XI. Wiedersehen

[178] »Ein Thor, wer auch die Hefen schlürfte,

Weil er den Becher ausgeleert;

Wir wären, wenn's so enden dürfte,

Eines des Andern nimmer werth.«

Franz Dingelstedt.


Die Langeweile war es, welche Jaromir noch lange an Bella gefesselt hatte, obwohl sein Herz längst Nichts mehr wußte von diesem Bande. Auch hatte sich das Verhältniß geändert, früher war er der Sklave ihrer Launen gewesen, später mußte sie die seinen ertragen.

Zuweilen war er lange außen geblieben, aber endlich war er doch immer wieder zu ihr gegangen, weil er für die Stunden, die er bei ihr zuzubringen pflegte, doch nirgends andern Ersatz fand. Um es mit einfachen Worten kurz zu sagen: es fehlte ihm Etwas, wenn er lange nicht bei ihr gewesen war, und so ging er immer wieder zu ihr. Wollte sie ihn dann mit Vorwürfen empfangen, daß er so lange nicht da gewesen, so setzte er ihrer leidenschaftlichen Heftigkeit eine ernste, fast schwermüthige Ruhe entgegen,[178] welche sie bald entwaffnete – ja sie selbst war auch so an ihn gewöhnt, daß sie oft über der Freude, den lang Vermißten wiederzusehen, vergaß, daß sie ihm hatte grollen wollen.

Einmal jedoch, als eine ganze Woche vergangen war, ohne daß Jaromir bei Bella gewesen war, erwachte die Eifersucht in ihr – sie fürchtete, daß er eine Andere liebe. Das schöne junge Mädchen – Elisabeth – fiel ihr wieder ein, mit welchem ziemlich zugleich sie einst Jaromir hatte das Haus, welches sie bewohnte, verlassen sehen. Zwar hatte ihr später Jaromir gesagt, daß er von Thalheim gekommen sei, mit dem er ein Geschäft abzumachen gehabt – sie mochte denken, ein literarisches – aber sie war sich doch genau bewußt, daß seit diesem Tage Jaromir's Stimmung verändert war, daß er von diesem Tage an aufgehört hatte ihr Sclave zu sein. Baron Füßly, welcher mit Aurelie Treffurth wirklich ein kleines Liebesverhältniß angesponnen, und bei ihren Eltern um ihre Hand geworben hatte, da er sie für eine gute Partie betrachtete, war zurückgewiesen worden, da umgekehrt Aureliens Eltern, welche von seinen Schulden und ausschweifendem, thatlosem Lebenswandel hörten, ihn für eine sehr schlechte Partie hielten, und ihre Tochter seinen Ueberredungskünsten dadurch entzogen, daß sie dieselbe aus der Residenz in ihren Familienkreis zurückriefen, wo Aurelie, die erst stolz darauf war, sich bald verheirathen[179] zu können, es nun auch darauf war: einen Korb ausgetheilt zu haben, und sich über diese Trennung weiter nicht grämte. Füßly aber war über diese fehlgeschlagene Hoffnung ziemlich verstimmt, und suchte bei der schönen Schauspielerin seine üble Laune zu vergessen. Er fand auch ziemlich Gnade vor ihren Augen, und von ihm, als Jaromirs intimsten Bekannten, konnte sie wohl erfahren, welche Gesellschaften dieser jetzt besuche, und welches neue Interesse ihn fesselte. Es wäre nun vielleicht in Füßlys Interesse gewesen, Jaromir bei Bella zu verdrängen, aber in seinem noch größeren war es, ihn sich zum Freund zu erhalten, denn außer von der Nachsicht seiner Gläubiger lebte Füßly jetzt nur noch von Jaromirs Großmuth. Daher suchte er Bella die reine Wahrheit zu sagen, daß Jaromir in keiner Gesellschaft eine Dame besonders auszeichne, daß er überhaupt meist nur in Herrengesellschaft gehe, und daß sein verändertes Benehmen wohl Nichts sei, als eine Dichterlaune, da er jetzt an einem größeren Werke arbeite. Bella war dadurch noch nicht vollkommen beruhigt, und verschmähte es nicht, auch durch ihr Kammermädchen, welche mit Jaromirs Diener vertraut war, über ihn Erkundigungen einzuziehen. Aber auch hier blieb es dabei: Jaromir erhielt weder Briefe oder Billette von einer Dame, noch schrieb er dergleichen an solche, ging auch nicht heimlich aus, noch fand sich überhaupt bei seinem ganzen Thun[180] irgend etwas Geheimnißvolles. Bella konnte sich beruhigen.

