Zweite Szene

[79] Die Vorigen; Gott Vater, ein Greis im höchsten Lebensalter mit silberweißen Haaren, ebenso Bart, hellblauen wässerigen Glotzaugen, tränengefüllten Augensäcken, gebeugten Hauptes, kyphosischen Rückgrats, kommt in langem, talarartigem, mißfarbig-weißem Gewände, von zwei Cherubim rechts und links gestützt, hustend und brustrasselnd, schwerfällig tappend und nach vorn geneigt, hereingeschlappt; zwei Engel stehen am Thron und halten ihn: die übrigen stürzen auf die Knie, wenden das Gesicht zur Erde und breiten die Arme aus; hinter Gott Vater ein endloses Cortège von Engeln, Seraphim, Türstehern, Aufwärtern, alles weiblich, oder geschlechtslos, mit teils alltäglich-gelangweilten, teils fürwitzigen, teils ängstlich-besorgten Gesichtern; sowie einige nonnenartig gekleidete Barmherzige Schwestern mit Medizinflaschen, Decken, Spucknäpfen und dgl. – Sie geleiten Gott Vater langsam vorsichtig zum Thron, helfen ihm die zwei Stufen hinauf, indem sie unten seine Beine fassen und hinaufheben, drehen ihn dann oben um, und lassen ihn langsam auf den im ältesten byzantinischen Stil gehaltenen, mit reichem Mosaik verzierten Sitz nieder, indem zwei

vorne, zwei hinten und je einer an den beiden Seiten ihn teils stützen, teils in Empfang nehmen; ein letzter Engel trägt die Krücken nach.


GOTT VATER sinkt mit einem verzweifelnd von sich stoßenden, lebenssatt-rauhen Exspirations- Seufzer auf den Thron nieder. Ach! – Glotzt dann starr und bewegungslos, aber schweratmend, vor sich hin.


Alle Engel, auch die bis dahin gekniet gewesenen, in hastig hin- und herlaufender Bewegung.


CHERUBIM in flüsternd-drängendem Befehlston. Die Fußbank!

EIN ENGEL bringt eilig das Gewünschte. Die Fußbank!

CHERUBIM die Fußbank untersetzend; wie oben. Die Wärmeflasche!

EIN ENGEL bringt sie. Die Wärmeflasche.

CHERUBIM wie oben. Den Fußsack!

EIN ENGEL eilig. Den Fußsack.

CHERUBIM wie oben. Die Steppdecke![79]

EIN ENGEL bringt sie, eilig. Die Steppdecke.

CHERUBIM in drängendem Befehlston. Die Schlummerrolle!

EIN ENGEL bringt sie. Die Schlummerrolle.

CHERUBIM wie oben. Den Rückenwärmer!

EIN ENGEL bringt ein sechsfach zusammengelegtes weiches Flanellstück. Den Rückenwärmer!

CHERUBIM immer hastiger befehlend. Die Armpolster!

EIN ENGEL bringt zwei Hohlkissen für die Armlehnen. Die Armpolster.

CHERUBIM wie oben. Das Foulard!

EIN ENGEL bringt ein kirschrotes Seidentuch. Das Foulard.


Während der Cherubim das Tuch um den Hals des Greisen windet, hört man.


GOTT VATER unartikuliert-rauh stöhnen und jammern. Aeh! – Aeh! – Aeh! – Aeh! –

VERSCHIEDENE ENGEL. Wo fehlt's? – Was ist? – Helft! Helft! – Wo fehlt's? –

GOTT VATER mit vorgebeugtem Kopfe weiterstöhnend. Aeh! – Aeh! – Aeh! – Aeh! –

ALLE ENGEL sammeln sich in großer Bestürzung um den Thron; einige knien nieder und schauen ängstlich gespannt auf Gott Vater. Helft! – Helft! – Wo fehlt's? – Wo fehlt's? – Göttliche Majestät, wo fehlt's? – Er stirbt uns! – Holt Maria! – Holt den Mann! – Helft! – Helft! –

GOTT VATER weiter stöhnend; wird engobiert im Gesicht; aus den Augensäcken rollen große Tränen infolge der Anstrengung. Aeh! – Aeh! – Schpu! – Schpu! – Schpu! –

EIN ENGEL springt auf, triumphierend, mit heller, lauter Stimme. Die Spuckschale!

ALLE ENGEL aufspringend, in klirrendem Diskant, erlösend. Die Spuckschale!!


Sie eilen zu einem Tisch, wo Medizinflaschen, Weinkaraffen, Bisquit-Gläser und dgl. stehen, und bringen eine rosa-rote Kristall-Vase.


GOTT VATER räuspernd, kollernd, sich abmühend, erleichtert sich endlich.


Ein Engel nimmt die Spuckschale zurück, trägt sie, von anderen begleitet, feierlich nach hinten; ein anderer Engel wischt dem Alten mit einem seidenen Tuch den Bart ab; dann stehen alle Anwesenden, dicht gesammelt, erwartungsvoll um Gott Vater herum. – Dieser schaut[80] erst lange mit glasig-starren Blicken im Kreise herum, packt dann plötzlich mit zitternden Händen die Krücken, die ihm im Schoß liegen, und stößt sie mit unerwartetem Ruck und heiserem, fürchtenmachendem, fingierten Gebrüll gegen die Engel vor. Wuh! – Wuh! – Die Engel fahren kreischend auseinander und fliehen zu den Türen hinaus. – Nur ein Cherubim bleibt zurück, der kniend, mit in den Händen vergrabenem Gesicht, sich vor ihm niederwirft. – Lange Pause. –[81]


Quelle:
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied und Berlin 1964, S. 79-82.
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