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1853 | 12. November: Oskar Panizza wird in Bad Kissingen in Franken als sechstes Kind des Hoteliers Carl Panizza und seiner auch schriftstellerisch tätigen Frau Mathilde, geb. Speeth, geboren. Er wird katholisch getauft. |
1855 | 26. November: Panizzas Vater stirbt an Typhus. Die Mutter führt das Hotel »Russischer Hof« allein weiter. Nach dem Willen der Mutter werden alle Kinder protestantisch. Von der katholischen Kirche angefeindet und verfolgt, verläßt die Mutter mit den Kindern Bad Kissingen und geht nach München. Verurteilung und Geldstrafe, Bestellung eines katholischen Vormunds für drei Kinder, die die Mutter vor der katholischen Kirche versteckt. |
1860 | Erster privater Unterricht. Die Mutter bestimmt Panizza zum Geistlichen. Ein Sturz vom Hochrad im Kindesalter führt zu einer zeitlebens anhaltenden Gehbehinderung. |
1863 | Panizza, der schwer lernt, wird auf das private pietistische Knabeninstitut der Brüdergemeinde in Korntal geschickt, um auf das Gymnasium vorbereitet zu werden. Strenge religiöse Erziehung. |
1868 | Konfirmation. Herbst: Schulwechsel auf das Gymnasium nach Schweinfurt. Erster Klavierunterricht. |
1870 | Panizza wechselt auf ein Gymnasium in München. Schlechte Leistungen in der Schule. Fortsetzung der musikalischen Ausbildung. Panizza hat den Wunsch, Sänger zu werden. |
1871 | Winter zu 1872: Mathilde Panizza nimmt den Sohn in München in ihre Obhut. |
1872 | Panizza verläßt das Gymnasium ohne Abschluß und besucht unregelmäßig die Handelsschule. Er erhält Privatunterricht. Besuch der Gesangsklasse des Konservatoriums in München. |
1873 | Mai: Von der Mutter gezwungen, beginnt Oskar Panizza eine Lehre beim Bankhaus Bloch in Nürnberg. August: Wegen schlechten Benehmens wird er aus der Lehre entlassen. Herbst: Einjährig-Freiwilliger beim III. Bayrischen Infanterie-Regiment. Die Warnungen seiner Mutter vor den Konsequenzen halten ihn von der Desertion ab. Erste literarische und kompositorische Versuche. |
1874 | Herbst: Entlassung aus dem Militärdienst und Rückkehr nach München aufs Konservatorium mit dem Wunsch, Berufsmusiker zu werden. Herbst: Panizza erkrankt an der Cholera. Gasthörer an der Universität, wo er philosophische Vorlesungen besucht. Panizza ändert seine Pläne: Er will das Abitur nachholen und studieren. |
1876 | Erneuter Besuch eines Schweinfurter Gymnasiums. Herbst: Glänzendes Abiturexamen. Wintersemester: Beginn des Medizinstudiums in München. |
1878 | Frühjahr: Reise nach Italien. Vermutlich hier infiziert er sich mit Syphilis. |
1880 | Er promoviert mit dem Prädikat »summa cum laude« zum Dr. med. und erhält seine Approbation. Militärarzt der Reserve in München. Reisen nach England und Frankreich. Studium der französischen Literatur, insbesondere der Dramatik. |
1881 | Halbjähriger Aufenthalt in Paris. |
1882 | Rückkehr nach München. Panizza wird Assistenzarzt in der Oberbayerischen Kreisirrenanstalt unter Prof. Dr. Bernhard von Gudden. Depressive Gemütserkrankung. |
1884 | Aus gesundheitlichen Gründen und wegen Differenzen mit dem Vorgesetzten kündigt Panizza seine Stelle als Arzt. Er wendet sich endgültig der Literatur zu. Herbst: Fortan erhält Panizza eine ihm aus dem Familienerbe zustehende jährliche Rente von 6000 Mark. |
1885 | Erste literarische Publikation: »Düstre Lieder« (Gedichte). Panizza läßt sich als praktischer Arzt in München nieder, gibt aber schon nach kurzer Zeit die Praxis wieder auf. Von nun an lebt er ausschließlich von seiner Rente. Herbst: Reise nach London, wo er sich bis zum Oktober 1886 aufhält. |
1886 | Literarische Studien im British Museum. |
1887 | »Londoner Lieder« (Gedichte). |
1889 | Zeitweiliger Aufenthalt in Berlin. »Legendäres und Fabelhaftes« (Gedichte). Panizza studiert die italienische Sprache und Literatur und reist nach Italien. |
1890 | Panizza verkehrt im Kreis der Münchner Modernen um Michael Georg Conrad. »Dämmerungsstücke« (Erzählungen). Beginn der journalistischen Tätigkeit, die für Panizza bis 1902 von herausragender Bedeutung bleibt. |
1891 | Panizza wird Mitglied der naturalistischen »Gesellschaft für modernes Leben« unter der Führung von Michael Georg Conrad. 20. März: Panizza hält in diesem Kreis seinen Vortrag »Genie und Wahnsinn«. Da er den von den Gegnern der »Gesellschaft« verlangten Austritt ablehnt, wird er aus dem Militärarztverhältnis entlassen. Die Veröffentlichung seiner »englischen Erinnerung« unter dem Titel »Das Verbrechen in Tavistock-Square« hat eine Anklage gegen Panizza wegen »Vergehens gegen die Sittlichkeit« zur Folge, die jedoch zurückgezogen wird. |
1892 | »Aus dem Tagebuch eines Hundes« (Satire). |
