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[40] Nisibis, im Sept. 301.
Noch lebe ich! Die Ahnung eines nahen Endes aller meiner Kämpfe und Leiden hat mich getäuscht, und es beginnt ein Daseyn für mich, das zwischen der Seligkeit der Götter und den Qualen des Tartarus oft und plötzlich wechselnd mich entweder zum Wahnsinn bringen wird, oder die erschöpfte Natur erliegt den unaushaltbaren Stürmen.
Es war eine Zeit, wo der Gedanke, Larissen zu sehen, mich zu jedem Wagestück getrieben, mich jedes Hinderniß zu überwältigen gelehrt hätte, wo ich für die Seligkeit, diese Züge zu erblicken, die so tief in mein Herz gegraben sind, den Ton dieser Stimme zu hören, die seit den Kinderjahren nicht in meiner Brust verhallt ist, mein Leben gegeben haben würde. Noch denke, noch fühle ich eben so – noch ist Larissa mir das Theuerste auf Erden, noch könnte ich für ihren pflichtmäßigen Besitz Alles hingeben, was andere Menschen Glück nennen – und jetzt – Ich habe das heiß ersehnte Ziel errungen, ich bin bei ihr, ich leb' um sie, ich sehe sie täglich, ich spreche zwanglos mit ihr, sie flieht mich nicht mehr, sie hört mich gütig an, sie zeigt mir Zuneigung, Freundschaft, Liebe – und jetzt, Phocion! jetzt liegen die Qualen des Erebus in diesem Verhältnisse, und daß sie es nicht ahnet, daß sie, in süßer Täuschung verloren, den Schmerz ganz allein auf meine Brust häuft, das ist's, was mich zur Verzweiflung bringt.
Mein letzter Brief sagte dir, daß wir bereit waren, Nisibis mit Sturm zu nehmen. Es war ein gewagtes[41] Unternehmen, bei dem viel auf der Spitze stand, und das nur durch den großen Vortheil, den sein Gelingen gewähren konnte, und die traurige Lage des Heeres zu rechtfertigen war. Mit sonderbaren Gefühlen nahm ich, am Abend vorher, von Larissen Abschied. Es war vielleicht der Letzte auf dieser Erde. Ich darf dir wohl gestehen, daß ich es hoffte; daß sie es zu fürchten schien, sprach ihr ganzes Wesen deutlich aus, und eine wehmüthige Beruhigung drang bei dem Gedanken, von einem so edlen Herzen so geliebt zu werden, in meine wunde Brust. Am andern Morgen riefen uns die Tuben zum Sturm. Du weißt, Phocion! ich bin nicht weich, und habe dem Tode mehr als einmal auf dem Schlachtfeld in's Antlitz gesehen, mehr wie einem Freund, der uns von drückenden Lasten befreit, als wie einem Gespenst, das uns vom Schauplatz unserer Freuden abruft. Aber diese Schrecken, diese gräßlichen Gestalten, unter denen er hier erschien, dies gänzliche Ausziehen aller Menschlichkeit, das ein eisernes Gebot hier zur Pflicht machte, empörte die Natur, und jedes bessere Gefühl in mir. Noch ziemlich glücklich erstieg ich auf den Leichen meiner Freunde, meiner Untergebenen, die neben mir, unter mir, bluteten, röchelten, starben, mit verwirrtem Geist, mich selbst betäubend, die schwer zu erobernde Schanze. Was ist die gerühmte Tapferkeit des Helden? O Phocion! Betäubung, Fühllosigkeit, Glück. Warum traf mich kein Pfeil, verwundete mich kein Wurf, indeß rings um mich hundert sanken, die vielleicht mehr als ich zu leben gewünscht, verdient, und ihren Platz, als Führer einer kühnen Schaar, wohl eben so gut behauptet hätten, als ich? Was war's, das mich[42] fortriß, mir Kraft, Hartherzigkeit, Besonnenheit und Schutz verliehen? und warum eben mir? Und zu welcher Zukunft? O Phocion! daß ich nicht vor Nisibis gefallen bin!
Als ich in die Stadt drang, den kleinen Haufen, der übrig geblieben war, hinter mir, ereilte uns in höchster Angst ein Verwundeter, um mir zu sagen, Demetrius sey auf dem Marktplatz von den Seinen verlassen, von Feinden umringt, in Todesgefahr. Ich verließ ohne weitere Besinnung den Posten, den ich nach dem Plane hätte behaupten sollen, und eilte, den Gemahl Larissens zu retten. Die Vorsicht erhörte meinen Wunsch, der Feind ward zerstreut. Demetrius, der mit einer Tapferkeit, weit über seine Jahre, fast allein sich gegen eine ziemliche Anzahl Feinde gewehrt hatte, sank, als ich ihn erreichte, durch Anstrengung und Wunden erschöpft nieder. Ich hielt die eindringenden Feinde ab, bis eine Verstärkung der Unserigen kam, und das ungleiche Gefecht, und unsere Gefahr endigte. Demetrius ward in ein nahes Haus gebracht, und ein Offizier, auf dessen feines Gefühl ich mich verlassen konnte, abgesandt, um Larissen von dem Unfall zu unterrichten, und sie nach der Stadt zu geleiten. Sie kam sogleich. Demetrius empfing sie freundlicher, als ich ihn je gesehen hatte, und stellte mich ihr als seinen Retter vor. Phocion So sehr ich Larissen liebe, so war ich doch nie verblendet genug, um ihre Gestalt, die edel und anziehend ist, für schön zu halten. Aber in diesem Augenblicke, als sie mit offenen Armen, mit glühenden Wangen auf mich zuging, und im Angesichte ihres Gemahls ihre Arme um mich schlug, mir zu danken strebte, und statt der[43] Worte nur Thränen hatte, die heftig aus ihren Augen stürzten, da, Phocion! fand ich sie schön, unwiderstehlich reizend. Ich zitterte wie ein Verbrecher. Ein verzehrendes Feuer lief durch meine Adern, ich brannte, sie zu umfassen, sie fest an meine Brust zu drücken, ihr zu gestehen, was ich fühle. Ich durfte es nicht wagen! Ohne Laut und Bewegung stand ich in ihren umschlingenden Armen, froh genug, daß ich den Sturm, der mein Innerstes durchtobte, zu verhehlen, und ihr und Demetrius die wilde Gluth verbergen konnte, die mich durchdrang. Sie begriff mein Verstummen nicht, oder sie deutete es anders – sie hat keine Ahnung von den Qualen, die seit diesem Augenblick mein Herz zerreißen.
