltlichen oder geistlichen Stande angehören, nöthigte mit höflichen Grüßen an ihnen vorüberzugehen. Und auch unter den einfacher gekleideten Bürgermädchen, von denen manches den schönen Fremdling mit schelmischen Augen neugierig musterte, gab es liebliche Erscheinungen, an denen Alles[7] nett und sauber war, von dem goldgestickten Riegelhäubchen herab bis zum Schuh, der bis an den Knöchel reichte. Wenn sie das Wasser schöpften, am Brunnen sich neigten und dann das Gefäß zum Kopf mit den bloßen Armen emporhoben, so war so viel Grazie in diesen Bewegungen, als Würde bei dem stolzen Auftreten jener Patrizierinnen.
All' dies Leben und Treiben voll Anmuth und Schönheit der Häuser wie ihrer Bewohner war wohl geeignet den Fremden zu fesseln und gleichsam zu übertäuben, daß er ziel- und planlos durch dasselbe schritt, bis er plötzlich sich am Fuße der Veste gewahrend sich doch besann, daß er hier unmöglich auf dem rechten Wege sein könne und daß es Zeit werde, nun einmal danach zu fragen.
Er befand sich eben in einer im Augenblick ziemlich menschenleeren Gasse, als an einem der Häuser eine Thür sich öffnete und ein junger Bursche daraus hervortrat; hinter ihm hörte man polternde Stimmen und vernahm zuletzt die Worte:
»Und somit lass' es dir gesagt sein, halte dich dazu, Albrecht, und verträumere die Zeit nicht, wie es deine Art ist!«[8]
Dem knabenhaften Jüngling, dem diese Worte mit rauhem Tone ausgesprochen galten, schoß das Blut in's feine blasse Gesicht und in die klaren schwärmerischen Augen trat etwas wie eine Thräne. Er schüttelte die langen braunen Locken zurück, die so üppig fast wie Löwenmähnen auf seine Schultern niederflossen, hob einen Topf mit grüner Farbe darauf, indeß er in der andern Hand Pinsel und Richtscheit trug. Diese Hände, zumal die auf das Haupt emporgehaltene, erschienen so weiß, klein und durchsichtig, als wären sie von Alabaster künstlerisch gemeißelt. Die Gestalt war fast klein und schwächlich, aber es lag etwas freudig Selbstbewußtes in ihrer Haltung und sprach von der edlen Stirn trotz der Thräne des Unmuthes im Auge und dem Roth der Scham auf den Wangen, daß der Fremde unwillkürlich davon angezogen ward und gerade ihn sich ausersah nach dem Wege zu fragen.
»Gott grüße Euch!« rief er ihm zu; »wie es scheint, seid Ihr hier zu Hause und könnt mich berichten; wie heißt hier diese Gasse?«
»Unter der Veste,« antwortete Albrecht bescheiden den Gruß erwiedernd.
»Da bin ich wohl weit von meinem Ziel?« antwortete der Wanderer mit etwas fremdartigem Idiom,[9] »ich bin an die Bauhütte der freien Steinmetzzunft von Nürnberg gewiesen.«
»Da habt Ihr freilich dahin noch durch manche Straße und manches Gäßlein zu gehen,« antwortete Albrecht, »und da Ihr fremd hier zu sein scheint, werdet Ihr Euch schwerlich zurecht finden. Ein Stücklein Wegs aber kann ich Euch jedenfalls geleiten und ich bitt' Euch mir zu folgen. Und welche Hütte sucht Ihr wohl? Die große steinerne Bauhütte zu St. Sebald, welche die Baubrüder aufgeschlagen haben, da sie die schöne Sebaldskirche bauten, steht noch dem Rathhaus gegenüber, und bis dahin haben wir nicht weit; wollt Ihr aber in die Bauhütte bei der St. Lorenzkirche, drinnen wieder fleißig gearbeitet wird, weil ein hoher Chor und eine neue Kapelle zum schönen Bau hinzu gestiftet worden, so müssen wir auf die Lorenzer Seite über die steinerne Brücke hinüber.«
»Ihr seid hier wohl bewandert, junger Freund,« antwortete der Fremde, »es ist die Bauhütte von St. Lorenz, in die ich gesandt bin; aber wiewohl mir Euer Geleit gar willkommen ist, so will ich Euch doch nicht veranlassen um deswillen einen Umweg zu machen, da Ihr wohl keine Zeit zu verlieren habt –«[10]
Albrecht erröthete, weil er aus dieser Bemerkung schloß, daß der Fremde die scheltenden Worte, mit denen er vorhin entlassen worden, und wohl gar die Schimpfreden, die vorhergegangen, könne gehört haben. Er unterbrach ihn daher schnell, indem er antwortete: »Mein Weg führt mich auch in diese Gegend. Mein Meister ist gut und wacker, und gerade weil ich an ihm einen nachsichtigen Herrn habe, kann ich's nur seinen rohen Knechten nicht zu Dank machen.«
»Und wer ist Euer Meister?« fragte der Fremde.