1893 | »Visionen« (Erzählungen) Unter dem Pseudonym Bruder Martin O.S.B. veröffentlich Panizza die satirische Schrift »Die unbefleckte Empfängnis der Päpste«, die umgehend verboten und beschlagnahmt wird. |
1894 | Erste dramatische Publikation: »Der heilige Staatsanwalt« (Komödie). »Der deutsche Michel und der römische Papst«, eine antikatholische Kampfschrift, erscheint. Herbst: »Das Liebeskonzil. Ein Himmelstragödie in fünf Aufzügen« wird veröffentlicht. |
1895 | »Das Liebeskonzil« wird verboten und beschlagnahmt. Gegen Panizza wird Anklage wegen Gotteslästerung erhoben. 30. April: Verurteilung zu einem Jahr Gefängnis wegen Vergehens gegen die Religion. Ärztliche Bemühungen, Panizza für unzurechnungsfähig zu erklären, scheitern. 8. August: Haftantritt in der Strafanstalt Amberg. Theodor Lessing publiziert die Schrift »Der Fall Panizza – eine kritische Betrachtung über ›Gotteslästerung‹ und künstlerische Dinge vor Schwurgerichten«. »Der Illusionismus und die Rettung der Persönlichkeit«, eine individual-anarchistische, unter dem Einfluß Max Stirners verfaßte Schrift, erscheint. 11. Oktober: Uraufführung des Einakters »Ein guter Kerl« in Leipzig. Es bleibt das einzige Stück Panizzas, das zu seinen Lebzeiten aufgeführt wurde. |
1896 | 8. August: Entlassung aus der Haft. Oktober: »Abschied von München«. Das Werk wird verboten und beschlagnahmt, Panizza wird steckbrieflich verfolgt. 16. Oktober: Emigration nach Zürich. |
1897 | »Meine Verteidigung in Sachen ›Das Liebeskonzil‹«. Juni: Gründung des eigenen Verlags und der Zeitschrift »Zürcher Diskußjonen«. Panizza veröffentlicht darin u.a. seine während der Haft geschriebenen »Dialoge im Geiste Huttens« und den Essay »Christus in psichopathologischer Beleuchtung«. |
1898 | »Psichopatia Criminalis« (politische Satire). »Nero« (historische Tragödie). 27. Oktober: Panizza wird wegen des Umgangs mit einer minderjährigen Prostituierten, tatsächlich aber wohl aus politischen Gründen, aus der Schweiz ausgewiesen. 21. November: Umzug nach Paris. |
1899 | Von Paris aus setzt Panizza die Zeitschrift »Zürcher Diskußjonen« fort. Dezember: Die Gedichtsammlung »Parisjana. Deutsche Verse aus Paris« wird wegen Majestätsbeleidigung (Wilhelms II.) in Deutschland beschlagnahmt und löst eine internationale Fahndung nach Panizza aus. |
1900 | 10. März: Panizzas in Deutschland befindliches Vermögen wird durch die bayerischen Behörden beschlagnahmt. Panizza ist nun mittellos. Erstes Auftreten der von ihm selbst als solche diagnostizierten Halluzinationen. |
1901 | 13. April: Aufgrund seiner Mittellosigkeit reist Panizza nach München und stellt sich den Behörden. Er wird verhaftet. 22. Juni – 3. August: Zur Untersuchung seines Geisteszustands wird Panizza in der Münchener Kreisirrenanstalt untergebracht. 28. August: Haftentlassung ohne Angabe von Gründen. Ein ärztliches Gutachten erklärt Panizza hinsichtlich des Verfassens der »Parisjana« für unzurechnungsfähig. Rückkehr nach Paris. Panizza fühlt sich schweren seelischen und körperlichen Belastungen ausgesetzt. |
1902 | Die letzten Ausgaben der »Zürcher Diskußjonen« erscheinen. Damit endet Panizzas publizistische Tätigkeit; er schreibt jedoch noch bis 1904 zahllose Artikel für seine nicht mehr existierende Zeitschrift. Verschärftes Auftreten verschiedener Halluzinationen. Panizza glaubt sich von Kaiser Wilhelm II. und dessen Mittelsmännern in den Wahnsinn getrieben. Zunehmende Isolation. |
1903 | Panizza arbeitet an »Imperjalja« (bis April 1904, unveröffentlicht), einer der internationalen Presse entnommenen Aufzählung von Schwerstverbrechen, die Wilhelm II. direkt oder indirekt begangen und zu verantworten habe. |
1904 | 23. Juni: Nachdem die Halluzinationen eine unerträgliche Intensität erreicht haben, verläßt Panizza Paris und reist nach Lausanne, dann nach München, wo er sich für zehn Tage freiwillig in eine private Nervenklinik begibt. 20. Juli: Panizza bezieht in München ein Zimmer. 9. Oktober: Selbstmordabsicht. 19. Oktober: Panizza läuft nur im Hemd bekleidet durch München und provoziert damit seine Einweisung in die psychiatrische Klinik. |
1905 | Februar: Panizza wird in die Bayreuther Heilanstalt St. Gilgenberg eingeliefert. 28. März: Panizza wird gegen seinen Willen entmündigt. Er setzt seine literarische Tätigkeit fort. |
1906 | 7. November: Datum der letzten schriftlichen, erhaltenen Äußerung Panizzas. |
1908 | März: Einweisung in das Luxussanatorium Herzogshöhe bei Bayreuth. |
1914 | »Visionen der Dämmerung«, eine Sammlung bereits früher veröffentlichter Erzählungen, erscheint ohne Panizzas Wissen. |
1915 | 13. August: Tod der Mutter Mathilde Panizza. |
1921 | 28. September: Oskar Panizza stirbt im Sanatorium Herzogshöhe an einem Schlaganfall und wird zwei Tage später auf dem Städtischen Friedhof Bayreuth beigesetzt. |
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