I. Zwei Freunde

[5] »Doch zittert nicht! Ich bin allein,

Allein mit meinem Grimme;

Wie könnt' ich Euch gefährlich sein

Mit meiner schwachen Stimme?«

Georg Herwegh.


Dem schönen Maisonntag war eine gleich schöne, gleich milde Mainacht gefolgt.

Es war zehn Uhr vorüber und die Arbeiter aus Herrn Felchners Fabrik, welche unter sich den Verein der unverheiratheten Arbeiter und Junggesellen gestiftet hatten, traten eben aus der Schenke, denn dies war die Stunde, welche nach dem einen Paragraphen der Statuten ihres Vereins zum Nachhausegehen bestimmt war.

Mit dem gewohnten Wunsche einer guten Nacht trennten sich die jungen Männer und Jeder schlug den Weg nach seiner Wohnung ein. Wilhelm Bürger und Franz Thalheim gingen Arm in Arm und blieben auch bei einander, als sich die Andern trennten. Ein Dritter gesellte[5] sich jetzt zu ihnen, es war August, derselbe Jüngling, welcher mit den alten Arbeitern falsch gespielt hatte und dafür von diesen so unmenschlich geschlagen worden war.

August war noch sehr jung, aber er war immer ein ziemlich lüderlicher Bursche gewesen. Als Franz den Verein der unverheiratheten Fabrikarbeiter bildete, war August nebst einigen Wenigen der jungen Leute nicht mit dazu getreten, weil sie es für eine lächerliche Zumuthung erklärten, dem Genuß des Branntweins und dem Kartenspiel zu entsagen. Am Tage nach jenem Vorfall aber war August zu Franz gekommen und hatte ihm für seinen Beistand gedankt, für diesen Beistand, welcher eigentlich in Nichts bestanden hatte, als im Hinauswerfen. Franz hatte ihn sehr kalt und ernst empfangen; sie hatten folgendes Zwiegespräch gehabt:

»Du hast falsch gespielt, also betrogen,« sagte Franz; »das ist in allen Fällen ein schweres Vergehen und eine große Schlechtigkeit; allein durch den besondern Fall wird dieses Thun noch verächtlicher, als es schon ist. Du hast Diejenigen betrogen, welche die Verhältnisse zu Deinen Kameraden gemacht haben und in welchen Du Deine Brüder lieben solltest; Diejenigen, welche eben so arm sind wie Du und sich ihr Geld eben so sauer verdienen müssen – Du weißt es, wie viel Mühe und Schweiß an dem Gelde hängt, welches ein Fabrikarbeiter in seiner Tasche trägt,[6] und Du hast es ihnen doch betrügerisch abgenommen; Du hast Denjenigen ihr armseliges Eigenthum schmälern wollen, welche davon ihre nothleidenden Frauen und ihre elenden Kinder ernähren müssen – Du hast Dich also auch an diesen hilflosen und hilfsbedürftigen Geschöpfen versündigt. Wahrlich, wenn ich Dich der verdienten Züchtigung der Kameraden entzog, an welchen Du so himmelschreiendes Unrecht begangen, so war es nur, weil ich fürchtete, die Trunkenen mögten Dich in ihrer blinden, tollen Wuth noch todtschlagen und dadurch sich selbst mit zu Verbrechern und Strafwürdigen machen – das wollte ich ihnen ersparen und so half ich Dir zur Flucht.«

»Du sprichst härter, als Du denkst,« sagte August; »ich weiß wohl, daß die leichtsinnigen Streiche, wie ich sie mir wohl zuweilen und auch gestern habe zu Schulden kommen lassen, ein Gräuel sind, aber ich weiß eben so gut, daß Du jene Rohheiten verachtest, welche sich die Andern gegen mich erlaubten, und daß Du mich ihnen eben so gut aus angebornem Edelmuth entzogst, als aus kluger Voraussicht der Dinge, welche daraus entstehen konnten. Ja, Franz, ich gebe wohl denen Recht, welche Dich einen gescheiten Kerl nennen, aber ich habe ihnen mehr als ein Mal geantwortet: sein Herz ist noch größer, als sein Kopf.«

»Ich sehe nicht ein, warum Du mir schmeicheln willst –«[7]

»Ich rede nur unbefangen Alles heraus, was ich denke, ich habe Dich immer lieb gehabt –«

»Und wenn das wäre – warum hast Du die Verbindung verhöhnt, welche ich mühsam mit unsern Genossen zu Stande gebracht habe, warum bist Du nicht mit dazu getreten, sondern hast es uns sogar erschwert, wie Du nur konntest? – Versuche nicht, Dich herauszureden, denn ich weiß Alles!«

»Alles weißt Du nicht, und um Dir dies zu erzählen, bin ich eben hergekommen, mein Geständniß soll mein Dank sein. Du wirst bald sehen, daß ich, wenn ich zu Eurer Verbindung getreten wäre, eine viel größere Schlechtigkeit begangen hätte, als dadurch, daß ich mich weiter nicht mit Euch einließ.«

»Das ist eine sonderbare Rede – und wenn Du vielleicht auch im Lügen geschickt sein solltest, wie Du es gestern im Betrügen warst, so bitte ich Dich doch, mich damit nicht unnütz aufzuhalten.«

»Du wirst es bald bereuen, wenn Du mich zum Zorne reizen willst, aber ich werde Dich beschämen, indem ich Dir ruhig die Wahrheit erzähle. Ich war mit Anton eines Sonntags in die Stadt gegangen, es war vor ein paar Monaten, als Du uns immer zu dem Arbeiterverein Vorschläge machtest, die Sache aber noch nicht zu Stande gekommen war. Wir saßen in einer Bierstube, in welcher[8] sich noch viele Arbeiter aus andern Fabriken befanden, auch manche Bürger und andere Leute, welche sich wohl noch etwas mehr dünkten. Ein langer, dürrer Mann, der mir zu diesen Letztern zu gehören schien, kam auf uns zu, nachdem ich gesehen hatte, wie ein anderer Arbeiter, der nicht mit bei Felchner ist, aber Anton kannte, auf diesen den dürren Mann aufmerksam gemacht hatte. Er fragte uns, ob wir in Felchner's Fabrik arbeiteten, und als wir bejahten, fragte er uns nach Tausend Dingen aus, wie Viel wir ihrer wären, ob wir untereinander zusammenhielten, ob wir im Ganzen zufrieden oder unzufrieden wären. Wir sagten ihm unbefangen die Wahrheit, daß wir Alle fleißige Arbeiter wären, aber doch wenig verdienten, und daß besonders es erbarmungswürdig sei, wie man die Kinder behandele. – Er schien sehr mitleidig zuzuhören und fragte weiter, ob wir Nichts thäten, dieser Noth abzuhelfen, oder ob wir nicht unsere Unzufriedenheit aussprächen. – Da sprach Anton von dem Vereine der unverheiratheten Arbeiter, welchen wir bilden wollten. Wie Jener das hörte, nahmen seine Augen einen ganz eigenen Ausdruck an, halb wie vor Schreck, halb wie vor Freude. Dem ungeachtet fragte er nicht weiter danach, sondern ließ sich nur von unsern Familienverhältnissen erzählen, ich sprach von meiner armen, kranken Mutter – Anton war sehr verdrießlich, weil er im Schafkopf seinen letzten Groschen verloren[9] hatte und nicht wußte, was er darauf antworten sollte, als der Wirth die Zeche verlangte. Kaum sah dies der dürre Mann, als er für Anton bezahlte und uns noch Jedem ein großes Glas Schnaps geben ließ. Er sagte, daß Diejenigen, welche uns zu einem Vereine bewegen wollten, wo wir sogar dem Branntwein entsagen sollten, unmöglich uns wohl wollen könnten, und daß alle solche Vereine für uns höchst lästig und gefährlich werden könnten, wir hätten ja dann gar keine Freiheit mehr, wenn wir nicht einmal mehr trinken, spielen und in die Schänke und herausgehen dürften, wenn wir Lust hätten. Nachher sagte er, wir mögten nur bald wieder kommen, wir