Erste Szene

[124] [124] Im Himmel. Ein kostbar ausgestattetes Gemach in Rosa. Maria, vornehm geschmückt auf ihrem Thron, umgeben von meist jüngeren Engeln in lichter, farbiger Tracht, die an den Stufen des Thrones teils sitzen, teils in malerischer Stellung liegen. Einer derselben hat ein Buch in der Hand und liest aus Boccaccio in monotoner, breiter, schulmädchenartiger Stimme vor.


ENGEL liest. »... Agilulf, der König der Longobarden, befestigte, gleich seinen Vorgängern in Pavia, der Hauptstadt der Lombardei, seinen Thron durch Vermählung mit Teudolinga, der Witwe Auterichs, der ebenfalls König der Longobarden gewesen war. Diese Gattin war sehr schön, verständig und ehrbar, der aber dennoch ein Liebhaber einst einen schlimmen Streich spielte. Als nämlich durch die Tapferkeit und den Verstand des Königs Agilulf der lombardische Staat glücklich und ruhig geworden war, geschah es, daß ein Reitknecht der genannten Königin, ein Mensch, was die Abstammung anbetrifft, von höchst ärmlichen Umständen, sonst aber über sein schmähliches Geschäft hoch erhoben, und von Person schön und groß wie der König, sich über alle Maßen in die Königin verliebte. Da jedoch sein niedriger Stand ihn keineswegs verhinderte einzusehen, daß diese seine Liebe außer allen Grenzen der Möglichkeit und Schicklichkeit liege, so offenbarte er sich als ein verständiger Mann niemandem und wagte nicht einmal, sich der Königin selbst nur durch einen Blick zu entdecken. Obgleich er nun gänzlich hoffnungslos war, so tat er sich doch bei sich selbst etwas darauf zugute, daß er seine Gedanken so hoch hatte steigen lassen und, vom Liebesfeuer ganz entzündet, gab er sich Mühe, es allen seinen Kameraden in allem, von dem er glaubte, daß es der Königin gefallen könnte, zuvor zu tun. Dadurch geschah es, daß die Königin, wenn sie ausritt, weit lieber das Pferd ritt, das dieser wartete als ein anderes, und dies rechnete sich jener zur höchsten Gnade, ging alsdann nicht vom Steigbügel weg, und schätzte sich glücklich, wenn er ihre Kleider berühren durfte. – Aber wie wir dies häufig sehen, daß die Liebe um so stärker wird, je mehr sich die Hoffnung verringert ...«[125]

MARIA unterbrechend. Ja, kriegen denn die Zwei sich noch nicht? –

LESENDER ENGEL stockt. – – Ich weiß nicht, Immerwährende Jungfrau.

MARIA. Sieh' mal, wie viel Seiten die Geschichte noch hat?

LESENDER ENGEL zählt sorgfältig nach. Noch zwanzig, Allerseligste Gottesmutter.

MARIA. Das ist schrecklich lang; kann man denn da nichts überschlagen? Läßt sich das Buch geben. – Na, ich glaube, jetzt wird's etwas lebhafter. Lies 'mal zu!


Gibt ihm das Buch zurück.


LESENDER ENGEL liest: »... Je mehr sich die Hoffnung verringert, so geschah es auch bei diesem armen Reitknecht, der sein verborgenes Verlangen, das von keiner Hoffnung gelindert war, kaum mehr ertragen konnte, und oft, da er sich von dieser Liebe nicht losmachen konnte, den Entschluß faßte, zu sterben ...«


In diesem Augenblick ist das Weib, ein junges, blühendes Wesen in schwarzen Haaren, mit schwarzen, tiefliegenden Augen, in denen eine verzehrende, aber noch nicht aufgeschlossene Wollust verborgen liegt, in ganz weißem Gewand zaghaft auf die Schwelle getreten. Alles ist bestürzt und, wie geblendet über den neuen Ankömmling, in die Höhe gefahren; die Engel starr und wie unentschlossen, was zu tun, die Blicke auf das Weib gerichtet.


MARIA die sich erhoben hat, imperatorisch. Wer ist diese Person? – Als keine Antwort erfolgt. Wer hat Dich herein gelassen? – Woher kommst Du? – Kommst du von drunten? – Bist Du eine Gestorbene? – Oder 'was Besseres? – Eine Heilige? – Was willst Du hier? – Mir Konkurrenz machen? – Mit welchem Recht ...? Fängt zu zittern an.


