30. Calpurnia an Agathokles.

[66] Rom, im Nov. 301.


Die seltsamste Begebenheit von der Welt, eine Erscheinung, die schnell wie ein Blitz kam, und verschwand, und der ich noch staunend nachsehe, ohne recht zu wissen, ob ich nicht vielleicht geträumt habe, zwingt mich, schon wieder deine Güte und Freundschaft für meine Sulpicia in Anspruch zu nehmen.

Sie ist fort – fort aus Bajä, aus Italien – und ich muß eilen, diesen Brief nachzusenden, und die Götter um günstige Winde anflehen, damit das Schiff, das ihn bringt, die eilige Flucht eines verliebten Paares überhole, und dich auf seine Erscheinung vorbereite.

Vor drei Tagen saß ich gegen Abend in der Dämmerung in meinem Zimmer, als plötzlich meine Thür hastig aufgerissen wurde, und eine männliche Gestalt, die ich nicht sogleich erkannte, ungestüm auf mich zueilte. Ich gestehe dir, daß ich im ersten Augenblick erschrak; denn ich vermuthete nichts anders, als einen Anschlag auf mein Geld, meine Habseligkeiten. Ich sprang daher auf, und lief an die entgegengesetzte Thür, um meine Sclavinnen zu rufen, als der Fremde mich erreicht hatte, und mein Name, von einer bekannten Stimme ausgesprochen, meine Schritte hemmte. Ich fühlte mich bei der Hand ergriffen, der Unbekannte lag zu meinen Füssen – es war Tiridates. Was bei dem schnellen Wechsel von Erstaunen, Schrecken und Freude in mir vorging, kann ich dir nicht beschreiben. Um aller Götter willen, wie kommst du hierher? rief ich. »Lebt Sie – lebt meine unglückliche Sulpicia noch? Kann sie mir verzeihen?[67] Darf ich sie sehen? O ich bin hier, um Alles gut zu machen. Ich muß sie befreien, ihr Leiden enden. Sie muß mit mir fort. Mein Schiff liegt in Ostia. O führe mich zu ihr, versäume keinen Augenblick!« Dieser ganze Redestrom floß ununterbrochen von seinen Lippen, ohne daß es mir möglich gewesen wäre, eine Sylbe einzuschalten. Als er fertig war, sagte ich endlich: Steh doch auf, fasse dich, und erzähle mir ordentlich und ruhig, wie das Alles! zusammenhängt. Er folgte mir zu einem Sitze; aber daß er sitzen geblieben wäre! Zehnmal in einer Viertelstunde sprang er auf, zehnmal setzte er sich wieder hin, und unter Ausrufungen, Verwünschungen seiner selbst, des Schicksals und der Verwandten Sulpiciens erfuhr ich endlich, daß du ihm zuerst die Augen über seine Schuld geöffnet, daß deine Freundesstimme ihn von dem Abgrunde zurückgerufen, an dem er sorglos taumelte, daß du ihn dann mit Würde und Schonung Sulpiciens Lage errathen lassen, und erst, nachdem sein Herz von Selbsterkenntniß und Neue über Sulpiciens Leiden durchdrungen war, ihm ihren Brief gegeben hattest, mit Einem Wort, daß mein Freund so gehandelt hatte, wie ich es von ihm erwartete, und innigst und gerührt danke. Sehnsucht, Sulpicien zu sehen, deren Bild, durch deine Schilderungen lebhafter als je in seiner Brust erwacht war, stürmisches Verlangen, sie aus ihrer drückenden Lage zu befreien, und sein Unrecht wieder gut zu machen, hatten ihn hierauf zu dem rasenden Entschluß bestimmt, sogleich nach Italien zu segeln, und sie mit oder wider ihren Willen zu entführen. Dir hatte er nichts von diesem Vorhaben gesagt, weil er fürchtete, du möchtest es mißbilligen. Das Ungeheure dieses Plans machte[68] mich ganz stumm; es brauchte eine Weile, bis ich ihn begreifen, und ihm die Einwürfe machen konnte, die Vernunft und Kenntniß der Umstände mir eingaben. Umsonst! Wie konnte ich es auch nur versuchen, einem solchen Feuerkopfe Etwas ausreden zu wollen, oder ihn von einem Vorsatze abzuhalten, der in diesem Gehirn entsprungen, von diesem Gemüth leidenschaftlich ergriffen worden war? Alles, was ich erhalten konnte, war das Versprechen, Sulpiciens erschütterte Gesundheit zu schonen. Noch dieselbe Nacht reiste er ab. Zwei halbtodt gerittene Pferde bezeugten die unglaubliche Schnelligkeit, mit der er Bajä erreichte. Er wußte, daß sein Schiff nicht lange warten konnte, und weder in Rom noch Nikomedien sollte Jemand seine Anwesenheit, oder den Zweck seiner Reise erfahren. Heute Morgen brachte, ein alter Sclave Sulpiciens mir diesen Brief.