Eines Tages, als er nach langer Abwesenheit wieder bei ihr eintrat, und wie gewöhnlich neben ihr auf dem Sopha Platz nahm, schmiegte sie sich zärtlich an ihn, und sagte:

»Ist es auch Recht, daß Sie jetzt über Ihren Dichtungen das wirkliche Leben ganz vergessen? Ist es Recht, daß Sie über Ihren Traumbildern Ihre Geliebte vernachlässigen?«

Er sah sie halb erschrocken an, machte sich von ihr los, stand auf, und sagte sehr ernst: »Also immer noch diesen Traum, Bella? Diesen Traum, aus dem ich längst aufgewacht bin, in dem ich Sie schon lange nicht mehr befangen glaubte.«

Sie erhob sich rasch, ihr Gesicht glühte. »Und das sagen Sie so ruhig. – Sie bekennen, daß Sie mich getäuscht haben, daß Sie eine Andere lieben!« rief sie außer sich.

Er schüttelte langsam die dunkeln Locken: »Getäuscht? Was sind alle Liebesverhältnisse, ja alle Lebensverhältnisse überhaupt anders, als eine Kette oft gezwungener, immer wenigstens absichtsloser Täuschungen? Ich eine Andere lieben? Nein, das ist für mein Herz vorbei – das hat gelernt, daß das Glück der Liebe nur ein Traum ist. In der[181] Zeit, wo aus der knospenden Kindheit ein heiliger Zauberschlag die volle Blüthe reifer Jugend entfaltet – da liebt man ganz und wahrhaftig, da lebt man im lachenden Frühling, wo der Himmel ewig blau ist, und die ganze Natur grün und blühend und ein seliges Paradies. – – Aber jeder Mensch muß sein Paradies verlieren; die Einen treibt der Racheengel gewaltsam fort, die Andern kehren ihm langsam, aber freiwillig den Rücken, freiwillig – bis sie plötzlich gewahr werden, was sie verloren, und nicht mehr zurück können.«

Er hielt inne – er hatte begeistert, aber sanft gesprochen, als wenn er daheim allein an seinem Schreibtisch säße, und nur sein Papier zum Zeugen hätte – seine Augen glänzten, seine Lippen zuckten schmerzlich lächelnd, ein sanftes Roth lag auf seinen Wangen – sie hatte ihn nie schöner gesehen. Sie setzte sich wieder, und wagte Nichts zu entgegnen, endlich sagte sie:

»Sprechen Sie so weiter,« und während ihre Augen innig an ihm hingen, fuhr er fort:

»Was man später von Liebe spricht, so ist es ein Spiel, das man nicht mit dem fremden Herzen allein, sondern auch mit dem eignen treibt – aber das Spiel ermüdet, man läßt das Spiel auch fallen – und wenn es dabei zerbricht, so sagt man mit einem Seufzer, wie das Kind: ich habe[182] Nichts dafür gekonnt; ich hab' es nicht zerbrechen wollen – oder man wendet sich mit Ekel ab – oder –«

»Jaromir!« fiel sie ihm außer sich in's Wort.