In diesem Augenblick kommt der Teufel hinter dem Weib herein, atemlos, als habe er sich verspätet, macht eine tiefe Reverenz vor Maria.


TEUFEL. Gnädige Frau, – Das Weib vorstellend. – meine Tochter!


Die Engel fahren kreischend nach links ab.


MARIA die Thronstufen hinabsteigend, mit dem Ausdruck höchster Verwunderung. Ah! –

TEUFEL den Eindruck abwartend; dann nach einer Pause. Ich hoffe, sie gefällt Dir?[126]

MARIA zögernd, ihre Eindrücke sammelnd. Gefallen? – Nein, dazu ist sie zu schön. Dieses Biest schlägt alles im Himmel und auf Erden. – Ich erwartete ein Scheusal.

TEUFEL. Gnädige Frau, damit ...

MARIA unterbrechend, zornig. »Gnäd'ge Frau! – Gnäd'ge Frau!« Ich bin die Immerwährende Jungfrau und Allerseligste Gottesmutter! – Merk' Dir's! Mit einem Blick auf das Weib.

TEUFEL sehr devot, halblaut. Diese feinen Unterschiede erfaßt Die noch nicht. – Sie ist wie ein Kind.

MARIA. Wie, spricht sie nicht?

TEUFEL. Gott bewahre!

MARIA. Sie spricht keine Sprache?

TEUFEL. Sie spricht die Sprache, die alle Weiber sprechen, die Sprache der brennendsten Verführung.

MARIA. Ich meine, Du bist über unser Programm hinausgeschritten. – Was soll diese superbe Person ...? –

TEUFEL. Ich mußte sie in irgendeiner Art ...

MARIA einfallend. Wenn ich das wollte, konnte ich einen meiner Engel, ich konnte selbst ...

TEUFEL. Oh, schönste Frau, nimmermehr; Ihr habt vergessen ...

MARIA. Ja, ja! – Ganz richtig! – Jawohl! – – Aber warum so blendend? – Das reine Entzücken! Zum Teufel gewendet halblaut. Kann man sich hier 'was vergeben?

TEUFEL. Du kannst sie glatt bewundern; noch weiß sie gar nichts.


Maria verschlingt das Weib mit ihren Blicken, geht dann in einer plötzlichen Wallung auf sie zu, und küßt sie.


Das Weib fährt fast erschrocken zurück.


MARIA überwältigt. Das volle Entzücken! – Wie ein Kind! –

TEUFEL mit komischem Pathos. »Rein aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen!« –

MARIA empfindet den Stich. Oh – buffone! – Wo hast Du sie her?

TEUFEL sehr gespreizt. Gewisse Geheimnisse Unserer Fabrikation können Wir nicht mitteilen; – indes – die Mutter kann ich Dir nennen.

MARIA. Ah!

TEUFEL. Eine gewisse Salome, – die schöne Köpferin, – die sich mit einer Schnellung ihres Tanzbeins einen warmen Menschenkopf holte.

MARIA sich besinnend. Haben Wir die nicht heroben?[127]

TEUFEL trocken. Nein, nein! – Solche Personen habt Ihr nicht heroben.

MARIA versunken in die Gestalt. ... solche Personen habt Ihr nicht heroben ...! Und so blendend! –

TEUFEL. Was Du siehst, hat sie von der Mutter.

MARIA. Von ihr.

TEUFEL sarkastisch. Und noch einiges, was Du nicht siehst! –

MARIA zu ihm hinüberschauend, verständnisvoll. Jawohl! – Sonst? –

TEUFEL. Die Qualitäten des Vaters kommen erst später zum Vorschein; – – wenn sie Übung hat ...

MARIA. Das glaub' ich!

TEUFEL. Ich war in meiner gloriosen Stimmung!

MARIA die sich von der Gestalt nicht trennen kann. Und dieses keusche Entzücken, dieses unvergleichliche Auge, dieser Impuls voll überirdischer Lust, dieser Gedanke von übermenschlicher Güte und Mitleid soll die Menschen, sagst Du, vergiften und verderben?

TEUFEL sehr bestimmt. Das soll es!