gefielen ihm, er käme jeden Sonntag an diesen Ort und er würde sich freuen, uns zu treffen. Ich war einmal hinausgegangen, während dem hatte er mit Anton heimlich gesprochen, wie ich wohl merkte, denn während ich nun, aufgehetzt von Jenem, ganz gegen den Verein war und es dann Dir und Allen offen sagte, auch wegblieb, sagte Anton: ich trete dazu, sonst weiß man ja gar nicht, wie es dabei hergeht. – Am nächsten Sonntag beredete mich Anton, wieder mit hin in die Schänke zu gehen, wo wir den langen, dürren Mann getroffen hatten – er war auch richtig wieder da, er gab mir Geld für meine arme Mutter, und Anton gab er auch welches. Er sagte, wir sollten nun wenigstens alle vier Wochen in die Schänke[10] kommen, wo wir ihn treffen würden, und ihm aufrichtig erzählen, was etwa unterdeß in unsrer Fabrik und unter uns Arbeitern vorginge; es wäre zu unser Aller Vortheil, zum Vortheil der ganzen arbeitenden Classen, besonders aber solle es unser Schaden nicht sein. – Die Sache schien uns auch gar nicht so übel, besonders da wir aufgeregt waren und es wenigstens in meinem Kopfe nicht mehr ganz klar herging, denn er ließ uns sehr viel Branntwein einschänken. Dennoch fragte ich ihn, wer er sei, und warum er sich so um unsre ganzen Angelegenheiten bekümmerte? Er nannte sich Stiefel und daß er das nur aus menschenfreundlichen Absichten thue, weil ihm unsere Lage am Herzen liege und es nothwendig sei, daß er darüber alle mögliche Notizen sammele, dann könne er vielleicht durch Schrift und Wort dazu beitragen, unsere Lage zu verbessern. – Wie wir nun das nächste Mal wieder beisammen waren, gestern, nannte ihm Anton Deinen Namen und gab ihm das Buch ›Erzählungen aus dem armen Volke,‹ welches Du geschrieben und nach der Aufschrift allen Menschenfreunden gewidmet hast. Stiefel nahm es mit derselben sonderbaren Miene, mit welcher er damals die Erzählung von der Bildung Eures Vereins anhörte und rief: ›Ein Fabrikarbeiter, der solche Sachen schreibt, ist ein entsetzlicher Mensch, nun, dessen wird man sich bald zu bemächtigen wissen – hier habt Ihr noch mehr[11] Geld und wer mir von Euch noch Etwas von seinen Schreibereien bringt, der erhält das Dreifache – aber wo möglich Ungedrucktes, Papiere, die er geheim hält. –‹ Da ging mir plötzlich ein Licht auf, ich ward zornig, ich warf ihm das Geld in's Gesicht und sagte, ich bin kein Judas, der seinen Bruder an einen Elenden verräth, der vielleicht die Macht hat, ihm Uebles zu thun – und damit lief ich schnell fort aus der Stube, aus der Schänke, aus der Stadt gerade Wegs heim. Da fand ich meine kranke Mutter hungernd und frierend und sie machte mir Vorwürfe, daß ich ihr kein Geld mitbringe, wie früher – ich konnt' es nicht ertragen, sie so vor mir zu sehn, bittend und fluchend, matt vor Hunger und Frost, wimmernd unter unsäglichen körperlichen Schmerzen – ich war noch trunken, es kochte in mir vor kalter, stiller Wuth – ich ging in unsre Schänke – ich spielte falsch – es war ja nicht für mich, es war für meine Mutter – ich spielte auch erst falsch, als ich sah, daß ich anders nicht gewann, denn ich dachte, ich wär' es in der Stunde wohl werth gewesen zu gewinnen, wo ich den Versucher von mir abgeschüttelt hatte wie eine giftige Schlange, die mich schon umringelt hatte. – – Nun weiß ich Alles, und wenn ich mit in Euren Verein treten könnte – nun thät ich's gern. –«

