Von Ernst das 292.

[184] Ein Kind fand seim Vatter grau Har.


Es was ein Buer in einem Dorff, der het vil Kind; der ward ein Mörder, das treib er ein lange Zeit. Uff einmal het er ein Döchterlin, das steig uff ein Banck und wolt im Lüß sůchen uff dem Kopff mit dem Strel, als es auch thet. Und da sie also sůcht, da fand es grawe Har und sprach: ›Vatter, du hast grawe Har.‹ Er sprach: ›Züch mir eins uß?‹ Das Döchterlin zohe im eins uß. Der Man nam es in sein Hand und sprach: ›O ewiger Got, ist es umb die Zeit umb mich, das ich grau bin, so ist es warlich Zeit, das ich mich besser.‹ Und er bessert sich und thet Penitentz umb sein Sünd umb eins grawen Hars willen.

Mancher hat den Kopff vol und würt vor Gräwe wider weiß, als da sie Kind waren; dannocht ist noch kein Besserung da, sie machen es, wie sie es gewont haben. Ja, sprechen sie, Weißheit kumet nit vor den Jaren. Die Jar sein auch nit gůt für die Thoren. Ich hab manchen alten Narren gesehen, ich hab auch manchen jungen Weisen gesehen und manchen jungen Narren und manchen alten Weisen. Aber der Tüffel haßt die alten Narren.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 184-185.
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