Sicher im Bewußtseyn der himmlischen Reinheit ihrer Gefühle, getäuscht durch die Schönheit derselben, nennt sie ihre jetzige Stimmung Dankbarkeit, schwesterliche Zuneigung, und überläßt sich ihr ohne Zwang und Rückhalt vor den Augen ihres Gemahls, der in väterlichem Wohlwollen gegen mich es gerne sieht, daß seine Frau dem Netter, ihres Gatten mit vorzüglicher Achtung begegnet, und es natürlich findet, daß alte Bekannte, Jugendgespielen in tausend Kleinigkeiten einander weniger fremd sind. O Phocion! Welcher Frieden, welche Unschuld liegt in diesem Gemüthe, das in der Freude, sich seinen Gefühlen überlassen zu dürfen, sich über alle Folgen derselben kindlich täuschend, auch nicht von fern vermuthet, welche Leiden sie über mich häufet! Wenn sie, am Lager ihres Gemahls beschäftigt, mit der Sorgfalt einer Tochter ihm jeden Dienst leistet, jedem Wunsche zuvorkommt, und nach mancher unruhigen Stunde sich dann ermüdet mir gegenüber setzt, ihr Blick mit unaussprechlicher[44] Milde auf mir ruht, und ich an der stillen Zufriedenheit, die aus ihren Zügen strahlt, fühle, wie vergnügt sie meine Gegenwart macht, wie sie den Lohn ihrer Tugend, die Entschädigung für alle ihre Sorgen in einem freundlichen Gespräche mit mir findet; wenn ich diese schöne Mischung von erhabenen Gesinnungen und kindlicher Einfalt, von stillem Muthe und zarter Weiblichkeit sehe, die sich in allen ihren Reden und Handlungen äußert; wenn ich denke, was sie mir hätte werden können, und was sie nun ist – und dann im Gefühle, von ihr geliebt zu seyn, gelassen ausharren, und die Flammen unterdrücken soll, die alle Augenblicke aus meiner empörten Brust hervorzubrechen scheinen: das, Phocion! geht über meine Kräfte. Ich fühle, ich kann es nicht langer mehr tragen, ich muß sie fliehen, wenn ich bei Sinnen, wenn ich mir selbst treu bleiben will.
Demetrius scheint noch eine Absicht damit zu verbinden, daß er mich beständig um sich hält. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn er nicht den Plan hat, mich zum Christenthum nicht zu überreden – aber wohl, mir es durch eine genauere Kenntniß seiner Lehren und Gebräuche angenehmer und werther zu machen. Ich habe keine Vorurtheile mehr dagegen, seit ich Larissens Denkart und die Lebensweise der Christen näher kennen gelernt habe. Ich achte sogar einige ihrer Sätze recht sehr – aber, einer der Ihrigen zu werden – so lange diese Sekte noch so vielen, nicht ganz gehobenen Vorwürfen ausgesetzt ist, so lange mein Vater lebt, der sie haßt, würde ich mich schwerlich entschließen. Es fehlt noch viel, bis ich volle Ueberzeugung habe: und wer kann einen solchen[45] Schritt ohne diese thun? Indessen habe ich einigen ihrer Ceremonien beigewohnt, manchmal mit Ehrfurcht, einige Male mit wahrer Rührung; und Demetrius, wenn das sein Zweck ist, hat ihn in so weit erreicht. Aber auch hierin liegt eine neue, unvermeidliche Gefahr für mich. Larissen beten zu sehen, Zeuge der Erhebung ihres Gemüthes, der Verklärung ihres Wesens zu seyn, zu wissen, daß sie für mich betet, und kalt und gelassen bleiben, das ist schlechterdings unmöglich. Später oder früher muß die Maske fallen, die ich, widerstrebend und kämpfend, nicht länger zu tragen vermag. Und was kann, was wird für Larissen, für Demetrius, für mich daraus entstehen? Ich muß fliehen, ich muß! Sobald Demetrius so weit genesen ist, daß er dieser Unterredung fähig ist, bitte ich ihn ernst und dringend um meine Entlassung. Weigert er sie mir schlechterdings, dann ende ein Machtwort des Cäsars, das ich durch Tiridates schnell zu erhalten hoffe, den Kampf, der meine besten Kräfte verzehrt.
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