»Sie werden Dich jetzt nicht aufnehmen,« sagte Franz, der mit wachsendem Interesse seinen Bericht angehört hatte.[12] »Komm aber nächste Mittwoch mit mir hin, wir wollen sehen, was sich thun läßt.«

Franz hatte für diesen Abend Wilhelm und einige der vertrauteren Freunde auf das, was er unterdeß erfahren, vorbereitet, und August war dann aufgefordert worden, sein Geständniß noch ein Mal zu wiederholen. Er hatte es gethan, Alle waren nun wüthend auf Anton geworden – dieser aber hatte mir ruhiger Miene August's Aussage bestätigt, aber es Allen zugeschworen, daß er Stiefel wirklich für einen Menschenfreund gehalten, der ihr Bestes wolle, daß er ihm auch in diesem Vertrauen Thalheims Buch gegeben habe, daß ihm aber mit August zugleich die Augen aufgegangen wären, als man eine Schlechtigkeit von ihnen verlangt habe, und er auch, nachdem er Stiefel noch tüchtig die Wahrheit gesagt, die Schänke verlassen habe. Er suchte sich aus Allem herauszureden und man konnte ihn nur dafür bestrafen, daß er Branntwein getrunken habe, und unterwarf sich auch reumüthig der üblichen Strafe. August versprach man erst dann in den Verein aufzunehmen, wenn er einige Wochen lang dem Spiel und Branntwein entsagt und sich überhaupt ordentlich aufgeführt habe. Diese Probe hatte er bestanden und er ward nunmehr gern unter ihnen gesehen. Um dem Herrn Stiefel näher auf die Spur zu kommen, hatten sich an mehrern Sonntagen Franz oder Wilhelm mit August oder Anton selbst zur[13] Schänke in der Stadt begeben wo er gewöhnlich sich eingefunden hatte, aber sich niemals wieder sehen ließ. Auch der Wirth, welcher übrigens versicherte, gar Nichts als den Namen von ihm zu wissen, sagte aus, daß er seit jenem Sonntag sich nie wieder eingestellt habe. – Man sah sich genöthigt, diese Sache auf sich beruhen zu lassen, da alle Bemühungen fruchtlos geblieben waren. – –

An dem Maiabend, an welchem August sich zu Wilhelm und Franz gesellte, sagte er zu den beiden Freunden:

»Ihr könnt Euch darauf verlassen – Stiefel ist da.«

»Stiefel – Du hättest ihn gesehen?«

»Saht Ihr nicht auch den Einspänner, der vorhin auf der Straße nach Hohenheim fuhr – und den langen dürren Mann drinnen? Das war er.«

»Was kann er nur wollen?« sagte Wilhelm.

»Wenn Du Deiner Sache gewiß bist, warum sagst Du es erst jetzt und theiltest es nicht oben Allen mit?« fragte Franz.

»Weil ich dem Anton nicht traue,« sagte August ernst.

»Das ist nicht schön von Dir, Dein ewiges Mißtrauen,« versetzte Franz. »Sieh, Du bist gar nicht besser gewesen als er, wir haben Dir Alles vergeben und vergessen, Niemand beargwohnt Dich, und Du allein willst Anton, der wie Du nur getäuscht worden ist und dann auch[14] richtig bekannt hat, noch verdächtigen. – Geh', das ist ein häßlicher Zug, den mögte ich nicht bei Dir finden!«

»Weil ich allein den Anton kenne –« murmelte August.