Sulpicia an Calpurnien.


Er ist hier. Ich bin geliebt! Er kommt, mich zu befreien, ich folge ihm. Den Plan ist gewagt, aber göttlich. Wenn du dies liesest, schwimme ich weit von Italien mit ihm über die Fluten. Du wirst meinen Schritt fassen und nicht tadeln. Was die Welt sagen mag, kümmert mich nicht. Leb' wohl!


Sie war also fort. Sie hatte eingewilligt. Ich wußte nicht, ob ich mich freuen oder betrüben sollte. Wenn ich auf der einen Seite den Trost hatte, ihre Lage geändert, und ihr Herz beruhigt zu wissen, so erschreckte mich auf der andern die Sorge für ihre Gesundheit auf einer solchen Reise, in einer solchen Jahreszeit, und die Furcht[69] vor ihrer Zukunft, da sie nun in der weiten Welt keinen andern Schutz, keine Stütze hatte, als die Liebe und Treue eines so leidenschaftlichen, leichtsinnigen Menschen, von dessen Wankelmuth wir schon Proben genug haben. O was ist die Liebe, wenn sie einen solchen Grad erreicht, für ein schreckliches Feuer, das Ueberlegung, Ruhe, Leben, Alles verzehrt, was dem Menschen sonst lieb und theuer ist.

Ohne Zweifel wird sie Tiridates nach Nikomedien führen; du wirst sie vielleicht selbst sehen, oder doch leicht Nachricht erhalten. Laß – dies ist der eigentliche Zweck meines Briefs, die dringende Bitte der Freundschaft – laß dir meine Sulpicia empfohlen seyn. Wache über sie, wo ihre eigene Leidenschaft oder fremder Leichtsinn sie schutz- und wehrlos läßt. Sey ihr Freund, ihr Beschützer, ihr Rathgeber. Ja, wenn es dein Verhältniß zu Larissen gestattet, dessen wahre Beschaffenheit mir freilich der Ruf nicht ganz getreu mag berichtet haben, so versuche es, Sulpicien die Bekanntschaft und vielleicht den Schutz dieser Frau zu verschaffen. Könntest du dies, so wäre mein Herz eines großen Theils seiner Sorgen für diese mißleitete und bedauernswürdige Freundin los. Ich weiß, du wirst meine Bitte nicht übel deuten, und der Gedanke, einem hülflosen Wesen so viel zu seyn, als du Sulpicien jetzt in Asien werden kannst, ist reizend genug für dein Herz, um deine ganze Thätigkeit aufzufordern.

Es wäre möglich, daß ich selbst bis nächsten Frühling nach Nikomedien käme. Man spricht davon, daß mein Vater das Proconsulat erhalten soll. Doppelt wichtig ist mir diese Aussicht jetzt, und ich werde mich sehr freuen, sie erfüllt, und mich mit so werthen Freunden, als du[70] und meine Sulpicia sind, wieder vereinigt zu sehen. Leb' wohl.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 32, Stuttgart 1828, S. 66-71.
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