MARIA. Soll es das? – Kann es das? –

TEUFEL höhnisch. Kann es das? – Ich sag Dir, das in ihr verschlossene Gift ist so stark: nach vierzehn Tagen soll der, der sie berührt, mit Augen wie Glasklicker in die Welt schauen; seine Gedanken gerinnen ihm, und er schnappt nach Hoffnungsluft, wie ein trocken gewordener Fisch; nach sechs Wochen betrachtet er seinen Körper und fragt: Bin das ich? die Haare fallen ihm aus, die Wimpern fallen ihm aus, die Zähne fallen ihm aus; Gebiß und Gelenke werden wackelig; nach drei Monaten ist er an seiner Menschenoberfläche durchlöchert, wie ein Sieb, und er spekuliert an den Schaufenstern herum, ob man etwa eine neue Menschenhaut kaufen kann; die Verzweiflung rinnt ihm nicht nur im Herzen zusammen, sondern läuft ihm stinkend auch zur Nase heraus; die Freunde begucken sich gegenseitig, und wer in der ersten Phase der Vergiftung ist, lacht den aus, der sich in der dritten oder vierten befindet; nach einem Jahr fällt ihm die Nase in den Suppenteller, und er läuft zum Kautschukhändler, um eine neue zu kaufen; dann verzieht er, geht an einen andern Ort, wechselt sein Handwerk, wird mitleidig und sentimental, tut keinem Tierlein 'was zuleide, entwickelt[128] moralische Gesinnungen, spielt mit den Mücklein in der Sonne und beneidet die jungen Bäume im Frühling; er wird katholisch, – wenn er protestantisch war; und protestantisch, – wenn er katholisch war: nach zwei, drei Jahren liegen ihm die Leber und die großen Drüsen wie Mörser im Leib und er denkt auf lockere Speisen; dann gimpelt's ihm im einen Aug', nach einem weiteren Vierteljahr ist es zu; nach fünf, sechs Jahren beginnt ein Zucken und Schießen im Körper auf und ab, wie ein Feuerwerk; er geht noch spazieren, und fleißig sieht er nach, ob die Füße noch unter dem Leib hervorkommen; noch etwas später zieht er es vor, im Bett zu bleiben; er liebt die Wärme; nach acht Jahren etwa nimmt er sich eines Tags einen Knochen aus dem eigenen Gebäu, beriecht ihn, und schmeißt ihn voll Grausen in die Ecke; er wird dann fromm, frömmer, am frömmsten; er liebt die Maroquin-Bände mit Goldschnitt und einem Kreuz darauf; und nach zehn Jahren liegt er schlank dort, ein verwelktes Skelett, mit gähnend gegen den Plafond aufgesperrtem Maul, das »Warum« fragt und stirbt. – – Die Seele gehört dann Euch! –

MARIA sich voll Abscheu wegwendend. Äh!

TEUFEL verwundert. Was? – Habe ich meine Sache nicht gut gemacht? – War die Arbeit nicht so bestellt? –

MARIA die Hände vor dem Gesicht, schluchzend. Ach, die armen Menschen!

TEUFEL einfallend. ... bleiben erlösungsbedürftig und erlösungsfähig! –


Maria die sich wieder umgewendet, starrt mit offenen Augen das Weib an, in deren Anblick sie versunken bleibt. Das Weib in der ursprünglichen, naiven, seiner unbewußten, schönheitsvollen Haltung. Man hört daußen ein Geräusch, wie von Kommenden.


MARIA erwachend, und zur Türe eilend. Nein, niemand soll herein! – Nachdem sie vor der Türe die Kommenden erblickt. Nein, mein Sohn soll nicht herein, kann nicht herein, darf nicht herein; Zurückkehrend, wild. Schaff' mir das Weib aus dem Haus! – Tu' mit ihr, was Du willst; aber fort, fort! – Augenblicklich! –

TEUFEL bittend. Liebe Maria, Immerwährende Jungfrau, Allerseligste Gottesgebärerin, ich hätte noch einige Wünsche,[129] ich denke, ich verdiene doch, ... Du weißt ...

MARIA eilfertig. Ja, ja, – Du sollst Deine Stiege haben; – aber nur fort, fort! –

TEUFEL larmoyant. Und Gedankenfreiheit! –

MARIA. Freund, Du denkst nur viel zuviel! – Ich will mir's überlegen, was ich befürworten kann; – aber jetzt fort! –


Teufel mit einem schweren Seufzer, verbeugt sich tief vor Maria, geleitet dann mit großer Vornehmheit das Weib nach außen, wohin er sie vorantreten läßt.

Maria schaut starr mit offenem Munde den Gehenden nach. Der Vorhang fällt.[130]


Quelle:
Oskar Panizza: Das Liebeskonzil und andere Schriften. Neuwied und Berlin 1964, S. 124-131.
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