»Lass' das alte Lied!« meinte Wilhelm. »Und wenn nun auch – Gefahr hat's ja doch nicht, sind wir denn etwa auf unrechten Wegen, daß wir Verräther zu fürchten hätten? Ist denn unser Verein eine geheime und gefährliche Verbindung? Weiß nicht Jedermann darum? Und hat denn nur Herr Felchner das Geringste dagegen einwenden mögen und können? Und ich dächte doch, weiter ginge die Sache Niemandem Etwas an.«

»Aber Franz hat wieder ein Buch geschrieben: ›Die Rechte des Armen – den Verzweifelnden gewidmet.‹ – Mir ist vor ihm bange,« antwortete August, »mir ist als könne daraus noch Unheil für Dich kommen, obwohl ich gerade nicht recht begreife, wie aus einem Buche irgend etwas Gefährliches entstehen könne. Aber mir ist innerlich angst.«

»Das lass' Dich nur nicht kümmern,« sagte Franz ruhig, »mein Buch enthält Nichts als eine Schilderung von dem Loose der Fabrikarbeiter, wie es Jedermann kennt, der nur irgend einmal aufmerksam in einer Fabrik sich umgesehen hat. Ich habe nicht das Geringste übertrieben, bin nirgends von der Wahrheit abgewichen, habe überhaupt gar Nichts gethan, als einfache Thatsachen geschildert. Aufmerksam sollen die Leute werden auf unsere[15] Noth, das ist es ja, was ich damit bezwecke. Wenn noch andere Leute, als die Fabrikherren, welche von unserm Elend sich mästen – und welchen es deshalb freilich nicht sehr erwünscht sein mag, daß es allgemein bekannt wird, wie sie uns behandeln – wenn also noch andere Leute von unserm Elend hören, so werden weise Gesetzgeber und gerechte Regierungen uns doch vielleicht ein besseres Loos verschaffen. Ich denke von den Menschen nicht so gering. Ich glaube, vieles Schlimme und Unheilvolle besteht nur deshalb in der Welt, weil allein Diejenigen, welche darunter leiden, es kennen, den Andern es aber fremd bleibt und daher sie, welche die Macht und gewiß auch den Willen hätten zu helfen – nur eben deshalb nicht mit ihrer Hilfe kommen, weil sie gar nicht wissen, daß man ihrer bedarf und wie viel es zu helfen giebt!«

Wilhelm versetzte: »Du hast immer noch gutes Zutrauen zu den Menschen, ein viel besseres als sie verdienen – unsre täglichen Erfahrungen könnten Dich eines Andern überzeugen.«

»Nun, wir werden ja sehen, wer von uns Recht behält. In meinem ersten Buche habe ich mich nur an die Menschenfreunde gewendet, in meinem zweiten an die Verzweifelnden – ich denke, man muß es mit Beiden versuchen!« sagte Franz.

»Ja,« rief Wilhelm, »vielleicht helfen die Menschenfreunde, wenn sie einsehen, daß sie es außerdem mit Verzweifelnden zu thun haben.«[16]

August schüttelte den Kopf und sagte: »Auf alle Fälle ist es doch besser, wenn Ihr auch meint, daß uns Stiefel nicht schaden kann, wir suchen dahinter zu kommen, wer und was er eigentlich ist und was er will; aber nur wir Dreie, denn von den Andern sind einige täppisch und geschwätzig, sie könnten Alles verderben. – Das ist mein erster Vorschlag und mein zweiter, daß wir jetzt ein wachsames Auge auf Anton haben.«

»Um ihn vor ungerechten Beschuldigungen zu sichern,« sagte Franz etwas aufgeregt und fügte gelassener hinzu: »Mit Deinem ersten Vorschlag bin ich einverstanden.«

»Ich auch,« sagte Wilhelm. »Ueber Nacht kommt guter Rath, wir wollen's beschlafen.«

»Nun denn gute Nacht,« erwiderte August, »und Du, Franz, sei nicht böse. Bei Gott, Franz, wenn ich minder Dein Freund wäre, würde ich auch minder bedenklich sein!«

Franz drückte ihm die Hand. »Es ist gut, Du bist ein braver Junge geworden – gute Nacht!«

August schlenderte der Hütte zu, in welcher seine alte Mutter krank lag, und verschwand in der Thüre.

