Von Schimpff das 338.

[207] Einer lernet das Paternoster bei dem Korn ußleihen.


Es was ein reicher Man, da er beichtet, da fragt in der Beichtvatter, ob er auch betten künt. Er sprach: ›Nein, ich hab es offt understanden zů lernen; aber ich hab es nie künnen lernen.‹ Der Beichtvatter sprach: ›Künnen ir auch schreiben und lesen?‹ Er sprach: ›Nein.‹ Der Beichtvatter sprach: ›Wie künnen ir dan behalten, wem ir Korn oder Gelt leihen?‹ Er sprach: ›Dasselb kan ich wol behalten.‹ Der Beichtvatter sprach: ›Wöllen ir für euwer Bůß haben den armen Lüten Korn zů leihen, doch sollen sie es euch nach der Ern bezalen?‹ Er sprach: ›Ja, das wil ich gern thůn.‹ Der Beichtvatter schickt im ein armen Man, den er nit kant. Derselbig arm Man sprach zů im: ›Euwer Beichtvatter hat mich zů euch geschickt, ir sollen mir zwen Sester Korn leihen.‹ Der reich Man sprach: ›Wie heistu?‹ Er sprach: ›Ich heiß Vatterunser.‹ Der reich Man sprach: ›Von welchem Geschlecht bistu?‹ Er sprach: ›In den Himlen heißt mein Geschlecht.‹ Nach acht Tagen schickt der Beichtvatter einen andern armen Man zů im, der solt sich nennen: ›Geheiligt werd dein Nam, von dem Geschlecht: Zůkum dein Reich.‹ Der reich Man gedacht den Namen nach. Da der Beichtvatter meint, er künt die Namen, da schickt er ein andern armen Man dar, der nant sich: ›Dein Wil der werd, von dem Geschlecht: Uff Erdtreich als in dem Himel‹, und also durch ußhin. Darnach[207] kam der Beichtvatter zů im und fragt in, ob er das Korn het ußgelihen. Er sprach: ›Ja.‹ Der Beichtvatter sprach: ›Wie heissen die Namen?‹ Er sprach: ›Der erst heißt Vatter unser, von dem Geschlecht Der du bist in den Himlen. Der ander heißt Geheiligt werd dein Nam von dem Geschlecht Zůkum dein Reich‹, und also durch ußhin. Da lacht der Beichtvatter. Er sprach: ›Her, warumb lachen ir?‹ Der Beichtvatter sprach: ›Darumb das ir künnen betten und nennen allein die Namen.‹ Da was der reich Man fro und schanckt den armen Lüten das gelihen Korn, und schanckt dem Beichtvatter auch ein Rock.

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 207-208.
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