»Der Maler Michael Wohlgemuth,« antwortete Albrecht; »vielleicht habt Ihr von ihm gehört, denn sein Name klingt wohl weit in das Reich hinaus, da von vielen entfernten Orten Bestellungen an ihn kommen.«
»Ei freilich kenn' ich seinen Namen und habe schon manch' ein schönes Gemälde in glänzenden Farben auf Goldgrund von ihm gesehen. Hätte ich gewußt, daß es seine Werkstatt war, aus der Ihr tratet, so würde ich der Lust nicht haben widerstehen können mich drinnen umzusehen,« erklärte der Wanderer.
Wenn Ihr hier bleibt,« antwortete der Lehrling des Malers, »so findet Ihr Euch schon ein andermal wieder in Michael Wohlgemuth's Werkstatt ›unter der[11] Veste‹, und es wird mich freuen Euch wieder zu sehen und dem Meister zuzuführen, dessen Verehrer Ihr seid!«
»Ihr wollt also wohl auch ein Maler werden?« sagte der Fremde.
»Ich hoffe es zu Gott,« antwortete Albrecht, »da er mir einmal diesen Drang gegeben, der mir keine Ruhe ließ, obwohl ich mich meinem Vater zu lieb erst dessen eigenem Handwerk widmen wollte.«
»Und wer ist Euer Vater?« fragte der Andere, in dem der etwa siebzehnjährige Jüngling immer größere Theilnahme erregte.
Dieser antwortete: »Der Goldschmied Dürer. Ich hatte immer die meiste Freude daran ihm die Risse und Zeichnungen zu machen zu seinen Werken und viel lieber zu zeichnen als zu hämmern und zu gießen. Da er es aber nicht anders wollte, dacht' ich, ich könne meine Neigung bezwingen, und gab mir alle Mühe in seiner Werkstatt. Aber zuweilen kam es mir hart an und ich grämte mich schier, daß ich darauf verzichten sollte, ein Maler zu werden. Da bat auch die Mutter den Vater für mich, und er that mich zum Meister Wohlgemuth in die Lehre – und nun hab' ich die doppelte Pflicht etwas Rechtes zu lernen und ein rechter Maler zu werden, einmal weil mir's im Innern[12] eine Stimme immer gesagt, daß für mich kein Heil ist außer bei dieser Kunst, und dann weil es meinem Vater hart angekommen, mich aus seiner Werkstatt und in die fremde Lehre zu thun. Solches sag' ich mir täglich, und werde nicht müde zu beten und zu arbeiten, damit es mir gelinge!«
»Dann wird es Euch gelingen!« rief der Fremde und legte seine Hand liebreich auf die Schultern des jüngeren Begleiters. »Durchglüht von echter Begeisterung für die Kunst wachsen uns selbst die Flügel, die uns emportragen in ihr göttliches Reich. Wie Euch zur Malerei, so drängte mich's zur Baukunst, und Nichts wäre im Stande gewesen mich ihr zu entziehen. Nicht wie Euch einem Handwerk, dem Priesterstande wollte man mich weihen, aber mich drängte es zum Hohenpriesterthum der Kunst, und ich denk' ihr zu opfern mit reinen und fleißigen Händen. Gottesdienst ist die Kunst, und selig ist es ihr zu dienen in rechter Treue, und wenn es sein muß, sich selbst ihr zu opfern!«
»Amen!« sagte Albrecht Dürer; »Ihr sprecht mir aus der Seele und es klingt fast so schön, als hört' ich meinen Freund Willibald. Aber ich darf nicht länger mit Euch plaudern. Hier an der Brücke bin ich am Ziel, und Ihr seid es bald, Ihr braucht nur über[13] sie zu gehen, dann der geraden Straße zu folgen, dann führt Euch links die dritte Gasse an Euer Ziel. Seht hier die Brücke: sie ist kunstvoll gebaut in einem einzigen Bogen nach dem Muster der Rialtobrücke in Venedig – ich kann nicht hinübergehen ohne zu wünschen, auch einmal nach Venedig selbst zu kommen. Waret Ihr schon dort?«
