Siebentes Buch.

[32] Inhalt: Ja'son und Mede'a (Ä'son; Ba'cchus' Ammen; Pe'lias; Verzeichnis von Verwandlungen). Lob des The'seus. Heerfahrt des Mi'nos. Pest auf Ägi'na. Myrmido'nen. Ke'phalis und Pro'kris (der teumessische Fuchs).


Schon mit den Mi'nyern fuhr der paga'sische Kiel durch die Meerflut,

Schon war Phi'neus besucht, der hilflos schleppte das Alter[33]

In stets währender Nacht und verscheucht durch A'quilo's Söhne

Waren die Jungfrauvögel vom Mund des gequäleten Greises,

Und nach mancher Gefahr war unter dem Helden Jason

Endlich die Schar an dem Strom des schlammigen Phasis gelandet.

Wie sie dem Könige nah'n und das Vlies des Phri'xus verlangen,

Und der Beding laut wird, der schreckt mit gefährlichen Proben,

Zündet gewaltige Glut in der Brust der äe'tischen Jungfrau.

Als sie sich lange gesträubt, doch mit dem Verstand die Bethörung

Nicht zu besiegen vermocht, da spricht sie: »Vergebens, Medea,

Wehrest du; irgend ein Gott ist im Weg. Das sicherlich ist es

Oder ein Ähnliches doch wie dies, was Liebe genannt wird.

Warum schienen mir sonst zu hart die Gebote des Vaters?

Sind sie doch auch zu hart. Was ängstigt mich dessen Verderben,

Den kaum erst ich gesehn? Woher so bange Besorgnis?

Aus jungfräulicher Brust wegdränge die lodernde Flamme,

Wenn du, Verblendete, kannst. Ja, könnt' ich, verständiger wär' ich.

Aber mich zwingt die neue Gewalt, und es rät mir die Sehnsucht

Anderes als die Vernunft. Das Bessere seh' und erkenn' ich:

Schlechterem folgt mein Herz. Was hegest du Glut für den Fremdling,

Königstochter, und träumst dir im Sinn fremdländisches Brautbett?

Hier auch wohnt, was Liebe verdient. Sein Leben und Sterben[34]

Steht bei den Göttern allein. Doch leb' er! Dieses er flehen

Darf ich der Lieb' auch bar. Denn wessen ist schuldig Jason?

Wer, der Gefühl noch hegt, nimmt Anteil nicht an Jasons

Alter, Geschlecht und Kraft? Wen muß nicht, fehlte das andre,

Rühren sein Antlitz schon? Mich hat es gerührt im Gemüte.

Helf' ich aber ihm nicht, so behaucht ihn der Rachen der Stiere,

Und mit der eigenen Saat, mit den erdentsprossenen Feinden

Streitet er, oder er fällt dem gefräßigen Drachen zur Beute.

Duldet' ich dies, fürwahr, vom Tiger das Leben zu haben

Müßt' ich gestehn und Eisen und Stahl in dem Herzen zu tragen.

Warum seh' ich ihn nicht gar sterben, am schmählichen Schauspiel

Weidend den Blick? Warum nicht hetz' ich auf jenen die Stiere

Und die entsetzliche Brut des Gefilds und den schlaflosen Drachen?

Götter, bewahrt mich davor! Doch hier nicht gilt es zu beten,

Handeln thut not. So soll ich das Reich des Erzeugers verraten,

Über Gefahr durch mein Bemüh'n soll siegen ein Fremdling,

Daß er, gerettet von mir, dann ohne mich spanne die Segel,

Wähle ein anderes Weib, und zur Strafe verbleibe Medea?

Kann er es thun und ein Weib vor mir sich erwählen mit Undank,

Besser, er leidet den Tod. Doch nicht ist also sein Ansehn,

Sein hochherziger Sinn und des Wuchses gewinnende Schönheit,

Daß mir drohte Betrug und Vergessenheit meines Verdienstes.

Treue gelob' er zuvor, und es sollen die Götter bezeugen

Unseren Bund. Was fürchtest du noch? Auf, rüste dich; banne

Allen Verzug! Dir wird sich immer verdanken Jason.

Mit dir wird er vereint bei festlicher Fackel, und preisen

Werden als Retterin dich in pelasgischen Städten die Mütter.

Also die Schwester zugleich, den Bruder, den Vater, die Götter

Soll ich, das Land der Geburt, entführt von den Winden, verlassen?

Freilich der Vater ist hart und die Heimat ohne Gesittung;

Noch ist der Bruder ein Kind; für mich sind die Wünsche der Schwester;[35]

Innen erfüllt mich der mächtigste Gott. Nicht Großes verlass' ich;

Großes gewinn' ich, den Ruhm der Errettung achi'vischer Jugend,

Kunde von besserem Land und prächtige Städte, von denen

Hier auch kündet der Ruf, und Bildung und Künste des Landes

Und, für den ich zum Tausch gern gäbe, was alles der Erdkreis

Einschließt, Ä'sons Sohn, als dessen Gemahlin ich glücklich

Heiße und Himmlischen lieb und das Haupt zu den Sternen erhebe.

Aber erzählen sie nicht, daß drohende Berge zusammen-

Stoßen inmitten des Meers, das feindlich den Schiffen Chary'bdis

Flut bald schlürft, bald speit, und daß die verschlingende Scy'lla

Bellt im sikulischen Sund, umgürtet von wütenden Hunden?

Ist der Geliebte nur mein, und ruh' ich am Busen Jasons,

Fahr' ich durch Weiten des Meers. Nichts fürcht' ich in seiner Umarmung,

Oder wenn Angst mich erfaßt, so ist's nur Angst um den Gatten.

Gattin nennest du dich, und mit blendendem Namen, Medea.

Hoffst du das schuldige Thun zu beschönigen? Schaue, wie großen

Frevel du sinnst, und fliehe die Schuld, so lang es dir möglich.«

Also sprach sie, und Recht und sittsame Scheu und Gehorsam

Standen ihr nah, und besiegt schon wandte den Rücken Cupi'do.

Zum vieljährigen Herd der Perse'ischen He'kate ging sie,[36]

Welchen ein schattiger Hain und Stille des Waldes versteckte.

Stark war wieder ihr Herz, und es ruhte die Flamme beschwichtigt,

Als den Jason sie schaut und sich hebt das erloschene Feuer.

Rot sind die Wangen gefärbt, und sie glüht im ganzen Gesichte.

Wie oft Nahrung gewinnt von den Winden ein kärglicher Funke,

Der sich glimmend verbarg in der Hülle bedeckender Asche,

Groß dann wächst und gefacht sich erhebt zu der vorigen Stärke:

So auch loderte auf die matt schon sinkende Liebe,

Als sie den Jüngling sah, von den nah erschienenen Reizen.

Schöner als sonst auch war zufällig an eben dem Tage

Ä'sons Sproß. Leicht war zu verzeihen der liebenden Jungfrau.

Ständig an seinem Gesicht, als ob nun erst sie es schaute,

Hängt ihr gefesselter Blick, und nicht ein sterbliches Antlitz

Wähnt die Bethörte zu sehn, und sie kann nicht wenden das Auge.

Jetzt, wie zu reden beginnt und die Rechte ihr fasset der Fremdling

Und um helfenden Rat sie bittet mit schüchterner Stimme

Und ihr die Ehe verheißt, sagt jene mit rinnenden Zähren:

»Wohl erkenn' ich mein Thun, und nicht Unkunde des Rechten,

Liebe verleitet mich nur. Mein Beistand soll dich er retten.

Bist du befreit, dann löse dein Wort.« Bei der dreifachen Göttin

Heiligem Dienst, bei der Macht, die waltete dort in dem Haine,

Bei'm ansehenden Gott, der zeugte den künftigen Schwäher,

Bei dem Gelingen des Werks und der Größe der Wagnisse schwört er.

Jene vertraut und reicht ihm sogleich die bezaubernden Kräuter,

Lehret ihn auch den Gebrauch, und der Held kehrt freudig zur Wohnung.

Drauf nun hatte verscheucht die flimmernden Sterne Auro'ra.

Ringsher strömet das Volk zu dem heiligen Felde des Ma'vors

Und nimmt Stand auf den Höh'n. Der König inmitten der Menge

Sitzt im Purpurgewand mit der Zierde des helfernen Scepters.

Da schnaubt feurigen Hauch aus stählernen Nüstern der Stiere

Paar mit den Füßen von Erz, und berührt von der sprühenden Lohe[37]

Brennet das Gras. Wie laut aufkocht die gefüllete Esse,

Wie wenn mürbe gemacht im irdenen Ofen der Kalkstein,

Glühende Hitze gewinnt durch flüssigen Wassers Besprengung:

So dröhnt innen die Brust von dem Wirbel verschlossener Flammen

Und der entzündete Schlund. Doch kühn tritt ihnen entgegen

Äsons Sohn. Sie wandten ergrimmt nach des Kommenden Antlitz

Ihr furchtbares Gesicht und die eisengewaffneten Hörner,

Stampften das stäubende Feld mit der doppeltgespaltenen Klaue

Und durchdröhnten den Raum mit Qualm ausschnaubendem Brüllen.

Starres Entsetzen erfaßt die Mi'nyer. Ohne zu leiden

Von der entatmeten Glut – so kräftig erweist sich der Zauber –

Nahet er keck und streicht mit der Rechten die hangenden Wampen,

Stellt sie unter das Joch und zwingt sie zu ziehen des Pfluges

Hemmende Last und das wüste Gefild mit dem Eisen zu spalten.

Staunen ergreift die Kolcher umher. Doch die Minyer jauchzen,

Ihm anfeuernd den Mut. Jetzt nimmt er aus ehernem Helme

Schlangenzähne heraus und besät das geackerte Erdreich.

Siehe, der Boden erweicht den Gift einschließenden Samen,

Und es erwächst ein neues Geschlecht aus den keimenden Zähnen.

Gleichwie Menschengestalt annimmt in dem Schoße der Mutter

Und schon innen das Kind zum fertigen Leib sich entwickelt

Und erst völlig gereift an gemeinsame Lüfte hervorgeht:

Also, wenn es gedieh'n in der schwangeren Erde Geweiden,

Steigt ein Mannesgebild hervor aus dem zeugenden Felde,

Und – was staunlicher noch – von Geburt gleich ist er gewaffnet.

Als sie gewahrt, wie die nach dem Haupt des hämo'nischen Jünglings

Alle gedachten den Speer mit der spitzigen Schärfe zu schwingen,

Senkten in zagender Angst so Blick wie Mut die Pelasger.

Auch sie selber erschrak, die vor der Gefahr ihn gesichert.

Wie auf den einen sie sah eindringen die Menge der Feinde,

Wurde sie blaß und saß urplötzlich erkaltet und blutlos.

Daß nicht fehle jedoch des gegebenen Krautes Vermögen,

Murmelt sie helfenden Spruch und schafft mit geheimer Beschwörung.[38]

Einen gewichtigen Stein wirft unter die Feinde Ja'son,

So ablenkend den Streit von sich auf die Kämpfenden selber.

Bald ist das Erdengeschlecht, da einer den anderen mordet,

Niedergestreckt durch inneren Krieg. Die Achiver mit Glückwunsch

Halten den Sieger umfaßt und liegen in heißer Umarmung.

Gern wohl hättest auch du, o Fremde, den Sieger umfangen:

Nicht litt solches die Scham. Und du hättest ihn freudig umfangen;

Aber es hielt dich zurück die besorgliche Scheu vor dem Leumund.

Was dir erlaubt, du freust dich in stillem Entzücken und spendest

Dank dem beschwörenden Spruch und den Zauber verleihenden Mächten.

Noch war übrig, in Schlaf zu zaubern den wachsamen Drachen,

Der sich, dräuend mit Kamm, drei Zungen und hakigen Zähnen,

Lagerte, grausig zu sehn, als Wächter des leuchtenden Goldbaums.

Als er diesen bestreut mit dem Kraut lethä'ischen Saftes

Und drei Male gesagt in Schlaf einlullenden Bannspruch,

Der das tobende Meer, der reißende Ströme besänftigt,

Kommt in die Augen der Schlaf, die nie er befiel, und das Goldvlies

Nimmt der äsonische Held zum Gewinn, und stolz auf die Beute,

Sie, die verhalf zu dem Schatz, mitführend als andere Beute,

Kehrt mit der Gattin heim zum io'lkischen Hafen der Sieger.

Jetzt in Hämo'nien weihn mit den Müttern gealterte Väter

Graben zum Dank, daß die Söhne gekehrt, und es schmilzt in der Flamme

Weihrauch reichlich gehäuft, und mit Gold umzogen die Hörner,

Blutet das Tier, wie gelobt. Doch fehlt bei den Fröhlichen Ä'son,

Der schon nahe dem Tod und vom lastenden Alter geschwächt war.

Da sprach Äsons Sohn: »Du, der ich die Rettung zu danken

Freudig bekenn', o Gattin, obgleich du mir alles gegeben,

Und unglaublich erscheint die Anzahl deiner Verdienste:

Wenn dein Zauber es kann, – und was nicht könnte der Zauber? –[39]

Nimm von den Jahren mir selbst und teile sie zu dem Erzeuger.«

Thränen entrannen dazu. Sie rühret des Bittenden Liebe;

Ihr unähnliches Herz denkt an den verlass'nen Äe'tes,

Doch sie bekennt nicht solches Gefühl. »Wie frevelnd« – versetzt sie –

»Sprach dein liebender Mund, o Gemahl! Mich glaubst du vermögend

Überzutragen von dir auf andere Zeiten des Lebens?

Das gönnt He'kate nie, und du wünschest vermessen; doch will ich

Größeres, als du gewünscht, dir suchen zu geben, Jason:

Daß ich dem Schwäher durch Kunst langwährendes Leben erstatte,

Nicht durch Jahre von dir. Nur muß bei dem furchtbaren Wagnis

Helfen und mir voll Huld nah stehen die dreifache Göttin.«

Nächte gebrachen noch drei, bis ganz sich die Hörner vereinten

Zum vollständigen Rund. Wie Luna, am vollsten erglänzend

Als ein gediegenes Bild auf die Lande der Erde herabsah,

Gehet sie fort aus dem Haus, umhüllt von entgürteten Kleidern,

Nackt an den Füßen und nackt auf die Schultern gegossen das Haupthaar.

Ohne Geleit' in Mitte der Nacht durch schweigende Stille

Hebt sie den schweifenden Fuß. Tief ruhten im Schlummer entfesselt

Menschen und Vögel und Wild; kein Flüstern erhebt sich im Zaune;

Regungslos ist das Laub; still feiert der thauige Luftraum;

Sterne nur flimmern im Glanz. Zu diesen die Arme gehoben

Dreht sie sich dreimal um, sprengt dreimal, schöpfend im Flusse,

Wasser sich über das Haar, stößt dreimal lautes Geheul aus,

Läßt dann nieder das Knie an den drückenden Boden und betet:

»Nacht, Vertrauteste du tiefheimlichen Thuns, und Gestirne,

Die ihr den Gluten des Tags nachfolgt mit der goldenen Luna,

Dreihaupt Hekate auch, die du weißt um unser Beginnen

Und als Helferin nahst, ihr bannenden Künste des Zaubers,

Die du dem Zauberer leihst krafthaltige Kräuter, o Erde,[40]

Lüfte und Winde zudem, ihr Seen, ihr Ströme und Berge,

All ihr Götter der Nacht, ihr Götter der Wälder; erscheinet!

Durch die, wenn ich es will, zum Staunen der Ufer die Flüsse

Kehren zur Quelle zurück, aufgärende Flut sich beruhigt,

Ruhende Flut aufgärt, durch die ich verscheuche die Wolken

Oder sie führe herauf, fortweis' und rufe die Winde,

Giftigen Vipern den Schlund aufbreche mit Spruch und Beschwörung,

Wurzelnde Felsen im Grund und vom Sitze gerissene Eichen

Rüttele, Wälder beweg' und heiße die Berge erbeben

Und dumpf dröhnen den Grund und die Manen entsteigen den Gräbern.

Dich auch zieh' ich heran, o Mond, ob Te'mesa's Erze

Dir auch mindern die Not. Blaß färbet den Wagen des Ahnes

Unsere Kunst: blaß wird durch unseren Zauber Aurora.

Ihr habt jüngst mir die Glut der Stiere gekühlt und den Nacken,

Der noch nie sich bequemt, mit gebogenem Pfluge belastet;

Ihr habt Fehde mit sich dem Schlangengeschlechte veranlaßt,

Ihr den Wächter betäubt, der entbehrte des Schlafs, und das Goldvlies,

Da ihr den Rächer berückt, in die gra'jischen Städte gesendet.

Nun sind Säfte mir not, durch welche das Alter erneuert

Kehre zur Blüte zurück und wieder erlange die Jugend.

Ja, ihr gewähret sie mir: umsonst nicht blitzten die Sterne;[41]

Nicht ist der Wagen umsonst, den Hälsen geflügelter Drachen

Folgend, genaht.« Nah stand, aus dem Äther gesunken, ein Wagen.

Wie sie diesen bestieg und der Drachen gezäumete Hälse

Streichelte und mit der Hand leichtschwebende Zügel bewegte,

Wird sie gerafft in die Höh', und auf das thessalische Te'mpe

Schaut sie hinab und lenkt nach verlässigen Höhen die Schlangen.

Was nur O'ssa erzeugt, was Pe'lion, O'thrys an Kräutern,

Was das Pi'ndusgebirg' und größer als Pindus Oly'mpus,

Mustert sie kundig und rauft, was tauglich erscheint, mit der Wurzel,

Oder sie schneidet es ab mit der Krümme der ehernen Sichel.

Auch am Api'danusstrom und an des Amphry'sus Gestaden

Wählte sie manches Gewächs; nicht zinsfrei warst du, Eni'peus

Auch die sperche'ische Flut gab her; nicht minder Pene'us

Steuerte bei sein Teil und das Binsengestade der Bö'be.

Auch das belebende Gras am euböischen Sund bei Anthe'don

Rupfte sie, das noch nicht Ruhm hatte von Glau'cus' Verwandlung.

Als neun Male der Tag, neun Male die Nacht sie gesehen,

Wie sie geforscht allorts, von den fliegenden Drachen gezogen,

Kehrte sie heim. Den Geruch nur hatten empfangen die Drachen,

Dennoch legten sie ab die Haut vieljährigen Alters.

Außer der Schwell' und der Thüre verbleibt sie nach ihrer Zurückkunft;

Über ihr steht der Himmel allein, und der Männer Berührung

Meidet sie, und sie erbaut zwei Opferaltäre von Rasen,

Einen für He'kate rechts und den anderen links für die Jugend.

Als sie mit heiligem Kraut und Büschen umflochten die Herde[42]

Und ganz nahe dabei zwei Höhlen gewühlt in dem Erdreich,

Opfert sie drüber und stößt schwarzwolligem Schaf in die Gurgel

Schneidenden Stahl und beströmt mit dem Blute die offenen Gruben.

Flüssigen Honig sodann ausgießend darob aus der Kanne,

Lauliche Milch dann auch ausgießend aus eherner Kanne,

Murmelt sie Worte dazu und beschwört die Gewalten der Erde,

Samt dem entführeten Weib anflehend den König der Schatten,

Daß sie dem siechenden Leib nicht eilen den Atem zu rauben.

Als sie diese gesühnt mit Gebeten und langem Gemurmel,

Heißt sie zum Doppelaltar den entkräfteten Körper des Äson

Bringen und streckt ihn, versenkt durch Zauber in völligen Schlummer,

Einem Gestorbenen gleich auf untergebreitete Kräuter.

Äsons Sohn nun weist sie hinweg und die Diener und warnt sie,

Daß sie das heimliche Thun nicht stören mit weltlichen Blicken.

Folgsam gehn sie fort. Nachahmend die Art der Baccha'nten

Schreitet mit fliegendem Haar um die brennenden Herde Medea,

Taucht Kienspäne hinein in die Gruft voll schwärzlichen Blutes,

Zündet befeuchtet sie an auf den beiden Altären, und dreimal

Weiht sie den Greis zum Werk mit Feuer, mit Wasser, mit Schwefel.

Aber das Zaubergebräu, das stand auf dem Feuer im Kessel,[43]

Siedet und sprudelt indes und ist weiß vom schwellenden Schaume.

Wurzeln kocht sie darin, im hämonischen Thale geschnitten,

Samen und Blumen zugleich und Säfte von ätzender Schärfe,

Wirft auch Steine hinein, im entlegensten Osten gelesen,

Sand auch, welchen gespült des Oce'anus ebbende Strömung;

Thau auch thut sie hinzu, vom nächtlichen Monde gefangen,

Dann mit dem Fleische zugleich die verrufenen Flügel der Eule

Und das zerhackte Gedärm von dem Werwolf, welcher verwandelt

Tierischen Leib zu Menschengestalt. Auch fehlte mit nichten

Drunter der schuppige Balg der kiny'phischen dünnen Chelyder.

Vom zählebenden Hirsch auch mischte sie drunter die Leber

Und von der Krähe den Kopf, die gelebt neun Menschengeschlechter.

Als sie von dem und vielem dazu, was Namens entbehret,

Hatte die Gabe gebraut, die sollte dem Sterblichen frommen,

Rührt sie zurecht das ganze Gemisch mit des friedlichen Ölbaums

Längst vertrocknetem Ast und vermengt mit dem Obern das Untre.

Sieh, da wird zum Beginn, wie er kreist in dem siedenden Kessel,

Grün der verdorrete Stumpf; kurz währt der Verzug, und mit Blättern

Kleidet er sich und ist plötzlich behängt mit schweren Oliven.

Doch, wo Schaum hinwirft aus dem hohlen Gefäße das Feuer,[44]

Oder wohin auf die Erd' ein glühender Tropfen gefallen,

Grünet der Boden und sprießt von Blumen und schwellender Weide.

Rasch, wie das sie gewahrt, stößt zu mit dem Schwerte Medea,

Öffnet die Kehle dem Greis, und entlassend das alte Geblüte

Gießt sie den Saft ihm ein. Als diesen der liegende Äson

Aufnahm teils mit dem Mund, teils auch mit der Wunde, verlieren

Bart und Haare das Grau und gewinnen die vorige Schwärze;

Hagere Dürre vergeht; es entweichet das Gelb und die Welkheit;

Frisch ansetzendes Fleisch füllt aus hohlgehende Runzeln;

Stark ist in Fülle der Leib. Mit Bewunderung fühlet sich Äson

Ganz so wieder wie einst vor vierzig entwichenen Jahren.

Liber, welcher geschaut aus der Höhe das seltsame Wunder,

Wurde gemahnt, so könnten verjüngt auch werden die Ammen,

Die ihn genährt, und erhielt von der Kolcherin, was er begehrte.

Daß nicht raste die List, gibt Zwietracht vor mit dem Gatten

Tückisch das phasische Weib und flieht zu des Pe'lias Schwelle,

Flehend um Schutz, und dieweil ihn selber beschwerte das Alter,

Nehmen die Töchter sie auf. Bald hatte der Mädchen Vertrauen,

Freundschaft heuchelnd, erlangt die verschlagene Fremde von Kolchis.

Während sie nun anführt mit den rühmlichsten ihrer Verdienste

Und es verweilend beschreibt, wie sie Äsons Gebrechen hinwegnahm,

Ward allmählich erregt in Pelias' Töchtern die Hoffnung,

Daß durch ähnliche Kunst ihr Vater sich könne verjüngen.

Bittend verheißen sie ihr für die Gunst, was nur sie bedinge.

Stumm bleibt einige Zeit Medea und scheint zu erwägen,

Erst annehmend, und hält die verlangenden Herzen in Spannung.

Bald dann sagte sie zu und sprach: »Daß diesem Verüben

Um so mehr ihr vertraut, so soll der bejahrteste Leiter

Eueres wolligen Vieh's durch Zauber zum Lamm sich verwandeln.«[45]

Gleich wird jetzo gebracht ein Widder, von zahllosen Jahren

Kraftlos, mächtig gekrümmt das Gehörn um die Wölbung der Schläfe.

Als in den mageren Hals das hämonische Messer Medea

Hatte gesenkt und befleckt mit kärglichem Blute das Eisen,

Thut sie die Glieder des Tiers und zugleich heilkräftige Säfte

In hohlgehendes Erz. Klein werden die Teile des Leibes,

Und es entweicht das Gehörn und samt dem Gehörne die Jahre,

Und aus dem Kessel hervor läßt zartes Geblök sich vernehmen.

Bald, wie sie ob des Geblöks sich verwundern, entspringet ein Lämmlein,

Hüpft mutwillig davon und sucht milchgebendes Euter.

Pelias' Töchter erseh'n es erstaunt, und weil die Verheißung

Durch den Erfolg sich bewährt, wird dringlicher noch ihr Begehren.

Dreimal hatte, getaucht in iberische Fluten, die Rosse

Phöbus entjocht. Als hell in der vierten der Nächte die Sterne

Flimmerten, setzt trugvoll die Kolcherin lauteres Wasser

Über die knisternde Glut und Wirkung entbehrende Kräuter.

Längst nun hatte betäubt, abspannend die Glieder, den König

Und mit dem König zugleich die Wacht todähnlicher Schlummer,

Den Bannsprüche bewirkt und die Macht zwangübender Zunge.

In das Gemach auf Geheiß mit der Kolcherin traten die Töchter

Und umstanden das Bett. »Was nun, Feigherzige, säumt ihr?«

Sagte sie – »zücket das Schwert; laßt rinnen das alte Geblüte,

Daß ich mit Jünglingsblut neu fülle die ledigen Adern.

Jetzo in euerer Hand steht Leben und Alter des Vaters.

Wenn ihr ihn liebt und nicht euch hingebt eiteler Hoffnung,

Leistet dem Vater den Dienst und vertreibt mit den Waffen das Alter,

Und mit dem stechenden Stahl laßt aus die verdorbenen Säfte.«

Rasch durch lieblose That will jede beweisen die Liebe;

Schuld übte jede, der Schuld zu entgeh'n. Doch keine vermochte

Selber zu seh'n, wie sie führte den Streich, und sie wenden das Antlitz:

Blindlings stoßen sie zu wegsehend mit grausamer Rechten.

Schwimmend im Blut will noch, auf die Beuge des Armes sich stützend,

Pelias halb zerfleischt sich im Bett aufrichten, und mitten[46]

Unter den Schwertern gestreckt die erblassenden Arme beginnt er:

»Töchter, was wollt ihr thun? Was waffnet zum Morde des Vaters

Euere Hand?« Da sank den Bethörten der Mut und die Rechte.

Ehe noch weiter er sprach, schnitt Gurgel und Worte Medea

Schleunig ihm ab und warf den Zerfetzten in siedende Wellen.

Hätte sie nicht in die Luft sich begeben mit fliegenden Schlangen,

Wäre sie nicht von der Strafe befreit. Ob Pelions Wäldern

Und dem Phily'rischen Sitz hin flieht sie und über den O'thrys,

Über die Gegend, bekannt durch des alten Kera'mbus Verwandlung,

Der, auf Flügeln empor durch Schickung der Nymphen gehoben,

Als einströmendes Meer die gewichtige Erde verschüttet,

Unverschüttet entging den Deukalionischen Wogen.

Links dann ließ sie vom Weg die äolische Pi'tane liegen

Und das versteinerte Bild des gedehnt daliegenden Drachen

Und den idäischen Hain, wo Liber versteckte den Farren,[47]

Welchen gestohlen der Sohn, in Gestalt des betrüglichen Hirsches,

Auch, wo weniger Sand den Vater des Ko'rythus zudeckt,

Ferner die Flur, die Mä'ra geschreckt durch neues Gebelle,

Und des Eury'pylus Stadt, wo Hörner die ko'ischen Mütter

Trugen am Haupte zur Zeit, als He'rkules' Schar sich entfernte,

Rho'dus, dem Phö'bus geweiht, und Ja'lysus' Volk, die Telchinen,

Deren mit Blicken allein schon alles bestrickende Augen

Jupiter hassend ersah und begrub in den Wellen des Bruders.[48]

Über Carthä'a hinweg auf der lang schon blühenden Ce'a

Eilet sie, wo sich dereinst Alki'damas sollte verwundern,

Daß sich gewandelt der Leib der Tochter zur friedlichen Taube.

Hy'rie's See drauf wird sie gewahr und das ky'knische Te'mpe,

Wo sich der plötzliche Schwan aufhielt. Dort hatte dem Knaben

Phy'llius Vögel gezähmt und einen gebändigten Löwen[49]

Auf sein Geheiß ihm geschenkt, auch einen der Stiere gebändigt,

Wie er geheischt, und erzürnt, daß immer die Liebe verschmäht war,

Seinem Verlangen den Stier, die letzte Belohnung, verweigert.

Da sprach Kyknus erbost: »Du wirst es bereu'n!« Und er warf sich

Hoch vom Felsen hinab. Sie glaubten ihn alle gefallen,

Aber er schwebt' als Schwan in der Luft auf schneeigen Flügeln.

Ganz in Thränen zerschmolz, unkundig der Rettung, die Mutter

Hyrie, und es entstand gleichnamig ein See an der Stätte.

Pleuron ist nahe dabei, wo Co'mbe, des O'phius Tochter,

Einst mit zitterndem Flug sich entzog den Streichen der Söhne.

Dann auch schaut sie die Flur der Letoischen Calaure'a,

Zeuge des samt dem Gemahl zum Vogel verwandelten Königs;

Rechts Kylle'ne sodann, wo Buhle der Mutter Mene'phron

War in späterer Zeit nach Sitte vernunftloser Tiere.

Auch den Kephi'sus erblickt sie von fern, wie er weint um den Enkel,

Welchem Apo'llo verlieh die Gestalt der gedunsenen Robbe,

Und des Eume'lus Haus, der den Sohn in den Lüften beklagte.[50]

E'phyre endlich erreicht, die pirenische Stadt, das beschwingte

Drachengespann, wo einst nach der Alten Bericht in der Urzeit

Sterbliche wuchsen hervor aus regengenähreten Pilzen.

Doch als kolchisches Gift aufzehrte die neue Gemahlin,

Und das gedoppelte Meer sah lodern des Königes Hofburg,

Netzt mit dem Blute der Söhne das Schwert die entartete Mutter;

Gräßlich gerächt dann nimmt sie die Flucht vor den Waffen Jasons.

Schleunig von hinnen geführt vom Gespann der titanischen Drachen,

Tritt sie in Pa'llas' Burg, die dich, pflichttreueste Phe'ne,

Oftmals sah im Verein mit dir, Greis Pe'riphas, fliegen,

Auch auf Flügeln gewiegt die Enkelin sah Polype'mons.

Dort nimmt Ä'geus sie auf, nur darob Tadel verdienend.

Wirt nicht blieb er allein; zur Gemahlin erhob er Medea.[51]

The'seus auch war da, zur Zeit für den Vater ein Fremdling,

Er, des rüstige Kraft die Gestade des Isthmus gesichert.

Ihn ist Medea gewillt zu verderben und mischt Akoni'ton,

Welches mit sich ehdem sie gebracht von der sky'thischen Küste.

Jenes, vermeldet die Mär, sei aus des echi'dnischen Hundes

Zähnen erzeugt. Schwarz gähnt ein Geklüft mit finsterem Schlunde

Und abschüssigem Pfad, auf dem der tiry'nthische Halbgott,

Ob er sich sträubt zu meiden den Tag und die blendenden Strahlen,

Hielt die Augen verdreht, an stählerner Kette gezwungen

Ce'rberus mit sich zog, der tobend in wütendem Zorne

Ringsum füllte die Luft mit Gebell aus dreifacher Kehle,

Während das grüne Gefild er bespritzte mit weißlichem Geifer.

Der, wie man glaubt, ward hart, und aus fruchtbar treibendem Boden

Sog er den nährenden Stoff und gewann so Kraft zu verderben.

Weil im harten Gestein das Gewächs ausdauernd hervorsproßt,

Nennt es das ländliche Volk Akoni't. Das reichte der Vater[52]

Ä'geus selber dem Sohn als Feinde, bethört von der Gattin.

Theseus hielt in der Rechten bereits nichts ahnend den Becher,

Als an dem helfernen Griff des Schwertes erkannte der Zeuger

Seines Geschlechtes Beweis und den Greuel vom Munde hinwegstieß.

Zeitig entzog sich dem Tod in gezaubertem Nebel Medea.

Aber der Vater, obgleich er sich freut des geretteten Sohnes,

Denkt mit Entsetzen zurück, wie er konnte verüben die Unthat,

Da so wenig gefehlt. Die Altäre versieht er mit Feuer,

Reichlich beschenkt er die Götter dazu, und im fleischigen Nacken

Spüren die Rinder das Beil, mit Bändern umwunden die Hörner.

Festlicher hat kein Tag – so sagt man – geschienen als jener

Über Ere'chtheus' Volk. So Väter wie niedere Menge

Kommen zu Schmaus und Gelag und sie einen die Stimmen zum Liede,

Während der Wein aufmuntert den Geist: »Dich, herrlicher Theseus,

Staunet Ma'rathon an in dem Blute des kre'tischen Stieres,

Und das Kro'myon pflügt vor dem Schweine gesichert der Landmann,

Ist dein Werk und Verdienst. Durch dich auch sah des Vulca'nus[53]

Keulenbewaffneten Sproß Epidau'rus' Gefilde erliegen,

Sah der kephisische Strand erliegen den Quäler Prokru'stes;

Ke'rkyons Tod auch sahe die Ceres geweihte Eleu'sis.

Si'nis hast du besiegt, der riesige Stärke gemißbraucht,

Der Baumstämme vermocht zu krümmen und Fichten vom Wipfel

Niedergedrückt, daß weit sie verstreuten zerrissene Leiber.

Sicher und frei ist der Weg nach Alka'thoë's Le'legermauern,

Seit du Ski'ron gestürzt, und die Ruhstatt wird von dem Lande,

Wird von der Woge versagt den getrennten Gebeinen des Räubers.

Als die lange geirrt, ließ Zeit sie erstarren zu Klippen,

Wie man erzählt, und den Klippen verblieb der Name des Skiron.

Wollten wir zählen Verdienst' und Jahre von dir, vor den Thaten

Ständen die Jahre zurück. Für dich, o rüstiger Streiter,

Beten wir alle gesamt; dir weihen wir Gaben des Bacchus.«

In das Gejubel des Volks und die andachtvollen Gebete

Stimmet die Burg, und rings in der Stadt wohnt nirgends die Trauer.[54]

Aber es freute sich nicht – so ist kein reines Behagen,

Und in die Lust drängt immer sich ein die Bekümmernis – Ägeus

Unbesorgten Gemüts, daß glücklich der Sohn ihm erhalten.

Mi'nos rüstet zum Krieg, der, mächtig an Streitern und Schiffen,

Kraft doch hatte zumeist durch den Zorn im Vatergemüte,

Seines Andro'geos Tod mit berechtigten Waffen zu rächen.

Vorher wirbt er jedoch zu der Fehde befreundete Mächte;

Wo ihm der Weg freisteht, durcheilt er die Flut mit den Segeln.

A'naphe zieht er heran und Astypalä'a zum Bündnis,

Astypaläa durch Krieg, durch Verheißungen Anaphe's Eiland,

My'conos' niedrigen Sitz und das kreidige Land von Kimo'lus,

Ky'thnos' blühende Flur und die flache Seri'phos und Sy'ros,

Pa'ros das Marmorland und Si'phnos, verraten von A'rne,

Die nach des Goldes Empfang, das die Frevlerin geizig gefordert,

Als der Vogel erschien, der Gold noch liebt, in Verwandlung,

Schwarz an den Füßen und schwarz mit Gefieder bekleidet, als Dohle.

Di'dymä nicht indes, noch Te'nos, Oli'aros, A'ndros,

Gy'aros, noch Pepare'thos, ergiebig an glatten Oliven,

Geben der gnosischen Macht Zuwachs. Nun steuert zur Linken

Minos Öno'pia zu, dem Gebiete der Äaki'den.

Denn Önopia nannt' es die Vorzeit, aber Ägi'na[55]

Wurde von Ä'akus selbst nach der Mutter geheißen das Eiland.

Hastig, den Helden zu seh'n, des Ruf so weit sich verbreitet,

Drängt man sich. Te'lamon kommt und jünger als Telamon Pe'leus

Ihm entgegen eilt und der dritte der Sprößlinge, Pho'kus.

Ä'akus selbst auch tritt, von der Bürde des Alters gehindert,

Wankend heraus und fragt, was jenen bewogen zu kommen.

An sein Leid als Vater gemahnt seufzt tief und erwidert

Also der Held, dem hundert an Zahl die Stämme gehorchen:

»Fördre den Waffen den Sieg, die wegen des Sohns ich erhoben,

Hilf in der Fehde der Pflicht! Mein Wunsch ist Trost für das Grabmal.«

Drauf der aso'pische Sproß: »Unthunliches, Minos, verlangst du,

Was mein Volk nicht darf; denn es ist den kekropischen Männern

Enger als dieses vereint kein Land. So sind wir im Bündnis.«

Barsch geht jener und spricht: »Dir kommt noch sicher dein Bündnis

Teuer zu stehn.« Doch scheint es ihm rätlicher, Fehde zu drohen,

Als zu erheben und hier vorher zu vergeuden die Kräfte.

Fern noch konnte man seh'n das Geschwader der ly'ktischen Schiffe

Von der öno'pischen Stadt, als rasch mit schwellendem Segel

Nahend ein attisches Schiff einläuft im befreundeten Hafen,

Welches den Ce'phalus trug und zugleich Aufträge der Heimat.

Äakus' Söhne, wiewohl gar lange sie nicht ihn gesehen,

Kennen den Cephalus doch und geleiten ihn, als sie die Rechte

Grüßend gereicht, in des Vaters Palast. Der stattliche Heros,

Der noch immer bewahrt Merkmale der früheren Schönheit,

Tritt in das Haus, und haltend den Zweig vom heimischen Ölbaum

Hat er, der ältere Mann, zwei jüngere, Kly'tos und Bu'tes,

Neben sich rechts und links, die rüstigen Söhne des Pa'llas.

Als sie Worte getauscht, wie sie bringt die erste Begegnung,[56]

Richtete Ce'phalus aus die Bestellung des Cecropiden;

Hilfe begehrt er und mahnt an den Bund und die Rechte der Väter,

Warnt auch, daß der Besitz des gesamten Acha'ja das Ziel sei.

Als wohlredend er so die vertrauete Sache gefördert,

Sagte, die Linke gestützt auf den Griff des gebietenden Scepters,

Ä'akus: »Heischt nicht erst, nehmt hin, ihr Athener, den Beistand;

Achtet als euer getrost, was bietet die Insel an Streitmacht.

Möge sie ziehen gesamt; so steht es mit unserem Reiche.

Rüstiges Volk fehlt nicht. Für den Feind noch bleiben mir Mannen.

Glücklich ist, Dank den Göttern, die Zeit, nichts leihend zum Vorwand.«

»Ja, so möge sich dir« – sprach Cephalus – »immer an Bürgern

Mehren die Stadt. Hoch war ich erfreut, als jüngst ich gekommen,

Da so stattlich an Wuchs, so gleich im Alter die Jugend

Zu mir eilte herbei. Doch viele vermiss' ich darunter,

Die bei dem ersten Besuch in euerer Stadt ich gesehen.«

Äakus seufzt' und begann mit bekümmerter Stimme zu reden:

»Erst war traurige Zeit, doch besseres Los ist gekommen.

Könnt' ich das letztere nur euch ohne das Frühere kundthun!

Sei denn alles erzählt. Euch nicht zu ermüden mit Umschweif:

Die du vermissest, gedenk im Gemüt, sind Staub und Gebeine,

Und wie kärglicher Teil sind die von dem ganzen Verluste!

Gräßliche Seuche befiel mein Volk durch der feindlichen Ju'no

Zorn, die haßte das Land, das führte den Namen der Buhle.

Während es menschliches Los noch schien und der großen Verheerung

Anlaß dunkel verblieb, ward gegengekämpft von der Heilkunst;

Machtlos aber erlag vor der siegenden Plage die Hilfe.

Anfangs lagerte sich mit drückendem Dunste der Himmel

Über dem Land und verschloß in den Wolken erschlaffende Schwüle.

Während der Mond viermal mit vereinigten Hörnern die Scheibe[57]

Füllte, verengt viermal abließ von der Fülle der Scheibe,

Wehte beharrlicher Süd Tod bringend mit glühendem Hauche.

Zweifel ist nicht, daß Quellen und Seen auch Schaden genommen,

Da auf den Fluren umher, die keiner bestellte, von Schlangen

Kroch zahlloses Gezücht und die Wasser verdarb mit dem Gifte.

Leichen von Hunden zuerst und Gevögel und Schafen und Rindern

Zeugten und fallendes Wild von der Macht einbrechender Krankheit.

Während der Arbeit sieht mit Bestürzung der ratlose Pflüger

Fallen den kräftigen Stier und inmitten der Furche sich strecken.

Krankes Geblök stößt aus vliestragendes Vieh, und die Wolle

Fällt von selber herab, und von Siechtum schwinden die Leiber.

Sonst voll feurigen Muts und an Ruhm so reich in der Rennbahn,

Stöhnt, untüchtig zu Sieg und der früheren Ehren vergessend,

Jetzt an der Krippe das Roß, unrühmlichen Todes zu sterben.

Grimmig zu werden vergißt der Eber, dem Laufe die Hindin

Sich zu vertrau'n und der Bär zu befallen das rüstige Hornvieh.

Schlaff ist alles und schwach. In den Wäldern, auf Fluren und Wegen

Liegt abscheuliches Aas, und die Luft ist verpestet vom Moder.

Seltsam hört es sich an: kein Hund, kein gieriger Vogel

Rührte daran, kein graulicher Wolf. In Verwesung zergehend

Sandt' es verderblichen Dunst und verbreitete weit die Vergiftung.

Jetzo verheerender noch zu dem unglückseligen Landvolk

Dringet die Pest und herrscht in den Mauern der räumigen Hauptstadt.

Trocken vom Brande zuerst verschmachten die inneren Teile;

Zeichen ist Röte der Haut und glutdurchdrungener Atem.

Rauh ist die Zunge geschwellt, und es lechzt von den dörrenden Winden

Offen der Mund und zieht mit dem Atem verderbliche Luft ein.

Weder vermögen ein Bett, noch Kleider zu dulden die Franken,

Sondern sie drücken die Brust hart wider die Erde, und nicht wird

Kalt vom Boden der Leib, heiß wird von dem Leibe der Boden.

Auch kein Helfer ist nah; denn es bricht die vernichtende Plage

Ein auf die Heilenden selbst, und den Kundigen schadet das Wissen.

Jeder, je näher er steht, je treuer er wartet die Kranken,[58]

Fällt so schneller dem Tod zum Raub. Als nun der Genesung

Hoffnung entfloh'n und das Ende der Qual zu sehen im Grabe,

Folgen sie ihrem Gelüst, und es kümmert sie nimmer, was fromme;

Denn nichts frommte ja mehr. Allorts an Quellen und Flüssen

Liegen sie ohne Bedacht auf Scham und an räumigen Brunnen,

Wo nicht eher der Durst durch Trinken erlischt als das Leben.

Mancher, vom Trunke beschwert, kann nicht aufstehen und findet

Gleich im Wasser den Tod; doch so auch trinken es andre.

Oft von dem Lager empor – so ist es verhaßt den Gequälten –

Springen sie oder, wenn nicht ausreichen zum Stehen die Kräfte,

Wälzen sie hin auf dem Boden den Leib und wollen dem Hause

Jeder entfliehn. Sein eigenes Haus scheint jedem verderblich,

Und weil dunkel der Grund, ist der Ort in Verdacht, der bekannt war.

Halbtot irrten umher, die Kraft noch hatten zu stehen;

Andere sah man in Not, wie sie weinten, am Boden sich wanden,

Wie sie im Kampf mit dem Tod die ermatteten Augen verdrehten.

(Oder sie streckten empor zu dem hangenden Himmel die Arme,

Hier und dort, wo der Tod sie ereilte, den Geist aushauchend.)

Wie war da mir zu Mut! Nicht anders, als daß ich das Leben

Trug als Last und der Meinen Geschick selbst wünschte zu teilen.

Immer, wohin sich der Blick auch wendete, lag an der Erde

Niedergeworfenes Volk, wie wenn von den schwankenden Ästen

Faulendes Obst abfällt und geschüttelte Eckern vom Eichbaum.

Drüben erblickst du erhöht auf Stufen den stattlichen Tempel:

Ju'piter nennet ihn sein. Wer hat nicht eitelen Weihrauch

Jenem Altare gebracht? Wie oft, wenn dort der Erzeuger

Rettung erfleht für den Sohn im Gebet, für den Gatten die Gattin,

Gaben das Leben sie auf an dem unerbittlichen Altar,

Während sich unverzehrt noch Weihrauch fand in den Händen!

Oft, zum Tempel geführt, auch stürzten, während der Priester[59]

Sprach das Gebet und lauteren Wein goß zwischen die Hörner,

Vorher, ohne den Streich zu erwarten, ersehene Stiere.

Als ein Opfer ich selbst für mich und das Land und die Söhne

Brachte dem Jupiter dar, ließ schauriges Brüllen das Opfer

Hören, und plötzlich gestürzt, noch ehe das Beil es getroffen,

Netzt' es mit wenigem Blut das untergehaltene Messer.

Aus dem Geweid' auch war untrügliche Gottesverkündung

Nicht zu erseh'n: in das Innerste drang das traurige Siechtum.

Leichname sah ich dahin vor den heiligen Pfosten geworfen,

Ja, vor dem Altar selbst, daß abscheuvoller der Tod sei.

Selbst mit dem Strick schnürt mancher den Hals und vertreibt mit dem Tode

Furcht vor dem Tod und ruft freiwillig das kommende Schicksal.

Nicht mehr trägt man wie sonst mit Feier und Ehren die toten

Leiber hinaus: Raum hatten ja nicht für die Züge die Thore.

Unverscharrt teils liegen sie da, teils ohne Geschenke

Nimmt sie der Holzstoß auf. Die besorgliche Scheu ist gewichen;

Streit hebt an um das Holz, und sie brennen im Feuer des andern.

Niemand ist, der weint, und es irren, von keinem betrauert,

Seelen umher von Kindern und Männern, von Knaben und Greisen,

Wie für die Hügel der Raum, so mangelt das Holz für die Flammen.

Sinnlos rief ich, vom Sturm so schrecklichen Jammers bewältigt:

›Jupiter, ach, wofern nicht falsches Gerede verkündet,

Daß du Ägina umarmt vormals, die asopische Jungfrau,[60]

Und mein Zeuger zu sein du nicht, Allvater, dich schämest:

Gib mir die Meinen zurück; sonst birg auch mich in dem Grabmal!‹

Jener gewährte mit Blitz und erfreulichem Donner ein Zeichen.

›Wohl, ich vernehm's‹, – so sprach ich – ›und mög' es ein glücklicher Ausspruch

Deiner Gesinnung mir sein! Ich nehme zum Pfand die Verkündung.‹

Neben mir stand zur Zeit breitästig ein seltener Eichbaum:

Jupiter war er geweiht und gekeimt von dodo'nischem Samen.

Daran nahmen wir wahr Ameisen in langem Gewimmel,

Wie sie im winzigen Mund forttrugen gewaltige Körner

Und gleichmäßigen Pfad an der runzligen Rinde verfolgten.

Mich nahm Wunder die Zahl, und ich sprach: ›Laß, gütigster Vater,

Soviel Bürger erstehn zum Ersatz der entvölkerten Mauern!‹

Sieh, da zittert und rauscht ohn' irgend ein Wehen, die Äste

Regend, der mächtige Stamm. Schreck hielt mich gebannt, und ein Schauer

Schüttelte mich, und das Haar war straff. Doch deckt' ich mit Küssen

Brünstig die Erd' und das Holz, und ohne sie recht zu gestehen,

Gab ich der Hoffnung mich hin und nährte den Wunsch im Gemüte.

Nacht nun wird's, und den Leib, den quälende Sorgen ermüdet,

Fesselt der Schlaf. Da sah ich vor Augen die nämliche Eiche:

Gleichviel Äste wie sonst und daran gleich viele der Tierchen

Schien zu tragen der Baum, und ebenso schien er zu beben

Und zu verstreu'n auf die Flur die körnerbeladene Reihe,

Die dann plötzlich erwuchs und größer und größer erscheinend

Sich von dem Boden erhob und aufrecht stand mit dem Rumpfe

Und mit der Dünne die Zahl der Füß' und die schwärzliche Farbe

Wieder verlor und Menschengestalt anthat an den Gliedern.

Fort ist der Schlaf. Ich verwerfe den Traum im Wachen und klage,

Daß bei den Himmlischen Schutz nicht sei. Horch, großes Getümmel

Füllte das Haus, und es war, als tönten mir menschliche Stimmen,

Deren ich längst mich entwöhnt. Ich hielt auch das für ein Traumbild;

Da kommt Te'lamon rasch und ruft, aufmachend die Thüre:[61]

›Draußen ist, Vater, zu seh'n weit über Erwarten und Glauben.

Geh nur hinaus!‹ Ich gehe hinaus, und wie ich die Männer

Hatte vermeint im Traume zu seh'n, so ganz nach der Reihe

Schau' und erkenn' ich sie jetzt. Sie nahen und grüßen den König.

Jupiter zoll' ich den Dank, wie gelobt, und den neuen Bewohnern

Teil' ich die Stadt und das Feld, das leer von den alten Bestellern,

Und Myrmido'nen benenn' ich das Volk, zu bezeichnen den Ursprung.

Kund ist dir die Gestalt; von früher das emsige Wesen

Haben sie noch, ein karges Geschlecht, ausdauernd in Arbeit,

Sparsam mit dem Erwerb und wohl das Erworbene wahrend.

Die nun sollen mit dir, an Jahren sich gleich und an Mute,

Ziehen zum Krieg, sobald sich der Ost, der glücklich dich brachte« –

Ostwind hatt' ihn gebracht – »demnächst umwandelt zum Südwind.«

Mit dergleichen Gespräch und mit anderem kürzend die Stunden,

Füllten den Tag sie aus. Drauf weiht man dem Schmause des Tages

Ende, dem Schlummer die Nacht. Licht goß goldstrahlend die Sonne,

Stets noch wehte der Ost und verwehrte den Segeln die Rückfahrt.

Früh zum Cephalus gehen die jüngeren Söhne des Pallas;

Dann zum Könige geht, von den Söhnen des Pallas begleitet,

Cephalus. Aber es lag noch tief im Schlafe der König.

Pho'kus, des Äakus Sohn, empfängt an der Schwelle die Gäste –[62]

Telamon eben erlas für den Krieg mit dem Bruder die Mannschaft.

Mit in den inneren Raum nimmt Cecrops' Sprößlinge Phocus

Zum prachtvollen Gemach. Dort setzt er mit ihnen sich nieder.

Während sie saßen, gewahrt er den Spieß, den Äolus' Enkel

Trug in der Hand, aus seltsamem Holz, mit goldener Spitze.

Als im gemeinen Gespräch nun einiges erst er geredet,

Sprach er: »Ich kenne den Wald gar wohl und des Wildes Erlegung;

Aber aus welchem Gehölz dein Schaft wohl möge gehau'n sein,

Grübl' ich im Sinn schon längst. Denn wenn es ein eschener wäre,

Müßt' er doch gelb aussehn; ein kornellener, zeigten sich Knoten.

Nimmer erkenn' ich, woraus er gemacht. Doch schöner als dieses

Haben ein Wurfgeschoß nie unsere Augen gesehen.«

Einer versetzte darauf von den attischen Brüdern: »Bewundern

Wirst du die Güte des Speers noch mehr als die äußere Schönheit.

Immer erreicht er das Ziel, und niemals lenkt ihn im Fluge

Zufall. Blutig zurück auch fliegt er, da keiner ihn herholt.«

Alles zu wissen begehrt nunmehr der Nere'ische Jüngling,

Wie und warum und von wem er bekommen das einzige Kleinod.

Jener erzählt, was er fragt, und das andre Bekannte; den Lohn nur,

Welchen er gab, verschweigt er aus Scham, und ergriffen vom Schmerze

Um den Verlust der Gemahlin, beginnt er mit quellenden Thränen:

»Dieses Geschoß – wer hätt' es gedacht? – o Göttingeborner,

Macht mich weinen und wird's noch lang, wofern mir das Schicksal

Lange zu leben vergönnt. Mir war's und der teueren Gattin

Unheilvoll. O wär' es mir nie zum Geschenke geworden!

Pro'cris war die Schwester, wenn mehr vielleicht dir zu Ohren

Orithyi'a gelangt, der entführeten Orithyi'a,

Würdiger, willst du Gestalt und Sitten der Beiden vergleichen,[63]

Selbst die Entführte zu sein. Die einte der Vater Ere'chtheus,

Einte die Liebe mit mir. Ich hieß glückselig und war es,

Wär' es vielleicht noch jetzt; doch anders gefiel es den Göttern.

Fortgang nahm nach dem Fest der Vermählung der andere Monat.

Als mich, während das Garn vielendigen Hirschen ich stellte,

Früh nach vertriebener Nacht von des immer begrünten Hyme'ttus

Oberstem Gipfel erblickt die safranfarb'ne Auro'ra

Und trotz Wehrens entführt. Nicht wird mir die Göttin verargen

Treuen Bericht. Ob lieblich sie sei mit dem rosigen Antlitz,

Ob sie dem Licht und der Nacht angrenzend sich hält in der Mitte,

Ob sie sich nährt von nekta'rischem Trank: ich liebte nur Procris;

Procris trug ich im Sinn und Procris beständig im Munde.

Auf den geweiheten Bund und das Liebesumfahn und das Brautbett

Wies ich hin und den ersten Verein im verlassenen Lager.

Nachgab jene und sprach: ›Laß, Undankbarer, die Klage:

Dir sei Procris gewährt. Doch bald, wenn ich Richtiges ahne,

Wird ihr Besitz dich gereu'n.‹ Und sie ließ mich zürnend von hinnen.

Während ich heimwärts ging und erwägte die Worte der Göttin,

Stieg allmählich die Furcht, daß Procris die ehlichen Pflichten

Treu nicht habe gewahrt. In Verdacht wohl brachten die Treue

Jugend und schöne Gestalt; den Verdacht ließ schweigen der Wandel.

Aber ich war doch fern, und ein Beispiel gab des Vergehens

Jene, von welcher ich kam, und wir Liebenden fürchten ja alles.

Kränkung zu suchen für mich und die züchtige Treu' zu berücken

War ich gewillt mit Geschenk. Aurora begünstigt den Argwohn,

Denn sie verleiht – so kam es mir vor – mir veränderte Bildung.

Nicht zu erkennen betret' ich die Pallas geweihte Athe'nä

Und geh' ein in das Haus. Nichts zeugte von Schuld in dem Hause;

Ehrbar war's und in Angst den geraubten Gebieter vermissend.

Kaum gab vielfache List zu der Erichthi'de mir Zutritt.

Wie ich sie sah, erstaunt' ich und hätte beinahe dem Vorsatz,

Sie zu versuchen, entsagt, kaum könnt' ich mich halten, die Wahrheit[64]

Ihr zu gesteh'n, kaum, wie ich gesollt, ihr Küsse zu geben.

Traurig war ihr Gemüt, doch schöner als sie in der Trauer

Ist wohl nimmer ein Weib; und sie glühte von heißem Verlangen

Nach dem entführten Gemahl. Du magst urteilen, o Pho'kus,

Wie liebreizend sie war, die reizend erschienen im Schmerze.

Was erst soll ich erzählen, wie oft sie mit züchtiger Sitte

Abwies mein Bemüh'n, wie oft sie gesagt: ›Ich verbleibe

Einem, wo immer er sei; mein soll nur einer sich freuen.‹

Welchem verständigen Mann nicht hätte zur Probe der Treue

Solches genügt? Es genügt mir nicht, und schmerzliche Wunden

Schlag' ich mir selbst, da ich Lohn für die Nacht ihr reichlich verheißend

Und stets mehrend den Preis am Ende sie bringe zum Wanken.

›Leider ein anderer ist's!‹ – so rief ich – ›der trügliche Buhle

War dein eigner Gemahl. Mein Zeugnis, Falsche, entlarvt dich.‹

Sie sprach nichts; nur niedergedrückt von stiller Beschämung

Floh sie den bösen Gemahl und die Arglist hegende Schwelle.

Hassend das Männergeschlecht, weil ich ihr bereitet die Kränkung,

Schweifte sie in dem Gebirg, obliegend dem Werke Dia'na's.

Nun, da verlassen ich war, drang noch viel stärkeres Feuer

Mir in das Mark. Ich bekannte die Schuld und erflehte Verzeihung.

Und ich gestand, daß Lohn mich selber zu gleichem Vergehen

Hätte vermocht, wenn Lohn so reich mir wäre geboten.

Als ich solches bekannt, und zuvor sie gerächt die Verführung,

Wird sie versöhnt und verlebt glückselige Jahre der Eintracht.

Auch, als hätte sie mir mit sich zu wenig gegeben,[65]

Gibt sie dazu mir den Hund, den früher die cy'nthische Göttin

Ihr mit den Worten geschenkt: ›Im Lauf wird keiner ihm gleich sein!‹

Gibt mir den Spieß auch noch, den hier in den Händen ich halte.

Was mit dem andern Geschenk sich begeben, verlangst du zu wissen.

Höre denn an. Neu wird das Begebnis sein und befremdend.

Jenen verfänglichen Spruch, den vorher keiner verstanden,

Hatte gelöst des La'ïus Sohn, und des Rätsels vergessend

Lag von der Höhe gestürzt die Verkünderin dunkeler Worte.

Denn nicht straflos läßt dergleichen die heilige The'mis.

Gleich sucht heim ein erschreckliches Tier die aonische The'bä,

Und mit Verderben des Viehs und mit eigenem mästen den Unhold

Viele vom ländlichen Volk. Wir Jünglinge all' aus der Nähe

Kommen herbei und umstellen den Raum mit weiter Umgarnung.

Jener entzieht sich im hurtigen Satz leichtfüßig den Netzen,

Über das hohe Geflecht der gestelleten Garne sich schwingend.

Jetzt von der Koppel entläßt man die Hunde; doch vor den Verfolgern

Flieht er behend und betrügt so schnell wie ein Vogel die Meute.

Nunmehr fordern von mir einstimmig sie alle den Lä'laps:

Also hieß das Geschenk. Der ringt schon längst, von der Fessel

Loszukommen, und spannt mit dem Halse die hemmende Leine.[66]

Kaum nun war er befreit, so konnten wir, wo er geblieben,

Nicht mehr seh'n. Der glühende Sand wies deutlich die Fährte,

Aber den Augen entrückt war Lälaps. Rascher als dieser

Fliegt kein Speer, noch Kugeln, versandt vom geschwungenen Riemen,

Auch kein schwebendes Rohr, das schnellt der gorty'nische Bogen.

Ragend inmitten der Flur ist ein spitzzugehender Hügel.

Diesen ersteig' ich und weide den Blick an dem seltenen Rennen,

Wie bald schien von den Zähnen gepackt, bald wieder dem Bisse

Sich zu entziehen das Tier. Gradaus nicht, noch in die Weite

Flieht er mit schlauem Bedacht; des Verfolgenden Schnauze betrügend

Dreht er sich hurtig im Kreis, daß Halt nicht finde der Gegner.

Dicht ist der Hund stets hinter ihm her, und dem Haltenden gleichend

Hält er doch nicht und thut in die Luft nichts packende Bisse.

Jetzt denn nahm ich zu Hilfe den Spieß. Weil den in der Rechten

Wägend ich hob und die Finger versucht' in den Riemen zu fügen,

Wandt' ich die Augen hinweg; und ich hatte sie kaum nach der Gegend

Wieder gelenkt, da sah ich, o Wunder, in Mitte des Feldes

Zwei Steinbilder: zu fliehn schien eines, das andre zu bellen.

Denn daß beide zugleich als Sieger beständen im Wettlauf,

Wollte ein Gott, wenn anders ein Gott auf jene Bedacht nahm.«

So weit sprach er und schwieg. »Was trägt« – fragt Phokus – »der Jagdspieß

Aber für Schuld?« Und die Schuld des Spießes verkündet er also:

»Freuden, o Phokus, und Glück sind Anfang unserer Leiden.

Jene erzähl' ich zuerst. Wie gern, Äaki'de, gedenk' ich

Noch an die selige Zeit, wo ich in den ersten der Jahre[67]

War durch die Gattin beglückt und jene beglückt durch den Gatten!

Beiderseitige Sorg' und gemeinsame Liebe verband uns.

Ju'piters Bett nicht hätte gewählt vor meiner Umarmung

Pro'kris, und mich kein Weib, ja wär' auch Ve'nus gekommen,

Je zu bethören vermocht. Gleich brannte die Glut in den Herzen.

Früh, wenn die Sonne zuerst die Gipfel der Berge bestrahlte,

Pflegt' ich mit Jünglingslust auf die Jagd in die Wälder zu gehen.

Niemals ließ ich Gefolg', noch Rosse und witternde Hunde

Mit mir zieh'n, auch nie nachtragen geflochtene Garne;

Sicher vertraut' ich dem Spieß. Wenn dann sich der Arm an des Wildes

Morde Genüge gethan, so sucht' ich mir Schatten und Kühle

Und frischgehenden Zug, der wehte vom luftigen Thale.

Säuselnde Luft war dann mir erwünscht in der Schwüle des Mittags;

Auf sie wartet' ich nur; sie war nach den Mühen Erholung.

›Liebliches Lüftchen, o komm und erfreue mich‹ – pflegt' ich zu singen;

Gar wohl weiß ich es noch – ›und schmiege dich mir an den Busen;

Lindere, wie du gewohnt, mir die Glut, daran ich verschmachte.‹

Mehr noch fügt' ich vielleicht – so riß mich fort das Verhängnis –

Schmeichelnde Worte dazu, und vielleicht auch pflegt' ich zu sagen:

›Du bist Wonne für mich; du gibst mir Erquickung und Labsal;

Du machst, daß ich den Wald, daß einsame Stätten ich liebe;

Lechzend erstrebt mein Mund stets deinen erfrischenden Atem.‹

Jemand aber vernahm mit betrogenem Ohre der Worte

Doppelten Sinn, und er hält für eine der Nymphen das Lüftchen,

Das ich zum öfteren rief, und vermeint, ich liebe die Nymphe.

Schleunig zu Prokris begibt sich der allzu eifrige Bote

Nichtiger Schuld und erzählt das Gehörte mit flüsternder Zunge.

Gläubig ist Liebe so leicht. Sie sank, da ihr wurde die Kunde,

Plötzlich zu Boden im Schmerz, und erwacht nach langer Betäubung

Jammert sie über ihr Los und nennt sich verfolgt von dem Schicksal,[68]

Klagt um gebrochene Treu', und gekränkt durch gewähntes Vergehen

Fürchtet sie, was nicht ist, den körperentbehrenden Namen,

Und es verzehrt sie der Gram, als wäre die Buhle vorhanden.

Oft hegt Zweifel jedoch und hofft sich zu irren die Ärmste,

Schenkt dem Bericht nicht Glauben und will nicht eher verdammen,

Bis sie es selber geseh'n, das schuldige Thun des Gemahles.

Als nun wieder die Nacht vor dem Licht der Auro'ra gewichen,

Geh' ich hinaus und streife im Wald, und nach glücklichem Weidwerk

Sag' ich, gelagert im Gras: ›Komm, Lüftchen, und schaffe mir Lind'rung.‹

Da kam's plötzlich mir vor, als ob ich inmitten der Worte

Etwas wie Seufzen gehört. Gleichwohl: ›Komm, trautestes!‹ rief ich.

Wieder erhob sich ein leises Geräusch im gefallenen Laube,

Und ich vermutet' ein Wild und versandte den flüchtigen Wurfspieß.

Prokris war's, und gerad' in die Brust von dem Eisen getroffen

Ruft sie: ›Wehe mir!‹ aus. So wie ich die Stimme der treuen

Gattin erkannt, lief eilends ich hin, nicht mächtig der Sinne.

Schon halbtot, das bespritzte Gewand mit Blute befleckend,

Ziehend ihr eignes Geschenk – Unseliger ich! – aus der Wunde,

Find' ich sie nun und richte den Leib, mir teurer als meiner,

Auf mit behutsamer Hand. Zum Verband für die schreckliche Wunde

Reiß' ich vom Busen das Kleid und suche zu stillen den Blutstrom,

Flehend, sie möge doch nicht so ganz mich Frevler verwaisen.

Jene der Kräfte beraubt und ringend bereits mit dem Tode,

Sprach dies Wenige noch mühvoll: ›Bei dem Bunde des Lagers

Bitt' ich flehentlich dich, bei den himmlischen Göttern und meinen,

Auch bei dem, was Gutes ich je dir gethan, bei der Liebe,

Die mir brachte den Tod, die jetzt noch währt, da ich sterbe,

Laß nicht unser Gemach einnehmen als Gattin das Lüftchen!‹

So sprach Prokris, und nun erst merkt' und belehrt' ich, der Name

Habe sie irre geführt. Doch was half noch die Belehrung?

Ach, sie sinkt, und es flieh'n mit dem Blute die wenigen Kräfte.[69]

Mich sieht immer sie an, so lang sie zu sehen vermögend,

Und sie verhaucht in mich und an meinem Munde die Seele.

Ruhiger schien sie jedoch zu verscheiden mit heiterer Miene.«

So zu den Weinenden sprach mit Thränen der He'ros, und siehe,

Ä'akus kommt mit dem Paar der Söhne zugleich und den neuen

Streitern und weist sie dem Cephalus zu mit den rüstigen Waffen.

Quelle:
[Ovidius Naso, Publius]: Ovids Metamorphosen. 3 Bde., Berlin 6[um 1911–1916], Band 2, S. 32-70.
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Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

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