Er fuhr ruhig fort, wo er abgebrochen: »Oder man sagt einander: Wir sind zum Spielen zu alt, wir wollen das aufgeben, und nicht mehr kindisch sein – unsere Puppen taugen nicht mehr, sie sind schlecht geworden, wir wollen das elende Zeug bei Seite werfen, es soll uns nicht mehr quälen!« Er setzte sich wieder neben sie, und nahm ihre Hand:

»Bella, unsere Liebe war ein Spiel, unsere Freundschaft wird uns dauernd beglücken.«

Sie sah stumm vor sich nieder.

»Bella,« wiederholte er wieder, »erinnern Sie sich noch des Abends in Berlin, als Sie die Armida gegeben hatten? Sie waren wirklich diese allgewaltige Zauberin gewesen, welcher Niemand widerstanden hatte, Rinaldo nicht auch Jaromir nicht. Ich begleitete Sie in Ihre Wohnung. Sie waren erschöpft von der Anstrengung der Rolle – ich trug Sie halb ohnmächtig in Ihr Zimmer; ich legte Sie auf Ihr Sopha, und knieete zu Ihren Füßen – ich war nicht um Sie beschäftigt, Sie wieder zum Bewußtsein zu bringen, ich hielt nur Ihre kleine Hand zwischen der meinen, und schaute Sie unverwandt an – Sie kamen wieder zu sich, und wir lagen einander in den Armen, aber[183] wir sprachen nicht. Wir waren allein, Ihre Verwandte lag krank in einem entfernten Zimmer, bei ihr waren Ihre Dienerinnen – – ich vergaß Alles, ich vermeinte in den Zaubergärten Armidens zu sein – von einer andern Wirklichkeit wußte ich Nichts, als von der, daß mich Armida in ihren Armen hielt.«

»Warum diese Erinnerung?« fragte sie erröthend. »Warum das jetzt?«

»Eben weil es eine Erinnerung ist, die niemals wieder Gegenwart werden kann,« versetzte er, und fuhr fort: »Wir waren allein, unsere Küsse wurden Flammen – da riefen Sie plötzlich: Schonung! Ich bin ein schwaches Weib – da besann ich mich, ich erwachte aus meinem Sinnentaumel – ich hatte mich einer Zauberin ergeben – an ein schwaches Weib hatte ich nicht gedacht – ich sagte: ja ich muß fort – und schied plötzlich. – Sie sind stumm?« fügte er nach einer Pause hinzu.

»Es ist nicht zart, daß Sie mich bei einer solchen Erinnerung zum Antworten zwingen wollen,« sagte sie, und sah vor sich nieder.

»Wir müssen einmal wahr gegen einander sein, sonst kann es zu keiner Freundschaft kommen, wie ich sie ersehne; wir müssen uns einander keine Erklärung schuldig bleiben. Wir haben ja keine That begangen, vor der wir erröthen müßten – und was Sie Hundert Mal auf der Bühne[184] ohne Erröthen geschildert haben, und schildern gehört, das können wir ja einander auch ein Mal ohne Vorstellung und ohne Redepomp im wirklichen Leben sagen,« antwortete er ernst mit unveränderter, sanfter, freundlicher Stimme.

»Nun,« erwiderte sie, »seit jenem Abend sagte ich mir: Jaromir ist kein Lüstling, wie die andern Männer, er ist edler – ich muß ihn höher achten, als die andern – aber vielleicht hat er auch keine Leidenschaften, vielleicht auch kein Herz.«

»Es kann sein, daß man mir das Herz ertödtet hat,« sagte er dumpf, »erkältet wenigstens hat man es gewiß. – Nach jenem Abend sahen wir uns einige Tage nicht – ich war mit mir zufrieden. Ich prüfte mein Herz – ich fragte mich, ob uns Beide die Ehe beglücken könnte. – Sie lächeln?«

»Ich werde mich nie vermählen,« sagte Bella. »Sie wissen es, eine verheirathete Schauspielerin ist eine Art Amphibie – sie muß dem verwässerten Element der Ehe angehören, und doch zugleich auf dem Land der Bühne leben – sie wird weder vom Gatten, noch vom Publikum vernachlässigt sein wollen – und vielleicht wird sie es gerade von Beiden sein. Nein, nein! Niemand kann zweien Herren dienen, ich wäre eine sehr schlechte Gattin, und hätte dabei vielleicht auch die Aussicht, eine schlechte Sängerin zu werden,« fügte sie mit munterm Ton hinzu.[185]

»Jetzt endlich sind Sie wieder Sie selbst,« rief Jaromir, »und legen die Sentimentalität ab, mit welcher Sie mich vorher empfingen, und die mir an Ihnen so fremd ist. – Was Sie da von sich selbst gestehen, dacht' ich auch, und noch mehr: wenn ich mir sagte, daß sie keine hingebende Gattin, und als solche auch nicht glücklich sein würden, so sagte ich mir auch noch, daß ich als Gatte vielleicht der unerträglichste, bestimmt aber der unglückseligste aller Menschen sein würde.«

»Das ist ein sehr naives Geständniß!« sagte Bella.

»Gewiß,« fuhr Jaromir lebhaft fort, »ich sagte mir, daß ich nicht einmal einige armselige Tage in der Ehe würde glücklich verträumen können, wie es doch die Andern im Stande sind, eben weil ich mir mitten in jedem leidenschaftlichen Rausch sagen konnte: morgen wirst Du nüchtern und ermüdet sein. Ich fühlte, daß Ihr Besitz mit einem elenden, gefesselten Leben zu theuer erkauft sei – und weil ich dies fühlte, erkannte ich, Sie nicht wahrhaft zu lieben, denn der Liebe ist kein Preis zu theuer! Und dazu, Bella, liebte ich Sie eben zu sehr – oder, wenn das deutlicher ist: Sie waren mir zu werth, ich stellte Sie zu hoch, um Ihnen Reue und Kummer zu bereiten. – Bella! Sie sind mir heute so theuer und so werth, ja so unentbehrlich, als irgend einmal – aber niemals haben Sie wieder jenes stürmische Verlangen in mir erweckt, wie an jenem Abend in[186] Berlin –: urtheilen Sie, ob ich noch leidenschaftlicher Liebe fähig bin. Nein, ich habe Sie für immer begraben! – Und wissen Sie, wenn das war? – An jenem Tage, als Sie sich zuerst darüber beklagten, daß ich gegen Sie verändert und unhöflich gewesen. Ich sage Ihnen Alles. Meine erste Liebe war ein allmächtiges, heiliges Gefühl, das mein ganzes Dasein, mein ganzes Streben ausfüllte – meine erste Geliebte ward mir untren – begreifen Sie, was das heißt? Meine Liebe war mein Leben gewesen, sie allein hatte ihm Farbe und Glanz gegeben, und diese Liebe ward verhöhnt, in den Staub getreten, und dadurch ward mein ganzes Leben zu einem wesenlosen, finstern Schemen. O, es ging Alles sehr natürlich zu – es war gar nichts Außergewöhnliches – das Mädchen war gewiß sehr vernünftig,« sagte er höhnisch, indem er dabei innerlich zitterte – »es machte eine gute Partie – es war arm, und ich damals auch, und hätte auf mich noch lange warten müssen – der Andere wandte ihr den Brautkranz sogleich in's Haar – so Etwas geschieht alle Tage – warum nicht auch eines Tages mir? – Jahre sind vergangen, ich hatte meine Verzweiflung und das Mädchen vergessen – an jenem Tage, wo sie zuerst über mich klagten, stand ich an dem Sterbebette dieser Einstgeliebten – wohin sie mich verlangt hatte. Ich brachte keine Liebe mehr mit zu ihr – keine Liebe – sie war für immer aus meiner Brust gerissen – und das war der[187] Fluch ihrer That! – Aber ich kam zu der Erinnerung von ehemals, ich hatte wieder das klare Bewußtsein von dem, was Liebe eigentlich sei, was sie einst aus mir gemacht, wie sie mich beglückt und erhoben hatte – und da fühlte ich, daß es für mich damit aus sei.«

