[106] Inhalt: Achelo'us und He'rkules, Ne'ssus. Herkules' Tod und Vergötterung (Li'chas). Gala'nthis. Dry'ope. Jola'us. Calli'rrhoë's Söhne. By'blis. I'phis.
Was ihn zu seufzen bewog und warum an der Stirn er verstümmelt,
Fragte den Gott der neptunische Held. Drauf redete also
Ka'lydons Strom, umwunden mit Schilf die entfesselten Haare:
»Schwer fällt, was du verlangst. Denn wer wohl spräche bezwungen
Gern von dem Streit? Doch sei es erzählt. Auch war das Erliegen
Nicht so schimpflich für mich, wie rühmlich des Kampfes Bestehen,
Und es gereicht zum Trost nicht wenig die Größe des Siegers.
Wenn vielleicht das Gerede bereits dir Deïani'ra's
Namen zu Ohren gebracht, die war von den Mädchen die schönste
Und das beneidete Ziel ehdem für viele Bewerber.«
Als ich mit diesen das Haus des begehreten Schwähers betreten,
Sprach ich zu ihm: »Nimm mich zum Eidam, Sohn des Partha'on!«
So sprach Herkules auch. Die anderen wichen uns beiden.
Ju'piter bring' als Schwäher er zu, gab an der Alki'de,
Ehrenden Ruhm und der Proben Besteh'n, die Juno geboten.[107]
Ich drauf sprach: »Schimpf wär's, wenn ein Gott vor dem Sterblichen wiche« –
Noch nicht war er ein Gott – »mich siehst du als Herrn der Gewässer,
Die schräggehenden Laufs dein Reich in der Mitte durchströmen.
Eidam wird dir in mir kein fernher kommender Fremdling,
Sondern ein Landesgenoß, ein Teil von deinem Gebiete.
Wenn's mein Schade nur nicht, daß mich nicht Juno die Hehre
Hasset und fern mir stehet die Strafe befohlener Thaten.
Wenn mit dem Vater du gar noch prahlst, o Sohn der Alkme'na,
Traun, nicht bist du gezeugt von Jupiter oder in Buhlschaft.
Er soll Vater dir sein der Mutter zum Schimpf. Was dir lieber,
Ob der erdichtete Gott, ob deine Erzeugung in Schande,
Wähle dir.« Während ich sprach, sah längst mit finsteren Blicken
Jener mich an und gebot nicht stark dem entbrennenden Zorne,
Und er erwiderte bloß: »Mehr taugt mir die Faust als die Zunge.
Sieg' ich im Kampf nur ob, du magst obsiegen im Reden!«
Wild eindringt er auf mich. Nach den rühmenden Worten zu weichen
Hätte beschämt. Ich warf mein grünes Gewand von der Schulter,
Stemmte die Arme zur Wehr und hielt kampfharrend die Hände
Auswärts ab von der Brust und machte mich fertig zur Fehde.
Jener bestreut mich mit Staub, in geöffneten Händen ihn raffend,
Und wird selber gefärbt vom Wurfe des gelblichen Sandes.
Bald nun packt er den Hals, bald packt er die rührigen Schenkel,
Oder er scheint es zu thun, und befällt mich von jeglicher Seite.
Mir gibt Halt mein Gewicht, und ich werde vergebens befehdet,
Ähnlich dem Damm, auf den mit gewaltigem Rauschen die Fluten
Dringen heran: fest steht er, geschützt durch eigene Schwere.
Weniges geh'n wir zurück und begegnen uns wieder im Streite.
Jeder behauptet den Stand und will nicht weichen; vereinigt
War mit dem Fuße der Fuß, und die Brust vordrängend mit aller
Macht andrückt' ich die Stirn an die Stirn, an die Finger die Finger.[108]
Also sah ich im Kampf hochmutige Stiere sich treffen,
Wenn als Preis des Gefechts die stattlichste Kuh auf der Weide
Jeder verlangt für sich; zuschauen die Rinder in Spannung,
Wem wohl werde der Sieg zuwenden die mächtige Herrschaft.
Dreimal suchte umsonst der Alkide von hinnen zu drängen
Meine mit Wucht sich stemmende Brust; dann aber zum vierten
Reißt er vom Zwange sich los, im Ruck freimachend die Arme,
Gibt mir kräftigen Stoß, – treu will ich berichten die Wahrheit –
Dreht mich schleunig herum und hängt mir schwer auf dem Rücken.
Glaube mir nur – nicht such' ich ja Ruhm in erdichteter Rede –
Mir kam's vor, als ob mich ein Berg aufliegend bedrückte.
Mühsam bracht' ich die Arme hinein, die troffen vom Schweiße;
Mühsam löste ich ab von der Brust die harte Verschränkung.
Aber den Keuchenden drängt er und läßt nicht Kräfte mich sammeln,
Bis er des Nackens zuletzt Herr ward. Da mußte zur Erde
Endlich hinab mein Knie, und ich biß den Sand mit dem Munde.
Da ich erlegen an Kraft, muß dienen die Gabe der Wandlung,
Und ich entschlüpfe dem Mann in Gestalt langbauchiger Schlange.
Als ich aber den Leib krumm zog in gewundene Ringel,
Und mit erbostem Gezisch die gespaltene Zunge bewegte,
Lacht der tiry'nthische Held und spottet ob unserer Künste:
»Schlangen zu bändigen war mein Spielwerk schon in der Wiege« –
Sprach er – »und ständen dir nach, Achelous, die anderen Drachen,
Was für ein winziger Teil bist du von der Schlange von Le'rna!
Fruchtbar machten sie nur die empfangenen Streiche, und straflos
Ward ihr keines enthau'n von den hundert vereinigten Häuptern,
Daß nicht mächtiger ward durch doppelten Erben der Nacken.
Sie, die ästig geteilt in mordentsprossene Nattern
Groß ward durch den Verlust, ist gebändigt von mir und vernichtet.[109]
Was soll werden aus dir, der, trügliche Schlange geworden,
Fremde Waffen du führst und dich birgst in erbettelter Hülle?«
Also sprach er und packte mich rasch mit umstrickenden Fingern
Oben am Hals, und gewürgt, als ob mir Zangen die Gurgel
Zwängeten, müht' ich mich ab aus dem Daumen zu reißen die Kehle.
So auch war ich besiegt, und es blieb als dritte des wilden
Stieres Gestalt. Als Stier auftretend erneu' ich die Fehde.
Jener jedoch umschlingt linksher mit dem Arme die Wampen,
Zieht mich heran und folgt mir im Lauf, drückt nieder die Hörner,
Bohrt in den Boden sie ein und strecket mich hin in dem Sande.
Das nicht bloß; er zerbrach das starrende Horn in der Rechten,
Die es beharrlich gepackt, und ließ mir die Stirne verstümmelt.
Von den Najaden, gefüllt mit Früchten und duftigen Blumen,
Wurde geweiht mein Horn. Nun gibt es der Fülle den Reichtum.
Also erzählte der Strom, und geschürzt nach der Weise Dia'na's
Mit frei hangendem Haar trat eine der dienenden Nymphen
Jetzo herein und bracht' im gesegneten Horne den Nachtisch,
Köstliches Obst, den gesamten Ertrag von dem heurigen Herbste.
Früh, wie der Tag anbrach, und die Sonne die Gipfel berührte,
Zogen die Jünglinge fort. Nicht wollten sie warten, bis wieder
Ruhe gewonnen der Strom und friedlichen Fall, und die Wasser
Ganz sich wieder gelegt. In den Wellen versteckte das ländlich
Derbe Gesicht und das Haupt mit verstümmeltem Horn Achelous.[110]
Diesen jedoch traf nur der Verlust der entrissenen Zierde;
Nichts war sonst ihm gescheh'n; auch hehlt er mit drüber gelegtem
Schilfrohr oder mit Laub von Weiden den Schaden am Haupte.
Doch du hattest den Tod von der Glut für dieselbige Jungfrau,
Tückischer Ne'ssus, erreicht im Rücken vom fliegenden Pfeile.
Wie er zur heimischen Stadt sich begab mit der neuen Gemahlin,
War der Alkide gelangt an die reißende Flut des Eve'nus.
Reichlicher war, als sonst, durch regnende Güsse geschwollen
Und voll Strudel der Fluß, und den Durchgang wehrte die Strömung.
Während der Held, für sich nicht bang, um die Gattin besorgt ist,
Tritt ihm Nessus, an Kraft gar rüstig und kundig der Furten,
Nahe und spricht: »Laß mich Dienst thun; ich will sie, Alkide,
Bringen zum anderen Strand. Du brauch' als Schwimmer die Kräfte.«
Und der Ao'nier gab ihm die zagende Kalydoni'de,
Die vor Furcht blaß stand und vom Strom wie von Nessus geschreckt war.
Bald, wie er war, mit dem Köcher beschwert und der Beute vom Löwen, –
Über den Fluß schon hatt' er die Keule geschnellt und den Bogen –
Sprach er: »Begonnen ist nun, so seien die Fluten bewältigt!«
Und er erwägt nicht lang, noch sucht er zuvor, wo am stillsten
Gehe der Strom, und verschmäht willfährig dem Wasser zu schwimmen.
Als er, zum Ufer gelangt, aufhob den geschleuderten Bogen,
Hört' er die Gattin schrei'n. Zu veruntreu'n trachtete Nessus,
Was ihm gelieh'n. »Wozu« – rief Herkules – »reißt, du Verweg'ner,
Eitles Vertrau'n auf die Füße dich hin? Zweileibiger Nessus,
Hüte dich! Hör' und vergreife dich nicht an unsrem Besitztum.
Konnte dich Scheu vor mir nicht schrecken, so mochte des Vaters[111]
Kreisendes Rad dir wohl die verbotenen Lüste vertreiben.
Doch nicht sollst du entflieh'n, wie auch du vertrauest den Hufen.
Nicht mit dem Fuß, mit dem Schuß einhol' ich dich.« Wie er gesprochen,
Also geschah's, und er schnellte den Pfeil und traf ihn im Rücken,
Während er floh. Vor stand aus der Brust das gebogene Eisen.
Kaum war dieses heraus, so sprang aus der doppelten Öffnung
Mächtig das Blut, durchmischt mit der Pest des lernäischen Giftes.
Schnell fängt Nessus es auf. »Nicht rachlos will ich verderben!«
Spricht er für sich und reicht der Entführten sein Kleid, von dem warmen
Blut durchnäßt, zum Geschenk als liebanfachenden Zauber.
Lang war die Frist der verstrichenen Zeit, und Herkules' Thaten
Hatten die Erde erfüllt und Juno versöhnt mit dem Stiefsohn.
Opfer dem Jupiter wollt' auf Cenä'um Öcha'lia's Sieger
Weih'n, wie gelobt; da eilte voraus zu Deïanira's
Ohren die schwatzende Mär, die Falsches zu thun zu dem Wahren
Liebt und von kleinem Beginn anwächst durch häufige Lügen,
Daß von J'ole ganz der Amphitryonide bestrickt sei.
Sie, die Liebende, glaubt's, und erschreckt von der Kunde der Untreu',
Ließ die Arme zuerst den Thränen den Lauf, und in Zähren[112]
Weinte den Schmerz sie aus; bald drauf: »Was weinen wir aber?« –
Sagte sie – »freu'n nur wird sich ob unserer Thränen die Buhle.
Schon kommt jene heran; drum rasch und etwas ersonnen,
Eh' es zu spät, und in unser Gemach einziehet die andre!
Ob ich klag', ob ich schweig', heimkehre nach Ka'lydon, bleibe?
Ob ich verlasse das Haus, ob, wenn nichts weiter, mich wehre?
Wie nun, wenn ich gedenk', daß ich Schwester von dir, Melea'gros,
Kühn mich ermannte zur That, und wessen beleidigte Ehre
Fähig und weiblicher Schmerz, darthäte im Morde der Buhle?«
Vielfach hat Vorsätze ihr Geist. Dann aber beschließt sie
Hinzuschicken das Kleid durchdrungen vom Blute des Ne'ssus,
Daß es erneuete Kraft der erloschenen Liebe verleihe.
Unkund, was sie ihm reicht, reicht jene dem arglosen Li'chas
Selbst ihr eigenes Weh und bittet ihn freundlich, die Ärmste,
Daß er bringe dem Mann das Geschenk. Ohn' Arg es empfangend,
Legt um die Schultern das Gift der lernäischen Schlange der He'ros.
Weihrauch gab er und frommes Gebet der beginnenden Flamme,
Wein auch goß er dazu auf den marmornen Herd aus der Schale.
Siehe, der Plage Gewalt wird warm; und gelöst von der Flamme
Dringet sie weit umher, durch He'rkules' Glieder ergossen.
Mannhaft hielt er zurück, so lang er vermochte, die Klage.
Als die Geduld von dem Leiden besiegt, da stieß er den Altar
Weg und begann mit Geschrei zu erfüllen den waldigen Ö'ta.
Ohne Verzug nun strebt er das tödliche Kleid zu zerreißen:
Wo er es zieht, zieht jenes die Haut und – gräßlich zu sagen –
Bleibt an die Glieder geklebt, Trotz bietend den zerrenden Händen,
Oder entblößt das zerrissene Fleisch und die mächtigen Knochen.
Selber das Blut hebt an, wie zuweilen getaucht in den Löschtrog
Glühender Stahl, zu zischen und kocht von dem brennenden Gifte.
Maß ist nicht; durch die Brust geht zehrend das gierige Feuer;
Dunkeler Schweiß fließt rings vom Leibe herab, und die Sehnen[113]
Knacken vom Brande gesengt, und als vom verborgenen Gifte
Flüssig geworden das Mark, da hob er zum Himmel die Hände:
»Weide dich, Tochter Saturnus« – so rief er – »an meinem Verderben;
Weide dich nun und sieh, Grausame, von oben die Drangsal;
Labe dein hartes Gemüt! Doch rühr' ich die Feindin zum Mitleid –
Dir ja bin ich ein Feind – nimm weg die entsetzlich gequälte
Dir so verhaßte und nur zu Mühen geborene Seele.
Tod ist mir ein Geschenk; so ziemt Stiefmüttern zu schenken.
Darum hab' ich Busi'ris erlegt, der scheußlich den Tempel
Färbte mit Fremdlingsblut, und dem grausen Antä'us der Mutter
Stärkende Nähe entrückt, und vor des iberischen Hirten
Dreihaupt nicht mich entsetzt, noch auch vor Ce'rberus' Dreihaupt?[114]
Bogt ihr nicht das Gehörn, ihr Arme, dem riesigen Stiere?
Kunde von euch gibt E'lis, von euch die stympha'lischen Wellen
Und der parthe'nische Wald. Fernher trug euere Kühnheit
Aus thermodo'ntischem Gold das Gehenk mit getriebener Arbeit
Heim und die Äpfel, bewacht von dem schlafentbehrenden Drachen.
Stand nicht hielten vor mir die Centau'ren im Kampf, und der Eber
Hielt nicht Stand, Arka'diens Schreck. Nichts half es der Hy'der,
Daß im Verluste sie wuchs und gewann stets doppelte Kräfte.[115]
Ja, von menschlichem Blut auch sah ich die Rosse des Thrakers
Feist und die Krippen gefüllt mit Fetzen verstümmelter Leichen,
Sah's und stürzte sie um und erschlug so Rosse wie Eigner.
Hier von den Armen gewürgt liegt tot das neme'ische Untier.
Ich trug untergestemmt den Olymp. Müd' ist des Befehlens
Jupiters grausames Weib; ich bin nicht müde der Arbeit.
Nun kömmt neuer Verderb, dem weder vermag zu begegnen
Männlicher Mut, noch Waffen und Wehr. In den innersten Lungen
Irret gefräßiger Brand und zehrt durch alle die Glieder.[116]
Aber Eurystheus ist wohl auf, und an waltende Götter
Glauben sie noch.« So sprach er und schritt auf der Höhe des Öta
Also versehrt einher, wie wenn in dem Leibe den Wurfspieß
Trägt der getroffene Stier und der That Urheber gefloh'n ist.
Oft stieß lautes Gestöhn er aus, oft sah man ihn beben,
Oft aufs neue versucht' er das ganze Gewand zu zerreißen,
Schmetterte Stämme zur Erd' und wütete gegen die Berge,
Oder er streckte hinan zum Himmel des Vaters die Arme.
Da nimmt Lichas er wahr, der zitternd sich unter dem Felshang
Duckte, und rief, wie der Schmerz ihm die Wut aufs höchste gesteigert:
»Du hast, Lichas, gebracht die unheilbergende Gabe?
Du wirst Mörder an mir?« Bleich steht mit Zittern und Beben
Lichas und spricht voll Zagen der Schuld entlastende Worte.
Während er sprach und den Knien mit den Händen gedachte zu nahen,
Packt ihn der Held und wirft ihn zu drei, vier Malen gewirbelt
In das Eubö'ische Meer mit stärkerer Wucht als ein Wurfzeug.
Jener, indessen er flog in den luftigen Räumen, erharschte.
Wie man vermeint, daß Regen gerinnt bei frostigem Winde,
Schnee draus wird, dann, wenn sich geballt die kreisenden Flocken,
Dichter der Klumpen sich schließt und zur starrenden Schloße sich rundet:
Also auch, durch die Luft von den kräftigen Armen geschleudert,
Wurde, vor Furcht blutlos und nichts von Feuchte behaltend,
Lichas zu hartem Gestein nach des früheren Alters Berichten.
Jetzt noch ragt in die Höhe ein Fels im Euböischen Sunde,
Karg an Raum, und bewahrt noch Spuren von menschlicher Bildung.
Ihn, als fühlte der Stein, trägt Scheu zu betreten der Schiffer,[117]
Der ihn Lichas benennt. Du, Jupiters herrlicher Sprößling,
Gibst, als Bäume gefällt, die trug der erhabene Öta,
Und zum Brande gehäuft, mit dem Bogen den räumigen Köcher
Und die Geschosse, bestimmt einst nochmals Tro'ja zu schauen,
Ab an des Pö'as Sohn. Der legt dienstfertig die Flamme
Unter den Stoß, und indem in die Scheiter das gierige Feuer
Einschlägt, breitest du aus das neme'ische Fell auf des Holzes
Oberster Schicht und streckst dich, gelehnt an die Keule den Nacken,
Mit nicht andrem Gesicht, als wärst du gelagert am Gastmahl,
Kranzumwunden das Haupt bei gefülleten Bechern des Weines.
Lodernd prasselte schon rings um sich greifend die Flamme,
Und an den sorglosen Leib und an ihren Verächter zu kommen
Strebte sie. Bangen ergriff um den Schirmer der Erde die Götter.
Da mit heiterem Mund sprach also der Sohn des Satu'rnus,
Ju'piter, der es gemerkt: »Wie freut mich, ihr himmlischen Götter,
Euere Furcht! Ich wünsche mir Glück vom Grunde des Herzens,
Daß von erkenntlichem Volk ich Herrscher und Vater genannt bin,
Und daß euere Gunst auch Schutz gibt meinem Geschlechte.
Wird auch solches zu teil nur seinen gewaltigen Thaten,
Weiß ich doch selbst auch Dank. Daß aber die treuen Gemüter
Eitele Furcht nicht schreckt, laßt brennen die Flammen des Öta!
Er, der alles bezwang, wird drunten das Feuer bezwingen.
Nur sein mütterlich Teil wird spüren den starken Vulca'nus;
Was er empfangen von mir, muß ewig bestehen, dem Tode
Unzinsbar und entrückt und nimmer durch Flammen zerstörbar,
Und dies will ich erlöst von den irdischen Müh'n zu des Himmels
Räumen erhöh'n und es wird mein Thun, so hoff' ich, erfreulich[118]
Allen Unsterblichen sein. Wenn aber den Herkules jemand
Schaut als Gott mit Verdruß, der gönnt wohl nicht die Belohnung,
Aber er weiß, daß ihm sie gebührt, und billigt sie ungern.«
Beifall zollte der Rat; auch schien die Gemahlin des Königs
Mit nicht düsterem Blick zu vernehmen die übrige Rede,
Doch mit düstrem den Schluß, weil kränkend sie traf die Bezeichnung.
Mu'lciber hatte indes, was irgend der Flamme verwüstlich,
Alles von hinnen gerafft. Nicht mehr ist kenntlich geblieben
Herkules' Bild, und nichts, was stammte vom Wesen der Mutter,
Hat er bewahrt, und es bleiben an ihm nur Jupiters Spuren.
Wie sich die Schlange verjüngt, wenn der Balg mit dem Alter entfallen,
Üppigen Lebens erfreut und prangt mit erneueten Schuppen:
So mit dem edleren Teil, des sterblichen Leibes entkleidet,
Lebt der Tirynthier fort in Fülle der Kraft und beginnet
Größer zu werden und Scheu durch heilige Würde zu heischen.
Jetzt auf dem Viergespann trug ihn der allmächtige Vater
Mitten in hohlem Gewölk hinweg zu den strahlenden Sternen.
A'tlas fühlte die Last. Noch ließ von dem Zorne Eurystheus,
Sthe'nelus' Sohn, nicht ab, und er übte den Haß, wie am Vater,
Fühllos auch an dem Sohn. Doch A'rgolis' Tochter, Alkme'ne
Ständig ergeben dem Harm, hat J'ole, der sie des Alters
Klagen vertrau'n und die Thaten des Sohns, die bezeuget der Erdkreis,
Kund thun kann und ihr eignes Geschick. Denn Jole hatte
Hy'llus in Lager und Herz nach Herkules' Willen genommen
Und ihr befruchtet den Schoß mit edelem Keime. Zu dieser
Hub Alkmene an: »Dir wenigstens möge die Gottheit
Gnädig verkürzen die Frist, wenn du in der Stunde der Reife
Rufest der ängstlichen Weh'n Vorsteherin, Ilithyi'a,[119]
Die so streng bei mir sich erwiesen der Juno zuliebe.
Als nah war die Geburt des mühvollbringenden Dulders
Herkules und das Gestirn schon stand in dem zehnten der Zeichen,
Spannte gewichtige Last mir den Schoß, und was ich darin trug
War so groß, daß leicht man ersah, die umschlossene Bürde
Rühre von Jupiter her. Auch hätt' ich länger die Drangsal
Nicht zu ertragen vermocht. Noch schüttelt mich, während ich rede,
Schaudernder Frost, und ein Teil vom Schmerz ist dran zu gedenken.
Sieben der Nächte hindurch und gleichviel Tage in Nöten
Rief ich, von Leiden erschöpft und die Arme zum Himmel erhebend,
Laut Luci'na mit Schrei'n und im Gleichmaß nahende Wehen.
Zwar kam jene herbei, doch gewonnen zuvor und entschlossen,
Tückisch dahin zu geben mein Haupt der erbitterten Juno.
Als sie vernahm mein Ächzen, erkor sie zum Sitze den Altar
Dort an der Thür, und verschränkt in die Berge des rechten das linke
Knie einklemmend und fest in einander gefaltet die Finger
Hielt sie zurück die Geburt. Auch Sprüche mit flüsternder Stimme[120]
Sagte sie her, und die nahe Geburt hielt auf die Beschwörung.
Angstvoll ring' ich und schmäh' umsonst auf Jupiters Undank,
Wünsche mir ganz von Sinnen den Tod und ergieße in Klagen,
Steine zu rühren, den Schmerz. Nah steh'n die kadme'ischen Mütter,
Fleh'n mit Gelübden für mich und sprechen der Leidenden Mut ein.
Eine der dienenden Mägd' aus niederem Volke, Gala'nthis,
Golden von Haar, war da, gar hurtig im Thun der Befehle,
Durch Diensttreue mir wert. Die merkt, daß etwas verübe
Juno's feindlicher Sinn, und während sie oft durch die Thüre
Ein- und ausgeht, sieht auf dem Herde sie sitzen die Göttin,
Wie an den Knieen sie hielt mit den Fingern verschlungen die Arme.
›Wer auch‹ – sprach sie – ›du seist, Glück wünsche der Herrin! Entbunden
Ist und im Flehen erhört die argolische Mutter Alkmene.‹
Da, aufspringend im Schreck, läßt plötzlich die Göttin der Wehen
Fahren der Hände Verband. Frei war ich und konnte gebären.
Ob der gelungenen List, so sagt man, lachte Galanthis.
Aber die Lachende faßt beim Haar die entrüstete Göttin,
Zerrt sie und wehrt, wie jene den Leib von der Erde zu heben
Trachtet, und wandelt ihr um zu vorderen Füßen die Arme.
Flinkes und emsiges Thun wie früher verbleibt, und des Rückens
Farbe verändert sich nicht; die Gestalt ist der vorigen ungleich.
Weil sie mit lügendem Mund der Gebärenden half, so gebiert sie
Auch mit dem Mund und besucht wie ehdem unsere Wohnung.«
Sprach's, und der frühern Magd mit schmerzlicher Rührung gedenkend,[121]
Seufzte sie. Aber die Schnur sprach zu der Bekümmerten also:
»Du bist, Mutter, bewegt, daß sie, die euerem Blute
Fremd war, Wandlung erfuhr. Wie, wenn ich der eigenen Schwester
Wundergeschick dir erzähle, wiewohl vor Thränen und Wehmut
Fast mir die Sprache versagt? Die einzige Tochter der Mutter –
Andere Mutter ist mir – war Dry'ope, reizend wie keine
Unter Öcha'lia's Frau'n. Jungfräulicher Ehre verlustig,
Da sie erlegen dem Gott, der waltet in De'lphi und De'los,
Ward sie Andrä'mons Weib, und er galt als glücklicher Gatte.
Mit abschüssigem Rand nachbildend das schräge Gestade
Ist ein See. Rings zieht sich ein Myrtengebüsch um die Fläche.
Dort kam Dryope hin, ihr Geschick nicht ahnend und, was noch
Mehr Unwillen erregt, um Kränze zu bringen den Nymphen.
Mit sich trug sie ihr Kind, dem noch kein Jahr sich vollendet,
Mütterlich stolz an der Brust, ihm Milch darreichend zur Nahrung.
Unweit stand von dem See, mit tyrischen Farben sich schmückend,
Beeren verheißend in Blüt' ein wasserbedürftiger Lo'tos.
Dryope hatte vom Baum sich Blumen gepflückt, sie dem Söhnchen
Hinzugeben zum Spiel, und zu thun wie jene gedacht' ich« –[122]
Denn ich begleitete sie – »da sah ich entfallen der Blüte
Tropfen von Blut und die Zweige bewegt von zitterndem Schauer.
Eine der Nymphen, wie nun erst säumige Bauern erzählten,
Lo'tis, hatte darin auf der Flucht vor Pria'pus' Begierden
Ihren gewandelten Leib mit behaltenem Namen geborgen.
Nicht war dieses der Schwester bekannt, und erschrocken von hinnen
Wollte sie gehn und, die sie verehrt, die Nymphen verlassen,
Als anwurzelnd ihr Fuß festhing. Los will ich sie reißen,
Doch nur oben bewegt sie den Leib. Aufwachsend von unten
Windet sich rings um die Weichen gemach zäh haftende Rinde.
Wie sie es sieht, hebt jene die Hand, sich das Haar zu zerraufen;
Da füllt Laub ihr die Hand. Rundum war Laub an dem Haupte.
Aber der säugende Knab' Amphi'sus – denn also benannte
Eu'rytus jenen, der Ahn – fühlt, wie sich die Brüste der Mutter
Härten, und nicht mehr folget den Zügen die flüssige Nahrung.
Nah steh'n mußt' ich und sehen das grause Verderben und konnte
Helferin nicht, o Schwester, dir sein. Soviel ich vermochte,
Hemmt' ich den wachsenden Stamm und die Äste mit meiner Umschlingung,
Und – ich gesteh's – mich wünscht ich bedeckt von der selbigen Rinde.
Sieh, Andrämon, ihr Mann, und der mitleidswürdige Vater
Nahen und forschen nach ihr, und wie sie nach Dryope forschten,
Wies auf den Lotos ich hin. Sie decken mit Küssen das laue
Holz und werfen sich hin, an die Wurzeln des Baumes geklammert.
Nichts, was Baum nicht war, nun hattest du, teuere Schwester,
Als das Gesicht. Das Laub, aus dem kläglichen Körper entstanden,[123]
Wird von Thränen betaut, und so lange sie kann, und der Stimme
Weg noch bietet der Mund, gießt Klage sie aus in die Lüfte:
›Falls man dem Unglück glaubt: bei den Himmlischen schwör' ich, das Unrecht
Trifft mich wider Verdienst. Unschuldig erleid' ich die Strafe.‹
Fehllos hab' ich gelebt, und lüg' ich, so will ich verdorrend
Kahl dastehen von Laub und gefällt vom Beile verbrennen.
Aber das Kind hier nehmet hinweg von den Ästen der Mutter,
Gebt es der Amme zur Hut und laßt es an unserem Baume
Oftmals trinken die Milch, oft spielen an unserem Baume.
Kann er sprechen dereinst, dann lehret den Knaben die Mutter
Grüßen und sagen betrübt: ›Hier unter dem Stamm ist die Mutter!‹
Aber er scheue den See und pflücke nicht Blüten vom Baume,
Und er betracht' als Leib von Göttinnen alle Gesträuche.
Teurer Gemahl, leb wohl; lebt wohl auch Schwester und Vater!
Wenn ihr für mich noch Liebe bewahrt, gebt unserem Laube
Schutz vor den Bissen des Viehs und den Wunden der schneidenden Sichel,
Und weil mir vom Geschick nach euch mich zu beugen verwehrt ist,
Richtet zu mir euch auf, und so lang' ich noch zu berühren,
Kommet zu unserem Kuß, und herauf auch hebt mir den Kleinen!
Mehr ist zu reden versagt; schon über die Weiße des Halses
Windet sich schmeidiger Bast, und im steigenden Wipfel verschwind' ich.
›Nehmt nur weg von den Augen die Hand! Ohn' euere Liebe
Wird mir den sterbenden Blick schon schließen umhüllende Rinde.‹
Rede zugleich hört auf und des Mundes Bestand, und die Wärme
Hielt am gewandelten Leib noch lange das frische Gezweige.«[124]
Wie den erstaunlichen Fall noch kundthut Eurytus' Tochter,
Und mit dem Daumen genaht Alkmene der J'ole Zähren
Trocknet und selbst doch weint, da dränget ein neues Begebnis
Jeglichen Kummer zurück. Denn auf der erhöheten Schwelle,
Fast ein Knab' und die Wange bedeckt mit zweiflichem Flaume,
Stand Jola'us, verjüngt zu blühenden Jahren im Antlitz.
Ihn ließ solche Vergunst die Junonische Hebe genießen,
Weil sie bat der Gemahl. Als diese zu schwören bereit war
Solches Geschenk nach ihm an keinen vergeben zu wollen,
Litt nicht The'mis den Schwur. »Zwieträchtige Fehde« – begann sie –
»Hebt ja Theben bereits, und Ka'paneus wird zu besiegen[125]
Nur durch Jupiters Hand und die Brüder im Streiche sich gleich sein.
Lebend annoch wird schauen den eigenen Schatten der Seher
Durch den entzogenen Grund, und es wird, an der Mutter den Vater
Rächend, der Sohn in dem nämlichen Thun Pflicht üben und Frevel
Und in Entsetzen und Angst, des Verstandes beraubt und der Heimat,[126]
Vom Eumeni'dengesicht und vom Schatten der Mutter verfolgt sein,
Bis daß fordert von ihm das verderbliche Gold die Gemahlin,
Und das phege'ische Schwert durchstößt die verschwägerte Seite.
Dann von Jupiter heischt Kalli'rrhoë, die Achelo'us
Zeugete, Alter wie dies für die zwei unmündigen Söhne,
Daß nicht ohne Vergelt lang bleibe der Mord des Vergelters.
Jupiter aber gerührt nimmt dann der Schnur und des Stiefkinds
Gabe voraus und macht unbärtige Knaben zu Männern.«
Als mit verkündendem Mund die zukunftwissende Themis
Solches gesagt, ward laut bei den Göttern verworrene Rede.
Warum anderen nicht dasselbe zu geben vergönnt sei,
Murmelte man. Es klagt, daß hoch an Jahren der Gatte,
Pa'llas' Tochter; es klagt, daß grau ihr Ja'sion werde,
Ce'res, die gütige Macht, und für Erichtho'nius fordert
Mulciber Jugend zurück; auch Venus gedenkt mit Besorgnis
Künftiger Zeit und bedingt für Anchi'ses Erneuung der Jahre.
Jeglicher Gott ist für einen bedacht, und den lärmenden Aufruhr
Mehrt fürsorgliche Gunst, bis Jupiter endlich die Lippen
Öffnet und spricht: »O, habt ihr vor uns noch einige Ehrfurcht,
Wessen erkühnet ihr euch? Glaubt einer von euch sich vermögend
Zwang zu thun dem Geschick? Das Geschick hat in die verlebte
Zeit Jolaus versetzt; das Geschick läßt Jünglinge werden,[127]
Nicht einnehmendes Thun noch Waffen Kallirrhoë's Söhne.
Euch auch bannt, und daß ihr mit leichterem Mut es ertraget,
Mich selbst bannt das Geschick. Hätt' ich die Gewalt es zu ändern,
Sollte der Jahre Gewicht nicht unseren Ä'akus beugen
Und Rhadama'nthus besteh'n in dauernder Blüte des Lebens
Und mein Minos dazu, der wegen der Bürde des herben
Alters an Anseh'n schwach nicht herrscht mit der früheren Ordnung.«
Wirkung that, was Jupiter sprach, und zu klagen erkühnt sich
Keiner, da Äakus auch sie sehen und mit Rhadamanthus
Minos von Jahren erschöpft. Er, der in dem rüstigen Alter
Mächtige Völker allein mit dem Klange des Namens erschreckte,
War hinfällig anjetzt. Vor dem Deïoniden Mile'tus,
Dem Stolz weckte die Kraft der Jugend und Phö'bus der Zeuger,
Ist er in Furcht; denn er glaubt, daß der sein Reich ihm zu nehmen
Trachtet, und wagt doch nicht aus der Heimat ihn zu verweisen.
Aber du gehst, Miletus, von selbst in die Fremde und steuerst
Durch die äge'ische Flut mit eilendem Kiel und errichtest
Mauern im asischen Land, die führen den Namen des Gründers.
Dort nun, während sie ging am gewundenen Ufer des Vaters,
Ward dir die Nymphe bekannt Kyane'a, welche Mäa'ndros
Zeugte, der oft umkehrende Strom, und Kinder gebar sie
Schön vor allen an Wuchs, die Zwillinge Kau'nus und By'blis.
Byblis warnt, daß nicht Unziemliches lieben die Mädchen.[128]
By'blis, erfaßt von Begehr nach dem Apollinischen Bruder,
Liebte ihn mehr als recht und nicht wie den Bruder die Schwester.
Anfangs merkte sie zwar noch nichts von dem Feuer und glaubte
Sträfliches nicht zu thun, daß öfter sie küßte den Bruder,
Daß sie vertraulich den Hals ihm oft umschlang mit den Armen,
Und ward lange vom Schein ehrbaren Gefühles betrogen.
Aber die Liebe verirrt sich gemach, und den Bruder zu sehen
Kommt sie geschmückt und begehrt zu sehr ihm schön zu erscheinen;
Doch, schaut eine sie dort, die schöner, beneidet sie diese.
Noch nicht war sie indes sich klar, und unter dem Brande
Regt sich in ihr kein Wunsch. Nur innerlich siedet und wallt es.
Trautester nennt sie ihn schon, haßt schon den Namen des Blutes,
Hört schon Byblis von ihm sich lieber geheißen als Schwester.
Raum zu geben jedoch im Gemüt unlauterer Hoffnung
Wagt sie im Wachen noch nicht. Umfangen von friedlichem Schlummer
Sieht den Geliebten sie oft. Mit dem Bruder den Leib zu vereinen
Wähnet sie auch und errötet, obgleich im Schlummer sie ruhte.
Weg ist der Schlaf. Lang schweigt sie und führt das Gebilde des Traumes
Wieder sich vor und beginnt dann also mit schwankem Gemüte:
»Weh mir! Ach, was soll das Gesicht des verschwiegenen Dunkels?
Warum sah ich den Traum, der nie sich verwirklichen möge?
Schön ist jener fürwahr auch noch so feindlichen Augen,
Und er gefällt, und wär's mein Bruder nicht, könnt' ich ihn lieben;
Würdig erschiene er mein. So bin ich zum Leide die Schwester.
Wenn nur wachend ich nicht zu solchem Vergehen versucht bin,
Möge der Schlaf noch oft mir kehren mit ähnlichem Bilde.
Fern sind Zeugen dem Traum, nicht fern gleichkommende Wonne.
Ve'nus, du holde, mitsamt dem beflügelten Sohne Cupi'do,
O, was empfand ich für Lust! Wie deutlich gefühltes Entzücken[129]
Nahm mich dahin! Wie lag ich gelöst im innersten Marke!
Wie ist Erinnerung süß, wenn kurz auch waren die Freuden
Und zu eilig die Nacht und neidisch auf unser Beginnen!
Stände Verein uns zu mit Wandel des Namens, wie leicht dann,
Daß ich wäre die Schnur, o Cau'nus, von deinem Erzeuger,
Daß du Eidam wärst, o Caunus, von meinem Erzeuger!
Fügten die Götter es nur, daß alles wir außer den Ahnen
Hätten gemein! O wärest du edler als ich von Geschlechte!
Irgendein Weib wird also von dir, o Schönster, zur Mutter;
Mir, der leider mit dir die selbigen Eltern geworden,
Wirst nur Bruder du sein. Was hindert, das eine verbleibt uns.
Worauf deutet mir nun das Gesicht? Was haben denn aber
Träume für Wert? Ob wirklichen Wert doch haben die Träume?
Seien die Götter davor! Die freieten freilich die Schwestern.
So nahm Ops zum Weibe der blutsverwandte Satu'rnus,
Ju'no der waltende Herr des Oly'mpus, Oce'anus Te'thys.
Göttern besteht ihr besonderes Recht. Wie mag ich bemessen
Nach ganz and'rem Gesetz im Himmel die menschlichen Bräuche?
Weggeh'n muß die verbotene Glut aus unserem Herzen,
Oder vermag ich es nicht, so wünscht' ich lieber zu sterben
Und auf der Bahre zu ruh'n, daß er dann küßte die Tote.
Und es verlangt doch auch Einwilligung zweier die Sache.
Sei auch mir sie genehm, ihm wird sie Verbrechen erscheinen.
Doch nicht scheuten das Bett der Schwestern des Ä'olus Söhne.
Aber warum sind die mir im Sinn? Was soll mir das Beispiel?
Wohin werd' ich geführt? Weicht fern, unzüchtige Flammen![130]
Nur, wie der Schwester erlaubt, soll fürder der Bruder geliebt sein.
Wär' er jedoch von Liebe zu mir schon selber ergriffen,
Könnt' ich gefällig vielleicht mich seinem Verlangen bequemen.
Soll ich drum, die doch nicht hätte verschmäht den Bewerber,
Werberin sein? Doch kannst du es sagen und ihm es gestehen?
Sehnsucht zwingt; ich kann's; und fesselt die Scham mir die Zunge,
Kann ja ein heimlicher Brief das verstohlene Feuer bekennen.«
Dies sagt zu, und es hebt des Gemütes Bedenken der Einfall.
Seitwärts hebt sie sich nun und spricht, auf die Beuge des linken
Armes gestützt: »So sei's! Wir gestehen die rasende Liebe.
Ach, wo komm' ich hin! Welch' Feuer entzündet das Herz mir!«
Und sie entwirft mit zitternder Hand das erwogene Schreiben,
Hält in der Rechten den Stift, das geglättete Wachs in der Linken,
Fängt an, zögert und sinnt; sie schreibt und verwirft das Geschrieb'ne,
Zeichnet von neuem und streicht; sie ändert und tadelt und billigt.
Öfter im Wechsel das Blatt weglegend und wieder ergreifend,
Weiß sie nicht, was sie will; was immer sie scheint zu erwählen,
Ist nicht recht. Im Gesicht liegt Scham nicht minder wie Kühnheit.
»Schwester« bereits stand da. Sie beschließt den Namen zu tilgen
Und ins gestrichene Wachs zu graben die folgenden Worte:
»Glück, das ihr nicht wird, wenn du ihr nicht es gewährest,
Wünscht dir der Liebenden Gruß. Sie schämt sich, den Namen zu sagen.
Und wenn nach dem Begehr du mich fragst: o ließe die Sache
Ohne den Namen sich nur abthun, und es bliebe dir Byblis
Unerkannt, bis erst ihr gesichert der Wünsche Gewährung!
Zwar wohl konnten bereits das verwundete Herz dir verraten[131]
Farbe und schwinden der Leib und die Augen in Thränen, die Mienen,
Ohne bemerkbaren Grund oftmals aufsteigende Seufzer
Und die Umarmungen all' und die Küsse, daran zu verspüren,
Wenn du vielleicht acht gabst, daß schwesterlich nicht sie gewesen.
Aber obwohl ich trug im Gemüte die brennende Wunde,
Ob auch innen die Glut wild loderte, alles versucht' ich, –
Götter bezeugen es mir – daß endlich mir würde Genesung;
Ach! und ich war zu entflieh'n den gewaltsamen Waffen Cupido's
Lange bemüht, und mehr, als deines Erachtens ein Mädchen
Irgend vermag, hielt stark ich aus. Nun muß ich bekennen,
Daß ich erlag, und bei dir Heil suchen mit schüchternem Wunsche.
Du kannst retten allein die Liebende, du sie verderben.
Thue denn, was dir beliebt! Nicht ist es die Bitte der Feindin,
Sondern es fleht die, schon so nah, dir näher zu stehen
Wünscht und mit dir gern wäre verknüpft durch engere Bande.
Mögen das Recht die Greise versteh'n und forschen, was statthaft,
Was ein Vergeh'n, was nicht, und an Satzungen ängstlich sich halten:
Unseren Jahren gemäß ist keck sich nähernde Liebe.
Noch nicht wissen wir ja, was erlaubt ist, und wir erachten
Alles erlaubt und thun nach dem Vorbild mächtiger Götter.
Strenge des Vaters dazu sowenig wie Scheu vor dem Leumund
Hindern uns dran, noch Furcht. Was hätten wir auch zu befürchten?
Uns're verstohlene Lust deckt leicht das Geschwisterverhältnis.
Freiheit steht mir zu, mit dir im geheimen zu reden;
Offen umarmen wir uns vor allen und küssen einander.
Wieviel fehlt da noch? Dich rühre der Liebe Geständnis,
Das nie wäre gethan, wenn Not nicht hätte gezwungen.
Zieh' dir die Schuld nicht zu, daß dich anklage mein Grabstein!«
Jetzt, da solches umsonst sie geschrieben, versagte das volle
Wachs sich der Hand, und gedrängt an den Rand ist die unterste Zeile.[132]
Gleich nun siegelt sie zu ihr Verbrechen mit drückendem Steine,
Den sie mit Thränen benetzt. An Feuchte gebrach es der Zunge.
Einen der Diener berief sie darauf schamrot, und befangen
Sprach sie zu ihm mit freundlichem Wort: »Dies bringe, Getreuer,
Unserem« – lange nachher erst sagte sie – »unserem Bruder!«
Als sie es gab, fiel nieder, der Hand entglitten, das Schreiben.
Ob sie die Warnung erschreckt, doch schickt sie es. Passenden Zeitpunkt
Findet der Diener zu nah'n und liefert den heimlichen Brief ab.
Bebend in plötzlichem Zorn, wirft hin der mäa'ndrische Jüngling,
Eh' er es noch ganz las, das empfangene Schreiben mit Abscheu.
Kaum abhaltend die Hand vom Gesichte des zitternden Dieners,
Ruft er: »Verbotener Lust fluchwürdiger Bote, entfliehe,
Weil du noch kannst! Wenn nur dein Tod nicht unsere Schande
Nach sich zöge, fürwahr, du hättest gebüßt mit dem Leben.«
Jener entflieht voll Angst und berichtet der Herrin des Caunus
Ausbruch. Wie du vernimmst die Weigerung, Byblis, erbleichst du,
Und es erstarrt dein Leib, von eisiger Kälte besessen.
Mit der Besinnung jedoch ist wieder gekommen der Wahnsinn,
Und kaum regend die Luft schickt folgende Worte die Zunge:
»Ganz nach Verdienst! Warum auch hab' ich verraten die Wunde
Ohne Bedacht; warum, was noch zu verhehlen gewesen,
So voreilig vertraut dem allzu schleunigen Briefe?
Vorher mußt' ich mir erst, wie jener gesonnen, erforschen
Mit zweideutigem Wort. Auf daß sie der Fahrenden folgte,
Mußt' ich merken zuvor am Stande des Segels, von wannen
Wehte die Luft, und bei sicherem Meer auslaufen. Die Linnen
Hab' ich mit Winden geschwellt, danach ich zu spähen versäumte.
So nun werd' ich an Klippen gejagt, und das wogende Weltmeer
Deckt die Versunkene zu, und zurück kann nimmer mein Segel.
Ja, mich mahnte ja auch unertrügliches Zeichen, der Liebe
Nicht willfährig zu sein, da, als mir das Wachs bei dem Auftrag[133]
Unlängst fiel aus der Hand und wankend mir machte die Hoffnung.
Mußt' ich nicht von dem Tag, vielleicht von dem ganzen Beginnen,
Doch wohl nur von dem Tag, absteh'n? Mich warnte die Gottheit
Selber mit deutlichem Wink, wenn ich nicht von Sinnen gewesen.
Aber ich mußt' auch selbst, anstatt mich dem Wachs zu vertrauen,
Reden und Aug' in Aug' ihm entdecken der Sinne Bethörung.
Thränen hätt' er geseh'n und gesehen der Liebenden Züge;
Mehr dann konnt' ich ihm sagen, als Raum auf dem Blatte gefunden,
Konnte den Hals mit dem Arm trotz seines Erwehrens umfangen,
Wenn er zurück mich stieß, als Beute des Todes erscheinen,
Dringlich umfassen die Knie' und liegend mein Leben erflehen.
All das hätt' ich gethan, und vermochte zu beugen den harten
Sinn nicht eines allein, so hätt' es vermocht das Gesamte.
Einige Schuld vielleicht auch trägt der gesendete Diener.
Störend erschien er gewiß und ersah nicht, wie ich vermute,
Schickliche Zeit und nahm nicht wahr die Stunde der Muße.
Das nur schadete mir. Kein Tiger ja hat ihn geboren,
Sprödes Gestein auch trägt er ja nicht, noch starrendes Eisen,
Noch auch Stahl in der Brust, noch ist er gesäugt von der Löwin.
Sieg ist gewiß. Neu sei es versucht! Nichts soll mir verleiden
Mein Vorhaben hinfort, so lang ich den Atem behalte.
War es das erste – wofern ich könnte Geschehenes ändern –
Nicht zu beginnen, so ist das Begonnene enden das zweite.
Jener vermag ja doch, auch wenn ich entsagte dem Wunsche,
Niemals, was ich gewagt, zu verdrängen aus seinem Gedächtnis.
Schein auch wäre, dieweil ich verzichtete, daß ich im Wollen
Schwach war oder ihn gar versuchte und Schlingen ihm legte;
Mindestens bliebe Verdacht, daß nicht der Gott, der gewaltig
Brannte und brennt in der Brust, mich nötigte, sondern Gelüste.
Kurz, ich vermag nicht mehr rückgängig zu machen die Schande;
Schrift und Gesuch sind da, und befleckt ist uns're Gesinnung.
Thu' ich dazu auch nichts, schuldfrei kann nimmer ich heißen.
Was noch übrig, ist viel für den Wunsch, nicht viel für die Sünde.«
Sprach's und – also besteht im schwankenden Herzen Entzweiung –
Ob sie bereut den Versuch, sie erneut ihn doch, und die Arme[134]
Hält nicht Maß und macht, daß oft sie Verweigerung leidet.
Als kein Ende zu seh'n, geht fern von Verbrechen und Heimat
Caunus und baut auf fremdem Gebiet neu steigende Mauern.
Da nun, kündet die Mär, kam ganz von Sinnen Mile'tus'
Tochter in Jammer und Leid; da riß sie das Kleid voneinander
Vorn an der Brust und schlug sich die Arme in wilder Verzweiflung.
Offen bekennt sie verstört ihr Trachten nach sündlicher Buhlschaft;
Dann, da Land und Pena'ten sie haßt, wo nichts ihr zu hoffen,
Macht sie sich auf und verfolgt die Spuren des flüchtigen Bruders.
Wie dreijährliches Fest die isma'rischen Bakchen begehen,
Die dein Thy'rsus erfüllt mit dem Geist, o Se'mele's Sprößling,
So ward Byblis geseh'n, wie durch die Gefilde sie heulte,
Von den buba'sischen Frau'n. Als die sie verlassen, durchirrt sie
Karer und Le'leger stark im Streit und der Ly'cier Landschaft.
Li'myre ließ sie und Kra'gos zurück und die Wellen des Xa'nthus
Und das Gebirge, woselbst Chimä'ra das Feuer im Innern
Trug mit der Löwin Gesicht und Brust und dem Schweife der Schlange.
Wald zum Suchen gebricht; da sinkst du, Byblis, zu Boden
Von dem Verfolgen erschöpft, und das Haar auf die Erde gebettet
Liegst du gestreckt und drückst das gefallene Laub mit dem Antlitz.
Oft nun suchen empor sie zu richten lele'gische Nymphen
Mit unkräftigem Arm; und daß sie beherrsche die Liebe,
Mahnen sie oft und sprechen zum Trost nur taubem Gemüte.[135]
Stumm liegt Byblis und hält mit den Nägeln den grünenden Rasen
Krampfhaft fest und befeuchtet das Gras mit dem Strome der Zähren.
Diesen verliehen darauf zufolge der Mär die Naja'den
Nimmer versiegenden Quell. Was konnten sie Größeres geben?
Sieh', wie tropfendes Harz aus geschnittener Rinde der Föhre
Oder wie klebendes Pech aus der zeugenden Erde hervorquillt,
Wie von der Sonne erweicht beim Nah'n sanftwehender Weste
Wieder die Welle zergeht, die starr vom Froste gestanden:
So auch löste sich auf in Thränen die phöbische Byblis,
Bis sie geworden zum Born, der jetzt noch dorten im Thale
Führet den Namen von ihr und sprudelt an dunkeler Eiche.
Leicht wohl hätte der Ruf von der Wundergeschichte die hundert
Kretischen Städte erfüllt, wenn nicht in der I'phis Verwandlung
Kreta hätte gezeigt erst neulich ein näheres Wunder.
Phä'stos' Gebiet, das nah' beim gno'sischen Reiche gelegen,
Hatte den Li'gdus gezeugt vor Zeiten, der niederen Bürger
Einen, von keinem gekannt. Auch war nicht größer der Reichtum,
Als sein Adel es war; doch stand er im Leben und Wandel
Rein von Tadel und Schuld. Der sprach zu der schwangeren Gattin
Also das mahnende Wort, als nahte die Zeit der Entbindung:
»Zwiefach ist mein Wunsch; daß wenig von Schmerzen du leidest
Und mir ein Knäblein bringst. Das and're Geschlecht ist zur Bürde,
Und es versagt uns Mittel das Glück. Wenn also – der Himmel
Wahre davor! – du ein Mädchen gebierst, – mit weigerndem Herzen
Sag' ich es; Macht der Gefühle, vergib – so sei es getötet.«[136]
Also sagte der Mann, und sie netzten mit Thränen das Antlitz,
Er, der solches befahl, wie sie, der solcher Befehl ward.
Eitele Bitten indes bei dem Gatten versucht Telethu'sa
Unablässig, ihr nicht so eng zu beschränken die Hoffnung.
Ligdus beharrt bei seinem Entschluß. Schon konnte die Mutter
Kaum noch tragen den Schoß, mit der zeitigen Bürde belastet,
Als in der Mitte der Nacht im Gebilde des Traums vor dem Lager
I'nachus' Tochter ihr stand, vom Gefolge der Ihren begleitet,
Oder zu steh'n doch wenigstens schien. Mondähnliche Hörner
Zierten die Stirn und gefügt zu Ähren von glänzendem Golde
Prangender Königesschmuck. Mit kamen der Beller Anu'bis,
A'pis, gefleckt am Leib, und die heilig verehrte Buba'stis,
Auch, der bannet den Laut und Schweigen gebeut mit dem Finger,
Klappern dazu und der nie zur Genüge gesuchte Osi'ris[137]
Und mit dem Schlaf einflößenden Gift die ägyptische Schlange.
Da hub an die Göttin zu ihr, die wie aus dem Schlummer
Plötzlich erwacht klar sah: »Telethu'sa, du eine der Meinen,
Laß die befangende Furcht und umgehe des Gatten Befehle.
Hebe getrost nur auf, sobald dich entbindet Luci'na,
Was es auch sei! Ich bin die helfende Macht, und gebeten
Bin ich zum Beistand nah, und des Undanks sollst du die Gottheit,
Die du verehrst, nicht zeih'n.« So mahnend verließ sie die Kammer.[138]
Froh aufstehend erhebet die Kreterin saubere Hände
Demutsvoll zu den Sternen und fleht um des Traumes Erfüllung.
Wie sich die Schmerzen gemehrt und die Bürde sich selber zum Lichte
Drängt und ein Mädchen erscheint, darum nicht wußte der Vater,
Heißt es die Mutter erzieh'n als erlogenen Knaben, und Glauben
Fand der Betrug, und der Amme allein war kund das Geheimnis.
Ligdus erfüllt sein Gelübde und nennt das Kind nach dem Ahne:
I'phis war er genannt. Lieb war der Name der Mutter,
Weil im Zweifel er ließ und keinen mit diesem sie täuschte.
So blieb undurchschaut durch frommen Betrug die Verhehlung.
Knaben gemäß war die Tracht; das Antlitz, sei es dem Mädchen
Oder dem Knaben verlieh'n, schön mußte ein jedes erscheinen.
Als drei Jahre bereits nun waren gefolgt auf das zehnte,
Wird dir, Iphis, verlobt von dem Vater die blonde Ja'nthe,
Die, von Tele'stes gezeugt dem Diktä'er, an Gabe der Schönheit
Weit die gepriesenste war von den Jungfrau'n allen in Phä'stos.
Gleich war Alter dem Paar und Gestalt, und die früheste Bildung
Lernten sie auch und des Wissens Beginn bei den selbigen Lehrern:
So schlich Liebe sich ein in die jungen Gemüter, und beide
Litten sie gleich vom Drang, doch ungleich war die Erwartung.
Froher Vereinigung harrt und bedungener Fackeln Janthe
Und den vermeintlichen Mann hofft bald sie den ihren zu nennen.
Iphis ersehnt, auf deren Besitz sie verzichtet, und steigert
Dadurch eben die Glut, und die Jungfrau brennt für die Jungfrau.
Kaum jetzt hält sie die Thränen und spricht: »Was harrt für ein Ausgang
Mein, die denket an neuen Verein mit nimmer erhörtem
Unnatürlichem Wunsch? Ach! wollten die Götter mich schonen,
Mußten sie schicken ein Leid, das Natur gut heißet und Sitte.
Nie treibt Liebe die Kuh zur Kuh, zur Stute die Stute;
Wollvieh brennt für den Stär; nachgehet dem Hirsche die Hindin;[139]
Vögel begatten sich so, und unter den sämtlichen Tieren
Ist kein Weibchen von Brunst nach anderem Weibchen ergriffen.
Wär' ich nicht auf der Welt! Und doch, daß Kreta erzeuge
Jegliche Unnatur, Sols Tochter begehrte des Stieres,
Freilich des Mannes das Weib. Mich treibt, zu gestehen die Wahrheit,
Mehr denn sie sinnraubende Glut: sie durfte doch hoffen
Auf den Genuß; sie paarte sich doch in dem Bilde der Färse
Schlau mit dem Stier, und es war ihr vergönnt zu verführen den Buhlen.
Fände der Scharfsinn hier sich zusammen von allen den Landen,
Flöge zurück auch Dä'dalus selbst mit den wächsernen Schwingen:
Was kann Dädalus thun? Kann mich vom Mädchen zum Knaben
Wandeln die schaffende Kunst? Kann dich sie verwandeln, Ja'nthe?
Warum stählest du nicht dein Herz und ermannest dich selber,
Iphis, und drängst aus dem Herzen die Glut so thöricht und ratlos?
Sieh', wie Natur dich schuf, wenn nicht auch selbst du dich täuschest;
Trachte nach Möglichem nur, und dem Weibe Geziemendes liebe.
Hoffnung allein ruft Liebe hervor, nur Hoffnung erhält sie.
Diese benimmt das Geschlecht. Dich hält nicht wachende Aufsicht,
Noch auch Hut des besorgten Gemahls, noch Härte des Vaters
Ab von dem süßen Umfah'n; nicht weigert sich selbst die Begehrte.
Dennoch bleibt dir versagt ihr Besitz; ob alles geschähe,
Dein wird nimmer das Glück, und mühten sich Götter und Menschen.
Zwar ist mir zur Zeit nicht einer der Wünsche vereitelt:
Gnädig gewähreten mir, was nur sie vermochten, die Götter;
Was ich will, will sie, der Erzeuger, der künftige Schwäher.
Doch die Natur will's nicht, die mächtiger ist wie sie alle;
Sie nur steht mir im Weg. Es erscheint die erwartete Stunde;
Da ist der Hochzeittag; mein wird nun werden Janthe;
Doch eins werden wir nicht. Wir dürften in Mitte der Wellen.[140]
Ach! was naht ihr dem Fest, Hymenä'us und eh'liche Ju'no,
Wo kein Bräutigam ist und wo zwei Bräute sich freien?«
Damit schwieg ihr Mund. Glut wallt in der anderen Jungfrau
Ebenso heiß, und sie wünscht, daß bald du erscheinst, Hymenäus.
Fürchtend, was diese ersehnt, stellt weitere Frist Telethu'sa,
Oder sie schafft krank scheinend Verzug; Vorzeichen und Träume
Wendet sie oft auch vor. Nun hatte sie aber den Vorrat
Schlauer Erfindung erschöpft; die verschobene Zeit der Vermählung
Rückte heran, und es blieb ein Tag noch. Da von dem Haupte
Zieht sie die Binde des Haars sich selber herab und der Tochter,
Und sie beginnt, den Altar mit entfesselten Haaren umfassend:
»Isis, die du bewohnst mareo'tische Fluren und Pha'ros
Und Paräto'nium liebst und den siebengemündeten Nilstrom,
Hilf, so fleh' ich zu dir, und laß von der Furcht uns genesen!
Vormals sah ich dich schon, o Göttin, und dies dein Geräte;
Alles, der Klappern Getön und die Fackeln des folgenden Zuges
Nahm ich wahr und behielt dein Geheiß im gedenkenden Herzen.
Daß sie schauet das Licht, daß mich nicht Strafe getroffen,
Ist dein Rat, ist Gabe von dir. Erbarme dich beider,
Stehe mit Hilf' uns bei!« Und es folgeten Thränen den Worten.
Da schien ihren Altar zu bewegen die Göttin, – und wirklich
War's auch so – und das Thor am Tempel erbebt, und die Hörner
Ähnlich dem Mond sind licht, und es rasselt die tönende Klapper.
Ruhig noch nicht, doch froh des glücklichen Zeichens begibt sich
Jene vom Tempel hinweg. Ihr folgt als Begleiterin Iphis,
Aber mit größerem Schritt als sonst; auch bleibet die Weiße
Nicht im Gesicht, und es mehrt sich die Kraft, und die Mienen erhalten[141]
Schärferen Zug und kürzeres Maß wirr liegende Haare.
Mut auch, wie er im Weib nicht war, drängt jetzt; denn ein Jüngling
Bist du, die du ein Weib jüngst warst. Bringt Gaben zum Tempel;
Freut euch vollen Vertrauns! Sie kommen mit Gaben zum Tempel;
Anschrift setzen sie auch. Die faßte den kurzen Gedenkspruch:
»Was er als Mädchen gelobt, hier widmet es Iphis als Jüngling.«
Wiederum hatte das Licht mit den Strahlen erschlossen den Erdkreis,
Als zum Vermählungsfest Hymenäus und Venus und Juno
Kommen und Iphis als Mann sich vereinigt mit seiner Janthe.
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