26. Sulpicia an Calpurnien.

[51] (Im vorigen eingeschlossen.)


Bajä, im Sept. 301.


Mit unsäglicher Mühe und Aufopferungen, die mich mehr kosten, als ich zu sagen im Stande bin – denn es gilt hier nicht Geld, oder Geldeswerth, sondern Grundsätze und Gefühle, deren Unterdrückung mein innerstes Leben angreift – habe ich einen Sclaven auf unserm Landgute, gewonnen, der sich endlich erboten hat, dir diesen Brief zu bringen. Allmächtige Götter! Zu welchen Erniedrigungen zwingt mich die verächtliche Gesinnung Anderer, und die Nothwehr, die ja auch dem schwächsten Wurm gegen seinen Peiniger erlaubt ist! Bestechung, Verlockung von der dem Gebieter geschworenen Treue muß ich mir zu Schulden kommen lassen. Ich, die ich jeden Winkelzug, jede Unredlichkeit, als meiner Natur widernd, hasse, ich muß die Betrüger überlisten, weil ich sonst – o Götter, Götter! welche Lage! – weil ich sonst verzweifeln müßte. Sterben? Kleinigkeit! Tag und Nacht sind die Pforten des Todes geöffnet, und wer zu sterben weiß, braucht nicht zu dienen. – Aber sterben[51] wollen, und keines Augenblicks, keiner Bewegung Herr seyn, sich auf jedem Schritt beobachtet, bei jedem Laut behorcht fühlen, zu wissen, daß alle Schränke und Kisten durchsucht, und alle Mittel zur Flucht nicht allein aus diesem Aufenthalte, sondern auch aus dem Leben genommen sind; das zu wissen, und mit der Wuth der Ohnmacht seine Ketten zu schütteln, ohne sie zerreißen zu können: das ist die schrecklichste Lage, in der ein Sterblicher sich befinden kann! Man hat in Rom erkundschaftet, daß ich durch dich Briefe aus Asien bekam, daß jene unselige Verbindung durch die vorigen Maßregeln noch nicht abgebrochen war, und man schritt nun zum Aeußersten. Man schleppte mich in diese Einsamkeit, man hält mich wie eine Verbrecherin, und man macht sich ein Geschäft daraus, mir das Leben zu verbittern. Ja, was der Mensch dem Menschen thun kann, ist das Höchste und Niedrigste. Die größte Erdenseligkeit und die schrecklichste Verzweiflung häuft er auf seines Gleichen.


Ja, die höchste Erdenseligkeit und die tiefste Verzweiflung! Vom Schicksal verfolgt, gemißhandelt, flüchtet das zerrissene Herz an den Busen der Liebe, und dort, in ihren weichen Armen, von ihren Thränen benetzt, von ihrem Hauche neu belebt, weiß es nichts mehr von den Tücken des Schicksals, und ist selig in dem Gedanken, treu und wahrhaft geliebt zu seyn. Nein, der Sterbliche ist nicht zu beklagen, der ein geliebtes Herz ganz besitzt, und in dem seligen Bewußtseyn ruht, was auch sein Loos sey, wie weit Zeit und Raum ihn von diesem Herzen scheiden, es fühlt für ihn, es schlägt nur für ihn, es achtet kein Opfer, keine Gefahr, um den Geliebten glücklich zu[52] machen. Laß dann die ganze Natur, laß die Götter sich wider ihn verschwören, er achtet ihrer Wuth nicht, er liebt – und wird geliebt. O, ich Rasende! daß ich damals klagte, da nichts als eine Verkettung von Umständen ein geliebtes Wesen schuldlos aus meinen Armen riß! Damals wähnte ich unglücklich zu seyn, und was hin ich jetzt? Sie war Frevel, diese unzeitige, unmäßige Klage; Kleinigkeit, Spiel waren die Leiden, die ich damals fühlte, gegen die Martern, die mich jetzt verzehren. Damals war ich geliebt, damals schlug ein Herz treu und ausschließend für mich. O ihr Götter! Nehmt, nehmt mir Alles, was noch an meinem Loose wünschenswerth seyn mag, und gebt mir jene Schmerzen wieder! Gebt mir sie wieder, die Zeit, wo ich euch durch voreilige Bitten bestürmte, ich fordere euch heraus, mich unglücklich zu machen, so lange ich geliebt bin. Aber ich bin nicht geliebt, ich bin nicht geliebt! O mit brennendem Schmerz reißt dieser Gedanke an meinem Herzen: ich bin nicht geliebt! Was in diesen Worten liegt, drückt keine Sprache aus, nur die Verzweiflung in ihrer dumpfen kalten Nacht fühlt die Qualen, die sie enthalten. Zwei Tage trug sich dies Herz mit täuschenden Hoffnungen, jene Nachrichten könnten Verleumdung seyn, eine wohlausgesonnene List meiner Peiniger. Die bitterste Erfahrung, ganz unzweifelhafte Beweise haben mir gezeigt, daß Alles, was man mir sagte, Wahrheit, und mein Unglück entschieden sey. Ein gewisser Marcius Alpinus aus Nikomedien, eines von jenen kaltvernünftigen Wesen, die nichts tiefer verachten und bespötteln als Gefühl, hat an einen seiner Freunde geschrieben, und von diesem erhielt mein Bruder Septimius den Brief.[53] Asiatische Hetären, zwar verheirathete Matronen und vom ersten Range, nichts desto weniger aber an Gesinnung und Betragen den Verworfensten ihres Geschlechtes gleich, theilen sich in ein Herz, das ich einst in einem dunkeln verworrenen Traume mein zu nennen wähnte. Treue, Schwur, Ehre, Ruhm und Thron verschwinden aus den verblendeten Augen, die nur mit wollüstiger Trunkenheit an schönen Formen hangen; und gleichgültig opfert man das Glück eines längst vergessenen Herzens am Altare einer frechen Schönheit.

O wer gibt mir Dumpfheit, Wahnsinn, Vernichtung! Ich will ja nicht leben, ich will ja ein zweckloses Daseyn nicht länger hinschleppen. Liebst du mich, Calpurnia! hast du in der großen Welt nicht auch jede bessere Empfindung verlernt, so besorge mir nur einen einzigen wohlthätigen Tropfen, nur Einen, der genug ist, mein Leben auszulöschen!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 51-54.
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