10. Vom Hannsen aus der Normandie / genennet das hölzerne Bein / welcher / nach dem Er sein Weib / zwey Kinder / und einen alten Mann umbgebracht / zu Leiden den ersten Novembris gerädert wurde.

[33] Die Philosophi sagen / daß alles Thun der Menschen auf jedes seine Vergänglichkeit ziele: Die Geistlichen lehren / daß die Sünde bekandt seye durch die Ubertrettung. Fürwar wann kein Gesetz wäre / das den Todschlag verböte / so könte der jenige / welcher ohne Rachgier einen todt schläget / auf keine Ergötzlichkeit sein Absehen haben / und hätten die Thiere selbst ein Abscheuen davor / wan sie reden könnten.[33] Die Thier von einerley Art verderben einander nicht: Nur der Mensch allein kan seines gleichen nicht gedulten / entweder aus Widerwillen / Tollheit / Rachgier / oder Ehrgeitz / oder andere unordentliche Begierde. Aber seine eigene Kinder in der Wiege in ihrem zarten Blut / als Unschuldige / die ihre Hände zu ihren Vättern aufheben / umbzubringen / Ach Gott! was für eine rasende Weise ist diß! was für eine viehische Grausamkeit! was für eine Verzweifflung ist solches? Wer will mir sagen / daß man eine Ergötzlichkeit oder einen Lust daran haben könne? Es ist keine Rache / noch eingewurtzelter Neid! Was ist es dann? Ich mag es nicht sagen / aus Furcht / ich möchte es nicht recht treffen. Ich lasse einen andern darüber urtheilen / und mache mich fertig / die abscheulichste Tragödie zu erzehlen / die jemahls unter einer bescheidenen Nazion sich begeben / kan aber nicht errahten / was diesen Barbaren möchte zu diesem bösen Stück bewegt haben. Ein Normander / der sein eines[34] Bein in der Belagerung Breda verloren / in Diensten der Staaden / bekam eine Unterhalt von ungefehr hundert Gulden / damit er seines Lebens Nohtdurfft darvon haben möchte / und ein höltzernes Bein / seinen Leib damit tragen zu helffen. Er zog nach Leiden / und nehrete sein kleines Haußwesen mit seinem Handwerck / das war Wollen zu Hüten zuzurichten / und mit seinem Wartgeld. Er hatte keine Ruhe /sondern wolte stets von der Religion disputiren / wie ein neuer Student / der die Catholische Kirche verlassen / er wolte derselben Mißbräuche beweisen / damit man sehen solte / er wäre daraus mit guten Vorbedacht gegangen. Also erzehlten es glaubwürdige Leute / nach dem er gerichtet worden / daß er unbeständig / zänckisch und aufrührisch gewesen. Dieser Ubelthäter wurde vielmehr von dem bösen Geist / als von einer Ergötzlichkeit über diese grausame That veranlasset / frühe Morgens von seinem Weibe aufzustehen / und das breite Eisen zu nehmen / womit er sonst[35] gearbeitet / Er tratte zu dem Bett / und gabe ihr damit einen grossen Hieb über den Kopff / und machte sie fertig. O du Tyrann! es ist genug! halte still! fahre nicht weiter fort! dein Verbrechen schreyet schon um Rache vor dem Richterstuel des grossen Gottes. Aber ich rede mit einem Stummen / mit einem Verstockten / mit einer Mißgeburt der Natur / und mit dem Allerschlimmsten / den sie jemahl gezeuget. Er gienge zu seinem Töchterlein / von ungefehr sechs Jahren alt / dasselbe bote ihme die Hand / und redete ihn mit diesen Worten unschuldig an: Ach Data / lasset mich leben / ich will es nicht sagen / daß ihr die Mutter umbgebracht habt. Aber dieser Hencker gabe dem Töchterlein so viel Hiebe / daß er die Seele von dem Leibe dieses