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[67] Nikomedien, im Mai 305.
Agathokles stirbt. In wenig Tagen bin ich Wittwe. Ich setze nichts hinzu, du kannst meinen Schmerz ermessen, du weißt, wie ich liebte, obwohl du nicht weißt, wie ich geliebt wurde. Die um mich sind, fürchten für meinen Verstand, ich merke es wohl. O diese große Wohlthat wird mir nicht zu Theil, so wenig als der Tod!
Der Tod? Ich soll ja leben. Er will es. Ach sterben für den Geliebten, wer könnte es wagen, dies etwas[67] Schweres, Großes zu nennen? Es ist nichts – ein trüber Augenblick zum Preise unendlicher Freuden! Aber leben, leben ohne ihn, und auf sein Geheiß, das ist das Schwerste, was die Liebe fordern kann!
Wie ein weiter, düstrer, uferloser Ocean umgibt mich das Leben, in dem ich versinke ohne Hoffnung der Rettung, ohne Hoffnung des Todes. Es sind gute Menschen um mich, Calpurnia und ihr Gemahl; sie haben mir, und dem, den ich bald verlieren werde, viel Liebes, Herzliches erwiesen. Ihnen danke ich die einzigen Tröstungen, deren ich fähig bin, aber Calpurnia möchte mir gern noch andre geben. Ich kann sie nicht annehmen, denn ich kann sie nicht fassen. Sie ist vielleicht stärker als ich – vielleicht auch nur kälter.
Mein ganzes Wesen, jeder Gedanke, jede Regung ist ein unendliches Weh. So muß dem Menschen zu Muthe seyn in der Todesstunde, wenn sich die innigsten Bande des Lebens lösen, und der bessere Theil sich gewaltsam von der morschen Hülle losreißt. Auch meines Lebens innigste Bande lösen sich jetzt, mein besserer Theil schwebt verklärt und selig der Heimath zu, und läßt die todte Hülle im Grabe. Das ist die Welt für mich. Dort, dort ist Leben, wo er hingeht, und mich streng und unerbittlich zurückstößt!
Warum Agathokles stirbt, um welches Zweckes willen er mich, sich, unser Lebensglück opfert, kann ich dir jetzt nicht sagen; auch wage ich es nicht, in dieser Zeit so etwas einem Briefe anzuvertrauen. Calpurnia und der König glauben, er habe sich für Constantin geopfert, und die Welt urtheilt eben so. Es ist viel höher, viel schöner,[68] und mitten unter schmerzlichen Schauern muß ich seinen Entschluß billigen und verehren.
Er hat mir geschrieben. Dieser Brief kömmt nie wieder von meinem Herzen. Ich habe mich bestrebt, ihm eine Antwort zu senden, die seine unendliche Liebe für mich, seinen Edelmuth vergelte. Ich habe mich beherrscht, kein Wort der Klage ist mir entschlüpft, nur gegen dich öffnet sich das Herz, und mein Blut strömt gewaltsam aus den verhaltnen Wunden. O wenn nur er zufrieden mit mir ist, wenn nur der Gedanke, daß er mich ruhig gesprochen hat, auch Ruhe in seiner Seele verbreitet! Das zu bewirken, ist jetzt der Punkt, auf den alle Kräfte meines erschütterten Wesens gerichtet seyn müssen – seine letzten Augenblicke zu erheitern! O allmächtiger Gott! Agathokles letzte Augenblicke!
Er ist so jung, es lag ein so langes, so schönes Leben vor uns! Er entreißt sich ihm, und ich darf nicht klagen!
Leb' wohl, meine Junia! Leb' wohl. O warum bist du nicht bei mir! Wie wohlthätig wäre es mir in diesen Augenblicken, eine treue Freundin von ganz gleicher Sinnesart um mich zu haben! Calpurnia ist sehr gut, ich verkenne gewiß weder ihre Vorzüge, noch was ich ihr jetzt schuldig bin, aber sie ist keine Christin, und – sie ist Königin. Auf dem Thron verlernt sich so Manches, dessen das Herz in den Beziehungen des gewöhnlichen Lebens so sehr bedarf.
Ein Gerücht hat mir gestern verkündigt, Apelles sey in der Nähe, und halte sich in Nicäa auf. Tiridates, der, um des theuern Verlornen willen, mir innig wohl will, hat kaum meinen Wunsch errathen, als er schon einen Eilboten nach Nicäa abfertigte. O wenn Apelles[69] käme, mich in den Stunden, die mir bevorstehen, zu stärken, und zu erhalten, ich würde Tiridates treuer Freundschaft eine der größten Wohlthaten danken!