»Es ist ein guter Junge«, wiederholte Franz; »seitdem er sich aus seinem unordentlichen Leben herausgerissen hat, ist Keiner fleißiger und im Guten beharrlicher, als er.«[17]

»Bei Alle dem bin ich froh, daß er nicht länger mit uns ging,« sagte Wilhelm, »ich habe noch Etwas mit Dir allein zu reden – es hat mir schon lange auf dem Herzen gelegen und muß nun endlich einmal herunter.«

»Wir wollen ein Stück in diese Allee gehen und uns dort auf der Steinbank unter der Linde ein Wenig niedersetzen,« gab Franz an.

Als sie sich gesetzt hatten, begann Wilhelm: »Du bist seit einiger Zeit verändert – wenn wir Alle beieinander sitzen und unter Gesang und harmlosen Reden uns von den Mühen des arbeitvollen Tages erholen – so bist Du oft still und zerstreut, und wenn wir Dich aufmuntern, so fährst Du wie im Traume auf und besinnst Dich endlich, wo Du bist. – Das Loos der unglücklichen Brüder hat Dir immer Kummer gemacht, das Elend, das Dich umgiebt, hat immer an Deinem theilnehmenden Herzen gefressen. Ein Dichter, der noch andere Träume, ein Schreibender, der noch andere Dinge zu denken hat, als wir andern nüchternen Menschenkinder, bist Du immer gewesen – allen diesen Dingen kann man Deine Veränderung nicht zuschreiben – auch bist Du ja nicht immer traurig – zuweilen glänzt Dein Auge in lauter stiller Freude. – Ach! Ich weiß recht gut, was allein über einen Menschen solche Macht hat.«[18]

Franz sah stumm vor sich nieder und scharrte mit seinen Füßen im Sande.

Wilhelm fuhr fort: »Franz! Du gehst oft in Herrn Felchners Haus und wenn Du zurück kommst –«

»Wilhelm! Wilhelm!« rief Franz mit einem flehenden Tone, als wolle er sagen, schone mich! fügte dem Ruf aber weiter Nichts hinzu; doch Wilhelm fuhr dumpf fort:

»Ich verstehe Dich – wärest Du weniger verschlossen gewesen – wer weiß, es wäre dahin nicht gekommen, es wäre mir leichter geworden, sie zu fliehen – hättest Du nicht geschwiegen – es wäre besser gewesen – ja wohl, wäre besser gewesen!«

»Wilhelm – um Gottes Willen – Du auch – Du auch?«

»Ja, ich habe sie auch lieb, wie ich noch kein anderes Mädchen geliebt, ich habe sie so lieb, wie sie irgend Jemand lieb haben kann, so lieb wie Du!«

»Wilhelm! Du sprichst es aus, Du wagst es – was ich niemals wagte, niemals gewagt haben würde? – Mir ist, als faßtest Du mit einer ruhigen festen Hand nach meinem Herzen, rissest es mir aus der Brust und sprächest kalt, indem Du es mir vor die zuckenden Augen hieltest: so sieht Dein Herz aus – Du Frevler!«

»Es muß sein – Du oder ich! – Ich habe Dir Freundschaft geschworen bis in's Grab – wir dachten damals nicht, daß ich Dir meinen Eid bewähren müßte[19] am Grabe meiner Liebe. Franz, ich entsage ihr, sobald ich nur weiß, daß Du ihr Deine Liebe gestanden.«

Franz fiel ihm ins Wort: »Wie dürft' ich das wagen?«

Aber Wilhelm fuhr ununterbrochen fort: »Sobald ich nur weiß, daß sie gern Dein ist –«