unschuldigen Kindes gejaget: Darnach gienge Er hin zur Wiegen / allwo ein anders von einem Jahr alt gelegen / demselben schnitte Er die Gurgel ab / als einem Lämlein. Dieser grausame Fleischhacker hatte nun sein kleines Hauß mit Blut angefüllet / und[36] gienge aus ferner umbzubringen / wer ihme begegnen würde. Ein armer alter Mann war eben auf dem Wege / der zu seiner Arbeit gehen wolte /und sein Morgenbrod unter dem Arm hatte. Aber es ist zu mercken / daß es noch nicht Tage war / dann es mag ungefehr drey Viertel Stund über fünffe gewesen seyn. Er redete diesen armen Mann an / der ihm nichts böses eingebildet / schluge ihm alsbald mit dem ersten Streich zu Boden / und hiebe ihme den Kopf ab /mit vielen widerholten Streichen / dann das Eisen schnitte nicht gar scharff. Ein junges Mägdlein wolte auch dardurch gehen / die hatte das Geschrey gehöret. Er machte sich auf / sie auch umbzubringen / dann es schiene / als wolte er das Menschliche Geschlecht gar ausrotten. Sie flohe davon / Er lieffe ihr mit seinem höltzern Bein nach / das Mägdlein entwischte / und schrihe umb Hülffe. Die Nachbarn kamen heraus /und der Tag voller Abscheulichkeit begunte anzubrechen. Man fande diesen erbärmlichen Cörper zerstümmelt /[37] und lebloß. Auf ein so trauriges Spectacul nahme der Hauffen der Nachbarn zu / die entschlossen bey sich / diesem Monstro nachzusetzen / der sich in einen Canal gestürtzet / damit er sich erträncken /und vor den Leuten verstecken möchte. Man ziehet ihn mit Hacken wieder heraus / und liesse ihn noch länger leben / als Er selbst wolte / weil seine Zeit aus war. Man bande ihn an einem Baum / verwiese ihm seine Grausamkeit / aber Er spottete darüber / das wurde der Justitz angezeigt. Die Schergen kamen an /die führeten ihn mit einen Schubkarren im Trab fort /und alle seine Mordthaten wurden jederman kunt. Er wurde verhöret / brachte Lästerungen für / und sagte überlaut / Er wäre es nicht / der dieses Blutbad gemacht hätte / sondern Gott habe es selbst gethan /dann / sprach er / hätte ers nicht haben wollen / so hätte ers verhindert. Man bemühete sich / ihn auf einen rechten Weg zu bringen: aber vergeblich / er bliebe halsstarrig / unn bezeugte nicht / daß es ihm einmahl leid wäre. Er stellte[38] sich offt / als wolt er sich den Kopff einstossen / aber Er wurde verhindert von denen / die auf ihn Achtung gegeben.

Da man endlich gesehen / daß er ein verstockter Hertz gehabt / als Pharao / und einen Mund / der alle Augenblick Gotteslästerungen heraus stiesse / wurde er verurtheilet / Er solte sein Leben durch ein Rad enden. Er gab kein Anzeichen eines Mißfallens / noch einiger Reue. Der Hencker schnitte ihm beede Daumen ab / schluge ihm Bein und Arm entzwey / darauf gab Er ihm mehr dann vierzehen Streich / mit eben dem Eisen / biß er ihm den Kopf gar abgeschlagen.

Sehet das elende End dieses Verzweiffelten / welchen die Christliche Vermahnungen nicht kunten bewegen / in sein Gewissen zu gehen: Seine Hartnäckigkeit war sehr groß / und seine Sünde war übermässig /welche ihm auch die Ohren verstopffet / daß Er Gottes Wort nicht angenommen / und noch weniger seine Gnade. Ich rede von dem äusserlichen Ansehen.

Quelle:
Parivall, J[ean] N[icolas] d[e]: Sinnreiche / kurtzweilige und Traurige Geschichte [...]. Nürnberg 1671, S. 33-39.
Lizenz:
Kategorien: