54. Sulpicia an Theophania.

Synthium, im November 302.


Was dem ermüdeten Wanderer in der öden Gleichförmigkeit einer weiten wüsten Ebene der Anblick eines waldigen Hügels ist, der ihm Kühlung, Ruhe und Erholung verspricht, das war mir dein Brief, meine geliebte Theophania! Mein Leben schleppt sich so freudenlos, so eintönig hin, mein Herz darbt so sehr an seinen bessern Freuden, daß die bloße Aussicht, ein Wesen gefunden zu haben, das mich verstehen, und Geduld und Treue für mich haben könnte, seit dem Tage, als ich dich kennen lernte, wie ein freundlicher Stern durch die trübe Dämmerung meines Daseyns strahlte. Gern hätte ich schon damals mehr Schritte gegen dich gethan, aber eine zarte Furcht, nicht zudringlich zu scheinen, und meiner Freundschaft selbst ihren Werth dadurch in deinen Augen zu benehmen, hielt mich ab. Um desto erfreulicher war mir dein Brief, denn er gab mir Gewißheit über das, was ich im ersten Augenblick geahnet hatte, über die gleiche Stimmung unserer Seelen, und einen geheimen Zug, der uns wechselsweise zu einander führt.

Ja, es bleibt ewig wahr – nur gleiche Denkart macht die Freundschaft fest, und nur unser Geschick bestimmt unsere Denkart. Wie kann das fröhliche Wesen, das im Sonnenschein des Glückes sein Freudenleben verflattert, mit dem Unglücklichen gleich fühlen, den ein ernstes Schicksal von der Wiege an zu Entbehrungen und Leiden erzogen hat? Ihnen beiden muß notwendiger Weise die Welt, und Alles um sie her in einem so verschiedenen Lichte erscheinen, daß an einen festen Zusammenhalt, der gegen Zeit und Stürme ausdauert, nicht zu denken ist. So lange kein entscheidender Fall eintritt, wo Eines für das Andre auf die Probe einer schweren Wahl, oder eines großmüthigen Opfers gestellt wird, mag das Bündniß dauern. Kommt einmal jener Zeitpunkt, so muß die verschiedene Stimmung, der entgegengesetzte Geschmack, der ihnen ihr Glück in ganz verschiedenen Gegenständen zeigt, die losen Bande leicht zerreißen. Darum wohl den gleichgestimmten Seelen, bei denen ähnliche Schicksale – ähnliche Gesinnungen und ähnliche Wünsche erzeugt haben, die keiner Opfer bedürfen, um auf dem selbst gut geheißnen Pfade einig mit einander zu wallen!

Uns dunkeln Gemüthern, denen das Schicksal selten lächelt, hat es doch auch wieder einige Freuden geschenkt. Wir genießen das Glück der Freundschaft. Keine Zerstreuung wendet unsere Gedanken so leicht von der Freundin ab, keine Eitelkeit verleitet uns, auf fremde Kosten zu glänzen, keine Eroberungssucht bringt uns in Collisionen mit unsern Gespielinnen, uns, die wir nach nichts Anderem streben, als mit allen Kräften einen Gegenstand auf ewig fest zu halten, und keinen größern Schmerz kennen, als ihn zu verlieren, sey es durch den Tod oder durch Wankelmuth. Doch nein – nicht gleichviel! O,[4] meine Theophania, ich kenne dein Schicksal nicht ganz, aber fast möchte ich dich beneiden! Der Tod entriß dir den Gemahl, den liebenden, den treuen, in der Zeit, als, nach deinen Jahren und deiner Trauer zu urtheilen, eure Liebe noch in schöner Blüthe stand, und der Quell der Empfindung voll und rein durch eure beiden Herzen floß. Du liebst ihn noch, obgleich die Urne seine Asche birgt, und du hoffst nach deinem Glauben, in einer Region des Lichts und unzerstörbaren Freude ihn wieder zu sehen. Ihr Glücklichen! Eure Liebe hat eure Verbindung, sie hat Euer Daseyn überlebt. O! weh denen, deren Daseyn, deren Verbindung ihre Liebe überlebt! Wenn Eines kalt und abgestorben an des Andern Seite kaum noch den Schatten jener Entzückungen nachzubilden fähig ist, die es einst hinrißen, wenn jenes Feuer, in dem sich die trunkenen Seelen zur Götterwonne emporschwangen, zu matten Aeußerungen achtungsvoller Freundschaft herabgekommen ist, wenn die glühende Brust des länger Getreuen vergebens ihr Feuer in die kalte Asche zu strömen sucht, und ein ungeheurer Schmerz um das, was war, und nicht mehr werden kann, die tief erregte Brust zerreißt, die mit allen ihren Wunden, sich nur in abgemessener Förmlichkeit an einen Marmorbusen gedrückt fühlt – das ist Schmerz, Theophania! wüthender, verzehrender Schmerz, und daß er der letzte ist, ist das einzig Tröstliche daran!

Du hast, wie es scheint, meine geliebte Freundin! einen flüchtigen Scherz, den wir uns in deiner Gegenwart erlaubten, etwas zu ernst genommen. Calpurnia ist noch nicht Braut, sie ist nur die geachtete vertraute Freundin jenes Mannes, dessen Bild du gesehen hast.[5] Daß er für sie empfindet, ist wohl nicht zweifelhaft – aber wer kann auf Männerliebe bauen? Es ist nicht lange, daß er einen sehr theuern Gegenstand, eine Freundin verloren hat, die er von Jugend auf mit heftiger und unglücklicher Zärtlichkeit geliebt hat. Dennoch fängt er an, bei der reizenden Calpurnia seines Verlustes zu vergessen, und der unbeschreiblichen Gewalt zu weichen, mit der dies gefährliche Mädchen bisher auf alle Männer wirkte, indeß sie selbst unbefangen blieb. Nur bei Agathokles scheint ihre Stunde auch gekommen zu seyn, und wenn keine neuen Hindernisse eintreten, wenn die Zeit über das Vergangene den mildernden Schleier gezogen haben wird, so sehe ich diesem Bündniß mit Hoffnung und Freude entgegen. Dir aber den Zeitpunkt zu bestimmen, ist, wie du selbst einsiehst, nicht möglich. Agathokles ist mit den Cäsarn in Nisibis, wo der Friede geschlossen wird; wir hoffen ihn erst in einem Monate zu sehen. Vielleicht kann ich dir dann mehr sagen. Calpurnien will ich den Antheil, den du an ihrem Schicksal nimmst, melden; ich weiß, es wird sie freuen, von einer Frau geachtet zu seyn, deren Anblick nichts Gewöhnliches verkündigte, und deren näherer Umgang das Versprechen des ersten Augenblicks wahr gemacht hat. Was die Bitte betrifft, so glaube ich sie im Voraus in meiner Freundin Namen zusagen zu können, und so ersuche ich dich, sie mir mitzutheilen, von was immer für einer Art sie seyn mag. Theophania kann um nichts bitten, dessen Gewährung nicht ihren Freundinnen zur angenehmen Pflicht würde. Leb' wohl!

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 4-6.
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