»Noch nicht,« antwortete der Fremde, »aber wir werden es schon beide einmal sehen. Doch vorerst muß man sich umsehen im deutschen Lande, deutsche Art und Kunst kennen lernen und bei deutschen Meistern arbeiten, ehe man in's Ausland geht. Da muß man erst fest sein in heimischer Kunst, damit die fremde sie wohl läutere, aber nicht verderbe und verdränge. Und nun habt Dank, wenn wir jetzt scheiden müssen, vielleicht such' ich Euch bald heim in Meister Wohlgemuth's Werkstatt unter der Veste, bis dahin vergeßt den Steinmetzgesellen Ulrich aus Straßburg nicht!«
Um einzuschlagen in die dargebotene Hand, legte Albrecht Pinsel und Richtscheit aus seiner Hand auf einen der vorspringenden kleinen Steinsitze an der schön geschnörkelten Hausthür, vor der er stand, und sagte:
»Da drinnen im Haus des Rathsherrn Muffel giebt's Treppengeländer anzustreichen – da gehört freilich[14] keine Kunst dazu, noch giebt's etwas dabei zu lernen, aber der Meister meint, dergleichen bringe ihm mehr ein als die künstlichen Gemälde, weshalb er solche Arbeit niemals von der Hand weis't. Seine Knechte aber denken mich zu demüthigen, wenn sie mich so in die Häuser der Vornehmen schicken mit gemeiner Arbeit, da ich lieber in der Werkstatt säße und conterfeite. Aber ich denke, es muß Alles geschehen der Kunst zu Nutz, und thue es willig. Und nun Gott zum Gruß!«
»Gott zum Gruß, wackerer Jünger der Kunst,« sagte Ulrich; »mir sei es ein gutes Zeichen, daß gerade ein solcher der erste Nürnberger war, mit dem ich in dieser edlen Reichsstadt das erste Wort gewechselt, das viele gegeben!«
Ulrich schritt über die Brücke und hatte nicht mehr weit zu gehen, da stand er vor der Bauhütte zu St. Lorenz, über deren Eingang das Wappen der freien Steinmetzzunft zu Nürnberg prangte: zwei goldene Hämmer inmitten eines himmelblauen Feldes, zur linken Seite ein Cirkel, zur rechten ein Winkelmaß. Daneben ragte die prachtvolle Lorenzkirche; die geöffneten Thüren und ein aufsteigendes Gerüst an der einen Seite zeigte an, daß man auf's Neue an ihrer Verschönerung arbeitete und neben dem ersten ein zweiter[15] Thurm seiner Vollendung entgegen wuchs. Aus der Bauhütte klang es von emsigen Meißeln und Feilen fleißiger Steinmetzen.
Ulrich näherte sich der Thür und schlug dreimal daran mit seinem Schwert.
Alsbald öffnete sich dieselbe und ein Mann in mittleren Jahren trat heraus. In seinen langen braunen Bart mischte sich das erste Grau und tiefe Linien liefen über seine hohe Stirn. Er trug eine kurze Blouse ohne Aermel, da er zur Arbeit das kurze Obergewand ausgezogen und mit einer Lederschürze vertauscht hatte. Seine grauen Lederbeinkleider reichten bis zu den Stiefeln von ungeschwärztem Leder. Um die Hüften hatte er einen breiten Gürtel, an dem allerlei Werkzeuge hingen. Er musterte den Anklopfenden mit einem prüfenden Blick, reichte ihm die Hand, nickte befriedigt zu der Art seines Händedruckes, und indem er sein Ohr dem Munde des Fremden näherte, sagte er:
»Gebt das Paßwort.«
Ulrich flüsterte es ihm leise in's Ohr.
Darauf nickte der Werkmeister zustimmend, denn das war der Herausgetretene, nahm den Gesellen an der Hand und führte ihn mit sich in die Hütte, in welche jedem Profanen zu treten verboten war, und die[16] nur dem sich öffnete, der das Paßwort der freien Maurer zu geben vermochte.
Ulrich trat ein und grüßte nach der Sitte aller Wandergesellen, die eine fremde Bauhütte betraten: »Gott grüße Euch! Gott weihe Euch! Gott lohne Euch! Euch Obermeister Erwiederung, Gruß Euch Pallirer und Euch hübschen Gesellen!«
»Gott grüße Euch!« antwortete der Werkmeister, »seid uns willkommen im Namen der freien Steinmetzzunft zu Nürnberg!« und reichte ihm noch einmal die Hand.
