Erste Szene.


[81] Doryphoros, Augustjani; später Nero, Tiridates; Erster, zweiter, dritter Römer; Erster, zweiter Jude.

Großer Plaz in Rom. Rechts im Vordergrund eine kleine, geringe Schänke, von Palmen umgeben, auf deren durch ein Zeltdach geschüzten Bänken eine Anzahl Augustjani (Klakörs), rohe Kerle, Plaz genommen haben. Der Vordergrund links bleibt für die Entwiklung des Neronischen Festzuges in der Richtung zur ersten Kuliße frei; die Paßasche dahin ist an der Grenze der Kuliße durch zwei Hermen, von Laubwerk umgeben, markirt. Demnächst, auf der gleichen (linken) Seite, folgt nach Hinten zu in großartiger Halb-Seitenansicht, auf hohem Stufenwerk erreichbar, der glänzende Tempel des Jupiter Stator, deßen Frontseite von acht mächtigen korintischen Säulen gebildet ist, deßen Gibel zum Teil über das Bühnen-Bild hinausragt; zu beiden Seiten flankirt von verschieden-hohen Bronße-Kandelabern mit Flammenwerk. Weiterhin nach Links erblikt man das in der Profilirung vorstehende Reiterstandbild des Julius Zäsar auf hohem Sokel, woran sich auf dieser Seite, und den

ganzen Hintergrund einnehmend, das Stadtbild Rom's anschließt. – Auf dem freien Plaz in der Mitte, der quer mit Seilen hoch überspant ist, an denen farbige Tücher und Kränze hängen, bewegt sich ein bunter Volkshause, Soldaten, Ritter, Senatoren, Auguren, Liktoren mit den Fasces-Bündeln, Weiber, Juden, Gaukler u.s.w. – Es herscht ein reges Durcheinander und man hört ein dumpfes Stimmengewirr aus den Reihen der Sich-Unterhaltenden und miteinander Gestikulirenden. –[81]


DORYPHOROS reich geschmükt, tritt zu seinen Leuten rechts Vorn bei der Schänke. Seid Ihr Alle da?

AUGUSTJANI durcheinander antwortend. Jawol, Herr!

DORYPHOROS. Wie viel seid Ihr?

AUGUSTJANI. Wir sind etwas an die Dreihundert; – der größere Teil sizt drinnen Deuten auf die Schänke. – machen ein Spielchen ...

DORYPHOROS. Ist gut! Ist gut! – Sieht sich nach den Andern um. – ich möchte nur haben, daß sich alle eingeprägt halten, daß ... Einige gehen hinein, um ihre Kollegen zu holen. ... ja, holt die Leute heraus! – bleibt beisammen! ... Er wartet einen Moment, schaut sich um, daß die Maße des Volks nichts zu hören bekomt; – eine weitere Gruppe Augustjani komt aus der Schänke; sie sammeln sich um ihn. ... ich sage: ich möchte nur haben, daß sich Alle eingeprägt halten, daß es heute einen wichtigen Tag gilt, und daß Alles darauf ankomt, daß Alle mit ganzem Herzen zusammenarbeiten, um dem götlichen Nero eine Freude zu machen ...

AUGUSTJANI durcheinander. Ja, ja – da wird es nicht fehlen! – er wird uns auf unserem Plaze finden! – Du kanst beruhigt sein! ...

DORYPHOROS fortfahrend. ... Der große König Tiridates, welcher über das Land Armenien herscht, welches in Parthien liegt – oder vielmehr: welcher über das Land Armenien herschen soll, sobald er vom götlichen Nero die armenische Krone aufgesezt erhalten hat – wie sagte ich?: der große König Tiridates, welcher über Armenien herscht, wird mit großem Gefolge da sein, – worunter sich viele Künstler befinden sollen – und wird Zeuge sein von der großen Beliebtheit, deßen sich der götliche Nero bei seinem Volke erfreut – es ist dies nämlich eine große Wichtigkeit, und es hat einen politischen Hintergrund – der fremde König[82] soll also deutlich fühlen, daß der götliche Nero der Abgott seines Volkes ist – besonders nach den lezten traurigen Ereignißen, von denen Ihr wol Alle gehört habt – und die ich Euch hier nicht weiter zu erklären brauche – da sie der Ausdruck des graßesten Undanks sind, – denn der götliche Nero ist der größte Woltäter des römischen Volkes ... Die Augustjani, die bisher schon die breiten Darlegungen mit verschiedentlichem Gemurmel und Ausrufen begleiten, brechen hier in lauten Beifall aus. ... also – demnach – ist es von der größten Wichtigkeit, daß der fremde König merke, wie beliebt der götliche Nero bei seinem Volke ist! ... denn der fremde König, wenn er nach Hause komt, erzählt davon – wie Solches natürlich ist – und von dem, was er erzählt, und von dem Eindruck, den er empfangen hat, hängt das Verhältnis von Armenien zu dem römischen Reich ab – und das Verhältnis von Parthien, welches an das armenische Reich grenzt! – Die Sache ist also von der größten Wichtigkeit, – denn sie hat einen politischen Hintergrund! Teils beifälliges, teils über die Endlosigkeit der Darlegungen misfälliges Gemurmel bei den Augustjani. – – und komme jezt zu Dem, was ich eigentlich sagen wolte Erneute Aufmerksamkeit der Leute, die sich neuerdings um ihn gruppiren. – es ist nämlich möglich, daß der götliche Nero ein Liedchen singt – teils, um dem Volke eine Freude zu machen, – teils, um die fremden Künstler, die sich im Gefolge des ar menischen Königs befinden, auszustechen! »Ah!« »Ah!« – bei den Augustjani. – hier ist es nun von Wichtigkeit, daß Ihr Eure Kunst ganz in die Erscheinung treten laß't! – singt nämlich der götliche Nero – es ist dies aber zweifelhaft, denn der Kaiser ist sehr krank, schläft schlecht, sieht schlecht aus, wird von Träumen geplagt und ist sehr geärgert ... ich sage also: singt der götliche Nero, was immerhin zweifelhaft ist, – dann genügt heute nicht einfaches Hoch-[83] Rufen und Markiren von volksmäßigen Freudenlärm, – sondern dann muß aplaudirt werden – hier auf öffentlichem Plaze – ganz wie im Teater oder auf der Rennbahn – Beifälliges Gemurmel. – und dazu genügt nicht unser gewöhnlicher »Hohlziegelton« Er klopft mit gehöhlten Händen ein paar mal aufeinander und erzeugt einen dumpfen, topfähnlichen Laut. wie wir ihn in geschloßenen Räumen, oder vorne an der Orchestra, anwenden, – sondern dann muß mit dem hellen kräftigen »Scherbenschall« eingegriffen werden Er patscht mit flachen Händen aufeinander. – macht das 'mal! – um die Wirkung im freien Raum zu probieren! ... Die Augustjani aplaudiren a tempo mit hellem, patschendem Geräusch. – 's ist zu egal! – das macht Verdacht! – es muß durcheinander gegriffen werden – wie das Volk, wenn es, je nachdem es sein Herz gerührt findet, bald Dieser, bald Jener, einzugreifen begint ... noch 'nmal! – und mit fettem, pastösem Klang! ... Sie aplaudiren kräftiger und durcheinander. ... war beßer! – bedenkt auch die Streke hinüber bis zu jene Säulen! Er deutet auf den Tempel. – und die Maße Leiber, die dazwischen gedrängt sind, und Alles einschluken ... Mit Betonung. auch das helle Patschen der Kinderhändchen nicht zu vergeßen! ...singt aber der götliche Nero nicht! Er hebt Finger. dann beschränken wir uns auf den großen, unisonen Beifall – doch müßen alle Sparten der Gesellschaft, – die süßen Stimmchen der Frauen, und die weichen Laute der Kastrirten, der helle Diskant der Knaben, wie die ranzigen Kehllaute der Mezger – in gehöriger Abtönung zur Verwendung kommen ... Abschließend. Ihr wißt: zwei Tausend Sesterzien der Mann, zwei Tausend fünfhundert für den Verheirateten – die Kinderchen bekommen Geschenke – aber nur wenn Alles klapt und der götliche Nero sein kaiserliches Herz gerührt findet – Im Abgehen nach Links. ... ich muß noch hinüber zu den Alexandrinern[84] wegen des harmonischen Beifalls im übermäßigen Dreiklang – damit nichts Unpaßendes zusammenkomt, und Jedes an seiner Stelle einsezt – also: nehmt Euch zusammen! Ihr wißt: die Zeiten sind schwer, und – die Sache hat einen politischen Hintergrund! ... Er geht, begleitet von dem teils beifälligen, teils höhnischen Gemurmel der Augustjani, mit vielen komischen Attitüden und überflüßigen Fisematenten nach Links ab und verliert sich im Gedränge.


Inzwischen ist die Menschenmenge noch weiter angewachsen. Im Hintergrunde erscheinen Festordner, welche die Menge teilen und die Paßasche am Tempel vorbei gegen die beiden Hermen zu auf der linken Seite frei machen. – Bald kündigen aus der Ferne die langgezogenen Töne der Tubenbläser das Nahen des Festzuges an. Die Idee desselben ist: den mit dem armenischen König Tiridates, der sich persönlich in Rom eingefunden hat, geschloßenen Frieden mit feierlichen Eiden in Gegenwart der Götter zu bekräftigen, und die Belehnung Tiridates' mit der Armenischen Krone, unter der Schuzherrschaft Roms, durch den Kaiser im Tempel öffentlich vorzunehmen; bei dieser Gelegenheit auch den König dem römischen Volk vorzuführen. – An der Spize des Zuges marschiren, nächst einer Abteilung Festordner, welche mit Stäben die Menge teilen, die geschmükten Träger der von Nero teils in Neapel, teils in Griechenland ersungenen und erkämpfen Kunstpreise (Kränze und Lorbeerkronen) mit Tafeln, welche die Namen der

Städte enthalten. Demnächst Senatoren und Magistratspersonen im Amtsschmuk, dann ein Teil des armenischen Gefolges, dann römische Priester mit dem Curio maximus; dann die Opfertiere; eine zweite Priester, Haruspizes, Vestalinnen; dann die 24 Liktoren mit den rotumwikelten, lorbergeschmükten Faszen. Dann der zweirädrige, goldene, von vier weißen Pferden gezogene, von Tubenbläsern umgebene Triumfwagen Nero's. Er selbst, als Triumfator in der weißen Tunika mit der goldgestikten Purpur-Toga, auf dem Kopf die spangenartig sich anschmiegende goldene Strahlenkrone, in der Rechten den Lorbeerkranz, erscheint finster, mistrauisch, seelisch erschüttert, fast gebrochen. – Nachdem der Zug sich bis dahin durch die linke, vordere Kuliße, zwischen die beiden Hermensäulen, entwikelt, hält derselbe mit dem Erscheinen Nero's vor den Tempelstufen, woselbst dieser zunächst nur mit einzelnen »Heil«-Rufen aus den Reihen der Zuschauer begrüßt wird. Der Kaiser schreitet die Tempelstufen hinauf, gefolgt von einem[85] Teil der Priester und Vestalinnen, und gefolgt von Tiridates, der in ähnlichem Wagen gekommen und ebenfalls einen Teil seines Gefolges mit sich in den Tempel nimt. Oben angelangt, wendet sich Nero und begrüßt mit einer großartig-feierlichen Geste das Volk, worauf man Tausende von nakten Armen sich

gegen den Tempel hinstreken sieht und ein ohrenbetäubendes »Heil«-Rufen vernimt, welches von dem taktmäßigen Aplaus der Augustjani begleitet wird. – Dann wendet sich der Kaiser und beschreitet den Tempel. Während im Innern des Tempels die Zeremonjen vorgenommen werden, sieht man eine neugierige und aufgeregte Menge auf dem Plaz sich hin- und her-bewegen.

Links im Vordergrund bildet sich eine Gruppe älterer Römer.


ERSTER RÖMER. Schlimm sieht er aus, der junge Mann! – Vor acht Jahren sah ich hin, hier, an derselben Stelle, als den ersten Flaumbart dem Gott als Opfer brachte, – frisch wie eine Knospe – ... und jezt! ...

ZWEITER RÖMER. Kaiser sein ist kein gesundes Geschäft.

DRITTER RÖMER. Damals war noch die Mutter an seiner Seite! – und Burrus – und Seneka – und Pallas – und Montanus – – und die liebliche Oktavia ... und jezt Alles tot – Alles tot! ...

ERSTER RÖMER. Wenn es wahr ist, daß die Seelen Gemordeter aus dem Hades heraufsteigen und einem das Herzblut austrinken, dann wundert mich seine Gesichtsfarbe nicht Er deutet gegen den Tempel. der Mann sieht aus wie Mörtel! ...

ZWEITER RÖMER. Er soll kein Auge die Nacht zutun – läuft herum und schreit – man weiß nicht, mit wem? – antwortet auf Fragen, die kein Mensch hört – holt die Priester und Magier – läßt beschwören und exorziren ... es ist ein Jammer! ...

ERSTER MANN. Ich sag' Euch: der Mann hat Leichengift getrunken! – legt's Euch aus, wie Ihr wolt ... sprecht von Lemuren, oder von den Klagen[86] der Ruhelosen, der erbarmungslos Gemordeten, die von dem schwarzen Fluß aufsteigen, bis herauf in unsere Seele ... so 'was tötet! das saugt das Blut aus! ...

DRITTER RÖMER vorsichtig sich umsehend. Habt Ihr gehört: Thrasea hat auch geblutet! Beide erstaunt. – es ist zu Ende mit ihm! – Er sante ihm 'ne Manipel mit dem Zenturjo hinaus, und die nahmen den Chirurgen gleich mit Macht je eine schneidende Bewegung über jedes Handgelenk. ... Thrasea soll nur gesagt haben ...

ZWEITER RÖMER sich umsehend. Beim Herkules! Leute, nehmt Euch in Acht!: nicht nur die Majestätsbeleidigung, – auch das Reden über die Majestätsbeleidigung ist Majestätsbeleidigung – und überliefert Euch dem Liktor! ...

ERSTER RÖMER vorsichtig. Im Festestrubel mit dem fremden Monarchen ist Manches nicht an die Oeffentlichkeit gekommen: noch immer fahndet man fleißig nach Verschwornen; der Senat sagte gestern wieder bei militärisch beseztem Haus von Früh bis gegen Mittag: Thermus wurde hingerichtet, Petronius und Soranus wurden zum Tote verurteilt, und selbst des Soranus achtzehnjährige Tochter mußte sich die Adern öffnen Die beiden Andern fahren erschroken zurük. ... weil sie vor Verurteilung ihres Vaters die Zauberer um einen Wahrspruch bat, ob der Vater wol werde zum Tote verurteilt werden! ...

DRITTER RÖMER nach einer Pause, troken. Gestern fand sich an Seiner Bildsäule im Minerva-Tempel ein Sak mit Steinen um den Hals gehängt; das solte heißen: Muttermörder werden nach dem Gesez ersäuft! ...


Sie sehen sich plözlich beobachtet und verlieren sich im Gedränge.

Eine zweite Gruppe – zwei Juden – bildet sich rechts im Vordergund.[87]


ERSTER JUDE. Haste gehört? – neue Nachrichten aus Gallien? ...

ZWEITER JUDE. Was is los? – Nix hab' ich gehört? –

ERSTER JUDE. Vindex hat Aufruhr begonnen – hat sich losgesagt vom Kaiser.

ZWEITER JUDE. Ich hab' mers gedacht – die ganze Stadt spricht davon.

ERSTER JUDE. Was meinste? – Wird werden Vindex Kaiser?

ZWEITER JUDE. Er will nix werden Kaiser – er will Galba machen zum Kaiser.

ERSTER JUDE. Was meinste? – Wird Galba so freundlich sein gegen die Juden, als Nero ist gewesen?

ZWEITER JUDE. Was kann mer da sagen? – Galba is ä vornehmer Mann – er is ä freindlicher Mann – er is beliebt bei die Soldaten ... warum soll er nicht sein freindlich gegen die Juden? –

ERSTER JUDE. Und was meinste? – wird Vindex reüßiren? –

ZWEITER JUDE. Was kann mer da sagen? – Wenn Vindex will, – und Galba will – und das Heer, was am Rhein steht, will auch – dann wollense alle drei – und wenn sie sich dann beeilen, dann werdense reüßiren ...

ERSTER JUDE. 's is schad' um Nero ...

ZWEITER JUDE. 's is schad' – und is net schad! – Er war ä guter Mann – er hat Geld ausgegeben – aber zulezt wollen die Völker wechseln ihre Regenten ...

ERSTER JUDE. Was meinste? – auf den Kopf von Vindex sind 40 Miljonen Sesterzien gesezt ...

ZWEITER JUDE. Ich weiß es! – Vindex weiß es auch! – Weißte, was er gesagt hat? – Er hat[88] gesagt: wer mir den Kopf Nero's bringt, bekomt den meinen. –

ERSTER JUDE lacht. Ka schlechter Wiz!


Sie sehen sich beobachtet und verlieren sich im Gedränge.

Nero erscheint jezt wieder am Ausgang des Tempels. Er wird mit tausendstimmigen »Heil!«-Rufen begrüßt, die sich fortsezen, während er und der armenische König die Wagen besteigen. Der in die linke Kuliße eingeschwenkte Zug macht nun Kehrt, defilirt im Vordergrunde quer über die Bühne nach Rechts, uns eilt, gefolgt von Wagen des Kaisers etc., dem Hintegrunde zu. Während die beiden Fürsten vorbeiziehen, hört man immer frenetischere Zurufe: »Heil dem Zäsar!« – »Heil Apollo!« – »Heil dem Göttlichen!« wobei die Augustjani rechts im Vordergrund sich durch taktmäßiges Händeklatschen bemerkbar machen. Durch die hinter dem Wagen marschirenden, mit ihren Feldzeichen den Schluß bildenden Soldaten wird das Zusammenströmen des Volkes noch einige Zeit gehindert. Zulezt aber stürmt die ganze menge mit jauchzenden Zurufen dem Wagen nach, so daß die ganze vordere Hälfte der Bühne leer wird.

Während dem fält der Zwischen-Vorhang.


Quelle:
Oskar Panizza: Nero. Zürich 1898, S. 81-89.
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