Er hielt beinahe erschöpft inne, sie hatte sanft seine Hand ergriffen, und drückte sie theilnehmend, indem er fortfuhr: »Vielleicht begreifen Sie nun, daß mich plötzlich wieder jedes Liebesspiel anekelte, daß ich keinen zärtlichen Liebhaber spielen mag, da ich erkannte, daß ich nur ein Mal es wirklich gewesen, und außerdem Nichts als ein gemeiner Gaukler, der aber seine Kunst so weit gebracht hat, daß er sogar sich selbst zu betrügen gelernt! – Darum, Bella, fordern Sie keine zärtlichen Worte und Blicke mehr von mir, aber seien Sie meiner Freundestreue gewiß. Sie sind mir unentbehrlich, lassen Sie mich bei Ihnen die Stätte finden, wo ich meine besten Freuden genieße!«

Sie fühlte, wie Recht er hatte, sie hatte Mitleid mit ihm, sie war gerührt – und ihr Stolz war geschmeichelt, daß er sich nicht ganz von ihr losreißen konnte, ihrer Eitelkeit war genug gethan, daß er keine Andere liebte – sie selbst hatte auch keine tiefe Leidenschaft für ihn empfunden, aber sie vermißte ihn schmerzlich, wenn sie ihn entbehren mußte, und deshalb sagte sie in heiterm Tone:

»Nun, so sollen Sie denn das Recht haben, ein ungalanter[188] Liebhaber zu sein, wenn Sie nur ein desto treuerer Freund sind – ich werde mir andere Anbeter suchen müssen, sie sind ja auch keine Seltenheit – aber treue Freundschaft ist eine, und so wollen wir denn davon ein musterhaftes Exemplar zu Stande bringen.«

So aufrichtig war dies neue Bündniß zwischen diesen Beiden geschlossen worden. Aufrichtig, denn was Jaromir verschwieg, das schlummerte selbst in seiner Seele Tiefen als ein ungelöstes, heiliges Räthsel.

Er hatte Elisabeth zum zweiten Male gesehen, er war von diesem Augenblicke an wieder ein begeisterter Dichter geworden. Aber er hatte nicht nach ihr geforscht, er hatte sie nirgends gesucht. Wie ein wunderherrliches Traumbild war sie ihm erschienen, so, sagte er sich, sollte sie in ihm fortleben. Warum auch diese himmlische Erscheinung hereinziehen in die gemeine Wirklichkeit? Sie würde in ihr doch auch in ein leeres Nichts zerfließen, so meinte er, und das wollte er sich ersparen; er wollte nicht auch dieses Ideal vernichten, um es mit zu den andern umgestürzten Göttern seines Innern und seines Lebens zu werfen, deren Fall er schon beweint oder verspottet hatte. Dieselbe Macht, welche sie ihm zwei Mal in den Weg seltsam geführt, die werde es auch noch ein drittes Mal so fügen, er wußte es – aber er fragte weiter nicht darnach, er bemühte sich nicht darum. Aber wie eine leuchtende Gestalt stand sie immer vor seiner[189] Seele, und es gab Momente, wo er sinnend in selige Träumereien versank – sie kamen ihm dann, wenn er ihrer gedachte.

Der Frühling war gekommen. Bella nahm Urlaub zu einer Kunstreise. Jaromir hatte sich nun noch mehr, als je gelangweilt. Er hatte daher mit Vergnügen den Vorschlag eines seiner Bekannten, von Waldow, angenommen, ihn auf das Gut seines Oheims, welchen er früher schon einmal kennen gelernt, zu begleiten, um fern von der Stadt in Bergen und Thälern den Frühling in seinem ersten Kommen zu belauschen.

Und so hält denn jetzt der Wagen, in welchem der Rittmeister von Waldow mit seinem Neffen und Jaromir sitzt, im weiten Hofe des Schlosses Hohenthal.