»Bist Du von Sinnen?« rief da Franz außer sich. »Wie kannst Du von Deiner Entsagung sprechen? In dem Sinne, wie Du das Wort meinst – da müssen wir ja Beide entsagen! – Wie kannst Du mich für so frech, so anmaßend halten, daß ich diesem Engel gegenüber ein Wort der Liebe auszusprechen wagte? Und verstummt nicht jedes schmerzliche Gefühl, das mich fern von ihr zuweilen überfällt, sobald ich ihr gegenüber stehe, ihr folge? Dann fühle ich weiter Nichts, als das unaussprechliche Glück, diese sanfte Heilige unsre unglücklichen Brüder segnen zu sehen, und in ihren Augen die Thräne des Mitleids zu erblicken für die leidenden Armen – und dann fühle ich nur Dank gegen Gott, daß er, der in ihrem Vater uns einen Tyrannen, uns in ihrer Tochter doch zugleich einen hilfreichen Engel sandte.«

Staunend rief Wilhelm: »Vater – Tochter – von wem sprichst Du denn? Wer ist Friederikens Vater?«

»Friederike?« rief Franz in gleich staunendem Tone. »Friederike – Du liebst Friederiken?« Und wie er[20] erkannte, daß nur ein Mißverständniß ihm das selbst nur leise geahnte Geheimniß seines Herzens entrissen, lehnte er sich zurück an die Linde, drückte wider ihre rauhe Rinde seine heiße Stirn, wie um sich zu verbergen, und flüsterte: »Vergiß, was Du mich hast sagen hören!«

»Du liebst Friederiken nicht – aber Du kennst sie, Du sprachst sie oft – noch gestern sah ich Dich bei ihr stehen – es preßte mir schier das Herz entzwei.«

»Ihre Herrin hat sie lieb, es ist ein gutes Mädchen – und wenn Du sie liebst, wird sie Dich, denk ich, wieder lieben und Ihr werdet glücklich zusammen sein. Und Du hast gedacht, ich stände dieser Liebe und diesem Glück entgegen?«

»Nun ja – ich wußte, wie die Liebe thut – wußte es nur gar zu gut, darum verstand ich Dein verändert Wesen, das den Andern ein Räthsel – und da ich wohl sah, daß Deine Augen leuchteten, wenn Du in das Wohnhaus des Fabrikherrn gingst, so wußt' ich, daß Du dort die finden müßtest, welche Du liebest – – nun versteh' ich es anders – das hatte ich nicht denken können! Vielleicht werde ich einst glücklich sein – und Du? – Armer Freund!«

»Nein, nicht arm!« sagte Franz sich aufrichtend. »Sie wird mich nie aus ihrer Nähe verbannen, sie wird mich immer dazu wählen, den Segen auszuspenden, welchen sie für die Nothleidenden hat, Sie wird mich[21] zuweilen freundlich ansehen, wenn ich im Vertrauen auf ihre Großmuth in ihrem Namen gehandelt habe – ich werde glücklich bleiben, wie ich es geworden bin, seitdem ihre Erscheinung verklärend hereintrat in mein Leben. Komm, Wilhelm, wir wollen ruhig nach Hause gehen und schlafen und von ihnen träumen.«[22]

Quelle:
Louise Otto: Schloß und Fabrik. Band 1–3, Band 2, Leipzig 1846, S. 5-23.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Schloß und Fabrik
Schloss Und Fabrik (2); Roman
Schloß und Fabrik
Schloss und Fabrik
Schloss und Fabrik
Schloss und Fabrik

Buchempfehlung

Jean Paul

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Die wunderbare Gesellschaft in der Neujahrsnacht / Des Feldpredigers Schmelzle Reise nach Flätz. Zwei Erzählungen

Zwei satirische Erzählungen über menschliche Schwächen.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon