Zweiter Theil

Das Gefühl, seinem sterbenden Vater entgegen zu eilen, verschlang jede andere Betrachtung in dem jungen Grafen von Crecy, und so war er weit davon entfernt, an die schwierigen Verhältnisse zu denken, mit denen er sich unter andern Umständen beladen gefunden haben würde. Eile war das Einzige, was er nöthig zu haben glaubte, und die Thürme von Paris tauchten aus dem Nebelmeere rauchender Essen und dem Dunstkreise einer zusammengedrängten Volksmasse schon am Abend des dritten Tages vor dem ungeduldigen Sohne auf, und übten auch auf ihn die magische Wirkung einer von Sehnsucht und Freude gemischten Rührung aus, von der sich vielleicht Keiner ganz losgegeben fühlen wird, der nach langer Abwesenheit die Vaterstadt zuerst wieder sieht.

Die schmerzliche Erwartung, der er entgegen eilte, verschwand vor dem Anblicke dieser bekannten Spitzen und Kuppeln und machte einem kurzen Aufjauchzen seiner Brust Platz; und als ob ihn schon geliebte Augen anlächelten, so blickte er zärtlich auf ihre im Nebel schimmernden Riesenbilder. – Es war ihm, als würde er sich seiner selbst erst bewußt, als wäre Alles, was er erlebt, bloß darum erlebt, um es hier durchzufühlen, an dieser Stelle ihn zu dem zu erheben, was er in unbestimmten Umrissen kreisen gefühlt hatte von Jugend auf; und als ob sie die erste uud unabweisliche Autorität wären, die ihn zur Rechenschaft ziehen könnte, so bang bewegt ward sein Herz, obwol sie ihm zugleich eine Verheißung von versöhnender Liebe, ein Verständniß mit ihm und allen seinen Zuständen erschienen, wie jedes andere Gefühl dagegen zu einem fremden und oberflächlichen[1] ward. Es sind auch gerade diese, an unser frühestes, harmlosestes Bewußtsein geknüpften jugendlichen Erinnerungen, welche den unaussprechlichen Zauber weben, von dem wir uns beim Wiedersehn des Vaterlandes ergriffen fühlen. Es ist die Hoffnung, verstanden zu werden; diese stete Sehnsucht des strebenden Herzens, die uns so leicht zu erfüllen scheint, den langvertrauten Gegenständen gegenüber, und uns jedes erfahrene Mißverständniß vergessen läßt, uns nur an das erinnernd, was wir dort empfingen; so viel in dieser ersten Jugendzeit, daß es jeden neuen Gewinn zu sichern scheint!

Und jetzt umschlossen ihn schon die engen, geräuschvollen Straßen von Paris – und je näher er der Fauxbourg St. Germain kam, je mehr ward seine Aufmerksamkeit in Anspruch genommen durch die schwerfälligen Karossen, welche, mit Dienern und Pagen behangen, einem Ziele entgegen strebten.

Sein leichterer Reisewagen und sein immer ungeduldigeres Antreiben bahnten sich endlich einen Weg, der ihm bei einer schnellen Wendung das Hotel Soubise vor die Augen führte, welches seine Eltern bewohnten, und das zu seiner nicht geringen Ueberraschung das Ziel der um ihn rasselnden Karossen war, die schon in breiten Gassen davor aufgereiht standen.

»So muß mein Vater leben!« rief Leonin. – Und eben rollte sein Wagen unter das Portal des Schlosses.

Bekannte Gesichter, ein lauter Jubelruf empfingen den jungen Erben, der mit einem Sprung über die Tritte hinweg unter den treuen Dienern stand, die jetzt Hände, Rockschöße und Füße mit Küssen bedeckten.

»Mein Vater! mein Vater!« stammelte Leonin, fast erstickt von Gefühlen.

»Er lebt, gnädiger Herr! er lebt! Gott hat ihn erhalten!« drang es aus aller Munde. »Kaum war der Bote fort, als die Genesung eintrat.«[2]

»Und wo, wo, meine Mutter?« – Er wies Jeden mit seinen Armen zurück und flog, Alles vergessend, überrennend, an den prachtvoll geschmückten Gästen, welche die Treppen bedeckten, vorüber, in die glänzenden Zimmerreihen, in denen er die Mutter suchen mußte.

Die Marschallin von Crecy verbarg unter der feinen Miene gesellschaftlicher Höflichkeit, die sie ihr vollständiges Eigenthum nennen konnte, das unruhig bewegte Herz einer Person, welche unaufhörlich irgend eine Absicht, irgend einen Plan verfolgt, und von Allem, was sich um sie her bewegt, hauptsächlich verlangt, daß es sich nach ihrer Ansicht, ihrer Bestimmung gestalte. Es war oft bloß die Ausübung dieser Herrschaft, die ihren Entwürfen Reiz verlieh, da sie sich selten über die Geringfügigkeit derselben täuschte, und eine bittere Verachtung gegen Menschen und Verhältnisse fühlte, die sich beherrschen ließen. – Man konnte sie so durch ihre eigenen Neigungen bestraft nennen; denn, indem sie ihren ganzen Scharfsinn aufbot, jeden Widerstand um sich her zu entkräften, machte es ihr doch gerade die übelste, finsterste Laune, daß sie Niemanden fand, der ihr gewachsen war, obwol er nur Gegenstand ihres ungemessenen Zornes, ihrer rastlosen Verfolgung gewesen wäre.

Es dürfte nicht schwer werden, hiernach die augenblickliche Stellung gegen ihren Sohn zu folgern. Sie war außer sich, daß er Widerstand wagte; aber sie ward dadurch belebt und zu einer Thätigkeit erhoben, die alle ihre Kräfte anregte. – Und daß sie gerade in ihrem Sohne den Gegenstand finden mußte, der das Wagniß versuchte, ihren Willen zu lenken, machte sie stolz auf ihn und flößte ihr den Grad von Achtung ein, der ihn ihr zum würdigen Gegner machte, der Mühe werth, ihn zu besiegen; – denn besiegen, einen andern Gedanken hatte sie freilich nicht!

Das tödtliche Erkranken des alten Marschalls, wodurch die schnelle Einberufung des Sohnes vollständig motivirt ward,[3] war ihr kaum willkommen. Dies Ereigniß unterstand sich, ohne ihren bestimmten Willen ins Werk zu richten, was sie sicher war, doch zu erreichen. Sie fühlte sich fast dadurch beleidigt und regte keine Hand, es zu unterstützen; sah sich aber doch genöthigt, die Hebel, die sie für spätere Zeiten in Bereitschaft hielt, jetzt um so viel vorzurücken.

Nothwendig bedurfte sie einer Collision der Verhältnisse. Das Eintreten ihres Sohnes durfte nicht das Hauptereigniß sein; es hätte ihn ihr zu nahe, zu imponirend entgegen gestellt, und das Mittel fand sich sogleich.

Mademoiselle Louise, ihre einzige Tochter, erhielt in dem Kloster der Benediktinerinnen einen Besuch von ihr, und die Marschallin zeigte sich hier so vollkommen zufrieden mit der sechzehnjährigen Tochter, daß sie der Aebtissin ihre Absicht aussprach, die Erziehung der jungen Kostgängerin vollendet zu erklären, und Mademoiselle Louise begleitete ihre Mutter nach Paris zurück.

Mit eben so sicherer Hand ward hier die Präsentation des jungen Fräuleins bei der königlichen Familie bewirkt; und jetzt war Mademoiselle Louise ein Mittelpunkt, um den sich der gesellige Glanz des Hauses Crecy-Chabanne sammeln konnte – Grund genug, das Interesse und die Gedanken der Marschallin in den Zerstreuungen von ihrem Sohne abgezogen erscheinen zu lassen.

Sie hatte genau seine Ankunft berechnet. Denn, daß sich die Gesinnungen des Sohnes nicht verläugnen würden, dessen war sie gewiß; und wenn sie auch nicht ahnte, durch welche Ueberredung er so schnell herbei geführt wurde, so war sie doch außer Zweifel, er müsse kommen, und ein Fest müsse ihn empfangen. Darauf waren alle folgenden Tage angewiesen; und das Befinden des Marschalls legte ihr kein Gebot des Anstandes mehr in den Weg.[4]

So empfing sie heute die vornehme Welt von Paris, um die Glückwünsche anzunehmen, die ihr über die Präsentation ihrer Tochter bei Hofe zukamen.

Das Palais Soubise, welches so als Eigenthum der Marschallin genannt ward, glänzte in der vollen Pracht aller aristokratischen Vorrechte, welche diese so wohl zu erhalten und hervor zu heben wußte; ein Talent, das sie zu der ausgezeichnetsten Person des Hofes und Adels erhob und ihren Ansichten und Entscheidungen die Huldigung der Untrüglichkeit verschaffte.

Sie war das vollkommenste Muster der unzähligen Abstufungen der Etikette, die einer Frau von Stande damals so hoch angerechnet wurden; und wer sie beobachtete, konnte nie über den Rang der Personen in Zweifel sein, die sich ihr nahten.

Nie verwechselte sie eine Anrede oder Erwiederung mit der anderen, und die Kürze oder Länge derselben, der leisere oder stärkere Ton ihrer Stimme, ob sie dem Gegenstande gerade gegenüber oder seitwärts gewendet blieb, mit halbem oder ganzem Blicke begegnete, das waren Nüancen einer damals hochgeschätzten Feinheit und ein sicheres Zeichen über die Ansprüche der Personen. Die Marschallin war über fünfzig Jahr alt und eine konservirte Frau. Das gleichmäßige Embonpoint ihrer Gestalt gab dem Teint ohne künstliche Mittel eine große Frische, die besonders Personen von röthlichem Haare lange behaupten. Die unsinnige Mode, dicke Lagen von Schminke zu tragen und diese Sitte als ein Vorrecht des Standes mit der Verläugnung aller Natur- und Schönheitsregeln auszuüben, gab der ältesten wie der jüngsten Dame ein gleiches Ansehn. Nur Unverheirathete genossen diesen Vorzug nicht; und so erschien oft die frischeste Jugend mit der Farbe der Gesundheit wie bleiches Siechthum, wenn sie in eine Reihe mit den verheiratheten Damen gerieth.[5]

Die Marschallin gehörte sowol durch Geburt, wie durch Vermählung zu den Familien, welche die Ehren des Louvre genossen; und so sehen wir in ihrem Audienz-Saale einen Thronhimmel, unter welchem die Marschallin in einem breiten, vergoldeten Fauteuil saß und sich erhob, oder sich bloß neigte, oder die Stufe, welche ihn erhöhte, hinab steigen zu wollen schien – Alles in untrüglicher Ordnung, dem Range der nahenden Gäste gemäß. Die Stickereien ihrer Robe waren so kostbar und breit, daß man die Farbe des Sammets nur bei einer Wendung in den hinteren Falten sehen konnte. Das Unterkleid dagegen zeigte auf Drapd'or den ganzen Wahnsinn des damaligen Geschmackes, indem mit bunter Folie, Perlen und Juwelen eine Landschaft darauf gestickt war, der es weder an Thürmen, noch Bäumen, noch an der gehörigen Staffage von Menschen, Hunden und den verschiedensten Thieren des Waldes fehlte.

Der Aufwand einer solchen Kleidung, zu welcher noch die reichsten Aufsätze und die kostbarsten Geschmeide gehörten, überstieg allen flüchtigen Modewechsel späterer Zeiten; und es fanden sich nur wenige Damen unter dem reichsten Adel, welchen es gestattet war, mehr wie zwei oder drei Galla-Anzüge ihr Lebenlang zu besitzen. Doch auch in dieser Beziehung war die Marschallin eine von den Begünstigten, welche ihre Toilette bei jeder sich zeigenden Veranlassung in eine neue Form zu bringen wußte, und zwar mit der vollkommen gleichgültigen Miene, welche diese Angelegenheit bloß zu einem Geschäfte ihrer Kammerfrauen herab wies, das ihre Beachtung wenig verdiene.

Doch sah man bei den Festen der Marschallin jedenfalls ein unverkennbares Streben der erscheinenden Damen, der Frau vom Hause ihr Uebergewicht bestreiten zu wollen; und es war eine wohl aufgenommene Artigkeit, wenn man versicherte, daß[6] sich nirgends eine höhere Eleganz der Damen zeigte, als in ihren Salons.

Wir beschränken uns jedoch auf die gegebenen Andeutungen. Der Glanz einzelner Personen, das Zusammenwirken einer solchen bunten, strahlenden Masse wird sich uns von selbst aufnöthigen, und wir bezeichnen nur noch eine junge, heiter lächelnde Mädchengestalt, die, sich an dem Stuhle der Marschallin lehnend und den leicht gegebenen Winken derselben folgend, jeden Ankommenden mit den respektueusen Verbeugungen der Jugend begrüßt. Es ist Mademoiselle Louise, die Tochter der Marschallin, welche der bequeme Vorwand für die Absichten ihrer Mutter ward; da allerdings nach einer Präsentation bei Hofe, die Etikette eine Reihe von Festen verlangte, welche die Freude über einen solchen Vorzug sowol dem Adel, als vor Allem dem Könige darlegen mußte.

Am heutigen Tage nahm die Marschallin indessen noch außerdem mit besonderem süßem Lächeln und einer Bewegung des Fächers, die allgemein bewundert ward, da sie einen sanften Schmerz ausdrücken sollte, die Gratulationen über die Genesung des Marschalls an, und sie erwähnte gegen einzelne Auserwählte, daß selbst Ihro Majestäten sich ihrer liebsten Umgebungen beraubt hätten, um ihr Glück wünschen zu lassen.

Auch konnte gewiß nur die finstere Herzogin von Bellefond, welche selbst außer den Zimmern der Königin nie ohne ihren kleinen Elfenbeinstab erschien, der ihr als Oberhofmeisterin gebührte, mit der Frau Marschallin den Platz unter dem Thronhimmel theilen; da sie gewissermaßen durch ihren besonderen Auftrag von Seiten der Majestäten zu einer geheiligten Person erhoben war.

Zur andern Seite stehend, befand sich der Marquis von Vieuville, der Ehrenkavalier der Königin, der mit der vollkommensten Kenntniß jeder einzelnen Person des Hofes und[7] ihrer Verhältnisse sich den Ruf einer immerwährenden sarkastischen Laune zu erhalten wußte, daher, halb gefürchtet, halb gehaßt, der Gegenstand der verbindlichsten Aufmerksamkeiten war, und eine Höflichkeit und Zuvorkommenheit an den Tag legte, die ihm sehr bequem ward bei der Beachtung, mit der man seine Aeußerungen entgegen nahm.

Die Marschallin wußte, während sie empfing, anredete, antwortete und für Jeden die passende Verbindlichkeit bereit hatte, stets einige pikante Bemerkungen über ihre Schulter dem ihr sehr vertrauten Marquis Vieuville zuzuwerfen, und der Marquis empfing diese Bemerkungen stets, um sie, mit reichen Zugaben versehen, seiner Gönnerin zurück zu geben; während sein wunderlich schmales und trockenes Gesicht, von einem fein beschnittenen Puderstreifen eingefaßt, außer der Bewegung der Lippen keine Veränderung zeigte, und jedes spähende Auge sich vergeblich daran versuchte.

»Madame,« sagte er, indem die Marschallin sich abgewendet mit dem Herzoge von Gêvres unterhielt – »Sie sind heute dazu bestimmt, ganz Paris zu zeigen, wie die vollkommenste Dame des Hofes die zartesten Gefühle als Gattin und Mutter mit der bezauberndsten Eleganz zu vereinigen weiß, die auch dieses Genre aus dem rohen Naturzustande erhebt, worin es uns so beschwerlich fällt – Sie werden, wenn Sie sich gnädigst wenden, den jungen Grafen von Crecy erblicken!«

Einen Augenblick genoß der Marquis das schnelle Vibriren auf dem Angesichte der Frau Marschallin und begleitete es mit einem Lächeln, welches sagte: Sie sind doch noch nicht vollkommen Meisterin ihrer selbst! als diese auch schon, ohne aufzublicken, völlig sicher über ihren ironischen Beobachter, mit dem Lächeln der höchsten Sammlung sich dem ihr entgegen Eilenden zuneigte und es nicht ungern versäumte, ihm zuvor zu kommen, als er sich mit kindlichem Enthusiasmus ihr zu Füßen warf.[8]

»Also zu einem dreifachen Feste erheben Sie durch Ihre Ankunft diesen Tag!« rief sie mit anmuthigem Eifer. – »Stehen Sie auf, mein theurer Sohn! Wenn Sie leider nur der Segen Ihrer Mutter hier empfängt, so erhielt Ihnen doch die Gnade Gottes den Vater, den Sie so liebevoll zu erreichen strebten. Mein Herz dankt Ihnen für diese lebendige Theilnahme! Und lassen Sie mich hinzusetzen: ich erwartete nichts Anderes von Ihnen! – Mademoiselle Louise, umarmen Sie Ihren Bruder!«

Zurückgedrängt mit allen seinen Gefühlen, erkannte der junge Graf, indem sein natürlicher Stolz die Oberhand gewann, wohin seine Mutter ihn vorläufig verwies; und aus dem hingerissenen Zustande kindlicher Liebe und Freude sich empor raffend, rief er sich die Sitten der vornehmen Welt, die eine lange Gewöhnung ihm bequem werden ließen, zurück, um sich auch jetzt vor der klugen Beobachtung seiner Mutter damit zu behaupten.

Er fühlte daher auch bald, daß er es sein müsse, der sich einer Gesellschaft entzöge, welcher er vor seiner Präsentation nicht zugehörig sein konnte, und fand die Bestätigung dieser Voraussetzung in der entschiedenen Haltung der Marschallin, die auch nicht die kleinste Bewegung zu einer Vorstellung ihres Sohnes an die ihr durch Ihren Rang am nächsten stehenden Personen machte, sich nach der Umarmung mit seiner Schwester, mit ihm wie in ihrem Privatkabinette unterhielt und dadurch alle Theilnahme der sie Umgebenden ablehnte.

Sie beobachtete dabei mit geheimen Vergnügen, wie stolz und gewandt seine Haltung und seine Worte waren, und mußte diese Beobachtung noch bestätigt fühlen, als er ihr jetzt selbst seine Bitte vortrug, die Gesellschaft verlassen und seinen Vater aufsuchen zu dürfen.

Nachdem sie ihn beurlaubt, setzte sie ihre Unterredung mit dem Herzoge von Gêvres so ruhig fort, daß sie eine Anspielung[9] auf das eben Erlebte Jedem unmöglich machte, und so das plötzliche Auftreten des jungen Erben anscheinend unbemerkt vorüber ging.

Nur Zwei in diesem Kreise hatten das Ereigniß tief empfunden, und wie verschieden auch ihre Gefühle waren, Beiden schien es gleich wichtig. Louise de Crecy hatte den Bruder umarmt; die einzige Sehnsucht ihres unschuldigen Herzens war erfüllt. Sie wußte ihn nun in ihrer Nähe, diesen Schutzheiligen ihrer klösterlichen Träume, an den sie alle unverstandenen Wünsche ihres Herzens knüpfte, den sie so fest und sicher sich gewonnen glaubte, daß über den Rand ihrer Silberrobe, die wie ein Bollwerk ihre jugendliche Heiterkeit einfing, ihr kein Hinderniß mehr für das fröhlichste Leben mit ihm möglich schien, und ihr Blick dem Davoneilenden mit dem bezaubernden Lächeln der Befriedigung folgte.

Auch die Augen des Marquis de Souvré folgten dem Jünglinge, und gleich der unschuldigen Louise, glaubte auch er ihn jetzt sicher zu haben. Aber, wenn Beiden die Stunde der Erfüllung schlug, war doch Beider Gefühl so ungleich, als Fluch und Segen!

Er mußte es hören, wie der Eindruck dieses flüchtigen Erscheinens, den die Marschallin nur in ihrer nächsten Umgebung zum Stillschweigen zu verweisen vermochte, um ihn her eine große Bewegung erregte; und so sehr er mit den Schwächen der Menge vertraut war, so sehr er ihr Urtheil verachtete und genau wußte, daß unbedingtes Lob, wie es hier dem jungen Erben nachtönte, nur eben in diesem ersten, bedeutungslosen Auftreten zu suchen sei, das noch kein Interesse berührte oder durchschnitt – so reizte es ihn dennoch, seine schöne stolze Gestalt, seine feine Haltung bewundern zu hören.

Während dessen durcheilte Leonin mit klopfendem Herzen die prachtvollen Gemächer und lenkte schnell in die abführenden,[10] nur matt erleuchteten Corridore, die nach dem Gartenflügel führten, in welchem sein Vater in unabänderlicher Form und Weise seine Zimmer eingerichtet hatte. Welch' ein Wechsel drängte sich in diesen hohen, alten Rüstkammern dem Beobachter auf! Es schienen nur Zelte und Wachtfeuer zu fehlen, um hier ein Lager zu vergegenwärtigen, und das Feuer fehlte auch nicht in den weiten Kaminen; denn diese hohen Marmor-Säle, mit eisernen und stählernen Rüstungen bedeckt, von marmornen Heldengestalten unterbrochen, athmeten eine so erstarrende Kälte aus, daß die Flamme in den Kaminen niemals fehlen durfte. Eben so war das Schlafgemach; nur kleiner, aber von jedem verweichlichenden Luxus der Zeit entfernt, mit kahlen Wänden, ohne Vorhänge, nur mit dem eisernen Feldbette des Marschalls möblirt, zu welchem die hölzernen Stühle und Tische, die einst sein Zelt bedient hatten, hinzu kamen, und mit einem über dem Bette befestigten Bündel Fahnen, welche weit überhangend, es zu schirmen schienen und dem Gemache das unverkennbare Ansehen eines Zeltes gaben.

Auf diesem Ehrenbette, von harten Kissen gestützt, ruhte der Marschall von Crecy, bloß mit einem ungeheuern Reitermantel bedeckt, und hörte den Gesprächen zu, die der Kaplan des Hauses mit dem Arzte des Grafen zu seiner Unterhaltung zu führen suchten – als die hastigen Schritte, welche Allen vernehmbar den Vorsaal durchmaßen, schnell die Thür des Schlafgemaches erreicht hatten, und in demselben Augenblicke der Sohn mit kaum verständlichen Lauten des Entzückens zu den Füßen des Vaters lag.

»Holla, das ist mein Sohn!« rief der alte Marschall, und das eiserne Feldbett fuhr rasselnd ineinander von der heftigen Bewegung, womit der riesige Greis den müden Körper aufraffte, das Kind seines Herzens, den einzigen noch warmen und lebendigen Punkt desselben zu ergreifen.[11]

Er hielt ihn jetzt an beiden Schultern wie ein Kind in die Höhe, und das alte braune und benarbte Gesicht, das weder vom Alter, noch von der Krankheit sich seine Energie hatte rauben lassen, lachte dem Liebling in die Augen mit dem vollen Sonnenglanze unverkümmerter Zärtlichkeit.

»Ha,« fuhr er fort mit kurzem Lachen, indem ein Paar dicke Thränen ihren Weg über sein Gesicht nahmen – »ha, mein Junge, bist Du da, hast Du Dein altes Gesicht – Dein altes Herz mitgebracht?«

Aber die Antwort erdrückte er, indem er ihn fest an seine Brust schloß und ihn dann von sich stieß, bloß um ihn anzublicken.

»Seht, Ihr Herren,« fuhr er fort, »da hab' ich einen Sohn! Nun könnt Ihr nur gehen, Doktor, mit Euren Pillen und Pflastern, jetzt hat der alte Marschall Anderes zu thun, als krank zu sein! – Nicht, mein Junge? hab' ich nicht Recht?« –

»Gewiß habt Ihr das, theurer Vater! Und immer habt Ihr mir gelobt, daß Ihr mich erwarten wollet, mir selbst die Sporen zu schenken bei meiner Rückkehr!«

»Ja, ja, der Junge hat ein gut Gedächtniß!« lachte der alte Marschall. »Seht Ihr wohl – Der braucht mich noch! Dem bin ich noch nöthig! Dem muß ich noch die Leine halten, damit das junge Kampfroß den freien Lauf lernt!«

»So ist es, lieber, lieber Vater!« rief Leonin mit überströmender Zärtlichkeit – »Aber sagt mir auch, wie es Euch geht, ob ich gewiß an Eure Genesung glauben darf. – Welche Angst hat mich auf meinem Wege verfolgt!«

»Was das für ein Sohn ist!« rief der erschütterte Greis. – »Doch laß das, mein Kind, und glaub' mir, es waren unnütze Schwätzereien von Deiner Frau Mutter und dem Herrn Doktor da – Dein Vater war gar nicht krank; und hätten sie mich nicht all das Zeug verschlucken lassen, was der dort zusammen[12] gehext, und meinen armen Körper in Ruhe gelassen, der ehrenvollere Wunden trägt, als ihre elenden Pflaster zogen – ich wäre längst gesund!«

»Gemach, Euer Gnaden!« rief der angegriffene Arzt – »Die Genesung täuscht uns leicht über die überstandene Gefahr und macht uns ungerecht gegen die empfangene Hilfe. Es war dies Mal nicht in die Willkür Euer Gnaden gestellt, zu genesen. Verdächtigen der Herr Marschall unsere Kunst nicht bei dem jungen Herrn!«

»Du siehst, Leonin,« lachte der Marschall, dem Gekränkten versöhnend die Hand reichend, »er muß immer Recht behalten; aber ich werde es ihm jetzt zeigen, wer Herr ist!« – Und schnell warf er den Mantel zurück und stand völlig gekleidet, wie er fortwährend blieb, vor den Zurückweichenden.

»Jetzt sagt mir, daß ich krank bin!« rief er und richtete sich mit einer Kraft empor, die wirklich jede Befürchtung niederschlagen mußte.

Leonin begrüßte nun den würdigen Kaplan, der zugleich sein religiöser Führer und Beichtvater war, während der Marschall, noch immer im Streite mit dem Alles verweigernden Arzte, Alles durchsetzte, was er beabsichtigte; da sein natürlicher Starrsinn dies Mal von einem Jubel des Herzens unterstützt ward, der zu rührend und verständlich für alle seine ihn herzlich liebenden Diener war, um nicht jeden ausgesprochenen Befehl, trotz aller Gegenreden des eben so halb erweichten Arztes, aufs schnellste in Erfüllung zu bringen.

»Denn – mein Junge,« schloß er den kurzen, raschen Befehl an seine Diener, die Abendtafel in seinem Zimmer anzurichten – »Du läßt wohl heute Deine Frau Mutter ihre Galla allein genießen und bleibst bei Deinem einfachen alten Vater, der wenigstens wie ein Mann lebt.«[13]

Zärtlich eilte Leonin in die Arme des geliebten Vaters, und seine Worte ließen immer neuen Sonnenglanz über das alte Heldenantlitz streifen.

Bald fand sich Alles so eingerichtet, wie der Marschall es sich ausgedacht, und auf den hölzernen Feldstühlen saßen Alle um die Tafel, an der die Einfachheit des Marschalls ihre Grenze fand; wie er überhaupt dieselbe nur als eine Laune für sich anerkannte und allen aristokratischen Aufwand zuließ und verlangte, seine launenhafte Einfachheit zu umgeben. Seine Tafel glänzte von Gold und Silber, seine zahlreichen Diener waren in Stickereien gehüllt und so steif frisirt, wie in dem Antichambre einer Dame. Im Vorzimmer befand sich, so wie die Tafel bereitet war, ein Musikkorps, welches mit den lärmendsten Instrumenten die Märsche und Tänze aus der früheren Lebensperiode des Marschalls spielen mußte, der es nicht ungern sah, daß man, sich die Stunde seines Diners merkend, ihm aufwartete, wenn er mit einigen Freunden oder auch ganz allein, da er nie mehr mit seiner Gemahlin speiste, zu Tische saß. Man mußte mit ihm gleichen Ranges oder aus den Umgebungen der Majestäten sein, wenn er den Wink gab, einen Sessel herbei zu holen; im anderen Falle ließ er Alle um sich her stehen, während er mit der heitersten Laune die allgemeinste Unterhaltung zu beleben und den Hochmuth seines Verfahrens durch die sorgloseste Fröhlichkeit zu versöhnen wußte.

Auch fehlte es ihm nie an diesem kleinen Hofstaate; denn alle jungen Edelleute, die früher unter ihm gedient und jetzt theilweise schon zu hohen militairischen Posten gestiegen waren, bewahrten ihrem ehemaligen Anführer eine so innige Liebe und Verehrung, daß sie seine Nähe mit Freude zu der Stunde suchten, die ihm die angenehmste war.

Die Rückkehr des Sohnes schien wirklich den letzten Krankheitsnebel von dem Marschalle genommen zu haben, und gewiß[14] konnte man nicht ohne Interesse die rührende Lebendigkeit gewahren, mit der er erzählte, fragte und hörte. Die Kinderjahre Leonin's tauchten heute in ihm auf – und diese Erinnerungen mit ihrem weichen, innigen Karakter schlossen sich so wohlthuend an seine augenblicklichen Empfindungen, ohne sie zu sehr zu verrathen, daß Leonin, ganz hingegeben an die Worte des liebenswürdigen Alten, ihm mit allen Beweisen der Zärtlichkeit entgegen kam, um so seinem Herzen die vollste Befriedigung zu gewähren, ohne den Stolz des alten Kriegers durch das Zeigen zu großer Weichheit zu verletzen.

Spät erst willigte er in die Bitten des Arztes, den kleinen Kreis zu entlassen; und als Leonin aus den Zimmern seines Vaters in den vorderen Theil des weitläufigen Palais trat, überraschte ihn der merkwürdige Wechsel der Gegenstände, die in kaum größerer Verschiedenheit in einem Verhältnisse zu denken waren, das seiner Natur nach die vollständigste Uebereinstimmung hätte zeigen sollen.

Die Marschallin hatte ihre Gäste entlassen – Leonin blieb unbemerkt auf einer Galerie stehen, die ihn einen blick in die Vorsäle thun ließ, durch welche sie jetzt mit eben dem ceremonieusen Pompe nach Hause zogen, wie sie angekommen waren. Mehrere bestiegen ihre reichen Portechaisen schon in diesen Vorzimmern; Andere ließen sich von zahllosen Dienern mit hohen Windlichtern umgeben, indem die Damen, von ihren Verwandten und Freunden begleitet, mit aller Grazie, welche die Ermüdung noch zuließ, ihre Fingerspitzen auf den Arm oder auf die Schulter der sie begleitenden Cavaliere legten und den Pagen die Mühe überließen, ihre weitfaltigen Schleppen vor dem Gedränge zu schützen.

Von diesen Gruppen richtete Leonin den Blick zu den prachtvollen Zimmern, denen sie zur glänzenden Staffage dienten. Jeder Luxus war hier verschwendet, den Reichthum, Sitte und[15] Mode nur zu ersinnen gewußt; und die Laune des alten Marschalls für die Ausstattung seiner Gemächer trat um so grillenhafter hervor.

Sinnend lenkte Leonin seine Schritte nach den eignen Zimmern und fand hier die alten Diener seiner früheren Jugend, die ihn mit der zärtlichen Ehrerbietung begrüßten, zu der sein gütiger und sanfter Karakter seine Umgebungen berechtigte.

Hier hatte jedoch der verschwenderische, glänzende Geschmack der Marschallin auch ihn erreicht. Die Zimmerreihe war vermehrt, eine herrliche Bibliothek, eine Gallerie mit den ausgezeichnetsten Gemälden und Kunstwerken, ein schöner Musik- oder Gesellschaftssaal war den Räumen hinzugefügt, die sein früheres Bedürfniß befriedigt hatten, und die, nun glänzender als je ausgestattet, dem jungen Erben sogleich anzukündigen schienen, die Zeit unscheinbarer Zurückgezogenheit sei vorüber. Die Ansprüche, die ihm aufgenöthigt wurden, wollten jedes Zurückweisen durch sich selbst unmöglich machen.

Auch lag dies nicht in den Gefühlen, mit denen der junge Graf aus den Händen des alten Kammerdieners den neuen Besitz übernahm – er war nicht umsonst der Sohn dieser Aeltern – der Glanz und der Stolz, der ihm so reiche Nahrung bot, war ein bedeutender Antheil seines Blutes, und er wußte die ihm überall eingeräumte Wichtigkeit sehr wohl in sich zurecht zu legen. Auch wirkte gerade das, was häufig den Anregungen dieses Sinnes entgegen trat, sein tief und zart fühlendes Herz, dies Mal nur, jene Gefühle zu verstärken und ihnen eine Seele und höheren Genuß einzuhauchen; denn er konnte sich seines Empfanges nicht bewußt werden, ohne die unaussprechliche Güte seiner Eltern aufs Neue zu empfinden – und wenn er, von seinem Vater so eben mit dem reichsten Strome seiner Liebe überschüttet, mit heimlicher unbefriedigter Sehnsucht nach dem mütterlichen Herzen hier eintrat, wie mußten da die Erzählungen[16] des alten Kammerdieners ihn beglücken, die nur von der Sorgfalt handelten, welche die Marschallin mit eigner Anordnung und Aufsicht diesen Räumen geschenkt!

»O, wie sie mich liebt!« sagte er leise vor sich hin, und ihm geschah, was so wunderbar das Herz zu beschleichen vermag – er liebte die spröde Mutter mit ihren kargen Gefühls-Aeußerungen in diesem Augenblicke, wo er fast heimlich, hinter ihrem Rücken in ihr Herz sah und ihre Weichheit für ihn herausfühlte, mit mehr Wärme, als den alten überströmenden Vater.

Dieser letzte Augenblick vollendete den schönen Tag, der ihn mit einem Glücke überrascht hatte, auf welches er nicht gewagt zu hoffen, und das um so berauschender für ihn war, je mehr es in Uebereinstimmung blieb mit Allem, was ihm von Jugend auf theuer und erlaubt erschienen und dadurch ihn in der vollständigsten Selbst-Billigung erhielt.

Als er endlich allein war und sich, der natürlichen Müdigkeit einer so großen Aufregung folgend, mit Behagen auf seinem Lager ausstreckte, trat Fennimor's Bild vor ihn hin und schien ihn zu fragen: welchen Antheil sie an den Eindrücken dieses Tages behalten, wohin er sie verwiesen in diesen prächtigen Räumen.

Ach, es war ein tiefer Seufzer, den er nur als Antwort hatte; es war ein Gefühl, dem Schmerze ähnlich – aber er hätte keine Erwiederung gewußt, und hätte sie die Frage selbst an ihn gerichtet. Sein böser Engel wiederholte ihm aber die Worte des Marquis de Souvré: ich überlasse es Euch zu denken, wie sie in die Welt Eurer Mutter passen wird; – und ehe er sie zum Schweigen verweisen konnte, schrieen alle Stimmen in ihm: hier ist kein Raum für sie, nicht für den kleinsten Schritt ihres zarten Fußes! Aber so fremd, so herausgerissen aus jenem ihm erst zu spät durch Fennimor enthüllten Zustande des Lebens, fühlte er sich hier, auf der alten Stelle der Heimath,[17] wo seine frühsten Ueberzeugungen wurzelten, von ihnen aufs neue und in so überraschender und schmeichelhafter Art umschlungen, daß er sich mit Schrecken bewußt ward, wie jene Existenz – ein eben so heiliges Recht an ihm gewonnen.

Aber, wenn körperliche Ermüdung zu einem überfüllten Seelenzustande hinzutritt, der uns doch die augenblickliche äußere Ruhe gönnt, pflegt die erstere zu siegen und der Schlaf die Pforten des Lebens zu verschließen. Leonin schlummerte so sanft, als ob das erste Wiegenlied ihn eingesungen.


Die Marschallin von Crecy wußte genau, in welcher Stimmung ihr Sohn nach den Erlebnissen des gestrigen Tages sein mußte, und sie war ihrer Sache so gewiß, daß der Marquis de Souvré auch nicht das kleinste Zeichen des Einverständnisses von ihr empfing, als er ihrer Einladung zum Frühstücke Folge leistete. Leonin war wirklich nur Sohn. Seine ganze Empfindung für seine Mutter war zurück gedrängt von dem kurzen, kalten Empfange und nur dadurch angewachsen; und der Morgen vor der Stunde, wo sie ihn zu sich beschieden, hatte nur jedes Gefühl höher gesteigert, da er sich überschüttet von ihren Aufmerksamkeiten fand, und in jedem Anspruche überboten durch die erweiterten Ansichten, womit die Bildung und der steigende Luxus der Hauptstadt in gleichem Maaße hervortraten.

Doch fühlte er sich geneigt, auch diese ausgezeichnete Ausstattung mehr dem Verstande und der hohen Bildung seiner Mutter zuzurechnen, da keines der durchreisten Länder ihm dafür einen Maaßstab hatte geben können; denn Frankreich stand damals in jeder Hinsicht an der Spitze Europas, und die wohlbewanderte Marschallin hatte eben deshalb nur das Vorhandene zu sammeln gebraucht. Dennoch trieb ihn seine[18] Devotion anzunehmen, als habe sie alle diese Dinge erst ins Leben gerufen.

Zu dieser Stimmung fügte die Marschallin nun noch ihren Empfang, als er am Morgen in einem zauberisch eingerichteten kleinen Saale, der in die herbstlich gefärbten Laubpartien des Gartens blickte, ihr entgegen eilte. Dieser schöne Raum trug den ganzen Wohllaut der Ruhe und des geistvollen Luxus, der die Seele zugleich zu berauschen und zu erheben scheint.

»Hab' ich Dich wieder, mein lieber Flüchtling,« sagte sie mit dem süßesten Ton ihrer Stimme und zog ihn auf das Fauteuil nieder, auf dem sie behaglich in ihrem Morgenkleide ruhte – »jetzt wollen wir uns gehören und die lange Entbehrung nachholen. Wie viel näher wirst Du mir gerückt sein durch so vorgeschrittene Bildung, wie diese schönen Reisen Dir gewährten. – Das wird das Herz der Mutter erquicken, die darum lange darbte!«

Mit welchem Entzücken sah Leonin, während sie sprach, in die immer noch schönen und jetzt so milden und weichen Züge der Mutter, indem er seine Augen antworten ließ, und immer und immer wieder ihre Hände küßte.

»O, möchtet Ihr Euch nicht täuschen, meine theure, theure Mutter!« rief er endlich, »möchten Eure Erwartungen, Eure Opfer, Eure große Güte sich einigermaßen belohnen durch das, was Ihr in Eurem Sohne finden werdet!«

»Nun«, lachte die Marschallin, »werden wir vor allen Dingen nicht zu tragisch! Eine Mutter, sagt man, soll nicht schwierig sein, in ihren Kindern einige Wunder von Liebenswürdigkeit zu entdecken, und so bilde ich mir zum Beispiel ein, Louise, die dort hinter Dir, wie ein Jäger auf dem Anstande, steht, ist das artigste Schooßkind der Erde!«

»Louise, Louise!« rief Leonin und schloß das schöne Kind, das nur mit Mühe der Mutter Worte schweigend angehört hatte, jubelnd in seine Arme:[19]

»Mein holdes Kind! meine Louise! bin ich auch noch Dein liebster Bräutigam, wie Du mich immer nanntest – hast Du auch nichts vergessen?«

»Ach, Leonin,« rief Louise – »wie hätte ich denn in meinem Kloster andere Gedanken haben sollen, als Dich! Die Nonnen nannten Dich meinen Schutzheiligen, weil ich – sieh' hier, da ist es! – dies kleine goldene Herz, das Du mir einst schenktest, aufgehangen hatte, und darunter einen kleinen Altar gebaut, worauf Blumen standen und Kerzen.«

»O, Du süßes Kind!« rief Leonin, und in diesem Augenblicke dachte er zuerst mit der alten Liebesstärke an Fennimor; denn eben erst hatte er die Stelle gefunden, wo sie hinpaßte – seine Schwester würde sie lieben und verstehen! – O, welch' ein Wonnehauch erschütterte seine Nerven bei dem ersten Einklange seiner jetzigen Welt mit jener stilleren auf Ste. Roche!

»Mutter, Mutter,« rief glühend in der doppelten Empfindung Leonin – »welch' ein holdes Kind ist unsere Louise geworden! Wie engelgut, daß Du sie jetzt herriefest – mir diesen Boten des Glückes auf die Schwelle stelltest!«

»Nun diesen Dienst,« sagte die Marschallin trocken, »hat sie sich selbst gethan; denn sie war ein frommes, fleißiges Kind bei ihren Nonnen, und wie ich sie so fand, war ich ihr die Gerechtigkeit schuldig, sie der Welt vorzustellen. Nun wollen wir sehen,« fuhr sie mit dem schmeichelhaften Lächeln der Ueberzeugung fort, »wie sie sich hier machen wird.« – »O, gut! gut! vortrefflich!« rief Leonin, sie wieder an sich ziehend, »ihre unverdorbene Seele wird sie überall den rechten Weg führen.«

»Auch habe ich keine Furcht deshalb,« fuhr die Marschallin in etwas höherem Tone fort, »es ziemte mir als Mutter sehr wenig, nach der Erziehung, die ich meinen Kindern gab, zu bezweifeln, daß sie stets dessen eingedenk sein werden, wozu ihre hohe Geburt und ihre großen Besitzthümer sie verpflichten. –[20] Dies ist eine Gabe des Himmels und eine strenge Anforderung zugleich, uns jederzeit über die Masse zu erheben; denn wir bleiben auf solchem Höhenpunkte der Gesellschaft nicht unangefochten von anmaßlichen Ansprüchen, denen wir zu begegnen lernen müssen. – Doch mache kein so langes Gesicht, meine kleine Louise, komm' her und sei getrost! Schwer nur ist das Ungewohnte, und Dir, mein holdes Kind, waren die Sitten der Crecy und Soubise schon in der Wiege Schutz für spätere Tage.« –

»Laßt uns jetzt, wie in alten Zeiten, gemeinschaftlich frühstücken, ich will heute Nichts als eine glückliche Mutter sein und, wenn ich zwischen Euch sitze, träumen, Ihr wäret noch dieselben kleinen Kinder, die aus meinen Händen bedient sein wollten. – Marquis,« rief sie dem eintretenden Souvré entgegen, »Ihr müßt heute durchaus mit mir empfindsam sein, so sehr sich dagegen auch Euer Naturell sträubt – eine Mutter, die so lange kinderlos war als ich, hat auch ihr Recht!«

»Ha!« lachte der Marquis und umarmte den ihm tief bewegt entgegen eilenden Leonin – »seid sicher, Frau Marschallin, ich kam in derselben Stimmung hieher und denke Eure bezaubernde Empfindsamkeit gewiß so lange zu theilen, als Ihr es selbst aushalten werdet.«

»Thut das, mein liebenswürdiger Kavalier!« sprach die Marschallin, an der Tafel Platz nehmend. »Ihr habt immer die présence d'esprit, zu fühlen, was gerade passend ist. – Ein vollkommener Edelmann, mein Sohn,« fuhr sie fort, »von dem Madame Henriette letzthin zum Könige sagte: er hat die Feinheit des Verstandes, zu errathen, was wir nothwendig denken müssen, wenn wir selbst noch damit fremd sind.«

»Ach,« rief Souvré lachend – »Madame findet es oft sehr bequem, wenn der Freund des Grafen Guiche vorher weiß, was sie denken wird.«[21]

»Lassen wir das!« – schnitt die Marschallin seine Rede ab. – »Du wirst über unsern Hof erstaunen, mein Sohn, und wahrscheinlich um so mehr, nachdem Du andere Höfe kennen lerntest – er muß nothwendig der vollkommenste in Europa sein, da hier sich die höchsten Tugenden, die bezauberndsten Schönheiten mit der erhabensten Geistesbildung vereinigen.«

»Es kann uns auch schwerlich entgehen,« erwiederte Leonin, »daß der Ruf dieses außerordentlichen Hofes seinen Einfluß über alle anderen erstreckt, und jeder seinen Anspruch auf Feinheit und Glanz, durch einige mehr oder weniger glückliche Nachahmungen des Versailler Hofes zu legitimiren sucht. Es entstehen jedoch daraus viele Mißgriffe, die oft äußerst lächerlich werden; denn zu den erhabenen Formen, die unser König seinem Frankreich verlieh, gehört auch das Naturell des Franzosen, sie aufzufassen. Besonders bieten die deutschen Höfe manches komische Schauspiel einer Nachahmungssucht, zu der ihnen jede Naturgabe fehlt.«

»Sie werden es, denke ich, noch theuer bezahlen, unsere Lachlust gereizt zu haben;« lächelte der Marquis vor sich hin – »wer sich aufs Nachahmen einläßt, versäumt immer, seine eigenen Fähigkeiten kennen und anbauen zu lernen. Ich gönne es zwar als guter Franzose dem übrigen Europa, daß es sich müßig in die Fenster seiner Reiche legt und neugierig nach Frankreich ausschaut, wie es thut und läßt; aber das Haus, welches hinter ihnen liegt, bleibt um so länger wüst und unheimlich, da sie den Blick davon abziehen; und wenn solche rohe und barbarische Staaten versuchen wollen, uns nach zu kommen, so wird daraus doch bloß ein eitler Firniß, der kaum die ursprüngliche Rauhheit überglättet.«

»Ja,« sagte die Marschallin scherzend, »ich schließe es immer in mein Dankgebet ein, in Frankreich geboren zu sein, besonders in Paris, und in Verhältnissen, welche[22] mir gestatten, dem größten Fürsten, den Gott je der Erde gab, mich nahen zu dürfen.«

»Der Marquis Vieuville hatte die Aufmerksamkeit, mir gestern zu sagen, daß die Majestäten nach Dir, mein Sohn, gefragt und Dich ohne die Probe des Adels-Heroldes zu empfangen denken, welches allerdings eine Ehre ist, die man Deinen Eltern erzeigt. Aber außer dem Grafen Harcour, der auch, wie unsere Familie, zu den Vettern des Königs gehört, und welcher mit unserem erhabenen Monarchen in einem Zimmer erzogen ward, ist eine solche Auszeichnung, mir erinnerlich, nicht geschehen. Als dieser junge Graf von Harcour von seinen Reisen kam, und der König es vernahm, sagte Seine Majestät zu dessen Vater: ›wen mir der Graf Harcour als seinen Sohn zuführt, der soll die Ahnenprobe geleistet haben.‹« –

Dieses behagliche Gespräch, in welchem die Marschallin sich nur in ihrer Natur brauchte gehen zu lassen, um ihren Nebenzweck dennoch zu erreichen, den Sohn zugleich in alle Interessen zu verflechten, die ihn von seiner romantischen Richtung abzuziehn vermöchten, ward plötzlich durch die Meldung unterbrochen, daß der Marschall von Crecy seine Zimmer verlassen habe, sich hierher begebend.

Ein dunkler Schatten glitt zürnend über das Gesicht der Marschallin bei dieser Nachricht, und Leonin mußte noch überdies gestehen, daß er vergessen habe, seiner Mutter diesen Besuch zu melden, den der Marschall ihm schon bei seinem früheren Morgenbesuche angekündigt.

Louise war aber nach dieser Botschaft sogleich freudig aufgesprungen und ihrem Vater über die Vorsäle entgegen geflogen. Jetzt hörte man auch schon die rauhe, lachende Stimme des alten Herrn, der mit Louisen scherzte, und seine Gemahlin hatte noch eben Zeit genug, die prätensiöse Ruhe wieder anzunehmen, die sie einen Augenblick bei der unwillkommenen Botschaft erschüttert zeigte.[23]

Louise halb im Arm tragend, trat der Marschall auch jetzt ein und ging kräftigen Schrittes auf seine Gemahlin zu:

»Aha, Madame, hier sind Sie im Neste mit ihren Küchleins! Nun, ich muß Sie überraschen und bei der Veranlassung Dank sagen für geleistete Pflege und Glückwünsche abstatten zu dem wiedergekehrten Sohne!« – »Marschall, Marschall,« rief seine Gemahlin, »es scheint mir, Sie machen sich zu früh heraus! Ich fürchte, Sie werden meine Pflege aufs Neue nöthig machen. – Nehmen Sie meinen Glückwunsch zurück, ich zweifle nicht, daß er in Erfüllung gehen wird.« – »Ich auch nicht, Madame;« sagte der Marschall, »denn er scheint mir ein tüchtiger, offener, treuherziger Junge! – Nun, nun, Schelm, halte die Ohren zu, wenn ich Dich lobe – wirst tolle Streiche genug gemacht haben, das liegt den Crecy's für ihre Jugendzeit in den Gliedern! Also, da sei weder hochmüthig, noch verzagt; denn ich hab' es in Deinem Alter eben so gemacht – aber dann war es auch vorbei. Als sie mich einrangirten in die Reihe der großen Herren, die den Thron tragen, mein Sohn – da war ich mit eins nur der Graf von Crecy – und Du hättest sehen sollen, wie sie Alle die Augen aufsperrten, als der tolle, wilde Junge seinen Platz überall einnahm, wie die Andern! Aber sie hatten vergessen, daß es den Crecy's im Blute liegt, daß sie nicht die alten Sitten und Rechte ihrer Väter zu lernen brauchen. Später ersah mir die Königin die rechte Braut – denn das muß man Deiner Mutter lassen, die Soubise's sind so alt, wie die Crecy's, daran war kein Tadel; und so sind denn alle Thorheiten vernarbt, und der Name Crecy in Ehren geblieben. –«

Der Marschall ahnte nicht, wie seine Rede, die er mit voller Ueberzeugung sprach, hier die verschiedenste, aber in Allem gleich bedeutende Wirkung hervorrief. Die Marschallin wendete fast mit Verachtung die Blicke von dem Redenden,[24] während sie sich nicht verhehlen konnte, er habe eine ihrer Minen ungeschickt, aber nicht wirkungslos in die Luft gesprengt. – Der Marquis de Souvré aber genoß mit einem kalten Lächeln die Ueberzeugung, wie weit die Aeußerungen beider Aeltern Leonin von seinem arkadischen Glücke verschlagen mußten – während dieser mit gesenktem Kopfe und Auge den Strom über sich ergießen fühlte, der ihm seine Hoffnungen, seine Erinnerungen fast weg zu spühlen drohte. Wo nur anfangen – diesem felsenfesten Baue hundertjähriger Ansichten gegenüber, die von dem sich empor schwingenden Zustande des Landes und ihres stolzen Königs eine neue Wichtigkeit, einen höheren Werth noch erhielten. In sich fühlte er weder Trost, noch Rath, und nur das gewöhnliche Auskunftsmittel blieb ihm übrig – er hoffte auf die Gaben des Zufalls.

»Wahrlich, Marschall,« erhob jetzt seine Gemahlin die Stimme, »Sie stellen das höchst passende Bild eines würdigen Lebens dar, und gewiß belehrend für Ihren Sohn, wenn auch das erste Kapitel Ihrer Jugend billig überschlagen werden könnte.«

»Ja, ja,« lachte der selten so milde angeredete Marschall, »so sind die Frauen! Was sie nicht verstehen, das tadeln sie. Habt erst Blut in den Adern, Sehnen und Muskeln, wie die unsrigen, und dann fragt nach, ob man nicht erst seine Luftsprünge machen muß, ehe man am Kamine hocken bleibt und mit dem Haushofmeister die Rechnungen durchsieht? – Weiß Gott, ich möchte keinen Jungen, der nicht ein Paar dumme Streiche auf der Rechnung mit nach Hause brächte. Aber dann auch quittirt, mein Junge, und das sein, was von Gottes Gnaden den Crecy's obliegt!«

Er hatte Leonin wieder bei den Schultern und schüttelte ihn nach seiner derben Liebesweise, indem er sein Auge suchte; aber dies lag noch trübe gesenkt, und die Lippen waren so trocken, daß er ihnen kein Wort zumuthen konnte.[25]

»Sieh' mal, wie der Junge heute blaß und matt aussieht! – Ja, ja, Madame,« fuhr er etwas erzürnt fort, indem er die Augen umherwarf, »das ist der Parfum Eurer sybaritischen Gemächer; die entnerven den Sinn des Mannes und machen ihn zum Schwächling. Hier würde ich auch zum Narren!« –

»Mäßigen Sie sich, Marschall, und schätzen Sie es wenigstens, daß ich Ihnen diese Räume nie zu Ihrem Gebrauche aufnöthige. Das Hotel Soubise hat Waffensäle genug, denke ich, in denen Sie Ihren Geschmack befriedigen können; schlecht würde es zu unserem Ansehn passen, darin die Gemächer zu vermissen, welche im Geiste des glänzenden Hofes eingerichtet sind, den zu behaupten, auch uns zukommt.«

»Sie haben immer Recht, Madame!« sagte der Marschall spöttisch; denn er fühlte sich stets von ihrem Verstande überboten. Aber er grollte um so mehr der unliebenswürdigen Form, in der sie ihn zurecht zu weisen, nie unterließ. »Auch,« fuhr er fort, »kam ich nicht her, mich an Ihren Bedürfnissen zu ergötzen, sondern, um meinem Sohne anzukündigen, daß ich ihn selbst seinem Könige und Herrn vorzustellen entschlossen bin.«

Nach Dank aussehend, richtete er liebevoll seine Augen auf Leonin, und dieser eilte auch, ganz seine Güte fühlend, ihm zu danken.

»Könnte ich nur diesen Beweis Ihrer Liebe ohne Furcht für Ihre Gesundheit annehmen, mein theurer Vater – was könnte mir dann Ehrenvolleres, Lieberes geschehen, als meinem angebeteten Könige an der Seite meines Vaters zuerst nahen zu dürfen?«

»Laß das Geschwätz von meiner Krankheit, Junge!« entgegnete der Vater mürrisch; »bin ich krank? – Sieht so ein Kranker aus? – Ich erwarte den Ceremonienmeister, Herrn von Dreux, und werde das Nöthige mit ihm verabreden; denn Du sollst mir, je eher je lieber, die große Taufe der ersten[26] Kniebeugung erhalten. Dann sind Sie daran, Madame, dann mögen Sie ihm ein Fräulein aussuchen, auf deren Schultern ein Wappenschild ruht, neben dem das der Crecy-Chabanne sich zeigen mag – das überlasse ich Ihnen; denn mit dem Weiberzeuge weiß ich nicht Bescheid!«

Die Marschallin hatte diese ganze Rede ohne Unterbrechung sich entwickeln lassen, da Vieles ihr darin zu Hülfe kam, und das, was ihr nicht behagte, mit einem Worte von ihr widerlegt werden konnte. Sie saß daher so ruhig in ihrem Armstuhle, als wäre sie völlig allein, und spielte gleichgültig mit den Frangen ihrer Morgen-Mantille.

»Haben Madame noch etwas zu erinnern?« rief der Marschall, ungeduldig über ihr beleidigendes Schweigen.

»Sie sind, wie immer, zu rasch, mein Herr!« erwiederte sie mit höflichem Lächeln, »und werden Herrn von Dreux in Verlegenheit setzen; denn, was soll er Ihren Anfragen entgegnen, da seine erste Erkundigung sein müßte, ob der junge Graf schon majorenn, und von seiner Familie in den Rang eingesetzt ist, der ihm allein den großen Anspruch der Präsentation sichert.«

Der Marschall drehte sich so wild ab, als hätte er einen Stich erhalten – seine Gemahlin fuhr mit der höchsten Ruhe fort: »doch ist Ihre Genesung um so willkommener, da jetzt kein Hinderniß mehr vorhanden scheint, diese Familien-Angelegenheit dem Ansehn unseres Hauses gemäß auszurüsten. Unsere Vettern, die Herzöge von Lesdiguères und Tremouille, sind mit ihrer Gegenwart bereit, und der Prinz von Courtenaye, wie der Marschall von Tessé wünschen zu unterschreiben. Ich zweifle nicht, daß die Majestäten Jemanden beordern werden, den Tag zu ehren, und ich habe, in Voraussetzung Ihrer Genehmigung, diesen Tag auf morgen festgesetzt.« – Der Marschall hörte diese wohl geordnete Entgegnung seiner Gemahlin[27] unter so wilden Grimassen seines alten, vernarbten Gesichtes an, daß, wer ihn kannte, genau wußte, er war geneigt, mit seiner kalt überlegten Gemahlin in die Esse des Kamins zu fahren; obwol er zur Erhöhung seines Zornes einsah, daß ihm keine Stelle blieb, die er angreifen, an der er seine Wuth kühlen konnte, sondern, daß ihm, wie immer, die Rolle eines Schulknaben zufiel, der sich seiner Unzulänglichkeit überführt sieht und schweigend den Verweis hinnehmen muß.

»Nun,« brummte er, dumpf und zornig blickend, »Madame sind, denke ich, nicht minder rasch, als mir so eben vorgeworfen ward; ich habe, wie immer, mich nur in Ihre Anordnungen zu fügen – doch später, Madame, später werde ich meine Pflicht bei Seiner Majestät erfüllen!«

»Herr von Vieuville,« fuhr die unerschütterliche Marschallin fort, »hat mir gesagt, daß Seine Majestät unseren Sohn zuerst in den Apartements der Madame Henriette von England im kleinen Zirkel sehen will, um ihn dann später bei der Königin als schon bekannt zu finden. Die Auszeichnung, ihn ohne weitere Ceremonien als unseren Sohn anzuerkennen, findet so am besten ihren Platz. Gewiß wird sich Madame freuen, bei dieser Gelegenheit den Marschall von Crecy in ihrem Privat-Zirkel zu sehen!«

»Nun,« schrie der Marschall, dem dieses letzte Abschneiden seiner Pläne zum offenen Ausbruche seines schwer bekämpften Zornes verhalf, »so mögen mich doch alle Geier aus dem Wappen der Crecy zerreißen, ehe ich in diese Narrenbude von Bänkelsängern und Gauklern bei dieser weinerlichen Madame Henriette eintrete! Den Erben eines der größten französischen Namen dort seinem großen Könige vorzustellen, hieße über den Helmsturz die Weiberhaube ziehen! – Für dies Geschäft danke ich, Madame; und da Sie Alles so wohl eingerichtet haben, Alles zu verderben, worauf mein altes Vaterherz sich gefreut hatte,[28] so überlasse ich Ihnen auch den Rest, den auszuführen ich zu stolz bin!« – Und damit stürzte er, wie ein verwundeter Löwe, aus dem Salon, und die Diener, die, schnell vor ihm her eilend, die Thüren aufrissen, wußten das oft Erlebte, daß der Marschall sich dem Willen seiner Gemahlin hatte unterwerfen müssen.

»Du wirst Dich wundern, mein Lieber,« fuhr die Marschallin mit der größten Ruhe fort, »Deinen Vater noch so lebhaft zu finden. Gottlob es ist ein sehr tröstliches Zeichen seiner wieder gewonnenen Kraft; wir wollen die kleine Störung verschmerzen, die doch eine glückliche Verkündigung seiner Genesung ist. – Denn so sehr es zu beklagen bleibt, daß der Marschall niemals den Ueberblick seiner Verhältnisse behält, so muß man ihm doch zugestehen, daß er mit vielem Takte sich leicht in die Anordnungen Anderer findet, denen er durch Länge der Zeit sein Vertrauen schenkte. Wir vereinigen uns stets dem allgemeinen Interesse gemäß; denn der Marschall liebt den Glanz seines Hauses so sehr, als ich selbst.«

Man hätte glauben können, der innigste Familienrath sei so eben von einer zärtlichen Gattin mit ihrem Gemahle gehalten, so glitt die kalte Seele der Marschallin über jede Erschütterung hinweg, bemüht, sie ihren Umgebungen so darzustellen, wie es ihr zweckmäßig erschien.

Der Sohn war nicht in dem Falle, seine etwa abweichende Meinung zu äußern, und Louise begriff so Vieles auf diesem ihr fremd gewordenen Boden nicht, daß sie das eben Gehörte, was sie ganz anders empfunden hatte, auf die große Rechnung des Unverständlichen setzte. Nur der Marquis Souvré, der Alles verstand und Nichts zu schonen hatte, sah die Marschallin mit dem vollständig unverschämten Lächeln an, welches die große Welt sich statt des Faustschlages aufgehoben hat; da nicht die Empfindung, nur die Aeußerung derselben sich verändert hat.[29]

Die Marschallin fühlte dies vollkommen; aber schon war sie nicht mehr frei. Der gewandte Gegner hatte ihr das Netz übergeworfen, sie mußte sich eingestehen, daß sie ihn schonen müsse.

Mit Widerwillen wandte sie sich von dieser Ueberzeugung – zugleich erhob sie sich, die Zeit des Beisammenseins war beendigt. –

Mit welchen Gefühlen Leonin sich bald darauf in seinen Zimmern allein fand, wird uns schwer werden, auszusprechen; denn in ihm selbst fanden sich eigentlich nur Andeutungen, und zu viel war auf ein Mal angeregt, um jetzt schon die Kraft bezeichnen zu können, welche die anderen besiegen, und die vorherrschende bleiben würde.

Wenn wir ihn von der Absicht der Marschallin von Crecy geleitet denken, dürfen wir nicht übersehen, wie die Zeit in dem Augenblicke gerüstet war, diese stolze und ehrgeizige Frau zu unterstützen. Frankreich war in einem Rausche, der jedes Individuum, jeden Stand ergriffen hatte, und der Dünkel einer Naturberechtigung, eines absondernden Vorzuges war nicht aristokratisches Element allein. Die ganze Nation fühlte diesen Stolz, als französische Nation, und dies Gefühl war der Heerd, um den sich alle Kräfte, wie die Mitglieder einer Familie, sammelten und damals zuerst den unzerstörbaren Corporations-Geist entwickelten, durch den Frankreich so national erstarkte, dem Auslande so gebietend, fremdem Einflusse später so unzugänglich wurde.

Und wer mußte nicht mit Antheil auf ein Volk sehen, das endlich unter den Flügeln seines jungen königlichen Adlers sich sammelte und, in einem Gefühle zusammengehalten, von keiner Parteiung mehr bis in das Herz der Familien zerrissen, sich Muth gewann, auf dem eignen Boden sein Bürgerrecht zu üben.[30]

Und dieser Boden war der Boden des schönsten Landes der Erde, das der Menschenhände nicht wartete, sich selbst ausstattend zu schmücken, und jeden seit Jahrhunderten in seinen Schooß niedergelegten Keim geistigen Lebens, treu bewahrt darbot, als es sich frei erklärte, seine Schätze zu sammeln und sie zur vollen Reife zu bringen. Denn gewiß würden wir nur unvollkommen die außerordentliche Periode in der Entwickelung Frankreichs, die unter Ludwig dem Vierzehnten fiel, betrachten können, ließen wir den ihr vorangegangenen Entwickelungen nicht ihr Recht, und fänden sich nicht in ihnen schon als Keime die Andeutungen der großartigen Erscheinungen, die uns später so imposant überraschen, und die, als nicht zur Reife gekommene geistige Bestrebungen, dem materiellen Uebergewichte früherer Zeiten weichen mußten. Wir dürfen den Blick nicht abwenden von dem rohen Kampfe unbezähmter Leidenschaften, der die Blätter der Geschichte mit seinen blutigen Bildern zu beflecken scheint; wir müssen mit jenem antheilvollen Staunen darauf merken, welches uns den Blick frei erhält für den Zusammenhang, in welchem auch dieser rohe Kampf seine Ordnung findet und das Individuum seiner Zeit dienstbar darstellt, als unterliegendes oder siegendes Mittel neuer Erkenntniß. – Wir sollten vielleicht mit eben so leidenschaftsloser Betrachtung diesen Zuständen folgen, als wir den großen Eruptionen der Natur gegenüber bleiben, welche ohne Zweifel analog sind mit den wilden, Bahn brechenden Kämpfen der Menschen, die wir eben so wenig in der organischen Entwickelung der geistigen Welt zu entbehren vermöchten.

Und so dürfen wir mit mehr Antheil, als Unwillen auf die grauenhaften Bilder der Periode Frankreichs blicken, die wir eine vorbereitende der bedeutenden Zeit Ludwigs des Vierzehnten nennen dürfen; und den Samen zu ihren glänzenden Früchten dort aufzufinden, das wird vermittelnd zwischen uns[31] und die Bilder ihrer rohen Willkür, ihrer wilden Leidenschaftlichkeit treten; denn diese gerade, werden wir finden, riefen, wenn auch scheinbar bloß zu ihrem Dienste, doch die Keime höherer geistiger Entwickelung ins Leben.

Italien stand wie ein Baum, der zwei Mal in einem Jahre mit Blüte und Frucht geprangt, ermüdet von der überschwenglichen Leistung mit welken Zweigen, die keine neue Ernte verhießen, als vertraue er den Vorräthen, die er um sich angehäuft. – Frankreich lag diesem Ueberflusse zunächst, und alle seine Erfordernisse, sein Klima, die organische Gestaltung seiner Bewohner, ihr heißes Blut, ihre bewegliche Phantasie, vor Allem ihr erwachender Ehrgeiz – Alles machte sie zu Erben Italiens.

Geschickt und mit treuem Eifer sehen wir die Geister Frankreichs sich erheben, den fremden Einfluß erfassend, um ihn für das Vaterland zu verarbeiten und den Boden zu reinigen für die neue Saat. Wie auch die Eruptionen der Massen noch dazwischen stürzen, sie zerstören den zart sich fortspinnenden Faden höherer Kultur nicht mehr, und mit vieler Klugheit werden zwei Mal Fürstinnen aus jenem reichen Lande auf Frankreichs Königsstuhl gerufen; Beide aus dem Stamme der Medicäer, diesem Brennpunkt italienischer Größe und Bildung.

Sie traten aus den glänzenden Hallen, wo die Götter der alten Welt ihre Heimath behalten, gestützt von dem Kultus ihrer unsterblichen Sänger, deren zauberische Stanzen aus den Sälen der Fürsten bis in die Hütten des Volkes erklangen; das Blut, genährt von jedem Sinnenreiz, geneigt, die Anforderungen desselben auf jedem Boden zu erneuen. Denn dort in der Heimath der Kirche, welche die alten Götter verdrängte, schien nur der Name gewechselt zu sein, und in den Hallen des Vatikans, in ihren Himmel anstrebenden Domen, umschaart von Heiligen und deren bilderreichem Dienste, von dem[32] berauschendsten Pomp aller Schätze der Erde unterstützt, unter Wonne athmenden Hymnen, in süßen Weiheduft gehüllt, suchte die christliche Kirche ein gleiches Recht über die Sinnenwelt zu erhalten, und mit ihren reichen Mitteln sich des materiellen Menschen zu bemächtigen, den Geist verflüchtigend, erstickt von den Mitteln, ihn zu verherrlichen.

Katharina von Medicis war geschickt, jeden Fortschritt ihres Vaterlandes zu verbreiten, und an ihre Epoche in Frankreich hängen sich die erstaunenswerthesten Erscheinungen, die vielleicht zu voreilig mit ihrem persönlichen Einflusse bezeichnet werden, um ihr gerecht sein zu können; da sie von der Zeit eben so fortgerissen ward, als sie der zeit den Einfluß überlassen mußte, der an ihrer Person haftete. – Wir dürfen den nicht stark nennen, der zufällig der Stärkste ist – eine Frau nicht so bezeichnen, die, von dem Vulkan eines materiellen Innern zum Sklaven gemacht, diesem eigentlich opfern mußte, ohne Wahl und ohne Plan – und wenn die schrankenlose Willkür, mit der sie die Zustände ihrer Zeit verbrauchte, auf ein Uebergewicht in ihr zu deuten scheint, so vernichtet die kleinliche Geringheit ihrer Absichten doch stets jedes Prädikat der Größe, und wir müssen einsehen, wie die Begebenheiten außer ihr daherschritten und sich bloß an sie anhingen, weil sie den Höhenpunkt einnahm, um den der Kampf kreiste. Aber dieser Standpunkt machte, daß sie die mitgeführten Schätze fremder Bildung, fremden Geistes um sich weiter verbreiten konnte, und bloß sich selbst den lang gewohnten, reich geschmückten Heimathsboden schaffend, ward sie ein Sammelpunkt neuer, glanzreicher Entwickelung für tausend ihr entgegen blühende Kräfte, die, angeregt, nicht überschattet werden konnten von dem schnöden Dienste, den ihre geringe sinnliche Natur ihnen widmete. Im Gegentheil gewinnt das Begonnene in Heinrich dem Vierten, in Sully's weiser Hand schon sichereren Boden;[33] die augenblickliche Ruhe läßt das Gesammelte schon überschauen als französisches Eigenthum. Maria von Medicis erscheint endlich in einem Augenblicke als Regentin, wo diese Anklänge bedroht sind. Die Stürme, die sie weder aufhalten, noch lenken kann, und die diese höheren Blüten zu knicken drohn, finden in ihr noch Schutz und Anregung, und sie erscheint in ihrem kleinlichen, inkonsequenten Walten, als habe sie das Schicksal bestimmt, diesen einen Punkt zu hegen, bis ihr Alles abgenommen würde, um in die große Hand Richelieu's über zu gehen, der zuerst zu gesammter Handhabung sich kräftig zeigte.

In wie fern Richelieu sich des Planes, eine unbeschränkte Monarchie zu stiften, bewußt war, der seiner klugen Regierung jetzt nothwendig untergelegt werden muß, möchte eben so schwer, als erfolglos zu ergründen sein. Indem sein stolzer und befähigter Geist ihn an der Seite Ludwigs des Dreizehnten zum wirklichen Regenten Frankreichs machte, mußten die nothwendigen Anforderungen dieses Karakters ihm die Unterdrückung der übermüthigen Großen des Landes, welche immer ein Familien-Oberhaupt an ihre Spitze lockten, um dahinter ihre anarchischen Absichten zu verbergen, zu einer fast persönlichen Befriedigung machen, wenn nicht zugleich anzunehmen wäre, daß sein großes Genie, sein heller und der Zeit voraneilender Geist in dieser Unterdrückung das Mittel erkannt habe, Frankreich zu bürgerlicher Ruhe und den König zum absolutesten Herrschen zu führen.

Unbezweifelt hat das Getriebe, das er mit starker Hand zu lenken wußte, die ersten sicheren Resultate erzielt, und Ludwig der Eilfte, der den Kampf mit der Anarchie und mit dem aristokratischen Uebermuthe seiner großen Vasallen so rastlos verfolgte, würde mit Neid auf die Ernte dieses großen Staatsmannes geblickt haben, der die Erfüllung der Idee erlebte, der[34] er mit allen seinen Bestrebungen nachjagte, ohne die Zustände bewältigen zu können.

Dessen ungeachtet erschreckten noch die Waffenklänge des Bürgerkrieges die Knabenjahre Ludwigs des Vierzehnten – bei erwachendem Bewußtsein mußten er und seine Mutter vor den Erfolgen der Fronde flüchten, und zu dieser Schmach noch jeden Mangel hinzugefügt sehen, den der schnelle Aufbruch des Hofes mehr als ein Mal veranlaßte.

Aber schon war so viel anderweitiges Interesse im Volke erweckt, daß es den dämonischen Anforderungen eines Bürgerkrieges nur ungern Gehör gab, ihn nicht mehr zu seinen gewinnreichen Erwerben zählte, sondern darin eine lästige Störung seines heranblühenden Wohlstandes sah, und daher den Adel nur lau unterstützte, der, hierdurch geschwächt, den klugen Machinationen Mazarin's nachgeben mußte, und endlich den Frieden herbeiführte, der zuerst nach so langen Stürmen das erschöpfte Land erquickte.

Diese Ruhe, die ein wirkliches Bedürfniß war, und die nicht durch Traktate, Geißeln und das Recht des Stärkeren erhalten ward, sondern sich schützte durch dieselben Mittel, die das Bedürfniß hatten entstehen lassen – sie mußte nothwendig das Gesammtleben Frankreichs zum Bewußtsein und zur Anschauung erheben, und den Bildungspunkt namhaft bezeichnen, der damit hervortrat.

Ludwig der Vierzehnte war der vollkommenste Repräsentant dieser Periode; er war das nothwendige Erzeugniß derselben und so innig mit ihr verbunden, daß jeder Franzose ihn als sein Banner erkennen mußte – als die lebendig gewordene Idee einer Entwickelung, der sich jedes Bewußtsein entgegen drängte. Es kann daher von diesem Standpunkte aus, weder von seinen Tugenden, noch von seinen Fehlern, nach dem gewöhnlichen Maaßstabe der Berechtigung, die Rede sein. –[35] Beide waren die Erscheinung der Zeit – er stand weder über, noch unter ihr – er dankte ihr Alles, aber er gab ihr auch Alles, was sie eben forderte, wenn auch nicht mit dem Bewußtsein ihres Bedürfnisses, sondern weil er an sich selbst einen neuen Zustand herzustellen trachtete, der jedoch eben derjenige war, dessen Frankreich bedurfte. Von der Natur selbst zu einem vollkommenen Franzosen gebildet, besaß er die herrliche Gabe, seine Fähigkeiten hervortreten zu lassen, sich ihrer mit Takt und Gefühl bei allen vorkommenden Gelegenheiten zu bedienen. Wenn schon das gewöhnliche Leben die tiefsten und bedeutendsten Seelenkräfte dieser Fähigkeit beraubt, in Nachtheil stellt gegen den glücklichen Gebieter geringer Mittel, die ihm jeden Augenblick dienstbar sind, so ist der Einfluß solcher Gabe auf einem Throne, bei bedeutenden und nationalen Kräften eines Herrschers, ganz der zauberhaften Wirkung gemäß, durch die wir Ludwig den Vierzehnten die Höhe der Gunst ersteigen sehen. Sie erbaute ihm aus dem Enthusiasmus seines Volkes einen Thron, auf den ganz Europa staunend hinblickte, und der den Gedanken der Weltbeherrschung, in solchem Fundamente begründet, zu einem erhabenen Fluge des Geistes machte, den wir als Menschen, ohne nationelle Beschränkung, mit Liebe und Bewunderung betrachten müssen. Diese unläugbare Befähigung Ludwigs des Vierzehnten machte es ihm aber auch nur möglich, sich aus dem Schlamme zu erheben, den die Erziehung um seine Füße spülte, und wir müssen, wenn wir das kräftige Emporarbeiten Frankreichs aus dem Elende des Bürgerkrieges verfolgen, dem jungen Könige das Recht eines eben so rüstigen Streiters zugestehen; denn seine Arbeit ehrte ihn nicht minder.

Der Ueberdruß, ja der Abscheu, den die Nation gegen die Gewalt roher Willkür und Gesetzlosigkeit zu empfinden begann, entwickelte sich in ihrem Könige zu dem Schranken-System einer Etikette, die ihm dasselbe Bedürfniß befriedigte, eben das einer[36] unangreiflichen, gesicherten Stellung, um zum Genusse seiner persönlichen Vorzüge auf dem erhabenen Standpunkte seiner Geburt, gelangen zu können. Welchen Ausartungen dieses System im Verlaufe seiner Dauer auch unterworfen war, zu welcher, einer späteren Entwickelung lächerlich erscheinenden, Karrikatur es herabgesunken dastehen muß, wir dürfen seine Entstehung nicht gering achten, den Geist nicht verkennen, der es erschuf. Es hatte einen tiefen psychologischen Grund, der ohne alle Frage das höhere geistige Fluidum der Nation entwickelte, und den beispiellos hohen Rang bestimmen half, den Frankreich in diesem Zeitlauf in Europa einnahm, seinen Einfluß über Alles erstreckend, was um den Preis einer feineren Sitte rang; denn es lag darin die Fessel der Rohheit. Der despotische Zwang, den diese Formen über jede Willkür ausübten, ward ein Bollwerk, hinter welchem die Anstürmenden in dem glänzendsten Kultus zauberhafter, neuer Einkleidung den Hof ihres Königs gewahrten – ein zur höchsten Poesie erhobenes Wunder fremder, blendender Schaubilder, dem näher zu treten, bald die Sehnsucht und der Ehrgeiz Aller ward, und das zu erreichen, eben dieses Bollwerk nur einer bestimmten Auswahl gestattete; und diesen Auserwählten wieder nur, indem sie sich selbst bezwangen und mit gefesselten Trieben nicht sich, sondern der Zauberformel jener Etikette gehorchten, in welcher Alle vor dem Nymbus dieses Thrones eingefangen lagen. Wie der Gegensatz zu diesem despotischen Sittengemälde sich auch finden mußte, welchen empörenden Entartungen in der Religion, Moral und Sittlichkeit wir auch zur selben Zeit begegnen mögen – der Impuls zu einer gesellschaftlichen Existenz, wie sie keine Zeit ihr ähnlich darzustellen vermag, mit allen Versuchen, eine höhere Gesittung über alle Verhältnisse des Lebens zu verbreiten, gehört als unbestreitbares Verdienst dieser Epoche an. Sie erregte eine Bewegung, deren Einfluß wir[37] noch jetzt nachzuweisen vermögen, wenn auch durch die frei gewordene Herrschaft des gebildeten Geistes losgesprochen von dem Zwange des Gesetzes, welches festzuhalten, nachdem es leer geworden seiner früheren Bedeutung, zu der mit Recht gering geachteten und bespöttelten Karrikatur eines Ceremoniels oder absondernden Schutzes herab gesunken ist, der keinen Grund mehr findet in vorhandener Rohheit.

Zu jener Zeit aber machten sie den Hof, als Anhang des Königs, als den Zauberkreis, in dem er seinen wunderbaren Ritus übte, zu einem wahrhaft unerreichbaren Standpunkte, und noch war es die Zeit – ja sie erwachte erst – wo das Volk sich von seinen Souverainen imponiren zu lassen wünschte, und die Absonderung, die fast an göttliche Unterscheidung grenzte, mit einer Art von Stolz mehr unterstützte, als verringerte.

Die Mittel zu großen Ergebnissen boten sich dem herrschenden Oberhaupte in allen Beziehungen dar, und unter den Händen Colbert's entwickelten die reichen Kräfte des strebenden Landes fröhlich ihre hundertfältigen Adern und athmeten Lebensfülle und spendeten den segensvollen Reichthum, der immer wieder den großen Kreislauf belebender Thätigkeit erneuerte, den der Glanz des Thrones sowol, als sein politisch zu behauptendes Ansehn erforderte.

Wenn die Meinungen über diese Zeit oft bis zum Anbeten ihrer Erscheinungen, oft bis zum Herabwürdigen unter den geringsten Standpunkt geschichtlicher Momente gewechselt haben, dürfte Beides eine Berechtigung nachweisen können, wenn wir bloß die materiellen Fakta ohne ihren geistigen Zusammenhang gelten lassen wollen. Denn wir sehen allerdings in demselben Rahmen, der Ludwig's Lebensperiode umschließt, einen Höhenpunkt glänzender Erfolge, wie er uns hinreißen muß, und am Ende derselben einen Schrecken erregenden Verfall, der ohne Zweifel die Keime der großen Erschütterung nachweisen ließe,[38] die den Urenkel des Platzes verlustig machte, auf dessen unbestrittenem Besitz Ludwig der Vierzehnte seine Dynastie unzerstörbar begründet glaubte. – Aber wir dürfen bei dieser niederschlagenden Betrachtung nicht übersehn, daß das Volk in dieser ersten glänzenden Epoche dennoch ein Pfand empfangen, welches den Werth dieser Zeit unbestreitbar macht – ein Pfand, mit welchem es wuchern konnte, das zu zerstören nicht mehr in der Willkür seines Herrschers lag – und daß dessen ausartenden persönlichen Neigungen, die wir mit dem Verfalle der Zeit bezeichnen, doch in ihrer jugendlichen Entstehung Schritt hielten mit den Bedürfnissen seines Volkes, und über alle Zweige menschlichen Wissens den Zauber der Ermunterung, der Förderung und der Anerkennung verbreitet hatten. So müssen wir seiner ausartenden Eroberungssucht sicher den Vorwurf machen, das Land erschöpft und mit Schulden belastet, und, gegen jedes moralische Prinzip anstoßend, sein persönliches Ansehn herabgesetzt zu haben. Aber das Volk hatte Früchte geerndtet, die es in seinen Erfolgen nicht allein damals an die Spitze der Kriegskunst stellte, sondern an deren Nachahmungen sich noch die nachhaltigsten Einrichtungen aller Nachbarländer knüpfen lassen. Wenn wir eben so vor den Bauwerken dieser Zeit, vor den zügellosen Ausstattungen aller königlichen Besitzungen und der ihnen anhängenden Bedürfnisse – vor ihren Festen, ihren Beschäftigungen und ihrem zahllosen unbeschäftigten Dienertrosse stehen, und bloß bedenken wollen, wie dadurch der Schatz erschöpft werden mußte, und dem betäubten Gewissen die Wege geöffnet zu Erpressungen und Bedrückungen des Volkes, die wir mit Unwillen endlich auch verfolgt sehen: so werden wir doch dadurch immer nicht die Wirkungen annulliren können, die in diesem üppigen Leben des Genusses den Segen aller künstlerischen und wissenschaftlichen Erscheinungen entwickelten, und sie zu einer Ausbreitung und[39] Wichtigkeit erhoben, welche dem versinkenden Leben Italiens eine neue Heimat, dem übrigen Europa eine Brücke zu bis dahin zu entfernt liegenden Schätzen baute.

Gewiß müssen wir zugestehn, daß Ludwig der Vierzehnte nicht die Kraft hatte, an der Spitze seiner Nation zu bleiben, daß er ihr nur ein Mittel war, das anfänglich nicht größer zu sein brauchte, als er war, daß ihn seine Erfolge, nachdem sie ihn weit überholt hatten, auf einem geringen Standpunkte zurück bleiben ließen, und im Stillestehn ihn seiner Zeit entfremdeten und feindlich gegenüber stellten, geschützt noch von dem monarchischen System welches zu mächtig war, um Widerstand zu finden. Der hierarchische Despotismus erkannte wachsam den Augenblick, wo Ludwig sich von seinem Volke trennte, um ihn, sich ihn als Beute sichernd, jeder freieren Anschauung zu entziehn, die ihn fähig gemacht hätte, den hochherzigen Aufschwung religiöser Entwicklung verstehen zu können, der damals aufs Neue vergeblich die Schwingen einer freieren Erkenntniß regte, und dessen unvollkommene, in vielfachen Ausartungen kreisende Erscheinungen vielleicht die ewigen Erschütterungen Frankreichs zu erklären vermöchten, das, von dem Triebe freier religiöser Entwickelung verjagt, in den materiellsten Freiheitswünschen die gestörte Entwickelung zu befriedigen suchte. –

Die Zeit, in der Leonin den vaterländischen Boden betrat, war der Höhenpunkt jener früheren Periode, der so schnell, so überraschend erreicht war, daß der Schwindel zu erklären ist, mit dem man die Grenzen eines so begonnenen Zustandes nicht glaubte übersehen zu können, und die ausschweifendsten Eingebungen der Phantasie überall anzuknüpfen, ein Recht zu haben meinte.

Der Aachner Friede war geschlossen – Ludwig hatte die Lorbeeren zweier glorreichen Feldzüge gesammelt, die Aufmerksamkeit Europa's geweckt und Erfolge errungen, die so das[40] Maaß zu überschreiten schienen, daß es ihm leicht ward, beim Abschluß des Friedens mit anscheinender Großmuth den Theil der Eroberung zurück zu geben, der von seinen bestürzten Gegnern mit der vollen Besorgniß gefordert wurde, die so schnelle, so siegreiche Fortschritte – für das Europäische Gleichgewicht, welches zu zerstören, in seine Hand gegeben schien, nothwendig einflößen mußten. Auch machte der Abschluß dieses Friedens, der einen Theil der gemachten Eroberungen wieder aufgab, keinen ungünstigen Eindruck auf die Nation. Schon sah sie sich als den reichen Mann an, der dem übrigen Europa Almosen geben könnte; schon kam ihr kein Zweifel, daß sie besitzen könnte, was sie besitzen wollte; und gerade so erschien ihr der junge König in einem neuen Nimbus – dem der Großmuth und der Mäßigkeit.

Auch lag, dies Gefühl zu unterstützen, ganz in der ungemeinen Begabtheit des jungen Königs, der damals noch den vollendeten Stolz besaß, der die Eitelkeit entweder nicht aufkommen läßt oder sie noch nicht besitzt.

Sein Volk, sein Hof mochte seine Siege anstaunen, anbeten, er verhielt sich zu ihnen mit der gleichmäßigen Ruhe, die audeutete, daß er über ihnen stände, und die größten Erfolge eben nur Ausströmungen seiner selbst wären, die ihn nicht zu überraschen vermöchten. Er haßte und unterdrückte jede rohe Schmeichelei, und die Hofleute mußten eine Mimik für ihre Anbetung studiren, die sich wie der Schauer der Andacht anließ, um seine stolze Zurückweisung nicht zu erfahren.

Es war in dieser vollen Blütenzeit seiner Existenz noch so viel Wahrheit in ihm, daß er sich ohne Selbstbetrug des Eindruckes erfreuen durfte, den er hervorrief; und seine ganze Natur war durch die Aehnlichkeit und Uebereinstimmung, die seine eigne Entwicklung mit der seines Volkes hatte, so bedeutend verstärkt und erhöht, daß jeder Erfolg ihm zu einem ungemeinen[41] Selbstgefühle verhelfen mußte. Er war in Wahrheit ein großer Mann – er war es durch seine Zeit, wie durch sein schönes Naturell, das ihr genug that.

Später hatte das Feldlager mit dem Glanz eines Hoflagers gewechselt, dessen an Zauber und Wunder grenzende Ausstattungen einen taumelartigen Zustand erregten, den industriellen Geist aufs höchste belebten – Künstler, Dichter und Gelehrte schufen, und eine Hingebung aller Kräfte des Geistes und des Vermögens veranlaßten, die ein Gelingen herbeiführte, das in seiner überraschenden Wirkung den jungen König als ein übernatürliches Wesen erscheinen ließ, da seine Neigung, seine Andeutungen oder Befehle dies Alles ins Leben riefen.

Und diesem Zustande der Dinge nahte sich jetzt Leonin – diesem vergötterten Monarchen sollte er in kurzem vorgestellt werden, und zwar nicht, um ihn unter dem Gesichtspunkte zu betrachten, wie wir es jetzt thun, sondern unter dem, wie man ihn damals ansehen mußte, beschränkt von der Gegenwart und ihrem beengenden Einflusse, als eine sichtbare Gottheit, als eine Alles besiegende Autorität – als den Inbegriff aller Vollkommenheiten. Es war die natürliche Folge dieser Ansicht, daß Alle, die des Glückes theilhaftig wurden, seine Nähe zu erreichen, seine Worte zu hören, sich selbst dadurch zu größeren Ansprüchen berechtigt hielten, und als Geschöpfe seines Winkes, doch sich erhoben fühlten über die Masse, die diesen Vorzug nicht theilen durfte. –

Die Majorennitäts-Erklärung des jungen Grafen war vorüber, und unaufgefordert strömten die höchsten Personen zusammen, ihre Glückwünsche zu diesem Akte darzubringen. Das Hotel Soubise konnte die Zahl der Gäste kaum fassen, und die Marschallin hatte nicht umsonst auf den Antheil des Königs ge rechnet. Nur im Vorbeigehen fragte derselbe beim[42] Lever seinen Bruder, ob er von dem Feste seines lieben Marschalls von Crecy gehört habe, und dies war hinreichend, damit Monsieur zur bestimmten Stunde in dem Hotel Soubise auf zwei Minuten erschien – und der Name Ludwig von Orleans prangte an der Spitze von Unterschriften, die fast alle erlauchte Namen Frankreichs enthielten. Denn das Land versammelte die lebenden Repräsentanten derselben an dem Hofe – und Ludwigs Wunsch, sie dort zu sehn, war der Magnet, dem Niemand sich entziehen konnte.

Der Marschall war versöhnt mit den schlauen Einrichtungen einer Gemahlin, die endlich seine unvollkommenen Wünsche, die er nie ins Dasein zu rufen vermocht hätte, in die Erreichung ihrer eignen mit einzuschließen wußte. Der Glanz seines Hauses trat auf eine imponirende Weise hervor, und dem Herzen des Vaters ward in der schmeichelhaften Anerkennung des Sohnes das vollste Genügen.

Wie sollen wir aber den innern Zustand dieses Sohnes schildern, der seit seinem Eintritt in dies Haus fast nicht zur Besinnung gekommen war?

Seit seiner Abwesenheit hatten sich alle Zustände so gesteigert – sein eignes Bewußtsein, sein Auge sich so dafür entwickelt, daß es ihm schien, er käme in eine vorher gar nicht gekannte Welt. Es war, als ob das Unglück aus den Kreisen der Menschen ver schwunden sei. Jeder Tag schien ein Fest, das Allen gehörte. Witz, Laune, Leichtsinn und Heiterkeit durchdrang die Menge von der höchsten bis zur niedrigsten Klasse. Es war keine Zeit für irgend ein tiefer liegendes Gefühl, und der Rausch, der über Alle seine Zauberruthe schwang, hieß Ludwig – Versailles – Frankreichs Ruhm! – Es trat ein Stolz, ein Selbstgefühl bei jedem Individuum hervor, das aber gerade so entwickelnd wirkte; denn Niemand wollte nachbleiben, Alle strebten, rangen und erreichten in irgend[43] einer Beziehung Etwas. Aber mitfliegen mußte man; das galt mehr wie das Leben; das galt, sich als Franzose zeigen!

Und in diesen rauschenden Massen, durfte sich Leonin eingestehn, als der Erbe eines so bedeutenden Namens und Ranges bemerkt zu werden, zu Ansprüchen erhoben zu sein, die mit dem edelsten Neide verfolgt wurden, mit dem Neide, dem Göttersitze des Königs nah' und persönlich dienstbar sein zu können.

Diese Tage mit ihren Anforderungen hatten eine Menge schlummernder Eigenschaften in ihm hervorgerufen. So ins Auge gefaßt von der hohen Aristokratie des Landes, fühlte er plötzlich den vollsten Trieb des Ehrgeizes, sich ihnen in allen Punkten gleich zu stellen und jede Unsicherheit des Betragens abzuwerfen, die einen Zweifel über die Befähigung zu dem hohen Standpunkte seiner Geburt aufkommen lassen könnte. Er wollte nichts sein, als eine neue Zierde dieses glänzenden Hofes. Man sollte dieses anerkennen müssen, und er hätte bei schärferem Nachdenken sich selbst in den Erscheinungen nicht wieder erkannt, die dieser Einfluß hervorrief; denn er ward nun erst Franzose und rechtfertigte vollkommen den Zustand jener wunderbaren Zeit.

Nur, wenn er in tiefer Nacht sein einsames Schlafgemach betrat, die Diener entlassen hatte, und lautlose Stille ihn umfing, blieb er wie ein Träumender stehen. Wo war Fennimor's Gatte, wo war der einsiedlerische Schloßherr von Ste. Roche und die patriarchalischen Vorstellungen, die alle seine Wünsche umschlossen hatten? – Ob er sich diese Fragen wahrhaft beantwortete? Wir fürchten, nein! Aber noch war er innig überzeugt, was jetzt geschehe, was er thue und treibe, es sei nur die Brücke zu ihr zurück. Noch fühlte er ihre Schönheit, ihren Werth; noch brauchte er nicht an seine Pflichten gegen sie zu denken. Aber schon gab es auf dem ganzen Schauplatze[44] seiner jetzigen Existenz keinen Punkt, wo er sich ihrer erinnern konnte, ohne den stechenden Schmerz zu fühlen, der uns belehrt, daß wir in gefahrvollen Widerspruch gerathen sind, und Pflichten sich drohend berühren, denen wir gleiche Heiligkeit zugestanden. Er verschob selbst den Moment einer Eröffnung gegen seine Mutter, theils aus Scheu und Unentschlossenheit, theils weil er glaubte, erst diesen öffentlichen Pflichten genug thun zu müssen. Er ahnte nicht, wie seine Mutter Alles in ihm sah und vorher gewußt, und wie fest sie beschlossen hatte, ihm eine solche Erklärung unmöglich zu machen, bis die Verhältnisse ihn so umsponnen hätten, daß er sie ihr nicht mehr zu machen wagen würde.

Sie hinderte es daher nicht durch die leiseste Bemerkung, wenn sie erfuhr, wie Boten mit Briefen und Gepäck den Weg nach Ste. Roche nahmen; denn dies Alles, wie es auch dort Ansprüche und Neigung unterhalten, und gefährliche Gedanken in Leonin nähren mußte, schien ihr doch weniger unheilbringend, als eine zu voreilige Erklärung, ehe sie Zeit gewonnen hätte, dies sein Gefühl in sich selbst absterben zu lassen.

Jetzt befand man sich zu Versailles, da man Paris nur bewohnte, um Familien-Feste zu feiern, die in die Nähe des Königs zu verlegen, eine Art Indiskretion scheinen konnte. Außerdem liebten alle Große des Hofes, in Versailles zu leben, da der König eine fast unbezwingliche Abneigung gegen Paris hegte, welches ihm als Kind, während der Kriege der Fronde, mehrere Male die Thore verschlossen hatte.

Madame Henriette, die Gemahlin Monsieur's und die Tochter des unglücklichen Karls des Ersten von England, war der Parnassus des Hofes. Um sie versammelten sich alle Künste, und Gelehrte und Helden warteten an ihrem poetischen Throne auf das Wort ihrer Anerkennung, ihrer Ermunterung. Der König hatte ihr eine so zärtliche, ritterliche Galantrie gewidmet,[45] sie verstand dieselbe so geistreich zu fordern, und so fein und erhaben zu gestalten, daß dem Berühren dieser beiden romantischen Geister die Entwickelung billig zuzurechnen ist, die das Verhältniß der Männer zu den Frauen zu einer abgöttischen Huldigung erhob. Auch hier ging der mit allen Elementen der Liebe und Poesie ausgerüstete jugendliche König mit dem Beispiel einer Frauenhuldigung voran, die wie ein neuer Impuls in der Courtoisie hervortrat.

Zwar hatte das Verhältniß des Königs zu Madame Henriette den Karakter wärmerer Zärtlichkeit verloren; aber sie behauptete noch immer den Rang der schönsten und geistreichsten Frau, und ihr Einfluß auf den König in allen geistigen Beziehungen blieb noch unbestritten. Er selbst fühlte die wahrste Freundschaft für sie, ihr Hof zählte ihn noch immer zu seinem Besitz, und er that Alles, ihr diesen geistig hohen Standpunkt durch seine Achtung und Anerkennung zu erhalten. –

Schon füllten sich die Vorzimmer der schönen Henriette, und alle Anwesenden zeigten die Belebtheit und Spannung, die die Versicherung hervorgerufen, Madame erwarte den König! Ein Jeder fragte sich in der Stille, wer er wäre, was er zu denken, zu sagen habe, mit welcher Berechtigung er die große Gunst erwarten dürfe, vor ihm zu erscheinen.

Das Gespräch lief wohl lebhaft umher; aber nur Wenige verbargen die Zerstreutheit, mit der das leiseste Geräusch in den Höfen plötzlich Alle verstummen oder abbrechen ließ. Doch blieb von den Anwesenden dieser Zustand ziemlich unbemerkt, denn Jeder theilte ihn.

Nur einzelne Personen verschwanden in die Zimmer, in denen Madame ihren hohen Gast erwartete; dies waren besonders dazu Bestellte – und sie zogen eben so stolz diesem Rufe entgegen, als ihnen die Blicke des Neides nur zu sicher folgten.[46]

Madame ruhte auf einer Ottomanne von meergrünem Atlas, und der Glanz der Beleuchtung war vor diesem etwas erhöhten, bequemen Sitze mit einem Geschicke gemildert, daß es schien, der Mond erleuchte diesen Platz, im Gegensatze zu dem Vordergrunde des Zimmers, der Tageshelle, von Spiegelwänden reflektirt, zurückstrahlte. Der blaßrothe Seidenstoff ihres Kleides war mit Silber durchwirkt, und in ihrem wunderschönen Haare trug sie eine einzige, aber prachtvolle Rose von Brillanten.

Da sie die schönsten Arme und Hände hatte, so stand es ihr sehr gut, daß sie die Etikette etwas verletzte und nur einen Handschuh trug, während sie den andern, wie zum Gedankenspiele, durch die zarten Finger zog. Sie hatte die glänzendsten Farben, die lebhaftesten Augen, und schien immer von Gedanken angeregt, die sie auch, schnell und fließend sprechend, stets bereit war, an den Einen oder Andern zu adressiren.

Um sie her standen die Damen und Herren ihres näheren Kreises. An der linken Seite ihres Ruhebettes aber lehnte eine Frau von mittlerem Alter, mit großen Resten ehemaliger Schönheit und mit einem bezaubernden Ausdrucke von Geist und Gefühl. Sie war in dunkeln Sammet gekleidet, und die feinen Spitzenbarben ihres Bonnets gaben ihrer prächtigen, aber bescheidenen Tracht eine nonnenhafte Decence; sie hielt ein Blatt in der Hand, was sie vorgelesen hatte, und hörte der lebhaften Prinzessin zu, welche, mit ihr sprechend, anmuthig seitwärts blickte.

»Nein, liebe Sevigné,« rief sie, »sein Sie nicht zu bescheiden! – Nur Sie, behaupte ich, nur Sie allein können ein so bezauberndes Geständniß über die Gefühle einer Mutter ablegen, Sie repräsentiren die Mutterliebe in Frankreich, wie sie das Ideal jeder edeln weiblichen Brust werden muß, auf Sie wird hingewiesen werden, wenn wir schon alle in Staub[47] zerfallen sind; und die entarteten Mütter dieses Landes werden nicht sagen dürfen, wir wußten nicht, was Rechtens war; denn man wird ihnen antworten können, daß Madame de Sevigné lebte!«

Die berühmte Frau neigte ihr feines Antlitz noch tiefer, und der erhöhte Ausdruck zeigte eine Rührung, die keinen Hauch von Eitelkeit trug.

»Es ist so natürlich, was ich auszudrücken wagte,« sagte sie sanft, »daß ich mich kaum in dem schmeichelhaften Lobe Eurer Königlichen Hoheit wieder erkenne. Wer könnte mit dem Glücke begnadigt werden, Mutter zu sein, ohne mehr oder weniger dasselbe zu fühlen, was ich hier bloß sammelte, aneinander reihte. Die Erscheinung einer Mutter bleibt in jedem Individuum eine Art göttliches Mysterium, und auf allen Stufen dieses rührenden und erhabenen Zustandes ließe sich die unmittelbarste Gemeinschaft mit dem höchsten Geber nachweisen, und darum auch sicher Anklänge der Seligkeit, die nur von dem harten Drucke der Außenwelt zuweilen verkümmert hervortreten.«

»O, wie schön, meine edle Sevigné, ist Ihr frommer Glaube!« rief die Prinzessin mit einer Aufregung der Gefühle, die nur zu klar das ewig unbefriedigte Sehnen nach dem Glücke einer Mutter, das sie so tief nachzufühlen verstand, ausdrückte. – »Möchte ich,« setzte sie leise und mit feuchten Augen hinzu, »noch dereinst Ihre Schülerin werden können!«

Frau von Sevigné drückte die dargereichte Hand nicht mit höfischer, sondern mit menschlicher Zärtlichkeit an ihre Lippen und fügte leise Worte der Hoffnung hinzu, welche die junge Fürstin kopfschüttelnd anhörte.

»Eine Stuart! eine Stuart!« sagte sie blaß werdend, mit Bitterkeit und Schmerz – »denken Sie, meine Liebe, ob sie Hoffnung auf Glück nähren darf – ob ihnen geschieht nach der Ordnung der Natur!«[48]

»O, Madame,« rief die Sevigné, »so werden Sie wenigstens dazu bestimmt sein, uns zu lehren, wie man die Unbilden des Schicksals durch die Erhabenheit der Gesinnungen zu besiegen vermag!«

»Meinst Du, süße Trösterin?« erwiederte die Prinzessin mit dem sanften Ausdrucke von Schwermuth, der zuweilen über den frischen Glanz ihrer Schönheit wie ein Wolkenschatten glitt. »Doch hier,« fuhr sie fort, alles persönliche Gefühl augenblicklich unterdrückend, »was wollen wir mehr? Welch' ein schöneres Bild mütterlichen Glückes können wir nach den Mittheilungen unserer Sevigné finden, als unsere theure Marschallin von Crecy?« Und so neigte sie sich mit der vollen Anmuth einer Fürstin über die indeß zwischen Leonin und Louise eingetretene Marschallin, welche mit der eigenthümlichen Grazie, die einer vollendeten Dame von Range zukam, ihren Sohn der Prinzessin vorstellte.

Leonin erschrack fast vor dem blendenden Glanze der Schönheit, der er nun gegenüber stand, und die unglückliche Henriette, die das zärtlichste Herz vergeblich in ihrer Brust trug, mußte sich mit den kleinen Triumphen zerstreuen, die ihr jeder Mann, der ihr zu nahen wagen durfte, bereitete.

Sie sammelte lächelnd das Geständniß der Bewunderung von Leonin's sprachloser Blödigkeit ein, und erhob sich sodann; denn das Rauschen der Thüren und die plötzliche tiefe Stille des Vorzimmers zeigte an, der König sei gekommen!

Ludwig der Vierzehnte stand auf dem Punkte des Alters, wo die Frauen den Männern erst das Prädikat des Interessanten beilegen, was für sie so wichtig ist, daß keine Jugend, keine Schönheit ohne diese Zugabe der Zeit ihnen die anmuthige Eigenschaft des Gefährlichen verleiht. Ludwig hätte nicht König zu sein brauchen, um allen Frauen als schön und ausgezeichnet zu erscheinen – aber als König rechnete man ihm die Vollendung[49] als Mann um so höher an; und in der That konnte sich Niemand ihm zur Seite stellen, er wäre im einfachsten Kleide in den hintersten Reihen der Erste geblieben.

Als er eintrat, hatte er den Kopf halb über die Schulter gewendet, um den Herzog von Lauzun anzuhören, der ihm einige Worte sagte. Heiterkeit, Geist und Scherz lagen dabei auf seinem Antlitz ausgedrückt, und man konnte unmöglich anmuthiger lächeln, als eben der König, wie er dem Herzog einige Worte erwiederte.

Jetzt aber erblickte er Madame Henriette, die mit der Lebhaftigkeit der Huldigung ihm entgegen eilte.

Die leichte Haltung der kurzen Besprechung mit Lauzun war sogleich verschwunden – jetzt war er der huldigende Ritter, welcher, der Schönheit gegenüber, nur ihr Diener sein kann, und den Stolz, den er fühlen darf, nur von der Ehre ihrer Nähe empfängt. Als er die glänzende, blühende Fürstin zu ihrem Sitze zurückführte, hielt er ihre Hand so, daß er sie den Versammelten darzustellen schien; und indem er selbst den gebieterischen erhabenen Anstand entfaltete, der seine Schönheit so imponirend machte, schien er nur stolz sein zu wollen als ihr Führer, von Allen für sie allein die Huldigung fordernd.

Und doch war diese ihm fast ungetheilt zugewendet – denn er war Jedem in irgend einer Art ein Vorbild – ein erfülltes Ideal.

Selbst Leonin hatte die schöne Henriette vergessen und alles Blut drängte sich zu seinem Herzen, als er den angebeteten Monarchen jetzt in einer Vollendung vor sich sah, die er früher weder Gelegenheit hatte zu beobachten, noch zu fassen.

Der König zog ein Tabouret vor den Sitz, den die Prinzessin einnahm, und setzte sich nieder, als habe er Lust, knieend den lebhaften Worten derselben zuzuhören. Er hielt jedes Mal mit der Prinzessin auf diese Weise ein kurzes Zwiegespräch,[50] welches anscheinend von Keinem der Hofleute beobachtet ward; und doch war gewiß kein Wechsel der Miene oder der Farbe, kein Lächeln, kein Seufzer, welcher nicht von der argwöhnischen Schlauheit ihres Hofstaates belauscht wurde.

Leonin aber sah Alles ohne Beziehungen und Berechnungen. Verloren war er in dem Anblicke dieser ungewöhnlichen Erscheinung, und Alles schien ihm gerechtfertigt, was er seit seiner Rückkehr von dem überschwänglichen Enthusiasmus der Menge erfahren, und was ihm mindestens überraschend geschienen.

Als einen Helden, als einen Feldherrn hatte er ihn nennen hören, kühn, scharfsichtig und großartig im Rathe; er hatte gefürchtet vor den ernsten Pathos eines römischen Imperators zu treten. Und jetzt sah er einen heiter lächelnden jungen Mann, mit einer Anmuth und Leichtigkeit der Bewegung, mit einem poetischen Schmelze der Augen und des Mundes – einen der schönsten Männer, der sich dessen nicht bewußt sein wollte, um den Frauen allein eine Huldigung zu gestatten, auf die er sie durch seinen Willen anwies, allen Männern auch hierin zur Richtschnur dienend.

Leonin fühlte, daß diese Vereinigung etwas Erstaunenswürdiges, fast Berauschendes hatte, und daß man sich eben dem Zauber seiner Persönlichkeit so völlig ohne Rückhalt hingab, weil man seiner übrigen Herrscherfähigkeit gänzlich vertraute. Sein Alter hatte ihn vom Hofe entfernt gehalten, er hatte den König nur bei öffentlichen Veranlassungen als Zuschauer gesehn, die zu Anfange seiner Regierung nicht häufig waren. Erst in Leonin's Abwesenheit trat der Glanz des Hofes auf solche Weise hervor, wie auch die Liebenswürdigkeit des Königs erst zur vollen Blüte kam.

So beherrschte dieser anmuthige junge Mann alle seine Umgebungen. Nicht, wie ihn Leonin sich unwillkürlich gedacht[51] hatte, als einen ewigen Repräsentanten mit Krone und Zepter sah er ihn; aber dennoch von einer Atmosphäre der Hoheit umgeben, daß die jugendliche Anmuth niemals auch nur zu einem vertraulichen Gedanken hätte verführen können. Im Gegentheile fühlte Leonin eine Beklommenheit, die ihn fast betäubte, bei dem Gedanken, dem Könige heute gegenüber zu treten. Seine Größe wuchs, indem sie verdeckt lag – aber wie groß mußte er sein, da er sich ihres Scheines absichtlich entäußern konnte!

»Madame hat Briefe aus England erhalten,« sagte der Marschall de la Ferté zu Madame de la Fajette, die mit etwas verdorbener Laune in Leonin's Nähe stand; »der König wird wohl seine Absicht mit Dünkirchen durch ihre geschickten Unterhandlungen erreichen.«

»Wenigstens thäte Madame besser, nur solche Angelegenheiten zu dem Gegenstande ihrer Beurtheilung zu machen,« erwiederte Madame de la Fajette – »in allem Uebrigen fühlt man immer, daß sie kein französisches Blut in den Adern hat. Es ist komisch oft – ihr Urtheil über unsere Literatur!«

»Ach so! Euer Gnaden meinen ihre Bewunderung für die Marquise de Sevigné!« rief der Marschall – »ja, ja, Madame trägt stark auf, wenn sie spricht. Doch glaube ich nicht, daß ein so unbedeutendes Produkt, wie uns vorgetragen wurde, Eindruck machen würde, belebte sie nicht dasselbe Verlangen, das Madame de Sevigné als erfüllt darstellte.« –

»Ja, so ist es, mein Herr Marschall – die gute Sevigné gehört nach der Kinderstube, nicht an den Schreibtisch! Ich versichere Sie, daß sie nicht im Stande ist, orthographisch richtig zu schreiben, und damit müßte man doch wohl anfangen, wenn man eine Schriftstellerin sein will.« –

»Wäre es nicht wichtiger,« erwiederte hier ein junger Mann in einfacher geistlicher Tracht, »erst richtig zu denken? Wie Viele mögen den Vorzug besitzen, richtig zu schreiben, ohne[52] einen einzigen Gedanken so ausdrücken zu können, wie Madame de Sevigné – ohne Gefühle in sich zu haben, wie sie hier eine Zierde der Menschheit werden!«

Die Gräfin de la Fajette blickte etwas hoch auf, und ihre sich spannenden Augenbrauen verriethen, daß sie nicht geneigt sei, den halb vorwurfsvollen Ton dieser Erwiederung milde hinzunehmen; als sie aber die sanften, edeln Züge des Jünglings erblickte, der zu ihr gesprochen, mußte sich die kluge Frau gestehen, er habe gar nicht daran gedacht, daß seine Erwiederung sie träfe, sondern sich in den Gegenstand vertieft, ihm sein Recht gönnend und damit eine Beleidigung unmöglich haltend.

»Vollkommen richtig bemerkt, mein lieber Salignac!« sagte die Gräfin daher, schnell gefaßt: »wer hätte hierüber zu entscheiden mehr Recht, als Sie, der Sie der Verkündiger der edelsten und frömmsten Gesinnungen sind!«

»Nein, Madame, nein!« rief der junge Mann mit schwärmerischem Eifer, »über den ganzen Werth der Gedanken und Gefühle, die Madame de Sevigné uns mitgetheilt, wird nur eine Frau entscheiden können, in die Gott ausschließlich die Seligkeit einer Bestimmung ausgeschüttet hat, der wir nur aus der Ferne mit der Verehrung zusehen können, die an dieser außerordentlichen Bevorrechtung des Himmels uns die erhabene Bestimmung ihres Geschlechtes ahnen läßt!«

»Liebenswürdiger Schwärmer!« rief die Gräfin, fast gerührt; »da wir heut im Prophezeihen sind, und Madame Henriette der Frau Marquise de Sevigné schon das Prognostikon ihrer Zukunft gestellt hat, so verkünde ich Ihnen, daß Ihre sanfte jugendliche Weisheit, zum Manne erstarkt, das Zeitalter retten wird, in dem Sie leben; daß Salignac la Motte Fenelon Platz finden wird in den Büchern unserer Geschichte, trotz des Größten, den wir darin verzeichnen!«[53]

»Gottlob, Madame,« fuhr der junge Mann ohne alle Zeichen des Eifers fort, »daß ich Ihnen nicht glaube! Die Geschichte mit ihrem Namensverzeichnisse hat keinen Reiz für mich – meine Gedanken haften an dem mühevoll heiligen Geschäfte des Augenblickes; es ist so schwer, ihn zu bestehen, ohne vor Gott erröthen zu müssen, daß ich ihm alle meine Kräfte zuwende, und mir wenig Zeit übrig bleibt, die Zukunft mit eiteln Wünschen zu bestürmen.«

»Darum that ich es für Sie!« lachte die erheiterte Gräfin, die wohl ein wenig schriftstellerische Wallungen besaß, aber zu klug und zu edel war, um sich von diesen Gefühlen dauernd beherrschen zu lassen.

Die Gesellschaft erschütterte ein kleiner elektrischer Schlag. – Ludwig war aufgestanden, und sein königlicher Blick überflog den Kreis, als nähme er erst jetzt seine Existenz wahr. Die Thüren nach den Vorsälen waren geöffnet' – die inneren Gemächer hatten sich gefüllt, Jeder rang um den Preis, mit Ludwig dasselbe Zimmer zu betreten. Die Möglichkeit eines Blickes, eines Wortes war die Hoffnung, die Jeder unausgesprochen nährte.

Auch schien das strahlende Auge, womit er Jeden zu finden wußte, Jedem eine solche Hoffnung erwecken zu sollen; doch, als er nun, sich von Madame beurlaubend, vorschritt, stockte selbst das Bemühen, die leichte Unterredung fort zu spinnen, welche bisher geherrscht. Zerstreuung, Erwartung unterdrückte jede andere Geistesthätigkeit; höchstens gelangen einige leichte Worte, von denen der Sprechende hoffte, sie kleideten ihn, und die, da dies von den Andern schnell errathen ward, entweder mit Kälte aufgenommen, oder in derselben Weise und Absicht erwiedert wurden. Leonin hatte trotz seiner Befangenheit Auge und Ohr gehabt für die sonderbaren Zustände seiner Umgebungen, und indem er vergeblich auf den Sinn der Worte[54] horchte, die um ihn her gesprochen wurden, und die seltsamen Grimassen sah, mit denen man sie begleitete, überzeugte er sich, daß dies der Hofton sei, von dessen bezaubernder Leichtigkeit und Eleganz Europa voll war, und um dessen unaussprechlichen Reiz zu erreichen, Jeder seine Eigenthümlichkeit, sein tieferes geistiges Bedürfniß verläugnen mußte, wenn er nicht verlassen oder ausgelacht sein wollte.

Es bemächtigte sich seiner eine kränkende Unheimlichkeit: er wußte mit Allem, was er besaß, hier nichts anzufangen. Seine Kenntnisse, seine Gefühle, seine Ansichten – Alles, was ihm als Material zum Sprechen dienen sollte, schien hier umsonst, ja, ganz unbrauchbar – und ein geheimnißvoller Ritus von Worten, Bezeichnungen und Andeutungen überall zu herrschen, der ganz andere Zustände voraussetzte. Diese nicht zu kennen, zu verstehn, erschien ihm als ein Ungeschick, ein Mangel, von dem seine Eitelkeit sich trostlos verletzt fühlte. Sein Selbstgefühl verließ ihn, er konnte nicht denken, daß hinter der sicheren Haltung dieser Leerheit, hinter diesem Mißbrauche von Worten, Lächeln und Mienen nicht ein Sinn liege, der bloß seiner Unerfahrenheit entginge. Er würde an jedem andern Orte sich in der langweiligsten Gesellschaft geglaubt haben; hier aber wagte er sich dies nicht einzugestehn. Der Anspruch, mit dem Alle ihr Verfahren durchführten, imponirte ihm; er dachte nur daran, es ihnen nachzumachen, überzeugt, den Inhalt später zu entdecken.

Madame machte, während der König langsam anredend auf der einen Seite den Kreis durchschritt, an der andern Seite die Tour. Beide waren von einigen vertrauten Personen ihres Hofes gefolgt. Madame redete aufs neue die Marschallin von Crecy an und rief dann Leonin mit einem huldvollen Lächeln herbei.

»Sie müssen mir noch Viel von meinem Bruder erzählen; ich weiß, er sah sie gern an seinem Hofe, und ich« setzte sie[55] hinzu, indem sie schnell und schmerzlich die Lippen zusammendrückte, »ich sah ihn lange nicht!«

»Eure Königliche Hoheit würden noch eben so, wie früher, die Schönheit, wie die liebenswürdige Laune Seiner Majestät bewundern können! Wo er erscheint, hat die Freude ihren Thron erbaut,« erwiederte Leonin, in höchster Bewegung, zuerst in diesen Räumen seine eigne Stimme zu vernehmen.

»Ist das ein Lob für einen König?« rief hier Henriette von England mit einem auffallenden Gemische von Laune und Unwillen.

Erschrocken wollte Leonin begütigend antworten, als Alle schnell zurück wichen, und der König, der rasch und unbemerkt näher getreten war, plötzlich neben Madame Henriette und dicht vor Leonin stand.

»Belehren Sie mich, meine schöne Freundin,« sprach er, ihre Worte auffassend, »wie das Lob eines Königs lauten muß, um Ihrem strengen Tadel zu entgehen!«

»Verzeihen Euer Majestät,« antwortete Henriette, »ich fühle, ich bin als Französin zu sehr verwöhnt, um als Engländerin mich mit den Tugenden meines Bruders, insofern ich darin den König erkennen soll, genügsam erweisen zu können. Ist das ein Fehler, haben Euer Majestät mich dessen schuldig gemacht!«

Der König überhörte mit einem hohen Lächeln die schmeichelhaften Worte, und schien bloß die schöne Sprecherin zu bewundern.

»Unser liebenswürdiger Bruder in England sollte in Ihnen, Madame, eine sanftere Richterin finden. Ich zweifle nicht, daß der Hofstaat, den Seine Majestät vorfand, es benöthigt war, durch die Würde eines rechtmäßigen Herrschers in seine Schranken zurück geführt zu werden; und wenn der vollkommenste Cavalier, für den Karl Stuart bei allen Damen von St.[56] Germain galt, dieser Eigenschaft einige gute Laune hinzugefügt, wollen wir dies dem ernsthaften England gönnen, da wir ihm überdies Nichts mehr zu beneiden haben, indem wir ihm Alles geraubt, was ihn über uns hätte erheben können.«

Madame belohnte mit einem holden Erröthen die anmuthsvolle Verbeugung des Königs, der schnell jetzt fragte, wer ihre böse Laune gegen den König gereizt habe?

»Wahrlich,« sprach die Prinzessin begütigend, »diese Absicht lag nicht zum Grunde. Der Sohn unserer lieben Marschallin, der junge Graf Crecy-Chabanne, erscheint seit seiner Abwesenheit im Auslande hier zuerst vor Euer Majestät. Ich verzeihe es ihm, wenn das Andenken an alle Herrscher Europa's, die er sah, hier vor ihm zusammen sinkt.«

Der Blitz aus dem Auge des Königs traf Leonin, der ihn aufnahm unter die Begünstigten, die sich sagen durften: Er kennt Dich!

Die Marschallin, bis zur Erde sich neigend, legte die Hand auf den Arm ihres Sohnes, ihn bezeichnend als den ihrigen – Leonin wollte das Knie beugen. –

»O nicht doch! nicht doch!« rief der König – »hier nicht!« Und schnell verhinderte der Marquis von Vieuville Leonin an dieser Bewegung, indem er ihm zuflüsterte: »hier ist das nicht Styl!«

»Der Marschall von Crecy,« sprach die Marschallin mit unerschütterlicher Haltung, »hat vergeblich auf das Glück gehofft, seinen Sohn Euer Majestät vorstellen zu können. Er ist müde geworden in dem heiligen Dienste für Frankreichs erhabene Herrscher, und die Mutter fühlt aufs tiefste die Gnade, seine Stelle ersetzen zu dürfen.«

»Madame,« erwiederte der König, »der Marschall von Crecy gehört zu den Männern, die selbst, wenn sie aufhören persönlich zu repräsentiren, ein Eigenthum des Vaterlandes[57] bleiben – deren Einfluß so unvergeßlich ist, als ihr Name! Müssen wir den Marschall entbehren, so wissen wir ihm Dank, Madame, uns durch Ihre Gegenwart entschädigt zu haben.«

»Junger Mann,« sprach er dann zu Leonin mit wohlwollendem Tone, »wir freuen uns, den besten Namen unseres Frankreichs fortblühen zu sehen – es ist ein Name, der Sie auszeichnet, es ist zugleich ein Name, den Sie zu fürchten haben, da ein Anspruch jeglicher Tugend mit ihm verknüpft ist, der ein ernster, Viel fordernder Aufruf an Sie selbst wird.«

»Sire, der Wille ist Alles, was ich Euer Majestät zu Füßen legen kann,« erwiederte Leonin mit glühendem Antlitz; »aber er ist, auf Frankreichs Boden von seinen Wundern erzeugt, ein Ausfluß dieser Segnungen, der ihn zu Thaten ausprägen wird!«

Der König streifte mit einem wohlwollenden Lächeln den jugendlichen Anlauf dieser Rede und wendete sich zum Marquis Fenelon, der in devoter Erwartung neben dem jungen Geistlichen stand, den Leonin mit so vielem Gefühle gegen Madame de la Fajette sich hatte äußern hören.

Diesen jungen Mann unterwarf der König der aufmerksamsten Prüfung; und da er ihn unverändert bescheiden, ohne alle Bestrebung, ohne alle Erwartung verharren sah, schien er sichtlich von seiner Erscheinung überrascht.

»In Wahrheit, mein lieber General,« sprach er zu dem Marquis Fenelon, »Sie haben in Ihrem dreiundzwanzigjährigen Neffen einen Philosophen erzogen, der das graue Haupt der Weisheit beschämt. Es thut mir leid zu hören, daß Sie die glänzenden Erfolge unterbrechen wollen, die seine Kanzelreden sich mit Recht erworben. – Ich habe selbst mit Vergnügen seine Rede: Ueber die Wahrheit gegen sich selbst, gehört. Ein wichtiges, unendlich wichtiges Thema, dem wir nicht genug Aufmerksamkeit schenken können! – Und Sie, Abbé Fenelon,[58] bedauern Sie es nicht, einen Schauplatz zu verlassen, der Ihnen so bedeutende Erfolge gab?«

»Mein Oheim,« erwiederte der junge Abbé – der später so berühmte Verfasser des Telemach – »hat sich mehr meinen Wünschen gefügt! Es schien mir schwer, der Aufregung zu widerstehen, in welche dieses öffentliche Auftreten mich versetzen konnte. Der Weg, der mir vorliegt, ist noch so weit, ich habe noch keine geistlichen Pflichten zu erfüllen gehabt; – diese Kanzelreden waren noch nicht gerechtfertigt durch eigne Erfahrungen; – sie mußten mich zum Heuchler machen – zu einem blos leeren Verbrauche des schon Vorhandenen führen – von dem Wege eigner Forschung mich ablenken.«

»Den Karakter fremder, bloß angenommener Ueberzeugungen trugen Ihre Reden nicht,« fuhr der König ernst fort; »ein Geist der Inspiration belebte sie, der oft die Erfahrung überbietet und einer inneren Wahrheit, selbst bei Ihrer Jugend, nicht zu entbehren braucht.«

»Dies dürfte ich mir auch bis jetzt noch zugestehen,« erwiederte ruhig der junge Fenelon. »Der Augenblick, der uns zuerst vor versammelten Christen von den göttlichen Dingen reden läßt, deren Erkenntniß wir unser Leben weihten, ist gewiß von einem Hervortreten aller Kräfte begleitet. Solche Augenblicke überflügeln unsere Fähigkeiten, sie verrathen uns und Andern vielleicht, was erst die Zeit aus uns machen wird. Aber ihr wirklich vorgreifen durch den frühzeitigen Verbrauch dieser Stimmung, ihre Dauer damit verlangen, würde uns in äußerliche Bestrebungen ziehen, die gerade von der Entwicklung unseres Innern ablenken müßten, von der wir doch allein die fortdauernden Gefühle frommer Begeisterung hoffen dürfen.«

Der König betrachtete ihn mit einem Ausdrucke von Achtung, den nur Fenelon übersah, da er ihn nicht veranlaßt[59] glaubte durch jene ruhige Erklärung, die ihm die eigenen Gedanken ganz erfüllte.

»Gehen Sie denn Ihren Weg, Herr von Fenelon,« sprach Ludwig mit Wärme – »Ihr König wird Sie mit seinem Antheile begleiten und, so bald Sie selbst sich reif erklären wollen, den Platz zu finden wissen, welcher Ihnen den würdigen Wirkungskreis sichert, der einer solchen Entwicklung zusagend ist.«

Eben wollte der König sich wegwenden, da ging der Marquis Fenelon den Monarchen an und bat ihn für seinen Neffen um die Erlaubniß, in den geistlichen Orden von St. Sulpice in Paris treten zu dürfen, um unter der Leitung des Subpriors Tronçon das Stadtviertel dieses Namens bedienen zu können.

»Erstaunenswürdig!« rief der König – »der beschwerlichste Dienst von ganz Paris! – Herr von Fenelon, Sie haben meine Einwilligung nur unter der Bedingung, daß Sie Versailles von Zeit zu Zeit zu Ihrem Kirchsprengel zählen.«

Jetzt überzog wirklich ein freudiger Ausdruck das Antlitz des jungen Fenelon. Der König hatte ihn dem unscheinbarsten, mühevollsten Dienste gewidmet; – und als alle Hofleute ihm Glück wünschten, damit die Entrées in Versailles nicht verloren zu haben, zeigte es sich, daß der junge Fenelon diesen Nachsatz überhört hatte, und ihn jetzt erst und ohne alle Exklamationen erfuhr. Man bewunderte ihn laut – aber mit der Ueberzeugung, entweder einen Thoren oder einen vollendeten Heuchler vor sich zu sehen.

Auf Leonin machte dagegen der junge Mann einen Eindruck, der dem Vorwurfe glich. Diese Ruhe, diese Haltung bei den sichtlichsten Zeichen der Gunst, bei dem Bewußtsein, selbst dem Könige Bewunderung und Erstaunen eingeflößt zu haben, griff an sein unruhig klopfendes Herz. Er sagte sich,[60] wie er, durch den bloßen Anblick dieses Hofes aus sich selbst verjagt, ängstlich nach den Erfolgen des Augenblickes haschend, auf dem Wege sei, sich mit der bloßen Nachahmung von Zuständen zu begnügen, die er mindestens als ihm selbst unverständlich erklären mußte. Er war beschämt; aber dies offene Geständniß rettete sein Selbstgefühl und riß ihn aus der kleinlichen Richtung, die ihn verwirrt hatte.

Er bat Herrn von Dreux, ihm dem jungen Fenelon vorzustellen; er wollte dem ehrend nahen, dem er so eben Dank schuldig geworden.

Als sie sich im Gedränge Platz machten, erreichten sie ihn im Augenblicke ernster Unterredung mit einer schönen jungen Dame, die vor dem Jüngling in fast devoter Stellung stand.

»Ach, mein Herr,« sagte sie mit innigem Tone – »Sie durften Ihrem Berufe nicht mißtrauen – und wenn Sie nichts erreicht hätten, als das Gemüth unserer herrlichen Königin gestützt und gestärkt zu haben. Dachten Sie nicht, wie Sie Ihren hartherzigen Entschluß vollführten, an das, was ich Ihnen so viel früher schon über den wunderbaren Eindruck sagte, den die Königin von Ihren Kanzelreden empfing? Ach, und wäre es nur dies gewesen, da es doch so viel mehr noch war, was Sie erreichten – es wäre genug, um zu bleiben!« –

»Halten Sie ein mit Ihren Vorwürfen, die so ehrend, so rührend für mich sind – gegen die fest zu bleiben, so schwer fällt! Niemand bewundert mehr, wie ich, die schöne Hingebung, mit der Sie die theure Frau Königin umgeben; doch lassen Sie mich hinzufügen, Sie erfüllen damit Ihren Beruf; jede Ueberzeugung Ihrer Seele fällt mit Ihren Pflichten hier zusammen. Nicht so bei mir! Ich hörte auf, meinem Berufe etwas zu sein, wenn ich mit der gelegentlichen Einwirkung auf eine Einzige mich begnügen wollte. Der Geist treibt mich anders! In diesen geringen Hofverhältnissen würde ich verschmachten oder[61] falsche Keime treiben – und dann ginge ich auch der Königin verloren.« –

»O, Ihr Männer,« rief hier die junge Dame, und sandte aus Ihren schwarzen, glänzenden Augen einen seltsamen Blitz, halb Unwillen, halb Bewunderung ausdrückend, auf Fenelon – »es ist vergeblich, einen von Euch über den andern erhaben zu glauben; am Ende seid Ihr Euch alle gleich! Das Nahe, der sichere kleine Erfolg, sei er so schön, so edel, als Ihr zu träumen vermochtet, er reizt Euch nicht – Ihr verwerft ihn! Weit in die Ferne müßt Ihr Pläne und Unternehmungen richten – ein Weltruhm muß Euch zu Theil werden, wenn Euer ehrgeiziges Herz befriedigt werden soll!«

»Ob ich vom Ehrgeize frei bleiben werde, mag Gott wissen!« erwiederte der junge Fenelon. »Der Trieb, der uns zu unserer Entwickelung mit Sehnsucht, mit Eifer, mit Entzücken die Füllhörner nach allen Richtungen ausstrecken läßt, um das zu erkennen, was uns förderlich werden könnte, der Trieb ist schön und herrlich – ihn möchte ich nicht jetzt schon durch die Befürchtung in mir verdächtigen, er könne Ehrgeiz werden!«

»Unverbesserlicher!« rief das junge Mädchen – »Ich hätte Viel darum gegeben, wenn ich Ihnen böse werden könnte; denn Sie haben mich empfindlich gekränkt durch Ihr stolzes Zurücktreten. Aber warum sind Sie so unerträglich sanftmüthig – ich sollte es gar nicht unternehmen, mit Ihnen zu streiten, ich behalte niemals Recht!« –

»Und doch haben Sie eben so Recht, als ich, und Keiner sollte dem Andern zürnen wollen, weil er gern seiner Pflicht getreu bleiben will – es muß uns nicht über unsere Absicht verwirren, daß wir in verschiedener Richtung sie erfüllen müssen. Ich verehre Sie so sehr in Ihrer treuen Anhänglichkeit an die Königin, daß ich selbst die gegen mich gerichteten Vorwürfe[62] fast gern höre; denn sie sind eine Konsequenz Ihres vortrefflichen Innern!« –

»Ich will nicht von Ihnen gelobt sein! Sie wissen doch nicht, wie ich's meine – kein Mensch braucht das zu wissen – sie sind mir hier alle gleich! Aber Sie, Fenelon, obwol ich Sie jetzt hasse – Sie hätten mein Verbündeter bleiben müssen!«

»Und das bleibe ich, wenn Sie mich auch jetzt zurückstoßen – Ihr Herz denkt anders, und vielleicht treffen unsere Wege noch einmal wieder zusammen.«

»Mit dem Geistlichen von St. Sulpice?« erwiederte sie, fast weinend. »Wo soll ich den wiederfinden? Nein, nein, ich will gleich und für immer von Ihnen Abschied nehmen! Adieu, Fenelon, stolzer Fenelon!« – Sie wollte gehen – sie blieb stehn – kindlich lächelnd, setzte sie halb leise hinzu: »Lieber Fenelon, kommen Sie morgen noch zur Königin?«

»So lange ich in Versailles bleibe, alle Abende,« sagte der junge Geistliche.

»O, Sie guter, edler, bester der Menschen!« rief sie und wendete sich von ihm in dem Augenblicke, wie Herr von Dreux mit den Worten vortrat: »Herr von Fenelon, der Graf von Crecy-Chabanne wünscht Ihnen vorgestellt zu sein.«

Die junge Dame blieb stehen; der kälteste, hochmüthigste Blick dieser glanzvollen Augen streifte Leonin – sie erwartete seine Anrede mit der bizarrsten Verletzung der Schicklichkeit, wendete sich dann so geringschätzig als möglich ab und war bald unter der Menge verloren. – Kaum war seine flüchtige Unterredung mit Fenelon vorüber, als er gespannt, erschrocken fast Herrn von Dreux fragte, wer die Dame gewesen, mit der Fenelon gesprochen habe? –

»Es ist die Tochter des Herzogs von Lesdiguères, das erste Hoffräulein der Königin, und trotz ihrer Jugend die Freundin und Vertraute der erhabenen Frau!« –[63]

Als er zu seiner Mutter zurückkehrte, fand er sie im Gespräche mit einer älteren und einer jungen Dame; in Letzterer erkannte er Mademoiselle de Lesdiguères. Die Marschallin von Crecy rief ihn sogleich heran. »Madame,« sagte sie zu der älteren Dame, »erlauben Sie, daß ich Ihnen meinen Sohn vorstelle. – Die Frau Herzogin von Lesdiguères,« wandte sie sich zu Leon in, »hat Deine Mutter von Jugend auf mit ihrer Freundschaft beglückt. Schon von Fräulein von Reetz genoß Fräulein Soubise diesen Vorzug – jetzt, nach langer Trennung, finden wir uns wieder.«

»In Wahrheit,« rief die alte Dame, den Jüngling mit vielem Kopfnicken begrüßend – »Mademoiselle de Soubise war unser aller Bijou, als wir Kostgängerinnen waren bei den Ursulinerinnen; und es freut mich, daß ich in Ihnen einen schönen jungen Mann sehe – das wird Ihnen lieb sein, meine Theure; denn immer hatten Sie ein stolzes Herz, wie Ihnen das zukam, und ich es gern leiden mag. – Victorine,« fuhr sie fort, Leonin's Antwort unterdrückend und sich zu ihrer Tochter wendend, »Du mußt mit dem jungen Manne gut Freund werden; was die Mütter anfingen, müssen die Kinder fortsetzen.«

»So viel Güte, so viele glückliche Aussichten zu verdienen und zu rechtfertigen,« erwiederte Leonin, fast seine Worte aufdrängend, »wird eine schwere, aber zu theure Aufgabe sein, um nicht mit allen Kräften nach ihrer Lösung zu ringen.«

»Bemühen Sie sich nicht darum« – erwiederte Mademoiselle de Lesdiguères, »ich liebe so etwas nicht mit anzusehen! Auch, denke ich, hat Madame de Crecy eine Tochter, der ich mich schon anschließen will.«

Alle lachten bei diesen Worten, und das Fräulein selbst sah nicht so bös aus, als ihre Worte klangen.

»So stolz zurückgestoßen,« rief Leonin, »fordern Sie mich gerade damit zum Kampfe auf. Ich gelobe Ihnen hiermit[64] feierlich, wie Sie auch meine kleine liebe Louise mir eben vorziehen, ich will nicht eher ruhen und rasten, als bis Sie, gerade Sie meine Freundin sind!«

Sie sah ihn hochmüthig an, lachte aber dann einen Augenblick mit den Andern, und indem sie Louise an sich zog, rief sie: »Ist das der liebenswürdige Bruder, von dem Du mir so Viel erzählt hast? Ich erkläre ihn für den anmaßendsten Mann des Hofes.«

»Thun Sie, was Sie wollen,« lachte Leonin, »mein Entschluß bleibt derselbe, und ich rathe Ihnen, machen Sie sich den Rückschritt nicht zu schwer, indem Sie sich so weit von mir entfernen.«

Victorine zuckte mit den Achseln und überflog ihn mit halbem Lächeln. Die Marschallin aber, bemerkte Leonin voll Erstaunen, die ein so formloses Wesen sonst nur allzu schnell mit einigen Worten würde zu dämpfen gewußt haben, sah mit der huldvollsten Miene auf das junge Mädchen und lachte mehr, als sie sonst für schicklich gehalten hätte. Madame de Lesdiguères aber schien überhaupt, von völlig ungezwungenen Manieren, keine Rücksichten zu kennen, als die ihr bequem waren.

»Sagt' ich es Ihnen nicht, liebe Soubise, das Mädchen hat einen Kopf von Erz – den will ich sehen, der etwas Anderes hineinbringt, als was sie selbst hereinthut. Aber ich war eben so, und es macht mir jetzt Spaß, daß sie vor meinen alten Augen meine alten Jugendstreiche mir wieder vorspielt.« –

Es war der Frau Herzogin schwer zu glauben, daß sie wie ihre Tochter gewesen, wenigstens, daß es ihr so gut gekleidet; denn man konnte keinen größeren Gegensatz sehen, als diese kleine, kugelrunde Gestalt gegen den hohen, schlanken Wuchs der Tochter, und ihr blasses, regelmäßiges Gesicht gegen das breite, rothe, verzeichnete Gesicht der Mutter. Dabei zeigte die Tochter nur eine nöthige Eleganz; die Mutter aber[65] war mit Perlen, Juwelen und Stickereien beladen und trug dies alles ungeschickt an sich herum, wie eine schwere, aber nothwendige Pflicht.

»Nun, Marschallin,« fuhr sie fort, »das soll ein Spaß werden, zuzusehen, wie die Beiden sich necken werden! So machte ich es auch mit Monsieur de Lesdiguères, der damals noch nicht Herzog war. Man hätte denken können, wir haßten uns – aber nichts weniger, als das! In Jahr und Tag war ich seine Gemahlin.«

Sichtlich bemüht, diese Worte zu unterbrechen, hatte die Marschallin versucht, sich Victorinen zu nähern, die, glühend vor Zorn, Leonin den Rücken zugewendet hatte, als der König plötzlich Victorinen entgegen trat. – Die Etikette verhinderte jetzt jeden Schritt, aber auch jedes Wort, und so war die alte Herzogin wenigstens zum Schweigen gebracht.

»Es scheint mir ein gutes Zeichen für das Befinden der Königin, Sie hier zu sehen,« sprach Ludwig und legte eine auffallende Verbindlichkeit in seinen Ton.

Victorine verneigte sich bis zur Erde und blieb dann starr, mienenlos, ohne einen Laut zu erwiedern, vor dem Könige stehen.

»Haben Sie die Königin bei ihrer heutigen Spazierfahrt begleitet?« fuhr er nach einer Pause fort, in welcher er unruhig auf Antwort gehofft hatte.

»Zu Befehl!« entgegnete Mademoiselle de Lesdiguères mit festem, kaltem Tone. – »Doch dauerte diese Fahrt nicht lange; Ihre Majestät ließen an dem Hotel Biron umlenken, da der Wagen durch den Ausbau des Palais von Gerüsten und Arbeitern am Weiterfahren gehindert ward; und da die Frau Königin sich nach der Rückkehr übel befanden, so befahlen Sie uns, Madame Ihre Entschuldigungen zu bringen, und behielten allein Molina (ihre spanische Kammerfrau) bei sich.«[66]

Der König hörte gespannt und mit sichtlicher Unruhe zu. »Ich fürchtete das nicht, obwol man mir sagte, daß die ungebührlichen Bauanstalten vor dem Hotel Biron die Königin belästigt hätten. – Die strengsten Befehle sind gegeben, sie spurlos zu beseitigen. Ich werde die Königin heute noch besuchen und sehe Sie am liebsten in der Nähe meiner Gemahlin!«

»Vielleicht,« erwiederte Mademoiselle de Lesdiguères mit plötzlich verändertem Wesen und freudestrahlenden Augen, »erlauben Euer Majestät, daß ich mich sogleich zu meiner gnädigen Gebieterin begebe, sie auf diese Freude vorzubereiten?« –

»Thun Sie das, meine Liebe! Ich weiß, Sie sind uns beiden ergeben,« erwiederte der König mit der huldvollsten Herablassung – und die junge Dame verneigte sich und war augenblicklich verschwunden.

Es lag ein Schatten auf der Stirn des Königs, und Niemand wagte ihm zu nahen – als Henriette von England vortrat, und der König in demselben Augenblicke die Töne eines im Nebenzimmer beginnenden Concerts hörte. Mit der verbindlichsten Anmuth nahm er die Einladung der Prinzessin an und folgte ihr in die Zauberhallen, die sich vor ihm öffneten, und aus denen, hinter den vollsten Gebüschen von Orangen, Rosen und Myrten die hinreißendsten Gesänge und Musikstücke erklangen, die Jean Baptiste Lully mit seinem wohlgeübten Orchester aufführte, und von denen der König, der den Künstler zu seinem Kapellmeister und Liebling erhoben hatte, stets sich entzückt zeigte. Er war der Schöpfer der französischen Musik, der alle die damals angestaunten Wunder der Töne, Modulationen und Tempi ersann, wie sie vor ihm nicht existirt hatten. – Während dem führten in den anmuthigsten Windungen die schönsten Kinder, als Genien gekleidet, pantomimische Tänze zwischen den Gebüschen auf, welche in sinnvollen Gruppen, in leisem,[67] flügelartigem Dahinschweben, wie personifizirte Töne, die Harmonieen des verborgenen Orchesters zu verstärken schienen. Es war kaum möglich, daß der König bei einem Feste gegenwärtig sein konnte, ohne irgend eine schmeichelhafte Beziehung für sich zu erfahren. Doch dies Mal war es schwer, sie zu entdecken; denn das ganze reizende Schauspiel zog sich wie eine Chiffernsprache vor den Augen der Andern hin. Madame schien allein den Schlüssel dazu zu haben, und mit anmuthigen Worten und Mienen während der Dauer der Aufführung dem Könige die Erklärung zu geben. Alle Uebrigen sahen nur eine Pantomime. – Einmal zeigten sich die Wappen Englands und Frankreichs, beide, wie angedeutet war, auf französischem Boden; dann schwebte der Genius der Gerechtigkeit herab und löste das englische Wappen vom französischen Boden, damit entfliehend. Das französische Wappen wuchs, und Genien umkränzten es.

»Habe ich nicht Recht mit Dünkirchen?« flüsterte der Marschall Tessé dem Herzoge von Rochefaucault zu – »die schlaue Prinzessin hat Seiner Majestät die Schlüssel von Dünkirchen übergeben, und nun muß die Gerechtigkeit das Wappen Englands vor den Augen des Königs von dem Boden Frankreichs fortschleppen!«

»Ja,« lachte der Herzog – »hier besiegt immer Einer den Andern – ich halte heute Fräulein von Lesdiguères für die Siegreichste in diesem Kreise!« –

»Das macht, weil sie eine schon halb überwältigte Festung vorfand,« fiel ihm der Marquis de Souvré ins Wort; »ich möchte nicht derjenige sein, der die Befehle für die Ausstattung des Hotel Biron überschritt!«

»Sollen denn die Bevollmächtigten eines königlichen Willens, der selten den kleinsten Aufschub gestattet, auch bedenken, welche Veränderung ein solcher Wille in vier und zwanzig Stunden erleiden kann?« sagte der Herzog von Rochefaucault.[68]

»Nun,« meinte Madame de Sablière, »die Nerven der Königin hätte ich mir abgehärteter gedacht. Die neue Herzogin von Lavallière wird ihr Hotel nur vier und zwanzig Stunden später beziehn, und Nichts wird unterbleiben, was hier eingeleitet ist. Wenn die Erschütterung vorüber, die Seine Majestät durch den Unfall der Königin erfahren, werden die Anstalten ihren alten Gang vorwärts gehn.«

»Darunter wird Niemand mehr leiden, als Madame de Lavallière selbst,« bemerkte der Marquis de Souvré; »in ihr möchte Seiner Majestät das größte Hinderniß zu besiegen haben.«

Alles horchte auf und blickte den Marquis erwartungsvoll an. Jeder war überzeugt, er wisse mehr; man wünschte, er theilte sich mit – doch schwieg er mit der überlegenen Miene, mit der er sich stets zu sichern schien, und geschäftig trat ein Kammerdiener von Madame an ihn heran und rief ihn zur Prinzessin.

Der König hatte sich erhoben. Obwol das obige Gespräch nur flüsternd vorging und durch hunderte von Menschen vom Könige getrennt war, so schwieg dennoch augenblicklich Jeder, als er sich erhob, und sein königlicher Blick die Versammlung überflog.

»Die Prinzeß de Lesdiguères hat gesiegt,« sagte der Herzog von Rochefaucault – »er nimmt Abschied von Madame und geht zur Königin!«

»O,« rief der Graf Guiche, »wie schwer mag es ihm werden, die einsam weinende Lavallière ohne Trost lassen zu müssen. Welche Widersprüche mögen sein edles, gefühlvolles Herz bewegen!«

»Sein Sie nicht zu gefühlvoll, Graf Guiche!« lächelte der Herzog. »Solch' hervorstechendes Mitgefühl richtet die Blicke auf Sie – man macht Folgerungen – man glaubt Sie zu verstehen – genug, das sind alles Dinge, die ein junger[69] Mann, wie Sie, nicht gebrauchen kann. Nähern wir uns lieber jetzt – der König ist fort – Madame sucht ihre zurück gebliebenen Freunde.« –

Als Leonin spät in der Nacht die Zimmer der schönen Henriette von England verließ und sich endlich in den seinigen allein sah, wollte er es unternehmen, an Fennimor zu schreiben; da am andern Tage sein vertrauter Diener nach Ste. Roche gehen sollte, beladen mit den anmuthigen Schätzen, die Paris dem Reichthume darbot. Aber er suchte sich vergeblich dazu zu sammeln. Der König – Madame Henriette – sein eigenes Betragen – Fenelon – und vor Allen die junge Prinzessin von Lesdiguères traten mit Ansprüchen an seine Gedanken dazwischen, die er nicht abzuweisen vermochte. Er war nichts weniger, als zufrieden mit sich – er hatte es weder vermocht, sich dem neuen Tone anzuschließen, wie es seiner Eitelkeit genug gethan hätte, noch war er sich selbst getreu geblieben, den Zwecken und Absichten gemäß, die er verfolgen mußte, um Fennimor's Glück zu begründen. Die Ausbeute des Augenblicks hatte ihn allein in Anspruch genommen. Er war sich einer Menge Vorsätze und Einflüsterungen bewußt, die er mit innerlicher Heftigkeit verfolgt hatte, und deren Gelingen nothwendig eine andere Zukunft herauf führen mußte.

Er trat an das Fenster, um Luft zu schöpfen. Es war eine milde Nacht, wie sie der Winter Frankreichs zu erhalten weiß. Das Palais Crecy gestattete einen Blick auf die Gärten von Versailles. Die geschnittenen Bäume und Hecken behielten Körper und gaben Schatten, obwol vom Laube entkleidet, und der Mond zeichnete sie auf den zierlichen Parterres der Gärten, während über die dunkeln Bassins Schwäne segelten, als zögen sie den Sternbildern nach, die auf dem ruhigen Spiegel vor ihnen schimmerten. – Dahinter lag das große Schloß mit seinen vorspringenden Pavillons, mit allen Vorzügen, die der[70] Mondschein der Architektur verleiht, anscheinend in Stille versenkt, von keinem Lichtschimmer mehr erhellt.

»O,« rief Leonin, zur Ruhe gesprochen von diesem unerschütterlichen Walten der Natur, »wie ist Dein Bereich das einzig wahre Element für eine bessere menschliche Existenz! Wie findet man in Dir Harmonie und Gleichmaaß der gestörten Empfindung wieder – wie giebst Du uns unsern bessern Theil zurück, wenn in dem Bereiche der Menschen Alles verdrängt und verjagt wird, was in ihre angekünstelten Zustände störend eingreifen will! – Und doch haben sie Macht über mich,« fuhr er schmerzlich fort »doch ward ich von ihnen verführt und trachtete in ihnen unterzutauchen – so groß ist ihr falscher Schein!«

»Fennimor, mein unschuldiges reines Naturkind – wie würdest Du erstaunt Deinen Liebling anblicken und das Zeichen fühlen, das der Böse macht, um seine Opfer wieder zu erkennen! O, sende Deine Engel,« rief er, die Hände ringend, »damit ihre Thränen es auslöschen!«

Er blieb so stehen, mit einem Schmerze, der größer war, als ihn dieser Abend hatte verschulden können. Aber er strafte die Ahnung daran geknüpfter größerer Verschuldungen für die Zukunft, und Leonin schob die Schwäche, mit der er sich diesen Lockungen hingegeben, auf Rechnung ihrer Stärke. Er erkannte nicht, daß, wenn er einen Karakter gehabt hätte, er ihn gerade da hätte behaupten können, wo die verschiedensten Elemente Platz neben einander fanden. Er vergaß, daß Fenelon in der Einsamkeit seines Studirzimmers wahrscheinlich eben so war, wie er ihn vor dem Könige gesehn, und er hob jetzt die eitle, triviale Seite so stark hervor, nicht allein um sich damit zu trösten, sondern, weil ihr anmaßendes Hervortreten, ihr scheinbarer Glanz ihm am schnellsten imponirt hatte; weil er durch den Versuch, sich ihr anzuschließen, in seiner eignen Achtung verlor und diese auf dem falschen[71] Wege wieder zu erlangen trachtete, daß er sich das Maaß der Versuchung vergrößerte.

Wie aber halbe Selbstgeständnisse immer einen trüben Grund zurücklassen und die Mittel zu unserer Besserung verdecken, so fühlte Leonin auch jetzt keine Erquickung von seinem Selbstgespräche, sondern ein Zürnen mit der Außenwelt, und doch ein Verlangen nach äußerer Hülfe – und so entstand eine lange nicht empfundene Sehnsucht nach Fennimor; und wenn sie dies Gefühl auch nicht auf dem reinen Wege erreichte, der ihr gebührte, so führte es ihn doch zu ihr zurück – er verschloß das Fenster und eilte an seinen Schreibtisch. Hier lag ihr letzter Brief. – Dieses holde Reden mit ihm, was ihr Leben geworden war, diese rührenden, arglosen Liebesbeweise, diese Erinnerungen an jede Stunde, deren Wichtigkeit sie von ihm getheilt glaubte – wie trafen sie sein Herz, da er sie erst jetzt las oder früher übersehen hatte, weil er sich nicht gleich die Beziehungen zurück rufen konnte.

»Den Eudoxien-Thurm habe ich ganz herstellen lassen,« schrieb sie, »ohne daß man die Ueberreste der armen Gemordeten berühren durfte. Der Kamin ist geräumt, täglich erhellt ihn die Flamme, und der Altan ist nun auch ein schönes Plätzchen geworden! Wenn die Sonne scheint, trete ich hinaus und übersehe den Weg, den ich Dich zuletzt dahin eilen sah, und fühle dann an meinem Herzen einen Schmerz, der so wehe thut, wie die blutende Wunde der armen Eudoxia. Dann bete ich oft vor ihrem kleinen Betpulte und bitte Gott um ein frommes Herz, damit ich Dich nicht Deinen Pflichten entziehe, sondern stille harre, bis der Segen der Aeltern Dich zu mir zurück führt. – Wie viel Thränen mag hier die arme Eudoxia geweint haben. Wenn ich das kleine kunstreiche Pult betrachte, so denke ich oft, ich müsse die Spur ihrer Thränen noch darauf entdecken können; und als ich sie heute Morgen[72] wirklich entdeckte, erschrak ich fast; denn ich hatte vergessen, daß es meine eigenen waren.

Den Harfion hat mir ein Mönch aus der Abtei Tabor neu besaitet. Er lehrt mich die Stimmung und die eigene Weise, ihn zu spielen. Schon habe ich Fortschritte gemacht – da ich aber nur in Eudoxiens Zimmer spiele, so ist mein Fleiß nicht groß.«

In dieser Weise waren viele Blätter angefüllt, zierlich und fein geschrieben mit der eigenthümlichen Geradheit der Linien und Buchstaben, die ihren Schriftzügen fast eine Portraitähnlichkeit mit ihrem ganzen Wesen gaben. Leonin vertiefte sich in sie, und die nur verdeckt liegende Empfindung für sie wurde erweckt durch das süße kleine Wellengekräusel ihrer Worte. Er fühlte sich der Liebende wieder, und was er schrieb, trug den Karakter dieser Empfindung.


Als Leonin am andern Morgen sich anschickte zu seiner Mutter zu gehn, war er fester, wie früher, entschlossen, ihr jeßt selbst seine Verbindung mit Fennimor anzuzeigen und ihren Rath, ihren Beistand zur Ausgleichung dieser Verhältnisse aufzurufen. – Gehoben durch diesen Entschluß, fühlte er sich zufriedener, und sein Ausdruck gewann unwillkürlich an Ernst und Würde. –

Als er den kleinen Salon betrat, in welchem die Marschallin ihre Morgenstunden zubrachte, ruhte sie behaglich auf einem Armstuhle in der Mitte des Zimmers, dem Fenster zunächst, an welchem Mademoiselle Louise auf einer kleinen Erhöhung saß, in eine nebelartige Draperie gehüllt, das Haar halb aufgelöst und mit einigen Blumen phantastisch geschmückt. Vor ihr saß ein junger Mann mit Palette und Pinsel und[73] vollendete vor dem reizenden Originale ein großes Portrait der liebenswürdigen Louise. Die Marschallin überlief ihren Sohn nur mit einem Blicke und wußte gleich, es solle heut' Entdeckungen geben, die sie nicht hören wollte. Sie erhob daher ihre Stimme augenblicklich noch mehr als zuvor, um dem Sohne anzudeuten, daß sie inmitten einer Rede sei und reichte ihm blos lächelnd die Hand zur Bewillkommnung.

»Ich sage Ihnen aber, mein lieber Lesüeur, Ihre ewigen Grillen mit dem armen Lebrun sind aus der Luft gegriffen – er denkt nicht daran, Sie beim Könige verkleinern zu wollen! Gestern Abend noch sagte Seine Majestät, er habe von dem schönen Portrait gehört, das Sie von Mademoiselle Louise machten, und ich erhielt die Erlaubniß, es ihm präsentiren zu dürfen.« –

Der Eindruck, den Lesüeur von dieser Hoffnung erhielt, war sichtlich erheiternd. Er stand auf und neigte sich tief vor der Marschallin, und Leonin hatte nun Gelegenheit, sich dem berühmten Künstler zu nahen, dessen damals sehr bewunderte Bilder aus dem Leben des heiligen Bruno für das Karthäuserkloster in Paris, ihn zu einem Rival Lebrun's gemacht hatten, dessen glänzendes Genie Keinen neben sich dulden wollte.

Aber schon trug Lesüeur die Farbe der Krankheit, die seinem Leben ein frühes Ziel setzte, auf dem Antlitze. Seine Wangen waren eingefallen, und ein Paar kränklich rothe Flecke unter den Augen contrastirten, Unheil verkündend, mit der gelblichen Farbe der Haut. Doch konnte Niemand dieses edle Opfer unermüdlichen Fleißes ohne Antheil und Achtung betrachten. Diese seelenvollen, großen, schwarzen Augen schienen um den Mangel der physischen Kraft zu klagen, die der sprudelnde Geist zu seinen Schöpfungen begehrte. – Seine schlanke, magere Figur war frühzeitig gebeugt, seine Kleidung immer zu weit, und wenn auch sauber, doch zerstreut angelegt, ohne die[74] Verheerungen zu verbergen, welche schon von dem Vorschreiten der Krankheit zeigten. Seine Sprache war abwechselnd rauh, oder leise und schwach, die kleinste Veranlassung schreckte ihn auf und erfüllte ihn mit Einbildungen. Er hielt sich verfolgt und gekränkt, er mißkannte seine Erfolge und glaubte sich von Niemand geschätzt und gewürdigt. Auch that Lebrun Manches gegen, Nichts für ihn, welches ihm um so leichter durchzuführen wurde, als er der Modemaler geworden war, dessen Name die Menge von der Nothwendigkeit erlöste, selbst zu prüfen und ihr die Bequemlichkeit sicherte, eine Bewunderung zeigen zu dürfen, die sie nicht nöthig hatte zu beweisen; da der Name Lebrun für ihre fehlende Beurtheilung gut sagte.

Eben hatte Lesüeur der Marschallin geklagt, wie Lebrun ihn verfolge, und Wahrheit und Täuschung mengten sich krankhaft durch einander, was die kluge Frau, die herrschende Mode, Künstler und Gelehrte zu beschützen, mitmachend, mit voller Beredsamkeit in Lesüeur zu mildern gesucht hatte.

»Hier, mein Lieber,« sprach sie zu ihrem Sohne – »eilen Sie, die angenehme Bekanntschaft unsers berühmten Lesüeur zu machen und bewundern Sie dann das bezaubernde Bild von Mademoiselle Louise, welches wir ihm verdanken werden.«

Dies that Leonin mit der ganzen Freundlichkeit, die seinem wohlwollenden Herzen so natürlich war, und berührte dadurch das Gemüth des Künstlers wahrhaft erquickend; aber noch wohler that ihm das Entzücken, mit welchem Leonin das Portrait seiner geliebten Louise betrachtete, das, wenn auch im Geschmacke der Zeit etwas nebelartig und phantastisch aufgefaßt, doch keinem Zeitgenossen anders, als ein vollendetes Kunstwerk erscheinen konnte.

Er nöthigte Lesüeur, an seine Arbeit zurück zu kehren, und nahm an seiner Seite Platz, mit Interesse die fortschreitende Arbeit des Künstlers verfolgend.[75]

»Und dieser Mann, den Sie mit Recht so bewundern, mein Sohn,« – fuhr die Marschallin im trockenen Protektionstone fort – »können Sie denken, daß er mich den ganzen Morgen schon in Arbeit erhält, um ihm seine thörichten Einbildungen zu verjagen, weil er sich überredet, Lebrun sei Schuld, daß der König seine schönen mythologischen Bilder für das Hotel Lambert nicht erlaubt hat, im Louvre auszustellen?«

»Ach, Madame,« seufzte Lesüeur leise – »Euer Gnaden sind so gut, daß Sie von der Bosheit der Menschen keine Vorstellung haben – der Herzog von Rochefaucault war ja schon völlig von der Einwilligung des Königs überzeugt, als er plötzlich über die ganze Sache schwieg und endlich die Achseln zuckte. Was konnte das Anderes bedeuten, als daß Seiner Gnaden mir den Grund verschweigen wollten?«

»Wie das nun aus der Luft gegriffen ist und eigentlich Nichts beweist!« fuhr die Marschallin fort. »Der Herr Herzog kann ja so viel verschiedene Gründe gehabt haben, zu schweigen, wie Seiner Majestät, es abzuschlagen!«

»Ja,« sprach Lesüeur heftig, »aber le Beaume, der Kammerdiener Seiner Majestät, sagte mir, Lebrun habe an dem Tage eine Audienz bei dem Könige gehabt. Da wird Seiner Majestät ihn über den Werth der Bilder befragt haben, und Lebrun wird sie der Ehre unwerth erklärt haben, im Louvre ausgestellt zu werden.«

»Nun, weiß Gott,« rief die Marschallin lachend, »wenn solch' ein eigensinniger Künstler Recht haben will, dann wird ihm die gesunde Vernunft selbst dienstbar, seine tollen Behauptungen zu unterstützen! Klingt es nicht, als ob er Recht hätte? Und doch ist es nicht wahr, das möchte ich beschwören – Und ich will es heraus bekommen, verlaßt Euch darauf! Und ist es so, schaffe ich Euch Genugthuung – der Gram soll nicht auch noch an Eurem Herzen nagen!«[76]

»Ach,« rief Lesüeur, »es hat mein Herz so tief getroffen, daß Hilfe zu spät kommt, fürchte ich. Ich bin öffentlich lächerlich damit gemacht, verachtet und dem Hofe bloß gestellt. Denn schon hatte sich das Gerücht dieser Ehre verbreitet, und ich hatte Glückwünsche darüber empfangen. Wollte Gott, ich wäre weit weg von Paris! Die Steine auf der Straße sehen mich an, und ich zittere, irgend wem zu begegnen, der mich kennt!« –

»In Wahrheit, Lesüeur,« erwiederte die Marschallin, als der kranke Künstler ermattet sich in seinem Stuhle zurücklehnte, und große Schweißtropfen seine Stirn bedeckten – »es wäre besser, Ihr verließet auf einige Zeit Paris; und statt zu arbeiten, genösset Ihr etwas die Landluft, die Euch, trotz der vorgerückten Jahreszeit, bei der Milde dieses Winters zusagen würde. – Geht auf meinen Plan ein, und ich gebe dem Intendanten Befehl, auf meinem Schlosse Moncay Alles zu Eurem Empfange bereit zu halten. Dort gehet und fahret spazieren und begleitet die Jäger zur Jagd! Ihr seid in Wahrheit krank und habt eine Krankheit, die Paris, das Louvre und Lebrun heißt, und die Ihr nur los werdet, wenn Ihr ihr entlauft!«

Lesüeur war tief bewegt – zu sehr, um seiner Stimme vertrauen zu können. Er arbeitete deshalb still fort, und wenn er den engelschönen Ausdruck von Louisens theilnehmenden Augen zu kopiren vermocht hätte, mußte dies Bild allein ihn unsterblich machen.

Leonin aber fühlte sich bezaubert von dem Talente des Künstlers, und je mehr er sich überzeugte, Louise selbst in all ihrer Schönheit und Jugend und dem rührenden Ausdruck ihrer Seele trete aus der Leinwand hervor, um, entfernt von dem Originale, Jedem zu sagen, welch' ein reizendes Wesen sie sei – je glühender fühlte er das Verlangen, so Fennimors Bild zu besitzen; und die Hoffnung, auf diese Weise seiner Mutter[77] einen vortheilhaften Eindruck zu geben, unterstützte immer entscheidender sein eigenes Verlangen.

Belebt von diesem Zwecke, suchte er ein Gespräch mit Lesüeur einzuleiten und sein Vertrauen zu gewinnen; auch war dies nicht schwer. Krankhaft reizbar, war er eben so empfänglich für eine edle Behandlung, der seine eigene Richtung vollkommen entgegen kam. Er zeigte eine feine, künstlerische Bildung, ein vollkommenes Studium der klassischen Kunst, und obwol er Frankreich nie, Paris kaum verlassen hatte, kannte er doch aus Kupferwerken und Copien die italienischen Schulen, betete Raphael als seinen Schutzheiligen an und glaubte vorzüglich in diesen letzten mythologischen Bildern die Erfolge seiner Studien dargethan zu haben.

Als die Sitzung aufgehoben war, begleitete ihn Leonin und beredete ihn, sein Zimmer zu betreten, unter dem Vorwande, seine Equipage zu bestellen, um den sichtlich erschöpften Künstler nach Hause bringen zu lassen. – Hier kam er auf den Plan der Marschallin zurück, daß Lesüeur aufs Land gehen solle – und schlug ihm endlich vor, Ste. Roche statt Moncay zu wählen, und abwechselnd dem Umherschwärmen im Freien und einer Arbeit zu leben, die er ihm dort aufzutragen dächte.

Lesüeur war hingerissen von Leonins Betragen – voll Sehnsucht, Paris zu verlassen. Das Portrait der Mademoiselle Louise war fertig – vorläufig hielt ihn Nichts – und ehe sie sich trennten, hatte Leonin sein Wort. Die Abreise des Kammerdieners ward einen Tag aufgeschoben, damit er Lesüeur mit aller Sorgfalt, die seine Gesundheit erforderte, nach Ste. Roche begleiten könnte.

»Was Sie dort für Arbeit finden, wird Ihnen ein Brief mittheilen, den Sie unterwegs lesen werden,« setzte Leonin lächelnd hinzu – »seien Sie sicher, der Gegenstand wird Sie begeistern!«[78]

In diesem Briefe verläugnete er Fennimor als seine Gemahlin nicht; doch mit dem ausdrücklichen Verlangen, hierüber noch das größte Geheimniß zu bewahren.

Erst, als er Alles zu dieser Reise bei seinem gewandten Kammerdiener eingeleitet hatte, fühlte er sich geneigt, zu seiner Mutter zurück zu kehren.

Die Marschallin hatte seine Rückkehr nicht erwartet und war einen Moment unangenehm davon überrascht; denn sie sah es ihm an, er bestand hartnäckig auf seinem Vorsatze, ihr Vertraun zu erzwingen; und sie mußte Anderes ersinnen, ihn abzulenken.

»Nun, mein Lieber, kommst Du jetzt, Dir gnädige Strafe von Deiner Mutter zu holen?« rief sie ihm entgegen.

»Wenn meine geliebte Mutter die Gnade hat, mir zu sagen, womit ich sie verschuldet habe,« rief er arglos – und von dem leisesten Lächeln dieses spröden Mundes wie bezaubert, setzte er sich, mit der größten Zärtlichkeit in Blick und Miene, an ihre Seite.

»Nun,« sagte die Marschallin, mein Tadel wird nur die Bestätigung davon sein, daß Frankreich das vollkommenste Land der Erde ist; daß man alle Länder, alle Höfe bereist haben kann, und doch an dem hiesigen Hofe als ein Neuling erscheinen und die Schule von Vorne durchmachen muß. Sie sah bei diesen Worten anscheinend ruhig vor sich nieder; doch entging es ihr nicht, wie Leonin's Antlitz mit Purpur überzogen ward, und er die empfindlich glänzenden Augen unruhig auf und nieder schlug.

»Ich bin bekümmert – lassen Sie mich hinzusetzen, erstaunt, zu erfahren, daß ich diese Betrachtung auf mich anwenden soll!« erwiederte er endlich – »fremd habe ich mich allerdings bei Hofe noch gefühlt; aber dies schien mir keine Verschuldung oder doch eine solche, die alle Andern gegen mich theilten.«[79]

»Das war es eben, mein Lieber! Sie lassen sich imponiren – Sie zeigen keine Haltung – Sie sind nicht bei sich und reflektiren sich selbst – mit einem Worte, Sie haben nichts Vornehmes in Ihrer Art und Weise! Ein Vornehmer, mein Lieber, muß nie in den Fall kommen, mit irgend Etwas fremd zu sein. Er muß überall mit ruhiger Gleichgültigkeit zu Hause scheinen – er muß mit sich selbst ein bestimmtes, von den Grazien des Anstandes gelehrtes Gefallen treiben, das ihm Unterhaltung und Beschäftigung gewährt und das Publikum zu ihm heranzieht, dessen Theilnahme er benöthigt ist. Sie müssen nie daran denken, sich dem Einen oder Andern anzuschließen. Sie, Sie selbst müssen da stehen, daß man sich an Sie anschließe! Dazu gehört, daß Sie zu Anfange sich kalt in sich zurückziehen – daß Niemand erfahre, ob oder was für Meinung Sie haben, daß man sich Ihnen nähert, sie zu erfahren; dann werden Sie Sicherheit bekommen, Ihre Meinungen auszusprechen, und diese müssen entscheidend, untrüglich und Alles überrennend sein. Sie müssen damit das Programm vertheilen, wie man sich gegen Sie zu verhalten hat, und in welcher Weise Sie sich verhalten wollen. Ob dabei Ihrerseits Irrthümer nachzuweisen sind, ist vorläufig gleichgültig – Irrthümer sind besser, wie Unsicherheit; und stehen Sie erst fest und wollen Etwas ändern, so steht Ihnen dann das Recht zu, jede Laune einzuschalten.«

Vielleicht war es Fennimor's guter Engel, der herbei eilte und mit seinen Thränen das neue Zeichen wegzuwischen trachtete; denn Leonin fühlte es kalt über sein Herz gleiten, als er die Rolle vor sich entwickelt sah, die er hier lernen sollte, den Beifall seiner Mutter zu gewinnen.

»Madame,« sagte er kalt, »ich fürchte, ich werde nie ein vornehmer Mann in Ihrem Sinne!«

»Das bilden Sie sich nur ein, mein Kind,« erwiederte die Marschallin unerschüttert – »Sie werden in kurzem einsehen,[80] daß dies der einzige Weg ist, sich in der Masse hervorzuheben, daß es Alle so machen, die, wie Sie, einen vornehmen Namen zu behaupten haben; und ich weiß sogar bestimmt, Sie werden diesen Weg gehn, ja, Sie würden ihn entdeckt haben ohne meinen Rath. Doch würde ich ungern Zeuge Ihres Umhertappens danach gewesen sein; auch hätte es eine kleine Verspätung veranlassen können, so daß man über Ihre Erscheinung abzuschließen Lust gehabt hätte; und so Etwas ist nie wieder gut zu machen.«

Obgleich Leonin mit seinem Betragen nicht zufrieden gewesen war, so lag dies, wenn auch zum Theil von seiner Eitelkeit angeregt, doch mehr in den Vorwürfen, die er sich machte, ihr mehr nachgegeben zu haben, als er seiner bessern Einsicht zugestehen durfte. Hier aber wurde er plötzlich aller Prädikate beraubt, die er mit angeborenem Standes-Stolze sich gesichert glaubte – und er versuchte vergeblich seine bessere menschliche Ueberzeugung gegen die Streiche, die sein Hochmuth empfing, zu Hülfe zu rufen. Die Marschallin behielt Zeit, fortzufahren:

»Sie hatten eine Unruhe in Ihren Bewegungen, einen Wechsel von Verbindlichkeit und Mißlaune in Ihren Mienen, Sie ließen sich ohne Wahl und Nachdenken bald Diesem, bald Jenem vorstellen – Herr von Fenelon ist bei weitem unter Ihrem Range, und ich habe Herrn von Dreux Vorwürfe gemacht, es zugelassen zu haben. Dem Könige haben Sie eine Theaterphrase geantwortet – die Erwiederung an Madame war ganz unüberlegt; und dem Könige antwortet man überhaupt nie, ohne eine bestimmte Frage erhalten zu haben. Genug, mein Lieber – meine Absicht, Ihnen größere Freiheit, eine sicherere Haltung durch diese Reisen zu verschaffen, da Ihr Naturell etwas Zurücktretendes hat, scheint sich noch nicht zu bestätigen. Man könnte denken, Sie wären in der letzten Zeit in keiner guten Gesellschaft gewesen – wenigstens glaube ich sicher, unmittelbar[81] aus der Gewöhnung dieses Hauses in unsere Zirkel übergehend, würde es Ihnen nicht an einer taktvolleren Haltung gefehlt haben; – obwol ich gern zugeben will, daß der Anblick unseres erhabenen Monarchen und dieser ihm zugehörenden Umgebungen ganz geeignet ist, zu erschüttern und aus dem Gleise zu bringen.«

»Ich habe hiervon in dem Maaße, wie Sie es voraussetzen, Nichts empfunden« – erwiederte Leonin und versuchte, seine von Zorn und Empfindlichkeit bebende Stimme zu mäßigen. »Wenn Euer Gnaden so wenig Ehre mit mir einlegen, wie dieser erste Versuch befürchten läßt, so ist es besser, ich folge meiner ohnehin stärkeren Neigung, mir selbst zu leben, und verlasse einen Schauplatz, dessen Anforderungen ich so wenig zu verstehen scheine!«

»Nun, wahrlich,« lachte die Marschallin hell auf – »ich freue mich, daß Sie nicht ganz das wilde Blut der Crecy verläugnen und bei der ersten kleinen Züchtigung Ihrer Eitelkeit gleich über die Leine schlagen und davon laufen wollen. Das ist mir lieb, und wenn Sie selbst Ihre eigne Mutter für angethane Beleidigung in die Schranken rufen, soll mich das nicht verdrießen. Eine Mutter ist so oft das Opfer ihrer Liebe für die Kinder ihres Herzens, daß sie selbst vor den Züchtigungen nicht zurückbeben darf, die diese Kinder ihr geben möchten. – Du zürnst doch nicht ernstlich mit Deiner Mutter, Leonin?« rief sie liebevoll scherzend und reichte ihm die Hand.

Diese Art und Weise, von der größten Strenge und Härte plötzlich in die Zärtlichkeit einer Mutter überzugehn, war fast unwiderstehlich für Leonin. – Sein Herz fühlte sich von dem Kampfe des Unwillens erlöst, das Blut floß wieder warm daraus hervor, und wenn seine Ueberzeugungen gegen ihre scharfen Geißelungen sich fest verhielten, wurden sie doch in dem Augenblicke verdeckt, als diese Weichheit hervortrat, die nur[82] Anforderungen an seine Liebe zu machen schien und ihn anregte, jede unsanfte Berührung von der zärtlich Hingegebenen abzuhalten.

»O, meine Mutter,« rief er, ihre dargereichte Hand küssend, »wer könnte je Ihre ewig gleiche Liebe, Ihre unendliche Ueberlegenheit verkennen? Vergeben Sie meine Aufwallung, die so natürlich ist bei der Befürchtung, Ihnen mißfallen zu haben; doch lassen Sie mich hinzufügen, ich fürchte in Wahrheit und nicht aus Empfindlichkeit, wie es Ihnen eben schien, ich werde die Aufforderungen nie erfüllen können, die hier mit der Entäußerung unserer ganzen Ueberzeugung, an uns ergehen.«

»Mein Kind, stelle Deine Ueberzeugungen nur erst Deinem Range und Deinen Ansprüchen gemäß fest, so wirst Du Nichts von ihnen aufzuopfern nöthig haben. – Hierüber bist Du noch im Unklaren, daher entsteht der Widerspruch, der Dich reizt und den Du – von kleinen jugendlichen Phantasien abgezogen – nicht kräftig genug beseitigest.«

»Nennen Sie das nicht jugendliche Phantasien, meine Mutter!« unterbrach sie hier Leonin hastiger, als sie es erwartet hatte – »worauf Sie hindeuten mit diesen Worten – es ist der ernste, heil'ge Kern meines Lebens, den Sie mütterlich schützen müssen, wenn Sie Ihren Sohn glücklich sehen wollen!«

Er hoffte einen großen Schritt gethan zu haben; er erwartete jetzt, sie werde ihm zu Hülfe kommen ihr endlich sein ganzes Verhältniß offen darlegen zu können; aber die Marschallin zürnte sich und ihm, daß es so weit gekommen war, und dachte nur daran, ihn entweder zurückzudrängen oder seine Zuversicht zu erschüttern. Ehe sie indeß das Geeignete sagen konnte, sank Leonin, verführt von ihrem Stillschweigen, ihr zu Füßen.

»Ich weiß,« – rief er, tief bewegt – »Sie erfuhren Alles! Souvré hat Ihnen Nichts verschwiegen – er durfte[83] es auch nicht! Habe ich auch schnell, vielleicht voreilig gehandelt, so habe ich doch Nichts gethan, was mich verunehrt; und das neue Verhältniß sichert mir Glück und die schönste Zukunft!«

Das Herz der Marschallin schwoll auf von Zorn. Sie mußte ihre Augen niederschlagen, um der Wichtigkeit dieser Mittheilung nicht Geltung zu verschaffen durch das Funkeln des Unwillens, dessen sie sich bewußt war.

»Nehmen wir diese Sache, über die der Marquis de Souvré mir allerdings Einiges mitgetheilt hat, nicht zu wichtig, mein Sohn! Es wäre besser gewesen, Du hättest es bei dem bewenden lassen, was ich darüber durch Souvré erfuhr. Es ist kein passender Gegenstand, um ihn mit Deiner Mutter zu verhandeln, die stets eine Frau von so reinen Sitten und so untadelhaftem weiblichem Gefühle war, daß sie selbst die Erzählungen von den Verirrungen ihres Geschlechtes in jenen niederen Ständen von sich abzuhalten wußte. Wenn ich gewünscht hätte, Deine Sitten auch in dieser Beziehung vollkommen rein erhalten zu sehen, so habe ich doch alle Schwächen einer Mutter, die nicht allein zum Verzeihen geneigt ist, sondern den Verführungen, die dazu hinlockten, gern einen bedeutenden Theil der Schuld beilegt. – Ich darf Dir übrigens den Trost geben, daß Dein Vater über diese Jugendthorheit gänzlich in Unkenntniß erhalten ward, und daß es uns auch gewiß leicht werden wird, ihn ferner darin zu bewahren. Seine ungemessene Heftigkeit würde, im Falle der Entdeckung, Dir und mir unangenehme Stunden machen.«

So sehr Leonin sich auch mehrere Male bestrebte, die Worte seiner Mutter zu unterbrechen, so wollte ihm dies doch nicht gelingen, und er mußte den ganzen Inhalt ihrer Ansicht über sein Verhältniß erfahren, und damit den vollen Umfang seiner unglücklichen Stellung erkennen.[84]

»Um Gotteswillen, theure Mutter, in welchem Irrthume sind Sie über dies Verhältniß, daß Sie es so herabwürdigend bezeichnen können! Hat man Ihnen denn nicht gesagt, welcher Heiligung es genießt – und wie es dadurch von jedem Makel der Unsittlichkeit befreit blieb?«

»Ich bitte Dich, mein Kind,« sagte die Marschallin, nach Fassung ringend, »erwähne die sonderbare Farce nicht, mit der Deine jugendliche Unerfahrenheit betrogen ward. – Obwol es empörend ist, kirchliche Formen, wenn es auch nur die unzureichenden jener Ketzersekte sind, da anzuwenden, wo selbst unsere heiligen Segnungen ihre Zulassung völlig ungesetzlich machten, so müssen wir jetzt doch Gott danken, daß weder Dein Alter, noch die Anwesenheit Deiner Aeltern den kleinsten Schein einer bindenden Verpflichtung auf diese unerlaubte Prophanie werfen können; denn sie macht wenigstens ernstere Schritte unnöthig, Dir Deine Freiheit wieder zu geben. Doch bitte ich Dich, wenn Du jetzt daran denken wirst, diese Verhältnisse zu beseitigen, daß dies mit dem Anstande geschieht, den Personen so hohen Ranges auch bei solchen Abfindungen sich selbst schuldig sind. Du hast Vermögen genug, dies ausreichend auszuführen, und selbst meine Kasse würde Dir offen stehen.«

»Nein, nein, ich ertrage es nicht!« schrie Leonin hier wie im Wahnsinne auf. – »Hören Sie mich! Um Gottes Willen, hören Sie mich, wenn Sie mich nicht tödten wollen! Sie sind im Irrthume, in einem schrecklichen Irrthume! Lassen Sie mich Ihnen Alles, Alles erzählen, und dann lassen Sie mich fort von hier, wo ich nimmer hinpassen werde, verworfen von Allem, was hier Geltung hat!« –

»Gemach, mein Sohn!« unterbrach ihn die Marschallin – »Sie verfehlen den Ton mit mir! – Mademoiselle Louise, stehen Sie auf und erinnern Sie Ihren Bruder, daß Sie[85] gegenwärtig sind, und daß diese Unterredung aufhört, passend zu sein für Ihre Anwesenheit! – Lassen Sie uns jede Erörterung vermeiden, da sie uns nothwendig verstimmen muß!« –

»O, das ist kein Wort für eine Angelegenheit, die mein Lebensglück bedingt! – Theure Mutter, entziehen Sie sich mir nicht so! – Louise, meine Schwester, bitte für Deinen Bruder, wenn Du ihn nicht unglücklich und zerfallen mit sich und allen seinen Lebensverhältnissen sehen willst!« –

Louise warf sich ihm laut weinend in die Arme und umschlang ihn, als wolle sie mit ihrer zarten Gestalt ihn decken gegen jeden Angriff auf sein Glück. »Sei ruhig, Leonin – Du wirst, Du kannst nicht unglücklich werden! Nein, nein, unsere Mutter wird Dich schützen – retten!« –

»Können Sie es verantworten, solche Scene veranlaßt zu haben?« sagte die Marschallin, sich unmuthig erhebend. – »Louise, Du vergißt, daß Dich Fräulein von Lesdiguères erwartet.«

»Gehen Sie so nicht von mir!« rief Leonin, die weinende Louise aus seinen Armen sanft in einen Stuhl setzend – »meine Ehre, meine Pflicht befiehlt mir, Sie um Gehör zu bitten; denn der größte Theil Ihres Unwillens beruht auf Ihrer Unkenntniß.«

»Heute nicht, mein Sohn,« rief die Marschallin plötzlich wie erschöpft – »ich fühle, ich bedarf der Ruhe – ich kann von Ihnen diese Schonung fordern!« –

»Befehlen Sie über mich! Wenn Sie mir diese Unterredung nicht versagen und bis dahin Ihr Urtheil zurückhalten wollen, werde ich voll Geduld und Ehrfurcht abwarten, bis Sie sich geneigt fühlen, mich anzuhören.«

Obwol die Marschallin hierauf nichts erwiederte, mußte Leonin schon ihr Schweigen für eine Gunst ansehen, woran[86] eine leise Hoffnung zu knüpfen, ihm der einzige Trost war bei der entsetzlichen Niederlage, die er erfahren. –

Aber diese Unterredung, deren Ansetzung er mit so viel Unruh' erwartete, erfolgte nicht. Eine Anregung von seiner Seite mißglückte um so mehr, da sie anzudeuten wußte, wie sie den Gegenstand längst für erledigt hielte und für zu unbedeutend, um darauf zurück zu kommen. In eben dem Maaße ward der alte Marschall dringender mit einer von ihm lebhaft gewünschten Vermählung seines Sohnes; und obwol die Marschallin die Grundsätze gern vor ihrem Sohne entfalten hörte, die seinen Hoffnungen tödtlich werden mußten, so wußte sie sich doch stets höchst geschickt das Ansehen eines vermittelnden Schutzes zu geben und so in der Stille Leonin's Dank zu verdienen.

Seine öffentlichen Verhältnisse hatten indeß ganz die Wendung genommen, die, seiner Eitelkeit zusagend, die Vorwürfe der Marschallin zu entkräften schienen. Täglich öffnete sich ihr Hotel für die ausgezeichnete Gesellschaft, die sie zu empfangen pflegte. Leonin war den Personen, aus denen der Hof bestand, bekannt geworden, und ohne daß er es gewahr wurde oder doch sich eingestehen wollte, war das Bild, das seine Mutter von einem vornehmen Manne entworfen hatte, in seine Phantasie übergegangen, und drückte sich nach und nach in seinen Formen aus. Er fühlte sich dabei wohler, den Verhältnissen gegenüber erleichtert, und nicht nachfragend, wohin dieser Weg ihn führen müsse, lebte er, wie der Augenblick es ihm bequem finden ließ.

Endlich wurde große Cour und ein darauf folgendes Fest bei der Königin angekündigt, welche seit dem erwähnten Unfalle bei dem Hotel Biron sich unwohl gefühlt hatte, und ein Gegenstand der zartesten Aufmerksamkeit des Königs gewesen war. Man sprach zwar von dem Verhältnisse zur Lavallière, aber nur andeutend – und mit einer Schonung, die diesem[87] Verhältnisse einen Karakter romantischer Empfindsamkeit – einen Grad von Ehrbarkeit verlieh, an dem die Gewalt zu erkennen war, die der König selbst über die feststehendsten Grundsätze auszuüben vermochte, die man aufhörte der gewöhnlichen Prüfung zu unterwerfen, wenn sein Wille sie gestaltete. Das demüthige und bescheidene Verhalten der Lavallière trug hierzu bei – sie war immer ablehnend gegen jede Auszeichnung und setzte die Geduld des Königs täglich auf Proben, die nur seine anbetende Liebe gegen sie überwand. Man sagte sich leise, sie würde bei dieser Cour zuerst als Herzogin erscheinen, wozu der König sie vor kurzem fast mit Gewalt erhoben hatte, die Ausstattung des Hotels Biron dieser Auszeichnung hinzufügend; man wußte, daß die Königin von den Liebesbeweisen ihres Gemahls gerührt, ihre Einwilligung gegeben hatte, sie mit den ihr zustehenden Vorrechten als Herzogin zu empfangen.

Diesem Schauspiele drängten sich nun die Hofleute, welche berechtigt waren bei der Königin zu erscheinen, in großer Anzahl entgegen, und es war kein kleines Geschäft, die Ordnung herzustellen, die Jedem den Platz anwies, den sein Rang erforderte.

Der Marschall hatte sich gleichfalls herausgerissen, um wenigstens ein Mal den geliebten Sohn vor den Augen seines Königs zu sehen. Er war mit ihm vorangefahren, und die Marschallin und Louise, die ihnen folgten, noch nicht eingetroffen, als die voraneilenden Cavaliere erschienen und Anna von Oesterreich, die Mutter des Königs, verkündigten, welche unmittelbar darauf mit dem größten Pompe eintrat, von ihrem ganzen Hofstaate gefolgt. – Die Zeit seit dem Tode Mazarin's hatte die Eindrücke gemildert, die damals an ihren Anblick die gehässigsten Empfindungen knüpften. Die ungemeine Hochachtung, die kindliche Ehrfurcht, mit welcher der König seine Mutter behandelte, ließen keinem Andern eine Wahl seines Verhaltens.[88] Anna von Oesterreich, welcher es nicht an feinem Verstande fehlte, und deren unglückliche und ungewöhnliche Verhältnisse, als Gattin Ludwigs des Dreizehnten, Entschuldigungen zuließen, wußte jetzt eine so würdevolle Stellung zu behaupten, daß sie bei allen Angelegenheiten ihrer Kinder, wie die des Hofes, einen wirklich mütterlichen Rang einnahm und ihnen zur Ausgleichung ihrer Streitigkeiten auf verständige Weise behilflich war.

Auch jetzt hatte sie die Königin zu ihrem milden Verfahren gegen Madame de Lavallière beredet, und die edle, sanfte und zärtlich liebende Maria Theresia hatte den neuen Schmerz zu bekämpfen gesucht, immer hoffend, so sich den König dereinst zurück zu führen. – Wohlmeinend eilte daher Anna ihrem Sohne zur Königin voran, diese durch ihren Zuspruch und ihre Gegenwart zu stützen. Sie begrüßte deshalb die zahlreiche Versammlung nur vorübergehend; als sie aber den Marschall Crecy-Chabanne erblickte, dessen auffallende Erscheinung nicht leicht übersehn werden konnte, blieb sie stehen und nickte ihm wohlwollend zu.

»Das ist brav, Marschall, daß ich Euch hier am Hofe eben so in den vordersten Reihen finde, als früher in der Schlacht!« rief sie mit starker, herzlich klingender Stimme und näherte sich ihm; aber längst vom Vater weg auf Leonin blickend, dessen jugendliche Schönheit dies vollkommen rechtfertigte. »Doch habt Ihr auch, wie ich sehe, eine Stütze mit Euch geführt, die ausreichen wird, wenn Ihr ermüdet. – Ich heiße Euch willkommen, junger Mann! Man sagt mir, Ihr seid nicht umsonst gereist, Ihr habt Euren Verstand entwickelt; das ist zu loben und wird nie von Seiner Majestät dem König übersehen – auch ich werde mich dessen erinnern.«

»Lassen Euer Majestät ihn sich empfohlen sein!« rief der Marschall, seiner alten Herrin gegenüber hoch erfreut – »ich[89] hoffe, er soll den Namen nicht verunehren, den Eure Majestät so oft ausgezeichnet haben.«

»Ja, ja, Marschall, wir haben viel zusammen Rath gehalten,« fuhr die Königin fort, angenehm durch ihn an ihre Regentschaft und Macht erinnert – »und immer wart Ihr ein Brausekopf, der, den Degen in der Hand, die Scheide weg warf – dafür suchtet Ihr sie aber auch nicht früher wieder, als Eurer Königin Recht geschah.« –

»Wer durfte auch das Glück, Euer Majestät dienen zu können, anders ehren? War doch das gute Recht immer auf unserer Seite.« –

»So war es!« erwiederte Anna, »und ich verstand es Euch zu lohnen, nicht wahr? Das eigne, liebste Hoffräulein, Mademoiselle Soubise, mußte Euch die Brautkrone flechten.« –

»Euer Majestät wußten immer vollkommen richtig, so wichtige Angelegenheiten zu leiten. Ich denke die Namen unserer gleich alten Häuser haben sich stets gut nebeneinander ausgenommen, und ich war stolz darauf, sagen zu können: diese Wahl hat meine Königin selbst getroffen!« –

»Ja,« lachte Anna von Oesterreich, »wir hielten etwas auf unsern Marschall! Und fast habe ich Lust, bei dem Sohne fortzusetzen, was mir bei dem Vater so gut gelungen. Wie ist es, junger Mann – ich hoffe, Ihr seht die Schönheiten unseres Hofes nicht als kalter Zuschauer?« –

»Wer könnte an diesem Hofe kalter Zuschauer bleiben, da jeder Tag uns eine neue erhabene Vereinigung unvergänglicher Schönheit und edler Geistesbildung darbietet? Zu den Interessen des eignen Herzens behält hier Niemand Zeit!« –

»So!« erwiederte die Königin, nicht anstehend, diese schnell hervorgebrachte Antwort als einen Tribut für sich anzunehmen – »nun, dann will ich schon für Euch Zeit finden und die Wahl besorgen!«[90]

Leonin schwieg – der Marschall aber sprach seine Freude, sein Entzücken so laut aus, daß die Königin, über den alten Kriegshelden wohlgefällig lachend, ihn verließ und in die inneren Gemächer verschwand.

Das Ende dieser Scene hatte die Marschallin, die an Louisens Seite indessen die Zimmer erreicht hatte, mit angehört, und auf ihrem Platze gefesselt, konnte sie nicht allein beobachten, sondern behielt auch Zeit, augenblicklich darnach ihren Plan zu entwerfen. In diesem Augenblicke ward der König gemeldet, und die Königin verließ an der Seite ihrer Schwiegermutter die inneren Gemächer, um ihren Gemahl in dem Audienzsaale zu empfangen.

Hier sah Leonin die Königin zuerst, und sein Herz war mit diesem ersten Blicke ihr für immer gewidmet.

Maria Theresia, die Tochter Philipps des Vierten von Spanien, ward von allen Personen, die ihr näher standen, mit der größten Hingebung geliebt, und rechtfertigte durch ihren sanften und edeln Karakter vollständig diese Empfindung. – Sie würde schön gewesen sein, wäre sie größer gewesen; denn ihr Gesicht ward bloß durch etwas zu starke Lippen, welches ein Familienzug war, in seiner sonst vollständig regelmäßigen Form gestört. Bewundernswürdig war besonders ihr schönes blondes Haar und der damit verbundene feine Teint von blendender Weiße und Zartheit. Ihre Augen waren blau, groß, von klugem, lebhaftem Ausdrucke, und unterstützten den Anstand und die Würde, die ihr bei ihrem öffentlichen Erscheinen vollkommen zu Gebote standen. Die leidenschaftliche Liebe, die Maria Theresia für ihren Gemahl empfand, hielt alle Prüfungen aus, die das abschweifende Gefühl des Königs ihr auferlegte, und sicherte diesem Verhältnisse eine große Innigkeit und eine achtungsvolle Behauptung des Anstandes; da der König immer gern und voll Ehrerbietung zu einer Gemahlin zurückkehrte, die[91] niemals Gefühle zu ertrotzen suchte, weil sie dazu Rechte besaß, und deren Vorwürfe fast nur in der Erschütterung bestanden, die mit ihrer Freude, ihrem Glücke bei seiner Wiederkehr hervortrat. Aber der tiefe Schmerz, den ihr unerwiedertes Gefühl ihren einsamen Stunden aufsparte, zeigte den wenigen Vertrauten, die ihr als Zeugen blieben, wie heftig sie zu leiden vermochte.

Leonin hatte von diesen Verhältnissen nur eine allgemeine Kenntniß. Der König imponirte Allen, was selbst bis in die vertraulichen Mittheilungen seiner Hofleute hinein, bemerkbar war. – Seine Liebe zur Lavallière war die erste hervortretende Empfindung dieser Art; vielleicht überwältigte sie wirklich die Meinung durch ihre Wahrheit, die sie auch jetzt noch jedem Forscher über Ludwigs Leben zu dem einzigen Gefühle seines Herzens erheben muß. Vielleicht war es auch mehr noch die Furcht und Anbetung, die der König einzuflößen wußte – genug, es wurden nur Andeutungen darüber lautbar, und man mußte selbst sehen, um sich das Ganze zusammenstellen zu können. –

Als der König eintrat und in der Mitte beider Königinnen zu den Zimmern seiner Gemahlin zurückkehrte, schien er ein ganz Anderer, als Leonin ihn gesehen; denn hier war er nur König, und seine hohe gebietende Stirn, seine ernsten geistvollen Blicke schienen das Diadem anzudeuten, das unsichtbar mit seinem Nimbus ihn umschwebte.

Die Königinnen, obgleich beide mit der vollendetsten königlichen Würde und mit dem Schmuck ihres Geschlechtes ausgestattet waren, gingen doch so unbemerkt neben Ludwig einher, als ob sie bloß die Stützen seiner schönen Hände wären. Leonin sah, daß sein Vater die Farbe änderte, und sein Gesicht ein Paar Zuckungen erhielt, womit er Rührungen zu bemeistern pflegte, als der König vorüber ging, den auffallenden Greis[92] mit seinem Adlerauge streifte und kaum merklich mit dem Kopfe nickte. Leonin ging es fast nicht anders; denn Nichts ergreift uns so, als unsere Eltern gerührt zu sehen. – Wir haben einen Glauben an ihre Festigkeit und gedenken nicht der Zeit, wo sie nicht ausreichte, von den Eindrücken jener überboten, wo sie unsere jugendliche Schwäche stützte. – Sie von dieser Festigkeit verlassen zu sehen, macht sie uns jünger, bringt uns ihnen näher; und indem es unsere Zärtlichkeit durch die Sorge für sie erhöht, erhebt es die Wichtigkeit der Veranlassuug. Der König bedurfte keiner äußeren Umstände zu der Anerkennung derselben, darum war die Wirkung auf Leonin doppelt stark.

Die Herrschaften hatten Platz genommen, nur der König stand und übersah, mit Gemessenheit seine Worte vertheilend, die glanzvolle Versammlung, die ihre Huldigungen in tiefster Demuth darbrachte und dann sich beeilte, die Plätze einzunehmen, die ihnen ihr Rang stehend oder sitzend anwies. Die Abstufungen der Etikette wurden mit einem Ernste behandelt, mit einer Strenge beobachtet, welche genau zu kennen, als das hauptsächlichste Zeichen der Hofbefähigung galt, und von Jedem befolgt, ohne Zweifel die würdige, geräuschlose Haltung dieses glänzenden Schauspiels hervorrief.

Jetzt eilte der Marschall von Crecy, mit einer Bewegung, die seine Hand fast schmerzhaft um die seines Sohnes schloß, sich den hohen Herrschaften zu nahen; und Ludwig, der den alten Helden im Begriffe sah, das Knie zu beugen, kam dieser für sein Alter fast unmöglichen Huldigung zuvor, indem er ihm, mit unendlicher Güte in Wort und Ausdruck, die Hand entgegen hielt, ihm so den Fußfall verwehrend.

»Madame,« sagte er darauf zur Königin, »Sie müssen die Gnade haben, den Sohn unsers braven Marschalls, den jungen Grafen von Crecy-Chabanne, als einen Bekannten von uns, ohne weitere Ceremonie zu empfangen.« Der König[93] machte dazu eine Handbewegung, die nicht mißverstanden werden konnte, wie unmerklich sie auch war – und Leonin beugte das Knie vor der Königin und küßte den Rand ihrer Robe, worauf sie ihm ihre Fingerspitzen reichte und ihn aufstehen hieß.

»Ihr seid uns in jeder Hinsicht empfohlen und willkommen!« sagte die milde Frau. »Wir freuen uns, den Sohn so ausgezeichneter Eltern an unserm Hofe begrüßen zu können – auch wollen wir keine Feindin Eurer uns schon verrathenen Wünsche sein, sondern im Gegentheile eine Beschützerin derselben!« –

Obwol Leonin den Sinn dieser Worte nicht verstand, so lag doch in dem Tone derselben ein Wohllaut, eine Güte, daß es ihn entzückte, als er das Wort Beschützerin hörte. Er wagte aufzublicken, um sie den vollen Ausdruck von Begeisterung sehen zu lassen, von dem er sein Gesicht strahlen fühlte.

Sie wendete sich mit einem huldvollen Lächeln von ihm, Andere zu begrüßen, und jetzt erst erblickte er Mademoiselle de Lesdiguères, die hinter dem Stuhle der Königin, wie eine schöne Statue von cararischem Marmor, aufgerichtet stand und ihr Leben nur durch die Blicke ihrer großen, glänzenden Augen verrieth, die jede Erscheinung mit scharfer Wägung aufzufassen schienen. Auch ihn trafen sie – und eine augenblickliche Unruhe, die ihre schönen Augenlieder schneller sinken und steigen ließ, zeigte, daß sie ihn nicht ohne Beziehung wiedersah. In ihrer Nähe stand Fenelon, und als sich Leonin zurückzog, gewahrte er, wie Jener, auf ihn blickend, ihr einige Worte sagte, die sie, ohne Miene oder Stellung zu verändern, erwiederte, worauf Fenelon zurück trat.

Als Leonin schon anfing von der Dauer der Vorstellungen zu ermüden, da Alle ihre Plätze in steifer Haltung behaupten mußten, und ihn eine übellaunige Neigung befiel, dies Alles unnatürlich und übertrieben zu finden, ward er plötzlich durch[94] die schöne, ruhige Stimme Fenelon's unterbrochen, der, an seine Seite gelangt, ihn begrüßte.

»Sie sehen den Hof unserer guten Königin heute zuerst?« fuhr er fort; »wenn ich nicht irre, genießen Sie den Vorzug, ohne Ceremonien aufgenommen worden zu sein.«

»Seine Majestät wollte dadurch meinen Vater ehren,« erwiederte Leonin – »ich höre, man hält dies für einen Vorzug. Man muß erst etwas älter bei Hofe werden, um für diese Feinheiten die rechte Würdigung zu lernen. – Es schien mir das Einfachste, daß meinem Vater das Recht zustehe, mich zu beglaubigen.«

»So scheint es allerdings,« lächelte Fenelon. »Es entwickeln sich leicht kleine Unnatürlichkeiten in einem Verhältnisse, welches uns lehrt, unsere Gefühle in eine Schranke zu verweisen, die sie kaum merklich hervortreten läßt; aber ich denke, die Selbstbeherrschung, die nothwendig dadurch bedingt wird, muß sich zuweilen höchst heilsam bezeigen. Ich sehe hier so Manchen, dessen früheres Leben und Treiben wohl wenig von Mäßigung irgend einer Neigung wußte, jetzt um den Preis, seine Vorrechte am Hofe behaupten zu dürfen, die ungewohnte Mühe übernehmen, sich einen kurzen Gehorsam gegen fremden Willen aufzuerlegen. Ein Solcher,« fuhr er lächelnd fort, »bekommt doch eine kleine Ahnung von der allernöthigsten Tugend – der Selbstbeherrschung.«

»Doch Sie,« sagte Leonin, »der Sie eine so einfache und großartige Idee vom Leben erfaßt haben, der Sie eilen, in der schwersten Berufsthätigkeit Ihrer Entwickelung als Mensch und Geistlicher zu leben – welche edle Verachtung muß Sie, diesen Zeit tödtenden Ceremonien gegenüber, befallen – wie begreife ich in diesen Sälen Ihren Entschluß, sie zu verlassen!«

»Machen Ihnen die Dinge vor uns diesen Eindruck?« erwiederte der junge Geistliche, mit einem leisen Anfluge von[95] Erstaunen. – »Ich erwartete das nicht,« setzte er nachdenkend hinzu, »und kann diese Empfindung nicht theilen. Mir scheint, Alles erhält dadurch seinen Werth, daß es die Absicht erreicht, die ihm zum Grunde liegt. Indem dies glänzende Schauspiel vor uns in Wahrheit die Würde und den Glanz eines so wichtigen und erhabenen Standpunktes, wie ihn der Thron in der menschlichen Gesellschaft einnimmt, ausdrückt – in so fern es selbst die Geister der Menschen in eine Form fügt, die diese Wirkung bestätigen hilft, scheint es mir eine erfüllte Idee, die der Würde nicht entbehrt.«

»Aber,« sagte Leonin, »können Sie deshalb es von sich abhalten, mit Bedauern sich als Individuum in eine solche Wirkung der Massen verflochten zu sehen – ohne Möglichkeit, Ihren unbeschäftigten Geist vor Ermüdung zu schützen und, durch Ihre Erziehung von der Bezähmung roher Neigungen abgelöst, die Anderen noch eine geistige Beschäftigung zu gewähren vermag, zu einer wahren Maschine herab zu sinken?«

»Ich empfinde diese Ermüdung nicht«, erwiederte Fenelon ruhig; »ich finde hier Genuß und bin weder gelangweilt, noch unzufrieden. Diese schören, glänzend erleuchteten Räume, deren Ausstattung an alle die großen künstlerischen und industriellen Fortschritte meines Vaterlandes erinnert, erheitern mein Herz und beschäftigen meinen Verstand. Ich kehre dann immer mit doppelter Liebe zu dem Anblick unseres großen Königs zurück, dessen Geist und edles Bedürfniß diese Dinge ins Leben rief; und sehe ich diesen schönen und noch so jungen Monarchen dann in der Mitte der Repräsentanten alter, berühmter Namen und kann auf Aller Gesicht in der verschiedensten Art die Verehrung lesen, die die Herrschaft eines großen Geistes auf die Gemüther ausübt – so freue ich mich der hohen Befähigung der menschlichen Natur und fühle mich selbst zu größerer Thätigkeit angeregt.«[96]

»O, Fenelon,« rief Leonin, »wie schäme ich mich meiner schülerhaften übeln Laune, mit der ich mir den rechten Anblick der Dinge selbst verweigerte. Sie haben wieder Recht! Es ist mir, als sähe ich jetzt erst den Hof glänzend vor mir auftauchen – alle diese Kerzen haben Sie erst angezündet! O, wenn Sie so vom Hofe denken, warum verlassen Sie ihn?«

»Aus denselben Gründen,« erwiederte Fenelon, »aus denen ich ihn bewundere. Ich will auf meinem Platze auch Etwas sein und werden, und dazu taugt nicht Jedem derselbe Boden. Wenn mich der König in der vollen Erfüllung seines Berufes, bis auf die Aeußerlichkeit dieser schönen Hofhaltung, entzückt und begeistert, kann ich, der Geistliche, zu dem mich Neigung und Erziehung bestimmten – ihm doch nur nacheifern, wenn ich den Schauplatz verlasse, auf welchem keine der Eigenschaften reifen könnte, nach deren Entwickelung ich mich sehne.«

»Sie mögen Recht haben,« sagte Leonin. »Auch galt dieser Aufruf mehr dem Gefühle, welches mir der Gedanke einflößt, Sie hier bald nicht mehr zu finden. Ich würde Sie mit meiner Freundschaft verfolgt haben!«

Freundlich neigte sich Fenelon gegen Leonin und fragte ihn dann, ob er diesen Abend schon Fräulein von Lesdiguères gesprochen.

»Das Fräulein scheint mir in einer unanrührbaren Stellung,« erwiederte Leonin. »Doch, vielleicht ward meine üble Laune mit dadurch bewirkt, mich durch ihr hartnäckiges Repräsentiren von ihr getrennt zu sehn. Sie ist so frei, so edel und hoch von Geist und hält dort hinter dem Stuhle der Königin so todtkalt und abgemessen aus, als sei sie eine nöthige Verzierung des Thrones.« –

»Es ist sehr möglich, daß sie sich wirklich in diesem Augenblicke für nichts Anderes halten will; denn sie faßt immer das[97] Nöthige völlständig ins Auge und setzt an Jedes Alles, was in ihr ist.« –

»Ein ganz außerordentliches Mädchen!« rief Leonin unwillkürlich. »Das fühlt man im ersten Augenblicke ihrer Bekanntschaft.«

Fenelon's Blick richtete sich mit einem wunderbaren Glanze auf Leonin – es war eine Wärme darin, die von tiefem Gefühle sprach, und eine Melancholie, die Entsagung ausdrückte. – Nach einer kleinen Pause sagte er: »sie ist das vollkommenste weibliche Wesen, das ich kenne, und nur so frei, weil sie so sicher mit sich ist. Die sonderbarste Constellation hat ihr diese Entwickelung geschaffen. Die Mutter ist nicht selten roh in ihren Aeußerungen; aber sie ist hochherzig, eine reine, unverfälschte Seele, und ihr edler Stolz zeigt sich, wenn auch oft in großer Anmaßung, doch eben so stark in Verachtung jeder Kleinlichkeit oder Unwürdigkeit. Der Vater ist ganz in äußerliche Angelegenheiten vertieft; aber er besitzt Feinheit der Sitten und verstand die Erziehung der Tochter zu leiten. Von Beiden hat diese reiche und starke Natur nur ergriffen, was sie gebrauchen konnte; nirgends fand sie Widerstand und blieb sich selbst Gesetz und Wille, damit immer den Eltern genügend – denn sie ist ihnen ähnlich und doch eigenthümlich geblieben.«

Leonin hörte gespannt zu – sein Blick bing an der herrlichen Gestalt, die in gleicher Ruhe blieb, während durch Fenelon's Worte der reiche Schatz ihres Innern sich vor ihm aufthat, und die kalte Erscheinung mit dem Zauber einer warmen, hochherzigen Seele belebte.

»Sie ist Ihre Schülerin, Herr von Fenelon?« fragte Leonin. – »Wenn Sie wollen, ja,« antwortete er – »was könnte man sie aber lehren? Zuletzt war es mir, als sei es umgekehrt!«

Noch immer blickten beide junge Männer unbewußt zu ihr hin, als sie gewahrten, wie sie ihre kalte Stellung plötzlich[98] aufgab und mit größter Bewegung sich zur Königin neigte, welche sich eben halb zu ihrer Hofdame wendete, die ihr schnell etwas überreichte, was die Königin einen Augenblick einzuathmen schien, welche sich dann wieder umwandte, aber so blaß erschien, daß selbst ihre Lippen farblos waren.

»Der Königin ist unwohl,« sagte Leonin. »Die Hitze und die lange Ceremonie greift sie zu sehr an!« – Fenelon schwieg; aber seine Augen richteten sich nach der Mitte des Saales, wohin aller Blicke flogen; denn hinter den Herzoginnen, die Letzte in der Reihe, nahte sich jetzt eine schöne junge Person, die von der Natur mit jedem Reize geschmückt schien und den Ausdruck trug, als schäme sie sich, so bevorzugt zu sein.

Ihr Gesicht, ihre Gestalt war von einer solchen Feinheit und Regelmäßigkeit, daß gegen sie alle übrigen Bildungen unvollkommen blieben. Die Farbe ihrer Haut schien mit dem Silberstoff ihres Kleides zu wetteifern, und vor Allem waren ihre tiefblauen Augen ein Born von unergründlicher Liebesfülle. Und so bevorrechtet, wie wenig schien sie dennoch von diesen Vorzügen gehoben! So langsam der Zug der Herzoginnen auch vorüber ging, ihr schien es dennoch schwer, zu folgen. Sie wagte kaum den Blick vom Boden zu heben, und Jeder mußte erkennen, daß ihre Füße bebten. Als sie aber vor die Königin hintreten sollte, ward aus der scheinbaren Kniebeugung fast ein gänzlicher Fußfall, und der Ceremonienmeister, Herr von Dreux, mußte sie auf einen Wink der Königin unterstützen. Da schlug sie die wundervollen Augen zu dieser auf, die, sichtlich erweicht, ihr mild zuwinkte, und ein Paar große glänzende Thränen rollten über ihre Wangen. Dabei drückte sie beide Hände mit dem rührendsten Ausdrucke von Ehrfurcht an ihre Brust und schwebte dann wie eine Lufterscheinung den anderen Herzoginnen nach, die bereits die Ehre ihres Tabourets genossen.[99]

Alle Anwesende, und mit ihnen Leonin, waren gefesselt von ihrem Anblicke, und jetzt erst, nachdem sie in der Menge sich fast verborgen hatte, fand Leonin Worte.

»Wer ist diese bezaubernde Erscheinung, lieber Fenelon? Ich sah sie noch nie!« –

»Aber sie hörten von ihr,« sprach Fenelon sanft, wenn auch ernst; »es ist die unglückliche Lavallière, die heute zuerst als Herzogin hier erscheint.«

»Ha,« rief Leonin, »jetzt begreife ich! Dieser Zauberin muß Alles möglich werden! Das ist Schönheit der Seele, des Gemüthes – das ist nicht allein die schöne Hülle!«

»So ist es in Wahrheit,« sagte Fenelon – »und wie beklagenswerth ihr Verhältniß auch ist, ermangelt es nicht einer rührenden und versöhnenden Seite, die doch eben nur in diesem schönen Gemüthe liegen kann, das, zur Tugend geschaffen, selbst in seiner Verirrung noch ihr angehört.«

»Fast Alle urtheilen so über diese reizende Frau,« rief Leonin – »und darin liegt auch die Entschuldigung des Königs. Wer giebt uns das Recht, die zu richten, die diesem Gefühle unterliegen, für dessen Stärke allein Gott die Prüfung hat – das Jeder einmal zu kennen glaubt, ohne doch für den Andern ein Maaßstab zu sein!«

»Das ist zwar wahr,« sagte Fenelon – »aber es giebt immer noch etwas Schöneres, als sich ihm hingeben; ihm entsagen nämlich – wenigstens entsagen für die Welt – dann dürfen wir es wieder behalten. Die Liebe ist an sich Etwas – es ist nicht der Besitz, das Hervortreten unserer Empfindung. Es ist das Glück, es zu kennen – seinen höheren, wärmeren Pulsschlag zu fühlen und uns daran zu zeitigen mit allen unseren Kräften.« –

In diesem Augenblicke rief die Königin die Herzogin von Bellefonds, die mit ihrem weißen Stabe wie ein drohender[100] Riese an den Stufen des Thrones Wache hielt; und als diese ihren Befehl empfangen, schritt sie mit unbarmherziger Breite und Feierlichkeit durch den Saal gerade auf die Herzogin von Lavallière zu, welche, einer Ohnmacht nahe, an einem Pfeiler lehnte.

»Frau Herzogin von Lavallière,« sprach sie, »Ihre Majestät die Königin ladet Sie ein, sich des Tabourets zu bedienen, welches Ihnen zusteht – legen Sie Ihre Hand auf meinen Arm – ich werde Sie führen.«

Alles machte Platz, und die unglückliche Herzogin folgte stumm der Oberhofmeisterin; und nachdem sie sich tief vor der Königin verneigt, setzte sie sich auf das den Ehrgeiz so Vieler reizende Tabouret, wodurch wenigstens einer Ohnmacht vorgebeugt wurde. –

Der König hatte von dem Augenblick an, daß Madame de Lavallière sich nahte, sie nicht mehr aus dem Gesichte verloren, wie er auch, anscheinend ohne Theilnahme, seine verschiedenen Anreden fortsetzte. Auch wußten die Hofleute mit vielem Geschicke Bewegungen zu machen, die dem Könige die volle Ansicht der von ihm angebeteten Frau verschafften. Er zitterte für beide Frauen, denn er sah, wie die Königin kämpfte und die Farbe änderte, wie die Lavallière ihren Empfindungen zu unterliegen drohte, und er liebte sie Beide in diesem Augenblick fast gleich stark, da sie Beide seinetwegen leiden mußten. Doch dies Mal sollte die Königin in seinem Herzen den Sieg davontragen! Denn, als sie die Herzogin von Bellefonds abschickte, der sinkenden Geliebten einen Platz anzuweisen, dessen Recht sie sich nicht anzueignen wagte, da legte er ihr wenigstens für diesen Abend sein Herz zu Füßen und ehrte sie mit dem besten Danke, den er ihr bieten konnte, indem er ihr selbst ein zärtlich dienender Cavalier ward. Seine theilnehmenden Fragen, wie sie die Anstrengung der Cour vertrüge, belebten augenblicklich[101] ihr mattes Auge mit der Hoffnung, seine Zufriedenheit erreicht zu haben; und diese reine und uneigennützige Seele, die Nichts ertrotzen wollte, war völlig beglückt und dachte ohne Groll, ja fast mit Liebe an ihre demüthige Nebenbuhlerin.

Der König blieb, für sie allein Auge habend, wie es schien, an ihrer Seite, bis sie sich an den Spieltisch begab, und er in einem freien Augenblicke erfuhr, die Herzogin von Lavallière habe sich weg begeben.

»Ich hasse Euch Beide!« rief Mademoiselle de Lesdiguères, indem sie an Fenelon und Leonin vorbei streifen wollte.

»Halt,« rief Leonin, »so dürfen Sie den Fehdehandschuh nicht hinwerfen und dann die Flucht ergreifen! – Womit haben wir das verdient, was Sie um jeden Preis widerrufen müssen?«

»Glaubt Ihr, ich habe Euch nicht beobachtet,« sagte sie – »wie Ihr mit all den Thoren hier denselben Weg taumeltet? Hattet Ihr etwas Anderes zu sehen, als diese neue Herzogin, an deren Blicken Ihr hinget, wie alberne Kinder am St. Niclas? O, was das Alles ist,« fuhr sie ungeduldig fort – »wie nicht Einer den Muth hat, es beim rechten Namen zu nennen – wie sie ihm Alle verziehen – und ihm einreden, es sei, weil er es thut, etwas Anderes! Fahrt nur fort! Das Beispiel wird wirken! Hier wandelt schon so viel übertünchte Tugend, als Ludwig sich wünschen kann; denn Alle, die ihn loben und bewundern und bemänteln, was er thut, haben Lust, es ihm nachzumachen. Wie verächtlich sind sie mir Alle! Und Ihr Beide, auf demselben Wege Betroffene, Euch hasse ich, und darum hasse ich Euch!«

»Und darum gerade haben Sie Unrecht!« rief Leonin; »denn Sie sind der Hauptinhalt unseres Abendgespräches gewesen – diese unglückliche Frau und ihre demüthige Erscheinung hat nur eine kurze, wehmüthige Episode in unserer Unterredung gemacht.«[102]

»Und wer hat Euch erlaubt, von mir zu reden?« erwiederte sie, indem sie Beide mit milderen Augen anblickte.

»Das wenigstens können Sie uns nicht wehren, wenn Sie da sind und wir den Vorzug genießen, Sie zu kennen! – Denken Sie, mein Fräulein, daß Sie Gedanken unterdrücken können, die einmal Ihr Bild aufgenommen haben?« –

Sie blickte ihn an, als nähme sie eine Maske vom Gesichte. »Graf,« sagte sie, ohne ihren hochfahrenden Ausdruck – »ich weiß, was man mit uns will; lassen Sie uns redlich bleiben!«

In demselben Augenblicke trat sie unter die Menge. Auch Fenelon war von Leonin's Seite verschwunden. Er stand in tiefen Gedanken. Ahnete er, was sie – was die Königin angedeutet? Oder begriff er es wirklich nicht?


Der Herzog von Lesdiguères hatte sein neu eingerichtetes Palais eröffnet, und man war einig, daß bei ihm und bei der Marschallin von Crecy sich die beste Gesellschaft in den schönsten Räumen unter den glänzendsten Zurüstungen einstellte.

Mademoiselle de Lesdiguères erschien jeden Tag in dem Salon ihrer Eltern, während der Zeit, welche Maria Theresia bei ihrer Schwiegermutter zubrachte. Außerdem verließ sie die Königin nie.

Leonin besuchte täglich um dieselbe Stunde mit dem Marquis de Souvré das Hotel de Lesdiguères. Er würde sehr erstaunt gewesen sein, wenn man ihm gesagt hätte, daß er damit alle die Gerüchte bestätigte, die sich über seine beabsichtigte Vermählung mit Mademoiselle de Lesdiguères immer bestimmter verbreiteten. Nur dem Augenblicke lebend, stimmte er ganz der listigen Aeußerung des Marquis bei, welcher, stets das Ansehn der Langenweile zeigend, ihm versicherte, man könne es ohne[103] Mademoiselle Viktorinens Gegenwart doch gar nicht aushalten. – Mit der größten Absichtlichkeit zog er Leonin an allen Anderen vorüber zu Viktorinen hin, und kaum hatte er die Unterredung Beider eingeleitet, so entfernte er sich, wodurch diese Annäherung noch auffallender ward; denn Beide, in Berührung gesetzt, gefielen sich zu sehr in ihren Mittheilungen, um sie freiwillig aufzugeben und bemerkten es nicht, wie anerkannt ihr Verhältniß gerade dadurch ward, daß sie Niemand störte, was keinen andern Grund hatte, als daß man sie für Verlobte hielt. –

Leonin fühlte sich jeden Tag lebhafter durch Viktorine beschäftigt. Sie schmeichelte vollkommen seinen Schwächen durch ihre Eigenthümlichkeit; denn sie war Alles, was er nicht war. Er fühlte sich beständig ergänzt, gestützt und erklärt durch ihren festen und edeln Karakter, ihren scharfen, unbestechlichen Verstand. Dagegen fiel dies edle Wesen in den oft sich wiederholenden Fehler ihres Geschlechtes, die Schwächen des Mannes zu erkennen; aber in dem Gefühl eigner reicher Kräfte sich der Hoffnung und dem Streben zu überlassen, ihm diese Umänderung oder diese Festigkeit geben zu können. Sie übersah aber, daß ihre Phantasie ihn nach und nach wirklich zu dem machte, was sie wünschte, daß er es sein möchte; sie verkannte, daß sie in dem Besitz dieser Eigenschaften war, die bloß darum bei ihren Ansichten und Meinungen in ihren Unterredungen nicht fehlten, weil sie dieselben hervortreten ließ, und Leonin bloß die leichte, liebenswürdige Gabe besaß, sogleich in solche Anregungen verstehend einzugehn. Er hatte dabei die Milde, die vorherrschende Weichheit, die ihr fehlte, die sie zu erringen wünschte, gehindert von dem kräftigen Aufwuchse ihres befähigten Naturells. Deshalb glaubte sie ihn so viel besser, als sich; ihr schien errungen – Weisheit, Reife der Entwicklung bei ihm, was bloß eine Art Indolenz war, veredelt durch ein[104] gutes, fein fühlendes Herz, welches in früherer Zeit vielleicht zu einer kräftigeren Gestaltung hätte geführt werden können – damals aber, wie wir zum Oefteren schon erwähnt haben, von der eigennützigen Liebe seiner Mutter bloß zu ihren Zwecken gebildet ward.

Doch ward Leonin noch durch Nichts aus dem einwiegenden Zustande dieser täglichen geselligen Betäubungen gerissen, die ihm an Wichtigkeit stiegen in dem Maaße, wie auch für ihn die tausendfältigen kleinen Interessen und Eitelkeiten zu verfolgen waren, welche, um ihn her getrieben, Jeden verwickelten, der sich ihnen nicht mit Bewußtsein entgegenstellte.

Sein Vater erwartete mit Sicherheit, daß Anna von Oesterreich seinem Sohne die Braut erwählen werde, und fühlte sogar eine kleine Schadenfreude, diese Angelegenheit, wie er wähnte, seiner Gemahlin aus den Händen genommen zu haben. Der König und die Königin besonders, behandelten Leonin mit Auszeichnung. Man sprach ihm so oft davon, daß ein hohes Hofamt ihm nicht entgehen könne, daß er daran glaubte, zuletzt es als eine Ehrensache ansah, daß ihm das allgemein Zuerkannte nicht vorenthalten bliebe. – Und aus diesen Anregungen schossen Ehrgeiz und Eitelkeit auf, die ihn Vortheile suchen und verfolgen ließen und ihn an die Stelle, die ihm Erfüllung verhieß, fesselten, als müsse er sie bewachen.

Die Freundschaft, der Vorzug, – da er es nicht anders nennen wollte – mit welchem Mademoiselle de Lesdiguères ihn beehrte, mußten ihm daher, bei der Gunst, die sie bei den Majestäten genoß, behülflich und vortheilhaft sein. Er war unwillkürlich auffallender mit ihr beschäftigt in Gegenwart der hohen Herrschaften, und immer schien es ihm, als ob die Königin ihn wohlwollend beobachte und ihn nach solchen Tagen selbst in ihre kleineren Zirkel bescheiden ließ, wo Leonin, belebt von seinen geheimen Wünschen, eine größere Liebenswürdigkeit[105] und Anmuth zeigte, als seine gewöhnliche Indolenz sonst zuließ. – Vielleicht erfuhr Leonin nicht mehr und nichts Anderes, als die meisten jungen Leute, welche ohne Lebensplan und Karakterstärke in die betäubende Atmosphäre eines solchen Schauplatzes versetzt werden. Fast Jeder, der dieser Jugendperiode gedenkt, wie anders auch der Standpunkt ward, den er sich später wieder gewann, muß sich den chamäleonischen Farbenwechsel seiner Gesinnungen eingestehen, der ihn damals fortriß, ein Spielzeug der herrschenden Menge zu werden, ihren Gesetzen entgegen zu kommen gegen frühere Ueberzeugung. Aber nicht Jeder entfernt sich damit, so wie Leonin, von bindenden, heiligen Verpflichtungen; – und was dort bloß eine Durchgangsperiode der Jugend ist, die den Lebenswerth noch nicht bestimmen kann, mußte bei Leonin tiefere, bedeutungsvollere Folgen nachlassen.

Bedenken wir jedoch, wie sein jetziges Verfahren den Absichten der Marschallin von Crecy, wie dem heimlichen Hasse des Marquis de Souvré vollkommen entsprechend war, so werden wir gerechter gegen Leonin bleiben, wenn wir es anerkennen, wie die Versuchungen, die sich ihm darboten, von Beiden gehäuft, herbeigezogen und unterhalten wurden. Sie sahen ruhig zu, wie er sich in ihnen verwickelte, nur verhütend, daß er nicht früher die Beschaffenheit seiner Handlungen erkenne, bis sie ihn so hinreichend umsponnen haben würden, daß er sie dann selbst behaupten müßte. Der Augenblick, wo er Hülfe suchend in ihre Arme eilen mußte, war so mathematisch sicher zu berechnen, daß sie ihn bloß zu erwarten hatten, um alsdann das längst Beschlossene zu vollführen.

Und dies that die Marschallin von Crecy, indem sie sich alle Tage sagte, wie mütterlich liebevoll sie für ihren Sohn sorge, der viel zu gut sei, um sich selbst durchs Leben lenken zu können. Seinen kindischen Widerstand um eine englische Pfarrerstochter hatte sie ihm längst vergeben, weil sie diese[106] Sache als abgemacht betrachtete; nicht etwa mit der Sicherheit, daß dies sein Wille sein werde, sondern mit der Hoffnung, daß die Rückkehr ihm durch sein jetziges Treiben unmöglich gemacht werden würde.

So war der Winter vergangen, das Frühjahr neigte sich zu Ende, Leonin kehrte nicht nach Ste. Roche zurück. Glänzender wie je war der Hof; der König, angeregt von neuen kriegerischen Plänen, stand, wie ein feuriger Komet, belebend und befruchtend über seinen Umgebungen und machte den Hof zu einem Zauberkreise, in welchem sich alle großen Geister Frankreichs sammelten, um den Preis ringend, seine Pläne ins Leben zu rufen.

Wie stolz und großmüthig auch die Miene sein mochte, mit der Ludwig den Aachner Frieden unterzeichnet hatte, wie geneigt er auch war, und sein Volk mit ihm, den damals gemachten Rückschritt von fabelhaften Eroberungen zu einem geringen Vortheile beim Abschlusse des Friedens, sich als eine Handlung seines Willens auszulegen, so blieb nichts desto weniger der Stachel in seinem Herzen zurück; denn an seinem heimlich genährten Verdrusse gegen die Coalition der feindlichen Mächte, die ihm den Frieden abnöthigte, war wohl zu erkennen, wie er ihrem Willen hatte nachgeben müssen.

Unläugbar war der Augenblick günstig für die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten gegen Holland. Von der Einmischung der Mächte war aufs neue nichts zu fürchten. England, in seinen Finanzen zerrüttet, lag in stillem Grolle vor dem wiedergerufenen Herrscher, der alle Thorheiten der Stuarts, alle Unbesonnenheiten und Unredlichkeiten gegen sein Volk auf dem sichtbar gefährlichen Schauplatze des ihm, auf Treu' und Glauben, wieder verliehenen Thrones durchspielte. Aber noch sah die Nation den sich erneuernden Unbilden, die es zu erleiden hatte, mit dem Wunsche zu, der gewaltsamen Abhülfe überhoben[107] zu sein, und Karl mißkannte diesen Waffenstillstand, den es ihm gönnte, und verscherzte, immer kühner werdend, jedes Mittel zu seiner Behauptung. Dünkirchen, dieser eifersüchtig behütete Apfel der Zwietracht zwischen beiden Nationen, war ohne Schwertstreich in Frankreichs Besitz gekommen. Man wußte, Mademoiselle Keroualle, die jetzt als Herzogin von Portsmouth den König beherrschte, war bei dieser entehrenden Abtretung die besoldete Unterhändlerin Frankreichs gewesen. Die Revenue, die Ludwig der Vierzehnte dem Könige jährlich dafür zahlte, und die ihm den Namen des französischen Pensionair's zuzog, ging fast ausschließlich in den verschwenderischen Händen der Herzogin unter, und Karl hatte Nichts damit erkauft, als die doppelte Schande des Verrathes gegen sein Volk und des Besitzes dieser sittenlosen Frau. Ludwig wußte genau, daß unter diesen Umständen weder bei dem leichtsinnig schwelgenden Karl, noch bei dem zürnend vor ihm Wache haltenden Volke Neigung zu einer auswärtigen Einmischung vorhanden sei, und daß somit Hollands wirksamster Allürter unthätig bleiben würde.

Nicht minder unlustig war Spanien zum Kriege. Oesterreich, von den Türken bedroht, hatte außerdem mit inneren Unruhen in Ungarn zu thun, und Holland selbst war in die statthalterische und in die strengre publikanische Partei getheilt.

Dagegen war Frankreich wie ein jugendlich schöner Körper von einem glühenden Geiste belebt. Das ganze Land stand in jeder Hinsicht wie ein Sieger dem übrigen Europa entgegen. Vielleicht stellt keine geschichtliche Epoche der Welt eine innigere, vollkommenere Vereinigung zwischen König und Volk dar, als Frankreich in dieser höchsten Blütenzeit seines jugendlichen Herrschers. Er war, was jeder Einzelne war, ein stolzer begabter Franzose; – aber er schwang das Banner, dessen Farbe Jeder begehrte. Um ihn waren die Männer geschaart, deren Namen[108] die unvergeßlichen Zierden ihrer Zeit sind: – Turenne mit seinem erfahrenen Muthe – Condé mit seinem unzertrennlichen Glücke – Louxembourg mit seinen geschickten Märschen und Feldlagern – Tessé, de la Ferté, erprobte Krieger bei jeder Unternehmung – endlich Feuquières, der den Muth auf die Bahn der Wissenschaften lenkte und, mit Vauban vereint, Belagerungen ins Leben rief, die vor ihm Keiner gekannt, und die ihn unsterblich machten. Sie begründeten eine höhere geistige Thätigkeit und bildeten, in Vereinigung mit diesen großen Feldherren, eine Armee, die auch im Innern durch die aufblühenden Talente Villar's, Catinat's und vieler Anderen gestützt ward, und gegen welche kein Reich sich zu stellen wagen konnte; besonders, da Louvois mit den Schätzen, die Colbert gesammelt, Alles unterstützte.

Es ist unrichtig zu sagen, Ludwig habe allein zu seiner ritterlichen Befriedigung den Krieg begehrt. Der Krieg mußte sich nach damaliger Sitte nothwendig von selbst entwickeln. Die vorhandenen Mittel verlangten ihre Anwendung; es war ein Stoff, der von selbst Feuer fing, an der gedrängten Zündkraft sich erhitzend. Ludwig folgte seiner Neigung; aber diese Neigung war zugleich Besitz – Erforderniß seiner Nation.

Es mußte sich ein Schauplatz finden für die Anwendung der Kräfte, der Talente, Erfindungen und Bestrebungen, die alle harrend dastanden und die Gelegenheit herbeilockten.

Zwar war es dem Könige, wie allen Freunden des Marschalls Crecy, bekannt, daß Leonin nicht unmittelbar im Heere angestellt werden konnte; aber der Feldzug, den man vorbereitete, war von dem seltensten Uebermuthe, von der zweifellosesten Sicherheit des Gelingens begleitet und, bei allen ernsten, kräftig und geschickt betriebenen Kriegsrüstungen, zugleich ein glänzendes, zu Felde ziehendes Hoflager. – Man kann sagen, daß vor dem Schauspiele einer Schlacht oder Belagerung die[109] Zuschauer-Logen für den Hof erbaut wurden, die Alle nur verließen, um unter dem fröhlichsten Pompe in die Plätze und Städte einzuziehen, die ihre Sieger ihnen eroberten. Die Vorbereitungen entsprachen ganz den zu Anfang so entschieden eintretenden Erfolgen.

Die Armee begleiten zu dürfen, war der Ehrgeiz des ganzen Adels. Da es unmöglich war, alle Gesuche um diese Ehre bewilligen zu können, und an eine Auswahl, eine Schranke gedacht werden mußte, so stellten sich die zahllosesten Intriguen ein, um auf Umwegen zum Ziele zu gelangen.

Leonin befand sich jetzt so häufig in dem kleinen Zirkel der Königin, daß er an einem Platze in ihrem Gefolge nicht zweifeln mochte und die vorangehenden Glückwünsche mit einer Miene aufnahm, welche Alle in Ungewißheit ließ, ob seine Wünsche schon erfüllt wären und sein diskretes Schweigen nur irgend einer besondern Uebereinkunft zuzurechnen sei. Dies war aber noch keineswegs bestimmt. Leonin erschien jeden Abend mit derselben Hoffnung und kehrte mit derselben Täuschung zurück. Dies stachelte seine Eitelkeit bis zu einer Art Leidenschaft, und er sagte sich oft, dies müsse er doch erst um seiner Ehre Willen abwarten, und dann erst könne er den lange verschobenen Besuch in Ste. Roche unternehmen.

Dagegen hörte Leonin zuweilen Aeußerungen, die ihn glauben machten, der König habe noch andere, ehrenvollere Pläne für ihn. Das unbegreifliche Vorenthalten eines Platzes, den so Viele mit geringeren Ansprüchen erreichten, war um so räthselhafter; da in der Art, wie die Herrschaften ihn behandelten, ein Wohlwollen lag, welches diese Ansprüche zu erkennen schien.

Madame Henriette lächelte eines Abends, als sie den jungen Grafen Crecy einige begeisterte Reden halten hörte, über das Glück, Waffen tragen zu dürfen, »Und wirkt unser Mittel[110] noch nicht?« sprach sie – »wird der alte Herr noch nicht ungeduldig?«

Leonin machte die verbindlich lächelnde Miene, die alle vornehmen Personen sicher haben, wenn sie von ihren Zuhörern nicht verstanden werden. Er dachte eine Frage einzuleiten; da wendete sich Madame schon von ihm, indem sie, mit dem Fächer winkend, rief: »Geduld! Geduld! Sie sind ein zu guter Sohn, um sie so bald zu verlieren!«

Der junge Graf blickte ihr erstaunt nach, und der Marquis de Souvré, der den Grafen Guiche geschickt hatte, die gütige Fürstin in ihrem Gespräche zu unterbrechen, lachte der überraschten Miene Leonin's nach, für die er den Schlüssel führte.

Er hatte durch die Freundschaft des Grafen Guiche, dessen tiefe, mit seinem Leben bezahlte Leidenschaft für Madame Henriette ihn zugleich zum Vertrauten der unglücklichen Fürstin machte, eine Gewalt über sie erhalten, die es ihn leicht finden ließ, sie zur Mitwirkung bei seinen Plänen zu bewegen.

So versicherte Madame dem Könige, wie Leonin und die Marschallin noch immer hofften, den Eintritt des jungen Grafen in die Armee vom Marschalle zu erreichen; der König möge nur seine Anstellung bei Hofe noch verzögern, wodurch dem alten Herrn endlich kein anderer Ausweg bleiben werde, als ihn dem Könige für die Armee anzubieten. Der König, der den jungen Mann bedauerte, weil er ihn aus Gehorsam gegen den Willen des Vaters von der gewünschten Laufbahn entfernt sah, fügte sich in den bittenden Vorschlag der Prinzessin; und so erlebte Leonin alle die Täuschungen, welche so wohl berechnet waren, ihn leidenschaftlich zu erregen, zu vielen kleinen, gefügigen Schritten zu treiben, die ihn verwickelten und dem sorglosen Glückskinde ein Gefühl der Abhängigkeit, des Widerstandes und des Mißlingens zu geben, wovon sein Leben bis jetzt so frei geblieben war.[111]

In dieser Stimmung unruhiger Erwartung brachte er die Stunden in seinen Zimmern zu, ehe er zur Marschallin kommen durfte, die jede Gelegenheit, ihn allein zu sprechen, durch Louisens heitere, unschuldige Gegenwart vermied. Seine ungeduldige, mißmuthige Laune ward aber dies Mal unterbrochen; – sein Kammerdiener, von einem Manne gefolgt, trat ein; und als dieser mit großer Lebendigkeit auf Leonin zu eilte, erkannte er in ihm den zum Skelette entstellten Lesüeur.

»Lesüeur!« rief Leonin, und sein Gesicht überlief ein Purpur, der wol einen noch tieferen Grund, als den der Ueberraschung hatte. »Wie kommen Sie hieher?« fuhr er fort, zerstreut und unruhig das Ungeschick dieser Frage überhörend.

»Woher ich komme, mein Herr?« rief Lesüeur – »Gewiß, ich kann nicht zweifeln, daß Sie sich dessen erinnern, da Sie mich ja selbst dahin geschickt!«

»Also wirklich von Ste. Roche?« rief Leonin – nun sich zurecht findend und warm werdend. »O, dann haben Sie mir Viel, Viel zu erzählen! Doch, erst ruhen Sie aus und lassen Sie uns frühstücken. – Ich werde bei meiner Mutter absagen lassen, und wir wollen uns ein Paar Stunden angehören.«

Bald war Alles nach seinem Willen eingeleitet, und Leonin behielt Zeit, sich zu sammeln, Lesüeur, seine mißtranische Empfindlichkeit zu überwältigen, wobei Leonin die außerordentliche Veränderung des sichtlich dem Grabe nahen Künstlers beobachtete.

»Nicht wahr, mein Ste. Roche ist schön?« rief Leonin, endlich die träge Mittheilung Lesüeur's überholend – »Und es war keine üble Idee, Sie dahin zu verweisen?« –

»Weiß Gott, eine Idee, für die zu danken, mein Leben zu kurz sein wird; – der schönste Schwanengesang eines sterbenden Künstlers unter den Flügeln eines irdischen Engels! – Ja,« fuhr er fort, »Lesüeur, der sterbende Lesüeur darf es[112] gestehen, sein letztes Bild wird sein bestes sein – ich habe Ihre Gemahlin, Herr Graf,« sprach er leise und vor Bewegung zitternd, »zwei Mal gemalt; denn ich wußte nicht, wie ich in einem Bilde diese Fülle von Liebreiz fassen sollte. – Hundert Bilder hätte ich nach ihr malen wollen – Alle sie selbst – Alle eine neue Seite dieses reichen, göttlichen Weibes entwickelnd!«

»Lesüeur,« rief Leonin mit dem Lachen der schon erlernten flachen Gesellschafsweise, »machen Sie mich nicht eifersüchtig! Ich glaube, Sie sind verliebt – Ihr Herz hat Ihre Hand geführt!«

Lesüeur sandte aus seinen großen sterbenden Augen einen Blick auf Leonin, von dem er getroffen, die seinigen zu Boden schlug. – »Ha,« rief er dann, »wehe dem Künstler, der es anders macht! – Wehe dem, der dies heilige Feuer mißdeuten kann und es mit der eiteln Bedeutung beleidigt, welche ihm die große Welt beilegt. Ha, Herr Graf,« fuhr er beinahe heftig fort – »wissen Sie noch, wie die heilige Atmosphäre Ihrer Gemahlin eine Begeisterung einflöst, welche unabhängig macht von allen thörichten Wünschen dieser Erde? Wissen Sie es noch, wie sie uns von allen Fehlern reinigt, die uns die Welt anerzieht? Wissen Sie es noch, wie wir vor ihr Alles vergessen möchten, was wir gethan, gewollt und bis dahin für das Rechte oder Erlaubte hielten; – und wie wir ein neues Leben beginnen, um es zu verdienen, wenn sie uns ihre heilige Unschuldswelt aufthut?«

Leonin wußte es nicht mehr, oder es lag doch zurückgedrängt, eingeschlummert in ihm. Wie ein Gerichteter sank er in seinen Stuhl zurück, während Lesüeur in steigender Bewegung fortfuhr: »ich war krank, sterbend – von ihrem Bilde eilte ich zum Krankenlager! Da hat sie mich gepflegt – hören Sie, mein Herr, nicht diesen elenden, dem Tode verfallenen[113] Leib hat sie bloß gepflegt – meine Seele hat sie geheilt, die, kränker als mein Körper, zum Mörder an ihm ward! Wenn ich jetzt den Weg in das Jenseits finde, wenn Friede und Ruhe mein letztes Lager umgeben – dann werde ich es ihr danken, die alle meine Irrthümer so lange verfolgte, bis sie besiegt zu ihren Füßen lagen. Ich werde sie sehen, bis mein Auge bricht, wie sie mit dem Heiligenscheine ihrer Begeisterung an meinem Lager betete, als sie mich für sterbend hielt; – ich werde dies Gebet auf meinen Lippen tragen, wenn ich ende, und es wird die Brücke sein, die mich hinüber führt! Und dies that sie,« fuhr er fast weinend fort, als Leonin sein Gesicht in tiefster Bewegung verhüllte, »obgleich ihr eigner Zustand Schonung, Sorgfalt verlangte, die wol keine Frau in solcher Lage sich versagt.«

»Was meint Ihr, Lesüeur?« rief Leonin und sprang todtenbleich von seinem Stuhle auf, ihn mit fieberhafter Bewegung ergreifend. »Was fehlt Fennimor – warum bedarf sie der Schonung – was ist ihr geschehen?«

»Wie!« rief Lesüeur, »so fragen Sie mich? Sie wissen nicht, was Fennimor geschah? – O, gehen Sie hin, gehen Sie hin, so schnell Sie können! Hat sie es Ihnen verschwiegen, so sollen Sie mit dem heiligen Glücke überrascht werden, das sie Ihnen aufhebt!«

»Lesüeur,« stammelte Leonin, »sagt, sprecht es aus! Fennimor!« Er konnte seiner Ahnung keine Worte geben.

»Fennimor,« sprach Lesüeur, »wird Mutter werden!«

Laut weinend stürzte Leonin bei diesen Worten in Lesüeur's Arme. Die Rinde um sein verlocktes Herz war gesprungen – er war wieder Mensch – Fennimor's Gatte, die Natur hatte ihren mächtigen Ruf nicht umsonst ertönen lassen.

»Nun dem Himmel sei Dank, Emmy Gray hat nicht Recht!« rief Lesüeur – »Er liebt sie noch, er wird sie ehren[114] und erheben, wie es sich gebührt! – Doch eilen Sie! Noch hält sie fest am Glauben, und das Glück, das sie, mit kindlichem Erstaunen wie die heilige Jungfrau, selbst in sich trägt, erhält sie in seliger Verklärung. – Emmy Gray sagte mir, in den nächsten Monat müsse die entscheidende Stunde fallen.«

»Lesüeur, mein Freund! mein Wohlthäter! – Fennimor, mein geheiligtes, unschuldiges Weib! – Morgen, morgen will ich fort!«

Außer sich, rief Leonin seinen vertrauten Kammerdiener; augenblicklich gab er die Befehle zur Abreise; am andern Morgen wollte er fort. Er ließ sich bei seinem Vater melden – er wollte ihm seine Abreise nach Ste. Roche anzeigen. Dann wollte er zu Madame Henriette, ihr sein ganzes Herz ausschütten – sie sollte beim Könige, bei der Königin Alles vorbereiten; dann wollte er in dem Abendzirkel der Königin sich von Beiden beurlauben. Seine Mutter drängte er bei diesen Ueberlegungen zurück; was er mit ihr wollte, wußte er nicht, darum berührte er es nicht. – Laut denkend, indem er Alles, was er dachte, an Lesüeur aussprach, lief er im Zimmer umher und bestellte endlich seine Toilette und seinen Wagen, um zur Oberhofmeisterin der Prinzessin, der Gräfin von Grammont, zu fahren.

Dann ging er zu seinem Vater und trug ihm übereilt, zerstreut und mit dem vollsten Ausdrucke der erlittenen Gemüthsbewegung seine Absicht vor, nach Ste. Roche abzureisen.

»Aha,« lachte der Marschall, »wir haben Crecy'sches Blut! Wir sind verdrießlich! Die Hofcharge und die Braut bleiben zu lange aus! – Nun höre, mein Junge, das ist so übel nicht! Thue Du ein wenig empfindlich, damit sie nicht vergessen, wer Du bist! Es wird schon Aufsehen machen, wenn Du jetzt fortgehst, als ob Du aller Hofgunst den Rücken kehrtest, wo alle die Hasen in einer Reihe lauern, um auf das erste Signal nach dem rothen Lappen zu laufen. Ich habe[115] nichts dagegen – und sei nur ruhig – ich werde indessen Deinen Platz einnehmen! Sie sollen mich nur fragen, wo Du hin bist – ich will ihnen dienen! Die Frau Königin Anna denkt wohl, sie hat Wort halten nicht mehr nöthig; da der alte Marschall nicht mehr die Thore von Paris stürmen und ihre Frondeurs in die Flucht schlagen kann! Nun, nun – wir wollen sehen lassen, wer ich bin! Gehe Du indessen, mein Junge – ich stehe Dir dafür, Du wirst bald zurück gerufen.«

Der Arzt und der Kaplan unterbrachen diesen väterlichen Erguß und nahmen Leonin die Gelegenheit zu jeder Erwiederung, selbst wenn er sie beabsichtigt hätte; was wir indessen bezweifeln, da er, um den Marschall von seinen eisernen Ideen abzubringen, wenigstens die entschlossene Sicherheit seiner Mutter hätte haben müssen, die ihm um so mehr fehlte, da ein Meer der widerstrebendsten Gedanken und Gefühle in ihm nichts weniger aufkommen ließ, als einen festen und geordneten Zustand. – Zur drückendsten Bürde wurde es ihm dagegen, den langweilig scherzhaften Gesprächen längst verbrauchter Gedanken zuzuhören, mit denen diese, täglich nur auf sich selbst angewiesenen, Männer sich zu vergnügen glaubten. Doch würde der Marschall seine Entfernung, ehe er dazu das Zeichen gab, höchst übel genommen haben, und ihm blieb Nichts übrig, als äußerlich Geduld zu zeigen, während er innerlich fast vor Aufregung zu vergehen meinte.

Endlich schlug der ersehnte Augenblick, und gleich darauf eilte seine Karosse zur Gräfin Grammont.

Madame de Grammont kam durch die falsche Stellung, die Oberhofmeisterin einer geistreichen Prinzessin zu sein, in den Wahn, selbst für geistreich gelten zu müssen, und suchte durch leichte, humane und elegante Manieren die Herzogin von Bellefonds zu persifliren, deren steife spanische Grandezza über die kleinste Abweichung von der Regel den Bannfluch sprach. Sie[116] war daher leicht zu jeder Stunde zugänglich, verbaute den Eintritt bei Madame nicht durch ihren eignen Willen und war stets in eine Wolke von Parfums gehüllt, mit Vögeln, Hunden und Kätzchen aller Rassen umgeben; – übrigens aber die beste Frau der Erde.

Sie nahm nicht allein Leonin's Besuch gnädig auf, sondern begab sich auch zugleich zu Madame, ihr die Bitte des jungen Grafen vorzutragen. Doch kam sie bald und mit sehr verlegener Miene zurück, indem sie eine völlig abschlägige Antwort zu bringen hatte, da die Prinzessin allein zu bleiben wünschte.

Leonin fühlte sich hierdurch ganz aus dem Wege gedrängt, den er sich als den leichtesten und bequemsten gedacht hatte, und schlich, in tiefes, unruhiges Nachdenken versenkt, über die Galerien und Vorsäle zurück, völlig unsicher, was ihm jetzt zu thun obliege. Einen Augenblick trat er an die Brüstung einer offenen Galerie, die vor der Prinzessin Kabinet vorbeilief und in die Gärten niedersah, um, ehe er seinen Wagen bestieg, zu wissen, wohin er ihn richten sollte; – da hörte er eine Flügelthür aufgehn, die unmittelbar in die Zimmerreihe von Madame führte, und der Marquis de Souvré eilte mit schnellen Schritten daraus hervor.

»Souvré! – Crecy!« riefen Beide überrascht. »Also die Prinzessin war nicht allein?« fuhr Leonin laut denkend heraus. – »Mich nur wollte sie nicht sehen?«

»Sie sind ja in vollkommen hypochondrischer Laune!« lachte Souvré – »Was haben Sie denn? Im Ernste, Sie sehn entsetzlich tragisch aus; – ich erkenne den leichten, heitern Gesellschafter der Mademoiselle de Lesdiguères nicht wieder!«

»Lassen wir das, Marquis!« rief Leonin – »Sagen Sie mir nur, ob Sie bei der Prinzessin waren, ob keine Möglichkeit ist, bei ihr Zutritt zu erlangen?«[117]

»Nachdem Madame de Grammont mit ihrem Gesuche abgewiesen worden ist?« fragte Souvré – »wo denken Sie hin! Doch, lassen wir das – was gehen uns die Launen der Prinzessin an! Wer sagt Ihnen, daß ich bei ihr war? Das kann ja Alles von keinem Belange sein.«

»Es ist wichtiger, als Sie denken, Souvré!« erwiederte Leonin. »Ich muß morgen früh nach Ste. Roche abreisen; der Prinzessin, dieser edeln, fühlenden Seele, will ich mich vertrauen, sie muß den König für meine Bitten gewinnen, dann werden meine Aeltern nicht widerstehen!«

»Nun dem Himmel sei Dank, daß Sie an der Ausführung dieses wahnsinnigen Unternehmens gehindert wurden! Was glauben Sie, daß der Erfolg gewesen wäre? Ihre völlige Ungnade, des Königs ungemessenster Zorn, und wahrscheinlich einige so gewaltsame Maaßregeln, daß Sie schwerlich Ste. Roche so bald möchten erreicht haben!«

»Nein, nein, Souvré! Nein, Sie irren; das würde der König nicht thun, am wenigsten an Jemandem, der meinen Namen trägt.«

»Gerade darum,« entgegnete Souvré, empört über den Hochmuth dieses Thoren, der, immer noch zu sicher, immer noch nicht unglücklich werden wollte – »gerade deshalb würden Sie seinen stärksten Unwillen auf sich ziehen. – Sind die Crecy-Chabanne nicht Vettern des Königs? Ihre Verbindungen sind daher, wie er annimmt, von ihm abhängig. Waren Sie noch nicht hier, wie das Verlöbniß des Grafen von Harcour mit Mademoiselle de Roux auf seinen Befehl getrennt ward; da ein Harcour sich nur mit seiner Bewilligung, nach seiner Wahl, mit einer Tochter aus den alten Familien des Reichs vermählen darf?«

»Ich aber,« sagte Leonin – »ich, der ich schon vermählt bin? bei dem von Auflösung nicht mehr die Rede sein kann?«[118]

Souvré trat ein Paar Schritte näher, und dicht vor Leonin stehend, sagte er so spöttisch herausfordernd, wie er vermochte: »ist es möglich, haben Sie hier umsonst gelebt? Sie, Sie können noch von dieser Vermählung als einer Wirklichkeit sprechen? Sie können glauben, daß irgend Jemand, vom Ersten bis zum Letzten, diese Verbindung für rechtmäßig, für bindend ansehn werde? – Fragen Sie, wenn Sie können, Ihre Priester, Ihre Verwandte, die Minister, die Armee, den König – und wenn Sie Zeit haben, die Antwort zu hören, so werden Sie ein und dieselbe hören. Niemand wird Sie für vermählt halten. Niemand wird es für möglich achten, daß ein Crecy-Chabanne – ein Vetter des Königs – ein Katholik überdies, eine englische Pfarrerstochter ehelichen könnte, die eine Ketzerin ist. Niemand denkt daran, daß eine Procedur dieser englischen Kirche, die überdies den Minorennen, ohne Einwilligung der Eltern und des Königs Dastehenden, vor aller Augen als ein Opfer der Intrigue erscheinen lassen wird, rechilich oder kirchlich binden könnte. Daher rathe ich Ihnen als Freund – treten Sie mit dieser kleinen Jugendthorheit nicht in die Schranken; Sie werden sonst von Waffen besiegt, die am unleidlichsten sind – Sie werden ausgelacht werden!«

Leonin stand dieser stachelnden Rede mit einer solchen Abspannung gegenüber, daß sie vergeblich ihn zu kränken suchte. Er hatte nicht umsonst auf dem gefährlichen Boden so lange gelebt, und Souvré wußte das besser, wie er. Was eben schonungslos vor ihm beim Namen genannt werden konnte, war in vielen kleinen Anklängen ihm schon längst verständlich geworden, daher überraschte es ihn nicht; aber er wußte sich nur, wie immer, keinen Rath.

»Dessen ungeachtet muß ich nach Ste. Roche,« hob er endlich erwachend an – »das ist eine heilige Pflicht, mag sie verzeichnet stehen, wo sie will!«[119]

»So thun Sie es,« sagte Souvré sorglos – »nur verschweigen Sie die Veranlassung! – Ich muß Madame de Bellefonds diesen Morgen noch sprechen, ich will ihr sagen, daß Sie die Majestäten von Ihrer Abreise unterrichtet. Warum sollen Sie Ihr Hotel Biron nicht so gut haben, wie der König?«

Das war zu stark – es blitzte alles bessere Gefühl in Leonin auf, zu heftiger Entgegnung richtete er sich in die Höhe; – aber schon glitt Souvré leicht grüßend die große Treppe hinunter und ließ Leonin mit einem Gefühle von Schmerz und Entwürdigung zurück, wie dieser Feind seiner Ruhe es ihm nur wünschen konnte.

Blind und betäubt verfolgte er indessen die Richtung, die er genommen; die Stimmung, in der er sich befand, war Fennimor's nicht würdig; aber sie war doch von Gefühlen untermischt, die einem edleren Bewußtsein angehörten. Das Eine, daß er jetzt zu ihr zurück müsse, blieb wenigstens vorherrschend und hielt den anderen Eindrücken, die nur zu viel Wichtigkeit für ihn bekommen hatten, das Gleichgewicht.

Seine Mutter nahm seinen späteren Besuch nicht an. – Sie empfing, wie er bemerkte, heute alle Morgenbesuche persönlich und ließ Leonin ein größeres Diner ansagen. Noch ehe dieser sich zu seinem Vater begeben hatte, wußte sie Alles, was in seinem Zimmer vorgefallen, und eine kurze Unterredung mit dem Marquis de Souvré machte die Mine springen, die Beide seit langer Zeit für diesen Fall bereit hatten.

Souvré, der bei der unglücklichen, durch ihr Herz verstrickten Henriette immer Zutritt hatte, erschien eine Stunde früher, und Madame erfuhr, daß Leonin alle Hoffnung habe aufgeben müssen, in die Armee eintreten zu können, da der Marschall unerschütterlich seinem Vorsatze getreu bleibe; daß er jetzt verzweifle, der König werde ihn bei Hofe anstellen, und sich entehrt und herabgesetzt halte. Die Marschallin ließ der[120] Prinzessin ihren Schmerz hierüber ausdrücken, und ihre Hilfe, ihren Beistand bei dem Könige nachsuchen. Die Prinzessin versprach mit ihrer gewohnten Gutmüthigkeit, daß sich Alles diesen Abend bei der Königin ausgleichen solle.

Die Marschallin erschien nicht früher, als bis ihre Zimmer sich gefüllt hatten, und kein Raum mehr für ein vertrauliches Wort vorhanden war. Als sie ihrem Sohne begegnete, blieb sie stehen, und in der Gegenwart von einigen zwanzig Zeugen sagte sie plötzlich: »Sie wollen uns morgen verlassen? Sie sind sehr eilig, Ihre schönen Besitzungen in Ste. Roche in Augenschein zu nehmen! Doch müssen wir Ihren Eifer loben – mehrere Ihrer Vorfahren pflegten von Zeit zu Zeit sich dort aufzuhalten. Ihre Eltern haben diese Neigung nicht gefühlt – vielleicht werden Sie darin Ihren Ahnherren wieder ähnlicher. – Wir werden uns diesen Abend bei der Königin sehn!«

Als sie bei diesem Winke das Wort an einen Anderen richtete, fühlte Leonin zuerst etwas wie Groll in sich aufsteigen, und sein gequältes Herz malte sich in seinen bleicher werdenden Zügen.

Mit demselben Ausdrucke noch sah ihn die sanfte Henriette von England am Abende bei der Königin, in dem ungewöhnlich vergrößerten Zirkel, und ihr theilnehmendes Lächeln wollte ihn aufrichten; da sie hoffte, er würde durch ihre Vermittlung noch Alles diesen Abend erreichen, was seine sichtlich gekränkte Stimmung verrieth.

Nach dem Erscheinen des Königs, der sehr bald seinen Platz neben seiner schönen Schwägerin einnahm, ward es Leonin möglich, sich Mademoiselle de Lesdiguères zu nähern, die mit der größten Theilnahme ihn aus der Ferne beobachtet hatte. Er fühlte sich, wie immer, an ihrer Seite erleichtert; – sie schien ihm heute vor Allen das einzige menschliche Wesen in diesem Kreise, und er glaubte, nach der gewöhnlichen Weise der[121] Männer, sich jeder Empfindung hinzugeben, ohne der nothwendigen Mißdeutung ihrer Aeußerungen gedenken zu wollen, daß er ihr endlich die ganze Weichheit und Erschütterung seiner Seele zeigen dürfe. Er sagte ihr, daß er am andern Morgen abreisen werde – er sagte ihr, wie schwer sein Herz sei, wie es ihm scheine, er werde nie wieder hierher zurückkehren; wie alle Hoffnungen, alle Wünsche auf diesem Schauplatze des Lebens ihm versunken wären, und er sich nur wieder finden könnte in der Einsamkeit von Ste. Roche – er verließe hier Niemanden mit schwerem Herzen; allein die Trennung von ihr bekümmere ihn tief – gern, gern würde er ihr sein ganzes Herz aufgeschlossen haben, aber er müsse fürchten, daß sie ihn alsdann für immer aus ihrer Nähe verbanne, und es würde die Brücke, die ihn zurückführen könne, völlig abbrechen heißen, wenn er Sie nicht als seine Freundin wieder zu finden wisse. –

Er sagte ihr dies Alles mit einem Tone der Stimme, der die tiefste Herzensbewegung ausdrückte, und blickte sie dabei mit einer Bewunderung an, die ihre ungewöhnliche Schönheit ihm immer einflößte, und die ihm dies Mal durch den Ausdruck ihrer Züge, durch den Wechsel ihrer Farbe besonders auffallend schien.

Viktorine fühlte seine Worte, seine Blicke, seine ganze Stimmung mit der vollkommen gerechtfertigten Ueberzeugung, von ihm geliebt zu sein und sich jetzt als die Ursache seiner Verzweiflung, seiner Abreise ansehen zu müssen. Hätte man Leonin die Aufgabe gestellt, Viktorine nach und nach von seiner Liebe zu überzeugen, die ihrige zu gewinnen, er hätte diese Aufgabe nicht besser, nicht vollständiger lösen können, als durch sein, seit Monaten verfolgtes Verhältniß zu ihr. Dessen ungeachtet glaubte er keine Berechtigung der Art verschuldet zu haben, da er nie förmlich um sie geworben, innerlich sich diese Absicht nicht eingestanden. Er hatte den Genuß des Augenblicks in ihrem[122] Umgange gesucht, er hatte mit Eitelkeit nach ihrer Gunst gestrebt und wenig nachgefragt, ob die Mittel, die er zu Beidem wählte, das unbewachte, argwohnlose Herz eines Mädchens mit Hoffnungen erfüllten, die der ihr bewiesenen Liebe gemäß sein mußten. Er würde jeden Vorwurf voll Erstaunen zurückgewiesen haben, da er ja niemals um ihre Hand geworben hatte; – und doch würde er dieses letzte Formular der Liebe selbst für überflüssig gehalten haben an einer andern Stelle, wo er doch nicht mehr hätte thun können, als hier, wenn er diese Absicht hätte ausdrücken wollen. – Was Leonin überdies nicht wußte, Viktorinen aber von ihrer geschwätzigen Mutter längst vor seiner Bekanntschaft verrathen ward, war das, zwischen der Marschallin und dem Hause Lesdiguères unter Genehmigung beider Majestäten, abgeschlossene dereinstige Ehebündniß ihrer beiden Kinder. Mademoiselle de Lesdiguères war allerdings an Rang und Reichthum die ausgezeichnetste Partie des Hofes – die Marschallin konnte nicht klüger wählen, und die Persönlichkeit des Fräuleins schien, selbst unter den später eintretenden Verhältnissen Leonin's, ihren Sieg zu sichern.

Doch Viktorine grollte jedem Zwange, und sie beschloß, Leonin so abstoßend und hart zu behandeln, daß die Eltern ihre vorschnellen Pläne aufgeben müßten. Wie sie es versuchte, haben wir erwähnt; eben so, wie sie nach und nach das Opfer jener gewöhnlichen, edeln weiblichen Täuschung in Bezug ihrer Einwirkung auf Leonin's Karakter wurde, der ihr noch unvollendet erschien. Jetzt liebte sie ihn – und nicht mehr, was er durch sie werden könnte, war die Frage – sondern, ob er ihr, so wie er war, gehören könne und wolle.

Trotz dieser stärker werdenden Empfindung aber besaß sie zu viel Karakter, um einem Vorsatze untreu zu werden, der außerdem ihr edles Herz erfüllte – die ser war, ihre Gebieterin, die Königin, die sie anbetete, die Viktorine als Freundin und[123] Vertraute zärtlich wieder liebte, nie gänzlich zu verlassen; da sie sich bewußt war, mit ihrem allein treu und wohlmeinend gesinnten Herzen das vielfache Böse, das in dem Verhältnisse beider Ehegatten lag, zuweilen abhalten, mildern oder versöhnen zu können. Sie hatte daher der Königin, wie dem Könige in ihrer unumwundenen Weise erklärt, sie würde nur dann Leonin's Gattin werden, wenn seine Verhältnisse auch ihn auf irgend eine Weise an die Person der Königin fesselten, die sie nie verlassen wolle.

Beide Majestäten hatten vielfach Gelegenheit gehabt, den Werth dieses edeln Wesens zu erkennen, sie waren daher dankbar für eine so hingebende Aufopferung und hatten längst eine solche Stelle bei der Königin für Leonin bestimmt, deren wirkliche Uebertragung nur durch die bereits mitgetheilten Kabalen der Marschallin und des Marquis de Souvré aufgehalten wurde.

Viktorine konnte jedoch nicht zweifeln, daß Leonin von ihrer Weigerung, unter andern als den genannten Umständen die Seinige zu werden, unterrichtet sei, dies für Mangel an Liebe halten müsse, und dadurch in die Stimmung sich versetzt fühle, in der sie ihn vor sich sah. Hoch wallte daher ihr Herz dem Wunsche entgegen, ihm offen ihre wahre Empfindung gestehen zu dürfen, und mit der Gemüthsbewegung, die sie in Leonin's Augen so schön machte, horchte sie seinen Worten, das heraus zu finden, was ihr dazu Gelegenheit geben würde. Jedes schien ihr dazu Veranlassung; aber ehe sie ihre stolze Schüchternheit überwinden konnte, erhoben sich die Majestäten, um einem Concerte beizuwohnen, welches Lully mit seinem ausgezeichneten Orchester im Nebensaale aufführte.

Hier kam der verhängnißvolle Augenblick, wo der König, an Leonin vorübergehend, stehen blieb und, ihm mit dem wohlwollendsten Lächeln zunickend, sagte: »nun, Graf Crecy, Sie wollen Ihre Besitzungen von Ste. Roche übernehmen?«[124]

Leonin beugte sich bejahend bis zur Erde. –

»Bleiben Sie nicht zu lange fort – die Königin wünscht Sie um ihre Person zu beschäftigen – ich habe Sie heute zum Kammerherrn und Reisekavalier ernannt und werde mich freuen, wenn dies auch Ihre andern Wünsche zur Reife bringt.«

»Madame,« sagte er, zur Königin sich wendend, »sind Sie zufrieden?«

Die Königin verbeugte sich gegen den König, der huldvoll grüßend voranging, während die Königin noch einige Augenblicke verweilte, um Leonin einige höfliche Worte zu sagen und seine Dankbezeigungen anzunehmen.

Kaum hatten die Herrschaften den Saal verlassen, als der ganze Hof auf Leonin einstürzte, um ihm Gratulationen auszusprechen, die so den Stempel der herzlichsten Theilnahme trugen, daß, wer den Kreis nicht kannte, hätte glauben können, Leonin sei hier in dem Zirkel einer ihn zärtlich liebenden Familie.

Eben so empfing die anwesende Marschallin die schönsten Worte des Antheils, die sie jedoch besonders kalt und übellaunig aufnahm, nur gegen den König und die Königin in ein Meer vorschriftsmäßiger Huldigungen übergehend. Ihr war allerdings ein bedeutender Grund zum Mißfallen gegeben, und um so mehr, da es ihr unerklärlich war, von welcher Seite ihr diese Störung ihres Planes kam. Die plötzliche Ernennung von Seiten des Königs sollte es Leonin unmöglich machen, nach Ste. Roche zu gehn, und eben der König erwähnte diese Reise als angenommen und erlaubt, die durch diese Erwähnung jetzt sogar unumstößlich geworden war.

Die Marschallin konnte auch den Zusammenhang nicht ahnen; denn die Ursache davon war die gute, empfindsame Gräfin Grammont gewesen, gegen die Leonin, als er die abschlägige Antwort der Prinzessin erhielt, in der gedankenlosesten Befangenheit eine Unruhe und Angst, nach Ste. Roche zu[125] kommen, ausgesprochen hatte, von der die gute Dame so gerührt ward, daß sie ihm wenigstens diesen Dienst nach der mißglückten Audienz zu leisten wünschte und die Prinzessin mit Bitten bestürmte, diesen Wunsch des armen jungen Mannes doch beim Könige zu vertreten. Henriette hatte dies mit ihrer unbefangenen Gutmüthigkeit gethan, und der König es bewilligt.

In welcher Bewegung jedoch Leonin durch die plötzlich auf ihn einstürmenden Eindrücke sich fühlte, würde unbeschreibbar sein! Das angeregte Verhältniß zu Fennimor entkräftete zwar in etwas den Triumph dieses Abends; aber er wurzelte schon zu tief in diesen Zuständen, um nicht das Aufbrausen des Ehrgeizes mit Wonne zu fühlen; – und sich endlich sagen zu können, das er erreicht habe, was er gewollt, belebte sein Antlitz, daß Jeder darin das erfüllte Verlangen erkennen mußte.

Auch Viktorine, während des Concertes hinter dem Stuhle der Königin gefesselt, erkannte mit höherem Herzschlage das veränderte Ansehen Leonin's; ihre Blicke suchten und fanden sich, und das edle Mädchen, so nahe sich der Auflösung ihres Zwanges wähnend, ließ ihn in ihren Augen ihr ganzes Gefühl lesen.

Jetzt erhoben sich die Herrschaften und begaben sich, von ihren nächsten Umgebungen gefolgt, grüßend an der Menge vorüber, in ihre Zimmer. Leonin stellte sich Viktorinen bei diesem langsamen Zuge absichtlich in den Weg. Sie sollte ihm Glück wünschen – freudig blickte er, herausfordernd zu ihr auf.

Sie glaubte ihn zu verstehen. »Leonin« sagte sie, bebend mit glühenden Wangen und gesenkten Augen, »ich kenne die Wünsche unserer Freundin – ich kenne die Wünsche unserer Familien – ich habe Sie verstanden, und mein Herz widerstrebt diesen Wünschen nicht länger, da sie mein erstes Gelübde gegen die Königin nicht aufheben werden. Die Königin kennt unsere Wünsche und billigt sie. Nach Ste. Roche also! Ich breche die Brücke nicht ab, die zu mir zurück führt!«[126]

Schnell folgte sie dem Zuge. Es war ein Glück – Leonin war an ihren Worten zur Salzsäule geworden; – sie sah es nicht mehr.

»Wollen Sie mir Ihren Arm geben, mein Sohn!« sagte die Marschallin in diesem Augenblicke. »Sie werden, denke ich, nicht eher abreisen, bis Sie Ihrem Vater Ihre so überaus ehrenvolle Anstellung mitgetheilt haben.«

»Gewiß nicht,« erwiederte Leonin und führte die Marschallin zu ihrem Wagen, bestieg den seinigen und eilte in sein Zimmer, alle Bedienung fortschickend, um allein zu bleiben – der unglücklichste Mensch der Erde, wie er wähnte.


Die Wälder von St. Roche, die Gärten, die das Schloß zunächst umgaben, die Weideplätze und Wiesengründe, die daran stießen, Alles prangte in dem schönen Grün des Juni-Monats, und schien der Seligkeit einer vollständig erreichten, üppigen Entwickelung hingegeben. Täglich sich nachdrängende bunte Blumen, die zarten ersten Früchte, die an Sträuchern und Pflanzen glänzten, Alle schienen sich in den grünen Hallen ein Willkommen zuzujauchzen, als heitere Gespielen, für die der Boden ergrünet. – Auch standen diese schönen Ankömmlinge an einander gereiht, wie reizend geschmückte Tänzer, bereit, den schönen Sommerreigen über die Erde zu tanzen; und in den blauen Lüften, in den schattigen Lauben erklang dazu aus tausend kleinen verschiedenen Kehlen ihr melodisches Orchester. Warme Sonnenstrahlen belebten den langen Tag, tauige Nächte erfrischten die duftende Schönheit der ganzen Natur.

Leise aufhorchend so vielen Wundern, sie alle belauschend mit kindlich wachsamem Auge, so vertraut damit, so beseligt dadurch und zugleich so schüchtern, so behutsam, als könnte ein[127] zu kühnes Hinblicken oder Berühren die kleinen fleißigen Arbeiter in ihrem Aufblühen, Duften und Reifen stören – so glitt Fennimor's leichter Fuß durch die Pracht des Sommers! Sie wußte nicht, daß sie keine aufblühende Blume zu beneiden hatte – selbst so reizend erblüht, daß sie zu ihnen zu gehören schien; und wenn das kindliche Antlitz aus den volleren Falten ihrer Kleider schaute, konnte man vergleichend sagen: die Knospe beuge sich über die aufgeblühte Blume, an demselben zarten Stengel getragen.

Sie wollte immer unglücklich sein, da Leonin noch fehlte; aber sie konnte doch nicht Zeit dazu finden vor all der Herrlichkeit in und außer ihr. Die Thränen, die sie weinte, waren wie die kurzen Nächte, sie dauerten nicht lange; denn mit der Sonne – was kamen da all für süße Gedanken! – Emmy Gray hatte ihr endlich entdecken müssen, was ihr geschah; und nun war es ihr, als ob der Altar des Herrn in ihr errichtet sei, und sie hätte in aufhorchender Stille auf ihren Knien, auf denen sie Emmy's Verkündigung erfuhr, liegen bleiben mögen, damit sie heilig würde zu der großen Gemeinschaft mit Gott, wie sie sagte. – Wie lange konnte sie still und in sich gewendet zwischen den Blumen sitzen, und gar Nichts wollen, als voll anbetenden Erstaunens das Wunder bedenken, zu dem Gott auch sie berufen. Ihre Augen waren so ernst, so tief und forschend auf dies heilige Geheimniß gerichtet, und um ihren Mund nur schwebte das kaum angedeutete Lächeln unaussprechlicher innerer Wonne – und all die kleinen unschuldigen Kindereien, die dazwischen ihre Gedanken berührten und sie in die seligsten Spielereien mit dem kleinen, noch verhüllten Gefährten versenkten, flatterten durch den ernsten Kultus ihrer Empfindungen, wie geflügelte Engel um die Glorie der Mutter Gottes.

Mit Lesüeur hatte sie auch ihre große Noth gehabt, weil er von Gott gelassen und sich nun vor ihm fürchtete; aber sie[128] hatte sich schnell daran gemacht und traute sich überdies jetzt mehr zu, da sie dachte, in ihrem Zustande müsse man ihr auch mehr Glauben schenken. Da war ihr denn auch Alles mit ihm gelungen, wie wir schon wissen, und sie war dessen recht froh und sagte oft zu Emmy: »was wollen sie doch machen, wenn eine Mutter zu ihnen redet – da ist ihr Unglaube ja gleich überwunden; das größte Wunder steht vor ihnen, sie müssen glauben lernen!«

Doch vergeblich sah Emmy Gray vor ihren Augen das rührendste und reinste Bild göttlicher Gemeinschaft und des daraus entstehenden heitern Friedens, der alle Angst der Welt besiegt – ihr armes, leidenschaftliches Herz faßte es nur auf, um sich zu kränken, zu erzürnen, und der Heiligenschein, den sie um ihren Liebling leuchten sah, steigerte nur ihre Ansprüche für eine irdische Welt, die ihr dafür einen Lohn zahlen sollte, ihren eiteln Wünschen gemäß; – die Bitterkeit darüber, daß er ihr noch immer verweigert sei, verzehrte sie fast.

Wenn Fennimor den Zustand ihrer Gefährtin erkannt hätte, würde sie gewiß mit dem Uebel in Kampf getreten sein. So aber verdeckte Emmy mit unerschütterlichem Schweigen ihr Inneres; denn konnte sie auch ihren Abgott in Nichts nachahmen, so flößte Fennimor ihr doch eine an Ehrfurcht grenzende Schonung ein; und wie ihr Nichts gut genug für sie schien, so nahm sie auch sich davon nicht aus, und es war in ihrem Grolle mit begriffen, daß ein solcher Engel keinen andern Umgang haben solle, als so ein geringes Weib, wie sie.

Lesüeur's Ankunft erfüllte sie zuerst mit Hohn, Verachtung und Mißtrauen: er käme nur, damit der Herr Graf wegbleiben könne – er solle ein Gesellschafter sein, wozu dieser sich zu gut halte. Von Malern hatte sie überhaupt geringe Begriffe; sie schienen ihr durchaus unnütz, umsonst da; – und daß dieser kranke, bleiche, verfallene Mann in die[129] Gesellschaft ihres Engels treten sollte, schien ihr ein wahrer Spott.

Dagegen schlug Fennimor vor Freuden in die Hände, daß sie endlich einen Maler sehen sollte, weil sie von dessen Berufe auf Erden die größten Begriffe hatte, und so gern wissen wollte, wie ein Mensch aussehe, der sich begeistert fühle, Gottes Werke nachzubilden.

Emmy hörte kopfschüttelnd, wie sie sich freute und den Gast einzuführen gebot. »Ach,« sagte sie, »Alles muß ihr den Willen thun und was Schönes werden, woran sie sich erfreuen kann. Gott mag es denen verzeihen, die ihr nicht das schicken, was ihrer würdig ist!«

Als Lesüeur darauf eintrat, verbeugte sich Fennimor so tief vor ihm, daß der stolze Künstler erröthete und sich noch tiefer vor der wunderbaren Schönheit neigte.

»Gott segne Euch!« sagte sie leise, wie ein Kind so schüchtern, »und Gott segne dieses Haus, wo ein Künstler eintritt – ein Schüler Gottes – ein Berufener, seine Wunder nachzuahmen, wo wir andern nur zusehen können! Es muß eine große Gnade sein, das zu empfinden,« fuhr sie fort, und schritt dabei neugierig, obwol noch schüchtern, auf den erstaunten Lesüeur zu, um ihn recht genau zu betrachten, der indessen, durch eine so fremde Anrede um seine ganze Fassung gebracht, unsicher war, ob das liebliche Räthsel vor ihm ein Kind, eine Frau oder ein Engel sei.

Als Beide sich nun ganz nahe standen, und Fennimor's Augen den ersehnten Anblick eines Malers hatten – ward sie sehr verwundert, daß ein Maler gerade so aussehen mußte. Sie hätte sich weniger erstaunt gefühlt, wenn er einen Purpurmantel um eine Tunika getragen hätte und den Lorbeerkranz um die Schläfe – als daß er müde und krank, mit bleichen Wangen und schwankender Gestalt, in Kleidern, wie andere Menschen[130] trugen, die ihm aber nicht wohl saßen, nun vor ihr stand und Nichts hatte, als Augen, aus denen sie später das Geheimniß erklärte, und die auch jetzt so verständlich zu ihr redeten, daß ihr sogleich eine andere Ansicht kam, die nicht minder ihr Gefühl weckte, wenn auch ihren Pathos verdrängte.

»Ach Gott, Ihr seid ja krank, lieber Herr!« sagte sie mit dem weichsten Mitleidstone. »Wie wollen wir es denn machen? Ruht erst hier etwas, bis Eure Zimmer durchwärmt sind!1 Wir lassen dies Ruhebett an den Kamin tragen – da legt Ihr Euch nieder, und wir breiten Decken über Euch, daß Ihr Euch erwärmt. Ich kann auch gehn, wenn Ihr lieber allein bleibt, oder Euch etwas erzählen, bis Ihr einschlaft – oder vielleicht thut Euch etwas Wein gut?«

Lesüeur war freilich nicht kränker, als gewöhnlich; aber fast wünschte er sich, das zu sein, was ihn so in unmittelbare Beziehung zu ihrer Theilnahme brachte, und ohne den Willen dieser kleinen Heuchelei, ließ er sich von ihr, als der Hülfe bedürftig, leiten. – Wie drang sie dann in ihn, als sie ihn für erfrischt und gestärkt hielt, ihr von all' den Wundern zu erzählen, von denen sie seine Seele erfüllt glaubte; und wie andächtig, scheu und ehrerbietig behandelte sie ihn – wie festlich und schön ließ sie Alles für ihn bereiten, so froh der Ehre, mit einem Künstler zu leben!

Und Lesüeur war in eine Welt der Ideale getreten, deren Dasein er nicht für möglich gehalten hatte. Was von der Geltung, dem Berufe des Künstlers die Blütenzeit seines Lebens als süßer Traum umgaukelt hatte, und den Raum des Entstehens – den heitern Boden der Phantasie nicht verlassen durfte, um es nicht an der Außenwelt verflüchtigt zu sehn – dies ward ihm hier mit einem Ernste als Erwartetes, Wirkliches,[131] Begehrtes abgefordert, und fand Raum und Existenz unter Umständen, die selbst einem Wunder glichen, aber dennoch Wahrheit waren. Unter dem schuldlosen Betasten dieser Kinderseele fand er die Künstlerseele wieder – ihre Träume und Entwürfe, ihre Absichten und ihr ganzes heiliges Selbstgefühl durfte er wieder erwecken, eingestehen! Ja, er mußte sich mit dem ganzen Schmucke bekleiden, damit sie ihn erkannte für das, was sie in ihm suchte.

Vor ihrem Bilde mit einer Begeisterung malend, wie einst St. Lukas vor der heiligen Jungfrau, fühlte Lesüeur dennoch die Sonne des Lebens immer tiefer sinken; – aber täglich sagte er sich: »es sei! Ist diese letzte Zeit meines Lebens doch die Erfüllung des ganzen Vorangegangenen! Weiß ich doch jetzt, daß die große, heilige Bevorrechtigung, ein Künstler zu sein, kein Gespinnst meines erhitzten Gehirns ist, daß es sich erfüllt findet in Anerkennung und freudigem Festhalten da, wo die Seele der Menschen noch das unschuldige Auffassen behalten hat, das ohne den Conflikt mit der Welt die Wahrheit erkennt.« – Aber wie war Fennimor dagegen erstaunt, daß ein Künstler von Gott hatte abfallen können, wie sie es nannte, und ein wahrer Heide werden, der viele kleine Götter anbetete, die ihn sein Herz in der Welt hatte suchen lassen – »und natürlich,« sagte sie, »daran zu Grunde geht in Mißmuth und Bitterkeit. – Denn, wie sollten sie Dir treu bleiben, da Du den allein Treuen um sie verlassen hast? Hättest Du Gott vor Augen gehabt, was hätte Dir Lebrun wohl thun können, als Liebes und Gutes durch seine herrlichen Werke, wie Du selbst von ihm rühmst – und hättest Du die rechte Liebe gehabt, so hättest Du auch den rechten Frieden bekommen!«

Mit protestantischem Ernste griff sie sein mattes, inneres Treiben an, was, leidlich zur Ruhe gesprochen von äußeren Gebräuchen und Hülfsmitteln des katholischen Priesterthums,[132] ihm keine Heilung der Seele geben konnte; da es ihn fern hielt von strenger Selbstrechenschaft, die, in das Formenwesen von Beichte und Absolution hinüber gezogen, ihn ganz von der Möglichkeit entfernt hatte, auf dem Wege der Religion sich mit der Welt wahrhaft zu versöhnen.

»Was kann Dir denn das helfen, wenn ein Mensch Dich absolvirt,« sagte sie eifrig – »weißt Du nicht, daß Keiner ohne Fehl vor Ihm befunden ist? Warum thust Du nicht nach Gottes Geboten, der eben durch seine Offenbarung in Christo Dir sagt, Du sollst Ihn anbeten im Geiste; denn er ist ein Geist! Du bist getödtet durch Deine Priester, die sich zwischen Dich und den Geist Gottes drängen; denn das Fleisch – das heißt, ihr fleischlich Wort – tödtet! Der Geist allein macht lebendig! Siehst Du nun wohl ein, welche Sünde es ist, die Andacht aus den Händen zu geben und träge zuzusehen, was Dir Andere zurecht machen und Dir davon überlassen nach ihrer sündigen, menschlichen Einsicht? Ja, das sollte uns schon gefallen, wenn es so leicht abgethan wäre! Wir aber, wir Protestanten, die wir nach der Lehre Christi leben müssen, wie die Evangelien sie lehren, wir wissen, daß es keine andere Rechtfertigung vor Gott giebt, als im Glauben an unsern Heiland, durch den wir alsdann die Kraft empfangen, die Sünde von uns abzuhalten und der Vergebung theilhaft zu werden, die er Allen verheißen, die an seine Versöhnungskraft glauben. Wie kannst Du Dir also weiß machen lassen, ein Priester, der so gottlos ist, sich für den auszugeben, der Gottes Gewalt an Dir erfüllen könnte, also ein Gott selbst sein müßte, könnte Dir sagen: Deine Sünde sei Dir vergeben!«

Dann erzählte sie ihm von Ihrem Vater, wie demüthig er vor Gott gewesen und Alles an ihn verwiesen habe – und von der Scheu vor sich selbst, die allein zu ihm führe.

Während dem malte Lesüeur seine Lehrerin – und kaum hatte er einen Entwurf beendigt, so begann er schon den zweiten.[133] Hundert Mal glaubte er sie malen zu können, immer neu, immer sie selbst und das größte Wunder, das ihm vorgekommen. – Dann las sie ihm mit ihrer Engelstimme die Evangelien vor, die er nie gehört, und vor deren heiligem Geiste er den ersten Schauer der Andacht fühlen lernte, der bis dahin seinem Leben fremd geblieben war.

Beide führten so ein lebhaft angeregtes Leben; – in Fennimor aber tauchte eine Ahnung der verderbten Welt auf, die ihr bis dahin fremd geblieben war, und sie mußte viel nachdenken; denn sie wollte das, was sie nicht mehr läugnen konnte, doch gern in Ordnung bringen, um Gottes Welt zu retten, wie sie dachte, damit auch das Böse seinen Platz bekäme zu irgend einem guten Zwecke, da dies doch nothwendig sein müsse, wenn man auch zuerst so sehr darüber erschrecke und erstaune. Oft nahm sie Lesüeur in Rath, der seine längst verloren gegangene und vergessene Unschuldsseele mit heißer Sehnsucht um ihretwillen wieder suchte; und wenn er hörte, wie scharfsichtig, wie tief denkend das Kind bloß aus Liebe zu Gott sich bestrebte, die Angelegenheiten der Erde zu ordnen und zu erklären – hätte er sie zum lauten Predigen in der Wüste des Lebens auffordern mögen. Denn Offenbarungen des Höchsten schienen ihm ihre Worte, und hätte er nicht ihren strengen, aufrichtigen Tadel gefürchtet, auf seinen Knieen hätte er ihr zuhören mögen. – Dagegen dachte Fennimor, wie herrlich ihr Leonin sein müsse, von der bösen Welt umgeben, die er ertrüge um Gottes Willen, und um die schöne heilige Welt, der er zugehörte, dort zu zeigen und zu schützen vor der fremden. »Aber mir wäre es lieber,« dachte sie, »ich bliebe daraus weg, und mit Leonin käme die schöne edle Mutter, der liebe alte Vater und Louise hieher zu uns; denn wir sollen doch keine Versuchung aufsuchen – also, was thun sie dort, wenn sie es hier besser haben können. Die hat auch Gott nicht zum Streite dorthin berufen, denen er[134] zwei Stellen auf Erden gegeben, wo die eine ihm so viel näher ist! Nur, wenn Leonin es will, daß ich ihm folge, darf ich hier fort – freiwillig muß ich nicht gehen – dann aber ist es wieder Gottes Gebot, weil Leonin mein Mann ist!«

Wie erstaunte Lesüeur über die sichere Berechtigung, die sie zu ihren Verhältnissen fühlte, da er der untrüglichsten Ueberzeugung war, wie keines der Rechte, die sie ruhig zu besitzen glaubte, in der Welt eine Geltung haben würde, welche sie mit Recht zu berühren fürchtete. »Gott,« rief er oft, wenn er allein war, die Hände ringend – »wenn Leonin sie auch verließe, wenn sie auch an ihm den Anhalt verlöre und den Glauben – wie nur zu gewiß die Eltern gar nicht für sie existiren!«

Auf diesem Wege fand sich nach und nach eine natürliche Annäherung zwischen ihm und Emmy Gray. Beide hofften Manches von einander zu erfahren, und die Sorge um Fennimor erhob dies gegenseitige Forschen zu etwas Edlerem, als Neugierde.

Emmy Gray lockte bald aus Lesüeur heraus, was ihre argwöhnische Seele schon voraussetzte, und was ihm unter so entgegenkommenden Fragen unmöglich ward, zu verbergen. Von da an hielt sie den Abgott ihres Herzens für verloren, und der Welt nur noch bitterer grollend, schien sie sich bald der einzige sichere Anhaltspunkt für Fennimor. Sie erfaßte diese Ueberzeugung mit einer Energie und einer Belebung ihres Geistes, die ihrer besonderen Befähigung trotz des Mangels der Bildung zuzurechnen war; und wenn ihre Gemüthsart nur finster und herrschsüchtig sein konnte, trat sie doch, von einem edeln Stolze unterstützt, würdig genug hervor.

»Laßt Ihr noch das Wiegenlied ihrer Hoffnungen, womit sie sich jeden Abend selbst einsingt,« – fuhr sie finster hinstarrend zu Lesüeur fort – »seht, wie sie heiter aussieht –[135] Nichts kann ihr mehr begegnen, glaubt sie – sie ahnt auch nicht einmal, daß es etwas zu fürchten für sie giebt! Daß ein Mensch zu Zweien sein kann, wie der gottlose Herr Graf, daß er hier ihr Grab ausschmücken kann mit seinem goldnen Tand und doch ihr Herz brechen will und seinen Weltgötzen dienen, davon weiß sie nichts! Und wer möchte es ihr sagen? Gott wird die Stunde wissen, die sie bricht – aber auch jene mit dem schrecklichsten Fluche der Menschheit Beladenen zu jeder Qual der Hölle verdammen wird, die Gott dem erwachten Gewissen vorbehält!« –

Nach der Vollendung des ersten Bildes erkrankte Lesüeur bis zum Niederliegen. Fennimor theilte Emmy's Pflege persönlich, so viel es ihre Lage ihr erlaubte, und rastete besonders nicht, für seine Seele zu sorgen; da die Krankheit mit ihren trüben Schleiern und den bittern Tropfen, die sie dem kranken Blute beimischte, wieder nieder zu werfen schien, was Fennimor in ihm schon aufgerichtet glaubte. Was Beide da eintauschten, war nicht von gleichem Werthe. Das Leiden machte den von der Welt und ihren egoistischen Berechtigungen verwirrten Lesüeur rücksichtsloser in seinen Aeußerungen. Er wünschte den Zustand seiner Seele, den sie so ernsthaft tadelte, durch die Schilderung der Versuchungen zu entschuldigen, welche die Welt ihm geboten; und so rollte sich bei seinem Eifer, sie von der Schwierigkeit, sich rein zu erhalten, endlich zu überzeugen, ein Bild dieser Zustände vor ihr auf, das sie in seiner verderbten Ausdehnung kaum zu fassen vermochte.

Zu spät erkannte er an ihrem maaßlosen Schmerze darüber, was er verbrochen, und bestrebte sich nun um so aufrichtiger, durch seine eigne Hingebung an ihre Ermahnungen, ihre Seele zu trösten und zu erquicken.

Doch vermochte er nicht mehr ihre bis jetzt in harmonischem Gleichgewichte schwebende Seele von dem herben, schmerzlichen[136] Nachdenken zu befreien, in welches der erste unausgleichbare Widerspruch der innern Welt zur äußern, die Seele in der Jugend versenkt. Nur ihre glaubensvolle Festigkeit erhielt sie und richtete sie wieder auf; – und endlich war sie sicher und einig darüber, daß vielleicht nur kurzsichtige Menschen diese Erscheinungen böse fänden, und Gott, der die Herzen sieht, allein wisse, ob sie so Viel verschuldeten, als es den Anschein habe.

»Sieh'« sagte sie, »wenn ich nehme, als welch' ein böser Sünder Du Andern hast erscheinen müssen, so kann ich mich recht daran beruhigen, da Dir Gott doch dabei so viel Reue und so viel Gutes erhalten und Dir die Gnade, ein Künstler zu sein, nicht entzogen hat, vielmehr Dein Herz innerlich immer in Wehmuth schweben blieb über Dein äußerliches Verschulden. So wird es nun überall sein! Wir müssen nur immer bedenken, daß Gott Alle gleich liebt, Alle seine Kinder sind – da weiß er also als Vater, wo es ihnen steckt, wo er sie heimsuchen muß – und wir dürfen eigentlich gar nichts dabei haben, als still zusehen, wie er sie leiten wird, und müssen sie lieben, bloß darum, weil sie zu Gott gehören.«

Lesüeur staunte mit wahrer Andacht dies lebhafte Bedürfniß Fennimor's an, das Böse zu annulliren. Er hatte das Gefühl der Jugend vergessen, das sich von jedem Eindrucke frei zu machen sucht, der dem Glücke widerstrebt, den Menschen vertrauen zu können; – und als er sie auf diesem Wege wieder zur Heiterkeit zurückkehren sah, glaubte er, der Himmel müsse ihr Leben behüten und beglücken, eine solche Frömmigkeit zu belohnen.

Wir werden daraus die Stimmung erklärt finden, in der Lesüeur nach seiner Genesung und nach Vollendung beider Bilder bei Leonin eintraf, und die eben so schnell gefaßten Hoffnungen, derselbe werde ihr gerecht werden.[137]

Nach Lesüeurs Entfernung hätte die Einsamkeit auf Ste. Roche hervortretender scheinen können; – aber Fennimor glitt mit dem süßesten Lächeln heimlicher Lust über den blumigen Rasen, durch die lichten Schattengänge, und war in ihrem geheimen Einverständnisse nicht mehr allein, sondern von tausend unnennbaren Freuden umgaukelt, als ob Engel vom Himmel zu ihr niederstiegen zu Spiel und Scherz! Sie hatte sich lieb und hielt sich hoch und stellte sich im Geiste hin vor Leonin als die reichste und schönste Gabe, die sie nun so sicher durch sich für ihn bereitet glaubte. Dann stieg sie in das Thal hinab in das kleine Haus des Vikars, wo Veronika, die stille nonnenhafte Jungfrau, in Schönheit und Jugend prangend, neben dem jugendlich rüstigen Vikar waltete. Wenn die Geschwister sie daher kommen sahen, schwebend fast und leise und vorsichtig, als behütete sie einen Schlummernden und sie Beiden die schlanke weiße Hand reichte, und das Engelslächeln und der leuchtende Blick auf Beide ihnen immer wieder aufs neue ihr Glück erzählte – immer wieder die neue Antwort der Anerkennung zu begehren schien, dann sagte der Vikar oft, wenn sie wieder heim gegangen: »zur heiligen Jungfrau wird immer noch die Frau, die ihre Umwandlung als eine göttliche Verkündigung seiner heiligen Gemeinschaft empfindet!«

Gewiß war es, sie hatte fast keines Menschen nöthig! Sie war gern bei den Geschwistern und bei Emmy Gray – aber lieber fast noch mit sich allein, und selbst Leonin hatte nicht mehr den ersten Platz; »denn,« sagte sie zu sich, »Gott hat seine heil'ge Werkstatt in mir – da muß alles Andere weichen – das kann ich recht fühlen, wie er allein sein will bei mir!«

Mit Lesüeur's Hilfe noch hatte Emmy Gray neben Fennimor's Schlafzimmer einen kleinen Raum benutzt, der nach dem Garten sah, und mit den reichen Stoffen, die Leonin zur Ausschmückung der Zimmer gesandt, zu einer anmuthigen grünseidenen[138] Laube umgeschaffen, worin sich nach und nach die kleinen lieblichen Gegenstände sammelten, deren verringerter Maaßstab unser Herz mit Lust und Rührung erfüllt und die Sehnsucht nach dem Anblicke des kleinen Wesens steigert, das dies Alles beleben soll mit seiner anmuthigen Erscheinung.

Wenn ihr Emmy sagte, daß die Zeit nahe sei, die ihr die Erfüllung bringen würde, erbleichte sie vor andächtigen Schauern und wünschte dann wieder, Leonin bliebe aus, bis sie das Segenszeichen im Arme trüge. Das wünschte Emmy nicht. Noch hoffte sie auf Lesüeur's Einwirkung; und dann sollte er auch die Weihe als Vater durchempfinden durch die Last der Angst um die schweren Stunden seines Weibes! Da sah sie, wie eines Morgens Fennimor's Wangen dunkler glühten und sie nicht in das Thal hinab stieg, sondern auf dem sonnigen Sitze am Fuße des Eudoxien-Thurmes ausruhte, wo sie den Weg in das Thal übersah; – und als sie zu ihr trat, war sie am frühen Morgen schon wieder eingeschlafen, der Athem war kurz und beklommen, der Mund glühte, und zuweilen stieg ein schmerzlicher Seufzer herauf. Da wendete Emmy Gray schnell den Schritt zurück, und bald erreichte ein Bote den geschickten Arzt des kleinen Fleckens Ste. Roche, mit der Weisung, seine Wohnung in dem Schlosse aufzuschlagen. Emmy blieb aber, ein treuer wachsamer Hüter, zu ihren Füßen sitzen, und Fennimor schlug nach kurzer, ungleicher Ruhe zu der Gefährtin die Augen auf.

»Ich sah es!« rief sie und drückte entzückt die Hände zusammen. – »Ganz deutlich sah ich es! So klein und rund ist es, und seine Aeuglein sind wie Sterne! – Ach! Emmy, nun muß Leonin bald kommen; denn ich werde eifersüchtig, daß ich all das Glück allein genießen soll!«

»Ja, ja,« sagte Emmy – »er könnte wohl hier sein, wenn Euch die Stunde schlägt – der Vater gehört zum ersten[139] Gruße für sein Kind!« – Doch brach sie nach diesen Worten ab; denn sie durfte ihrem zürnenden Herzen nicht trauen. –

Am Abende erschallten Hörner in der Ferne – ein Reisezug flog durch das Thal. Als Fennimor es hörte, sank sie auf ihre Knie und betete – Emmy's Brust wollte zerspringen.

»Lebt sie, wo – wo – ist sie, Emmy, geliebte Emmy?« rief Leonin und weinte wie ein Kind, als er die spröde, schluchzende Gestalt wie eine Geliebte an seine Brust drückte.

»Sie ist ihrer Stunde nahe, Herr,« sagte Emmy. Eis und Bitterkeit glitten dabei von ihrem Herzen; denn sein Gefühl war keine Lüge.

Da drängte er den Ungestüm zurück, und sie führte ihn bis zu Fennimor's Zimmer. Sie hatte ihm nicht mehr entgegen eilen können – ihre Füße hatten gewankt – sie saß, und ihr im vollsten Purpur glühendes Engels-Antlitz leuchtete über die bedeutungsvolle Gestalt.

Als er sie sah, ward sein Herz wieder fest – aller Ungestüm, alle Leidenschaftlichkeit war daraus verschwunden. Er fühlte die ganze Heiligkeit ihrer Stimmung und lag weinend zu ihren Füßen, sein Gesicht in die Falten ihres Kleides bergend.

»Sieh nur, Leonin,« sagte sie da über ihm mit der klaren, süßen Stimme – »sieh nur, wer ich bin!« Und sich kräftig fühlend, erhob sie sich und stand vor ihm, und als er aufsah, erblickte er sie leuchtend vor Freude, mit der Gewißheit des höchsten Glückes, das sie ihm zu geben hatte.

Und das war der Inbegriff von Allem, was sie ihm zu sagen hatte. Kein Vorwurf, keine Unsicherheit, keine Befürchtung – als ob sie gestern das letzte Wort mit ihm gesprochen hätte, so ruhig, so froh und heiter knüpfte sie wieder an. Nur lieblich, kindlich wehren that sie ihm – er durfte nur leise mit ihr sein – sie behütete sich ernst und doch halb kindlich spielend. Doch verhüllte die Freude nur noch schwach die ahnungsvolle[140] Bangigkeit, die immer schneller wiederkehrend in ihr aufstieg und Emmy Gray entführte sie endlich aus Leonins Armen in ihr Schlafzimmer. –

Als aber die ersten Strahlen der Juli-Sonne den Horizont rötheten, kniete Leonin nach einer unter tausend Qualen verlebten Nacht an Fennimors Bette, und sie sah an seiner Brust ihren Traum erfüllt, und Leonin rief immer fort: »Fennimor, Fennimor, mein geliebtes Weib, Du hast mir einen Sohn geboren!«

»Und so klein ist er! und so rund! und seine Aeuglein glänzen wie Sterne!« setzte Fennimor leise lächelnd hinzu, während große Thränen über die blassen Wangen flossen, und die schönen matten Händchen sie nicht trocknen konnten.

Emmy's argwöhnischer Tadel verstummte nach gerade vor dem glücklichen Vater, der, zwischen Fennimors Lager und der Wiege seines Kindes mit eifersüchtiger Sorgfalt Beide behüten wollte. Sie ward wieder hoffnungsvoll und heiter, und sah dem Glücke ihres Lieblings ohne so bange Schmerzen zu, als sie bisher erlitten. Und dennoch hatte sie Recht – dennoch war es derselbe Leonin nicht mehr, der diese Stelle einst einweihte als das Ziel seines Strebens, als die Bestimmung seines Lebens!

Er war jetzt, was er an dem Hofe Ludwigs des Vierzehnten war – das Kind des Augenblicks. Hier von den edelsten Beziehungen der Menschen zu einander so warm ergriffen, wie dort von ihren eiteln Bestrebungen beherrscht – keiner Lage ganz gehörend – zu der einen zu eitel und ehrgeizig, zu der andern zu gut, zu tief in die Geheimnisse eines höheren Lebens durch Fennimor eingeweiht – überall getheilt, zerfallen mit sich – auf dem sichern Wege, das zu werden, was der Marquis de Souvré zu erreichen trachtete: ein unglücklicher, von verfehlten Lebenswegen irre geführter Mensch![141]

In dem Augenblicke, wo er beinah mit Andacht sein Weib, die Mutter seines Kindes, betrachtete, wußte er, daß seine Verlobung mit Fräulein von Lesdiguères am Hofe deklarirt war, und seine Rückkehr erwartet, um seine öffentliche Vermählung zu feiern. Er wußte, daß er diese gegen seinen Willen ihm über den Kopf gewachsene Verpflichtung jetzt erfüllen mußte, oder daß er vor der Welt, deren Meinung ihm so wichtig geworden, entehrt dastehen, und auf ewig aus der glänzenden Gemeinschaft getrieben sein würde mit der sichtbaren Gottheit Frankreichs – mit seinem Könige. Jede ehrgeizige Hoffnung wäre damit vernichtet gewesen, der Name, dessen stolzen Anspruch er jetzt erst begriff, zu dem trostlosesten Dunkel hinab gewiesen, und in der Verbannung keine Hoffnung auf Seelenruhe, da ihm der Fluch der Eltern und das Andenken an Viktorinens gebrochenes Herz folgen mußte. –

Am Morgen nach der uns bekannten Ernennung des Königs, begab sich die Marschallin von Crecy, die sonst die Waffensäle ihres Gemahls selten besuchte, dahin, dem zögernden Leonin zuvorkommend. Der Marschall mußte die Aufmerksamkeit seiner Gemahlin anerkennen, daß sie schon am frühen Morgen zu ihm eile, ihm sowol die Anstellung ihres Sohnes, wie die Verlobung desselben mit Mademoiselle de Lesdiguères anzuzeigen, die durch einige Worte der Majestäten, welchen allerdings die Sache außer Zweifel war, für beide Ehegatten die Sanction einer priesterlichen Einsegnung erhielt. So ward Leonin, als er später dem Vater nur seine Anstellung mittheilen wollte, in doppelter Beziehung beglückwünscht, und der unbeschreiblich ungestüme Jubel des alten Helden ertödtete jeden Versuch der Widerlegung in dem fast von diesen Eindrücken betäubten Sohne. Auch fand er ihn schon zur Hälfte in seiner Marschalls-Uniform – er wollte dem Könige seinen Dank abstatten und dann der alten Eule, der Herzogin Schwiegermama,[142] wie er in lustiger Laune die Mutter Viktorinens nannte, die Reverenz machen – »und ist Deine Liebste dort, dann soll sie einen Kuß haben, so wahr ich Marschall von Frankreich bin!«

Es wäre eben so möglich gewesen, den Strom der Seine rückwärts fließen zu lassen, als den Marschall aus seinem, ihm von seiner klugen Gemahlin angegebenen Gedankenstrom zu lenken. Leonin machte einige vergebliche Versuche dazu; da sie jener aber lachend und tobend ganz überhörte, sicher, er könne nur erfahren, was in diesen Ideenkreis hinein passe, riß sich Leonin endlich, fast wahnsinnig über seine Lage, von seinem Vater los.

»So gehe denn, mein Kind, und komme bald wieder! Es ist mir zwar nicht Recht, daß Du jetzt das alte Nest Ste. Roche besuchen willst, und ich verstehe nicht, wie sich das mit Deinem schuldigen Respekte gegen die Majestäten und Deine Braut verträgt. Da es aber Deine Mutter billigt, der man in solchen Fällen wohl trauen darf, und Seine Majestät der König es in den Mund nahm, so habe ich Nichts zu erinnern; – auch denke ich, man wird ums Wiederkommen nicht sehr zu bitten haben. He, mein Junge, das muß man sagen, sie haben Dir eine gute Partie gemacht – die alte Eule von Mutter ist eine Schwester des Herzogs von Reetz, und die Lesdiguéres werden herankommen an die Crecy und Soubise!«

Länger ertrug es Leonin nicht. Todeswund stürzte er sich in die Arme seines Vaters. Der Marschall nahm sein undeutliches Gemurmel für Abschiedsworte, küßte und herzte und entließ ihn, seinen in Juwelen gefaßten Ehrendegen aus der Hand des Kammerdieners nehmend und ihn mit geheimer Lust in das goldene Gehänge steckend.

Leonin stürzte dagegen durch die Gemächer, die zu den Zimmern seiner Mutter führten, und wer ihm begegnete, wich ihm aus und sah dem glücklichen Erben, auf dessen Haupt sich[143] so viel Ehren häuften – denn seine Anstellung und Verlobung war Allen bereits mitgetheilt – voll Erstaunen nach, fürchtend, eine plötzliche Krankheit habe ihn ergriffen. Er sah den Thürsteher seiner Mutter, der ihn melden wollte, nicht, er drückte mechanisch die Thür auf, er erreichte ihr Kabinet und stand vor ihr, als sie eben die schwere Sammet-Robe abwarf; denn sie kam von dem Lever der Königin, welche die Anwesenheit der Marschallin benutzte, um der Königin Mutter, den Prinzessinnen und diesem höchsten Kreise Mademoiselle de Lesdiguères als die verlobte Braut des jungen Grafen von Crecy-Chabanne vorzustellen. Sie kehrte zurück mit der stolzesten Selbstzufriedenheit, mit dem Gefühl, ihr Ziel erreicht zu haben – und indem sie sich umwendete, erblickte sie Leonin, und ein nie gekanntes Erbeben erschütterte ihren ganzen Körper; denn es war, als ob eine Donnerstimme ihr zuriefe: »triumphire nicht zu früh – er wird das Opfer!« – Doch war sie stets schnell gefaßt. Ein Wink entfernte die Kammerfrauen; – und als sie eigenhändig das Vorzimmer verschlossen hatte, war ihre ganze Selbstbeherrschung zurück gekehrt, und in sich hinein sagte sie: »jetzt keine Schwäche, er ist ja der Augenblick, den Du längst erwartet!«

Sie hatte diese Ermahnung nöthig; denn als sie wieder eintrat, ging Leonin mit seinem todtenähnlichen Antlitze ihr entgegen und sagte mit leiser, heiserer Stimme und einem Ausdruck der Augen, der ihren Herzschlag aufhielt: »Retten Sie mich, Madame! Retten Sie mich!« Er wiederholte diese Worte so oft, so gleich schrecklich im Tone, daß sie glaubte, er sei wahnsinnig geworden.

»Vor allen Dingen komme zur Besinnung, mein Sohn!« sagte sie, vergeblich bemüht, ihrer Stimme Sicherheit zu geben. – »Du bist in einem Grade überspannt, der Dir die richtige Ansicht Deiner Lage unmöglich macht. Fasse Dich und habe[144] Vertrauen zu mir; wir werden, in Uebereinstimmung handelnd, Alles beseitigen, was Dich überwältigt und quält.«

»Nein, nein, Madame,« fuhr Leonin in demselben Tone fort – »es kann nicht möglich sein – ich bin nicht zu retten! Entweder hier entehrt vor dem Könige, vor allen Menschen – oder dort vor Gott und mir selbst! Es ist nicht zu vereinigen, ich muß das Opfer werden!« –

»Lassen Sie mich diese Sprache nicht hören!« sagte die Marschallin – »mein Herz hat keine Nachsicht mit unmännlichen Empfindungen. Sie sind augenblicklich gerettet, wenn Sie anerkennen, welche hohe, ehrwürdige Verpflichtungen Ihnen Ihr Rang, als einem der ersten Unterthanen unseres erhabenen Königs, auferlegt. Sie gehören sich selbst nicht mehr an, kein Mensch hat ein Recht an Sie von dem Augenblicke an, wo der König über Sie verfügt; – Alles ist Nebensache – kann und muß beseitigt werden zu Gunsten dieses einen, höchsten Zieles! – So, mein Sohn, denken alle, welche die Ehre haben, Franzosen – Unterthanen des ersten Königs der Erde zu sein. – Doch, vor Allen denken so die hohen Vasallen der Krone, die Stützen des Thrones – die Crecy-Chabanne, die Rohan, Soubise, Montmorency, Latour d'Auvergne und ähnliche erlauchte Personen. Ist eine Jugendthorheit in ihren Lauf gekommen, so wissen Sie, daß keine der Art so hervortreten darf, daß sie diesen angestammten Verhältnissen den kleinsten Schatten geben könnte; und da Sie nur eine Pflicht haben dürfen, so wissen Sie, was Sie von allen andern zu halten haben.«

Da Leonin nicht antwortete, sondern seine Mutter mit düsteren, verwirrten Blicken anstarrte, fuhr die Marschallin mit steigendem Muthe fort: »so sehr ich es mir auch zum Gesetze gemacht habe, Ihrer Jugendverirrung nicht mehr zu gedenken, überzeugt, Sie würden im Laufe Ihres Lebens am Hofe, und[145] bei erlangter Kenntniß der Verhältnisse, die Ihnen allein zustehen, von selbst die nöthigen Schritte thun, sich von jedem störenden Einflusse, der daher kommen könnte, frei zu machen – muß ich doch einsehen, daß Sie mit Ihrer gewöhnlichen Nachlässigkeit jene Jugendthorheit unverändert gelassen haben. Wie jedes Uebel dadurch wächst, daß wir es nicht anzugreifen wagen, so findet es sich auch bei Ihnen; da Ihre glänzenden Verhältnisse, die Ihnen in allen Beziehungen die ersten und vollkommensten Gaben darbieten, Sie endlich auf die Spitze hintreiben, ergreift Sie das Gefühl, dieser Auszeichnungen nicht mehr werth zu sein durch unwürdige Bande, denen Sie noch Geltung zugestehen.«

»Nein, nein,« unterbrach sie Leonin – »nicht unwürdige – heilige, heilige Bande! – Ich bin vermählt! Ich bin ein Bösewicht, wenn ich es läugne!«

»Hierüber, mein Sohn,« sagte die Marschallin mit großer Kälte, »kann ich mit Ihnen nicht streiten. Der Pairshof würde Ihnen darauf antworten können! Doch würde ich beschämt sein, wenn mein Sohn von einem Gerichtshofe erfahren müßte, daß keine Handlung des Mineronnen, ohne Zustimmung seiner Eltern, irgend gesetzliche Kraft habe; noch mehr aber beschämt, wenn der Erbe des Namens Crecy-Chabanne in Zweifel darüber wäre, daß er sich vor der Welt nur durch eine ebenbürtige Vermählung behaupten könne. Doch dies Alles habe ich nicht nöthig; – ich verweise Sie an Ihren Beichtvater; fragen Sie ihn, welche Kraft für einen Katholiken eine so ungehörige ketzerische Vermählung hat, und Sie werden erröthen, der Spielball dieser Intrigue gewesen zu sein.«

»O, meine Mutter,« rief Leonin – »gestatten Sie mir nur, Ihnen die Dinge darzulegen, wie sie wirklich sind! Sie finden mich ja nicht hartnäckig, widerstrebend! Nur zu schmerzlich erkenne ich, wie unbesonnen und leichtsinnig ich gehandelt,[146] wie das Wesen, das ich selbst aus freier Wahl in mein Leben verflochten, auf keine Weise in die Verhältnisse meines Standes paßt, die ich jetzt erst in ihrer Wichtigkeit erkannt habe! Aber ich beschwöre Sie, wenn Sie mir helfen wollen, erkennen Sie an, daß dies Wesen edel und unschuldsvoll mit ihrem Vater mir vertraute – daß sie keinen Zweifel an der Rechtmäßigkeit ihrer Vermählung hat – und bedenken Sie, daß ich damals, als ich ihr zum Altare folgte, derselben Ueberzeugung war; mein Gelübde also zu Gott mit der vollen Zusage meines Innern drang! – Wenn Sie diesen Grad von Rechtmäßigkeit erwägen, werden Sie meine Lage um so schwieriger finden; Sie werden zugeben, wie elend ich mich fühlen muß, zum Verräther an dem reinsten menschlichen Vertrauen zu werden – oder vor der Welt als ein Thor dastehn zu müssen, der die Gnade unseres großen Königs zurückweist und ein Mädchen tödtlich verletzt, die durch Rang und Verdienst, die Erste zu sein, würdig ist.«

Die Marschallin schwieg einen Augenblick und überlegte, daß ihr Sohn, wie aus seinen eben vernommenen Worten hervorging, weit genug gekommen war, daß sie jetzt theilnehmend werden könne, um das Ganze zu vollenden.

»Es ist vielleicht die Schwäche der Mutter, die mich mehr mitleidig, als zürnend macht; – ich kann aber nicht ohne Theilnahme sehen, wie diese unglückliche Sache Dein Herz beunruhigt, und ich will Dir vergeben, um Dir helfen zu können!« –

Leonin stürzte ihr zu Füßen, um die dargebotene Hand an seine Lippen zu drücken. – So groß war der Einfluß dieser Frau, daß ihre Zusage, ihm helfen zu wollen, eine Last von seinem Herzen wälzte, als ob damit schon Alles eine andere, günstigere Gestalt gewonnen habe. – »Wir müssen darüber einig werden,« fuhr sie dann ruhig fort, »daß diese eingegangenen Verbindlichkeiten, seien sie so groß, als sie Dir erscheinen – oder so klein, als sie wirklich sind – auf jeden Fall gänzlich[147] für Dich beseitigt werden müssen; und ich würde, da ich Dir wenig Geschick für diese Angelegenheit zutrauen darf, ungern in Deine Rückkehr willigen, wäre Deine Abreise nicht einmal von dem Könige erwähnt worden, und dadurch einem Befehle ähnlich zu betrachten, und damit Dir auch Zeit gegeben, eine Stimmung zu gewinnen, wie Mademoiselle de Lesdiguères sie von Dir erwarten darf. – Doch verlange ich von Dir, daß Du jene junge, unwissende Person auf ihr nothwendiges Schicksal vorbereitest, entweder durch die bestimmte Darlegung Deiner jetzigen Lage, über die Du früher aus Unwissenheit so falsch urtheiltest – oder, indem Du ihr durch Dein kaltes Betragen Dein verändertes Herz darthust. Ich werde indessen den Marquis de Souvré, der schon einmal der Vertraute dieser unglückseligen Angelegenheit war, bewegen, sich der Sache aufs Neue anzunehmen, und er soll Dir nach Ste. Roche folgen und alles Uebrige feststellen und beendigen. Vorher mußt Du Deinen Beichtvater sprechen; er wird Dir sagen, wie sehr Du Dich versündigt hast, eine Verbindung mit einer Ketzerin geschlossen zu haben, und wie Du diese Sünde nur sühnen kannst, indem Du sie aufhebst und widerrufest. Auch wird hierzu die junge Person durch ihres Landes Sitte, wie durch die Lauheit ihrer sogenannten Religion geneigt sein, da, wie ich höre, in diesem protestantischen England sie die Ehen schließen und wieder auflösen lassen vor einem Gerichtshofe, welches denn beweist, was von solchen Verbindungen dort zu halten ist.«

Da die Marschallin sah, wie ihr Sohn bei diesen Worten litt, und ihn jetzt zu keiner Vertheidigung reizen wollte, fügte sie milder hinzu: »Ich will nichts wissen von den Einrichtungen, die Du vielleicht triffst, um Deinem weichlichen Gefühle zu Hülfe zu kommen. Ste. Roche ist ein Aufenthalt, der Dir allein gehört – Niemand Deiner Familie wird ihn je aufsuchen – die Revenuen erlauben Dir jede Freigebigkeit, und ist diese[148] Person durch eine Art Scheidung, nach ihren Begriffen, von Deinem Namen und allen damit verbundenen Ansprüchen für immer getrennt, wird es Dir zustehen, sie in eine sorgenfreie Lage zu versetzen. Doch vergiß nicht, daß Dein Name durch keinen Andern sich fortpflanzen darf, als durch die Kinder, die Dir eine ebenbürtige, rechtmäßig kirchliche Verbindung giebt.«

Wir müssen es mit Schmerz eingestehen, daß Leonin die Ausführung dieser Vorschläge möglich fand und sich damit erleichtert hielt, seinem unsicheren, willenlosen Umhertappen gegenüber. Die alten Vorurtheile warteten nur auf die ihnen bequeme Stimmung, um sich sogleich zu Beherrschern zu machen, und was noch unvollendet blieb, kam in die Hände des Beichtvaters, der nur zu bald mit dem Gewissen Leonins fertig ward und, einer Ketzerin gegenüber, keine bindende Verpflichtung zugestand.

So vorbereitet, trat Leonin die Reise an, und mit diesem Hintergrunde finden wir ihn zu Fennimors Füßen, seinen Sohn im Arme!

Und dennoch war er kein Heuchler! Dennoch hatte er keine Lüge gesagt, als Fennimor Alles hörte, was ihr Herz beglücken konnte. – Ja, um so weniger war er es, da dies vielleicht das eigentliche Leben war, wozu die Natur ihn bestimmt, und daher sogleich sein ganzes Wesen entgegen kommend fand, von allen Anklängen seines sanften, weichen Karakters unterstützt. Die natürliche Richtung der Menschen bricht sich immer von Zeit zu Zeit Bahn, wie das eitle Leben auch ihre Fähigkeiten entkräftet, da sie keinen Werth haben bei Erstrebung ehrgeiziger Zwecke, und es ist gewiß vor Allem diesen heiligsten Empfindungen, die Gott der Elternliebe verliehen hat, und die auch das starrste Herz mit einem warmen Strome nie gekannter Wonne durchdringen, vorbehalten, den natürlich besseren Zustand des Menschen hervor zu rufen.[149]

Dessen ungeachtet dürfen wir Leonin nicht mehr mit dem glücklichen Jünglinge verwechseln, der in Stirlings-Abtei diese edlere Seite des Lebens aufzufassen vermochte. Er taumelte dem neuen Gefühle wie ein Trunkener in die Arme; aber die Verhärtung des Herzens, die so leise und heimlich von der eigenen Mutter bis zu ihm geleitet war, hielt das letzte große Mittel der Natur, ihn bis auf den Grund zu reinigen, in seinem Einflusse auf und ließ ihm eben keinen andern Eindruck nach, als den eines Trunkenen. Es blieb ein vorübergehender Zustand; er dachte, sich ernüchternd, daran, ihm keinen Einfluß zu gestatten auf die ihm mitgegebenen Pläne seiner Mutter, und war nur bereit und mit wahrem Eifer erfüllt, dieselben so liebevoll und schonend auszuführen, als möglich.

Fennimor's Einfluß auf ihn, das Einzige, was ihn hätte erschüttern können, war durch die Zurückgezogenheit gebrochen, in welcher die Pflege ihres Zustandes sie hielt. Mit andächtiger Strenge ertrug sie die Qual einer Pflege, die ihr Schweigen, ihr Lager und das verhängte Zimmer gebot; und so wurde Leonin oft von ihr getrennt und ihrem Zauber entzogen, den sie nur entwickeln konnte, wenn sie umher wandelnd die Dinge um sich her mit ihrem eigenthümlichen Geiste belebte. Dazu kam, daß der Gegensatz dieses Lebens zu dem eben verlassenen so ungeheuer groß war, daß auf die fieberhafteste Aufregung, die dort seine Tage belebt hatte, jetzt eine Abspannung eintreten mußte, die er nicht der vorangegangenen Extase, sondern dem jetzigen, ihm trostlos leeren und gehaltlos erscheinenden Leben zuschrieb, welches allerdings durch Fennimor's Zurückgezogenheit seines Hauptimpulses entbehrte. Er hatte in der daraus entstehenden Einsamkeit Zeit, sich zu wiederholen, daß er hier nicht mehr leben und glücklich sein könne – und es war vorläufig Alles, was er für Fennimor in sich erhielt, daß er bedauerte, sie nicht von Verhältnissen trennen zu können, die ihm jetzt[150] niederbeugend schienen, nachdem er gelernt hatte, das äußere Leben über das innere zu stellen.

Bald nahte der Augenblick, der ihn zuerst zwang, seine bedingte Stellung zu seinen jetzigen Verhältnissen anzudeuten. Der Vikar erinnerte nämlich nach dem vierten Tage, daß die Taufe des Neugebornen nach den Vorschriften der Kirche nicht länger verschoben werden könnte, und Leonin war dazu mit eben dem Leichtsinne bereit, wie er sie ohne Erinnerung vergessen haben würde. Er bat den Vikar, darüber mit Emmy Gray die Verabredung für den nächsten Morgen zu nehmen, und wollte sich eben beurlauben, als der Vikar ihn um die Namen bat; da er noch heute das Kirchenbuch ausfüllen wolle, um in der Kirche dann die Unterschriften erfolgen zu lassen.

Vor dieser Erinnerung blieb der junge Graf, wie vom Blitze getroffen stehen! Der Trost jedes schwachen, unmännlichen Treibens, das Verschieben, das Hinhalten der Zustände, wie sie uns noch schonen und zu keiner Entscheidung zwingen, war ihm damit plötzlich entrissen – und wir dürfen ihm die Gerechtigkeit nicht versagen, daß er vor der Größe des nächsten Schrittes erbebte und seinen Inhalt fast mit Verzweiflung erkannte.

Aber ihm war keine Rückkehr mehr denklich, obwol er auch dort weder Genuß, noch Lebensreiz erwartete. Er sagte sich daher, sein Paradies sei für ewig verschüttet – der Sinn, durch den er es einst gefunden, sei verloren, und was alle Schwächlinge thun: er gab sich auf, um fortsündigen zu können!

Wie schnell seine Gedanken auch die Vorstellungen durchliefen, die wir hier andeuteten, die Lücke des Stillschweigens war dennoch da, und er traf auf einen Blick des Vikars, der ihm sagte, der kluge Mann beobachte ihn. Dies reizte seinen Stolz, und er hatte schon die Miene der vornehmen Welt gelernt,[151] die eine Ueberlegenheit andeuten soll, die durch nichts denkt vertreten werden zu müssen und sich geschickt glaubt, die Anforderungen bloß menschlicher Rechte, die ihnen unbequem sind, damit zurückzuweisen, als über die Grenzen ihrer besondern Bevorrechtung streifend.

»Herr Vikar,« sagte er mit dem dazu passenden Tone, »ich werde Ihnen Ihre Weisung darüber zusenden – richten Sie das ein, was außerdem nöthig.«

»Das werden zwei Zeugen sein,« erwiederte dieser kalt. »Haben Euer Gnaden darüber bestimmt?«

Leonin biß sich in die Lippen – er mußte wieder entscheiden! »Nun,« sagte er, indem seine Gedanken im Fluge alle diesem kleinen Kreise angehörigen Personen durchflogen, »Mademoiselle Veronika und der Arzt werden vielleicht diese Ceremonie vervollständigen, ich werde Beide persönlich darum bitten.«

Der Vikar neigte kaum merklich sein Haupt, und der junge Graf enteilte dieser peinlichen Unterredung.

Aber er wagte nicht zu der Stelle zurück zu kehren, wo Fennimor ihr unschuldiges Haupt mit lieblichen Träumen ihres Glückes wiegte. Er eilte in die Wälder, die in ihrer duftenden Juli-Fülle den Verirrten zu fragen schienen, ob er ein Recht habe, sich in ihrem Bereiche unbefriedigt zu fühlen. Aber er sah und empfand ihren schönen Anspruch nicht. Bisher war er unthätig zum Bösen fortgetrieben worden; jetzt zuerst sollte er selbstständig aussprechen, was er so lange sich selbst abläugnend um sich her geduldet hatte. Er fühlte sich in einer Zerrüttung, es ruhte eine Bürde auf ihm, die unleidlich schien; – und der ewig gelenkte und bevormundete Jüngling war in einer Erbitterung, selbst entscheiden zu müssen, welche ihn hätte warnen können, da sie vielleicht der letzte Versuch seines guten Engels war, ihn aufzuhalten.[152]

Als er später, wie gewöhnlich, an Fennimor's Lager trat, war die Entscheidung in ihm vollendet. Kalt und ruhig blickte er auf sein Weib und das schlummernde Kind an ihrer Brust – er fühlte innerlich, daß er sich von ihnen geschieden hatte; und in dem Maaße, wie er vor der Größe seines Frevels erbebte, in dem Maaße erkältete es ihn gegen die Gegenstände desselben. Fennimor lag in einem Fieberschauer, ihrem Zustande gemäß, der auch die Gestalt des Lieblings verhüllte; er berührte das Kind nicht, was Emmy Gray ihm übergeben wollte, und fragte nur kurz und trocken, ob sie mit dem Vikar Verabredung genommen habe. Er wollte sich verhärten, um der Reue zu entgehen, und erfuhr das Schicksal aller schwankenden, unentschlossenen Menschen. – Einmal zum Handeln gezwungen, überholte er sich selbst und steigerte seinen Vorsatz über das erforderliche Bedürfniß! –

Als am andern Morgen der Vikar vor den Stufen des Altars den Grafen um die Namen des Kindes befragte, rief derselbe mit kalter, lauter Stimme: »Reginald Crecy von Ste. Roche.« – Der Vikar hielt einen Augenblick inne; dann sagte er, ohne es in die Taufformel einzuschließen, indem er den Grafen fragend ansah: »Reginald, Graf von Crecy?«

»Reginald, Crecy von Ste. Roche!« unterbrach ihn der Graf mit jähem Wechsel der Farbe, indem sein Auge starr und zornig auf dem jungen Geistlichen haftete. –

Nach einer Pause schloß der Geistliche mit diesem Namen die Ceremonie.

Kaum war sie vorüber, so eilte der Graf auf das Kirchenbuch zu, nahm selbst die Feder und schrieb den Namen ein. Als die Zeugen unterschrieben, sahen sie, daß der Name Crecy unter den Vornamen stand, Ste. Roche als Familienname.

Keiner sprach einen Glückwunsch. Der Graf blieb in stolzer Abgeschlossenheit stehen, bis Alle unterschrieben hatten;[153] dann verließ er plötzlich die Kapelle, und der beraubte und entehrte kleine Täufling ward, von Niemandem begleitet, nach dem alten Schlosse zurückgetragen, das ihm eben seinen Namen hatte leihen müssen, von dem Manne beraubt, dessen Herz sich zu verhärten begann, wie die Steinmassen, die ihn aufnahmen.

Weder Emmy Gray, noch Fennimor erfuhren, was geschehen war. Emmy verließ ihren Liebling nicht, und die Wärterin, eine völlig unwissende Person, hatte keinen Anstoß gefunden, den sie hätte verrathen können. Veronika aber, ihr Bruder und der Arzt gelobten sich Schweigen, um nicht voreilige Erschütterungen zu veranlassen.

Fennimor verließ jetzt das Bett, und die schönste Jahreszeit machte es möglich, daß sie unter den Schatten der Bäume getragen werden konnte, das holde Kind im Schooße, das noch schlafend sein kleines Leben einhüllte, von der Liebe behütet, die ahnend in seine Bedürfnisse eindringt.

Wo konnte man ein vollständigeres Bild dieser aufhorchenden Liebe finden, als in Fennimor! Wie schön war diese sanfte. blasse, kindliche Mutter mit dem unnennbaren Zauber der seligsten Befriedigung! Die Harmonie ihres Innern ruhte in jedem Zuge, in jedem Laut ihrer Stimme; kein Gefühl trat vor dem andern vor; ihre Liebe zu Leonin war die Liebe zu ihrem Kinde – Gott, die Natur, fielen wie Strahlen hinein – es war Alles dasselbe! Sie schwamm, wie eine schöne duftende Nimphaea, auf dem ruhigen Wasserspiegel der Gegenwart – die Sonnenstrahlen über ihr, die den kurzen Lebenstag beseligten, für unvergänglich haltend – die Nacht vergessend in dem reinen Lichte des Mittags!

Leonin hatte das Härteste gethan, ehe der Eindruck dieses verklärten Zustandes ihn erfassen konnte. Jetzt stand er davor – von seinem Gewissen aus diesem Paradiese vertrieben, den[154] Fluch schon fühlend, der seine Stirn langsam umkreiste, die Flammenschrift der Befleckung einzugraben!

Wie Leonin auch gelernt hatte, mit der Sünde zu scherzen, ihren Lockungen nachzugehen und vor ihren Anforderungen nicht mehr zu erbeben – das erste positive Böse hatte er erst hier gethan, und er empfand den ungeheuern Unterschied zwischen einem solchen eigenmächtigen, selbstgewählten Schritt und dem negativen Hingeben, dem er bis jetzt sich überlassen. Gerade, daß er noch nicht vollständig verführt und verhärtet war, machte diesen Schritt so verhängnißvoll für ihn. Es war damit eine Art Wahnsinn entstanden, eine Mischung von Schmerz, Verzweiflung, Haß und Grausamkeit, die sein ganzes Wesen in Gährung versetzte und nur eine hohnlachende Stimme aus ihm hörbar werden ließ, die immer aufs neue wiederholte: vorwärts, vorwärts, Du bist nicht mehr zu retten!

Hätte Fennimor nicht an ihrer Brust das holde Kind, diesen Schild gegen alle Verwundungen der Welt, getragen, wie würde sie Leonin's Veränderung schnell erkannt haben! Aber das Kind lag zwischen ihnen – sie fand Leonin nur durch dies hindurch und deshalb immer verklärt oder eingehüllt. Doch auch für diese Täuschung mußte die Aufklärung kommen.

Fennimor ward mit den wiederkehrenden Kräften auch selbstständiger; aus dem physisch träumerischen Zustande, der sie zu Anfang an ihr Kind fesselte, wie noch in einem Pulsschlage gebunden – erfolgte nun die natürliche Trennung, die in der Mutter die gesonderte Existenz herstellt, die der erste Schritt für die Emancipation des Kindes wird.

Hiemit trat sie Leonin näher, und ihr kluges Auge, ihr reines Gefühl ließ sie augenblicklich die Wahrnehmung seiner Veränderung machen.

»Ach, Leonin,« sagte sie – »durch Lesüeur habe ich viel von der bösen Welt gehört, in welcher Du leben mußt, und[155] es hat mich recht geschmerzt auch um Deinetwillen! Wie schwer muß es sein, dort zu leben, und wie kann ich es Dir anfühlen, was Du dort leiden mußtest! Du hast keinen guten Blick mehr – Deine Seele sieht traurig aus Deinen Augen heraus!«

Leonin zog ein Lächeln um seinen Mund – es war krankhaft und bitter und enthielt eine ganze Antwort, die aber Fennimor nicht verstehehen konnte; und da er außerdem schwieg, fuhr sie fort: »sag' mir, bleibst Du nun in der schönen Welt hier, oder muß ich mit Dir in jene andere hinein ziehen?«

Hoch brauste es in Leonin's Brust auf. Ha, rief seine Seele, warum stößt Du mich selbst in den Abgrund, den ich Dir noch verdecken wollte? So machte er, verwirrt von der Verzweiflung seines Herzens, es ihr zum Vorwurf, daß sie ihn veranlaßte, ihr zu sagen, wie unglücklich er sie zu machen beschlossen hatte! Wer hätte die Qual zergliedern können, die ihn zerriß, als er die Lippen öffnete.

»Weder das Eine, noch das Andere,« rief er. – »Ich kann weder die Welt verlassen, die Dir der krankhafte Träumer Lesüeur so böse geschildert hat, noch Dich dorthin führen; denn das Eine bleibt gewiß, für Dich paßt diese Welt nicht, und Du würdest dort keinen Platz für Dich finden!«

»Ja, das dachte ich auch,« sagte Fennimor sorglos, »und immer nur, wenn Du mich darum bitten würdest, dürfte ich es thun; denn es ist ja unser Gebot, daß wir das Böse nicht suchen sollen, weil es, wie der Staub in der Luft, unmerklich uns berührt und endlich doch die reine Farbe unseres Inneren entstellt. Aber dann ist doch Deine Heimath auch nicht dort, und warum willst Du zurück, da es Dich traurig macht und Deine schöne Seele kränkt?«

Leonin's Brust wollte zerspringen. Er hätte ein lautes Angstgeschrei ausstoßen mögen – die Welt mit den Füßen[156] unter sich zerstampfen. Ungeheuer! rief er innerlich. – Er wußte nicht, ob gegen sich oder gegen Andere; aber die erste selbstgeführte schlechte That hatte ihm den Zügel aus der Hand gerissen – er jagte fort, verwildert von der Angst, mit der sie ihn verfolgte.

»Darin irrst Du – meine Heimath darf hier nicht sein. Ich bin dem Vaterlande, dem Könige, meinen hohen Verhältnissen als Vasall der Krone eine andere Lebensweise schuldig, als diese müßige Existenz hier sein würde.«

»Ha,« rief Fennimor, »das klingt schön, und ich begreife Deine hohe Bestimmung – erzähle mir recht Viel davon! Du hast Recht, Dich so groß und kräftig zum Leben zu stellen, ein Mann muß das auch! So waren einst die Makkabäer, und ihre Größe und Heldentugend diente auch zum Schutze des Vaterlandes. Davon wird die Seele ein mächtiger Thron erhabener Gedanken, die den Mann Gott näher führen, und doch bleibt er dabei sanft und heiter, wie ein Kind. – Wie gönne ich Dir diese große Weihe zum Leben, mein Geliebter! Wie stolz bin ich darauf und wie begreife ich nun wohl, daß Dir das armselige, kleine Leben, von dem Lesüeur sprach, nichts anhaben kann! – Aber,« fuhr sie fort, »in diese schöne, erhabene Welt, die Du Dir geschaffen hast, kann ich Dir folgen; die ist es gerade, von der ich geträumt habe, bis der arme Lesüeur sie so bitter verklagte.«

»Lesüeur,« erwiederte Leonin kalt und stolz, »kann gar nicht die Welt beurtheilen, zu der ich gehöre – eben so wenig kannst Du mir aber dahin folgen. Ich werde immer von Zeit zu Zeit nach Ste. Roche zurückkehren, und in Deinen Verhältnissen hier wird sich Nichts ändern; – dort aber erlaubt Dir Deine Geburt nicht, den Rang zu theilen, den ich einnehme; und daher würden wir Beide eben so getrennt leben müssen, als wärest Du hier und ich dort.«[157]

»Was meinst Du damit, ich verstehe Dich nicht,« rief Fennimor – und eine Anregung von Stolz und Kränkung stieg in ihren reinen Zügen auf – »da ich Dein Weib bin, bin ich dasselbe, was Du bist, und mein Vater war ja nicht geringer, als der Deinige und ein Geistlicher überdies!«

Leonin fühlte einen Krampf in den Schultern; nur mit Mühe unterdrückte er es, sie zu zucken. Die Antwort übergehend, fuhr er fort, indessen sein Fuß den Rasen, der grün und duftend vor ihnen ausgebreitet lag, zu zerstören suchte: »Der König hat mich zum Kammerherrn und Reisekavalier der Königin ernannt. Ihre Majestät wird dem Könige in den Krieg nachfolgen, und ich muß daher zurück, sobald die Nachricht eintrifft, daß die Armee sich in Bewegung setzt.«

»Sagtest Du denn nicht dem Könige, wie lange Du von mir getrennt seiest, Leonin?« rief hier Fennimor, in Thränen ausbrechend. – »Er, der so gut, so übermenschlich begabt sein soll, hätte Dich doch wohl aus diesem harten Dienste entlassen?«

Hätte Leonin die Augen aufgeschlagen und Fennimor's Engelsantlitz gesehen, wie es unter seinen kalten, herzlosen Antworten nach gerade verändert ward, er wäre wenigstens vor sich selbst zurückgeschaudert. So aber wühlten seine düsteren Blicke sich in die Erde ein, die er vor sich aufriß, und er behielt Muth zu seinem Frevel.

»Der König ahnt meine Verbindung mit Dir nicht! Zu spät habe ich erfahren, daß Familien wie die meinige, als Vettern Seiner Majestät, nicht das Recht haben, sich ohne seine Bewilligung zu verbinden, daß er streng darauf hält, daß sie sich nur mit Familien des höchsten französischen Adels vermählen, daß er gewöhnlich selbst die Wahl trifft und jede andere Verfügung mit den strengsten Verfolgungen bestraft.« –

»So hat Lesüeur doch Recht, Dein König ist doch nicht der rechte von Gottes Gnaden, der hier auf Erden handeln[158] soll, als wäre er besonders erwählt, Recht und Gerechtigkeit zu üben – und Du« sagte sie jetzt, ernst und kräftig sich aufrichtend, »bist fast von der schlechten Welt dort verführt und hast zaghaft und kleinlich gehandelt, gerade wie ich es an Lesüeur beobachten konnte. Alles, was Du da gesagt hast, kann vor Gott nicht bestehen, und wenn Du es gegen sein Recht hältst, so muß man erstaunen, daß ernsthafte und gereifte Menschen dort bei Euch es für etwas nehmen, wonach sie sich richten müßten. Als wenn es den geringsten Werth hätte! – Aber Ihr fürchtet Euch dort alle vor einander, so daß Ihr aufhört, die rechte Gottesfurcht zu haben; darum werdet Ihr zuletzt verzagt, und Euer Herz geräth in Siechthum! Leonin,« sagte sie, »Du armer Lieber, da haben sie Dich auch zum Sündigen gebracht. Denn sieh', eine Sünde hast Du begangen, daß Du vor dem Könige nicht Dein göttlich Recht behauptetest und ihm sagtest, wie Du ein Weib habest! Ehe Du von seinem Rechte gewußt, habest Du sie durch göttliches Recht empfangen und könntest deshalb nicht weiter zu ihm gehören, als so weit sie dies auch könne. Denn da sei Gott vor, daß ich mit zu Felde ziehen wollte, wie keine christliche Hausfrau das wollen wird! Nein, wenn Du ein Krieger wärest, wie die Makkabäer, im Dienste für Dein Vaterland, da wüßte ich, ohne daß ich den König zu fragen hätte, wohin ich gehörte; – aber siehe, das bist Du nicht. Einen Posten giebt er Dir, von dem mir Lesüeur sagt, wie klein und nichtig er ist; ein müßiger Dienst, in welchem Du nicht einmal so wichtig bist, als unsere eigenen Diener uns sind. Und das, glaubst Du, sei ziemlich und recht und ein Dienst für einen Mann, für einen Vasallen des Königs, wie Du vorher so schön sagtest, wonach ich hoffte, Du müßtest auch mächtig und fleißig für Dein Vaterland handeln?«

Wie sollen wir ausdrücken können, was Leonin empfand bei dieser feurigen Strafrede! Es war fast dasselbe, was er vor[159] seinem Vater empfunden hatte – hier, wie da stieß er auf eiserne, unerschütterlich fest stehende Ansichten, die auch keinen Blick gestatteten in die ihnen entgegenstehende Welt. Dasselbe Gefühl der Unmöglichkeit, zu jenen Zuständen eine duldende Ueberzeugung einzuflößen. Eine Verzweiflung, nie verstanden oder entschuldigt werden zu können, ergriff ihn, Fennimor gegenüber, mit einem Zürnen verbunden, welches in ihrer, ihm nach gerade überredeten, unberechtigten Stellung zu ihm lag – in der Beschämung, mit der er Verhältnisse, die er herbei zu führen, sein ganzes besseres Selbst geopfert hatte, jetzt als gering und unwürdig bezeichnen und sein ganzes Treiben ein von Gott abtrünniges nennen hörte.

»Fennimor, Fennimor,« sagte er mit einem kalten Lächeln der Ueberlegenheit, »Du hast Dir bei Deinem untergebenen Lesüeur das Predigen angewöhnt! Mir deucht, Du nimmst die Dinge sehr streng. Denkst Du wohl daran, ob Du überall dazu berufen und ob Du mir gegenüber, in derselben Stellung bist?«

»Ach,« sagte Fennimor, deren alte Energie, noch von körperlicher Schwäche gebunden, schnell erschöpft war, plötzlich weich und gebrochen in sich zusammen sinkend, »Du hast Recht, das ist eine gar verkehrte Welt, in der das schwache Weib ihren Herrn schilt! Wie hätte ich daran gedacht, als ich es Lesüeur that, Aehnliches könnte mir bei Dir einfallen – wie traurig ist das, und wie tief sinkt mir dabei der Lebensmuth! Hindere das,« sagte sie dann mit schwacher Stimme, »mache Alles, damit wieder Trost in mein Herz kommt, und ich nicht so arge Furcht für Deine Seele hegen muß!«

Sie winkte Emmy Gray, die eben am Eingange des Schlosses erschien, und wankte an ihrem Arme mit bleichen Lippen und trostlosen Augen nach ihrem Schlafzimmer.

Leonin aber ließ sie dahin gehen, ohne ein mildes Wort, ohne sie zu stützen, ohne sie anzublicken oder ihr zu folgen.[160] Er blieb unbeweglich sitzen, er durchwühlte nicht mehr den Rasen – das Kains-Zeichen brannte auf seiner Stirne – aber der schwache Geist hatte keine andere Rettung, als den forttreibenden Ruf der Sünde: es ist zu spät – es ist Alles verloren!

Von da blieb Fennimor still und in sich gekehrt. Ihre Kräfte kehrten nicht in dem Maaße wieder, als es anfänglich zu erwarten stand. Sie sah Leonin oft an wie eine Mutter, die fürchtet, ihr Kind werde erkranken – aber sie sagte nichts mehr, der Vorwurf, daß sie ihren Herrn gescholten, den sie selbst sich stärker gemacht hatte, als Leonin für möglich gehalten, machte sie schüchtern und zurückgezogen. Ihre körperliche Schwäche unterdrückte dabei ihren lebhaften Geist; ihr Kind versenkte sie in eine Welt, unschuldig und lauter, ohne jede Störung ihres frommen Sinnes; – und so fand Leonin die augenblickliche Schonung, die er immer suchte, wenn auch zugleich keine Gelegenheit, sich frei zu machen, den Absichten gemäß, die er mitgebracht.

Da unterbrach diese schwüle Luft, die um Beide wehte, ein Brief seiner Mutter, mit einer Einlage des Marquis Vieuville, welcher die Rückkehr Leonin's, Seitens der Königin befahl. Die Marschallin fügte hinzu, daß der Marquis de Souvré sich endlich habe bewegen lassen, ihn von Ste. Roche abzuholen, und ihrem Briefe voraneilen oder folgen werde, um jene Angelegenheit zu beendigen.

»Ach,« seufzte Leonin auf – »jetzt muß ich fort! das ist nicht aufzuhalten, und Souvré wird das Uebrige einleiten!«

Er wollte Fennimor sogleich Alles mittheilen und ging nach ihren Zimmern; aber als er eintrat, saß sein schönes junges Weib da, so lilienweiß von Angesicht, wie die weiten, faltenreichen Gewänder, die um sie her flossen, und ihr Kind lag schlummernd in ihrem Schooße. Sie lächelte dem Wunder dieser kleinen zarten Bildung entzückt zu und als sie Leonin[161] eintreten sah, winkte sie ihm und zeigte ihm die kleinen, wunderbaren Fingerchen, und daß jedes ein Nägelchen habe und drei kleine Gelenke!

»Ach, Leonin,« sagte sie – »und das wird späterhin denken und fühlen können, wie wir, wird Recht von Unrecht unterscheiden; diese kleinen Hände werden sich einst mit Bewußtsein falten, wie die unsrigen. So wunderbar schön ist Alles auf der Erde – wir haben nur das Anbeten!«

Da zog Leonin die Hand von dem Briefe des Marquis Vieuville zurück, den er vorzeigen wollte. Er wußte ihre Ruhe nicht anzugreifen – er mußte sie schön, engelgleich finden. – Sein Kind glühte wie eine Flamme in ihrem Schooße. Das Eis seines Herzens wollte schmelzen – er kniete nieder – er küßte das schlummernde Wesen, das ihm so nahe angehörte – so menschlich ward ihm, so wehmüthig! Er sollte sie verlassen, um dann den größten Frevel an ihr auszuüben; er sollte diese sanfte, ruhige Gestalt von der Gewalt des Schmerzes überwältigt sich denken! – Es war, als ob alle seine Nerven aus ihrer Starrheit rissen. Thränen auf Thränen flossen nieder. – »Wie soll ich uns retten?« so fragte er sich zitternd. »Verurtheilt zu grenzenlosem Unglücke bin ich hier und dort!« Seine Seufzer erreichten Fennimor's Ohr. – »Was ist Dir, mein Liebling?« fragte sie sanft.

»O, Fennimor,« rief er mit dem alten Liebeslaute – »weine um mich, ich bin sehr, sehr unglücklich! Was ich auch thun mag, brich nicht den Stab über mich, ich werde schuldig sein; aber immer, immer noch viel unglücklicher, als schuldig!« –

Sein Kopf sank neben seinem Kinde in Fennimor's Schooß. Es war eine tiefe Stille. – So schweigt einen Augenblick Alles, wenn die Verurtheilung über den Angeklagten ausgesprochen ist – das Schicksal, das er herbeirief, ihn niedergeworfen hat. –[162]

»Du weißt,« sagte Fennimor, »ich habe mich schon ein Mal vergangen und habe Dich so gescholten, wie es mir nicht zukommt als Deine Frau – und seitdem habe ich immer Angst, wenn Du etwas sagst, das vor Gott nicht gehört, weil es mich dann treibt, Dich davon abzuhalten; und doch – Du weißt, was ich dann thue« – sie hielt schüchtern inne und legte blos leise ihre Hand auf sein glühend Haupt.

»Ach, Fennimor – strafender Engel, Du hast das Paradies nicht schützen können, vor dem Du einst mit dem feurigen Schwerte standest – jetzt bin ich daraus vertrieben, und ohne daß Du es willst, jagen mich Deine Worte weiter und weiter daraus fort!« –

»Nein, nein, sage das nicht! Da beginge ich große Sünde, und wenn sie so in mich gekommen wäre, ohne daß ich davon wußte – das wäre großes Unglück! Bete doch, Leonin, und denke während des Gebetes, daß wir gar nicht glauben müssen, so fest im Unrechte zu sein, als Du vorher sagtest; da Gott auch das Unrecht Deiner Seele in Händen hat und Alles wenden kann – dann gewinnst Du Vertrauen zu ihm, und ohne Vertrauen ist alle Reue unwirksam! Ach siehe,« fuhr sie, schüchtern über den Schweigenden gebeugt, fort – »Dein Unrecht ist mir nicht recht bewußt! Du bist wohl sehr traurig, das fühle ich – Du sagst auch von den verkehrten Begriffen jener fremden Welt Einiges – aber wenn Du selbst nicht darnach handelst, hat sie ja keine Macht über Dich!«

»Ach,« rief Leonin – und der Schmerz durchzuckte krampfhaft seinen Körper – »sie hat aber Macht über mich gewonnen, ich habe nach ihren Begriffen gehandelt, und bin nun hier und dort verloren!«

Fennimor erhob sich und störte ihn dadurch auf. Todtenblaß stand sie vor ihm, das Kind leise an der Brust haltend; ernst und erschüttert sagte sie dann leise: »Leonin, wir wollen[163] zusammen beten! Jetzt darf Dein Weib sich nicht von Dir trennen – ich weiß Dich nicht zu stützen – das Gebet wird es uns lehren!«

Sie wollte das schlummernde Kind nach seinem Bettchen tragen; als sie den Fuß erhob, ließ sich in den Vorzimmern Geräusch hören – Thüren gingen auf – Schritte nahten sich – es war der Kammerdiener – kaum hatte er Zeit, zu sagen: »der Marquis de Souvré,« als dieser auch schon eintrat – Fennimor schrie laut auf – das Kind fuhr aus dem Schlafe – Leonin sprang von seinen Knieen auf.

Der Marquis blieb mit der höhnischen Miene, halb Lächeln, halb Zorn, vor dieser aufgestörten Gruppe stehen, zufrieden, daß Beide in ihm den Henker ihres Glücks erkannten.

»Eine idyllische Scene!« rief er, als Beide schwiegen. »In Wahrheit, man glaubt hier um ein Paar Jahrhunderte zurück zu leben!«

Dies erzürnte Leonin. »Ich denke, Marquis, die Natur, mit ihren ewig gleichen Beziehungen zu dem Menschen, müßte auch überall dieselbe geblieben sein!« –

»Ich glaube – es kann sein« – erwiederte Souvré mit allen Zeichen der Langenweile, womit er Leonin immer unsicher machte und ihm zu imponiren wußte – »Sie wissen, ich habe nicht Zeit, an so Etwas zu denken. Wir Vornehmen der Erde sind genöthigt, diese Dinge den augenblicklichen Zuständen der Zeit anzupassen – ich grüble über so Etwas nicht. – Doch, Crecy, machen Sie die Honneurs in Ihrem Hause! Denn diese kleine Dame« fuhr er leicht grüßend gegen Fennimor fort, »scheint dazu nicht zu passen, und ich bin wie ein Unsinniger gefahren, Ihr altes Eulennest zu erreichen, und bedarf jetzt Ruhe.«

Er wollte Leonin's Arm ergreifen und ihn mit sich ziehen. Da erwachte Fennimor; sie stand auf, schritt auf[164] Beide zu und heftete ihre großen, angstvollen Augen so fest auf den Marquis, daß dieser den Blick nicht zu ertragen vermochte.

»Berührt ihn nicht,« sagte sie dann mit einer Geisterstimme, »berührt ihn nicht! Ihr dürft keinen Antheil an ihm haben – und Du, Leonin, gehe nicht mit ihm, er ist nicht rein geblieben, Du gehest verloren mit ihm!«

So gewandt Souvré jeden Gegenstand zu behandeln wußte, war er doch mehr auf die Impertinenzen der großen Welt abgerichtet; hier trat ihm eine Verwerfung, eine Verachtung entgegen, die sich um kein Bonmot, um keinen Scherz drehte, der durch einen noch böseren Witz wieder bezahlt werden konnte. Ihr Ernst, der von einer fast überirdischen Schönheit unterstützt ward, überwältigte ihn mit der Macht der Wahrheit, und der Pathos, mit dem sie ihn so ohne Rücksicht bezeichnete, hatte etwas so Mächtiges, daß er sich ihm nicht zu entziehn vermochte und einen Augenblick davon berührt ward, wie von einem Strafgerichte.

Aber was hätte auf lange die Gewalt gehabt, ihn gegen seinen Willen zu beherrschen! Fast erschrocken fühlte er ihren Einfluß auf sich, und doppelt erzürnt, sprang er um so wilder mitten durch. Ein mißtönendes Gelächter erschallte aus seinem Munde. »In Wahrheit,« rief er, »Deine Kleine ist die anmuthigste tragische Schauspielerin, die ich noch je sah! Aber ein ander Mal – jetzt bin ich zu abgespannt! Komm', Leonin! Ein Bett ist mir jetzt lieber, als alle kleinen Theaterscenen!«

Erschrocken war Fennimor bei Souvrés Gelächter in Leonin's Arme geflogen – scheu blickte sie daraus hervor auf jenen hin. »Wehre ihn ab!« sagte sie schaudernd, »er ist ganz zerfallen mit Gott, das kannst Du leicht fühlen. O, bleibe bei mir, bis er fort ist!« rief sie flehend, als Leonin, sie sanft beruhigend, sich von ihr losmachen wollte, »bleibe bei mir, bis er fort ist, er thut Dir sonst ein Leid!«[165]

Souvré lachte wieder – Leonin führte sie zu ihrem Sitze zurück. »Fasse Dich, Fennimor! Es ist ja derselbe, der Dich schon ein Mal so gegen Ordnung und Recht erschreckt hat – erkennst Du ihn denn nicht wieder?«

»Ja, ich erkenne ihn,« sagte Fennimor mit schwacher Stimme. »Ich fühle den Stich von damals wieder durch mein Herz – es wird nicht ohne Grund sein. O, rette Dich, rette Dich – er will Deine Seele!«

»Beruhige Dich, geliebte Fennimor,« rief Leonin zärtlich, »ich will ihn wegführen – von Dir wegführen, damit Deine Angst sich legt – später wirst Du ruhiger sein.«

»Gehe nicht! o, gehe nicht! sonst wird es mein Tod!« stammelte Fennimor und glich in diesem Augenblicke fast einer Sterbenden. »Wenn er Dich wegführt, sind wir auf immer getrennt – dann ist Deine Seele dem Bösen verfallen, mein Leib dem Tode!«

Ihr Kopf sank zurück; sie konnte ihn nicht mehr mit ihren ohnmächtigen Händen halten. Leonins Herz war zerrissen von Schmerz; aber der höhnende, stechende Blick Sonvré's, der ihn beständig verfolgte, war so unerträglich, daß er Leonins Blut mit jedem Augenblicke mehr vergiftete. Er sprang auf, von Fennimors Seite hinweg, aus ihren matten Händen gleitend, er hörte ihren leisen Schrei, er sah, wie ihr brechendes Auge ihm noch folgte, und indem er Emmy rief, stürzte er auf Souvré zu, riß ihn mit sich fort – wie er hoffte – nur, auf wenige Augenblicke.

Als die Thür zufiel, schlossen sich auch Fennimors Augen. Glückliche Bewußtlosigkeit deckte ihre Schmerzen zu. –

Mit kalter, finsterer Entschlossenheit stand Emmy Gray ihr zur Seite. Hätte man den Ausdruck dieser strengen Züge deuten wollen, man hätte glauben können, sie wünsche ihrem Lieblinge den Tod, der scheinbar nur ihre Züge bedeckte.[166] Wenigstens rührte sie keine Hand zu ihrer Belebung; aber bitter und finster blickte sie nach der Thür, und eine Drohung von Haß und Verachtung konnte kein Wort deutlicher bezeichnen, als dieser Blick!

Fennimor schlug endlich die Augen auf; aber sie blieb wie leblos in ihrem Stuhle. Emmy Gray ging schweigend ab und zu. Das Kind schlief wieder, die Mutter begehrte nicht danach, ihre Sinne schienen gebunden. Endlich strömte die Abendluft in die Fenster, die Emmy geöffnet – Fennimor ward davon belebt.

»Wo ist er?« war ihr erstes Wort. »Wenn Ihr den Grafen meint,« erwiederte Emmy, »so ist er bei dem Herrn Marquis.«

»Erbarme Dich, Gott!« rief Fennimor und verhüllte ihr Gesicht. Tiefe Stille herrschte fort – sie schien zu beten – dann siegte die Erschöpfung – ein kurzer Schlummer berührte ihre schweren Augenlieder.

Die Abendsonne bestreute das schöne reiche Gemach mit glänzenden Lichtern; in die Fenster schaute die herrliche Landschaft des Thales von Ste. Roche. Hinter Blumen und niedrigen Gesträuchen, die das Fenster zunächst umzogen, ruhte weiterhin in dem warmen sonnengefärbten Dufte des Sommers der Wald und der Fahrweg durch den Wiesengrund; Alles athmete Schönheit, Genuß und Erfüllung. Nur Fennimors kurzer Schlaf hatte den unruhigen Athem des beklemmten Herzens; ihre Wange sank bleicher ein, und das Auge war nur halb geschlossen.

Emmy hörte Schritte nahen; sie riß sich von dem schwermüthigen Anblicke ihres Lieblings los, um leise die Thür zu öffnen – der Marquis de Souvré trat herein. – »Meine gute Frau,« sprach er, »ich muß Eure Herrschaft sprechen, laßt mich nur näher treten.«[167]

»Da ist sie,« erwiederte Emmy, mit bitterm Hasse im Blicke. »Stirbt sie Euch noch nicht früh genug, so wird es Euch bald gelingen, es zu vollenden.«

»Das alte Hexenschloß« lachte Souvré, »hat in Wahrheit würdige Bewohner; jedes singt auf seine Weise irgend ein Beschwörungslied. Mit Euch muß ja ein ehrlicher Mann den Muth verlieren zu reden!«

»Ihr freilich,« zögerte Emmy nicht zu erwiedern, »Ihr solltet ihn billig verlieren! Aber Ihr, prophezeihe ich, werdet ihn behalten, bis Ihr allen Frevel vollführt, den Ihr beabsichtiget.«

»Immer besser!« rief Souvré, »doch, Kind, Du bist zu gering zum Wortgefechte – tritt bei Seite – siehe, Deine Herrin ist erwacht!«

»Wer ist da?« rief Fennimor zusammen schaudernd. – »Mein böser Geist!« setzte sie ihn erkennend hinzu.

»Ich hoffe,« sagte Souvré, sich ihr nahend, indem er über sie weg mit vornehmer Nachlässigkeit das Zimmer musterte, »Ihr habt jetzt die kleine Erschütterung überwunden, mit der Ihr jedes Mal meine Erscheinung beehrt; es ist um so nöthiger, da Ihr gezwungen seid, mit mir einige Dinge zu besprechen, die für Eure Zukunft wichtig sind.«

»Wo ist Leonin?« fragte Fennimor, sich aufrichtend. –

»Davon nachher!« sagte Souvré leicht, indem er durch das Fenster blickte, »vorerst nicht bei mir, wie Ihr seht.«

»Das ist gut,« erwiederte Fennimor ruhig, – »wenn er nur nicht bei Euch ist, da kann ich leichter Eure Gegenwart ertragen; Ihr habt keine Gewalt über mich!«

»Nicht?« sagte Souvré, und sein boshaftester Blick flog über sie hin; »wir wollen sehn! So vorbereitet, wie Ihr Euch auf mich habt, scheint es wohl, ist jede Schonung überflüssig; doch wollen wir sehen, ob ich keine Gewalt über Euch habe.«[168]

»Ueber mein äußeres Schicksal sicher« – sagte Fennimor – »das fühle ich eben immer, wenn ich Euch sehe. Ich meine nur, über meine Seele habt Ihr keine Gewalt, und ich habe bessere Kraft, nun ich allein mit Euch bin; wenn Leonin dabei ist, fühle ich nur das Leid, was Ihr ihm angethan, und dann ist der Schmerz größer.«

»Ihr seid nicht zurückhaltend in Euren Meinungen über mich, das muß ich gestehen. Doch muß ich glauben, Ihr gebt mir den Ton an, der unter uns walten soll. So hört denn! Ich habe mich aus Freundschaft für die Familie des Grafen Crecy-Chabanne der Mühe unterzogen, Leonin, den jungen Grafen und einzigen Erben, aus einer Verbindung loszumachen, in die ihn Leichtsinn, Unwissenheit und, wie ich gern eingestehe, Eure schönen blühenden Wangen und die zu bereitwillige Gastfreundschaft Eures Vaters geführt haben; indem der junge Mann natürlich in seine ehrenvollen, angestammten Verhältnisse nicht zurückkehren konnte, ohne die Unzulässigkeit dieser anscheinenden Verbindung zu empfinden, da nie, auf keinem Punkte, weder bei seinen Eltern, weder bei seinem Könige, noch, und am wenigsten, bei seiner Kirche eine Anerkennung dieses leichtsinnig geschlossenen Vertrages denkbar ist. – Hiervon Euch, bei Eurer Unkenntniß der Welt, einen Begriff zu machen, habe ich übernommen; zugleich Eure und Eures Kindes Verhältnisse so sorglos zu stellen, als es Euch zukommt, von einem Manne zu fordern, der in so unabhängigen Vermögensumständen ist, als der junge Graf Crecy.«

»Ich kann Euch noch nicht verstehen,« entgegnete Fennimor, noch immer ruhig; »denn, was Ihr sagt, ist ja Alles unrichtig – ich weiß nicht, was Ihr von unserer Vermählung denkt! Freilich soll die Vermählung bei den Katholiken anders sein; aber sie muß doch immer dasselbe bedeuten, sonst wäre ja die Eurige keine christliche Verbindung.«[169]

»Legt endlich Eure Unerschütterlichkeit ab, mit der Ihr mir unbeschreiblich lästig fallt!« sagte jetzt Souvré, indem er übellaunig aufstand. »Ist denn das nicht zu verstehn, was ich Euch sage? Ihr seid nach katholischem Rechte gar nicht vermählt, Eure anscheinende Verbindung in jeder Beziehung völlig ungültig. Kein Mensch erkennt Euch für des Grafen Gemahlin, kein Mensch dies Kind für ein ehelich geborenes an. Dies soll ich Euch bekannt machen, damit Ihr eine Art Erklärung darüber unterzeichnen könnt, die ich hier bei mir führe, die Euren Begriffen nach, eine Art Scheidung auch jener Ceremonie, auf die Ihr Euch zu stützen scheint, rechtskräftig bewirkt, und dem jungen Grafen Crecy, der zu einer hohen Hofverbindung be stimmt ist, seine Freiheit wieder giebt.«

Fennimor stand auf, langsam aber fest, die Stuhllehne krampfhaft haltend – sie schien zu wachsen – das treulose Blut, was ihr Herz erdrücken wollte, strömte in ihre Wangen zurück. Die zahllosen Stiche, die sie empfangen und, zweifelnd, daß sie ihr gelten könnten, immer verläugnet hatte, wurden mit diesem letzten fürchterlichen Angriffe plötzlich alle zu reißenden Wunden. Sie war völlig enttäuscht! Aber Sprache fand sie erst mit einem kurzen wilden Schrei, der ihre fest zusammen gepreßten Lippen brach – dumpf, aber erhaben sagte sie dann:

»Du gehörst nicht zu Gott und weißt von seinen heiligen Geboten Nichts! In welchem Namen soll ich zu Dir reden? Unglückliche, verlorne Seele! Der kleinliche Jammer Deiner Rede richtet Dich so fürchterlich, daß ich vor Gott erbebe, der schon Gericht über Dich hält in jedem Deiner verstockten Worte! Armes, elendes Wesen – welch ein schauderhafter Lästerer bist Du! Welch ein Grauen wird Dich befallen, wenn Gott den Nebel zerstreut, in den Dein armes, kleinliches Leben noch vor Dir selbst gehüllt ist, und Du Dich erkennst! – Wie könntest Du, verlorenes Werkzeug jener verderbten Welt, aus der Du[170] gesandt wirst, mir Zweifel einflößen gegen die Heiligkeit meiner Verbindung, gegen die Geburt meines Kindes?«

Wir wissen nicht, warum Souvré diese Rede nicht unterbrach, warum er endlich halb abgewendet in der Nähe ihres Stuhles stehen blieb, zuletzt die Augen auf sie richten mußte und ein Ansehn gewann, als versteinere sie ihn.

Fennimor wollte ihn verlassen. Kräftigen Schrittes, erhaben in jeder Bewegung, wollte sie an ihm vorüber. Das weckte ihn. Mit Wuth beladen, kam sein Bewußtsein zurück. Sie hatte ihn bezeichnet, wie er war; dies unbedeutende, unberechtigte Wesen hatte laut genannt, was die neckende Hölle in seinem Busen, während sie es sprach, hohnlachend bestätigt hatte – er war vor sich selbst entdeckt – und: Rache! Rache! war das einzige Geschrei seines beleidigten Innern.

»Halt,« rief er, mit heiserer Stimme und entstellten Zügen, »halt! Ihr dürft nicht fort, bis Ihr dies Blatt unterzeichnet habt. Dankt Gott, daß ich mich herablasse, mit Euch zu unterhandeln, die Ihr kein Recht habt an der Gemeinschaft ehrbarer Personen!«

Fennimor wies das Blatt mit der Hand zurück: »Ich werde Leonins erhabene Mutter befragen, welch einen ehrenvollen Platz sie der Gemahlin ihres Sohnes zugesteht. Von Euch fordere ich bloß Entfernung. Ihr, armes, elendes Wesen, könnt mich nicht herabwürdigen!«

Die Erwähnung von Leonins Mutter verstärkte augenblicklich den bösen Willen des Marquis. »Thörin,« sagte er lachend, »das fehlt nur noch an Eurer kindischen Anmaßung! Gerade sie – sie schickt mich, Euch Eure Thorheit vorzustellen; denn sie hält Euch für nichts mehr, als die Geliebte ihres Sohnes, obwol sie alle Eure geträumten kirchlichen Rechte kennt. Sie hat eine Braut für ihren Sohn gewählt, seiner würdig, und verachtet Euch vollständig!«[171]

Fennimor blieb stehen. Sie hob Hände und Augen zum Himmel auf. – »O, Herr des Himmels, erbarme Dich! Ich fürchte, Ihr sprecht eben die Wahrheit. Mein Vertrauen zu dieser einst so verehrten Frau war durch Manches gesunken, was mir Lesüeur erzählte. O, wie beklage ich sie!«

»Beklagt lieber Euch selbst« – stieß Souvré roh heraus, »Ihr habt es nöthiger! Doch hoffe ich, da Ihr Eure Stützen brechen seht, so werdet Ihr jetzt nicht zaudern, Eure Unterschrift unter dieses Blatt zu setzen. Ihr entsagt darin für Euch und Euer Kind jedem rechtmäßigen Anspruch an den Grafen Crecy-Chabanne; Ihr nehmt den Namen Lester wieder an und erhaltet dafür ein anstandiges Vermögen zur Versorgung für Euch und Euren Sohn, mit der Freiheit, nach England zurückzukehren, oder auch hier in Ste. Roche ohne weiteres Aufsehen zu verbleiben; doch ohne Versuche, die Ruhe der Familie Crecy ferner zu stören, und ohne dazu das kleinste Recht behaupten zu wollen.«

»Das läßt mir Leonin's Mutter sagen?« rief Fennimor trostlos; – »das, glaubte sie, könnte ich annehmen? Ein Weib fordert das von einem Weibe? Eine Mutter von einer Mutter? – Nun, so soll diese entartete Welt erfahren, was die Worte bedeuten, die dort zu Gottes Hohn getragen werden!« Mit ein Paar raschen Schritten trat sie dicht vor den Marquis.

»Geht, geht!« sagte sie kräftig, »sagt Ihr – es läge in keiner menschlichen Macht, das aufzulösen, was vor Gott geknüpft sei durch seinen heiligen Diener – durch das Gelübde der Herzen, die Gott zusammen gefügt hätte an jenem Tage. Sagt Ihr, ich sei die rechtmäßige Gemahlin ihres Sohnes! Ich, Fennimor Lester, deren Vater überdies aus einer vornehmen englischen Familie abstammte und ein Priester war, sei in Nichts zu gering dafür. Sagt Ihr, daß das Kind dieser ehelichen Verbindung, der allein rechtmäßige Nachkomme ihres[172] Sohnes, unentäußerlich, wie ich, seine Mutter, den Namen Crecy-Chabanne führen werde; und wenn sie ein Zeugniß dafür bedarf noch außer dem Blatte des Kirchenbuches, welches Emmy Gray mit sich genommen und bewahrt hat – so soll sie ihren Sohn fragen und hören, ob er dies Lust hat zu läugnen!«

Da stieg der Triumph über sein Schlachtopfer in Souvré's Zügen auf. Mit dem verwundendsten Lächeln sagte er: »Ich glaube, er wird dazu Lust haben! Denn er gerade wünscht, Ihr möchtet Euch in diese Anordnungen fügen. – Seine Schwäche und Euren heftigen Karakter fürchtend, hat er diese ganze Angelegenheit in meine Hand gelegt – er hofft, ich bringe dieses Blatt unterzeichnet zurück.«

»Da sei Gott vor, daß Ihr Wahrheit redet! Wo ist Leonin – ich will ihn augenblicklich selbst Euch gegenüber stellen!« –

Souvré zuckte die Achseln. – »Dies ist nicht mehr möglich! Seine Rückkehr war vom Könige befohlen – er mußte zur bestimmten Stunde dort sein – dem peinlichen Abschiede zu entgehn. – Seht dort! Ihr werdet an der Wahrheit nicht länger zweifeln!«

Fennimor sah ihn an, als sehe sie einen Geist – sie ließ sich selbst von ihm berühren – nach dem Fenster führen, und folgte mit den Augen, wohin er deutete. Da sah sie den Fahrweg durchs Thal Leonin's Reisewagen fliegen, sie erkannte seinen Postzug – seine Livreen.

»Leonin! Leonin!« sagte sie leise gebrochen und griff in die Ranken, die um das Fenster hingen. So blieb sie stehen – die Augen unverwandt hinaus gerichtet. – Souvré – wir dürfen ihm das einzige Zeichen der Menschheit, was wir an ihm zu entdecken haben, nicht vorenthalten – schauderte, als er sah, wie sie immer blässer und blässer, zuletzt bläulich erdfarben ward, und die Augen und alle Züge sich zu versteinern schienen. Er[173] redete sie an, er hoffte selbst auf den Widerwillen, den er ihr einflößte. Es war umsonst – sie hörte nichts mehr. Ihr Auge haftete an dem immer kleiner werdenden Reisezug – er verschwand. »Leonin!« sagte sie dumpf, fast undeutlich – aber sie blieb unbeweglich stehn.

Da ergriffen die Furien den Marquis de Souvré. Als ob er, von ihrem Anblick gerichtet, im nächsten Augenblicke des Todes sein würde, so stürzte er aus dem Zimmer. Emmy Gray saß zusammengekauert vor der Thür. »Geht hinein! Geht – geht!« rief er wild und stürzte über die Zimmer und Gänge fort nach den seinigen.

Emmy wußte Alles. Es kostete sie keine Thräne, keinen Seufzer – finsterer Zorn machte sie jeder sanfteren Empfindung unmöglich; selbst für den ihr über Alles theuern Gegenstand hatte sie kein mildes Wort. »So mußte es kommen! Das wußte ich vorher! Sie bezahlt es mit dem Leben! So mag sie nur erst erlöst sein!« – Sie hätte sich ihres Todes freuen können – sie rührte sie nicht an, und Fennimor blieb stehen, bis der Krampf jeden Schlag des Herzens hinderte und die Füße zusammen brachen.

Sie glich so sehr einer Leiche, daß das Gerücht, sie sei gestorben, sich verbreitete, und der Arzt selbst lange zweifelhaft blieb. Als sie endlich erwachte, war die schreckliche Nacht vorüber. Der Marquis de Souvré hatte zuweilen nachgefragt; Emmy hatte ihm nie geantwortet. Bis zu dem Bette war er vorgedrungen; sie hatte nicht gehindert, daß er die Leiche sah, wie sie wähnte. Gegen Morgen war er abgereist. »Die unangenehmste Reise meines Lebens!« sagte er verdrießlich. »Was das für ein krankhaftes Geschöpf war – gleich zu sterben!«

Später erst fiel ihm ein, daß dieser Tod Leonin auf dem Gewissen liegen werde, wenn er ihm auch Freiheit gäbe. Damit beruhigte er sich.[174]

Fennimor ward nicht durch den Tod erlöst. Ihr Erwachen war sogleich vollständiges Bewußtsein. Da Emmy sie nicht entkleidet hatte, erhob sie sich augenblicklich, und ihre tiefe Seelenangst trat in jeder Bewegung hervor.

»Emmy,« sagte sie leise, »er hat mich doch so sehr geliebt!« Dabei fing sie eine Wanderung durch das Zimmer an, die Alle im Laufe der Zeit zur Verzweiflung brachte. Immer dieselbe Linie haltend, von dem Fenster an, wo sie den Todesstoß empfangen hatte, bis in den äußersten Winkel des Zimmers, und wieder zum Fenster zurück. Sie hörte Nichts um sich her! Sie sah Nichts! Wenn sie angeredet ward, blieb sie stehen und sagte zu Jedem: »Er hat mich so sehr geliebt!« Der Ausdruck ihres Engelsantlitzes war dabei so, daß Niemand ihn ohne Thränen sehen konnte. Auch zu ihrem Kinde sagte sie dasselbe. Sie kannte es nicht.

Emmy schien durch Nichts mehr überrascht. Sie hatte dies Alles längst in ihrem argwöhnischen Nachdenken durchlebt und that jetzt nur, was sie im Voraus beschlossen. Eine Bäuerin erschien gegen Abend, da das Kind dem Verschmachten nahe, und die Milch der Mutter jeden Falles todtbringend war. Das eigne Kind verlassend, nährte das theilnehmende Weib das verwaiste.

Die Nacht verging – Fennimor wanderte fort. Der Arzt und Emmy saßen stumm einander gegenüber. Kein Mensch durfte sie berühren – es schien ihr den größten Schmerz zu machen. – Wer hätte sie auch zwingen mögen? Doch verschwand die Blässe allmählig, hohe Röthe stieg in ihre Wangen, die glühendste Fieberhitze ergriff sie; sie ging heftiger nur.

»Beruhigt Euch,« sagte der Arzt zu Emmy – »das überlebt sie nicht – sie war ja noch Wöchnerin – die Quellen ihres Busens sind versiegt, das deutet das Fieber an – es wird ihr Tod!«[175]

»Dann sei Gott gepriesen!« rief Emmy wild – »die scheußliche Welt, in die sie gerathen, ist nicht werth, daß ihr Fuß länger in ihr wandelt!«

Bald öffnete das steigende Fieber den stillen Mund. Erst plauderte sie leise – dann lauter – sie lächelte – sie hüpfte – sie flog, selbst unter der Gewalt der Krankheit noch reizend schön, und wie ein glückliches Kind auf kühlem Wiesengrunde! – Sie war in Stirlings-Bai – sie rief den Vater und lächelte ihm zu – kein Andenken ihres späteren Lebens trat hervor – ihre Kinderjahre, Emmy, der Vater, ihre Bilderbücher, der Wald! Welche anmuthige Arabeske lieblich und wunderbar durchschlungener Gedanken, bildeten ihre Phantasien! Dies brach Emmy's Härte – schreiend fast, schluchzte sie ihren Jammer aus; aber die, welche sonst ihrem leisesten Seufzer sorgsam nachspürte, hüpfte lächelnd und schwatzend an ihr vorüber und sah in den wilden Aufruhr dieser konvulsivisch zuckenden Gestalt, als ob sie eine schöne Blume aus den Wäldern von Stirlings-Bai erblicke. – Da schien dem mit angespannter Aufmerksamkeit sie beobachtenden Arzt, als ob sie, durch das Fieber bezwungen, Durst empfände. Dies war, was er gehofft und erwartet. – Schnell reichte er ihr den bereiteten Becher, der den Schlaftrank enthielt, auf den allein zu hoffen war. Er täuschte sich nicht; sie trank mit kindischer Begierde und nannte es: Milch aus Stirlings-Bai. Der Gang aber ward nun matter und schleppender, die Worte gebrochen; die Augenlieder sanken. Schon hatte Emmy die Thränen getrocknet; widerstandlos trug sie den Liebling ihres Herzens auf das lange verlassene Lager, und bald breitete der Schlaf seine Segnungen über die Verwüstungen der Menschenhand. –
[176]

Die Marschallin von Crecy saß in ihrem Ankleidezimmer und hörte der unschuldigen Louise zu, welche ihr von dem jungen Marquis d'Anville erzählte, mit dem sie gestern bei dem Herzoge von Lesdiguères getanzt hatte, und der gar zu heiter und liebenswürdig war, so daß sie immer durch ihn an Leonin erinnert ward, mit dem sie auch früher so habe scherzen und lachen können.

Die Marschallin hatte Nichts dagegen. Sie wußte jetzt genau, wie es mit Louise stand; diese Brücke, welche Schwestern, die ihre Brüder sehr lieben, sich durch Vergleichungen zu bauen wissen, die sie dann unwillkürlich in ein anderes Gebiet der Empfindung hinüber leiten, war ihr vollkommen bekannt. Der junge neunzehnjährige Marquis war ihrer Tochter bestimmt; doch erst nach drei Jahren sollte die Vermählung vor sich gehen, der junge Mann bis dahin entfernt werden durch den jetzigen Krieg, später durch Reisen.

Sie ließ Louise ruhig plaudern und verstärkte nur durch einzelne Worte den erregten Eindruck, sich an der harmlosen Uebergabe des holden Kindes innerlich belustigend – als dieses trauliche Zwiegespräch plötzlich durch den Eintritt dessen aufgehoben ward, den Louise noch zur Erklärung ihrer Gefühle bedurfte – Leonin stand vor Beiden.

Aber wie wenig glich er jetzt noch dem Bilde des frohen, unschuldigen Marquis d'Anville! Selbst die unerschütterliche Marschallin erschrak bei seinem Anblick, und wie ein Blitz durchzuckte sie der Gedanke: Das ist Dein Werk!

Louise flog mit einem Freudenschrei in seine Arme. Aber Leonin schauderte, als er ein anderes weibliches Wesen an die Brust drückte, von der er Fennimor so eben verstoßen. Die Marschallin sah Alles – sie fürchtete sich fast vor ihm – da er da war, mußte das vollendet sein, was sie geleitet; damit kam ihr ein kleines vorübergehendes Grauen an[177] – die Vollendung stählte sie nicht so, wie der Eifer, sie zu erlangen.

»Leonin, Du bist krank!« rief Louise, als er sich matt und stumm von ihr los machte, um seine Mutter zu begrüßen, »ich erkannte Dich kaum!«

»In Wahrheit, mein Lieber,« sagte die Marschallin, »Sie haben keine gute Farbe – Sie müssen mit dem Arzte sprechen – Sie haben jetzt keine Zeit zum krank sein!«

»Lieber mit dem Beichtvater, gnädige Frau!« erwiederte Leonin dumpf und bitter, »es könnte nöthiger sein!«

»Ganz nach Ihrem Bedürfnisse,« sagte die Marschallin, durch diese vorwurfsvolle Entgegnung erkältet und erzürnt. – »Oft ist uns der Seelenarzt so nöthig, als der leibliche. – Der König ist bereits zur Armee abgegangen; die Königin hat ihr erstes Wiedersehen mit Seiner Majestät in Nancy, dorthin« –

»In Nancy?« unterbrach Leonin seine Mutter – »in Nancy? in der Hauptstadt des Herzogs von Lothringen? So verfügt man schon über das Eigenthum des Feindes, dessen Land man noch nicht einmal betreten hat?« –

»Mein Sohn, ich finde Ihren Ton sehr sonderbar; es scheint mir höchst unpassend, und für Sie am meisten, als eine zum Hofstaat gehörende Person, sich mit einer Art – wie soll ich sagen, um es milde zu bezeichnen – einer Art Erstaunen mindestens, über diese allerhöchsten Beschlüsse zu äußern. Wer könnte zweifeln, daß Seine Majestät heute schon das Recht hätten, sich in Amsterdam ihr Diner zu bestellen? Die Beschlüsse zu der einen oder andern stets passenden Eroberung sind zugleich Siege!«

Hierin lag etwas Wahres. Die Marschallin hatte nur nöthig, das Vorhandene zu benutzen, um ihrem Sohne zu imponiren. Dieser ganze Krieg war ein voraus empfundener Siegestaumel, den zu beargwöhnen, in der That ein ungehöriges[178] Gefühl und der damaligen Zeit ganz fremd war. Die Naturanlage der Franzosen, sich in dem anmaßendsten Dünkel als die Ersten der Erde zu betrachten, erhielt die vollständigste Entwicklung und schlug Wurzeln, zu tief, um je zu ersterben, ein Stützpunkt bleibend für Alles, was die Zeit im mannigfaltigsten Wechsel daran hinauftrieb – was wir mit giftiger oder segensreicher Vegetation vergleichen könnten, die immer ein und derselben Wurzel entsprossen.

Leonin war auch schon auf Kosten alles Andern zu sehr Franzose geworden, um nicht Ueberzeugungen schnell nachzukommen, die er um so hohen Preis erkauft. Er fühlte, er hatte sich unpassend geäußert, und fragte daher schnell: ob die Königin in Versailles anwesend sei? –

»Ihre Majestät haben den Bitten ihrer guten Stadt Paris nachgegeben und vor ihrer Abreise noch einen Besuch in den Tuillerien gemacht. Paris ist ein Saal der Freude! Die Straßen sind Gärten, in denen das Volk tanzt und spielt, die beiden Königinnen, von ihrem ganzen Hofstaate umgeben, durchziehen sie in offnen Triumphwagen, welche die Stadt hat bauen lassen. – Unsere Reisewagen sind gepackt; wir erwarteten nur Ihre Rückkehr, um das Hotel Soubise zu beziehen; machen Sie danach Ihre Einrichtungen!«

»Ich werde schwerlich mit Ihnen zugleich dem Hofe aufwarten können,« erwiederte Leonin – »ich fühle mich sehr unwohl – etwas Ruhe ist mir durchaus nöthig!«

Einen Augenblick sah die Marschallin zu ihrem Sohne auf, mit dem Wunsche, zu widersprechen; aber aufs neue leuchtete ihr die Ueberzeugung seiner sichtlichen Erschöpfung ein. So gern sie sich's geläugnet hätte, es war gar nicht zu übersehen – er war krank – jedenfalls in einer Gemüthsstimmung, die eine kleine Sammlung wünschen ließ; da sie ihn wenig so darzustellen verhieß, wie es die Marschallin wünschte.[179]

So trennte man sich. Kein Wort hatte das überfüllte Herz Leonin's erleichtert. Diese harte Frau, die ihn so ohne Bedenken zu dem Verbrechen gereizt, das er fühlte begangen zu haben, zeigte eine Gleichgültigkeit, die nicht einmal nachfrug, ob oder wie es vollzogen. Keine Theilnahme, kein Dank, Nichts versöhnte den ungeheuren Schritt, den er gethan. Zurückgedrängt ward er mit jeder Empfindung, die ihn fast zu ersticken drohte, als nehme man ihr Dasein für unmöglich an; und was man ihm dagegen bot, waren die erbärmlichen Wichtigkeiten dieser äußern Welt! Sein Herz krampfte sich in Bitterkeit zusammen; ein finsterer Groll gegen sich und die ganze Welt ergriff ihn, ja, eine Ansicht über seine Mutter brach sich Bahn, die ganz gegen den kindlichen Enthusiasmus stritt, den er bisher empfunden. Es war ein fürchterliches Gericht in ihm, und die größte Strafe der Sünde erreichte ihn: der Preis, um den er gesündigt, sank in dem Augenblicke, wie er ihn errungen hatte! – Eine glühende Hölle schien ihm dies glänzende Treiben des Hofes, welches jede Besinnung erstickte, jede Regung verstieß, die nicht in ihre erkünstelten Zustände paßte. Eine Einöde schien sie ihm zugleich, von tödtender Langweile erfüllt, ohne Reiz, ohne Erquickung – der Felsblock des Sysiphus – mühsam täglich emporgewälzt, täglich zurückstürzend dieselbe Bahn – für das Erfolglose immer denselben Aufwand von Mühe begehrend.

Fast bewußtlos sank er auf sein Lager, und Keiner aus seiner Umgebung wagte mehr, den jungen Erben zu stören, dessen Ansehn so wenig den glänzenden Aussichten entsprach, die Alle für ihn eröffnet wußten.

Bald fuhren die Karossen der Marschallin vor, und sie verließ, nach den passendsten Instruktionen an ihren Arzt und Beichtvater, das Palais Crecy, ohne daß sie selbst ihren Sohn wiedergesehn, oder die Bitte der trauernden Louise um diese Gunst gestattet hätte.[180]

Dies Mal sollte der Marschall ihr zu Hülfe kommen! Er befand sich bereits in Paris; aber sie wußte es mit Sicherheit, daß sie ihm nur zu sagen brauche, Leonin sei krank in Versailles angekommen, und er werde in der nächsten Stunde dahin reisen, wo sie dann seinem unbezwinglichen Ungestüm vertrauen durfte, der weder die Einwendungen Anderer hörte, noch sich ihnen fügte, und unfehlbar Leonin's Krankheit für nicht bedeutend genug ansehn mußte, um ihn länger von dem Schauplatze entfernt zu halten, den ihn einnehmen zu sehen, seine ganze Seele erfüllte.

Dagegen erschien die Marschallin sogleich mit der Miene einer betrübten Mutter, das Unwohlsein Leonin's der Königin und seiner nun öffentlich erklärten Braut mitzutheilen. Da Niemand zur Besinnung kam in dem Taumel, der in Paris herrschte, der Volk und Hof fast in einem Feste vom Morgen bis Abend zu vereinigen schien, so fand jede Erklärung gefälligen Eingang, die von Niemandem ein langes Nachdenken oder Zuhören begehrte.

Nur Viktorine, die sich stets selbst behielt, der diese Dinge nur so nahe traten, als sie wollte, hörte die Nachricht der Marschallin mit veränderter Farbe; und als der Marschall in Reisekleidern bei ihr eintrat, um ihr Muth einzureden, fühlte sie die kindlichste Zärtlichkeit gegen ihn, und Beide trennten sich mit erhöhter Liebe.

Diese Empfindung war Viktorine überhaupt viel mehr geneigt, ihrem künftigen Schwiegervater, als der Marschallin zu widmen. Sie mißtraute ihr. Dies vollendet gehaltene Wesen, welches, wie das untrüglichste Rechenexempel sich immer in den Forderungen der großen Welt auflöste, empörte ihren offenen Karakter, der durch freie geistige Entwickelung, so viel es diese Zeit zuließ, die Etikette lästerte. Sie hatte überdies einen ahnenden Verstand. Sie war zu unschuldig, um manche[181] Dinge wissen zu können; aber sie ahnte dann eben, daß nicht Alles in Ordnung sei, und fehlte selten in ihren Voraussetzungen.

Am nächsten Abend stand sie neben ihrer Schwiegermutter in dem großen Spielzimmer der Königin, während sich im Nebensaale der glänzendste Ball entwickelte, welchen die Königin als Abschiedsfest gab, und an dem Theil zu nehmen, ihr unmöglich war, als die Marschallin plötzlich zusammenschreckte und einen Augenblick starr nach der Thür blickte. Viktorinens Augen folgten diesem Blick, und sie konnte die Ursache nicht errathen, bis der Marquis de Souvré ihr auffallend ward, der sich mit seiner gewöhnlichen Dreistigkeit halb lachend, halb neckend durch die Menge drängte.

Viktorine glaubte jetzt die Bewegung der Marschallin erklärt. Er kommt aus Leonin's Krankenzimmer, sagte sie sich; sie selbst fühlte ein tiefes Erbeben und zugleich ein sanfteres Gefühl gegen die Marschallin, was ihr sagte: sie ist doch Mutter!

Souvré stand sogleich vor ihnen. »Willkommen, Marquis!« sagte die Marschallin. »Wie verließen Sie meinen Sohn?«

»Auf dem Wege, zu den Füßen seiner schönen Braut seine Genesung abzuwarten,« erwiederte der Marquis, beide Damen begrüßend. »Doch verließ ich das Terrain in dem Augenblick, als der Marschall seine Position dort nahm. Einer solchen bewaffneten Macht gegenüber, nehme ich gern sogleich meinen Rückzug – denn er bleibt stets Sieger – wovon Euer Gnaden auch wohl im Voraus überzeugt waren.«

»Der Marschall hat stets den liebenswürdigen Ungestüm eines Jünglings,« lächelte die Marschallin – aber ihr Auge lag noch immer durchbohrend auf Souvré, der, seine Ueberlegenheit fühlend, auch nicht durch die kleinste Aeußerung verrieth, was sie so sehr zu wissen wünschte.[182]

»Belehren Sie mich, ob ich recht hörte, ist dies ein Abschiedsfest?« – fragte er, sich zu Victorinen wendend – »muß Leonin in Wahrheit zu spät kommen, sich in dem Glanze des Hofes mit seinem unermeßlichen Glücke brüsten zu können?«

»Ihre Majestät werden von morgen an ihre Andacht bei den Carmeliterinnen halten und dann nur noch kleinen Zirkel in ihren Privat-Apartements empfangen,« erwiederte Victorine.

»Ach,« sagte Souvré, »ich lebe auf! So hoffe ich, werden wir auch dort noch im kleinen Zirkel mindestens einiger hundert Personen, das Vermählungsfest meines glücklichen Vetters und seiner schönen Braut erleben!«

»Lassen wir das!« rief Victorine stolz und gereizt. »Soll ich Ihnen etwa die Feierlichkeiten dabei vorzählen, damit sie Ihre verschiedenen Hofkleider ausstauben lassen? Ich passe nicht zum Referiren und setze immer den Takt voraus, es zu fühlen, ehe ich es selbst andeuten muß.«

»Allerliebst!« lachte Souvré – »also das hat die Liebe noch nicht bewirkt! So nah' an dem gehorsamsten, demüthigsten Zustande – ich meine die Ehe,« setzte er sich verbeugend hinzu – »und doch so wild, so gereizt, wie eben aus dem Kloster entkommen? Schöne Viktorine, ich warne Sie – lenken Sie ein! Leonin ist nur anscheinend ein schwermüthiger Schäfer, innerlich und wo es gilt, ein reißender Löwe!«

Die Marschallin horchte auf. Dies schien ihr der erste Wink. Doch Souvré blickte nur Victorinen herausfordernd an – er schien jene vergessen zu haben.

»Erlauben Euer Gnaden, daß ich mich beurlaube!« sagte Victorine, sich tief vor der Marschallin verneigend. »Die vortrefflichen Manieren des Herrn Marquis zwingen hier eine Frau, die Flucht zu ergreifen.«

»Fliehen Sie Ihren Sieger?« rief Souvré – »Sie haben nun einmal Ihre Stellung in der Welt verloren. Ein Mal besiegt,[183] erleben Sie nichts mehr, als Niederlagen! Ich, Ihr ältester Freund und Verehrer, mußte doch daran meinen Antheil haben!«

Victorine rollte achselzuckend ihren Fächer vor ihm auf und verschwand in dem Nebensaale.

Eben wandte die Marschallin sich zu dem Marquis, entschlossen, ihn zur Sprache zu bringen, da eilte Souvré, die Herzogin von Bellefond zu begrüßen, die ihren großen Reinigungszug, wie die Hofleute ihn nannten, wobei sie jeden Fehler der Etikette rügte, durch den Saal hielt.

»Soll ich Ihnen helfen, meine Beschützerin – meine Wohlthäterin?« rief Souvré. »Wie Noth thut sicher hier Ihre glanzvolle Herrschaft im Reiche der Etikette, wo die gute Stadt Paris mit ihren breiten Manieren dem Hermeline des Königsmantels etwas sehr nahe getreten ist. Die Luft ist davon noch etwas verdorben, wie ich spüre!«

»Ach, Marquis, Marquis,« erwiederte Madame de Bellefonds, mit so heiserer Stimme, daß ihre Rede dem dumpfen Gebrumme eines zornigen Bären glich – »das fürchte ich nicht zum zweiten Male zu erleben! Denken Sie! den ganzen Tag auf der Straße! Ihre Majestät die Königin sehen zu müssen, wie diese Populace sich zu ihr drängte – Anreden gestatten zu müssen auf offner Straße, ohne nur die Namen dieser Geschöpfe zu kennen, viel weniger ihren Adelsgehalt – ja, am Ende lieber Nichts von ihnen wissen zu wollen; da doch nur zu erfahren stand, daß sie aus der Hefe wären. Alle unter dem einen Hute sich bergend, als Bürger von Paris! Bürger von Paris, Marquis! Ich hätte weinen können über den Wahnsinn, der sie glauben ließ, durch diesen Titel zu dem Benehmen gegen Ihre Majestät berechtigt zu sein! Und dann die Humanitätsideen der hohen Herrschaften! Niemand, den man in seine Schranken verweisen durfte, wodurch dem Volke der Muth wuchs bis zur Raserei! Können Sie denken, daß davon die Rede war,[184] einige von den Deputirten der Stadt heute Abend einzuladen? So daß denn also kein einziger Platz rein geblieben wäre! Aber ich drohte meinen weißen Stab in Stücken zerbrechen zu wollen, wenn man diesen Plan ausführe, und da unterblieb es, trotz dem, daß der Marquis Fenelon, dieser sogenannte große Geist, mich fragte: ob ich dächte, daß diese Herren Deputirten, die ein Paar Millionen kommandirten, weniger Bildung hätten, als meine Herzöge und Grafen?«

»Nun in Wahrheit,« lachte Souvré – »diese rasende Behauptung hätte Euer Gnaden tödten können!«

»Fast Marquis, fast war es so weit! Und Ihr hört es an meiner Stimme, es ist mir Alles auf die Brust gefallen. Es war meine letzte Anstrengung, und in der Antwort, die ich ihm gab, schlug die Stimme um. ›Marquis,‹ sagte ich, ›um so schlimmer! So sind es übertünchte Gräber, in denen sie nichts zu verdecken hätten, als Hobel oder Elle – und der Bursche, der mir zu den Schuhen Maaß nimmt, hat in meinen Augen mehr Werth, als diese impertinenten Masken, die sich unsere Vorzüge anzumaßen wagen.‹«

»Vortrefflich, vortrefflich!« rief Souvré; »mit welchem Geiste Sie Ihren Willen auszudrücken wissen. Es müßte für die Nachwelt verzeichnet werden! – Gottlob, daß Frankreich die Herzogin von Bellefond als Wache vor dem Throne dieser sanften, nachgiebigen Königin hat! Es ist die einzige Rettung, der einzige Schutz gegen die andrängende Volksbildung, die, wie ich im vollen Ernste hörte, sich allerlei Nachahmungen der höheren Stände erlauben soll; und wie lächerlich und unglücklich auch solche Versuche sind, sie bleiben doch jederzeit ein Aergerniß und verrathen einen gefährlichen Sinn, der im Entstehen erstickt werden muß.« –

»Ja wohl, Marquis! Sie haben nur zu Recht; aber ich beschwöre Sie, hören Sie auf davon zu sprechen – ich muß[185] sonst mein Flacon gebrauchen. Ach, Marquis, wer hatte sonst nur nöthig, diese Klasse in den Mund zu nehmen! Wir hatten Handwerker, die nur unsere Haushofmeister und Kammerfrauen sprachen; und ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß ich mich jemals über einen Bürgerlichen würde ärgern können. Aber hören wir auf – es greift mich an, und ich bin beschämt über den Gegenstand!« –

»Nun so sagen Sie mir etwas Neues vom Hofe,« rief Souvré – »Sie wissen, ich war mit dem jungen Grafen Crecy abwesend.« –

»Ja, ja, ich erinnere mich! – Doch sagen Sie Marquis, warum sehen wir Sie allein zurückkehren? Ist man so lau und nachlässig in der Bewerbung um ein Ehrenfräulein Ihrer Majestät?«

»O, Madame,« sagte Souvré, »welche Voraussetzung! Er ist wie ein Wahnsinniger Tag und Nacht gereist, als er die Weisung zur Rückkehr erhielt, und da hat er sich erkältet. Doch, es wird vorübergehn! Euer Gnaden haben sicher schon über die Vermählung des Paares Ihre Dispositionen gemacht; darf ich im Vertrauen sein?«

»Sie sind mein Verzug!« erwiederte die Herzogin mit einer steifen Grimasse, die Lächeln andeuten sollte, »und wollen immer Alles voraus wissen. Doch ist es zu erwähnen, wie Ihre Gesinnung wirklich sich stets unbefleckt rein erhält, und ich habe deshalb manche Rücksichten!«

Der Marquis verneigte sich, und Madame de Bellefond fuhr fort: »Die Zeit erlaubt keine Festlichkeiten – Ihre Majestät muß sich bereit halten – Sie wissen, das erste Hauptquartier wird in Nancy sein – wir müssen uns auf den Weg dahin begeben, um dann mit Seiner Majestät zugleich einziehen zu können. Natürlich können aber der Graf und Mademoiselle de Lesdiguères nicht bei demselben Hofstaat, in derselben Karosse vielleicht, die[186] Reise antreten, ohne vermählt zu sein. Das haben denn auch Ihre Majestäten erwogen, und ich habe selbst die etwas streitsüchtige Lesdiguères zum Schweigen gebracht. – Nun soll es also ein Impromptu werden! Wie ich höre, hat es aber die eigensinnigste Hofdame, die ich je unter Aufsicht hatte, durchgesetzt, daß die Frau Königin den Herrn Erzbischof von Noailles um die Abtretung seiner Funktionen an Monsieur Fenelon, diesen überspannten Pfarrer von St. Sulpice, gebeten hat. Das war hinter meinem Rücken geschehen; die Königin wird von dem jungen Mädchen beherrscht; doch hatte sie die Gnade, sich bei mir deshalb zu entschuldigen. Sie fühlte wohl, daß sie mir ins Amt gegriffen! Doch mein Kind, Sie sehen, wir haben nicht mehr viel Zeit, und der Bräutigam fehlt! Dieser junge Mensch, Marquis, im Vertrauen, ähnelt nicht sehr seinen musterhaften Eltern! Krank zu werden, wenn man seine Anstellung bei Hofe antreten soll, hat immer etwas gegen den Respekt und gegen die vollkommene Feinheit, die wir bei solchen Gelegenheiten vorherrschen lassen müssen. Wer kann mir nachsagen, daß ich je krank war? Aber das ist so der Spuck, der sich gern einschleichen möchte, den alle diese Herren Dichter, Philosophen und Gelehrte verbreiten, und den sie Menschenrechte, oder Naturgebote, oder Gott weiß wie nennen. Aber ich frage Sie, Marquis, ist es schicklich, daß man so etwas bei Hofe hört, wo lauter Edelleute vom ersten Range leben? – Ich frage Sie, mein Lieber – wenn Monsieur Molière im Vorzimmer des Königs frühstücken darf, und Seiner Majestät ihn anredet, als wäre er ein Mensch, wie jeder andere, da haben wir freilich nichts Besseres zu erwarten! Sonst, Marquis, begaben wir uns in die große königliche Loge, und vor uns auf den Brettern, in dieser unüberschreitbaren Entfernung, ließen wir alle diese Herren machen, was sie konnten, und frugen nicht nach, ob es sogenannte Dichter, Philosophen und[187] Gelehrte waren. Machten sie es gut, wurde geklatscht, machten sie es schlecht, wurden sie wieder weggejagt. Das erhielt aber die Luft rein! Da waren unsere Cavaliere ohne jene sonderbaren Manieren, die jetzt einen jungen Mann in den Zwanzigern erkranken lassen, wenn er eine Hofcharge antreten soll und sich vermählen!«

»Euer Gnaden zürnen, wie ich merke,« sagte Souvré, »ich muß Fürbitte thun! Ihr Zürnen würde nicht allein den Schuldigen unglücklich machen, sondern besonders die Eltern, die Sie doch anerkennen!«

»Sie sind ein gutes Kind, Marquis, ich weiß es wohl. Nun sehen Sie, Sie sollen Recht behalten! Ich gehe und rede die Marschallin an.«

Damit schritt sie auf die indeß von mehreren Bekannten umgebene Marschallin zu; und da bei ihrer Annäherung gleich Alles Platz machte, konnte sie, wenn sie es beabsichtigte, mit Jedem reden, wie in ihrem Privat-Kabinette.

»Marschallin,« sagte sie – »ich muß so einen kleinen Wink geben. Die hohen Herrschaften sind voll Gnade für Ihr Haus, wie dies eine so bedeutende Familie auch erwarten darf. Es sind Auszeichnungen beabsichtigt, die wir allerdings zu schätzen und zu würdigen wissen werden; – aber die Jugend, meine Liebe, man weiß wohl, wie das jetzt geht – die Jugend hat nicht das alte Mark der Ehrfurcht in den Gliedern, – da müssen wir nachhelfen, bis sie es lernt. Krankheiten sind immer kein Grund, gegen die Befehle der hohen Herrschaften zu handeln. – Nun, wem sage ich das? Sie, meine Liebe, sind ja die vollkommenste Dame des Hofes! Sie werden mich verstehen und darnach Ihre Maaßregeln nehmen!«

»O, meine theure Herzogin,« rief die Marschallin mit dem süßesten Lächeln – »wer kann Sie in Ihren anmuthigen Belehrungen übertreffen! Sie haben eine Gabe, anzudeuten[188] – den Weg zu bezeichnen – die einzig in ihrer Art ist! Glauben Sie mir, ich habe Sie verstanden – um so mehr, da mein eigenes Gefühl Ihnen längst auf diesem Wege entgegen kam.«

»Ich weiß – ich weiß!« sagte die geschmeichelte Herzogin – »Sie sind vollkommen zu Hause in der guten alten Welt des Hofes, in der wir wenigstens noch einige Male vereint mit solchen Mitteln die Brücken abbrechen werden, die die Populace nach uns hinauf zu bauen trachtet; – doch still, still, Marschallin, wir wollen das nicht einmal in den Mund nehmen, – es zieht schon herab, dafür Gedanken haben zu müssen.« – –

Leonin war an der Seite des Marschalls von Crecy in Paris eingetroffen.

Die Marschallin empfing sie mit einer so mittheilenden Zärtlichkeit, daß Beide vollständig in ihre Hände fielen.

Sie lud den Marschall zur Tafel, da die Stunde dazu heran gekommen war, und er willigte ein, erweicht durch die Nähe seiner Kinder und die guten Manieren seiner Gemahlin; – ward aber fast gerührt über dieselben, als in dem Augenblicke, wie er den ersten Becher Wein forderte, im Vorzimmer sein lärmendes Musikchor, was die Marschallin sonst nie in ihrer Nähe duldete, zu verabscheuen vorgab, und welches jetzt, von ihr selbst dazu beordert, das Vorzimmer eingenommen hatte – einen seiner wilden Lieblingsmärsche zu spielen begann.

»Sie sind im Ernste sehr höflich, meine Liebe!« sagte er mit der uns bekannten Grimasse, die Rührung andeutete – »Sie lieben diese fröhlichen Stücke nicht – und ich muß Ihnen meinen Dank sagen.«

»Nun, Marschall,« erwiederte seine Gemahlin – »wir haben, denke ich, auch nicht oft die Ehre, den Helden der Fronde an unserer Tafel zu sehen. Es ist billig, unsere Neigung nicht zu befragen, wenn wir es ihn nicht bereuen lassen wollen.«[189]

Dagegen schickte der ungemein erheiterte alte Herr nach diesem ersten lärmenden Versuche die ganze Bande in ihr Quartier und ließ sich eine Goldbörse von seinem Kammerdiener bringen, um für die Dienerschaft seiner Gemahlin auf jeden Teller, den man ihm wegnahm, in jeden Becher, den er leerte und zum Füllen reichte, ein Paar Lonisd'or zu werfen.

So hatte die Marschallin ihre Absicht erreicht, Leonin bei seiner Rückkunft augenblicklich aus sich herauszureißen und den Umständen, wie sie hier herrschten und wie bestimmt waren, ihn zu beherrschen, unter zu ordnen. Die eisernen Formen, die ihn sogleich einschlossen, mußten ihn überzeugen, daß er hier nur nachgeben könne. Dieses anscheinend herzlicher hervor tretende Familienfest sollte dabei seinen idyllischen Träumen – wie die Marschallin sich ausdrückte – schmeicheln, ihn hier einen Reiz mehr erkennen lassen, um den Werth des zurück gewiesenen Glückes zu entkräften.

Gegen Ende der Tafel ward dem Marschalle gemeldet, daß sich, wie gewöhnlich bei seinem Diner, bei der Nachricht seiner Rückkehr mehrere Personen in seinem Vorzimmer gesammelt hätten.

»O hierher, Marschall, hierher!« rief seine Gemahlin – »Alles, wie Sie es gewohnt sind!« – Fort flogen die Diener, und bald erschienen einige der vornehmsten Personen des Hofes, da der sonst gewöhnliche militärische Hofstaat des Marschalls bereits der Armee gefolgt war. Doch berührte es Leonin wie ein elektrischer Schlag, unter ihnen den Herzog von Lesdiguères zu bemerken, der mit aller verwandtschaftlichen Bevorrechtung den Marschall und Leonin umarmte, und zwischen dem sanft gestimmten Ehepaar in einen herbei getragenen Fauteuil sank.

»Nun, Marschall, wie ich Eure rothen Vorreiter sah, konnte ich dem Vergnügen nicht wiederstehen, selbst von Euch zu hören. Und sagt, wie steht es dort mit dem neuen Cavalier[190] der Königin?« fuhr er neckend fort, Leonin anblinzelnd; – »mir deucht, die Reise dauerte nicht lange! Das war Diensteifer, Vicomte! Nicht wahr, bloß Diensteifer!« –

Ein schallendes Gelächter des Marschalls und des witzigen Herrn Herzogs folgte dieser Rede, und Leonin, der plötzlich den Wahnsinn der Rettungslosigkeit fühlte, griff nach der Maske, die zu dem erwarteten Fastnachtsspiele paßte, und als er das erste Lächeln erzwang, hätte der Schmerz seines Herzens ihm fast einen lauten Schrei ausgepreßt. Auch die Marschallin hielt den Athem an – der Moment war entscheidend. Er ward schneller selbst, als sie erwartet hatte, in die neuen Verhältnisse gedrängt – wie Viel hing davon ab, daß er schon die rechte Stärke gewonnen habe! Aber sie sah, daß die blasse, hohle Wange sich plötzlich röthete, das trübe Auge lebendig ward, er den bisher unberührten Becher Wein hinunter stürzte, und sich dann rasch zum Herzog wendend, mit überlauter Stimme ausrief: »Euer Gnaden werden meinen Eifer doch nicht mißbilligen?«

»Nun, nun,« sagte der Herzog – »man sagt, Mademoiselle de Reetz habe auch dereinst von unserm ähnlichen Eifer erzählen können! Doch merke ich, junger Herr, das gehört nicht mehr in mein Departement – nun, ich habe nichts dagegen, wenn Ihr Euch damit bei Viktorinen meldet!« Dabei zog er Leonin in seine Arme und herzte und küßte ihn – und Leonin fühlte, er habe diese schon längst völlig abgemachte Sache, an der kein Mensch mehr zweifelte, in diesem Augenblicke bestätigt. Wir dürfen nicht verbergen, daß die Erinnerung an Viktorinens jugendliche Schönheit, an ihre Trefflichkeit, in demselben Augenblicke lebendig in ihm erwachte – und der Seufzer, der ihm entstieg, galt dem Schmerze, ihrer nicht mehr werth zu sein. –

Und Souvré saß lachend und jeden Scherz erhöhend an derselben Tafel! Leonin wußte noch nicht, was er ausgerichtet[191] hatte, und seine Ehre hing jetzt an dem Ausspruche dieses Mundes.

Souvré wußte dies Alles, und mit teuflischer Lust quälte er sowol die Marschallin, als den von ihm so bitter verachteten Knaben; denn vergeblich hatte seine hohe Verbündete nach ihm gesandt zu allen Stunden; er war zu keiner zugänglich gewesen und erschien erst, da alle Fragen unmöglich waren.

Doch die Marschallin war längst entschlossen, jede Unsicherheit abzuwerfen und die Dinge, die sie nicht wußte, so anzunehmen, wie sie zu den Schritten paßten, die jetzt ihrer Ueberzeugung nach nicht mehr aus bleiben konnten. Sie war daher ungemein erfreut, als sie Leonin eben so getrieben, und ihn den entscheidenden Augenblick mit einer Fassung bestehen sah, deren grimassenhafte Weise nur sie zu verstehen vermochte.

Herr von Dreux und der Marquis Vieuville unterbrachen diese Spannung. Man hob die Tafel auf; Herr von Vieuville verkündigte die glänzenden Siege der Armee, die Flucht des Herzogs von Lothringen und den Beschluß der Königin, am andern Mittag ihre Reise anzutreten. – »Madame de Bellefond,« setzte er lächelnd und heimlich zur Marschallin gewendet, hinzu, »ist von der Rückkehr des jungen Grafen unterrichtet. Sie läßt Euer Gnaden sagen, die ganze Familie Crecy-Chabanne würde in voller Parüre diesen Abend bei der Königin erwartet.«

Die Marschallin fühlte, daß sie kalt ward! Die Wichtigkeit des Moments entzog sich ihr nicht. Aber, was auch Abweichendes ihr Inneres berühren mochte, die äußere Form war ihr so durchaus die dringendste Anforderung, ihr so bequem und gewohnt, daß sie stets, jeder anders wirkenden Anregung entgegen, den ungestörten Mechanismus derselben betreiben konnte.

»Meine Herren,« sagte sie – sich laut redend gegen Gemahl und Sohn wendend – »Ihre Majestät wollen uns[192] Alle noch diesen Abend empfangen – Frau von Bellefond befiehlt im großen Hofkostüme!«

»Weiß Gott, ich gehe hin!« rief der Marschall – »ich will unsere gute, schöne Königin noch ein Mal sehen, wie wenig das Hofleben auch eigentlich mehr für mich paßt!«

Schon unterrichtete der Marquis Vieuville den Marquis de Souvré, bei Seite tretend, von den Absichten der Königin, und Souvré sah ein, er müsse jetzt Leonin Etwas von seinen Nachrichten geben, wenn nicht ein Aergerniß eintreten solle. – Er benutzte daher den Moment, wo Leonin zu erreichen war, und flüsterte ihm zu: »Muth, Muth – Sie sind frei!«

»Frei,« stammelte Leonin erbleichend – »frei!« rief er noch ein Mal; und schon fühlte er den Werth dieses Ausspruches, den neuen ihn bestürmenden Anforderungen gegenüber. – »Hat sie eingewilligt? Gott, wie ertrug sie es?«

»Später, später!« rief Souvré – »jetzt thut Ihnen nichts so Noth, als Ihre Freiheit! Darum begnügen Sie sich damit, daß ich Ihnen versichere, daß Sie frei sind.«

Leonin fühlte diese Wahrheit. Er beruhigte sich damit und flog der neuen Richtung seines Lebens mit der Hast eines Menschen entgegen, der nicht mehr den Muth hat, in sein Inneres zu blicken. –

Als die Marschallin im großen Hofkostüme, mit Juwelen beladen, ihr Ankleidezimmer verließ, um in den Wagen zu steigen, stand der Marquis de Souvré vor ihr, und sein boshaftes Auge überlief die anmaßende Erscheinung der stolzen Frau – er sann der Hoffnung nach, sie zu erschüttern.

»Madame,« sagte er – »ich darf über den Gegenstand, um dessenwillen Sie mich zu sprechen wünschen, nicht im Zweifel sein – beruhigen Sie sich, Ihr Sohn ist frei!«

»Das habe ich vorausgesetzt,« sagte sie kalt – »was wollte solche Person auch für so angemaßte Rechte hervorbringen?«[193]

»So war es nicht, Madame,« sagte Souvré scharf – »Ihr Recht war in guter Ordnung. Kein Gerichtshof von Frankreich hätte es bezweifeln können; – und eher hätte man den König bewogen, seine Krone niederzulegen, als sie, diesen Rechten zu entsagen!«

»Ihr scherzt,« sagte die Marschallin, etwas herabgestimmt – »also müssen wir wohl Alles Ihrer besondern Klugheit zurechnen?« –

»Auch das nicht, Madame.«

»Nun, und dann? Ihr sagtet doch, Leonin sei frei!« –

»Er ist Wittwer!« rief der Marquis mit dem schneidendsten Tone, indem sein Auge durchbohrend auf seiner gefaßten Verbündeten ruhte.

Doch diese taumelte ein Paar Schritte zurück und schien alle Fassung zu verlieren. – »Todt? todt? Marquis, was habt Ihr gethan? Diese Sache durfte so nicht enden – das ist gegen unsere Würde!«

Mit unbeschreiblicher Verachtung blickte der Marquis auf diese hochmüthige, entsetzte Person. Selbst im Sündigen wollte sie noch mit sich coquettiren und ihren aristokratischen Dünkel behaupten. Sie, die mit langer, sorgfältiger Mühe und Vorbereitung den Dolch schliff, der ihr Schlachtopfer vernichten sollte, und ihr Gewissen so eingewiegt hatte, daß sie hoffte, sich nie davor erschrecken zu müssen – sie glaubte sich nun aus ihrer Würde verdrängt, da sie das gemeine Schicksal jedes Bösewichtes erfuhr, daß blut fließt, wo der Stoß trifft!

»Madame,« sagte er mit hoher Stimme, »ich muß bitten, sich zu fassen, damit Ihre Aeußerungen keine Beleidigung werden und sie überlegen können, daß Alles einfach und nothwendig aus den Bedingungen hervor gehen mußte, die ich und Leonin nach Ihren eignen Angaben genöthigt waren, ihr zu machen. Die junge Gräfin Crecy« – –[194]

»Halt, halt, nicht diese Benennung! ich dulde es nicht!« rief die Marschallin, außer sich. –

»Und doch, Madame, hatte sie dazu ein unbezweifeltes Recht – doch, wie Sie wollen! Also, die junge Frau hatte erst kurze Zeit ihr Wochenbett überstanden. Da sie zart war – und, ich muß hinzusetzen, schön wie ein Engel – da sie überdies unschuldig war, wie die Sonne, und sich vollständig rechtmäßig vermählt wußte – konnte sie nicht, ohne die heftigsten Erschütterungen, Ihre durch mich überbrachten entehrenden Erklärungen hören – und da Leonin die Flucht ergriff, sah ich sie in dem Augenblicke, wo sie dies erfuhr, vor meinen Augen sterben.«

»Sterben, sterben! – ein solch bürgerliches Mädchen und gleich sterben!« sagte die Marschallin tonlos; – dann wankte sie nach einem Stuhle und fiel fast darauf hin, in einer Betäubung, die sie aller Haltung beraubte.

Der Marquis ließ dies Alles ruhig zu; er wollte es ihr nicht erleichtern – und vielleicht konnte er es auch wirklich nicht; – denn, obwol er seinen Zweck im Auge behielt, konnte er doch nicht ein Grauen beschwören, was jedes Mal in ihm aufstieg, wenn er der wunderbaren Erscheinung Fennimors gedachte und des Gerichtes sich damit bewußt ward, das durch sie in ihm erregt worden war. Nur nach Außen konnte er Alles beherrschen, ohne Einfluß lassen; – innerlich erfuhr er stets eine Anregung, wie wir sie oben bezeichnet haben. Nach einer Pause, die ihm lange genug schien, fuhr er fort: »Doch Leonin weiß davon Nichts – ich sagte ihm, daß er frei sei – doch nicht, auf welche Art. – Vieuville hat mir mitgetheilt, daß die Königin ihn heut Abend zu vermählen denkt. Die Nachricht würde seine Laune verderben, da er unfähig ist, sich zu beherrschen.«

»Ja wohl,« seufzte die Marschallin, »das darf er nicht erfahren, es bräche ihm vollends das Herz!«[195]

Souvré erstaunte über die Stimmung der Marschallin. »Sie ist lächerlich außer Fassung!« sagte er zu sich. Sie war ihm langweilig – verächtlich. – »Ich muß fürchten, Euer Gnaden bereuen das Geschehene – obwol es Ihr Wille war,« sagte er, in der Hoffnung sie zu reizen. »Auch kann ich versichern, daß die verstorbene Gemahlin Ihres Sohnes eine bewunderungswürdige Erscheinung war! Vielleicht, wenn Euer Gnaden sie gesehn hätten, würden Sie selbst ihre Rechte anerkannt haben!« – Dies war wohl berechnet.

»Marquis,« sagte die Marschallin – und stand sogleich, wenn auch mit einiger Schwierigkeit auf – »Mitleiden wird mich nicht zur Verletzung meiner Pflichten als Mutter und als Trägerin zweier gleich berühmten Namen führen. Es ist genug. – Das Ende mußte so sein – möchte es eine Warnung für diese unberechtigte Thörinnen jener niederen Stände werden, ihr hübsches Gesicht nicht zu benutzen, um sich in die höheren Sphären der Gesellschaft zu drängen. Ihr Loos muß nach gültigem Rechte dort immer dasselbe sein!«

»So gefallen Sie mir, gnädige Frau,« sagte Souvré hohnlachend – »das ist die alte Kraft!«

»Sie sind sehr freigebig mit Ihrem Beifalle, Herr Marquis,« erwiederte die Marschallin, von seiner Vertraulichkeit sichtlich beleidigt – »ich war nicht darauf aus, ihn einzuernten. Mein Alter, wie meine Stellung pflegen mich gegen solche Aeußerungen zu schützen.«

»Gewiß fehlte auch für alle Anderen jede Veranlassung dazu,« sagte Souvré sorglos. »Nur wer, wie ich, einen Blick auf die geheimen Bestrebungen Euer Gnaden that, kann so, wie ich, dazu die Berechtigung haben.«

»Ich habe keine Zeit, Ihrer Vertraulichkeit Rede zu stehen; wir müssen zur Königin!« erwiederte die Marschallin, mit unendlichem Grolle sich überzeugend, sie müsse die Beleidigung[196] verschmerzen; doch hatte diese galligte Erregung ihres Blutes jede Weichheit in ihr zerstört. Schon lag das Bild ihres Opfers, das Souvré zu ihrer Kränkung so reizend hervor gehoben hatte, in den Hintergrund gedrängt. Eifrig eilten ihre Gedanken der Stellung entgegen, die sie jetzt mit vermehrter Sicherheit einzunehmen vermochte, und die ihr endlich die Erfüllung aller ihrer Wünsche verhieß. Dieser kühne Gedankenflug erlitt eine kleine Störung, als sie dem Marschall und Leonin an der großen Abfahrtstreppe begegnete, wo Beider Karossen standen. Leonin hing wie ein bleicher Schatten in seinen glänzenden Hofkleidern – sein Gesicht trug den Ausdruck hinsterbender Apathie.


Man versammelte sich in den inneren Appartements der Königin Maria Theresia. Wie der Marquis gesagt – der kleine Zirkel bestand immer noch aus einigen hundert Personen, und wer heute Zutritt hatte erlangen können, hatte sich herbei gedrängt; denn ohne daß es ausgesprochen war, blieben die Andeutungen doch nicht aus, daß sich hier etwas Besonderes ereignen solle. Voll Erstaunen gewahrte man den Abbé Fenelon, der mit ungewöhnlich blassem Gesicht sich zurückgezogen hielt. Man fragte, man trug zusammen und kam der Wahrheit zuletzt ziemlich nahe, während man voll Ungeduld die Königin erwartete. Dieser Augenblick trat endlich ein. Mit der größten Huld und Freundlichkeit erschienen Beide – die junge Königin, auf den Arm ihrer imposanten Schwiegermutter gestützt. Ihnen folgten die Prinzessinnen des Hauses – dann die Kavaliere und Damen der Bedienung. Unter ihnen fehlte Mademoiselle de Lesdiguères, welches sogleich von Allen bemerkt ward.[197]

Die Königinnen hielten mit diesem Gefolge ihren Umzug durch den Saal, und zeichneten vorzüglich die Familie Crecy und Lesdiguères durch ihre Freundlichkeit aus.

Während dem zupfte der Marquis Vieuville Leonin bei Seite; Beide verließen den Saal, der Marquis führte Leonin durch einen Umweg in das Kabinet der Königin. Als Leonin eintrat, erblickte er sogleich die wunderschöne Gestalt der Mademoiselle de Lesdiguères, die in reichem Silberstoff, mit Juwelen geschmackvoll verziert, auf einem Tabouret in der Mitte des Zimmers saß und die Augen fest auf die Thür geheftet hielt, aus der Leonin und der Marquis Vieuville jetzt hervortraten.

»Viktorine!« rief Leonin – bei ihrem Anblicke sogleich das geheimnißvolle Flüstern verstehend, was ihn den ganzen Abend verfolgt hatte, – »Viktorine, meine Braut! meine Geliebte!«

Er stürzte mit einer Heftigkeit, die ihn plötzlich aus seiner Apathie erweckte, auf Viktorine zu, und seine Bewegung war um so stürmischer, da sie mehr einem physischen Nervenreize, als der Wärme seines gemordeten Herzens entsprang.

Viktorine sah ihn in unbeschreiblicher Bewegung zu ihren Füßen liegen. Sie war vollständig geschaffen, die rührende Wichtigkeit des Augenblicks zu empfinden, und Thräne auf Thräne fiel aus den schönen, glänzenden Augen auf Leonin's Haupt, das er in ihren Händen verbarg.

»Leonin,« sagte sie dann sanft, »ich bin Ihnen Beides mit voller Ueberzeugung und von ganzem Herzen – und die Königin will, daß Sie durch mich erfahren sollen, wie bereit ich bin, Ihnen dies zu bestätigen!«

»O, Viktorine,« rief Leonin, »ich bin es nicht werth, Ihr Gatte zu sein! Bedenken Sie, was Sie thun! – Ich bin Ihrer nicht werth! Sie sind ein Engel – ich bin ein armer, schwacher, elender Mensch!«[198]

Viktorine sah die Todtenblässe, die eingesunkenen Züge seines schönen Gesichtes in dem Augenblicke, wie er in der tiefsten Erschütterung den Kopf zu ihr aufhob; – und wie auch die Welt sie als kalt und gefühllos bezeichnete, sie war vollständig Frau; so war auch bei dem Anblicke seiner leidenvollen Züge ihr erstes Gefühl nur das zärtlichste Erbarmen – und das zweite der schöne Muth, ihm dies Gefühl zu zeigen, ihn schützend und heilend zu umgeben mit dem Reichthume weiblicher Hingebung.

»Leonin,« sagte sie zärtlich, »Sie sind krank – Ihr Ansehn verräth es mir! Hören Sie auf, in dieser Stimmung so hart und mißtrauend über sich zu urtheilen! Wenn Sie aber leiden, so nehmen Sie Ihre Viktorine als Stütze, als Trost hin; – ich fühle in mir die Kraft, Ihnen Beides zu sein.«

»O, Geliebte,« rief Leonin, »ist es wahr? Darf ich noch nach solchem Erdenglücke die Hand ausstrecken! Ist es möglich, daß Viktorine mir gehören will?«

»Schwärmer!« lächelte sie ihm entgegen – »überzeugen Sie sich denn, ob ich Ihnen bestimmt bin! Die Kapelle der Königin ist erhellt – Fenelon erwartet uns am Altare – die Königin wollte, daß ich Ihnen diese Ueberraschung mittheilen sollte.«

Leonin antwortete mit einem Schreie. Sein Kopf sank in ihren Schooß. Ueber ihm hing das edle, zärtliche Mädchen, mit dem seligsten Gefühle des weiblichen Herzens – denn sie hoffte geliebt zu sein!

»So habe ich es wohl ganz recht gemacht?« sagte eine sanfte Stimme. – Beide fuhren in die Höhe, an dem wohlbekannten, heiß geliebten Tone die Sprechende erkennend. – Maria Theresia und Anna von Oesterreich standen, leise eingetreten, vor dem so ungleich bewegten Paare.[199]

Viktorine sank vor der Königin aufs Knie – Leonin that mechanisch dasselbe. Beide Königinnen segneten sie mit Wohlwollen und Rührung ein.

Jetzt füllte sich hinter ihnen das Zimmer – Henriette von England umarmte Viktorine und hieß sie niedersitzen. Die Flügelthüren nach den mit Hofleuten gefüllten Sälen wurden geöffnet, um den Anwesenden eine Erklärung des heutigen Festes zu verschaffen.

Die Königin nahm der Herzogin von Bellefond ein Diadem von Brillanten ab und machte eine Bewegung, es der Braut um die Stirn zu legen. Die schönen Hände von Madame vollendeten das Werk, dem sie den bedeutungsvollen Kranz von Orangenblüten hinzufügten. Die Königin Anna nahm darauf einen Strauß von Brillanten von ihrer Brust, den Madame de Bellefond der Braut befestigte.

Viktorine küßte noch ein Mal knieend die Hände der liebevollen Fürstinnen, erhob sich dann und zeigte der ganzen Versammlung das schönste Bild einer edeln, jungfräulichen Braut.

Herr von Dreur führte jetzt den halb bewußtlosen Leonin zur Königin. Herr von Vieuville reichte ihr das Band des Heiligen-Geist-Ordens. »Der König wünscht Ihnen Glück, Graf Crecy!« sprach die Königin – »und läßt Ihnen sagen, wie auch ohne den Glanz der Waffen, ritterliche Tugenden zu üben wären! Sie sollen sich vorerst dem Schutze der Frauen widmen!«

Leonin bebte, als ihn Vieuville fast zur Erde drückte und das blaue Band um seine Schultern legte. Er hatte es bereits entehrt durch den schreiendsten Frevel an weiblicher Unschuld und Tugend. Als ob eine glühende Schlange sich um seine Brust ringelte, so fühlte er das leichte seidne Band.

Er konnte keinen Laut sprechen – er hatte kaum Kraft, sich zu erheben. Aber Niemand sah seinen Zustand; zu sehr[200] ward vorausgesetzt, was er empfinden müßte, um zu bemerken, was er wirklich empfand.

Die Königin empfing jetzt eine Meldung; sie neigte das Haupt, dann winkte sie Leonin und Viktorine an ihre Seite und stellte sie so gewissermaßen dem versammelten Hofe vor, während der Marquis Vieuville vortrat und mit lauter Stimme rief: »Ihre Majestät die Königin ladet die Versammlung ein, der kirchlichen Einsegnung von Leonin, Grafen Crecy-Chabanne, und Viktorine, Prinzessin von Lesdiguères, in der Hofkapelle beizuwohnen.«

Schon traten die Hofchargen voran, und an der Seite Maria Theresia's, von ihren Fingerspitzen, liebevoll lächelnd, geleitet, schritt Mademoiselle de Lesdiguères der an dieses Zimmer grenzenden Kapelle zu, während Anna von Oesterreich, sich auf Leonin's Arm stützend, ihnen folgte, nachgedrängt von allen Gegenwärtigen, denen jedoch Henriette von England in der Mitte der beiden Elternpaare voranging.

Wie eine Erscheinung aus höherer Welt, mit der Verklärung eines Heiligen in dem blassen Gesichte – erwartete Fenelon das Brautpaar auf den Stufen des Altars. Sein Auge berührte nur einen Augenblick Beide – dann schien es sich in himmlischer Anschauung über die Erde zu erheben.

Seine Stimme war zu Anfange so verändert, daß sie etwas Geisterhaftes hatte, und Viktorine sie kaum erkannte. Dann ward sie stärker – zuletzt gewann sie ihre volle melodische Kraft – und als er sich endlich zur Braut wandte, schien er ein feuriger Cherub, gesendet, die Befehle des Herrn zu verkündigen! »Viktorine de Lesdiguères, Zierde Deines Geschlechtes, fühle in Deinen Vorzügen die große Anforderung des Herrn! Nicht, was Du erlebst, sondern, wie Du es erlebst – das sei Deine Frage vor Gott! Ihre Beantwortung wird bestimmen, ob Du Deinen Schöpfer ehrst und ihm dankbar bist für die reichen[201] Gaben, die er Dir gab, und die Dir zurufen: ein Vorbild zu werden jeder weiblichen und christlichen Vollkommenheit! – Täusche uns nicht,« sagte er, zu ihr gebeugt, und seine Stimme bebte in Rührung – »Du bist eine schöne Hoffnung auf dem Wege Aller, die Dich kannten und – liebten!« setzte er kaum hörbar hinzu. – Nach einer Pause schritt er zu den kirchlichen Ceremonien – und Beide waren vermählt.

Nach den Beglückwünschungen der Königinnen und Prinzessinnen, zogen sich die hohen Herrschaften einige Augenblicke zurück, um dem Hofstaate und den jetzt verwandten Familien Raum zu ihren Gratulationen zu lassen. Später ward in den Gemächern der Königin Anna eine geistliche Musik aufgeführt, der die Neuvermählten, zwischen den Königinnen sitzend, beiwohnten. – Am andern Mittage brach der ganze Hof auf. Die junge Gräfin Crecy folgte an der Seite ihres Gemahls, in einer Karosse, mit zwei Kavalieren und zwei Damen der Königin, dem Triumphzuge dieser kriegerischen Vergnügungsreise nach Nancy, dem ersten Ruhepunkte des glänzenden Hauptquartieres.


Die Begebenheiten des zweiten holländischen Feldzuges zu schildern, gehört der Geschichte an. Wir haben keine Berechtigung, in das romantische Bild der Zeit und die Erzählungen der Schicksale einzelner Privatpersonen, die ihr angehörten, die große Katastrophe zu verflechten, die einen für sich abgeschlossenen, achtungsvollen Raum begehrt. Nur in so fern diese kleineren menschlichen Begebenheiten, die uns vorliegen, sich an diese größeren Zustände anschließen, sei es uns erlaubt, ihrer zu erwähnen.

Obwol der Nymweger Frieden, der diesen Feldzug endete, erst sieben Jahre später geschlossen ward, so blieb doch der[202] König und der Theil seines Gefolges, der blos als Hofstaffage des Krieges diente, nicht so lange von seinem glänzenden Schauplatze, von Paris – oder vielmehr von Versailles getrennt, welches Letztere immer mehr in seinem Werthe die übrigen königlichen Besitzungen überbot; da die ungeheuern Summen, die an seine Verschönerung verschwendet wurden, es allerdings nach dem damaligen Geschmacke, zu dem prachvollsten Königssitze Europas umschufen. Auch war mit der Gegenwart des Königs bei der Armee, die mit dem Winter endete, die Idee, die Frankreich und er selbst nöthig hatte, vollkommen erfüllt. Der persönliche Muth, den er bei mehreren Veranlassungen gezeigt, der glückliche, klare Blick bei schnellen Entscheidungen, die Gewandtheit, womit er anzuregen und hinzureißen verstand, und die imponirende Hoheit, mit der er wieder eben so dem wildesten Strome, den heftigsten Ausbrüchen der Leidenschaften Einhalt zu thun wußte – diese seltene Vereinigung hatte den König in den Augen seines ganzen Volkes zu dem Helden erhoben, den er nothwendig darstellen mußte, um dem Ehrgeize Aller Genüge zu leisten. Jetzt hatten sie über ihn abgeschlossen, und er konnte für den Augenblick thun, was er wollte – er blieb ihnen der erste Held der Erde! Die Anbetung glich dem Wahnsinne; man fragte den ganzen Reichthum der Sprache nach einem Worte, ihn zu verherrlichen. Man war mit dem Beinamen »des Großen« nicht zufrieden, und hätte ihn am liebsten »den Göttlichen« genannt.

Auch zog seine Rückkehr die Blicke Aller von der Armee fort – ihm nach! Dieser blutige, langwierige, mit so großen Kosten geführte Krieg, der die edelsten Stützen der Nation sinken ließ, und das Land seiner kräftigen männlichen Jugend auf so lange Zeit beraubte, sank augenblicklich zur Nebensache herab, als Ludwig seinen berühmten Feldherren die Erringung der großen Erfolge übertrug, die sie unsterblich machten. Die[203] Pavillons, die an dem Schlosse von Versailles emporstiegen, die Gärten, die Le Notre unerschöpflich war, durch neue Erfindungen umzugestalten, waren weit mehr der Gegenstand aller Mittheilungen bis in die Provinzen hinein, als das große und blutige Schauspiel, das Frankreich auf fremdem Boden aufführte.

In den vollsten Taumel dieser Zustände verflochten, kehrten Leonin und seine Gemahlin mit der königlichen Familie zurück. –

Fennimor's Tod war das Hochzeitsgeschenk, das der Marquis de Souvré ihm den Tag nach der Vermählung gemacht! Aber die Maske, die er gelernt hatte vorzunehmen, um diesen ewig lächelnden Hof nicht zu erschrecken, schützte ihn vor dem Verrathe seiner Gewissensbisse – der wahnsinnigen Verzweiflung, die ihn zerriß. Denn der Marquis hatte kein Interesse, ihm Fennimor's angeblichen Tod als einen Zufall der kaum erstandenen Wöchnerin zu bezeichnen, wie die Marschallin es wünschte. Den Augenblick der Rache versäumen, nach so langer sorgfältiger Mühe, ihn vorzubereiten, hieß eine Thorheit verlangen, die er blos mit Achselzucken hörte, um Leonin alsdann mit dem vollen Gewichte der Nachricht zu treffen, die ihn in Wahrheit so elend machte, als er gehofft, und seine reichen Besitzthümer in dem Augenblicke vernichtete, als sie ihn alle zu umschaaren schienen.

Viktorine war Alles ganz. Früher schüchtern, stolz und jungfräulich verschlossen, war sie jetzt von der muthigen Zärtlichkeit einer Gattin durchdrungen. – Scharfsichtig, freilich die Motive verkennend, errieth sie den geistig und körperlich ungemein leidenden Zustand ihres Gemahls und gab sich ihm mit allen Mitteln einer edeln, weiblichen Liebe hin. Wie hätte er dem vereinten Zauber so vieler Vorzüge und so vieler Liebe widerstehen können! Er ergab sich ihm mit weicher, träumerischer Zärtlichkeit, die ein weibliches Herz so lange von der Erkenntniß[204] ihres wahren Geschickes abzuhalten vermag und lohnte ihr diese glaubensvolle Liebe doch nicht durch ein ausreichendes Vertrauen, welches allein ihn noch derselben würdig machen konnte. So gewann er wieder, was der verwöhnte Zögling der eifersüchtigsten Mutter von Jugend auf zu erzielen gelernt hatte: der Augenblick hüllte ihn schonend und liebkosend ein!

Der Arzt von Ste. Roche ward durch Souvré's Vermittelung mit Summen versehen, welche überschwänglich ausreichend, die Existenz des Kindes und seiner Wärterin sichern sollten. Fennimor's Leiche sollte in der alten Kapelle des Schlosses, in dem Grabgewölbe der Claudia von Bretagne beigesetzt werden – und Leonin war vorläufig mit diesen Angelegenheiten fertig. Die Abreise trat dazwischen. Schon hatte er gelernt, diese äußeren Pflichten als die vorherrschendsten, geltendsten anzusehen; er fand schon darin eine Rechtfertigung, daß sie ihn von jenen Interessen abzogen, und die süße Beschwichtigung aller schwachen Karaktere, die Dinge, die sie zu verletzen drohen, verschieben zu dürfen, übte auch über ihn ihre ganze Gewalt.

Jetzt war er zurück. Die alten Räume nahmen ihn auf. Das Schloß Crecy war dem jungen Erben allein übergeben. Der größte Glanz der Verhältnisse, seine Stellung bei Hofe, die immer angenehmer und anziehender ward, je mehr ihn seine übrige Lage zu begünstigen schien, Viktorinens schöne, edle Erscheinung, die diese einst so öden Räume auch geistig zu beleben wußte und, indem sie ihn als zu sich gehörend betrachtete, ihm einen Werth zu geben schien, der ihn zu Zeiten selbst täuschte und ihm die Verpflichtung, sie glücklich zu machen, immer natürlicher werden ließ – Alles dies vereinigte sich, den Winter an Leonin vorüber zu führen, ohne ihn ernstlich auf die Verhältnisse hinzuleiten, die, ihm nur halb bekannt, oberflächlich von Andern besorgt, zu entscheidenderer Einwirkung aufforderten.[205]

Das Frühjahr führte die rastlos wechselnden Feste des Hofes herbei, die auf den Genuß der schönen Gärten berechnet waren, die ein königliches Lustschloß mit dem anderen zu verbinden strebten – und endlich forderte Viktorine seine ausschließliche Aufmerksamkeit, indem sie ihm in dem Blütenmonate der Erde, wie sie wähnte – den ersten Sohn überreichte.

Wir werden sein erschrecktes Herz begreifen, wenn wir hinzufügen, daß er keinen Muth hatte, für dies Kind zu fühlen, was die erste Aufwallung für dasselbe andeutete. Er stand stumm davor – ein gerichteter Verbrecher! Es war dasselbe holde Wesen, das er verstoßen – es hatte gleiche Rechte an ihn; – aber die Wonne, die er bei der Geburt von Fennimor's Sohne empfunden, und die er mit Verrath und dem schwärzesten Frevel bezahlt hatte, rächte sich jetzt an ihm und ließ ihn verzagen, wie ein Mensch zu empfinden.

Dagegen war die Geburt dieses ersten Erben für die Marschallin und ihren Gemahl der Gipfel des Glückes, und Beide empfanden, Jeder in seiner Weise, dabei eine noch nie gekannte Erweichung. Das Kind selbst, Viktorine, die Geberin dieses Glückes, waren ein Gegenstand fast thörichter Liebesweise, und das herzogliche Aelternpaar blieb gegen die Schwiegerältern ihrer Tochter im Rückstande.

Die ganze Familie war nach Paris gegangen. Die junge Gräfin mußte im Hotel Soubise ihr Wochenbett halten, und mit dem stolzesten Uebermuthe wurde dies Glück verkündet, fürstliche Geschenke in allen Richtungen vertheilt, und endlich ein Tauffest vorbereitet, diesen gesteigerten Empfindungen gemäß.

Leonin ließ sich in der Richtung forttreiben, die um ihn her so bestimmt angedeutet ward, daß sein eigener Wille unthätig bleiben konnte, da Niemand das Ziel desselben bezweifelte. Aber heftiger, wie je, erwachte Gewissensangst in seiner Brust, und ein Gefühl, das aus Wehmuth und Sehnsucht[206] zusammengesetzt war. Er hatte keinen freien Athemzug – keinen heitern Blick – er suchte die Einsamkeit – und wer ihn unbeweglich aufgerichtet in seinem verschlossenen Zimmer hätte stehen sehen, das Auge in das Leere schweifend, der hätte fürchten können, den glücklichen Vater, den Günstling des Glückes habe der Verstand verlassen. – Aber er hatte in diesen Stunden eine Vision, die ihn vielleicht rettete! Er dachte an Fennimor – und endlich löste sich aus dem dunkeln Raume, wohin er starrte, ein leichter Nebel – er schwebte näher – in duftigen, kaum sichtbaren Umrissen trat Fennimor daraus hervor – zuerst bewegte sie die schlanke, weiße Hand – dann sah er den zarten, leichten Fuß, halb schwebend, und wie nur sie ihn bewegte – dann schaute er das süße, bleiche Haupt – die Wangen mit Thränen bethaut, aber den Mund von dem harmlosesten Lächeln der Liebe verschönt – die reichen Locken schienen golden strahlend, und ihr Auge sah ihn so bittend, winkend an, daß er die Arme ausstreckte, der gelähmten Zunge den geliebten Namen erpressen wollte, und endlich, indem sie verschwand, niederstürzte und in Thränenströmen sich erleichterte.

Dies wiederholte sich täglich, so oft Leonin die Einsamkeit erreichen konnte – und nur dies war es, was ihn bei den Anforderungen des Tages erhielt. –

Die Majestäten hatten an dem glücklichen Ereignisse in der von ihnen so ausgezeichneten Familie den ehrenvollsten Antheil genommen, und die Marschallin in der Stille eine Hoffnung genährt, die sie immer zu einer geduldigen Zuhörerin machte, wenn die Frau Herzogin von Lesdiguères mit dem Marschalle über die Pathen stritt, die dem Kinde gegeben werden sollten.

Den dritten Tag nach der Tafel, als schon für den nächsten die glanzvolle Taufhandlung angesetzt war, ohne daß man unter den zahllosen Gästen die Pathen bezeichnet hätte – trat[207] Leonin, vom Könige kommend, in den Portikus des Hauses, und ward von einem Knaben angeredet, der ihm ein mit Bleistift geschriebenes Blatt gab. Er blickte den kleinen Boten zerstreut an, und ihn für einen Bettler haltend, gab er ihm einige Stücke Geld und eilte die Treppe hinan.

Er mußte sich über die Treppen durch die Gänge und Gemächer winden, um zu seiner Gemahlin zu kommen; denn die Dienerschaft, Tischler, Tapeziere, Gärtner waren mit ihren Vorbereitungen zu dem glänzenden Feste des morgenden Tages in einer so geräuschvollen Thätigkeit, daß für den Augenblick fast jede andere Rücksicht aufhörte, und Leonin, selbst kaum beachtet und erkannt, sich förmlich durcharbeiten mußte. Erschrocken fast blieb er aber in einem der letzten Zimmer stehen, weil man hier unter einem Thronhimmel Viktorinens Paradebett aufführte, umgeben mit einer in goldenen Rahmen laufenden Glaswand, die sie von den Personen trennen sollte, welche Pathen des Kindes sein würden, und die als solche mit den nächsten Verwandten das Recht hatten, der Wöchnerin vor dieser Glaswand eine Verbeugung zu machen.

»Mein Gott,« rief Leonin, »ist diese abscheuliche Ceremonie denn durchaus nöthig? Wie gefährlich, die Mutter solcher Pein auszusetzen, die sogar ihr Leben bedrohen kann! Das Paradebett ist schrecklich – Grauen erregend!«

Er drückte die Hände vor's Gesicht – im selben Augenblicke schien es ihm ein Leichenzimmer – das Bett ward ein Paradesarg! – »Gott wie schrecklich!« rief er, außer sich, und stürzte an seinem erstaunten Kammerdiener vorüber, sich sehnend nach Viktorinens lebendigem Anblicke.

Doch die Frauen vertraten ihm leise winkend den Weg – Viktorine schlief. Er schlich näher – er setzte sich dicht an die Vorhänge – nach und nach erst tauchte aus dem Dämmerlicht ihre Gestalt auf. Mit welcher Rührung betrachtete er die schönen,[208] festen Züge, die, selbst vom Schlafe halb bezwungen, doch noch den Karakter einer Antike hatten.

Seufzer auf Seufzer hob sich aus seinem Busen – sein Herz, belastet mit Schmerz und Angst, die jeder Tag zu steigern schien, ward von der Stille dieses Zimmers, der unbeweglichen Ruhe Viktorinens in einem Grade erschüttert, der ihn fast zur Verzweiflung brachte. Er konnte es nicht länger ertragen, schlich leise fort und athmete auf, als das erste helle Zimmer ihn umfing.

»Mein Sohn,« sagte der Marschall, als Leonin in das Gesellschaftszimmer der Familie trat, »wir müssen nun beschließen, wer Pathe Deines Kindes werden soll.«

»Pathe meines Kindes?« erwiederte Leonin zerstreut. »Der König und die Königin.«

»Das erwartete ich!« rief die Marschallin, indem sie unwillkürlich aufstand, und der Ausdruck der höchsten Befriedigung über ihr Antlitz glitt.

Auch der Marschall stand auf, und indem er eine kleine, steife Verbeugung machte, sagte er: »Ich kann nicht darüber klagen, daß die hohen Herrschaften vergessen, wer der alte Marschall Crecy-Chabanne ist.«

»Jetzt aber erzählen Sie uns, wie es kam!« rief Madame de Lesdiguères. – »Ich liebe es, zu hören, wie sie sich bei solcher Gelegenheit haben! Mein Bruder, der Kardinal Reetz, sagte immer: ›Und wenn sie auch noch so lange an sich halten und immer auf eine ganz besondere Art und Weise warten, wodurch sie sich verständlich machen wollen, endlich müssen sie doch herausrücken, und dann sind es dieselben Worte, die auch andere Menschen brauchen, und sie müssen darum die Lippen öffnen und Athem einziehen und ausstoßen nach dem Gebote der Natur!‹« – Sie begleitete diese für Crecy'sche Ohren sehr ketzerische Reden mit herzlichem Gelächter und sah sich nach Leonin[209] um, der neben Louise auf dem Balkon getreten war und die heiße Stirn von dem kühlen Abendwinde erfrischen ließ.

»Nun, Schwiegersohn, werden wir hören, wie es sich begab?« – rief sie mit so durchdringender Stimme, daß Leonin wohl geweckt werden mußte.

Ernst, mit dem kummervollsten Gesichte trat Leonin vor sie hin und fragte nach ihren Befehlen.

»Mein Sohn,« sagte die Marschallin streng, und erzürnt über sein gleichgültiges Wesen, »Sie vergessen, dünkt mich, die Dehors, die Sie uns und der Ehre schuldig sind, welche die Majestäten unsern Familien erzeigen!«

Diese Stimme hatte immer Einfluß auf ihn, sie drang stets wie ein kalter Windstoß durch jede Verhüllung seines Innern. »Es ist wahr,« fuhr er heraus, »ich bin sehr kalt und habe von Ihnen Allen Verzeihung zu erbitten! Der morgende Tag erfüllt mich mit unerklärlicher Angst! Viktorine wird auf eine Weise durch die vorgeschriebene Etikette gequält werden, die mich für ihr Leben fürchten läßt.«

»Mein Herr,« sagte die Marschallin kalt – »Frauen von Stande sind dieser Etikette unterworfen gewesen, seit ich denken kann. Ich habe nie Etwas gehört, was diese sonderbare Aengstlichkeit, die ein wenig nach Sitten schmeckt, die hier nicht gelten, rechtfertigen könnte. Haben Sie jetzt die Güte, der Frau Herzogin zu sagen, auf welche Weise Sie die gnädige Willensmeinung der Majestäten erfuhren.«

»Gestern Abend,« sagte Leonin – er wollte fortfahren; aber drei Stimmen zugleich unterbrachen ihn. –

»Gestern Abend? Gestern Abend schon war es bekannt? Mein Gott, welch' ein unverzeihlicher Fehler!« rief die Marschallin – »wir hätten den Herrschaften Alle aufwarten müssen!«

Die Herzogin lag hinten über vor Lachen. »Nein,« sagte sie dazwischen, »solche Tollheiten kann auch nur gerode[210] Viktorinens Mann machen – das könnte sie auch – und was gebt Ihr, sie lacht sich krank, wenn ich es ihr sage!«

Der Marschall wußte nicht recht Position zu nehmen; er lachte gern, wenn er die alte Herzogin lachen sah, und doch schien es selbst ihm unerhört von seinem Sohne.

»Der König verbat ja alle Feierlichkeiten von Seiten der Familie!« rief Leonin und richtete seine Rede an die Marschallin, die ihren Zorn kaum zu bemeistern vermochte und daher lieber geschwiegen hatte.

»Als uns die Königin gestern Abend beurlaubte, erwählte sie mich, Seiner Majestät gute Nacht zu wünschen. Sie fragte dabei theilnehmend nach Viktorinen und sagte mir: Der König würde mir noch Etwas in ihrem Namen zu sagen haben.«

»Wir versammelten uns, wie gewöhnlich, in dem Speisesaale, während der König en petit couvert zu Abend aß. Nach dem Abendessen lehnte er sich gegen das goldene Gitter des Kamins, und wir durften das Wort an ihn richten; da ich mich aber zurückzog, ließ er mich rufen; er war sehr gnädig und that ähnliche Fragen nach meiner Gemahlin.«

»Jetzt kam der Augenblick, wo er uns zu beurlauben pflegt, und zugleich der Moment so vielen Ehrgeizes – Sie wissen, was ich meine. – Der König nahm den kleinen goldenen Leuchter – man drängte sich näher – Jeder hoffte ihn zu erhalten. Da rief der König meinen Namen, und ich erhielt den goldenen Leuchter und durfte ihm zum kleinen Niederlegen folgen.«

»Die Königinnen, die Prinzen, Prinzessinnen und die Amme waren hier anwesend. Der König, dem ich mit der Ehre des goldenen Leuchters zur Seite bleiben mußte, trat zur Königin heran und sagte: Wollen Sie bei unserm Vetter, dem Grafen Crecy-Chabanne, meine Gevatterin sein?«

»Die Königin nickte lächelnd – während ich vor Beiden das Knie beugte. Doch der König rief: nicht doch, nicht doch![211] Niemals mit dem goldenen Leuchter! Ich stand schon wieder, und der König überreichte nun der Königin nach alter Sitte, als seiner Gevatterin, einen Strauß und ein Paar Handschuhe. Der Strauß aber war von Juwelen, die Handschuhe von der schönsten Perlenstickerei.« –

»Wer den goldenen Leuchter am Abende getragen hat, muß am andern Morgen beim kleinen Lever erscheinen. Hier sagte mir Monsieur, er und Madame würden stellvertretend bei der Taufe persönlich zugegen sein.« –

Die Marschallin klingelte. »Sämmtliche Staatswagen sollen vorfahren!« rief sie, und Alle trennten sich, um in hoffähiger Toilette ihre Aufwartung bei Madame Henriette und dem Herzoge von Orleans zu machen. –

Dem Tumulte des vorangegangenen Tages folgte am andern Morgen die feierliche Ruhe der Vollendung, der Vorerwartung großer Festlichkeiten. – Der vollste Glanz einer so mächtigen Familie, wie die Crecy-Chabanne-Soubise, trat hervor, und die Beschreibung der Ausschmückungen des Palastes an diesem Tage würde, wenn sie uns noch vergönnt wäre, einen vollständigen Commentar dieser merkwürdigen Zeit mit ihrem soliden Reichthume, den barocken Erscheinungen ihres geschnörkelten und überladenen Geschmackes und ihres aristokratischen Dünkels geben.

Nur einzelne Gruppen geschäftiger Diener schlichen noch umher, um am frühen Morgen dem Ganzen die letzte Politur zu geben, und Gärtner tränkten die kostbaren Blumen und Pflanzen, die einzelne Räume zu feenartigen Tempeln umschufen.

Die Schloßkapelle, in welcher der Bischof von Noailles die Taufhandlung vollziehen sollte, war durch eine kostbar drapirte Gallerie mit den übrigen Zimmern für diesen Tag verbunden, und das Meer von Licht, welches den Altar und die Kapelle erfüllte, war um so überraschender, da die Gäste bei[212] der vorgerückten Jahreszeit, trotz des nahenden Abends, noch im hellen Tageslichte empfangen werden mußten. Wie glanzvoll diese Versammlung war, brauchen wir nicht weiter zu erwähnen. Wer hätte es nicht für eine Gunst gehalten, sich einem Feste anschließen zu dürfen, das der König besonders ehren wollte?

Auch blieb der Marschallin kein Wunsch unbefriedigt. Sie mußte sich trotz ihrer hohen Ansprüche gestehen, daß, außer am Hofe der Königin, wohl schwerlich eine glänzendere Versammlung zu denken sei, und – was nicht ohne Werth war, sie konnte sich sagen, daß sie der Mittelpunkt geblieben, daß Keiner der Gäste daran dachte, einem Andern, als ihr, die Ehrenbezeigungen der Begrüßung zu machen. So vollkommen zufrieden sie jedoch mit diesem Ehrenplatze war, so unerträglich war es ihr, daß Leonin, wie sie glaubte, in seiner gewöhnlichen träumerischen Weise die Stunde vergessen habe. Denn er, der anscheinend seine Gäste empfangen sollte, ließ sich noch immer nicht sehen; ja, er war sogar im Palaste nicht zu finden, wie sein Kammerdiener meldete. Im Ankleidezimmer lagen seine Staatskleider bereit; aber obwol man ihn eine Stunde früher in dem Zimmer seiner Gemahlin gesehen hatte, war er jetzt verschwunden. Schon hatte der Marschall, von den Umständen gedrängt, umgeben von den vornehmsten Herren der Versammlung, im äußersten Vorzimmer Platz genommen, da jeden Augenblick die Ankunft der stellvertretenden hohen Herrschaften zu erwarten war, und noch immer kamen die nach allen Richtungen versendeten Diener mit der Botschaft zurück, daß der junge Graf an keinem Orte zu finden sei.

Wie viel Fassung bedurfte die Marschallin, um die Qualen ihres Inneren zu verbergen, die anfänglich bloß dem ungemessensten Zorne angehörten, später durch die Besorgniß um ein Unglück verstärkt wurden, die immer wahrscheinlicher,[213] immer drohender in ihr aufstieg und den Triumph ihres stolzen Herzens anfing zu entkräften. Der letzte Augenblick nahte – die Kammerherren des Herzogs von Orleans erschienen – jetzt mußten die hohen Herrschaften folgen – und der Herr vom Hause, der sie an der Schwelle des Palastes empfangen mußte, war nicht zu finden! – Die Marschallin fühlte eine der Ohnmacht ähnliche Schwäche, die nicht gehoben ward, als ihr der Marschall sagen ließ, er begebe sich hinunter.

Maschinenmäßig bewegte sie sich vorwärts, und kaum hatte sie ihren vorschriftsmäßigen Platz eingenommen, da fuhren die Karossen der Herrschaften unter das Portal des Schlosses.

Beinahe verzweifelnd blickte die Marschallin noch ein Mal nach ihrem Sohne umher – er blieb verschwunden. Die Gewohnheit besiegte jetzt auf kurze Zeit den Tumult ihres Innern. Der glänzende Zug, an dessen Spitze die reizende Henriette von England an der Seite ihres Gemahls, des Herzogs von Orleans, erschien, übte die Macht eines Lethe-Tropfens über die Marschallin aus. Ihr in den Hofformen wohl erzogenes Herz durfte ihr Nichts, als die Entzückungen der Ehre senden.

»Ah, Madame,« sagte der Herzog von Orleans – »Seine Majestät der König haben uns versichert, wir dürften uns als Ersatz seiner geheiligten Person darbieten. Können wir auf Ihre Zustimmung rechnen?«

Die Marschallin versenkte sich einige Male vor Beiden und küßte den Rock von Madame, die sie alsdann freundlich umarmte. »Seine Majestät,« stammelte sie dabei, »weiß jede seiner Gnadenbezeigungen durch die Weise, wie er sie ertheilt, zu Ehren zu erheben, die das Herz des Empfängers fast mit ihrer Größe erliegen machen.«

»O,« sagte Madame, naiv lächelnd – »ich meines Theils, habe mich recht gefreut, das schöne Palais Soubise zu sehen, von dessen prachtvoller Ausstattung ich so Vieles hörte.«[214]

»Madame,« erwiederte die Marschallin – »heute gerade, schien es mir, besaßen wir Nichts, es seinem Zwecke gemäß würdig auszustatten!«

»Davon wollen wir uns selbst überzeugen,« sagte die schöne Fürstin – und schritt nun durch das Spalier der glänzenden Versammlung in die prachtvolle Zimmerreihe, die ihre Voraussetzungen rechtfertigte.

Die Herrschaften hatten unter dem Thronhimmel Platz genommen und ließen einzelne Personen heranrufen, denen sie einige der gewöhnlichen Fragen schuldig zu sein glaubten. Die Marschallin mußte, an der Seite von Madame stehend, ohne Bewegung ausharren, obwol sie jetzt Ruhe erhielt, ihren wieder auflebenden qualvollen Gedanken nachzugehen. Jeden Augenblick mußte sie eine Frage der Prinzessin in Bezug auf dieses räthselhafte Ausbleiben erwarten, oder die Wirkungen dieser beleidigenden Nachläßigkeit von den Umgebungen gerügt fürchten; denn auch Souvré, den sie zuletzt abgeschickt, war nicht wiedergekommen.

Es war dabei gegen die Etikette, nach dem Erscheinen der hohen Gäste die Taufhandlung aufzuschieben; man durfte nicht annehmen, daß ihre Gegenwart einen geselligen Zweck habe, man mußte dies wenigstens von ihrer Herablassung erwarten und jedenfalls die Veranlassung ihrer Gegenwart nur auf die Sendung des Königs beziehen. Die Marschallin wußte das zu ihrer unendlichen Qual besser, wie einer der Anwesenden es ihr sagen konnte; – aber wie sollte sie das Zeichen zur Taufhandlung geben, da der Vater des Kindes fehlte!

Einen Augenblick hielt Madame jetzt in ihren freundlichen Begrüßungen inne. So wenig stolz sie war, sah man ihr doch ein gewisses Erstaunen, eine Erwartung an. Der Marschallin traten die Schweißtropfen auf die Stirn, sie sah den unbeweglich starren Blick der Herzogin von Bellefond und die zürnende[215] Bewegung, mit der sie ihren weißen Stab vor sich hinhielt. Ein Entschluß mußte gefaßt werden!

Der Herzog von Orleans hatte so eben seine Unterredung mit dem Marschalle beendigt. Sein Auge nahm das verfängliche Umherschweifen an, das Erlaubniß zum Anfange der Feierlichkeit zu ertheilen schien. Die Marschallin wußte, daß Keiner diesen Raum mit ihr einnahm, der nicht voll Neugierde so vielen Mißgriffen zusah. Sie mußte sich sagen, daß dies ihren glänzenden Ruf erschüttern würde. Was ihr bestimmt schien, sie über Alle zu erheben, mußte ein Markstein werden ihres unbestrittenen Uebergewichtes. Ihr gesteigerter und so verletzter Hochmuth brachte sie innerlich fast um ihren Verstand – alle Personen schwammen vor ihren Augen; sie sah aber jetzt, wie die Herzogin von Bellefond sich erhob und den Weg zu ihr hin über den leeren Raum vor dem Stuhle der Prinzessin durchschritt. Die Verzweiflung gab ihr Kräfte – sie wandte sich zur Herzogin und bat sie, das Zeichen zum Aufbruche zu geben.

Augenblicklich stand Henriette auf; denn auch sie sah den nahenden Paradezug der strengen Oberhofmeisterin und liebte, wie fast der ganze Hof, ihre Anmaßungen zu durchkreuzen.

»Sollen wir ohne Ihren Sohn – ohne den Vater, liebe Marschallin, den Zug antreten?« fragte sie leise die zitternde Mutter.

Sie bekam eine Antwort, so dunkel und verworren, daß sie sie nicht verstand und jetzt annahm, der junge Graf werde sie am Eingange der Kapelle erwarten.

Die Hofchargen arrangirten sich; Alle schritten in angemessener Würde, nach der bestimmten Vorschrift, der Kapelle entgegen. – Noch immer hoffte die Marschallin, hier ihren Sohn zu sehen; – aber er blieb aus! Die Handlung fing an – Ludwig, Maria von Crecy-Chabanne war mit diesem Namen[216] getauft – der Herzog von Lesdiguères und der Marschall ersetzten die Stelle des Vaters.

Die Handlung war vorüber. Die Marschallin wankte zur Herzogin von Orleans. – Madame durfte die Beleidigung nicht übersehen; denn sie stand hier im Namen der Königin. Sie grüßte kalt – ohne Glückwunsch – ohne die Marschallin zu umarmen.

»Darf ich fragen,« sagte der Herzog von Orleans zu den jetzt angstvoll zusammen stehenden Elternpaaren, »welchem Grunde wir es zurechnen müssen, daß die Auszeichnung, welche Seine Majestät, mein königlicher Bruder, den Eltern des Neugebornen zu erzeigen gedachten, gerade von diesen, wie uns scheint, so wenig beachtet ward, daß wir den Vater nicht anwesend sehen? – Wo ist der junge Graf Crecy-Chabanne?«

»Das mag Gott wissen!« rief der Marschall mit dem Tone der Verzweiflung überlaut – und rang die Hände, sie plötzlich über seinen Kopf zusammen schlagend – »ich hoffe, im Grabe; – sonst überlebe ich diesen Verstoß seinerseits gegen Ehre und Glück nicht!«

Die Marschallin glaubte zu ersticken. Sie hatte auf eine künstliche Entschuldigung gesonnen – ein tödtliches Erkranken sollte ihn retten; – jetzt war es damit vorbei. Ihre sonst ihr so getreue Fassung verließ sie, sie wendete sich seitwärts, um Luft zu schöpfen. Der Marquis de Souvré war herbeigeschlichen. »Madame,« sagte er leise und fest, »hoffen Sie nicht mehr auf Leonin. Die erste Gemahlin Ihres Sohnes lebt, und Leonin ist zu ihr nach Ste. Roche abgereist.«

Man hörte einen gellenden Schrei – und die Marschallin von Crecy-Chabanne, welche noch niemals bei Hofe die kleinste Schwäche gezeigt hatte, lag bewußtlos auf dem Boden.

»Darf ich Eure Königliche Hoheit erinnern, daß hier nicht länger Ihr Platz ist,« sagte die unerschütterte Herzogin von[217] Bellefond; – und da auch die Gräfin von Grammont eine tiefe Verneigung vor Madame machte, so überwand die gutmüthige Fürstin ihre schnell erregte Theilnahme und blickte ihren Gemahl an.

Monsieur zeigte die steife Miene der übeln Laune. »Wir sind, scheint es, zu seltsamen Familienscenen hierher gekommen,« sagte er, seiner Gemahlin den Arm gebend und leicht grüßend an Allen vorüber eilend, während die voranstürzenden Kavaliere die Wagen vorfahren ließen, so daß die Herrschaften das Hotel Crecy verlassen hatten, ehe noch die Marschallin ihre Besinnung wieder gewann.

Als sie die Augen aufschlug, lag sie in einem Lehnstuhle in der Kapelle – ihre Frauen, der Arzt umgaben sie; – zunächst aber kniete die alte, gutmüthige Herzogin de Lesdiguères, trotz ihrer steifen Kleidung und Juwelenlast, und rieb die Pulse der Erwachenden, während der Marschall und der Herzog wie Bildsäulen zuschauten.

»Fassen Sie sich doch, mein Kind!« sagte sie gutmüthig, als sie das erste Lebenszeichen sah – »es wird sich Alles aufklären. Nur Muth! Muth! Das muß doch heraus zu bringen sein, wo er steckt!«

Doch, wo hätte die Marschallin Trost finden können? Was Niemand aus Besorgniß um sie bis jetzt gesehen hatte, sah sie. Das Hotel war leer – Alle hatten den Ort geflohen, wo eine anscheinende Beleidigung gegen die Majestät an den Repräsentanten des Königs geschehen war. Bleiben, hätte eine solche Sünde theilen geheißen; Niemand konnte nur daran denken! – Die Marschallin wußte das, bei dem ersten Strahle des Bewußtseins; aber sie konnte diesen Sturz von dem höchsten Gipfel der Ehre und Auszeichnung bis zu dieser Aechtung ihres Hauses nicht ohne eine tödtliche Empfindung des Schmerzes erkennen. Der Arzt erklärte einen Aderlaß nöthig; die Lakaien[218] ergriffen den Lehnstuhl und trugen die Marschallin, zur Erhöhung ihrer Qual, durch alle die glänzend eingerichteten Gemächer, durch die großen Speise-Säle, in denen noch alle Zurüstungen im vollen Gange waren, nach dem entfernten Schlafgemache, wo der Aderlaß endlich den Zustand von Erstickung hob, mit dem sie rang, und einige Tropfen Opium einen betäubenden Schlaf auf sie niedersenkten.


Leonin hatte den Tag, der um ihn her so glänzende Ansprüche an seine Theilnahme entwickelte, in einem Seelenzustande zugebracht, wie ihn vielleicht nur der verurtheilte Verbrecher vor seiner Hinrichtung erlebt. So lange, wie möglich, blieb er in dem Zimmer Viktorinens – ihre klare, edle Stimmung hielt ihn aufrecht; – sobald er sie verlassen mußte, fiel er der Verzweiflung wieder zu, mit der er vergeblich rang. Mit geheimer Scheu gedachte er der regelmäßig wiederkehrenden Vision – er sehnte sich danach und fürchtete sie doch zugleich. Er hatte sie nicht zu erwarten! Es war ihm, als schwebte sie flüsternd neben ihm her – er floh aus den Prunksälen – er erreichte sein einsames Gemach. – »Fennimor, Fennimor,« rief er hier, außer sich – »ich will ein anderes Kind, als Dein rechtmäßiges, mir zuerst gebornes, auf den Platz erheben, von dem ich das Deinige verstieß! Muß ich es nicht mit dem Tode büßen, muß dies schwarze Verbrechen nicht gestraft werden? Ach, an mir selbst – an dem unschuldigen Kinde, das jenem in den Weg tritt?« – Seine Aufregung hatte den höchsten Grad erreicht – er lag halb auf seinen Knien – er zweifelte nicht, sie wäre da, würde sich ihm gleich enthüllen – seine Augen suchten sie – wie konnte es fehlen, daß er sie sah? Doch nur einen Augenblick! Ihr bleiches, schönes[219] Haupt, mit Thränen überschüttet, das süße versöhnende Lächeln um den Mund, tauchte auf. Dann sah er die Hand, sie winkte ihm – dann war Alles verschwunden, und Leonin konnte weinen!

Wie lange er so da lag in einer Vergessenheit, die ihn fast dem Leben entzog, wissen wir nicht. Als er sich aufraffte, erschrak er vor seinem Anblicke. Er fühlte, er dürfe so nicht erscheinen. Langsam stieg er eine kleine Treppe hinab, die in den Garten führte. Wie bewegte ihn der Anblick der Natur, dies erste duftende Grün, diese feinen Bekleidungen der saftig dazwischen durchschimmernden, dunkeln Stämme und Zweige! Die Luft war feucht und warm, eine brütende Atmosphäre für alle noch eingehüllten Keime, aber so beengend für die Menschenbrust, die keinen freien Athemzug darin findet. Leonin gab Alles nur Nahrung für sein beklemmtes Herz. Seufzend, den Kopf auf der Brust, ging er mechanisch umher. Da glaubte er eine Stimme zu hören – er sah sich um – pfeilschnell flog ein Knabe den Weg hinter ihm her. Er blieb stehen – und jetzt erinnerte er sich, daß es derselbe war, dem er am Tage vorher Almosen gegeben hatte. »Was willst Du, Kind?« rief er und zog wieder einige Geldstücke hervor – »hat meine Gabe nicht gereicht?«

»O, was soll mir doch wohl Euer Geld?« sprach jetzt das Kind, ganz außer Athem vor ihm stehend – »leset doch nur, was ich Euch brachte, und sagt dann, ob ihr mit mir geben wollt!«

»Was meinst Du denn, mein Kind? – Ich habe ja Nichts empfangen – nimm dies Geld – ich kann jetzt nicht mit Dir gehen.«

»Mein Gott,« – sagte das Kind, fast weinend – »ich habe Euch doch gewiß den Zettel gestern in die Hand gegeben. Wo habt Ihr ihn denn gelassen? Nun werden sie glauben, ich habe ihn verloren, und Ihr werdet nicht mit mir kommen wollen ohne den Zettel!« –[220]

Leonin erinnerte sich jetzt, daß er, zerstreut wie er war, den empfangenen Zettel nicht gelesen hatte, ihn für eine Bittschrift haltend und ohnedies das Almosen ertheilend. Er durchsuchte den leichten Oberrock, den er auch heute trug, und fand nirgends das Blatt.

»Mein Kind,« – sagte er – »die Bittschrift habe ich verloren, ich will Dir aber ohnedies geben, was Du bedarfst. Nur mit Dir gehen kann ich nicht, meine Gegenwart ist hier nöthig.«

»Ach, Gott erbarme sich,« rief jetzt hellweinend das Kind – »so soll der arme Herr ohne Euch sterben? Einem Sterbenden versagt man doch sonst Nichts – und er kann und will nicht sterben ohne Euch!«

»Ein Sterbender!« rief Leonin erschüttert – »Wen meinst Du? Wer will mich sprechen?«

»Herr Gott, wer anders, als Lesüeur!« sagte das Kind. – »Er liegt seit zwei Tagen im Sterben. Jeden Augenblick soll es vorbei sein; – aber er sagt, er will nicht sterben, bis Ihr da seid; denn Ihr müßtet sonst umkommen in Eurer Gewissensnoth!«

»Großer Gott!« rief Leonin. – »Was sprichst Du? Lesüeur sterbend? Wo – wo ist er?«

»Bei sich, lieber Herr,« sagte das Kind, noch immer weinend – »und wenn Ihr hörtet, wie er Euch ruft, wie er mit dem frommen Priester, der Tag und Nacht bei ihm ist, nicht mehr beten kann, weil er Euch immer ruft und glaubt, Ihr werdet nie selig werden, wenn Ihr nicht noch sein Geheimniß erfahret!«

»Lesüeur! Lesüeur!« rief Leonin, von Gedanken-Verbindungen fast überwältigt. – »Was kann er mir zu sagen haben? O, mein Gott! Er, der ihr so nahe stand! Ich muß hin zu ihm – ich muß ihn sehen. – Weißt Du den Weg, so führe mich!«[221]

»Gottlob!« frohlockte das Kind mit schnellversiegenden Thränen – »folgt mir nur, ich weiß den Weg!«

Leonin öffnete hastig eine kleine Nebenpforte, die in die Höfe führte. Hier rief er selbst seinem Kutscher zu, ihm schnell ohne Bedienten und Livreen mit der einfachsten Karosse zu folgen. »Wohin?« rief er dem Knaben zu.

»Nach St. Sulpice, neben dem Kloster in dem Stiftshause!« erwiederte der Knabe, und Beide eilten davon.

Das Stadtviertel St. Sulpice war die entlegenste und unscheinbarste Gegend von ganz Paris. Felder und Gärten drängten sich zwischen geringen Anbau. Einzelne Straßen bildeten sich nur in der Nähe der Klöster, die ihre reichen Ansiedelungen hier in großer Menge hatten. Doch waren diese Straßen mit Gewerbetreibenden niederer Klasse überfüllt, und die gewöhnliche Zugabe der Armuth, bettelnde Kinderschaaren, gab der ganzen Gegend ein trauriges Ansehn. Jedem drängte sich die Thatsache auf, wie hier nur um die Erringung der gewöhnlichsten Lebensbedürfnisse gekämpft werde, und daß Alles vergessen und verwildert bei Seite trete, was eine Anforderung darüber hinaus enthielt. Die Klöster und Stifts-Herren von St. Sulpice hatten hier die weitläufigsten Besitzungen und verbreiteten, so viel dies bei ihrem strengen Ordensleben möglich war, einigen Wohlstand um sich her. Mehr aber noch war ihre geistliche Sorgfalt, ihre zweckmäßige Unterstützung und die ernstlichen Ermahnungen, mit denen sie einzuschreiten wußten, Ursache, daß dieser Theil von Paris nicht wie der ärmste, so auch der gefährlichste Theil der Stadt ward; da die Furcht vor der strengen Aufsicht dieser achtbaren, geistlichen Herren eine unverkennbare Herrschaft über die Verdorbenheit ausübte, die ganz auszurotten, nicht in ihrer Macht stand.

Vielleicht hatte Leonin kaum eine Ahnung von dem Dasein dieses Stadttheiles; wenigstens schien es ihm, als er in[222] fieberhafter Aufregung neben dem rüstig forteilenden Knaben herging, als wäre er in einer andern Stadt; Alles, was ihn seine Stimmung beobachten ließ, war ihm völlig fremd.

»Der gute Herr Lesüeur,« hob endlich der Knabe an – »ist schon lange in Pflege bei uns. Jeder glaubte ihn des Todes, als er einzog. Aber die ehrwürdigen Herren haben ihn gut gepflegt, so daß er noch seine heilige Theresia fertig bekommen hat; obgleich wir oft dachten, er hauche bei der Arbeit den Geist aus.«

»Ja, der ist gut, Herr,« fuhr er fort – »da ist auch nicht Einer, der ihn nicht liebte! Denn fromm ist er und still wie ein Heiliger! Darum müßt Ihr auch kommen, damit Ihr ihm die letzte Unruhe der Welt von dem Herzen nehmt.«

»Mein Gott! mein Gott!« seufzte Leonin – von Ahnungen und Befürchtungen angeregt, unfähig, sich aus dem Andrange so vieler Empfindungen heraus zu ringen, den nächsten Augenblick instinktartig erwartend und von ihm die Richtung hoffend.

Der Knabe erzählte ihm, daß er der Sohn des Pförtners sei und Lesüeur Farben gerieben habe, indem er den langen, beschwerlichen Weg durch die Verfolgung kleiner Nebengäßchen kürzte, die nur dem gut bewanderten Bewohner dieses unregelmäßigen Stadttheiles bekannt werden konnten. – Endlich verfolgten sie eine lange Mauer, über die hohe Bäume im Abendwinde nickten, welche die Nähe eines reicheren Besitzes verriethen. An einem Gitterthore schellte der Knabe, und sie traten in einen ebenmäßigen Laubgang, der das große Stiftshaus in der Perspektive zeigte; auf beiden Seiten die weiten dazu gehörigen Gärten, an die sich links, durch die Bäume leuchtend, die Kirche mit den Klostergebäuden von St. Sulpice anschloß. – Leonin athmete auf! Diese Ruhe und Stille, diese Abgeschiedenheit, die doch in ihrem Inneren eine so würdige Thätigkeit bewahrte[223] – es war nicht sogleich nachzuweisen, am wenigsten in Leonin's Ueberzeugung; – aber der Geist, den die Wahrheit solcher Zustände ausathmet, umfängt uns und erreicht unser Bewußtsein, ehe der dürre Nachweis unseres Verstandes hinzu tritt. Er hob das Haupt – er blickte erquickt umher – zwischen den Bäumen sah er die schwarzen Gestalten der wandelnden Stiftsherren, und aus der Gegend des Klosters vernahm er einen mehrstimmigen Gesang, der ihnen zu folgen schien. Der Knabe blieb stehen. – »Ach, da kommen sie!« rief er plötzlich, auf seine Knie fallend. – »Sie ziehn nach dem Stiftshause – er bekömmt die letzte Oelung – sie tragen das Allerheiligste!«

Auch Leonin blickte jetzt um und sah die feierliche Prozession der Mönche, die in einem zweiten Baumgange, der nach dem Seitenflügel des Stiftes zu führen schien, an ihnen vorüber zog. Er war unaussprechlich davon ergriffen. Er fühlte, daß es noch eine Rettung, einen Trost für die Fehler des Menschen giebt. Seine in verzweifelnder Verwirrung zuckende Seele fand einen Stillstand. Eine Stimme, die sich aus dem Gesange der Mönche zu erheben schien, rief ihm zu: »Ruhe aus vor Gott in den Armen der Reue!« – Er hätte sein Gesicht in dem Moose bergen mögen, das um die alten Bäume sein Lager ausbreitete – er hätte liegen bleiben mögen, bis die Zeit ihm Nachdenken gegeben und einen stillen, einsamen Weg ihm gezeigt, um Frieden mit Gott zu schließen; – aber, indem er sich diesem Triebe entzog, aus Angst, Lesüeur's letztes Begehr zu versäumen, tauchte auch die Furcht vor seiner Verschuldung mit verscheuchender Grausamkeit wieder in ihm auf; und als er fortwandelte, schien er sich nur der rettungslose Sünder!

Das Stift war ein großer, ehrwürdiger Palast. Sein Bau und seine eben so alten Gartenanlagen sollten aus der Zeit der Katharina von Medicis herstammen, und obwol man die Guisen als Eigenthümer dieser Besitzungen nannte, glaubte[224] man sie doch von der Königin erbaut und von ihr zu besonderen und geheimen Zwecken bestimmt. Die Anlage war jedenfalls den stolzesten Ansprüchen gemäß und von mancher geheimnißvollen Einrichtung durchkreuzt, die dem Beobachter sagen mußte, man habe andere Zwecke hier verfolgt, als offenes Haushalten im Glanze der damaligen Zeit. Jetzt bewohnte wahre Frömmigkeit diese schönen, wohlerhaltenen Räume; und mit dem Ernste der Wissenschaften benutzte man die Ausdehnung des Baues, zu andern Zwecken einst empor geführt.

In dem Augenblicke, als Leonin mit dem kleinen Führer sich dem Portale des Stiftes nahte, verschwand die Prozession der Mönche in seinem innern Raume, und Leonin eilte dem Knaben voran, wie getrieben, sich dem Zuge anzuschließen.

Die Chorherren erfüllten den prachtvollen Portikus des Hauses, sie hatten das Allerheiligste bei dessen Durchzuge begrüßt. Der Abt, der den Fremden sogleich für den erwarteten Grafen Crecy hielt, wollte ihn anreden; aber Leonin, nur die Prozession suchend, warf seine Augen ängstlich umher; und ohne die Begrüßung des ehrwürdigen Abtes zu erwiedern, eilte er, den Mönchen zu folgen, die ihn an das ungeduldig erwartete Ziel zu führen versprachen. Niemand hinderte ihn. Die erfahrenen Menschenkenner verstanden den heftig erregten Zustand, der sich selbst Hülfe schaffen mußte.

Leonin trat mit ihnen zugleich in ein großes Gemach, welches sich als die Werkstatt Lesüeur's verrieth, da in der Mitte desselben, auf einem Gerüste, mit Blumen und Zweigen geschmückt, in kunstreich geschnitztem goldenem Rahmen sich ein Bild erhob, das, obwol es Leonin die Rückseite zukehrte, ihn vermuthen ließ, daß es das letzte Werk des jetzt sterbenden Künstlers sei. – Die drei hohen, weiten Fensterthüren nach dem Garten waren geöffnet – der Frühling lag vor der Schwelle – glänzende Strahlen der Abendsonne vergoldeten das feine,[225] gelbliche Grün des ersten Laubes und warfen ein belebendes Licht in das schöne alterthümliche Gemach und auf die ehrwürdigen Gestalten der Mönche, die, des Einlasses harrend, einen Kreis um den Geistlichen bildeten, der, von Chorknaben umgeben, in stiller Sammlung mit der verhangenen Monstranz, in ihrer Mitte stand.

Es war der ehrwürdigste Anblick andächtiger Erhebung – die harmonische Vereinigung in der Absicht und Darlegung heiliger Hülfsleistung, von der sinnlichen Außenwelt zufällig auf eine Weise unterstützt, als ob ein Bestreben eingetreten wäre, sich dem Zwecke gemäß zu zeigen. Wie lange hatte Leonin nichts Aehnliches erlebt – wie begierig sog er die Erschütterungen ein, die er dadurch erfuhr!

Die Thüren öffneten sich jetzt vor ihnen und zeigten ein zweites geräumiges Gemach und, den Thüren gegenüber, ein Bett mit aufgeschlagenen Vorhängen.

Leonin war auch hier bis zur Thüre gefolgt; aber von dem fungirenden Geistlichen beordert, gab ihm ein dienender Bruder die Weisung, den Kranken nicht durch seinen von ihm so heiß ersehnten Anblick in seiner geistlichen Fassung zu stören.

Leonin sah die Thüren sich vor ihm verschließen. Betäubt lehnte er sein Haupt gegen die Pfosten – horchte den Gebeten und einzelnen Accorden gleichmäßig wiederkehrender Responsorien, welche die Mönche abhielten und damit den Fortgang der heiligen Handlung bezeichneten.

In jedem Augenblicke entkörperte sich sein Zustand mehr und mehr. Er wähnte in die heiligen Beschwörungen, die in sein Ohr drangen, mit eingeschlossen zu sein – von ihnen fortgezogen, hatte sich sein deutliches Bewußtsein in ein unbestimmtes, inbrünstiges Verlangen nach dem versöhnenden Troste der Religion aufgelöst, und eine körperliche Erschöpfung vollendete einen augenblicklichen Stillstand seiner überspannten[226] Lebensgeister. Erst, als seine Füße unter ihm wichen, erwachte er, und von einem Geräusche hinter sich erschreckt, raffte er sich zusammen und erblickte, sich umwendend, vor Lesüeur's Bilde den Knaben, der ihn geleitet, in Thränen auf seinen Knieen liegend und frische Frühlingsblumen davor ausbreitend. – Langsam folgte er der Richtung. Er stand vor Lesüeur's Bilde, ohne es anzusehn, den weinenden Knaben liebevoll betrachtend. Doch dieser war fertig oder wollte mehr Blumen suchen – er enteilte in den Garten. Leonin sank in einen Lehnstuhl, in dem Lesüeur vielleicht sein Bild vollendet hatte. Da glaubte er sanfte Musik sich nahen zu hören – horchend richtete er sich auf. – Großer Gott, Fennimor stand vor ihm! – verklärt – auf lichten Wolken schwebend – um das weiße Unterkleid den blauen, duftigen Mantel mit Sternen auf den Schultern – die Märtyrerkrone mit dem Heiligenscheine in den goldbesäumten braunen Locken – den tiefen Engelsblick des kindlichen Auges – das süße Lächeln um den schönen Mund – den Palmenzweig in der zarten, weißen Hand! Sie schwebte vor, wie es erschien; der leichte, nackte Fuß berührte kaum den Rand der Wolken, die sie zu umwölben strebten. Sanft schien sie vorgebogen, den Palmenzweig – das Friedenszeichen – hülfreich bemüht der Welt zu bieten, Trost und Vergebung kündigend aus der Welt, aus der sie wieder nur gekehrt, Alle liebend einzuladen, die mühselig und beladen im Erdenjoche keuchten.

»Fennimor, Fennimor,« rief Leonin und stürzte auf seine Knie – »Du ladest mich zum ewigen Frieden! Zu Dir gehöre ich mit dem tiefsten Leben meiner Brust – Du rufst mich zu unserer Heimat – hier bin ich! Nimm' mich! Erbarme Dich des Sünders! – Selbst im Sünd'gen gegen Dich gehört' ich Dir! Dir allein! Du geheiligte Liebe meiner Brust, schwebe nieder – nimm mich mit fort!«[227]

Erwartungsvoll sank sein Kopf auf den Blumenteppich vor Lesüeur's Bild, das Fennimor's von ihm so heiß geliebte Züge, zur Heiligen verklärt, verherrlichte. Er träumte, hoffte, jauchzte der ewigen Vergebung mit ihr entgegen – da berührte eine sanfte Hand den kühnen Schwärmer. Er fuhr empor – der ehrwürdige Priester, der Lesüeur zum Tode eingeweiht, stand ernst und mild über ihn gebeugt.

»Ermannt Euch, junger Mann!« – sprach er mit weichem Tone – »die Pflicht der Freundschaft ruft Euch an das Lager des Sterbenden! Schon umweht die ewige Ruhe jener Welt den müden Pilger – laßt sie Euch heilig sein und laßt, was irdisch ist, der Welt, die ihm schon entrückt ist! Er ist in schönem Frieden; – doch begehrt er Euch zu sehen, und ihm muß werden, was er für die letzte Pflicht der Erde hält. Doch seid es werth, den letzten Augenblick der verklärten Seele zu theilen – versucht, des Friedens theilhaft zu werden, der ihn umweht.«

»Hört meine Beichte!« rief Leonin – »laßt mein Herz vor Euch erleichtert werden, ehrwürdiger Priester! Gebt mir den Trost, dessen Eure reine Seele voll ist!«

»Jetzt nicht!« – sagte ernst der Priester – »jetzt nicht, mein Sohn! Die Augenblicke Deines Freundes sind gezählt. Erfülle erst jene Pflicht und bedarfst Du dann der Beichte noch, so melde Dich im Kloster St. Sulpice, der Prior Tronçon wird Deine Beichte anhören.«

Leonin nahm alle seine Kraft zusammen – seine Mienen drückten so deutlich seinen Seelenzustand aus, daß der ehrwürdige Prior die Hand auf seine glühende Stirn legte und ihm fast unwillkürlich, voll erhabener Rührung seinen Segen gab. – Leonin sah ihn im Gefolge seiner Brüder verschwinden – die Thüren des Sterbezimmers öffneten sich – er stand vor dem verklärten Antlitze Lesüeur's![228]

Lesüeur blickte auf Leonin, und wie oft er ihn auch verwünscht, wie lebhaft er ihn gehaßt, die Verklärung des Todes hatte diese Empfindung schon gemäßigt, ehe Leonin zu ihm trat; und als er ihn erblickte, mit den deutlichsten Zeichen des Schmerzes und der Gewissensangst in dem bleichen Antlitze, erkannte er den blühenden Mann, den er früher gesehen, kaum wieder und fand wenigstens nicht den verstockten Höfling, den zu hassen er sich so berechtigt gehalten hatte.

»Ja, ja, ich erkenne es« – rief er matt – »Gott ist gerecht! Er hat Dich schon gezeichnet, Du armer, verlockter Sünder, und Du thust schwere Buße in Deinem Inneren.«

»Nie, nie genug!« – rief Leonin und kniete an dem Bette des Sterbenden; – »und wenn kein Hauch des Lebens je wieder Frieden für mich bringt – doch ist es keine zu harte Buße! Lesüeur, ach, wüßtest Du, wie ich es jeden Tag mehr und tiefer fühle – Du hättest Erbarmen mit mir!« Er barg sein Haupt und hörte einen tiefen Seufzer neben sich. Am Fußende des Bettes kniete ein Priester im stummen Gebete – sein Gewand verhüllte ihn gänzlich.

»Groß und entsetzlich ist Dein Verbrechen; – aber ich will wissen, in welchem Maaße Du gesündigt – und ich, der ich ihr Freund – ihr Schützling – ihr heiliges Werk auf Erden ward – ich will Dich fragen, und Du sollst dem Sterbenden die Wahrheit enthüllen. Willst Du?«

»Ich will es!« rief Leonin. –

»Was sagte Dir Souvré den Tag vor Deiner Hochzeit?« –

»Ich sei frei! – Und als ich mehr zu wissen verlangte, vertröstete er mich mit der Wiederholung dieser Worte. Erst am andern Morgen erfuhr ich ihren Tod!«

»Ihren Tod?« rief Lesüeur, seine Hände zusammenschlagend – »ihren Tod? Unglücklicher, weißt Du nicht, daß sie lebte –[229] daß sie, Deine einzig, rechtmäßige Gemahlin – daß sie lebte, als Du das zweite Weib nahmst?«

Ein dumpfer Ton des Entsetzens brach aus Leonin's Busen. Er stürzte zuckend auf das Bett, während seine weit geöffneten Augen, auf Lesüeur starrend, genugsam seinen fürchterlichen Zustand verriethen.

»Ja,« fuhr der Freund Fennimor's mit erhobener Stimme fort – »obwol der Tod lange über ihrem Scheitel stand – mußte sie dennoch leben! Als endlich der Vikar die Nachricht davon zu mir gelangen ließ, war Alles zu spät – der Frevel geschehen – Ihr vermählt, und Fennimor gab schon Zeichen ihrer langsamen Auflösung! Da beschwor ich die Menschen dort, sie sollten sie belügen – Euch in den Krieg gezogen schildern – ihr den Glauben geben, daß Ihr sie verstorben hieltet.«

»Gott, Gott,« rief Leonin – »das Ungeheuer, das mich betrog – den ungeheuern Frevel mich begehen ließ!«

»Klage Dich an, nicht Andere!« rief dumpf der verhüllte Priester – »Du wolltest betrogen sein – darum wurdest Du es!«

Betroffen blickte Leonin auf die düstere Gestalt, die seufzend und verhüllt neben ihm lag – schaudernd schien es ihm, als höre er die Stimme seines eigenen Gewissens. Flehend rief er gegen den Sterbenden: »Sage mir, sage mir um der Barmherzigkeit Gottes Willen – wann starb Fennimor? und wo – wo ist mein Kind?«

»Höre mich,« sprach Lesüeur – »Du bist weniger schuldig, als ich dachte. Gewiß scheint mir, Du glaubtest an ihren Tod, als Du diese zweite Verbindung schlossest – und weil Dich das weniger schuldig macht, wie ich Dich hielt, so will ich Dir einen Tropfen reichen, der vielleicht in Etwas Deine Qualen dereinst lindern kann. – Höre denn – noch lebt Fennimor – aber am Rande des Grabes – und ihr einziger – heißester Wunsch ist, Dich noch ein Mal zu sehen!«[230]

Mit einem Schreie war Leonin bei Lesüeur's letzten Worten aufgesprungen – seine zweite, Bewegung war, fortzustürzen – fort zu ihr hin – es war der einzige Gedanke, den er fassen konnte!

»Halt!« rief Lesüeur und ergriff sein Kleid.

»Laß' mich,« stammelte Leonin – »ich muß fort, fort zu ihr in dieser Stunde – ohne Aufenthalt!«

»Nicht eher« – rief Lesüeur mit der alten Kraft – »als bis Du mir gelobt, ihre heilige Engelsruhe hier zu schützen – den Frevel ihr verhüllt zu lassen, der indeß begangen. – Willst Du bloß hin, um Dein ungestümes Herz vor ihr zu entladen, so treffe Dich der ganze Fluch des Unglücks, das Du verschuldet! Niemand wünscht Dich dort zu sehen – und mit Recht; – doch Fennimor's Sehnsucht, die sie nicht leben, nicht sterben läßt, hat den Widerwillen der Anderen, Dich zu sehen, gebrochen.« –

»O, lasse mich fort, fort, fort zu Fennimor, zu meinem heißgeliebten Weibe – ich habe keine heiligere Pflicht – sie soll in mir Nichts finden, als ihren Gatten!«

»Und Viktorine?« rief plötzlich die verhüllte Gestalt, indem sie sich rasch vom Boden erhob; – und Fenelon stand vor Leonin, und aus seinem bleichen Antlitze blitzten zürnende Augen.

Leonin verhüllte sein Gesicht! Doch nur einen Augenblick. Nichts konnte neben dem, was jetzt in ihm angeregt war, Raum behalten. »Und dennoch, den noch muß ich fort! Ist es möglich, Fenelon, so schützt Viktorinen – nicht um meinetwillen – um ihretwillen – denken kann ich jetzt nicht für sie – ich habe nur eine Pflicht – nur ein Gefühl! – Aber betet – betet für mich, wie Ihr für den verurtheilten Verbrecher betet – und lebt wohl!«

»Unglücklicher!« – rief Fenelon – »armes Spielzeug des Augenblickes – zwei Kronen reichte Dir das Leben zum – zertrümmern!«[231]

Leonin hörte ihn nicht mehr. Auf Lesüeur's kalte Hand gebeugt, nahm er Abschied von ihm für diese Welt – streckte flehend die Hände gegen Fenelon empor und stürzte zum Zimmer hinaus. Fast besinnungslos trieb es ihn fort – er wäre zu Fuß nach Ste. Roche geeilt; – aber sein Wagen stand vor der Thüre. »Jaques,« rief er dem alten Kutscher zu – »Du kennst den Weg nach Ste. Roche – treibe die Pferde an – laß' sie mit Post wechseln – nur schnell, daß wir bald hingelangen!«

Der Wagen blieb halten. Dies eine Mal gehorchte Jaques nicht; denn er war gewiß sich zu irren. Nach einigen Augenblicken stieg er vom Bocke und trat ehrerbietig an den Schlag: »Euer Gnaden befehlen nach Hause?«

»Nein, Jaques! Nein, nicht nach Hause!« – rief Leonin mit einem Ausdrucke, der Jaques die Ahnung einer ganz ungewöhnlichen Begebenheit gab – »nach Ste. Roche! Nach Ste. Roche! Ueberall frische Pferde – und schnell, schnell!«

Jetzt gehorchte Jaques – der Wagen eilte fort und Leonin dachte mit keinem Gedanken daran, daß im Pallast Crecy heute sein Sohn getauft werden sollte.


Den Fahrweg durch das Thal von Ste. Roche entlang flog der einsame Wagen des Grafen Crecy; ohne Vorreiter, ohne Livreen, ohne berittene Diener oder Reisegepäck. Niemand aus dem Schlosse erkannte daher den Ankommenden. Nur Fennimor sagte in diesen letzten Tagen oft: »er komme jeden Tag zu ihr und weine lange und heiß zu ihren Füßen, weil er sich so sehr nach ihr sehne; – aber er sähe so bleich aus – und so anders, wie früher, daß sie immer weinen müsse, wenn er komme.« – Das glaubte ihr Niemand, obwol auch Niemand ihr zu widersprechen wagte. Aber, wer aus dem Nebenzimmer sie zuweilen[232] betrachtete, wenn sie allein zu sein glaubte, konnte wohl sehen, daß in ihrem Geiste eine besondere Regsamkeit war. Himmlisch mitleidig blickte sie in den leeren Raum, bis Thränen aus ihren Augen niederfielen; sie neigte sich vor, und die feine, weiße Hand schien eine Täuschung, die ihr vorstand, erreichen zu wollen. – Wer hätte durch Geräusch oder Frage sie stören mögen! Alle, die sie seit ihrem Unglück umgaben, hatten sich die Hand gereicht zu einem Bunde des Schweigens. Jeder bezwang das schwellende Herz über ihr Schicksal, wie es wirklich war, und erwartete fast mit Andacht, was sie daraus machen würde.

Lange Zeit hatte die Krankheit sie mit einer Heftigkeit beherrscht, die wenig Hoffnung für ihre Genesung ließ – und ihr selbst keine Besinnung. Auch war der Arzt vom Anfange an überzeugt, daß diese heftige Störung in der ersten, so verhängnißvollen Zeit einer Mutter, ihre Lebenskräfte verzehren würde. – Und als er die erste furchtbare Krankheit gebrochen hatte, wartete er nur, welchen Weg die Natur zu ihrer langsamen Auflösung einschlagen würde; denn den Gedanken an gänzliche Herstellung räumte er weder sich, noch den Anderen ein, wenn er den fliegenden Puls unter seinem Finger fühlte – und fast war Keiner, der es wünschte.

Auch blieb Fennimor's Zustand lange in einer Verhüllung, die halb geistig, halb körperlich war; und zum Erstaunen, zur tiefsten Erschütterung gereichte es ihren Umgebungen, daß sie aus der Gegenwart entrückt blieb und das spielende Kind in den Buchenwäldern von Stirlings-Bai war, mit allen holden Tändeleien und dem vollen Liebesschatze dieser Zeit.

Daß dieser milde Zustand mit der Genesung enden müsse, sagten sich Alle mit Schmerz, und so war auch ihr erster Ruf: »Leonin!« ein Symptom der Krisis – mit denselben Uebergängen kehrte sie zurück – Thränenströme flossen nieder –[233] Keinem gab sie Antwort, als die eine: »er hat mich doch so sehr geliebt!« Dann trat ein tiefes Verstummen ein, was sie bei den nöthigen Störungen nachgiebig und verstehend, aber völlig wortlos zeigte. Bis dahin hatte sie weder ihres Kindes gedacht, noch war es ihr nahe gebracht worden. Da regte der Vikar diese Erinnerung in ihr an, und nach einigen Wiederholungen sah man ihrem Aufhorchen an, daß ihre Gedanken aus dem Schlummer geweckt wurden. Wie rührend war es, die steigende Ahnung in diesem bleichen himmlischen Antlitze zu verfolgen; – plötzlich rötheten sich die lilienweißen Wangen, die Augen gewannen Glanz, und sie sagte kindlich schluchzend: »ein liebes kleines Kind, was mein ist!«

Da legte ihr Emmy das schlafende Wesen in den Schooß und zog den Schleier von seinem Köpfchen. Sogleich erkannte es Fennimor, und ein heißer Strom von Wonne fluthete noch ein Mal durch dies gebrochene Herz. »Mein Kind! mein liebes kleines Kind!« sagte sie immerfort leise, bebend, aber mit einer Innigkeit und so wunderbarem Ausdrucke von Entzücken, daß Beide davon schlichen, um im Nebenzimmer, schreiend fast vor Erschütterung, sich in die Arme zu sinken und Thränen zu weinen, die einem Gemische von Wonne und Schmerz angehörten.

Lange ließ man sie allein – sie bemerkte nichts, als ihr Kind. Als es erwachte und sich ruhig dehnte, und die klaren Aeuglein mit dem Schlafe kämpfend so lieblich blinkten, und die kleinen Händchen das wunderliebliche Hämmern begannen, sahen sie Fennimor zuerst leise lachen. Sie versuchte es instinktartig an ihren bleichen Mund zu ziehen; aber die müden, schwachen Hände hatten dazu keine Kraft. Das Kind ward unruhig – ein leises Weinen hub an. Fennimor erschrak und ward roth – sie nahm alle Kraft zusammen und drückte es endlich an ihre Brust; – aber das Kind weinte nur lauter. Mit Gewalt fast hielt der herbeigekommene Arzt die Freunde zurück. –[234] »Hieran wird sie sich sammeln, stört sie nicht!« sagte der verständige Mann – »Gott ist groß in der Stimme der Natur!«

Die Angst, es zu trösten, zeigte sich deutlicher; sie hatte nur zu bald eine Ahnung früheren Glückes empfunden. Mit dem Bewußtsein, wie sie es sonst beruhigt, tauchte die Erinnerung ihrer langen Trennung von ihm auf; – seufzend ließ sie die müden Arme niedersinken – vor ihrem Kinde fand sie ihr Bewußtsein, ihren Schmerz, ihr ganzes Unglück wieder! Als sie laut mit ihrem Kinde zusammen weinte, traten die Freunde hinzu. – Emmy nahm das hilfsbedürftige Wesen von ihrem Schooße. Da versiegten Fennimor's Thränen – sie versuchte aufzustehen, und da sie es nicht allein vermochte, unterstützten sie der Arzt und Veronika. Wohin sie begehrte, sagten ihre Augen, die Emmy's Schritten folgten. Der Arzt gab immer nach; sie trugen Fennimor fast, die von ihrer Hinfälligkeit nichts zu bemerken schien. Im Nebenzimmer fand sie schon die Bäuerin mit dem Kinde an ihrer Brust. In tiefen Gedanken blieb sie vor diesem Anblicke stehen – sie setzten sie leise in einen Lehnstuhl vor der mitleidigen Amme nieder, und Fennimor sah nun, wie ihr Kind von einer Anderen Leben und Trost empfing. Tiefe Seufzer stiegen aus ihrer Brust auf – Thräne auf Thräne floß nieder, ein leises, schmerzliches Wimmern deutete an, daß sie ihr großes Leiden langsam zu verstehen begann. Die Bäuerin selbst zerfloß in Thränen und kniete dann mit dem rosenroth gefärbten, süß entschlafenen Kinde vor der unglücklichen Mutter. Da verlor der Schmerz seinen Stachel – der süße Athem, der über die kleinen, rothen Lippen säuselte, stieg erquickend zu ihr auf – das Kind verdrängte mit seiner reichen Schönheit jede damit verknüpfte Beziehung. Fennimor bekam wieder den verklärten Glanz von Wonne und verlor sich ganz in seinen Anblick. Als es aber unter ihren zärtlichen Liebkosungen erwachte und sie erst erstaun tansah, dann suchend das Gesicht der[235] Bäuerin fand, und das entzückte Lächeln des Erkennens plötzlich durch den ganzen kleinen Körper zuckte, da richteten sich Fennimors Augen auf diesen ersten Liebesgegenstand ihres Kindes; – und als sie den zärtlichen Blick sah, womit das gute Weib dies Erkennungszeichen erwiederte, lächelte auch sie ihr freundlich zu und strich leise mit der Hand über das gutmüthige, braune Gesicht.

Von da an behielt sie eine still versenkte Existenz in ihrem Kinde, über das sie oft in rührenden Gebeten lag, die alle so harmlose, süße Gespräche mit Gott waren, so immer nur über seine schönen, wunderbaren Werke, daß Alle sichtlich zu verstehen glaubten, wie Gott sie zu sich zöge und ihr die Welt verhülle, nur den Weg zu ihm ihr offen zeigend. Von ihrem eignen, rasch vorschreitenden Zustande schien sie keine Ahnung zu haben. Sie klagte nicht und doch legte sie zuweilen die abgezehrte Hand auf die Brust, und wenn der Arzt sie fragte, ob sie Schmerzen habe, sagte sie freundlich: »immer! immer!« Auch ließ der im Fieber fliegende Puls und das öftere Erbrechen von Blut keinen Zweifel über ihr Uebel.

Gegen Anfang des Frühjahres trat eine Veränderung ihres geistigen Zustandes ein. Der kleine Reginald hatte eben die ersten Versuche gemacht, sich an dem Stuhle seiner Mutter aufzurichten, und das Ereigniß hatte Fennimor bis zu einem lauten Ausrufe des Jubels gebracht. Als Emmy herbei stürzte, erblickte sie das unschuldige Glück, was die glühend erröthende Mutter erlebte, und sah den schönen, kleinen Reginald, der fast nicht von seiner bleichen Mutter zu trennen war, wie er lachend und lallend vor Lust, sein erstes Kunststück zu behaupten suchte und die kleinen, dicken Händchen eisenfest um den gedrehten Stuhlfuß krampte.

Emmy kniete liebkosend neben diesem einzigen Trost ihres verdüsterten Herzens nieder – da hörte sie Fennimor tief seufzen[236] und dann den fast vergessenen Namen Leonin aussprechen. – »Wo er nur bleibt, Emmy?« sagte sie; – »ich kann nicht, wie sonst, Alles bedenken; aber er muß lange fort sein – und doch ist sein Kind so schön, und er läuft ihm endlich entgegen, wenn er noch lange zögert.« Emmy schwieg. Zu bitter war ihr Gefühl! Sie hatte gehofft, Fennimor habe ihren Mörder ganz vergessen. Jetzt erwähnte sie ihn ruhig – freundlich – wie in ihr ganzes Leben verflochten. »Der bleiche Mann, den ich immer für die Schlange hielt,« fuhr sie indessen fort – »der hat ihn von mir getrieben. Armer Leonin, wie sie Dich wohl quälen mögen in der bösen Welt, in der Du leben mußt! Ach, wie wollen wir Dich lieben, wenn Du wieder kömmst; – nun hast Du einen mehr, der Dich liebt. Aber dort? Wer liebt Dich dort, wo die Mütter auch sich verhärten können und von Gott abweichen, wie ich jetzt weiß. Da muß Dir das Herz schwer werden! Wo bleibt er wohl, Emmy? – Und ist es lange, daß er fort ist?«

»Er ist indessen mit dem Könige in den Krieg gezogen,« stammelte endlich Emmy, die gehässige Lüge kaum über die Lippen zwingend – »und Ihr waret ja lange krank.«

Nur allmälig kamen Erinnerungen und Beziehungen in dem zerschmetterten und jetzt durch die vorschreitende Krankheit erschöpften Geist zurück. Schon sank das liebliche Haupt ermattet in den Stuhl; der kurze, fieberhafte Schlummer deckte die glänzenden und doch so tiefe Leiden verkündigenden Augen. Emmy blieb mit dem Kinde zu ihren Füßen. Sein süßes Lallen störte nicht mehr diesen kurzen Schlummer – wenn es zu ihr drang, ward das schlafende Antlitz immer freundlicher. Auch ihre Träume mußten harmlose Bilder enthalten, in welche die ersten Töne der kleinen Kinderstimme hinein paßten und sie vielleicht leiteten und belebten. Doch war von dieser Stunde an Leonins Bild neben dem ihres Kindes, und sie begann bei ihren[237] langen, rührenden Gebeten, ihn einzuschließen und Gott anzuempfehlen – ihm vorzustellen, wie er seine Hülfe so nöthig habe, da er ihn doch in Versuchungen führe. Wie er doch ja seine Seele behüten möge und immer bei ihm sein! Dann schwieg sie wohl; aber wenn sie fort betete, mußte man glauben, Gott habe ihr indessen geantwortet; denn sie sagte: »das wußte ich wohl, daß Du bei ihm bleiben wirst, und will auch nicht um ihn sorgen, da Du es allein thun willst!«

Oft beriethen sich die Geschwister mit Emmy und dem Arzte über das Schicksal Fennimors, dessen schreckliche Härte sie durch Lesüeur erfahren. Immer mußten sie einig darüber bleiben, daß sie ihr Alles verhüllen müßten.

»Lange brauchen wir es nicht mehr,« sagte der Arzt wehmüthig; – »das Gras grünt – die Knospen schwellen – wenn die Blumen kommen, werden sie über ihrem Grabe aufblühen!«

In dem Maaße, als der Ausspruch des Arztes sich zu erfüllen schien, steigerte sich Fennimors Sehnsucht nach Leonin – und dies ward dann die Veranlassung der letzten Sendung an Lesüeur. Die Freunde glaubten zu bemerken, daß Fennimor eine Ahnung von ihrer Auflösung bekam. Sie hatte ihre Schwäche, wenn sie darüber zur Erkenntniß gelangte, noch immer auf die Geburt ihres Kindes bezogen. Jetzt wünschte sie zuweilen aufzustehen, um die immer kühneren Versuche des kleinen Reginald unterstützen zu können. Sie fühlte nun, daß sie es nicht mehr vermochte und befrug Emmy darum. Ausweichend antwortete das trostlose Weib ihrem hinsterbenden Lieblinge, und es schienen sich an diesen halben Worten in Fennimor Folgerungen zu entwickeln, die ihr Gebet offenbarte. Denn keine andere Mittheilung gab es mehr für sie – die Freunde erfuhren den Gang ihrer Gedanken aus den lauten Gesprächen, die sie in ernster, kindlicher Unschuld täglich mit Gott führte. »Du hättest mich doch bei meinem Kinde lassen können!« sprach sie[238] – »Du hättest nur wollen dürfen, und meine Glieder hätten wieder Kraft gehabt, ihm zu folgen – und Leonin – wie wird er weinen, wenn ich bei Dir bin und er mich nicht mehr sehen kann! Ja,« fuhr sie dann fort – »freilich weißt Du Alles am besten – auch gehe ich gern zu Dir, wie Du mir auch glaubst. Aber Dein Leben ist doch auch so schön, und ich muß es lieb haben, so lange Du es mir läßt – nur das Eine lasse geschehen, daß ich ihn wiedersehe, ehe ich sterbe. – Du mußt ihn schicken, wo er auch sei – mache ihn los und führe ihn den Weg zu mir, daß ich mich noch recht erfreue an ihm!« Dann hatte sie Antwort bekommen und dankte Gott dafür, daß er ihn schicken wolle. Täglich wiederholte sich dies. Sie wunderte sich vor Gott, daß er nicht komme, und tröstete sich dann wieder durch ein neues Versprechen, das sie vernommen. So lenkte Gott die Herzen ihrer Freunde. Was sie auch mehr oder weniger Alle gegen Leonin empfinden mochten, Fennimor beugte ihren Sinn, ohne daß sie es wollte, und Alle belebte nur noch der Wunsch seiner Ankunft, die Lesüeur ermitteln sollte – die Fennimor jeden Tag schon im Voraus empfand und die durch die täglich näher rückende Stunde ihrer Anflösung immer dringender ward. –

Leonin stieg am Fuße des Schlosses aus seinem Wagen und fühlte eine Scheu, ein Beben, sich dem Sterbebette dieser Heiligen zu nahen, welches ihn heran schleichen ließ, als dürfe kein Geräusch seine Ankunft verkündigen.

Wie schön war Ste. Roche in dieser ersten Frühlingspracht! Es drängte sich ihm überall auf, ohne daß er geneigt war, es zu genießen. Durch die Zimmer, durch die er leise strich, wehte in die geöffneten Thüren und Fenster der warme Hauch des Maitages. Es war der duftendste, reinste Morgen. In den Zimmern seitwärts hörte Leonin sprechen und das Geräusch beschäftigter Personen. Doch die Zimmer, die vor Fennimors[239] kleinem Kabinette lagen, genossen der Ruhe; – nur die schöne Natur sah in die großen, offenen Fenster!

Jetzt stand er vor dem letzten Zimmer, welches ihn von Fennimors Kabinet trennte. Auch hier konnte sie sein – ob er sie nicht vorbereiten müsse, drängte sich ihm auf. Zweifelhaft und horchend blieb er stehen; er hörte ein Geräusch – aber es war eine Art Lachen und lallendes Krähen. Plötzlich trat eine Ahnung ihm näher – er drückte leise das Schloß auf und streckte den Kopf in die Thür. Er hatte sich nicht geirrt! Auf einem grünen Teppiche, der gegen die Fenster hin ausgebreitet war, lag ein holdes Kind im kurzen, weißen Röckchen, das es kaum bedeckte und Arme und Beinchen, die in großer Thätigkeit waren, frei ließ. Es machte die reizenden, kleinen Versuche, sich eifrig kriechend fortzuschieben, um die glänzenden Schälchen und Töpfchen, die wahrscheinlich, um es zu seinen Versuchen anzuregen, an den äußersten Enden des Teppichs vertheilt waren, zu erreichen. Es ruderte mit den reizenden, rosenrothen Füßchen mit einer Schnelligkeit und einem Eifer, daß seine blühenden Wangen noch frischer erscheinen; und je näher es dem glänzenden Gegenstande kam, je lauter lallte und krähte es vor Lust und Begierde. Neben ihm saß auf einem Kissen eine Frau in ländlicher Tracht, die, den Rücken nach Leonin gewandt, doch bemerken ließ, wie zärtlich sie das Kind hütete; denn, wenn das holde Geschöpf ausglitt und einen Augenblick auf seinem Gesichtchen lag, ehe die starken Aermchen sich wieder empor arbeiteten, sah man deutlich, wie ihre Hände ihm gern zu Hülfe gekommen wären. Auch blickte der kleine, fleißige Ruderer sich dann jedes Mal nach ihr um, jauchzte aber nur, wenn sie in die Hände schlug, und ruderte schnell weiter.

Leonin wußte, daß es sein Kind sei, und er fühlte vor ihm alle unnennbare Wonne, den ganzen Wahnsinn einer Entzückung, die uns der übrigen Welt entzieht! Er stand jetzt[240] neben dem Teppiche – jauchzend ergriff eben das Kind das blanke Tellerchen – da rollte es hinunter auf Leonins Fuß. Schon kniete er und hielt es ihm hin – das Kind blickte ihn erstaunt an, dann lachte es und griff nach dem Tellerchen. Leonin hielt es ganz bewußtlos in die Höhe – da arbeitete sich das himmlische, kleine Wesen an seinen Knien in die Höhe, und Leonin umschlang es und hielt es, und es langte um so viel höher nach seinem Tellerchen und ergriff es jetzt wirklich, laut jauchzend.

Leonins Herz wollte in Wonne zerspringen! Er hielt sein Kind im Arm; er fühlte, wie er es stützte, wie die kleinen Beinchen, so stark und kräftig sie waren, doch noch immer fort einknickten – und er durfte es halten, an sich drücken, und es scheute ihn nicht!

Die Bäuerin sah still zu. Sie wußte Alles, wie sie den fremden Herrn sah. Für das Natürliche hat der einfache Mensch immer das richtigste Verstehen.

»Bringe ihn mir, Leonin!« tönte es da mit einem Male – ein bekannter, leiser, ach, überirdischer Ton! Aber er ließ Leonin erbeben, als ob ein Donnerschlag ihn träfe – er brach fast zusammen, und seine Erschütterung war so plötzlich, daß das Kind davon erschreckt ward, sich in seinen Armen wand und in Thränen ausbrach. »Reginald,« ertönte dieselbe sanfte Stimme – »o komm her! Leonin, bringe ihn mir!« Leonin sprang mit dem Kinde im Arme auf und flog der Richtung nach. – In einer der offenen Fensterthüren, die nach dem Garten gingen, stand ein hoher Lehnstuhl, der die Richtung nach dem Teppiche hatte. In diesem Lehnstuhl ruhte Fennimors verklärter Geist – so glaubte Leonin. – Er reichte ihr den Knaben auf seinen Knien, und als dieser, gewohnt hier Hülfe zu finden, seine Aermchen um ihren Nacken schlang und sich innig in ihre müden Arme drückte, und das holde, wunderschöne Kind[241] nun in den weißen Gewändern ruhte, die Fennimors Lichtgestalt umgaben, da sah Leonin einen Engel, der mit seinen weißen Flügeln dies blühende Leben in seinem Schooße deckte.

Aber sie lächelte verscheidend über das Kind hin ihm zu und hob die bleiche Hand – und diese winkte ihm. Doch der Unglückliche hatte keine Thräne, keinen Seufzer, keinen Laut! Seine Augen sogen mit jedem Augenblicke mehr so unnennbare Qualen ein, daß es dafür kein Zeichen in der Sprache giebt: sie starb – sie war schon halb verklärt – vielleicht sanken im nächsten Augenblicke diese Augenlieder, und sie war todt!

»Ach, Leonin, ich wußte es wohl, wie Du traurig sein würdest! Aber Gott will es – er hat mir gesagt, ich könne nicht länger leben; – aber für Dich und unser Kind wolle er sorgen – und da bin ich denn ruhig und will zu ihm gehen, da er es will.« – Nach einer Pause fuhr sie leise fort, indem sie versuchte, den Kopf gegen Leonin zu beugen: »Ich glaube dabei heimlich, die Trennung wird so streng nicht sein; – denn, obwol mir Gott Nichts sagt, denke ich doch, ich werde noch zuweilen bei Euch sein.« Sie lächelte dabei so süß beglückt, als habe sie Gott dies kleine Geheimniß abgelauscht.

»O, nimm mich mit!« rief Leonin und stürzte sich mit dem Kopfe auf das Kissen, worauf ihre Füße ruhten. –

»Ja, das dachte ich auch – und wußte wohl, wie gern Du es gemocht hättest; – aber Gott will nicht. – Du sollst noch Vieles erleben – ich kann das nie begreifen; – denn meine Gedanken haben keine Kraft mehr; – aber das weiß ich wohl – Du sollst leben!«

Leonin weinte nun. Er fühlte eine leichte, aber kalte Hand über seinen Kopf streichen – er hob sich auf – Fennimor hatte versucht, sich nieder zu beugen; – noch immer hatte sie die reichen Locken, die wie eine Glorie leuchteten – sie beschatteten fast ihr feines Antlitz.[242]

»Leonin,« sagte sie kaum hörbar – »ich wollte Dich noch so herzlich lieben – weil Dich die Welt da draußen so trostlos läßt – Du kamst zu spät, ich habe keine Zeit mehr!«

Ihr Kopf war auf Leonins Gesicht gesunken – er hielt sie im Arme – das Kind lag glühend wie eine Rose, mit seinen eignen Händchen spielend, in ihrem Schooße. –

»Fennimor, geliebte Fennimor, o stirb nicht – stirb nicht, ehe Du mir vergeben hast!«

»Du hast mich so sehr geliebt und immer liebst Du mich!« stammelte sie leise. – »Ich komme, mein Vater!« – fuhr sie mit freundlichem Engelslallen fort – »Du hast mein Bitten erfüllt – ich habe ihn wieder – nun halte ich auch Wort – nimm mich hin, mein Gott! – Mein süßes, kleines Kind! – Mein Leonin! – Mein Vater, ich komme!« –

Das bleiche Haupt, das auf seinem Antlitze ruhte, ward kalt und schwer. Er fühlte ein leises Zittern durch ihren Körper – dann war Alles still und ruhig; – aber sie ward immer schwerer – er wußte Alles – aber er hielt sie fest. – Es war selbst ihr entseelter Körper noch ein Schild gegen den Wahnsinn, der ihn bedrohte.

Da war das Kind leise nach dem Kopfe seiner Mutter hingekrochen; – es wollte sich an ihr aufrichten; aber der leblose Körper gab nach, das Kind fiel in Leonins Arme.

Instinktartig faßte er das schöne, kleine Wesen, das nun die Locken seiner Mutter ergriff und im freudigen Lallen an ihr hinaufsteigen wollte. Die Bäuerin trat hinzu, sie nahm das Kind in ihren Arm und lehnte Fennimor sanft in den Lehnstuhl zurück. Da erfuhr auch sie, was geschehen, und winkte den fern stehenden Arzt herbei, während Leonins Kopf auf Fennimors Füße sank in jener glücklichen Betäubung, die uns gegen jeden Schmerz unempfindlich macht. Der Arzt legte die Hand auf Fennimors kalte Stirn, er suchte ihren Puls – er[243] hatte aufgehört zu schlagen! Lange betrachtete er das süße, bleiche Engelsantlitz, dann reichte er dem Vikar die Hand, der indessen mit Veronika herein getreten war. »Gönnen wir es ihr!« sagte er milde.

»Laßt uns beten!« erwiederte der erschütterte Vikar – und Keiner hielt seine Thränen zurück.

Doch ward diese milde Stimmung rauh unterbrochen durch Emmy's plötzlichen Eintritt. Keiner wagte ihr das Geschehene mitzutheilen; forschend blickte sie die Weinenden an – sie stürzte gegen den Stuhl – sie ergriff Fennimors leblose Hand und stieß einen wilden Schrei aus. Jetzt erblickte sie Leonins fast eben so leblose Gestalt.

»Mörder! Mörder!« schrie sie – »bist Du gekommen, ihr den letzten Athem zu stehlen? Bösewicht, treffe Dich Gottes Gericht – sein Fluch!« –

»Halt!« rief der Vikar – »stört den heiligen Frieden dieses Engels nicht! Bezwingt Euer ungestümes Herz! Seht Ihr nicht auf diesem Antlitze, daß sie vergebend gestorben ist?«

»Vergebend? ihrem Mörder vergebend?« schrie Emmy Gray. – »Nein, nein, ich will es nicht denken! Sie darf ihm nicht vergeben! Niemals, niemals darf der Fluch dieser That von seinem Haupte genommen werden!«

Mit Entsetzen sahen Alle, daß der Schmerz, der Haß, den sie, so lange Fennimor lebte, zurück gepreßt hatte, jetzt mit der wilden Gewalt der Verzweiflung hervorbrach. Mitleiden und Entsetzen kämpfte in Aller Brust.

Emmy's Augen leuchteten wild – sie richtete sie auf Leonins Gestalt, als hoffte sie ihn damit zu tödten. »Bringt ihn weg von ihr! fort, fort! Er hat kein Recht mehr an ihr! Er darf sie nicht berühren! Sie wird entehrt durch seine Nähe!« –[244]

»Faßt Euch!« sagte streng der Arzt – »Ihr handelt thöricht und hart! Seht Ihr nicht, daß er fast des Lebens schon beraubt ist?«

»Ha, Ihr tretet auf seine Seite? Ihr habt das Elend schon vergessen, das er gestiftet? Ihr mögt ihm verzeihen? Nun denn, so seid Ihr so schlecht, als er, und auch von Euch will ich mich lossagen! Fort von allen Menschen, fort! Aber mein Fluch bleibt ihm und Allen, die ihn vertreten wollen. Er werde an Allem erfüllt, was er noch zu besitzen und zu lieben wagt! Mein Leben will ich erhalten zur Mahnung seiner Sünde – mein Tagewerk soll sein, ihn mit meinen fluchenden Gedanken zu verfolgen!«

Sie stürzte in das Heiligthum ihres Lieblings, in Fennimors Kabinet. Dort hörte man einen Fall. Die Frauen wollten ihr nach. »Laßt das,« wehrte ihnen der Arzt – »ihre rauhe, unbezähmbare Natur bedarf des Ausbruches – wir könnten ihr nicht helfen!«

»So laßt uns beten!« wiederholte der Vikar – und Alle knieten jetzt um Fennimors verklärte Leiche.

Der Vikar sprach Gebete aus seinem Herzen, in der Form des gewöhnlichen Sterberituales. Es schien, er sprach sie über zwei Leichen; denn Leonin blieb bewegungslos liegen, und über ihm stiegen dieselben frommen Worte empor, wie über Fennimor. Und dennoch hatte der Unglückliche nicht aufgehört zu leben. Langsam knüpfte sich sein Bewußtsein an die Worte wieder an, die zu Anfange bloß sein Gehör erreicht. Aber er schauderte, als er sein wiederkehrendes Leben bemerkte; denn er fühlte nur die Verzweiflung, die alle Stützen niederreißt und Nichts, als den Willen übrig läßt, so elend zu sein, daß jede Rettung unmöglich wird. Mitten in den Gebeten des Vikars richtete er sich auf; er blickte Alle an, und aufs neue sank sein Kopf in Fennimors Schooß. Sein Anblick hatte den versöhnenden[245] Eindruck gewährt, wenn die gerechte Strafe, als Vergeltung schwerer Vergehungen, das schuldige Individuum trifft und ihn damit von dem Hasse seiner Mitmenschen zu erlösen scheint. Das göttliche Mitleiden gewann wieder Raum in der Brust der schwer beleidigten Freunde Fennimors. – Der Vikar segnete die Leiche ein und bat alsdann um Gnade für ihren leidenden Gatten, um Schutz für das verwaiste Kind. Die Versöhnung lag darin – er setzte voraus, daß sie, wie bei ihm, so bei allen Anwesenden eingekehrt sei, und sprach damit das Gefühl Aller aus.

Sie erhoben sich. Die Bäuerin, die zunächst an Fennimors Seite kniete und das schlafende Kind an ihrem Busen trug, sagte in ihrer schlichten Weise: »Herr Vikar, ich war dabei, als unsere gnädige Frau Gräfin ihren Gemahl empfing. Sie war voll großer Liebe und nur traurig, daß sie nicht Zeit behielt, ihn genug zu lieben. Das wollte ich nur sagen, daß wir jetzt des armen Herrn gedenken möchten, nach ihrem Willen.«

»Es soll geschehen,« erwiederte der Vikar ernst. – Er nahte sich mit dem Arzte dem Unglücklichen und redete ihn bei seinem Namen an. Leonin fuhr zusammen – er blickte entsetzt empor.

»Fennimors Freunde,« stammelte der blasse Mund, »Ihr könnt kein Erbarmen mit mir haben!« –

»Wir haben kein Recht, Euch zu richten. Gott vollführt das in Euch – er möge uns Allen gnädig sein!« sprach der Vikar. – »Und dieser Engel hat vergeben – seht, es steht auf ihrer heiligen Stirn!«

Leonin blickte hin – die Locken lagen nun getheilt und zeigten frei das erblaßte, himmlische Antlitz. Es hatte den Frieden der höheren Welt – die Glückseligkeit erreichter göttlicher Gemeinschaft! Es hatte noch immer denselben Karakter, wie in den Wäldern von Stirlings-Bai. Es war ein süßes,[246] lächelndes Kind mit einem Heiligenscheine. Leonin's Blick, der dies Bild vollständig auffaßte, ward die hell leuchtende Fackel, die mit jähem Lichte sein ganzes Leben überblitzte. Ein inhaltloses Gewebe zwischen Reue und Sündigen trat hervor – Fennimor sein größtes Verbrechen, sein einziger, höherer Lichtblick!

Er stand auf und fühlte mit Entzücken, daß er krank war. Beide Männer hielten ihn. »Fennimor, mein Weib, Du hast mir vergeben, und Du bist gerächt!«

Er gab nach, als man ihn bat, weg zu gehen – er fühlte sich durch seine Schuld unberechtigt und scheu, den Freunden zu widersprechen; dabei nahmen stechende Schmerzen in Brust und Kopf sein klares Bewußtsein ein. Er verließ ihren heiligen Anblick und blieb davon getrennt. Der Arzt sorgte, daß er sich in seinem Zimmer niederlege, und war schnell über seinen Zustand im Klaren. Lange schon hatte das Gift der Krankheit ihn durchschlichen, willkommen der Gelegenheit brach es aus.

Indessen ordnete Veronika mit jungfräulichem Sinne die Bestattung Fennimor's. Nur schwer trennten sich Alle von der unverändert bleibenden Leiche. Das Gewölbe, in welchem die fromme Königin Claudia in einsamer Stille ruhte, war schön und heiter aufgeräumt. Hier ward Fennimor's Sarg aufgestellt, bis die Gruft gemauert war, welche die Freunde an der Stelle graben ließen, wo die holde Frau, wie sie sagten, gestorben war: unter dem Fenster, in dem kleinen blühenden Garten, den sie selbst angeordnet, und über den hinweg sie Leonin's Reisezug verfolgte, als Souvré ihren Blick darauf hinleitete. Unter grünem Rasen, unter ihren Blumen, die sie so liebte, sollte ihre schöne Hülle ruhen.

Mit großer Sorge erfüllte Emmy's Zustand die bekümmerten Freunde. Ihr Schmerz fand keine Milde – er verhärtete[247] und erbitterte ihr leidenschaftliches Herz. Sie schien sie jetzt Alle zu hassen und wies mit Zorn und Wildheit jeden Versuch, ihr näher zu treten, zurück. Das Kind entführte sie fast den Uebrigen und eifersüchtig entzog sie es den Blicken Aller. Die Amme mußte sich mit ihr absperren, und nur sie durfte das Nöthigste für die Unglückliche besorgen. Als die Bestattung vorüber war, schloß sie die Räume und wehrte Jedem den Eingang.

Indessen lag in einem fernen Theile des Schlosses der unglückliche Herr desselben tödtlich erkrankt darnieder, und Veronika, der Vikar und der Arzt erfüllten theilnehmend die Pflichten der Menschheit gegen ihn. Viele Wochen verstrichen, der Zustand blieb gleich bedenklich! Alle Boten mußten ohne Antwort zurück, alle Briefe aus Paris blieben unerbrochen an seinem Bette liegen – ihm fehlte die Besinnung. Endlich erschien sein Kammerdiener; er theilte stumm und traurig die Dienstleistungen und schrieb den Zustand sei nes Herrn; denn Niemand hatte sich geneigt gefühlt, diesen Dienst für die Verachteten zu übernehmen. Bald traf der Leibarzt des Hauses Crecy ein – er sah den zweifelhaften Zustand, mußte die Hülfe des Arztes von Ste. Roche für ausreichend anerkennen und kehrte zurück.

Die Jugend siegte; Leonin genas. Aber er ward unter seinem wiederkehrenden Bewußtsein ein Greis. Sein schönes braunes Haar fing an zu erbleichen, seine Gestalt beugte sich, seine Abzehrung war erschreckend. Er saß Tagelang in dem kleinen Garten und sah, wie die Arbeiter Fennimor's Gruft gruben. Er fragte dem übrigen Leben nicht nach – der Arzt rieth Allen, ihn zu schonen. Standhaft weigerte sich Emmy Gray, ihm sein Kind zu zeigen; sie verrammelte ihre Thüren, und nur, wenn er in dem kleinen Garten saß, hörte er zuweilen sein Kind durch das geöffnete Fenster jauchzend lallen. Dann[248] schauderte er zusammen und streckte die Arme seufzend hinauf; wenn er aber hörte, daß Emmy es ihm verweigerte, sagte er: »Ich habe auch kein Recht, es zu fordern!« und that die Sehnsucht zu seinen übrigen Schmerzen.

Er war jetzt einen Monat in Ste. Roche, und der Kammerdiener, durch die verschiedensten Aufforderungen von Paris gedrängt, versuchte, ihn zur Rückkehr zu bereden. Leonin schwieg, wie immer, zu diesem Drängen, und der arme Mann wußte sich keinen Rath mehr; er mußte glauben, sein Herr habe das Gedächtniß verloren; denn auch die Briefe, die der Kammerdiener ihm überreichte, blieben unerbrochen und, wie es schien, ohne auch nur entfernt sein Interesse zu wecken. Endlich glaubte er, die Hülfe des Arztes und des Vikars nicht mehr entbehren zu können – er bat sie um ihren Beistand, und Beide verhießen ihn.

Leonin hörte sie, vor Fennimor's Gruft sitzend, ruhig an, und sein Auge schien den Grund durchdringen zu wollen, der nun bald zur Aufnahme des Sarges bereit war. »Sie sollen meinen Sarg einst neben den ihrigen stellen,« sagte er endlich mit großer Anstrengung.

»Diese Bestimmung wird, wenn Ihr es wünscht, leicht zu erfüllen sein,« erwiederte der Vikar. »Doch laßt Allem sein Recht! Habt Ihr über Euren Tod bestimmt, so bestimmt jetzt auch über Euer Leben. Denkt, wie Viele noch Ansprüche an dasselbe haben – wie Viele Eurer Fürsorge anvertraut sind!«

»Ich sorge, denke ich, am besten für sie, wenn ich sie nicht wiedersehe!« seufzte Leonin. – »Was kann ich ihnen noch sein? Ich finde ein entehrtes Weib, ein beschimpftes Kind. Ich müßte eine Mutter wiedersehen, die mich nie geliebt und meine elende schwache Natur nur als Mittel zu ihren Zwecken gemißbraucht hat. Was ich empfinde, kann den dortigen Zuständen nicht zu[249] Hülfe kommen; – es ist besser, ich verschmachte hier, Allen dort ein Geheimniß bleibend!« –

»Lieber Herr,« unterbrach ihn der Vikar – »dies ist sicher ein großer Irrthum! Und ich rede um so ernster und dringender mit Euch, da ich gewiß weiß Fennimor, die Verklärte, würde eben so in Euch dringen. Ihr müßt Euch der Liebe, der Vergebung jetzt würdig zeigen, die sie Euch ertheilte. Denkt an Eure unschuldige, jetzt rechtmäßige Gemahlin! Könnt Ihr Fennimor's gebrochenes Herz beleben dadurch, daß Ihr sie auch hinsterben laßt in Gram und Sorge?«

Erschüttert blickte Leonin auf. »Die arme Viktorine,« seufzte er – »sie hat es eben so wenig verdient! – Mutter, Mutter, Du hast alles Böse in mir, in meinem Schicksale gesäet! Gott mag es Dir vergeben, ich kann es noch nicht!«

»Wie könnt Ihr Euch unversöhnlich zeigen, da Fennimor es nicht war?« sprach der Arzt. »Es ist Eure Mutter, junger Mann! Die Verpflichtung hört nie auf, die Kinder gegen sie haben. Oft werdet Ihr Euren Willen behauptet haben – macht sie nicht verantwortlich dafür, wo Ihr hättet widerstehen müssen!«

»Leset diesen Brief, Herr Graf,« fuhr der Geistliche fort – »er ist seit längerer Zeit für Euch angekommen, – und entscheidet Euch dann für Eure Rückkehr!«

»Und mein Kind?« rief Leonin, indem er den Brief seiner Gemahlin erbrach.

»Herr Graf,« sagte der Arzt – »wir müssen die Unglückliche schonen, die es jetzt eifersüchtig behütet. Wir hätten mehr zu fürchten, als wir verantworten könnten, wenn wir uns jetzt in ihren wilden, harten Schmerz drängten. Gut aufgehoben sind die ersten zarten Jahre des Kindes bei ihr; wir sind ihr alle ein besonderes Zeugniß ihrer Tüchtigkeit schuldig und behalten jedenfalls einen Ueberblick, den sie mir namentlich, als[250] Arzt nicht entziehen wird; da sie weiß, daß sie mich nöthig haben kann.«

Leonin schwieg noch immer; aber als die Freunde sahen, daß er seine Augen auf den entfalteten Brief richtete, zogen sich Beide zurück, in einiger Entfernung ihn beobachtend.

»Die Trennung, in der wir plötzlich leben,« schrieb Viktorine – »wird mir nicht hinreichend erklärt durch das, was man mich will glauben machen. Ihre Abreise konnte nur durch ein besonderes Ereigniß motivirt werden. Sie hätten mich um geringer Ursache Willen nicht verlassen, Ihre Familie nicht in Verlegenheiten gestürzt, die für Sie wichtig sind. Man sagt jetzt, Sie wären krank, und hält mich doch zurück, zu Ihnen zu reisen. Ich werde Ihre Antwort erwarten und hoffe, daß Sie mir selbst die Erlaubniß geben, zu Ihnen zu kommen, wenn Ihre Gesundheit Ihre Abreise verzögert; denn dann ist mein Platz bei Ihnen, und ich habe keine höhere Pflicht, darf auch meiner eignen Gesundheit jetzt schon vertrauen.

Lassen Sie nichts Fremdes zwischen uns treten; – ich weiß Ihnen kaum auszudrücken, wie seltsam mich das berührt, was wie ein Geheimniß plötzlich zwischen uns tritt. Lassen Sie mich – was es auch sei – den mir zustehenden Platz Ihrer Freundin einnehmen. Ich traue hier Niemandem, ich höre mit Widerwillen und Mißtrauen, was man mir von Ihnen sagt – ich kann es Niemandem beweisen, und doch fühle ich, es ist nicht wahr!

Ihnen will ich glauben und gehorchen – – antworten Sie nicht, reise ich ab. Gott behüte Sie!

Viktorine


»Antworten Sie nicht – reise ich ab,« rief Leonin – »o nein, das darf nicht sein! Hier darf ihr Fuß nicht rasten – hier kann ich sie nicht wiedersehen!«[251]

»So müßt Ihr also zu ihr,« sagten die beiden Freunde, die wieder näher traten – »dies edle Wesen darf nicht in die Verwirrung verflochten werden, die ihr hier nicht zu entziehen wäre. Schont wenigstens sie noch! Ihr rettet nicht, was Euch verloren, wenn Ihr sie auch aufopfert.«

»Ach, meine Freunde,« seufzte Leonin – »ich unterziehe mich Eurem Ausspruche; denn ich habe kein Recht mehr, nach dem Einzigen zu greifen, was mir wohlthun könnte. Aber der Fluch, den ich auf mein Haupt herabgezogen, wird alle Verhältnisse berühren, in die ich zu treten wage. Ich werde Viktorine durch meine Rückkehr zu schützen suchen; aber mein Anblick, mein zerstörtes Innere wird ihr nicht zu entziehen sein, und wenn sie Erklärung fordert, werde ich ihr die Wahrheit verhüllen und sie damit von mir fern halten, oder ich werde sie ihr gestehen und sie damit rettungslos unglücklich machen.«

Die beiden Männer schwiegen gerührt – erschüttert von dem Zustande des Unglücklichen, und hauptsächlich durch die Ueberzeugung bewegt, daß er der Kraft ermangeln werde, seinem verworrenen Leben eine versöhnende Gestaltung zu verschaffen. Doch waren Beide, so lange er noch mit ihnen zusammen war, bemüht, ihn in seiner abgespannten, düstern Stimmung zu stützen und ihn zu einer schonenden Zurückhaltung gegen seine unglückliche Gemahlin zu bestimmen; da sie nach dem, was sie über den edeln, aber festen und stolzen Karakter der jungen Gräfin vernommen hatten, nur annehmen konnten, daß die Erkenntniß ihres unberechtigten, durch den größten Frevel entweihten Verhältnisses, sie zu einer entschiedenen Trennung führen werde, die Beide dann gleich unglücklich machen mußte. Aber Alle blieben über den Erfolg ihrer Bemühungen unsicher. Es war neben einer kalten Verachtung des Lebens eine Bitterkeit, eine Geringschätzung gegen die Menschen und Zustände, die ihn früher beherrscht hatten, eingetreten, die[252] sie mit Bedauern seiner geringen religiösen Entwicklung zurechnen mußten, und die ihnen wenig Hoffnung für seine Zukunft gab.

Wir verlassen ihn hier, um zu erfahren, wie die Verhältnisse sich gestaltet, denen er in dieser Stimmung entgegen ging.


Wenn wir die Zeit noch ein Mal auffassen, die wir uns bemühten, in ihren ungewöhnlichen Zuständen darzustellen, und wenn wir uns erinnern, welchen Standpunkt der König in dieser Steigerung aller Verhältnisse, mit einer, unsere Begriffe fast überbietenden Ausdehnung, einnahm, so werden wir vielleicht begreifen, welchen Eindruck eine persönliche Beleidigung gegen diese geheiligte Person, eine anscheinende Nichtachtung ihrer Herablassung hervorbringen mußte.

Monsieur erschien augenblicklich, obwol es nicht die Stunde für ihn war, beim Könige, und Ludwig war so erstaunt, so zweifelnd an der Möglichkeit einer solchen Beleidigung, daß er unruhige und verlegene Blicke auf die erhitzten Züge seines Bruders richtete, unsicher, wie es schien, über das Befinden desselben. Aber er mußte sich endlich entschließen, diesen Angriff auf seine unbestrittene Würde anzuerkennen, und in demselben Momente diktirte er auch zugleich die Strafe. Der König entließ den jungen Grafen seiner Funktionen bei der Königin – der ganzen Familie wurde angezeigt, daß sie sich des Hofes zu enthalten habe.

Der Marschall harrte vergeblich mit hartnäckiger Verzweiflung an den Stufen des königlichen Schlosses auf die Gewährung der flehenden Bitte: auf seinen Knieen um Verzeihung bitten zu dürfen. Niemand hatte Muth, auch nur den berühmten Namen des Marschalls zu nennen. An ein solches Majestätsverbrechen[253] erinnern, hieß sich dessen theilhaft machen. Außer der feierlichen Sendung, die der Familie ankündigte, daß sie in Ungnade gefallen, betrat Niemand mehr die Schwelle des geächteten Hauses, und der König schien vergessen zu haben, daß es eine Familie des Namens gäbe; er wußte, daß er sie damit auslöschte und grenzenlos strafte.

Gedenken wir jetzt der Marschallin von Crecy, so werden wir gestehn müssen, daß sie mit der einzigen Geißel gezüchtigt wurde, deren Schläge sie fühlte und nicht von sich abzuhalten wußte. Sie versuchte die beste Stellung zu nehmen, die noch möglich wäre; aber es war nur die eine übrig, die sie aus allen bisher behaupteten Vortheilen und Ansprüchen verdrängte und ihr bis in die intimsten Verhältnisse ihres Hauses, bis zu ihren, jetzt minder ehrerbietigen Domestiken herab, eine Kette von bitteren Kränkungen bereitete, wie sie das Dasein derselben für sich unmöglich gehalten hatte. Diese Leiden wurden noch vermehrt, indem sie jeden Augenblick erwarten mußte, der wahre Grund von Leonin's Entfernung werde zu Tage kommen. Die gutmüthige Herzogin von Lesdiguères, der man nicht den Hof verboten hatte, die aber zu stolz und zu ehrlich war, ihn zu besuchen, während die Familie ihrer Tochter in Ungnade war, bestürmte die Marschallin mit Vermuthungen und Nachforschungen, welche diese, so lange als möglich, ausweichend beantwortete; endlich aber ihr, wie der bekümmerten Viktorine erzählte, daß Leonin, von einer seiner hypochondrischen Launen ergriffen, außer sich, daß die Ceremonie Viktorinen schaden würde, und empört über die Nothwendigkeit, sie zulassen zu müssen, die Flucht ergriffen habe und ohne Gepäck, ohne Bedienten, in einer einfachen Hofkarosse nach Ste. Roche geeilt sei, wo es sich wirklich gezeigt, daß er im Fieberwahnsinne abgereist, da er dort sogleich tödtlich erkrankt sei. Viktorine wollte ihm jetzt nachreisen; aber die Aerzte unterstützten die Weigerung[254] der Aeltern. Sie mußte zwar nachgeben und bleiben, aber mit erhöhtem Mißtrauen und in großer Bekümmerniß um ihren Gemahl.

Dagegen schlug die Marschallin vor, nachdem die ersten vier Wochen für ihre Schwiegertochter vorüber waren, daß beide Familien sich nach Moncay, dem schönen Schlosse der Marschallin, was doch einige zwanzig Lieues von Paris lag, begeben sollten. Schon waren alle Vorkehrungen dazu getroffen, welche die Marschallin mit Ungeduld betrieben, da sie in der veränderten Existenz, die sie an Paris band und ihr Versailles, das Feld aller ihrer früheren stolzen Ansprüche verschloß, es kaum zu ertragen vermochte, als sie aufs neue sich in ihren Plänen durchkreuzt sah, und ihr die wenig gekannte Lehre gegeben ward, von den Umständen beherrscht zu werden.

Am Tage vor der Abreise meldete man ihr, daß der Marschall plötzlich in seinem Zimmer einen bösen Fall gethan habe, und der Hausarzt ihm bereits zur Ader lasse. Die Marschallin grollte zwar heftig darüber, fühlte aber doch, daß sie sich zu ihm begeben müsse, innerlich fest entschlossen, diesem Ereignisse keinen Einfluß auf ihre Abreise zu gönnen, da sie sich jeden Tag fast mit Empörung in Paris erwachen fühlte.

Mit vollständig schmollender Miene, fest entschlossen, ihn auszuschelten und ihm ihre Abreise anzukündigen, trat die Marschallin in seine verhaßten Gemächer; und ihre Laune ward nicht verbessert, als die Domestiken ihres Gemahls, ohne sie zu beachten, weinend und händeringend an ihr vorüber stürzten, wie es schien, dringende Befehle zu vollführen. Als sie das Schlafgemach des Marschalls betrat, blieb sie horchend stehen; der Kaplan mit einigen Gehilfen, der Arzt, knieend und den Marschall im Arm, umgaben das Bett; – aber das Röcheln des Todes war ein zu verständlicher Laut, um Zweifel zu lassen über das, was vorging. Mit steifen Knien schob sich die[255] Marschallin näher. »Was geht hier vor?« rief sie entsetzt, mit rauher Stimme. – Niemand antwortete. – »Marschall, Marschall, was habt Ihr gemacht? Erholt Euch! Faßt Euch! Seid ein Mann!« so rief sie, schon von der Wahrheit überzeugt, ihrer Erregung nur in zürnender Weise sich entledigend.

»Das war er, ein ganzer Mann!« sagte der Arzt und legte ihn auf sein hartes Kissen zurück; – »aber Männer müssen auch sterben!«

»Sterben!« rief die Marschallin – »Herr Doktor, Ihr fabelt, Sterben, er war diesen Morgen noch gesund – ein kräftiger Mann!«

»Ueberzeugen sie sich selbst, Frau Marschallin,« sagte der Arzt zurücktretend – »hier findet der menschliche Wille eine Grenze, die auch Ihro Gnaden nicht abändern können. Ein Schlagfluß hat einen an sich nicht tödtlichen Fall veranlaßt – es floß kein Blut mehr, obwol ich schon im Palais war, als der Zufall eintrat.«

Die Marschallin trat näher und schauderte zurück vor dem starren Gesicht ihres Gemahls, das sie nie geliebt. Er hatte seine eiserne, zürnende Miene, und sie konnte sich nicht überwinden, ihn zu berühren; ihre natürliche Härte war durch die Erlebnisse der letzten Zeit so gesteigert, daß sie um den Preis der Welt kein mildes Wort, kein Zeichen der Rührung zu geben vermocht hätte. Sie fühlte blos mit unendlichem Grolle, wie aufs neue ihre Vorsätze scheiterten, und sah in ein Gebiet von Erscheinungen, von denen es noch ungewiß blieb, ob sie ihr günstig oder störend sein würden.

»Ein Ehrenmann! ein großer Held! ein vollkommener Edelmann!« sprach sie endlich kalt – »eine Stütze des Thrones, von dem doch seine letzte Kränkung ausging. Jetzt kann man ihm keinen Wunsch mehr abschlagen – jetzt wird sein Name doch bis zu den Ohren dessen dringen, dessen Kindheit er schützen[256] half! – Meine Herren,« fuhr sie fort – »Sie werden die Vorbereitungen zu den Feierlichkeiten machen, die in unsern erlauchten Häusern Sitte sind – ich werde die Hausoffizianten kommandiren, Ihnen beizustehen. Der Intendant wird das Schema der Ceremonie empfangen. – Ihr, Herr Kaplan, werdet in meinem Namen dem Herrn Erzbischof von Noailles die Anzeige von diesem Todesfalle machen; ich hoffe, er wird sich erinnern, was er dem Hause Crecy-Chabanne schuldig ist. – Ein Courir muß nach Ste. Roche abgefertigt werden.« –

Nach diesen Anordnungen verließ sie das Sterbezimmer ihres Gemahls und schritt mit kalter, strenger Miene an der weinenden Dienerschaft vorüber; ehe sie ihre Gemächer erreichte, hatte sie genau alle Vortheile dieser neuen Lage der Dinge übersehen, und ohne sich es einzugestehen, fand sie doch, dem alten, lebensmüden Greise sei die Ruhe zu gönnen, und der Augenblick dazu könne den Umständen eher günstig, als nachtheilig werden.

Ihre erste Sendung war nach dem Herzoge von Lesdiguères. Er ward beauftragt, dem Könige die Meldung dieses unerwarteten Todes zu machen.

Mit einer Fassung, die ihrem gleichgültigen Herzen sehr natürlich war, gab sie ihre Befehle zu der großen Umwandlung des Hauses. Vom Portale des Schlosses, welches das große Trauerwappen trug und von zwei mit Flor behangenen Herolden bewacht wurde, bis zu den Wohngemächern hinauf, ward das ganze Haus schwarz ausgeschlagen. Alle Livreen verschwanden, die dienenden Frauen zeigten keine Farben, und die Damen der Familien keuchten unter langen Trauerkleidern, Kappen und Schleiern.

Der größte Saal des Palais war mit schwarzem Sammet so fest verhangen, daß kein Strahl des Tages eindringen konnte. Hunderte von Kerzen ersetzten das Licht der Sonne. Die[257] einbalsamirte Leiche des Marschalls stand auf Stufen erhöht; seine Orden, der Marschallstab, Degen, Sporen und Helmsturz ruhten auf Tabourets um den Sarg vertheilt, an denen zahllose Pagen, mit Trauerflören und Wachskerzen in den Händen, in unbeweglicher Stellung Wache hielten.

Diesen Kreis umgaben den ganzen Tag von früh bis spät eine Abtheilung Mönche mit einigen fungirenden Priestern, welche die Gebete und einweihenden Funktionen verrichteten; denn der Erzbischof von Noailles hatte nicht vergessen, was er dem Hause Crecy-Chabanne schuldig war, und die Meldung dieses Todes war mit den gehörigen Weisungen an die dazu bestimmten Klöster ergangen. Die ganze Dienerschaft des Marschalls löste sich außerdem noch an dem Sarge ab, während die Chorknaben der Prozessionen in angemessenen Pausen den Sarg mit ihren Weihrauchbecken umzogen und Alles in betäubende Düfte hüllten.

Die Marschallin schien mit großem Takte ihre augenblickliche Stellung zu Hof und Adel vergessen zu haben. Die Trauerboten zogen mit der Todesmeldung durch alle Häuser, die durch ihren Rang auf diese Auszeichnung Anspruch machen konnten. Einen Augenblick hielt die ganze Korporation den Athem an und richtete die Augen nach dem Schlosse von Versailles. Es ward aber sogleich bekannt, daß der Herzog von Lesdiguères eine gnädige Audienz beim Könige gehabt, und der großmüthige Monarch seinen Unwillen nicht über das Grab hatte ausdehnen wollen. Der Herzog von Gêvres und der Prinz von Courtenaye bekamen Befehl, zur Beileidsbezeigung sich in das Trauerhaus zu begeben. Dies war die wohlverstandene Loosung für Alle Uebrigen, und die Königinnen und Prinzessinnen an der Spitze, die ihren Hofstaat beorderten, belagerte nunmehr der Adel in allem Pompe der Trauer das Palais Soubise.[258]

So war dies vor kurzem verödete Haus, jetzt seines Oberhauptes beraubt – damit zu seinem alten Glanze zurückgekehrt, und die Marschallin fühlte den bittersten Haß gegen die bezwungene Menge und den stolzesten Triumph über die gefügigen Schritte, womit Alle jetzt genöthigt waren, ihr entgegen zu kommen, nachdem sie es gewagt, sie zu verlassen.

Sie saß unter ihrem schwarz verhangenen Thronhimmel in der lästigen, steifen Trauerkleidung die üblichen Stunden des Empfangs, ohne ein Zeichen des Lebens, als die jedesmalige Neigung des Kopfes, wenn die herkömmlichen Beileidsbezeigungen an sie gerichtet wurden. Rechts saß die arme, weinende, kindlich betrübte Louise – links ihre erschütterte Schwiegertochter. Die nahen Verwandten schlossen sich sitzend auf beiden Seiten an; – nur die Hofchargen empfing die Marschallin stehend mit geziemender Ehrfurcht.

Und der, der bei diesem wichtigen Vorfall am meisten betheiligt war – Leonin, das nunmehrige Oberhaupt der Familie Crecy-Chabanne, fehlte noch immer!

Alle Boten, alle Briefe brachten keine Antwort zurück, oder wurden nur von einigen unvollkommenen Briefversuchen des Kammerdieners erwiedert, die der Intendant der Marschallin nicht selbst vor die Augen der Familie zu bringen wagte, und deren Gesammtinhalt, mündlich von ihm mitgetheilt, Alles in einer solchen Dunkelheit ließ, daß die Marschallin ihrer vollen Unruhe überlassen blieb.

Doch was litt die edle Viktorine in dieser Zeit! Aufs neue durch die Regeln der Trauer an ihr düsteres Schloß geknüpft, gab jeder Tag ihr neue, tiefere Leiden und hemmte die kräftigen Maaßregeln, die sie ohne Zweifel ergriffen hätte, wäre sie nicht daran behindert gewesen durch dies Ereigniß, dessen bindende Gewalt sie aus Liebe zu dem verstorbenen Marschalle sich doppelt gezwungen fühlte zu ertragen.[259]

Jede Stunde, die sie von den Audienzen erlöst blieb, brachte sie bei ihrem Kinde zu, dessen Gesundheit und kräftige Gestaltung ihr Trost und Hoffnung einflößte; hier, über der Wiege ihres Kindes, fand sie auch die einzige Freundin ihres Herzens, die edle, milde Marquise de Sevigné. – Obgleich im Alter weit auseinander gerückt, wußten doch Beide von diesem Unterschiede nichts. Sie war die einzige Frau an diesem Hofe, der Viktorine nachgegangen war, und um deren Aufmerksamkeit und Liebe sie sich kindlich weich und hingebend bemüht hatte. Die edle Frau hatte zu Anfange das lebhafte, kecke Mädchen, die ihr gegenüber so still und demüthig ward, mit Antheil betrachtet; als sie ihr verständiges und strenges Verfahren als Hofdame der Königin sah, hatte sie sie geachtet und ihr endlich ein Vertrauen gewidmet, welches zu einer mütterlich zärtlichen Freundschaft ward, deren Beweise immer inniger hervortraten und in der gegenwärtigen Periode, die ihren Liebling in Ungewißheit und Kummer stürzte, diese zu einem Gegenstande ihrer Sorgfalt machten – einer Sorgfalt, die, von dem Geiste der mildesten Schonung belebt, von Erfahrungen unterstützt, nicht verweichlichte oder verhärtete, sondern Viktorinens edle, freie Gesinnungen unverkümmert erhielt.

Viktorine war eine zu geschlossene, züchtige Seele, um selbst ihrer vertrautesten Freundin ein Gespräch über das nähere Verhältniß zu ihrem Gemahle gestatten zu können. Die Marquise verstand und ehrte diese keusche, weibliche Natur und kannte die Gefahren, in der Ehe Vertraute haben zu wollen, zu gut, um nicht dieser Gesinnung mehr eine Stütze, als ein Hinderniß zu sein. Aber es entging ihr nicht, daß Viktorine die Ruhe des Vertrauens verloren hatte, mit der man allein das Geheimniß des Glückes gewinnt. Ueberzeugt, daß diese Gabe uns nur selten auf lange verliehen ist, und uns aufgegeben bleibt, uns zu resigniren und die würdige Gestaltung eines[260] ehelichen Verhältnisses damit nicht aufzugeben, sondern darüber hinaus ihm einen so edeln und achtungswerthen Karakter zu sichern, daß die Rückkehr des Glückes immer möglich, wir wenigstens seiner werth bleiben – bemühte sich die geistreiche Frau, nur mit allgemeinen Andeutungen Viktorinens Geist in diesem Sinne zu erweitern.

»Es schien mir, meine Liebe,« sagte sie zu der wehmüthig über ihr Kind gebeugten Viktorine – »daß der Marschall manche Elemente in sich trug, die, von Ihrer Frau Schwiegermutter nicht übersehen, das eheliche Verhältniß dieses Hauses für spätere Tage wohl zu einem besseren Zustande hätten zurückführen können, als uns dargelegt ward.«

»Gewiß,« erwiederte Viktorine – »der Marschall war ein Felsen, aus dessen Schachte Quellen zu locken, der glaubensvolle Schlag einer Hand gehörte, die annahm, sie müßten hervor springen! Aber das war es gerade vor Allem, was meiner Schwiegermutter fehlte, der es überhaupt schwer wird, Menschen von Dingen zu unterscheiden, und die endlich sich mehr über die Symptome eines eignen Willens erzürnt, wie erfreut; da sie auch den leisesten Hauch einer Konkurrenz nicht verträgt.«

»Sie sind streng, Viktorine,« sagte Madame de Sevigné lächelnd – »doch weniger, da Sie wahr sind. Aber glauben Sie mir, wenn wir die Marschallin in so sorgloser Sicherheit bewerkstelligen sehen, was ihr gefällt, und sie weder eine andere Individualität achtet, noch ihr einen eignen Willen zu ihrer Entwicklung zugestehet, so ist das mehr oder weniger überall die trostlose Ursache der zahllosen unglücklichen Ehen, denen wir begegnen. Die Ehe ist Keinem mehr an sich etwas – eine göttliche Einrichtung – eine erhabene bürgerliche Existenz! Unsere jungen Frauen wollen bloß in einem solchen Verhältnisse genießen, eine größere Freiheit für ihre unter Zwang gestellten Neigungen erhalten und fangen immer damit an, wobei noch[261] kein Verhältniß der Erde bestand, von der einen Seite Alles zu fordern, und gleiche Forderungen an sie gestellt, für erkaltende Gefühle des Mannes zu halten.«

»Wenn sie nur lieben könnten!« sagte Viktorine. – »Ich denke oft, das ganze Geheimniß liegt darin, daß die Fähigkeit zu lieben in diesen jungen Mädchen früher zerstört wird, als das Alter sie zu diesem Gefühle beruft. Es hat keine mehr Innerlichkeit, der Strudel der Welt treibt sie aus sich heraus; sie lernen Alles nachmachen, was ihnen Geltung und Auszeichnung verspricht, endlich auch liebeln, wenn ihnen der Mann, dem es gilt, eine Stellung am Hofe verheißt. Wie sollen sie nun verheirathet nur begreifen, daß die Stellung, die sie wollten, sie zugleich mit einem Manne verbunden, der eine Seele hat – den sie schonen, ehren – dem sie gehorchen müssen!«

»Es ist nicht zu läugnen,« erwiederte die Marquise, »daß diese Entartung unser Geschlecht nicht allein verfolgt, daß allerdings selbst einer besser vorbereiteten Frau es doch oft sehr schwer werden würde, das bei ihrem Manne zu entdecken, was Sie eben mit Seele bezeichneten, und daß selbst, wenn sie Liebe zu ihm zu fassen vermag, dies doch nur eine zweifelhafte Stütze ihres Glückes wird; da – wenn die Anforderungen derselben nicht mäßig und vom Verstande geleitet bleiben, sie leicht ihre mögliche Zufriedenheit noch mehr bedrohen, wenn sie die erwartete Erwiederung nicht findet. Und dennoch, selbst wenn Sie lächeln sollten – ich mache es jeder Frau zum Vorwurf, der ihr Gatte untreu wird!«

»Das ist mindestens Viel gesagt!« rief Viktorine, ein wenig gereizt. – Die Marquise fuhr fort: »Es ist eine sehr verbrauchte Entschuldigung aller Frauen, die dies erleben, daß das häusliche Beisammensein in der Ehe Verhältnisse mit sich brächte, die Illusionen nothwendig zerstören und die Gattin, gegenüber dem Manne, in ihn verletzende und reizlose[262] Situationen bringen müsse. Hiervon glaube ich gerade das Gegentheil! Keine Frau hat die Mittel in Händen, einen Mann zu fesseln, die sich mit denen einer Gattin vergleichen ließen. Aber sie muß freilich vor allen Dingen ein Weib bleiben, eine züchtige Jungfrau in ihrem Gemüthe – den Schleier der Vesta muß die Flamme der Liebe nicht versengen.«

»Ja, ja,« rief Viktorine warm – »das, das ist das Rechte!«

»Ein großer Schriftsteller,« fuhr die Marquise fort – »sagt irgend wo – und sein Ausspruch enthält eine Erfahrung, die es scheinen lassen wird, er habe zu allen Zeiten gelebt, da er Recht haben wird, und wenn sein Enkel es hundert Jahre nach ihm wiederholt – indem er uns zwei gleich liebende Wesen von beiden Geschlechtern vorführt, von denen das Weib zuerst einen Mangel, einen Stillstand in den Gefühlen des Mannes wahrzunehmen glaubt: wenn eine Frau liebt, liebt sie in einem fort – ein Mann thut dazwischen etwas Anderes?«

Viktorine fuhr schnell mit beiden Händen empor. Einen Augenblick verhüllte sie ihr Gesicht – dann war es vorüber. Die Marquise hatte indessen, von Victorinen abgewendet, den Vorhang der Wiege etwas gelüftet. Viktorine glaubte sich unbemerkt. – »Dies ist eine Wahrheit,« sagte die Marquise, »die, tief in der männlichen Natur begründet, jedem Mädchen als Brautgeschenk gegeben werden sollte; denn es ist zugleich der Schlüssel, mit dem die Zweifel zu lösen wären, von denen wir ein weibliches Herz beschlichen sehen bei der ersten Wahrnehmung, daß der Mann, eben wie jener große Schriftsteller sagt, dazwischen etwas Anderes thut!«

Mit glühendem Gesicht und einer leisen Stimme, die in Bewegung bebte, sagte Viktorine: »nur, was dies Andere sei, ist die entscheidende Frage!«[263]

Die Marquise de Sevigné, die berühmt dafür war, selbst in die kleinsten Sorgen der Kinderpflege eingeweiht zu sein, sing an das Wiegenband zu lösen.

»Ich finde doch, meine Liebe, das Band ist zu stark angezogen; ich konnte es nie leiden, wenn dies kleine Bettchen zu Arm- und Beinschienen wird.« Damit beschäftigt, fuhr sie fort: »Es scheint mir überhaupt recht schwer, ein Mann zu sein – und das Gefühl der ihnen zuertheilten, so ungleich schwierigeren Aufgabe macht mich im Ganzen so nachsichtig gegen die große Masse unvollkommener Männer. Unsere Natur ist mit den sittlichen Gesetzen unserer Bestimmung im Einklange. Wenn wir diese nicht entarten lassen, sind wir Alles, was wir zu sein brauchen, und wenn ich denke, daß uns Gott gewürdiget hat, Mütter zu werden, so könnte ich oft trotz meiner Devotion in Versuchung kommen, uns für zu sehr bevorzugt zu halten. Etwas wie eine Frage an Gottes Gerechtigkeit, steigt in mir auf. Unsere Bestimmung ist so unendlich schön, so wichtig überdies! Welch ein Lebensprinzip bürgerlicher – religiöser Existenz ist der Heerd, an dem wir die zarten Kräfte pflegen, entwickeln und schützen, die dann sich über das Leben nach Außen verbreiten – die es uns zu danken haben, wenn sie nicht schon im Anbeginne verkrüpeln. Wir spielen in diesem kleineren, geschützten Kreise in Wahrheit durch, was der Staat im Großen und in Massen darstellt. Wir halten die Fäden in Händen, die alle Zustände leiten; schützend, sorgend, strafend und lohnend beherrschen wir sie – der Gesammtblick, welcher alle Verhältnisse dem richtigen Standpunkte gemäß leitet, ist die Höhenstufe, die wir erkennen lernen müssen. So wie wir uns auf dieser umsichtig, der Sache förderlich zeigen, können wir einen Schatz von Wohlthaten entwickeln. Und so reich und schön dies ist, wie in einander greifend ist es zugleich! Welche Einheit liegt in unserer Bestimmung – wie ist sie stets geschützt[264] und eine gewisse, unzerstörbare Heiligkeit an den Heerd gefesselt, die noch jetzt an die Sitte unserer rohen Urväter mahnt, die selbst den Feind am Heerde unberührt ließen – die Stelle nicht zu beflecken!« –

»O meine Freundin,« unterbrach sie Viktorine – »ich fürchte, wir haben uns in unseren sogenannten höheren Ständen sehr weit von dem heiligen Heerde entfernt, dessen Urbestimmung sich uns wahrhaft offenbaren konnte; und vielleicht erlahmt dadurch auch die Ehrfurcht davor in der Brust der Männer, und wir verlieren damit nach gerade alle unsere Stellung!«

»Ich möchte Ihnen nicht unbedingt Recht geben, Viktorine. Es bleibt allerdings nicht dasselbe, wie überhaupt Verschiedenheit in den Verhältnissen zur Weltordnung gehört. Aber Verschiedenheit – Abweichungen heben den Grundgedanken nicht auf. Sei der Zustand noch so verändert, wir werden uns immer zurecht finden, wenn wir den Hauptgedanken festhalten: daß wir durch Alles, was in uns liegt, berufen sind, einen würdigen Hausstand zu erhalten, den Verhältnissen gemäß, in die uns Gott geführt – und wie Viel wir von der patriarchalischen Uridee beibehalten oder aufgeben müssen, sie muß immer zu erkennen sein.«

»Und warum sollte es denn den Männern so viel höher angerechnet werden, was sie in ihrer Pflichterfüllung leisten? Warum ist denn ihr Beruf so viel schwerer – warum haben sie ein höheres Anrecht auf unsere Nachsicht?« rief Viktorine, mit weiblichem Zürnen in Blick und Ton.

Die Marquise lächelte, ohne Viktorine anzublicken. »Ich gestehe Ihnen zuvörderst, daß ich nicht sehr viele Theilnehmerinnen meiner Meinung unter Ihrem Geschlechte habe. Es ist auffallend, wie lange uns eine platt getretene Idee, die einen augenblicklichen Glanz hat, zu Combinationen verführen kann, die, an sich falsch, doch Irrthümer auferziehen, deren wahrer[265] Beschaffenheit wir gar nicht mehr nachfragen. Wir Frauen werden bei dem Gedanken erhalten, daß die Männer ein großes Vorrecht vor uns haben, weil sie sich sehr Viel mehr erlauben dürfen, als wir; und wir haben dieses unbezweifelte Recht mit dem Worte: Freiheit, profanirt. Was können wir denn in Wahrheit Freiheit nennen, wenn nicht die Entwickelung der Seele und des Karakters, die uns die Zustände beherrschen läßt, uns von Ihnen unabhängig macht, ihnen einen höheren Willen entgegen stellt. Es ist der einzige Begriff, der diese Idee aus dem Zustande relativer Willkür in eine feste, dann unangreifbare Stellung bringt, und das Vorrecht der Männer hat damit so wenig Zusammenhang, daß ich es gerade ihnen hinderlich erachten muß. Und sollen wir ihnen also den materiellen Besitz der Freiheit so hoch anrechnen? Ich schäme mich fast, daß wir dies thun! – Sie werden nun den Gang meiner Gedanken bald auffinden, wenn ich so nachsichtig bei den Fehlern der Männer erscheine. Unbehütet von Jugend auf, werden ihnen Reinheit und Züchtigkeit der Gedanken nicht bewahrt; in materielle Verhältnisse getrieben, ungestraft durch ihre sich gleich bleibende Stellung zur Gesellschaft – endlich von der Natur selbst mit anderen Bestandtheilen des Blutes versehen, die leicht zu erkennen sind, kämpfen sie mit einer schwierigen Naturanlage und entbehren dabei den Schutz der häuslich-sittlichen Ordnung, die das Weib von Jugend auf be stimmt ist einzuhegen. Wenn wir noch hinzu rechnen, wie sie eine doppelte Existenz entwickeln müssen, nämlich die häusliche und die öffentliche, und die eine oft mit der andern im grellsten Widerspruche steht, so erstaune ich billig über ihre schwierige Aufgabe und erstaune billig nicht mehr, sie oft ungelöst zu finden.« –

Viktorine schwieg; – dann sagte sie, wie sich überwindend: »nicht immer steht ihre äußere Stellung zu ihrer häuslichen in Widerspruch; und dennoch sehen wir sie diese gering[266] achten, nach kurzem Erfassen sie aufgeben, als gehörte sie nicht zu ihnen.«

»Ja wohl,« erwiederte die Marquise schnell – »die Harmonie zwischen Beiden herzustellen, erfordert eine so vollkommene, männliche Entwickelung, daß wir fast immer das Eine auf Kosten des Anderen bei ihnen erreicht sehen; und diese mangelhafte Reife macht, daß sie die Hand nach dem äußeren Leben lieber ausstrecken und erwarten, das andere werde schon hinterdrein kommen. Wie groß diese Täuschung ist, da es eine eben so warme Auffassung verlangt, beweist sich nur zu bald, indem sie die Häusliche allmälig ganz damit verlieren – und der Trübsinn, der Lebensüberdruß, der nirgends mehr anzuknüpfen weiß, gewöhnlich die traurige Folge ist. Aber eben so gewiß zwingt sie auch in den meisten Fällen das Leben, erst mit allen Erfordernissen die öffentliche Existenz sich zu erringen; und oft, ja vielleicht immer, wo diese Existenz auf edle, würdige Weise erstrebt wird, bilden sich zugleich Fähigkeiten aus für das natürlichere Leben des Hauses, wenn auch das Bedürfniß dafür erst später eintritt.«

»Ach, und darauf zu warten!« rief Viktorine – »vielleicht das ganze Leben vergeblich darauf zu warten – wie viele Herzen hat das indessen gebrochen!«

»Viele! Viele!« rief Frau von Sevigné gerührt – »denn es ist nur die Aufgabe für ein starkes, weibliches Herz, die schwere Prüfung zu bestehen und ungestört den heiligen Beruf zu verfolgen, den unsere Bestimmung dennoch festzuhalten erlaubt; – aber zugleich ein herrlicher Triumph, zu Gottes Ehre indessen ein Weib geworden zu sein in der vollen Pracht unseres Berufs – wie jener schöne, dunkle Baum des Südens, über gereiften, goldnen Früchten die duftenden Blüten zu tragen, und dem ermüdet zurückkehrenden Gatten, der lange vergessen und übersehen, was er besaß, zeigen zu können, ein Weib sei[267] für sich etwas Großes und Göttliches, wenn sie ihren Beruf verstanden; – und der Heerd, den er verschmachtend sucht, sei indessen wohl gehegt, und das göttliche Symbol unseres Geschlechtes, Milde und Vergebung, sei sein Empfang!«

Viktorine schwieg; aber sie weinte jetzt, den Kopf auf das Bettchen ihres Kindes gelehnt.

Die Marquise schien es nicht zu sehen – im leichteren Tone fuhr sie fort: »oft gedenke ich einer liebenswürdigen Freundin, die den lebhaftesten, Liebe suchendsten Mann der Erde gewählt hatte. Die Neigung zu Thorheiten aller Art, die ihr Gemahl besaß und die ihn in Versuchung führte, sich in jedes neue und schöne Gesicht zu verlieben, hatte mehr gute Eigenschaften an ihr entwickelt, als seine treuste, sorgfältigste Liebe erzogen hätte. Sie erzählte mir oft mit der heitersten Laune die Art und Weise, mit der sie dem Uebel gesteuert hatte. Als sie das erste Mal diese Entdeckung machte, überwältigte sie der Zorn fast; aber es erwachte zugleich ein Stolz, ein Selbstgefühl, was alle ihre Kräfte ins Leben rief. Die Frau, in die ihr Gemahl sich verliebt hatte, war schön und geistreich. Sie wurde Beides augenblicklich auch. Nie saß ich länger vor meiner Toilette,« sagte sie. »Aber nicht ich allein – mein ganzes Haus mußte meine Schönheit unterstützen – meine Küche, meine Service, Blumen, Düfte. Ueberall entlockte ich einen Reiz – eine Annehmlichkeit. Ich war coquett von dem kleinen Sammetpantoffel an, worin er zuerst meinen Fuß erblickte, bis zu dem Küchenzettel und der Visitenliste. Wie wählte, wie sonderte ich, wie überraschte ich ihn durch anmuthige Geselligkeit! Die Tonkunst, die er liebte, und die ich deshalb glaubte übersehen zu können – plötzlich beschützte ich sie; ich sang selbst ein Lied, was ich mit Thränen des Zornes einstudirt hatte, ihm lächelnd vor. Die Beschäftigung, die ich durch diese Vorkehrungen hatte, zerstreute mich; ich blieb frisch, von jener[268] übellaunigen Schwermuth verschont, mit der Frauen ihre Männer vollends zum Hause hinaus jagen – und jetzt hätten Sie sehen sollen, wie schnell ich meinen Gemahl aufs neue gefesselt hatte, wie liebenswürdig er mich fand, wie ich der andern Neigung Rang abgewann; und da er einige Male die Procedur wiederholte, ich die Mittel, ihn wieder einzufangen, so entwickelten sich wirklich gute Angewöhnungen in mir. Ich bekam Eigenschaften für mich selbst, die ich anfänglich für kleine Hülfsmittel geachtet hatte.« –

»Ach,« sagte Viktorine – »welch' ein Glück, wenn uns der Stolz nicht gegen uns selbst bewaffnet, wenn er die Kraft wird, mit der Achill den Felsblock aufhob, um die Waffen hervorzuholen, mit denen er unbesiegbar ward. Ich fürchte, wenn ich in solche Lage käme – der Felsblock fiele auf mein Herz, und die Waffen verrosteten.«

»Das werden Sie mich nicht überreden,« erwiederte die Marquise – und eben erwachte Louis Maria in seiner Wiege. Viktorine rührte die Glocke, die Wärterin erschien mit der Amme, und beide Frauen wendeten ihre Aufmerksamkeit den kleinen Beobachtungen zu, ob das Kind zugenommen habe, ob lustig zur Nahrung sei? So wichtig, so süß und beglückend für ein mütterliches Herz! –

Es war der letzte Tag vor der Beisetzung des Marschalls, und die Audienzen der Beileidsbezeigungen waren auch für diesen letzten Tag geschlossen. Von einigen allzu lästigen Stücken ihrer beschwerlichen Trauerkleidung befreit, saßen die Damen des Hauses mit dem Herzoge und der Herzogin von Lesdiguères beisammen, und es waltete über Allen der Zwang, den leere Trauer-Ceremonien so ermüdend ausüben, und denen man sich nicht entziehen darf, ohne gegen eine höhere Idee zu sündigen, die doch gerade in diesen lästigen äußeren Zeichen zu ersterben beginnt. Alle sehnten sich, von einander loszukommen,[269] um sich nur einmal der Natur nach regen und wenden zu können. Aber es war Sitte, daß man in den inneren Gemächern soupirte und bis dahin zusammen blieb; so hielt Jeder den Andern im Schache mit einer angenommenen Empfindung, die sich nach Wechsel sehnte.

Um diese Zeit fuhr derselbe einfache Wagen ohne Livreen, der einst, bloß von Jaques geführt, den Weg nach St. Sulpice zuürcklegte, unter dem Trauerwappen der Familie hindurch in das Schloßportal; und das Erste, womit der junge Herr des Schlosses begrüßt ward, war das Salutiren der Wappenherolde mit ihren düstern Fahnen, und schaudernd fühlte er erst jetzt die Wahrheit der erschütternden Nachricht.

Schweigend und mit der ängstlichen Spannung, die sein auffallendes Betragen auch jedem Diener gegeben, ward er in dem düstern Hause empfangen. Ach, die tiefe Trauer, die er um Fennimor trug, wie wohl paßte sie zu den schwarzen Treppen und Wänden, die ihn bald umfingen!

»Nach dem Trauersaale!« stammelte er kaum hörbar. Die Thüren öffneten sich – der schreckliche Pomp lag vor ihm ausgebreitet – der Sohn an den Stufen des Sarges auf seinen Knieen.

Sein Gebet war ein zuckend, schmerzhastes Aufblicken zu Gott; mehr eine Hoffnungslosigkeit, beten zu dürfen – mehr ein Ausruhen im Schmerz, als eine Erhebung zu Gottes Gemeinschaft! Laut hielten die Mönche von St. Sulpice die Exequien über die Leiche – der fungirende Priester fügte dem gewöhnlichen, vorgeschriebenen Ritus ein lautes Gebet hinzu: »Laß' Dir auch die Herzen empfohlen sein, die, belastet von der Noth, die eigne oder fremde Schuld ihnen gab, in Gram gebeugt vor Dir seufzen. Tröste und erhebe sie. Die Vergangenheit hast Du unwiederruflich gemacht; aber selbst die Schuld in ihr kannst Du erblassen machen durch den Muth, Deiner göttlichen[270] Gemeinschaft zukünftig theilhaft werden zu wollen. Es soll Allen vergeben werden, die von Herzen reumüthig sind, und ihre Schuld ihnen nicht folgen auf dem Pfade der Besserung!« Jetzt sprach er den Segen mit einer Kraft und Bewegung, daß Leonin über die Gewalt erbebte, von der sein Herz aufgerissen ward. Er hob den Kopf – Fenelon, der blasse Priester von St. Sulpice, stand mit erhobenen Armen und erhobenem Haupte über ihm, und schien vom Himmel die Flammen andächtiger Ueberzeugung hernieder zu rufen, mit denen er die Seelen erwärmte.

»Fenelon,« rief er – »hast Du den Schlüssel zu lösen und zu binden?« –

»Der hat ihn, der sich voll Glauben an seine göttliche Kraft dem in die Arme wirft, der Alle heilt, die reumüthig und beladen sind. In seinen Sünden verzweifeln wollen, heißt Gottes Allmacht verläugnen!« Er hatte dies leise nur zu ihm, dem Knieenden, gesprochen. Er machte das Zeichen des heiligen Kreuzes über ihm und schloß sich dann den Mönchen an, die ihren Umzug hielten. Als die erhabene Gestalt aber an ihm vorüberglitt, hörte Leonin wie einen Lufthauch die Worte: »rette Viktorine!«

Er fühlte sie bis in sein tiefstes Innere, und sie gaben ihm die Richtung, die er bei den schwachen Angaben seiner Gefühle vielleicht nicht erkannt hätte.

Er erhob sich und folgte dem harrenden Kammerdiener zu den Zimmern seiner Mutter. Wie lastete die düstere Pracht dieser Gemächer auf ihm! Jedes Zimmer schien ein Katafalk zu sein. Endlich öffnete sich der kleine Salon, in dem er seine Familie, fast zur Unkenntlichkeit in Trauergewänder eingehüllt, versammelt sah. – Er kam erwartet; dennoch überraschend. Ein kurzer Aufschrei verrieth ihm das einzige Wesen, nach dem sein Herz noch eine Richtung hatte; und überwältigt von der Vergangenheit, die zwischen ihm und seinem Weibe lag, eilte[271] er nicht in ihre Arme, sondern kniete in demselben Augenblicke zu ihren Füßen. Viktorine hatte sich leise in einen Stuhl gesenkt – ihre Füße bebten, wie ihr Herz. Beide sprachen nicht; es herrschte von allen Seiten ein verlegenes Stillschweigen; Keiner verstand das Gefühl des Anderen. Die Empfangenden standen trocken und müde von einer thränenreichen Begebenheit, mit der sie fertig waren, und Leonin's Ankunft, dessen Stimmung Keiner zu errathen vermochte, erregte die Befürchtung, mit allen Schmerzenszeichen von Vorn anfangen zu müssen. Man schien von ihm wenigstens die Anregung abwarten zu wollen und behielt eine Stellung, aus der gleich zu machen war, was sich nöthig zeigte.

Doch fand jeder unnatürliche Zwang bei Madame de Lesdiguères immer bald in ihrer raschen, geraden Gefühlsweise seine Erledigung. »Jetzt, Herr Graf Schwiegersohn,« rief sie plötzlich laut – »lassen wir das! Kommen Sie zu sich, und denken Sie, daß wir alle von den Quälereien und der ganzen Geschichte nachgerade müde und matt sind. Wir haben Alle unsere christliche Theilnahme dargelegt – ging mir auch selbst recht zu Herzen; aber jetzt muß es vorbei sein – wäre dem alten Marschalle selbst zuwider, wenn wir nicht endlich aufhören könnten!«

Leonin stand auf, nachdem er einen Blick des Schmerzes auf seine blasse Gemahlin geworfen. »Ich verlange gewiß nicht,« sprach er, »durch meine Gegenwart Euer Gnaden zu Gefühlen aufzufordern, über deren Dauer mit großem Rechte nur Jeder selbst bestimmen kann, und der Sohn darf sich gewiß in einem Verhältnisse bekennen, daß seine Gefühle nicht zur Richtschnur für Andere machen kann.«

»So,« sagte die Herzogin – »das nenne ich vernünftig gesprochen. Man kann oft Ihre absonderlich auffallenden Handlungen gar nicht begreifen, wenn man hört, wie verständig Sie sich zu äußern wissen.«[272]

Leonin hatte während dieser Worte die Anwesenden stumm und abgemessen begrüßt. Es hatte sich seiner bei dem Anblicke seiner Mutter ein so kaltes, bitteres Zürnen bemächtigt, daß er den Ausdruck für die herkömmliche Weise verlor; auch gab ihm die Herzogin bald Gelegenheit, sich zu entladen.

»Nun,« rief sie – »mein Kind, ich habe recht darauf gewartet, Sie wiederzusehn; denn nur Sie selbst können uns das Ereigniß erklären, das uns damals bei der Taufe Ihres Sohnes so sehr erschreckte. Waren Sie denn wirklich krank und liefen deshalb fort?«

»Nein, Madame,« erwiederte Leonin gemessen – »ich war nicht krank, als ich abreiste, ich ward es erst später.«

»Nun, sehen Sie, Marschallin,« fiel jetzt die Herzogin ins Wort, »ich konnte Ihre Erzählung gleich nicht glauben; denn kurz vorher hatte ich ihn gesehen, und mit eins sollte er toll und krank und deshalb davongejagt sein!«

»Sagte das meine Mutter?« fragte Leonin scharf betonend. – »In Wahrheit, ihr Irrthum ist sehr auffallend, da sie am besten, denke ich, den Grund meiner Abreise wissen mußte!«

»Ihre Mutter, Graf?« rief die Herzogin – »nun, das hätte ich nie für möglich gehalten!«

»Es war vielleicht eine zu große Schwäche von mir,« fuhr jetzt die Marschallin auf, durch Beide geängstigt und erzürnt – »daß ich die Unbesonnenheit meines Sohnes auf eine Weise zu erklären trachtete, die in der Handlung selbst sich mir darzubieten schien. Eine wahnsinnige Handlung dem plötzlichen Erkranken zuzuschreiben, möchte milder urtheilen heißen, als es ein Jeder in solchem Falle verdient!«

»Sie hätten Ihre Gnade nicht so weit treiben sollen,« erwiederte Leonin kalt; – »aus den Umständen, die Ihnen bekannt waren, hätten Sie annehmen können, wie wenig ich[273] mich geneigt fühlen müßte, eine Vormundschaft anzuerkennen, deren Erfolge ich eben einsehen lernte.«

Die Marschallin bebte vor Zorn. Niemals hatte sie eine solche Sprache von ihm gehört! Sie war zuerst um eine Antwort verlegen, die den ganzen tiefen Ingrimm ihres Herzens auszudrücken vermocht hätte. Doch überhob die Herzogin sie jeder Wahl. Aufs neue rief sie: »Kind, ich verstehe dieses Hin- und Herreden nicht, sagen Sie deutlich, wie es zusammenhing!«

»Enschuldigen mich Euer Gnaden,« sprach Leonin mit schonender Ehrerbietung – »Sie sind eine zu gefühlvolle Frau, eine zu gute Mutter, um nicht zu wissen, daß Viktorine das erste Recht an mein Vertrauen hat, und ich es abwarten muß, ob sie mich zur Rechenschaft ziehen will.«

»Dagegen läßt sich Nichts sagen,« erwiederte gutmüthig lachend die alte Herzogin; – »das heißt: schweige still, Du hast Dich nicht hinein zu mengen!«

»Dies möchte indessen nicht der Fall für Alle sein,« sprach die Marschallin scharf. »Der König hat eine persönliche Beleidigung, für die er Ihr Betragen nothwendig halten mußte, mit der Ungnade gegen Ihre Familie bestraft; – und diese Familie, die während ihrer langen Existenz etwas Aehnliches nicht erfuhr, möchte wohl das unbestrittene Recht haben, einer Handlungsweise nachzufragen, die so beleidigende Folgen für sie hatte.«

»Zwingen Sie mich nicht, Ihnen augenblicklich diese Erklärung zu geben!« rief Leonin, mit einer Wildheit in Ton und Blick, die Alle erschreckte. – »Ich bin bereit dazu; denn es ist vielleicht so besser, da ich in meiner Empfindung nicht mehr zu retten bin. Aber Sie – Sie, meine Mutter, – Sie sollten mich nicht dazu treiben wollen!«

Die Marschallin fühlte, daß sie zu weit gegangen war; aber sie hatte noch keine Beleidigung ungerügt erfahren, von ihrem Sohne sollte sie sie hinnehmen, der ihr bis jetzt noch nie[274] getrotzt? Es war zu viel und dennoch sah sie ein, sie habe ihn selbst zu der Grenze hingetrieben, von der sie ihn hatte abhalten wollen.

»Sie sollten mindestens fühlen,« sprach sie, sich mit Gewalt bezähmend – »daß der Augenblick zu Ihrer leidenschaftlichen Unhöflichkeit gegen mich schlecht gewählt ist. Ich bin die Witwe Ihres Vaters – vielleicht erinnern Sie sich, daß die Leiche dieses in Ungnade gefallenen, berühmten Mannes noch über der Erde ist – und daß ich Ihre Mutter bin!«

Leonin stand in düsterem Brüten vor dieser kunstvollen Rede; es blieb ungewiß, ob er sie gehört. Da fühlte er eine leichte Hand auf seiner Schulter, und eine Stimme, die ihn zu wecken und sich zu sammeln vermochte, sprach unsicher und schwach: »Glauben Sie nicht, mein Gemahl, daß Sie auch mich in der Stimmung des Zürnens oder der Neugierde gegen sich finden! Wenn Sie mir ein Recht zugestehen, wie ich eben zu hören glaubte, so lassen Sie es das des Vertrauens sein, das weder von Ihnen eine Erklärung fordert, noch nöthig hat. Fassen Sie sich aber jetzt. Der Schmerz, der so natürlich in Ihnen ist, sollte uns Alle zur Schonung gegen Sie auffordern; – vielleicht bedürfen wir sie auch,« setzte sie mit sinkender Stimme hinzu – »wir haben Viel gelitten!«

Leonin versenkte sich mit zärtlichem Antheil in die schönen, edlen Züge, die so blaß, so leidenvoll waren. Er führte die sichtlich bebende Gestalt zu ihrem Sitze zurück und nahm knieend neben ihr Platz. »Theure, edle Viktorine,« seufzte er, ihre Hand an seine Stirn drückend – »Sie sind die Einzige, die ein Recht hätte, mir zu zürnen; – aber Sie werden bloß der Engel sein, der über den Gefallenen weint!« – Und sie weinte bereits.

Der Herzog von Lesdiguères, der ein höchst verlegener Zuhörer dieser häuslichen Scene gewesen war, da er niemals[275] über gesellschaftliche Verhältnisse hinaus sich zu denken erlaubte, erfaßte nun eine Richtung, die er glaubte erkannt zu haben, und nahte sich seinem Schwiegersohne. »Ich bin,« sprach er – »nach dem Empfange, den ich bei Seiner Majestät genossen, als ich ihm die Todesmeldung des Hauses Crecy-Chabanne machte, fast überzeugt, daß eine bestimmte Hoffnung auf Gnade vorhanden ist, und, wenn Viktorine ihren Einfluß bei der gütigsten Königin anwendet, Ihnen, mein Herr Schwiegersohn, der König Ihren Platz bei seiner erhabenen Gemahlin zurückgiebt.«

So erfuhr Leonin seine Absetzung. Die Marschallin gönnte ihm einige Alteration und beobachtete ihn scharf. Er erhob sich jedoch sogleich ruhig von seinen Knieen und indem er dem Herzoge ehrerbietig für seinen Antheil dankte, setzte er hinzu: »Ich muß diese Absicht bei Seiner Majestät indessen entschieden ablehnen. Obwol ich meine Verweisung vom Hofe noch nicht kannte, mußte ich sie erwarten; doch dachte ich bisher nicht daran und war entschlossen, den König um meine Demission zu bitten.«

»Den König darum zu bitten?« riefen der Herzog und die Marschallin zugleich. – »Ich bin gesonnen,« fuhr Leonin fort – »wenn ich über meine näheren Angelegenheiten mit meiner Gemahlin die nöthige Rücksprache genommen und hier alle Pflichten erfüllt, die meine neue Stellung mir aufnöthiget, mich zum Marschalle von Louxemburg zu begeben und ohne bestimmte Anstellung, um die ich jetzt nicht bitten könnte, unter seinen Fahnen als Volontair den Krieg mitzumachen.«

»Den Krieg? den Krieg?« stammelte Viktorine, während Alle ihre Ueberraschung nicht zu verhehlen vermochten.

»Erschrecken Sie nicht, theure Viktorine!« – sprach Leonin, nur zu ihr sich wendend. »Es kann Ihnen nicht entgehen, daß mich ein ungewöhnliches Schicksal unerwartet und hart[276] niedergeworfen hat. Gott mag es denen vergeben, die mich hineinstießen gegen Pflicht und Gewissen! Ich kann es noch nicht – und eben so wenig auf dieser Stelle Ihnen gegenüber aushalten, Viktorine! Lassen Sie mich jetzt gewähren. Vielleicht rettet mich Anstrengung meiner Kräfte, Thätigkeit, Entbehrung, Mitgefühl bei der Noth des Krieges. Vielleicht komme ich Ihrer würdiger zurück; – jetzt ist Ihre Nähe mir ein Vorwurf – ich vermag sie nicht zu ertragen!«

»Genug!« rief hier die Marschallin mit ihrer alten Energie und außer sich gebracht über die rücksichtslose Sprache ihres Sohnes, die er selbst gar nicht zu bemerken schien. »Es dünkt mich, Sie sind in einer so maaßlosen Aufregung zu uns zurückgekehrt, daß Sie keine Beurtheilung über das Gewicht Ihrer Worte haben. Ich fühle mich unfähig, meinen Sohn länger in einer solchen Stimmung die wichtigsten Interessen seines künftigen Lebens absprechen zu hören! Lassen Sie uns nach dem kleinen Eßsaale gehen, wo uns einige der genauesten Freunde des Marschalls erwarten.«

»So bitte ich, mich zu beurlauben,« sagte Leonin; – »ich will mit meiner Stimmung, die gegen Ihre Absichten läuft, Ihnen nicht länger lästig fallen. Die Zeit wird lehren, ob sie eine augenblickliche Aufregung ist.«

Er entfernte sich, Alle ehrfurchtsvoll grüßend – gegen Viktorinen einige Worte schwärmerischer Verehrung aussprechend. –

Wenn wir einen Blick in die verschiedenen Gemächer thun, in die sich die drei Hauptpersonen dieses schweren Abends zurückgezogen hatten, nachdem es ihnen verstattet, sich zu trennen, so werden wir erfahren, was ihr Loos war, als die äußeren Rücksichten für sie aufhörten.

Die Marschallin hatte sich entkleiden lassen, und ihre Frauen warteten im Vorzimmer. Sie horchte dem Schließen[277] der Thür, was ihr endlich Alleinsein, dieses dringendste Bedürfniß, sicherte. – Fünf Minuten später würden wir die Marschallin von Crecy, die eben mit stolzer Ruhe ihre Frauen nach dem Vorzimmer entließ, kaum wieder erkannt haben. Die zurückgepreßten Leidenschaften, die diese letzte, verhängnißvolle Zeit ihres Lebens höher, wie jemals gesteigert hatte, brachen, wie ihres Zügels beraubt, plötzlich hervor. Bald durcheilte sie mit großen, ungleichen Schritten das Gemach, während ihre krampfhaft gepreßten Hände ihre ungestümen Gedanken ausdrückten; – bald sank sie in ihren Sessel, und ein kurzes, zorniges Schluchzen rang sich hervor. – Doch, wir halten inne, denn wir werden genug erfahren haben, um unsere Ueberzeugung anzudeuten, daß Jeden die Vergeltung erreicht, daß uns kein äußerer Schein täuschen sollte über die Gerechtigkeit des Himmels hier auf Erden, die, wenn sie das äußere Schaugerüst unberührt läßt, in dem Inneren des trotzigen Herzens erscheint und es beugt und zerreißt und demüthigt und die fürchterliche Strafe verhängt, mit lächelnder Miene aufrecht erhalten zu müssen, was, jedes Reizes entblößt, eine leere, tödtende Qual geworden ist und doch der Preis der Sünde war.

Die Marschallin, die nie einem Menschen seine eigene Entwicklung, seine eigene Ansicht gestattet, die ihr ganzes Leben als eine Aufgabe ihres Willens gehandhabt, die Menschen, die hineinfielen, ohne jede Rücksicht als Hebel und Stützen verbraucht hatte, deren eigene Bedürfnisse übersehend, gering achtend, oder die ihrigen doch wichtiger haltend; die durch das zeitherige, materielle Gelingen dieser Bestrebungen zu einer Sicherheit über den Werth derselben gelangt war, der sie auf die dünkelvollste Isolirhöhe des Stolzes erhoben – ihr war es plötzlich, als ob der Boden dieses ihr so fest erscheinenden Gebäudes ein Sieb geworden sei, das Alles unter ihren Händen[278] unaufhaltsam zerrinnen, zerfließen, in ein Nichts zurücksinken ließe, vor dem sie verarmt stehen bliebe, wie vor dem ganzen Ergebniß ihres berechneten Lebens, das ihr damit verloren erschien.

Sie erfuhr die Strafe, die ihr die härteste sein mußte, und ihr Zustand, wie wir ihn andeuteten, war dem gemäß.

Sie wollte in dieser qualvollen Stunde etwas erdenken, womit sie sich rächen könnte. Aber die Beleidigung, die jeden Blutstropfen in ihr vergiftete, kehrte immer wieder auf den einen Gegner zurück, der alle zahllos erlebten Kränkungen veranlaßt hatte; und dieser Gegner war ihr Sohn! Der Sohn, den sie zu ihrem Dienste erzogen, zur Stütze ihrer ehrgeizigen Pläne; er war es, der plötzlich seine Abstammung nicht gänzlich in sich erloschen zeigte und ihr, ehe sie es ahnte, mit eigensinnigem, rücksichtslosem Willen entgegen trat. Sie dachte alle Möglichkeiten durch, ihn noch ein Mal gedemüthigt, – ihres Willens Unterthan – zu sich zurück zu führen. Sie hatte, ehe sie ihn sah, so sicher darauf gerechnet; sie hatte ihm ein Zürnen zugedacht, was nur um den Preis einer gänzlichen Uebergabe Versöhnung hoffen lassen sollte, und jetzt kam er in einer Stimmung des Zürnens zurück, die weder Ausgleichung suchte, noch nöthig hatte; da er sich sogleich damit unabhängig erklärte. Sie konnte nicht einmal irgend etwas erdenken, worin sie ihm nachgeben konnte! – Nur eine leise Hoffnung blieb ihr. Souvré war entweder selbst betrogen, oder er hatte sie auch betrogen. Sie hatte Fennimor's Tod wirklich vor der Vermählung ihres Sohnes angenommen, und es war klar, daran zweifelte Leonin – er bezüchtigte sie des Frevels, ihn in das doppelte Verhältniß getrieben zu haben! Dieser Irrthum sollte sich nun auflösen. Die Reue darüber – blieb ihre einzige Hoffnung; – aber sie ward dennoch kein Ruhekissen, worauf die Marschallin den Schlaf gefunden hätte. –[279]

Von ihrem geheimen Leben wenden wir uns nach dem stillen Schlafgemache, aus dem Viktorine für die ersten Stunden der Nacht gleichfalls ihre Frauen entfernt hatte, um, mit ihrem Kinde allein, jedes Zwanges enthoben, sich ihres Zustandes bewußt zu werden. Es giebt Menschen, deren edle Natur sich überall gleich bleibt; sie behalten eine Decenz des Ausdruckes selbst in ihrer tiefsten Aufregung, die ihren einsamen Stunden ein Maaß verleiht, durch das sie vor sich selbst gesichert bleiben. Dies war bei Viktorinen der Fall. Sie war sich eine Achtung gebietende Gesellschaft – die Vertraute, von der wir wissen, nicht mißverstanden zu werden, und deren Billigung wir uns doch zu erhalten wünschen, da sie uns schwerer zu erreichen scheint, als der Beifall der Welt.

Sie knieete nieder und beugte sich über das süß schlafende Kind. Schwere Seufzer deuteten es an, daß ein lang bezwungener Zustand sich Luft schaffte; dann weinte sie lange und schmerzlich, und endlich wurden ihre Empfindungen Gebete. Als sie aufstand, sagte sie: »Weise Freundin, ich habe Dich verstanden! Du hast mein Schicksal geahnet; – ich werde Dir folgen. Ein Weib ist an sich etwas Göttliches und Großes; – ich habe einen Heerd! Ich habe ein Kind! Beides werde ich hüten zur Ehre Gottes und der Menschen; – und kömmt er ermüdet zurück und sucht verschmachtend den verlassenen Heerd, dann finde er mein Symbol: Milde und Verzeihung!«

Als sie ihre Frauen rief, war jedes Wort sanft und gütig. Eine verklärte Ruhe lag über ihr ausgebreitet; eine frei gewordene Kraft, die von sich selbst eine versöhnende Ausgleichung des Lebens verlangt. –

Nicht so Leonin! Halbe Zustände – Unglück und Glück – Schuld und Unschuld – wie sie sich in ihm vorfanden, erfordern einen starken Geist, der Alles erfaßt und sondert und auf sich nimmt und von sich wirft, der Wahrheit nach, und[280] dann abschließt und von neuem beginnt. Nicht so Leonin. Er dachte daran, den Zuständen zu entfliehen, ohne sie vorher zu ordnen. Die jedesmalige Folge dieses schwachen Waltens trat auch bei ihm ein. Die Erbitterung wuchs auf dem falschen Wege, der überall unbeseitigte Hindernisse zeigte und die Erholung, nach der er strebte, fern hielt. Er grollte der ganzen Welt. Die Weichheit, die ihn sonst gutmüthig sein ließ, verschwand. Seine Diener erkannten ihren ehemaligen Herrn nicht wieder. Er war unruhig, heftig, ungerecht; Nichts schien ihm zur Zufriedenheit gemacht; er forderte und stieß das Geforderte zurück; er erzürnte und kränkte Alle, und der Unfriede schien, was er noch begehrte.

Unter diesen Umständen erreichte die Marschallin ihren Zweck nur in dem für sie unwesentlichsten Theile. Er überzeugte sich, daß so wenig sie, wie Souvré Fennimor's Wiederbelebung gewußt habe. Aber keine Reue gegen sie trat ein. Ihre Schuld, und mehr noch die Härte, die ihm jetzt natürlich geworden war und die sich gegen sie, die er bisher so sklavisch gefürchtet hatte, Bahn gebrochen, sie sollte motivirt sein in ihrer Schuld – und die Marschallin fühlte bald, wäre jene auch geringer gewesen, als sie wirklich war – er habe einmal die Stellung gegen sie ergriffen, die eine Art Schild gegen seine eignen Vorwürfe ward, und gerade die Schwäche, die sie in ihm geschätzt und beabsichtigt, erhielt ihn jetzt in dieser Stellung gegen sie.

Doch hatte diese Erklärung die Folge, daß ein beabsichtigtes Duell mit Souvré unterblieb; und der gewandte Unterhändler kam zu dem vollen Genusse des Gelingens, wenn er, wohlbehaglich in einem Fauteuil in Leonin's Zimmern ruhend, diesen mit der gereizten Wildheit eines gestörten Friedens an sich vorüber streifen sah. – Er überlegte die Resultate seiner Bemühungen und rechnete sich gleichgültig an den Fingern her:[281] der blühende, schöne Mann – ist bleich, gekrümmt, mit schwindendem Haare – der vornehme Edelmann vom Hofe verbannt – in die höhnenden Prachträume eines öden Pallastes verwiesen. Der Gatte der schönsten und vornehmsten Dame hat diese entehrt und seinen Erben zum Bastarde gemacht, und das ewig heitere, sorglose Kind des Glückes kommt von der Leiche seines gemordeten Weibes, von dem Anblicke seines rechtmäßigen und verläugneten Sohnes mit Kummer beladen, und um Ruhe und Frieden durch Alles, was er erlebt und gethan, auf immer betrogen! –

Es war nach der Bestattung des Marschalls nicht schwer, Leonin's Angelegenheiten zu ordnen; da seine Anwesenheit ein Inkognito bleiben mußte, war er von manchem lästigen Gebrauche befreit. Wie Viktorine ihm in dieser Krisis gegenüber stand, brauchen wir kaum zu erwähnen. Sie war mit dem, was sie sein wollte, so vertraut, daß sie keinen Hauch von Selbstgefühl oder Tugendpathos zeigte. Sie hörte sich nicht in ihren Worten, ihre Augen suchten weder den Himmel, noch den Beifall Anderer; sie langweilte und verscheuchte Niemanden, indem sie sich beispiellos hervorzuheben trachtete und mit ernster Würde eine Sprache einzuführen strebte, die den Zuständen der kranken Gemüther um sie her zum Vorwurfe gereichen mußte. – Sie war ohne Hochmuth, daher mit ihrem besseren Zustande vor Gott nicht befriedigt und nicht geneigt, ihn hervorzuheben. Sie war voll wahrer Liebe, daher ohne das Richtschwert der Verwerfung – sie war edel und klug, daher den Augenblick und seine krankhaften Erscheinungen schonend, die auffallenden Mißtöne überhörend, um ein verderbliches Verstummen zu verhüten, was selbst die Hoffnung der Ausgleichung aufhebt.

Dessen ungeachtet mußte sie bald erkennen, daß sie nur auf eine spätere Zukunft zu hoffen habe und ihre Rechte nur[282] bewahren könne, wenn sie jetzt ihre Kränkung übersehe, Streit oder Rechenschaft darüber ablehne. Vielleicht hatte an dieser Stellung, die sie nahm, nicht ihr richtig berechnender Verstand allein Antheil; ein tiefes Grauen vor der Aufklärung der geheimen Geschichte ihres Gemahls hielt nicht minder ihr ganzes Wesen instinktartig in abwehrender Mäßigung.

Ob Leonin den ganzen Werth dieses Verfahrens erkannte, wäre schwer zu bestimmen; doch suchte er die Nähe seiner Gemahlin auf, freilich, um auch bei ihr wieder in sein düsteres Nachdenken zu verfallen, das jeden Zug seines Gesichtes beschattet hatte und ihn kaum kenntlich sein ließ. Besonders trat dies hervor, wenn ihm sein Kind gebracht wurde, und er genöthigt war, es zu betrachten. Viktorine entsagte bald auch diesem Glücke; denn ein fast auffallender Schmerz erschütterte ihn dann und erregte die Beobachtung der Wärterinnen; muthig erdrückte sie die bangen Ahnungen ihrer Brust und hielt ihr Kind von da an entfernt.

In Leonins Verhältniß zum Hofe hatte sich Nichts geändert. Die Trauerzeit verschloß, den Vorschriften nach, die ganze Familie noch in ihrem Palais; die Marschallin hatte daher noch keine Versuche darüber machen können, wie weit der Tod des Marschalls die Versöhnung vermittelt habe. Regelmäßig den achten Tag erschienen die Hofchargen zu einem kurzen, ceremoniösen Besuche im Hotel Soubise. Dies konnte natürlich nur auf Befehl der Majestäten geschehen und blieb ein Gnadenzeichen, das, wie schon erwähnt, eine Loosung für den übrigen Adel ward; und so konnte es unter den an sich beschränkenden Umständen scheinen, alle Verhältnisse wären ausgeglichen. Hiervon ließ sich die Marschallin jedoch nicht täuschen, die sehr wohl alle Abstufungen der Gunst kannte und mit einem mittemäßigen Zustande der Dinge nicht zufrieden sein konnte; da sie bisher den ersten Rang erstrebt und erreicht hatte.[283]

Leonin blieb dagegen hartnäckig bei seinem Vorsatze, jetzt keine Begnadigung nachzusuchen und der Gunst des Marschalls von Louxemburg anheim zu stellen, sein Erscheinen bei der Armee zu entschuldigen. Da die Maischallin ein Mißglücken eben so fürchtete, fand er weniger Widerstand, als er erwartet; und seine Gemahlin mit ausgedehnten Vollmachten versehend, und ihr jeden Beweis der Achtung dadurch gebend, verließ er endlich das väterliche Haus und begab sich zur Armee des Niederrheins, in einem Augenblicke, wo ein ziemlich zweifelhafter Zustand des Gelingens bei den Armeen obwaltete.


Fünf Jahre waren verflossen. Der Nymweger Friede war geschlossen, die Armeen kehrten nach Frankreich zurück. Durch alle Provinzen des Landes vertheilt, erreichten die Truppen ihre Heimath, ohne daß damit eine Auflösung der Armee verbunden gewesen wäre, die Ludwig der Vierzehnte schon damals nicht für politisch erkannte und damit dem übrigen Europa, dem die Mittel fehlten, diese Maaßregel nachzuahmen, ein stets furchtbarer und überlegener Gegner blieb, dessen Freundschaft zu erhalten, die gefügigsten Schritte gethan wurden, die dem Uebermuthe, der damals schon Ludwigs Gesinnung ausschließlich zu beherrschen begann, einen schrankenlosen Spielraum gaben.

Nach fünfjähriger Trennung kehrte Leonin als Adjudant des Marschalls von Louxemburg zu seiner Familie zurück. Die Marschallin war Oberhofmeisterin der Prinzessin von der Pfalz geworden, der zweiten Gemahlin des Herzogs von Orleans. Sie lebte fast immer am Hofe, obwol ihr jede Freiheit zugestanden war, die sie sich selbst geben wollte. Immer mehr jedoch war der Hof eine Art Kultus geworden, dessen Dienste sich weihen zu dürfen, der Inbegriff aller Wünsche, aller Bestrebungen[284] ward. In dem Maaße, wie sie durch die ihr gewordene Auszeichnung über alle ihre Feinde triumphirte, hoffte sie, ihre Familie auch zu dem alten Glanze zurückzuführen, der durch die zweifelhafte Stellung ihres Sohnes noch immer in Schatten gestellt blieb. Obwol unter den zahlreichen Nachrichten von der Armee die günstigsten über Leonins Verhalten, seinen Muth, seinen rastlosen Eifer einliefen, nimmer war eine Gelegenheit zu finden, dieselben bis zu dem Könige zu führen. Außer in diesem Zauberkreise schmeichelten Alle der stolzen Mutter damit; in Gegenwart des Königs aber schwiegen Alle davon, weil Jeder wußte, daß, als einst Madame mit ihrer kecken, deutschen Weise, die viel Gnade vor Ludwig fand, auf diesen Gegenstand kommen wollte, der König sie verwundert angesehen, und als ob sie Deutsch mit ihm gesprochen, ihr gar nicht geantwortet und ihr den Rücken zugekehrt habe.

Jetzt sammelten sich die hohen Häupter der Armee wieder um den König, und der Monarch, getragen und gehoben von dem Ruhme seiner Armeen, spendete Ehren, Vermögen, Gunst und Auszeichnung jeder Art an seine Helden. Die Eroberung von Mastricht und die Schlacht bei Montcastel, kurz vor dem Frieden, diesen so bedeutend erleichternd, gaben dem Herzoge von Louxemburg ein besonders frisches Andenken und ein eingeräumtes Recht an die Gunst seines Königs.

Es war daher der Herzog von Louxemburg, der das Eis brach, auf dem Alle zu fallen fürchteten, und den König um die Erlaubniß bat, ihm seinen Adjudanten, den Grafen Crecy-Chabanne, dem er das Leben auf dem Schlachtfelde von Montcastel verdanke, vorstellen zu dürfen.

Die Form war gut gewählt, und diese beherrschte Ludwig immer despotischer; er ward dadurch an nichts der Vergangenheit Angehöriges erinnert, diese in seine Willkür gestellt, und für seine Erlaubniß, im Fall er sie geben wollte, eine Brücke[285] gebaut, die bloß den Marschall zu ehren schien und so gar nicht übersehen werden konnte, ohne diesen zu kränken. Er neigte daher einwilligend das Haupt und ging augenblicklich zu dem Ereignisse sebst über, indem er den Herzog von Louxemburg fragte, bei welcher Gelegenheit er in so dringender Gefahr gewesen sei.

Der Marschall hatte jetzt Veranlassung, Leonins Verdienst hervor zu heben, welches er mit der höfischen Vorsicht that, welche es vermeidet, eine Meinung bestimmen oder lenken zu wollen und nur, wie von dem Gegenstande gezwungen, die Dinge vorzutragen scheint. Der König glaubte durchaus seine Ansicht hierüber dem Hofe entzogen und seiner Willkür überlassen, während schon Alle sicher waren, Leonin werde sich eines gnädigen Empfanges zu erfreuen haben. Doch täuschte Ludwig, erfindungsreich in Nüancen des Ceremoniels, welches immer mehr zur karrikaturartigen Uebertreibung ausartete, auch hier seine Höflinge. Zwar durfte Leonin die geweihte Schwelle des königlichen Audienzzimmers betreten und in die Reihen der gleich berechtigten Cavaliere treten; aber der König schien ihn dennoch nicht zu sehen, obwol er bei seinen verhängnißvollen Wanderungen ihn sehen mußte. Als er jedoch an dem Marschalle von Louxemburg vorüber schritt und dessen besonders bekümmerte Miene sah, rief er: »Ah, Marschall, wir sollten den Retter Ihres Lebens kennen lernen!«

Leonin beugte das Knie; der König betrachtete ihn einen Augenblick stumm, dann hieß er ihn aufstehen und jetzt sprach er zu ihm, wie zu einem völlig fremden, nie gesehenen Manne; und indem er seine Handlungsweise lobte, verrieth doch nicht die kleinste Aeußerung, daß er ihn je früher gesehen habe. So demüthigend dies war, mußte Leonin es doch für eine Gnade ansehen; auch erhielt der Herzog für ihn ohne Einwendung die Bestätigung zu einer Oberstenstelle, die ihn jedoch nicht von der Person seines Generals trennte.[286]

Die Königin empfing ihn dagegen ohne alle Zeichen der Empfindlichkeit. Viktorine nahm ihren Platz unbestritten bei ihr ein, und niemals hätte sie den Gatten derselben zu kränken vermocht.

Dazwischen sehen wir Leonin, sobald er Muße finden kann, den Weg nach St. Sulpice einschlagen. Mit unbeschreiblicher Bewegung erreicht er das Gitterthor; aber als es ihn einläßt, verfolgt er nicht den Weg nach dem Stiftshause, sondern wendet sich links und hat sich bald in die Klostergänge verloren, in denen ihm ein voran schreitender Laienbruder die Zelle Fenelons öffnet.

Tief athmend bleibt Leonin auf der Schwelle stehen. Es ist gegen Abend – die Sonne scheint mild durch Rebengeländer in das geöffnete Fenster. Auf einem hölzernen Stuhle sitzt Femelon vor einem einfachen Tische, mit Büchern und Schreibgeräth bedeckt. Auf einem Bänkchen neben ihm steht ein Knabe von sieben Jahren und liest nach Fenelons Anweisung in einem lateinischen Breviere. Der Knabe wendet ihm den Rücken zu; aber er darf nur den reichen Heiligenschein goldbesäumter, brauner Locken sehen, um zu wissen, daß vor ihm Fennimors Sohn steht! Fenelon streckt dem Erwarteten, über den Knaben hinweg, die Hand entgegen. Auch dieser hört den Eintretenden; er blickt zu seinem Lehrer auf, dann wendet er rasch den Kopf, sieht den Fremden und ist mit einem Satze von dem Bänkchen gesprungen. Außer sich, aber stumm vor Bewegung, steht Leonin vor seinem Sohne! Er wagt nicht, ihn an sein Herz zu drücken; die maaßlose Wonne, die ihn bei seinem Anblicke durchströmt, ist zugleich der wahnsinnigste Schmerz. Es sind Fennimors tiefblaue Augen; das zarte Oval mit dem süß gerundeten Kinne; dieser volle, lächelnde, blühende Mund mit den kleinen, weißen Zähnen, dieser Ausdruck zwischen Ernst und Schelmerei, dieser bezaubernd warme Farbenglanz![287]

So sah er ihr Antlitz, als sie noch auf der Grenze der Kindheit ihm zuerst entgegen trat! Der Knabe trug ein offenes Hemd, das über Schultern und Brust aufgeschlagen war wegen der Wärme des Tages und besonders anmuthig zu einem Pagenkleide von blaßblauer Seide paßte. So wie er seinen Satz gemacht hatte, griff er nach seinem Barett und machte dann eine der kleinen, zierlichen Verbeugungen, die kein Tanzmeister und Erzieher lehrt und die nur aus der Schönheit des Körpers – aus dem befiederten Geist eines Kindes hervorzutreten vermögen. Es war wieder Fennimors unaussprechlich schwebende Anmuth, ihr wunderbarer Pathos zugleich!

»Faßt Euch,« sprach Fenelon mild – »und umarmt dies Kind Eurer seligen Freundin. – Reginald,« fuhr er fort, sich zu ihm wendend, »dieser Herr ist Dein Vormund, den Du so liebst, weil er Dich hier erziehen läßt.«

»Das dachte ich!« rief Reginald – und im Augenblicke sprang er Leonin um den Hals. Jetzt hatte er ihn im Arme! An seine Brust gedrückt, durfte er ihn küssen, ihm die süßesten Namen geben – über ihm die ersten Thränen der lang vertrockneten Augen weinen! –

Wir erzählen indeß, wie er hierher kam. – Als Reginald sein viertes Jahr zurückgelegt, erklärte der Vikar Emmy Gray's Dienst bei ihm erledigt. Er predigte tauben Ohren. Sie wollte das Kind nicht herausgeben, und faßte den finstersten Haß gegen den Vikar und seine Schwester, die sie zu diesem Schritt in Güte bereden wollten. Reginald hatte sich körperlich und geistig kräftig entwickelt; aber Emmy hielt ihn wie einen Vogel im Käfig, und da sie selbst weder schreiben, noch lesen konnte, so waren auch diese ersten Grundlagen dem Kinde nicht von ihr beizubringen. Aber gerade, weil sie gegen diese Einwürfe nichts zu erwiedern wußte, verbaute sie ihren Willen mit dem hartnäckigsten Eigensinne; und die Geschwister, die Fennimors[288] Kind nicht aufgeben konnten, wendeten sich an den Grafen Crecy selbst, obwol dieser noch bei der Armee war.

Dies brachte einen Entschluß in Leonin zur Reife, den er schon lange genährt. Er trat mit Fenelon über die Erziehung seines Sohnes in Unterhandlungen. In St. Sulpice wurde eine kleine Anzahl Kostgänger aufgenommen, die den sehr ausgezeichneten Unterricht der Mönche und ihre moralische Leitung genossen. Unter diese Zahl Reginald aufzunehmen, flehete Leonin Fenelon an. Doch fand er hier den auffallendsten Widerspruch. Fenelon äußerte die entschiedenste Abneigung, sich in diese geheime Angelegenheit zu mischen. Er sagte ihm, daß es ihm unerträglich sei, ein Geheimniß, von dem Viktorinens Lebensglück abhinge, zu kennen, und daß er wenigstens nichts damit zu thun haben wolle, da er es nicht habe verhüten können, so Viel davon zu erfahren. Doch Leonin ließ nicht nach in seinen Bitten, und endlich willigte Fenelon ein, aber nur unter folgenden Bedingungen: Niemals sollte Viktorine das Verhältniß des Kindes zu Leonin erfahren – niemals dies Kind selbst, daß Leonin sein Vater sei! Er unterstützte diese Forderungen durch Gründe, die genugsam bewiesen, daß selbst dem aufgeklärtesten Katholiken immer die Stunde schlägt, wo er in dem Dünkel seiner ihm allein berechtigt erscheinenden Kirche die Grenze findet für christliche Gesinnung; daß vornämlich der Priester stets darauf zurückkommt, jede andere Form des Bekenntnisses, als die seine, für unzuläßlich, ohne bindende Kraft anzusehen, und daß die Entscheidung über Rechte – wie klar sie auch christlich und sittlich der andern Kirche zugehören mögen – doch immer die Stütze der ausschließenden Berechtigung entbehren wird, die eben, als untrüglich angenommen, keiner Frage des Gewissens mehr unterworfen wird, und mit der angewöhnten Ueberzeugung zugleich die kaum eingestandene Furcht vor den Zwangsmitteln dieser Kirche verbindet, mit[289] welcher die kleinste Abweichung von ihrer konsequenten Despotie sogleich unrettbar entzweit.

Fenelon deutete wirklich an, daß er Leonin's erste Verbindung nicht für gültig halten könne; darüber aber dennoch Viktorinen, als ihr Beichtiger, die Entscheidung erspart wissen wolle. Er forderte Leonin auf, dies Kind vortheilhaft zu dotiren; doch durch keine weiteren Zugeständnisse sein Gemüth in falsche Richtung zu bringen – und Leonin gab nach!

Der Vikar bekam Fenelon's Brief und Leonin's Entscheidung. Herr St. Albans, der bejahrte Kastellan von Ste. Roche, entführte halb mit Gewalt das holde Kind den Armen der verzweifelnden Emmy Gray und lieferte dasselbe in die Fenelon's.

Leonin ließ Emmy die Wahl, zurückzukehren oder zu bleiben. Doch wild wies sie den ersten Vorschlag von sich. Sie hatte Nichts geliebt, als Fennimor; – mit Widerwillen dachte sie an John Gray, ja, selbst an ihre kleine Tochter. Sie sagte oft: »Ich kann Nichts mehr lieben! Was sollen sie mit mir!« Sie blieb im Schlosse und bewachte die Zimmer, in denen ihr Liebling einst gelebt und hütete sie, und blieb der ganzen übrigen Welt unzugänglich und bitter grollend.

Dagegen blühete das herrliche Kind unter Fenelon's weiser Hand trefflich empor. Er stürzte sich auf den Unterricht, den er erhielt, mit der Begierde eines Hungrigen; und sein Lehrer fühlte bald eine so warme, innige Zärtlichkeit für ihn, daß er ihn in Allem selbst zu unterrichten anfing. –

Nachdem Leonin den Rausch des Herzens durchgemacht, theilte ihm Fenelon mit, daß Viktorine, die ihre Andacht in St. Sulpice hielt, ihn gebeten habe, ihren Sohn den Kostgängern des Klosters zuzugesellen. Er habe die Entscheidung hinzuhalten gesucht bis zu seiner Rückkehr und frage jetzt um seine Meinung. Augenblicklich willigte Leonin in diesen Plan,[290] der ihm eine süße Hoffnung gab, die Brüder vereinigt zu erziehen, vielleicht Freunde aus ihnen werden zu sehen. »Dies hoffnungsvolle Kind,« sprach Fenelon – »hat Viktorine mit dem Wunsche erfüllt, beide Knaben mit einander verbunden zu sehen, da Ludwig, ihr Sohn, von zarterer Natur und von geringeren Fähigkeiten ist.«

Diese Nachricht war der erste Trost für Leonin's darbendes Herz, und er kehrte mit so verändertem Wesen zu Viktorinen zurück, daß diese sich tief gerührt fühlte, da sie es dem Vergnügen glaubte zurechnen zu müssen, mit welchem Leonin ihren Plan für die Erziehung ihres Sohnes auffaßte und mit ihr die Ausführung desselben verabredete. »Gottlob er liebt sein Kind noch!« rief sie in Thränen der Freude, als sie allein war; »dies Gefühl wird die Brücke werden, die über die Tiefe zwischen uns aufsteigen und sie verdecken muß!«

Auch gab es außerdem Familienfeste, denen Leonin sich nicht entziehen konnte. Louise de Crecy sollte jetzt mit dem Marquis d'Anville, der den Feldzug mitgemacht und nach dem Frieden zu seiner Familie zurückgekehrt war, vermählt werden. Das Glück, das ihrer wartete, schloß Louise nur noch inniger an ihren Bruder. Sie konnte es nicht fassen, warum ihr sonst heiterer, immer mit ihr scherzender Leonin so finster und ernst sei. Sie hing sich mit der jugendlichen Hoffnung an ihn, sie werde ihn erheitern können, und Leonin mußte sich wenigstens in Etwas theilnehmend zeigen, um das geliebte Wesen nicht zu schmerzlich zu täuschen. Er durfte sich überhaupt diesen Anforderungen nicht entziehen, da es ihm, als Oberhaupt der Familie, zukam, seiner Schwester die Honneurs zu machen. Man konnte in dieser Zeit nichts Schöneres sehen, als den Marquis d'Anville mit seiner Braut, und der Hof nahm selbst den schmeichelhaftesten Antheil an dieser Erscheinung, welche Lebrun in einem ausgezeichneten Bilde verewigte.[291]

Nach den vollzogenen Vermählungs-Feierlichkeiten beurlaubte sich das junge Ehepaar vom Hofe, und Leonin hatte nun Zeit, für seinen Sohn die Einrichtungen in St. Sulpice zu betreiben. Bald zeigte sich die geheime Hoffnung Leonins erfüllt. Beide Knaben schlossen sich mit größter Liebe an einander, und besonders hatte Ludwigs Liebe fast etwas Leidenschaftliches und Schwärmerisches für Reginald; denn, sei es das eine Jahr, was dieser älter war, sei es ihre auffallende Karakterverschiedenheit, genug, ungesucht wurde ihr Verhältniß das eines Beschützers und eines Beschützten.

Wir verlassen hier den Kreis, den wir bisher Schritt vor Schritt verfolgten. Es kommen in dem Leben jeder Familie Zeiten vor, die leer erscheinen und erst mehrerer Jahre bedürfen, um Resultate zu zeigen. Eine solche trat hier ein. Es wird weniger ermüdend sein, uns aus den angegebenen Stellungen der Karaktere und der Verhältnisse, die wachsenden Zustände selbst zu erklären, als ihnen an der kleinen Stufenleiter reizloser Begebenheiten nach zu klimmen – und so wollen wir erst da wieder unsere Mittheilungen beginnen, wo wir Thatsachen anführen können, die ein Resultat der Vergangenheit sind und neue Katastrophen herbeiführen.[292]

Quelle:
Henriette von Paalzow: Der Verfasserin von Godwie-Castle sämmtliche Romane. Band 1–6, Band 6, Breslau 1855.
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