Die Ankommenden wurden gemeldet, und in das Empfangzimmer geführt. Die Gräfin, eine sehr hohe Gestalt, mit edlen, feinen Zügen, welche noch im Alter Spuren einer stolzen Schönheit zeigten, saß auf dem Sopha – der Graf trat einige Schritte nach der Thüre den eintretenden Gästen entgegen. Jaromir ward vorgestellt, und mit besondrer Huld begrüßt. Bereits hatte man sich eine Weile ziemlich lebhaft unterhalten, und der Rittmeister dem Grafen fein zu verstehen gegeben, daß er ihn allein und in Geschäften zu sprechen wünsche; man stand eben auf, um, weil jetzt gerade die Sonne noch so warm schien, einen Spaziergang[190] in den Park zu unternehmen, als sich eine Seitenthüre öffnete, und Elisabeth eintrat.

»Meine Tochter Elisabeth – Graf von Szariny – Herr von Waldow –« sagte die Gräfin.

Elisabeth verneigte sich mit einem leisen Erröthen, und einem Ausdruck der Ueberraschung im Blick, als sie diesen auf Szariny richtete.

Szariny verneigte sich tief, und warf einen seelenvollen, bittenden Blick auf sie, welcher zu flehen schien: verrathe unser Geheimniß nicht – laß es vor diesen gleichgiltigen Augen Niemand sehen, daß es heute nicht zum ersten Male ist, wo wir uns gegenüber stehen – – denn er hatte es auf ihrem Antlitz gelesen, daß sie ihn erkannt hatte. Ihn selbst hatte ihre plötzliche Erscheinung geblendet – er war nicht gleich eines Wortes fähig, aber er war zu sehr Weltmann, um länger, als durch einen Augenblick stummer Bestürzung sein Erstaunen zu verrathen.

Der Rittmeister ging mit dem Grafen in dessen Zimmer. Die beiden jungen Herren begleiteten die Damen des Hauses in den Park. Jaromir wußte sich davon keine Rechenschaft zu geben – aber er war nicht im Stande, mit Elisabeth eine Unterhaltung anzuknüpfen, er ging an der Seite der alten Gräfin, welche in ihrer frühesten Jugend Jaromirs Mutter, ehe dieselbe nach Polen gezogen war, als Mädchen gekannt hatte, und daher mir warmer Theilnahme[191] Jaromir nach derselben befragte. Dadurch kamen sie Beide in ein mit Innigkeit geführtes Gespräch, welchem Waldow wenig Aufmerksamkeit schenkte, und er schien an Elisabeths Seite schlendernd diese mit seinem seichten Salongeschwätz mehr zu langweilen, als zu unterhalten.

Man nahm in einem sonnigen Bosquet Platz, da die Gräfin niemals weit zu gehen vermogte, als plötzlich hinter einem meldenden Diener eine lange, hagere Gestalt mit klapperdürren Beinen einhergeschritten kam.

»Hofrath Wispermann« – ward angemeldet, und erschien auf einem leichten Wink der Gräfin unter tiefen Verbeugungen.

»Mein Gott,« sagte Waldow, noch eh' Jener herzutrat, halblaut zu Jaromir und Elisabeth, zwischen denen er saß, »da ist wieder dieselbe stereotype Gestalt von heute Morgen, welche ich nun nicht anders, als den Unvermeidlichen nennen werde – denn jetzt ist gewiß kein Haus und Schloß in unsrer Nachbarschaft, in welchem sein Schatten nicht erschienen.«

Wie der Hofrath mit bei der Gesellschaft saß, war natürlich wieder die neue Wasserheilanstalt der Kern des Gesprächs.

Elisabeth fand das sehr langweilig, und da sie in nicht geringer Entfernung ein Maiblümchen blühen sah, so ging sie hin und bückte sich, dasselbe zu pflücken.[192]

Jaromir stand auch auf und folgte ihr, indem er sich stellte, als sei er der Meinung, sie wolle etwas Verlorenes aufheben. »Ach, Sie wollten nur das arme Maiblümchen pflücken, das so silberschön aus dem feuchten Moose hervorschaut,« sagte er, wie sich berichtigend.

Sie zog die Hand von dem zarten Stengel wieder hinweg, den sie noch nicht geknickt hatte, und sagte, zu ihm aufblickend:

»Soll das eine Bitte sein, das Maiblümchen nicht zu pflücken? Es ist das erste, welches ich blühen sehe in diesem Frühling.«

»Das erste – ja alles Erste muß man schonen,« sagte Jaromir. »Dann freilich brechen Sie es wenigstens nicht eher, als bis alle seine kleinen Glöckchen aufgeblüht sind – morgen ist der erste Mai, den haben sie einläuten wollen.«

»Alles Erste muß man schonen,« wiederholte Elisabeth sinnend. »Warum alles Erste gerade – warum nicht alles Letzte?«

»O,« sagte er, »weil alles Erste von hoher Bedeutung ist – eine erste Blume und eine erste Begegnung und ein erstes Wort.«

Sie erröthete leicht, und sagte nur, auf den Rasen umschauend.

»Es werden bald noch mehr nachfolgen.«

»Das lassen Sie mich hoffen,« erwiderte er.[193]

Sie waren nur wenige Schritte von der sitzengebliebenen Gesellschaft entfernt gewesen, und traten jetzt wieder zu dieser zurück.

Der Rittmeister und der Graf kamen jetzt auch in den Garten – Beide sahen sehr aufgeregt und verstimmt aus, und bemühten sich vergebens, diese Stimmung den Anwesenden zu verbergen.

Der Rittmeister mahnte zum Aufbruch. Die Aufforderung der Gräfin, zum Abend zu bleiben, ward von ihm unter einem unbedeutenden Vorwand höflich abgelehnt. Man empfahl sich einzeln von einander. Jaromir sagte dabei zu Elisabeth: »Geben auch Sie mir die Erlaubniß, Sie öfter zu sehen, wenn ich hier bleibe?«

Und Sie antwortete leise: »Bisher waren Ihre Gedichte für mich eine angenehme Gesellschaft, warum sollte es nicht ihr Dichter sein.«

Er blickte sie froh überrascht an – aber er antwortete weiter Nichts, denn Waldow trat eben hinzu, um auch Abschied zu nehmen.

Jaromir wandte sich jetzt an den Wasserdoctor, welcher ihm seine Impertinenz, wie er die Zerstreuung und das daraus entstandene Mißverständniß von demselben Morgen nannte, noch nicht vergessen, ihn deshalb nur scheel und von der Seite angesehen hatte, und übrigens seiner Nähe ausgewichen war, und jetzt nur eine steife Neigung[194] mit dem Kopfe machte, als der junge Graf auf ihn zutrat, dieser aber sagte freundlich:

»Ich werde mir morgen erlauben, Ihrer Anstalt einen Besuch abzustatten, und wenn mir die Localitäten gefallen, auf einige Wochen mich dahin zurückziehen.«

Da auf einmal heiterte sich das Gesicht des Hofrathes urplötzlich auf, es war, als hätten bisher lauter Gewitterwolken dasselbe verdunkelt, und ein einziger unerwarteter Westwind trieb sie alle auseinander, und machte sie spurlos verschwinden. Der Doctor erwiderte mit einem tiefen Bückling, und begann lächelnd und schmunzelnd einen langen Sermon zu halten, wie sehr ihn die Bekanntschaft des Herrn Grafen ehre und freue, und wie er dem Himmel nicht genug für den günstigen Zufall danken könne, diese Begegnung herbeigeführt zu haben. Eine zweite Rede, welche er über die vortreffliche Einrichtung seiner Anstalt halten wollte, ersparte Jaromir sich und ihm, indem er versicherte, sich das Alles lieber morgen am schicklicheren Orte erklären zu lassen, und sich mit den andern Herren, mit denen er gekommen war, entfernte.[195]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 1, Leipzig 1846, S. 178-196.
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