Von Schimpff das 58.

[41] Nach der Geschrift Kappen zerlegen.


Uf ein Zeit ward ein Beichtvatter, ein Ordenßman von einem Edelman zů Gast geladen, er solt mit im essen. Da man nun zů Tisch gesaß und aß, da was er da und seine zwen Sün und seine zwo Döchteren, die sassen auch da. Da nun das Gebratens kam, da was ein Rebhůn oder ein gebratner Kappen, was es dan was. Der Edelman legt dem Ordenßman den Kappen uff seinen Deller, er solt in zerlegen. Der Ordenßman legt im den Kappen widerumb für und sprach: ›Ich kan nichtz damit; wer wolt mich leren Hüner zerlegen?‹ Der Edelman sprach, er müst in zerlegen, und legt im den Kappen widerumb uff den Deller. Der Münch sprach: ›Můß ich in zerlegen, so wil ich in nach der Geschrifft zerlegen.‹ Die Frau sprach: ›Ja, Her, das thůn, zerlegen in nach der Geschrifft!‹ Der Münch schneid dem Kappen den Kopff ab und legt in dem Edelman für. Darnach schneid er den Kragen ab, und legt in der Frawen für. Darnach schneid er die dy Flügel ab und legt sie den zweien Döchtern, den zweien Junckfrawen für. Darnach schneid er die zwen Schenckel ab und legt sie den zweien Sünen für; und den gantzen Kappen aß er allein und gab niemans nichtz davon.

Da der Münch nun den Kappen also allein uff het gessen, da sprach der Edelman: ›Her Beichtvatter, wa stot das geschriben, das man die Kappen also zerlegen sol?‹ Der Münch sprach: ›Juncker, in meinem Haupt stodt es geschriben. Ir sein das Haupt in euwerem Hauß, darum hat euch billich das Haupt von dem Kappen zůgehört. Mein gnedige Frau ist die nechst nach euch und das nechst nach dem Kopff, und hat ir billich der Kragen zůgehört. Und den Junckfrawen gehören dy Flügel zů, die fliegen in iren Sinnen hin und her und haben Sorg, was sie für Man überkummen und wie sie versorgt werden; darumb haben inen von Recht die Flügel zůgehört. Und den zweien Sünen gehören die zwen Schenckel zů, darumb das uff inen das gantz Geschlecht stot, und die Schenckel tragen den gantzen Kappen; darumb gehören inen billich die Schenckel zů. Nun ist es ein ungestalt Ding umb ein Fogel, der weder Kopff noch Kragen oder Flügel noch Schenckel hat. Und ein Münch in einer Kutten hat den Schnabel an dem Rucken, darumb so hat der Kap mir zůgehört.‹

Quelle:
Johannes Pauli: Schimpf und Ernst. Teil 1. Berlin 1924, S. 41-42.
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