13. Sulpicia an Tiridates.

[58] Rom, im März 301.


Aus einer düstern Einsamkeit, von keinem Trost, von keinem heitern Gedanken erhellt, nur von den Manen meines ehemaligen Glückes umschwebt, dessen Erinnerung die Stacheln meiner Leiden schärft, schreibe ich an dich, Tiridates! Bald vielleicht ist mir auch dieses letzte Gut geraubt. Härte und niedere Selbstsucht umgibt mich mit hundert feilen Argusaugen. Unser Verhältniß ist[58] auf eine unwürdige Art vom Unwürdigen entheiligt dem Serranus und meinem Vater verrathen worden. Alles, was strenge, von trüben Ansichten geleitete Härte, was engherzige Kleinlichkeit und niedrige Eifersucht von Qual und Lasten auf ein zerrissenes Herz wälzen können, erdulde ich. Man hat gesucht, mich von Calpurnien zu trennen. Ihre treue Liebe und schlaue Kühnheit hat dies gedrohte Unglück von mir abgewandt. Sie hat Serranus rufen lassen. Ihr Verstand, ihre wohlangewandte Freundlichkeit hat ihn gewonnen. Das Geschlecht, aus dem sie stammt, und ihres Vaters Einfluß hat dem meinigen, Ehrfurcht geboten, und man wehrt ihr jetzt nicht, mit mir umzugehen. Nur fühle ich wohl, daß mich selbst in ihren Armen Verdacht und Argwohn umlauert. Man läßt uns selten allein. Immer weiß man es zu veranstalten, daß noch ein Besuch zu gelegener Zeit kömmt, oder ein Mitglied der Familie sich etwas in unserm oder den anstoßenden Gemächern zu schaffen macht. Wie klein, wie armselig, wie verächtlich mir das erscheint, brauche ich dir das wohl zu schildern? O wenn ich hier je hätte lieben können, die leiseste Empfindung wäre mit der letzten Wurzel durch ein solches Betragen vertilgt! Und vollends nun – da ich nie liebte, nicht einmal achtete! Man lauert auf meine Briefe. Diese besorgt Calpurnia selbst, und auch ihre Briefe müssen durch Umwege an mich gelangen. Wenn nichts mich zum Haß, zur Rache berechtigte, wäre es nicht schon die fürchterliche Nothwendigkeit, in die man mich setzt, mich zu solchen Schritten herablassen zu müssen?

Ich bin unaussprechlich unglücklich. Mein Leben ist eine grauenvolle Nacht, in der bewußtlos hinzuschlummern,[59] jetzt der höchste Wunsch meines gepeinigten Wesens wäre! Tiridates! Warum mußte ich dich kennen lernen? Warum mußte dein Anblick die stille Fassung, worein Gleichgültigkeit und Ueberlegung mein Herz gebracht hatten, so gewaltsam stören? Warum mußte mir das mögliche Ideal männlicher Vollkommenheit, das bisweilen in einsamen Stunden meine Seele, wie ein schöner Traum, beschäftigte, in dir auf einmal wirklich erscheinen, in dir, den Geburt, Vaterland und Verhältnisse mir ewig fremd halten mußten? Welches grausame Vergnügen findet das Schicksal darin, in den Gebirgen Armeniens und im glänzenden Rom zwei Seelen ganz für einander zu bilden, sie sich finden zu lassen, und sich gewaltsam zu trennen? Doch nein, ich klage nicht. Ich habe dich gefunden, ich habe dich geliebt, das kann mir keine Macht der Erde rauben: und wenn auch das Glück, daß ich dich kennen gelernt habe, mich von diesem Augenblicke an ewig elend machen müßte, ich könnte es nicht bedauern, nicht bereuen; denn ich war selig – selig wie die Götter!

Und ist denn jede Hoffnung verschwunden? Liegt hinter der grauenvollen Gegenwart keine bessere Zukunft? Tiridates! ich bin sehr schwach. Es gibt Augenblicke, wo mein Herz in seinen unendlichen Schmerzen versunken, ihn heftig ergreift, und von keiner Hoffnung etwas wissen will; wo es sich jeder Aussicht möglicher Verbesserung verschließt, und eine Art von dumpfer Beruhigung darin findet, daß es nie aufhören wird, zu leiden. Dann ist mir, als wäre meine Rechnung mit dem Schicksal abgeschlossen. Mein Leben, auch das noch kommende, liegt[60] hinter mir, wie ein vollbrachter Tag. Die Zukunft ist vorüber, ich fürchte nichts, ich hoffe nichts, nicht einmal den Tod. Ich fühle nur, daß ich elend, daß ich von dir getrennt bin.

Und was wird, indessen ich hier leide, dein Schicksal seyn? Vielleicht kämpft dein Schiff mit Sturm und Wogen – ein Blitz trifft es – es sinkt – du bist im Abgrunde des Meeres begraben! Oder ich sehe dich späterhin im Schlachtgewühl – ein Pfeil durchbohrt dein Herz, für das zu leben meine einzige Bestimmung ist! Was soll ich denn auf der Welt? O laß mich dir nacheilen! Laß mich mit dir in's öde Reich der Nacht hinabsteigen, oder an deiner Seite liegen und schlafen! Beneidenswerthes Loos, wenn uns im Reiche des Lichtes und fröhlichen Wirkens kein Glück mehr beschieden ist! O schreibe mir bald, Tiridates! Reiß mich aus dieser Angst, die oft bis zur Verzweiflung steigt! Nur dies, daß du lebst, daß ich hoffen kann, dich noch einmal zu sehen, macht es mir möglich zu leben.

Auch Agathokles hat uns verlassen. Er eilte dir bald nach, um sich mit dir einzuschiffen. Ich vermisse seinen Umgang, seine thätige warme Freundschaft recht sehr, obwohl wir über viele und wichtige Punkte nicht gleich dachten. Aber ich war die Geliebte seines Freundes, und das war genug, ihn für mich zu gewinnen. Er hat Manches für mich gethan, das ihm mein Herz nie vergessen wird. Er ist sehr edel, aber ich fürchte, er wird nie glücklich werden; denn seine Begriffe passen nicht in sein Zeitalter Calpurnia hat sicher einen starken Eindruck auf ihn gemacht; dennoch erlaubte er sich – die Götter mögen[61] wissen warum – nicht, diesem sanften Zuge zu folgen. Man sah die Gewalt, mit der er dieser Einwirkung widerstand. Er ist ein sonderbarer Mensch! Bei ihm gilt nicht, was in ähnlichen Fällen Calpurnien vor heftigen Eindrücken bewahrt – Leichtigkeit des Sinnes, und ein fröhliches Temperament. Seine Kälte ist Gewalt über sein Gemüth, seine Gelassenheit die Frucht eines schmerzlichen Kampfes. Die glückliche Calpurnia! Agathokles war ihr sehr werth. Sie war wohl zu stolz, es ihm zu zeigen, da sie die strenge Entfernung bemerkte, in der er sich geflissentlich von ihr hielt. Ich weiß aber, daß sie ihn sehr geliebt hat. Viele und bittere Thränen sind über seine Abreise in meinen Schooß vergossen worden. Ich hatte sie noch nie gesehen, als am Tage nach seinem Abschiede. Dennoch nach drei Tagen kam sie zu mir, ihre Thränen floßen noch bei jeder Erwähnung des theuren Namens, und – sie hoffte schon auf die Linderung, die ihr die wohlthätige Zeit bringen würde, auf die allmählige Schwächung jedes heftigen Eindrucks, auf die Kraft der Zerstreuung, der sie sich zu überlassen recht ernstlich vornahm! O wie glücklich ist sie!

Soll ich – darf ich sie beneiden? Nein, Tiridates! Ich kann nicht, wenn ich auch dürfte. Nein, daß ich dich liebe, und so innig, so unaustilgbar, so mit aller Kraft meines Wesens, ist mein Glück, und wenn es mich auch verzehrt. Du aber, der du weißt, daß deine Briefe jetzt mein einziger Trost, der einzige helle Strahl in der Nacht meines Kummers sind: schreibe mir bald, oft, Alles, was dich betrifft, jede Kleinigkeit, jeden Gedanken, jeden Wunsch. Bedenke, was mir diese Briefe zu ersetzen haben,[62] für was sie mich entschädigen sollen – und laß mich nicht verzweifeln.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 31, Stuttgart 1828, S. 58-63.
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