Dann trat der Pallirer zu ihm, der dem Werkmeister als Vorgesetzter der Gesellen und Lehrlinge zur Seite stand. Hatte der Werkmeister für die Arbeitvertheilung an die Einzelnen und das Material zu sorgen, so war es das Amt des Pallirers, wie auch sein Titel aus drückte, vorzüglich die Verschönerung der Arbeit zu berücksichtigen. Außerdem hatte Jeder von beiden noch besondere Obliegenheiten, wie der Beruf sie mit sich brachte. Der Pallirer Andreas, welchen Ulrich begrüßte, war dem Werkmeister ähnlich gekleidet, aber an Jahren jünger als dieser, groß und breitschultrig, eine stämmige fast athletische Gestalt. Sein Gesicht war wettergebräunt und rabenschwarzes Haar fiel in glatten Strähnen nach[17] hinten zurück. Er reichte dem Ankömmling die Hand und sagte auch: »Gott grüße Euch, wie wir Euch danken für Euren Gruß.«
Die Gesellen und Lehrlinge alle, die ringsum arbeiteten und, seit Ulrich eingetreten war, schon aufgehört hatten durch Meißeln und Feilen Geräusch zu machen, legten nun alle ihr Werkzeug hin, und einer ging nach dem Andern auf Ulrich zu, ihn mit Gruß und Handschlag willkommen zu heißen. Dann hielt dieser dem Werkmeister seinen Hut umgekehrt hin und sagte:
»Nun bitte ich um eine Gabe, dann um ein Stück Stein, dann um Werkzeug! Damit helfet mir auf, daß Euch Gott auch helfe.«
Darauf legte der Werkmeister, der den Lohn zu zahlen hatte, Geld in den Hut, nicht als ein Almosen, sondern als einen Vorlohn, und fragte Ulrich nach seinen Zeugnissen.
»Gott danke dem Meister und Pallirer und den ehrbaren Gesellen!« antwortete Ulrich dankend, öffnete seine Ledertasche und holte ein großes gelblich schimmerndes Papier hervor. Darauf stand mit zierlichen Buchstaben geschrieben, daß der Steinmetzgeselle Ulrich Wüll von ehrlicher Geburt sei und als Oblate im Kloster der Benediktiner erzogen; daß er mit fünfzehn[18] Jahren sich in der Bauhütte zu Straßburg als Lehrling gemeldet und darin aufgenommen worden; daß er vier Jahre als Lehrling gelernt und sich brav gehalten, darauf die Prüfung als Geselle bestanden in vorzüglicher Weise; daß er wohl erfahren sei in der geweiheten Lehre des Albertus Magnus, vertraut und geschickt in der Führung des Winkelmaßes und Richtscheites, und daß man allerlei schöne und zierliche Arbeit ihm anvertrauen könne. Und so war seiner Brauchbarkeit und Sittlichkeit das beste Zeugniß gegeben. Versehen war diese Schrift mit dem großen Siegel der Hauptbauhütte zu Straßburg, das diese Umschrift hatte und inmitten eine Mutter Gottes, auf den Feldern zur Seite Cirkel und Richtscheit.
Der Werkmeister erkannte die Echtheit dieses Documentes. Alsbald wies er Ulrich einen unbehauenen Stein an, reichte ihm das Werkzeug und hieß ihn daran ein Probestück ablegen.
Ulrich wälzte sich den schon winkelrecht behauenen Stein zurecht und begann daran mit dem Cirkel, Winkelmaß und Richtscheit zu messen, und ohne sich eines Maßbrettes zu bedienen, das Profil aufzureißen nach dem Grundsatz des Achtortes, der bei dem Kirchenbau im Großen wie im Kleinen galt. Der Pallirer[19] sah ihn dabei aufmerksam zu, und manche von den zehn Gesellen und fünf Lehrlingen, die in der Hütte arbeiteten und ihre vorige Beschäftigung wieder aufgenommen hatten, schielten von der eigenen Arbeit neugierig zu der des neuangekommenen Baubruders hinüber, und bewunderten ihn schon, weil er das Maßbrett verschmähte. Einer der Gesellen schob ihm sogar das seinige zu, weil er meinte, Ulrich habe nur keines erhalten.
Dieser aber zeigte auf das, welches zu seiner Seite lag, dankte dem Gesellen und sagte: »Wenn ich hier mitarbeite den Bau zu fördern, werde ich auch das Maßbrett zur Hand nehmen und danach arbeiten, weil dadurch Zeit und Mühe erspart wird; aber wenn ich ein Probestück ablegen soll, so muß ich zeigen, daß ich mich auf den Grundsatz des Achtortes selbst verstehe und daß ich ein Maßbrett in meinem Kopfe trage.«
Der Pallirer nickte beifällig aber schweigend dem lächelnd aufhorchenden Werkmeister zu. Alle Gesellen arbeiteten schweigend weiter, aber der, welcher seinen Platz neben Ulrich hatte, verwendete fast kein Auge von ihm, so weit als die eigene Arbeit es zuließ.[20]
Die Steinmetzgesellen nannten Alle den blonden Bruder Hieronymus zum Unterschied von andern dieses Namens, denn er fiel überall auf durch sein üppiges goldglänzendes Haar. Seine Augen waren blau und sanft, aber es lag doch ein Ausdruck von Energie in seinen Zügen, die weder schön noch regelmäßig waren, aber doch das Gepräge geistigen Adels trugen. Er gehörte mit unter die jüngeren Gesellen, obwohl er einige Jahre mehr zählen mochte als Ulrich.
Etwa eine Stunde konnte verflossen sein seit dessen Ankunft, als das Mittagsglöckchen läutete. Bei seinem ersten Klange legten Alle in der Hütte die Arbeit weg. und standen mit gefalteten Händen schweigend da, indeß der Werkmeister ein kurzes Gebet sprach. Nach dessen Vollendung, als Alle sich anschickten die Hütte zu verlassen, sagte er zu Ulrich:
»Ihr scheint ein guter und geschickter Arbeiter zu sein und Eure Zeugnisse lauten günstig. Heute werdet Ihr müde sein von der Reise, da mögt Ihr der Ruhe pflegen und Euch Quartier suchen; aber morgen um fünf Uhr, wenn sie Morgen läuten von der St. Lorenzkirche, da seid in der Hütte zum Frühgebet und zur Arbeit, da wird Euch auch der Hüttenmeister empfangen.«[21]
Ulrich dankte und trat aus der Hütte. Draußen aber faßte ihn der blonde Hieronymus unter dem Arm und sagte: »Quartier brauchst Du Dir nicht zu suchen, Bruder Ulrich, das findest Du bei mir, wir können die Mahlzeit und das Lager theilen.«
»Vergelt' es Dir Gott, Bruder Hieronymus!« sagte Ulrich, denn er hatte vorhin den Namen des Steinmetzen schon gehört und gemerkt, weil sein Träger ihm auch gefiel. »Der große Aeneas Sylvius scheint recht zu haben, der Nürnberg eine feine Stadt nennt voll wohlerzogener und gastfreier Leute.«
»Das ist wohl nur gut nürnbergisch,« antwortete Hieronymus, »und ich bin selbst ein Nürnberger Kind, aber Baubrüder, mein' ich, sollen in allen Stücken auch Brüder sein und miteinander arbeiten und streben in wie außer den Hütten.«
»Ich denke auch so,« antwortete Ulrich, »und will's Gott, so soll es Dich nicht gereuen, daß Du mir zuerst also freundlich begegnest.«
»Meine Wohnung ist nicht weit von hier,« sagte Hieronymus, »in einem Seitengäßlein von St. Katharinen.«
Bald war sie erreicht, und die Baubrüder traten in ein kleines Haus, in dem sich unten die Werkstatt eines[22] Formenschneiders und Rädleinmachers des Meister Sebald befand. Oben an der Stiege aber wartete ein altes Mütterlein, bot den Einkehrenden fröhlichen Gruß und eilte das Mittagsessen für sie aufzutragen.
»Es langt schon für Zwei!« rief sie wohlmeinend dem fremden Gast entgegen.[23]
Buchempfehlung
Den Bruderstreit der Herzöge von Gothland weiß der afrikanische Anführer der finnischen Armee intrigant auszunutzen und stürzt Gothland in ein blutrünstiges, grausam detailreich geschildertes Massaker. Grabbe besucht noch das Gymnasium als er die Arbeit an der fiktiven, historisierenden Tragödie aufnimmt. Die Uraufführung erlebt der Autor nicht, sie findet erst 65 Jahre nach seinem Tode statt.
244 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro