61. Calpurnia an ihren Bruder Lucius Piso.

[32] Nikomedien, im December 302.


Stehlen muß ich die Zeit, liebster Bruder, um dir zu schreiben, und meine alte Schuld abzutragen. Aber du kennst meine Unart. Es kostet mich Mühe, zum Schreiben zu kommen, wenn ich aber einmal anfange, kostet es mich eben so viele, wieder aufzuhören. So wirst du zwar wenige, aber desto längere Briefe von mir bekommen. Wir leben jetzt in einer unruhigen fröhlichen Zeit. Wie Schade ist's, daß du nicht Theil daran nehmen kannst! Feierlichkeiten und Unterhaltungen jeder Art wechseln mit einander ab, Hoffeste, Volksfeste, Hochzeitfeste, Friedensfeste, und deine Schwester spielt bei allen diesen Herrlichkeiten, als Tochter des Proconsuls, und Freundin der armenischen Königin, eine gar nicht unbedeutende Rolle.[32] Ich erscheine fast jeden Tag öffentlich bei irgend einem feierlichen Aufzuge, und ich müßte doch wahrlich kein Mädchen, ich müßte so etwas von einem Stoiker oder Cyniker seyn, wenn es mir nicht eine wahre Angelegenheit seyn sollte, jedesmal in einem so viel wie möglich neuen und passenden Anzug zu erscheinen. Das kostet Zeit, Nachdenken, Arbeit. Rechne dazu die vielen Stunden, welche Gastmahle, feierliche Opfer u.s.w. einnehmen, und du wirst leicht begreifen, daß deiner geschäftigen Calpurnia in ihrem weitläufigen Hauswesen wenig Zeit übrig bleibt. Zuweilen könnte ich wohl ein Stündchen finden, aber bald ist ein Freund, bald Braut und Bräutigam da; es wird geschwatzt, gescherzt – wer kann dem Reiz der geselligen Freuden widerstehen? – und so verfliegt der Tag, wie eine Minute. Wenn ich dann Abends müde auf mein Lager sinke, wiederholt Morpheus gefällig die Freuden des Tages in noch schönern Bildern. Ich bin so vergnügt, wie ich seit Langem nicht mehr war, und fühle, daß sich in diesen Freuden, als in meinem eigentlichen Elemente, mein ganzes Wesen auf's leichteste und angenehmste entfaltet.

Doch ich plaudre in einem fort, ohne zu bedenken, daß du unmöglich wissen kannst, was ich meine. Nun so will ich denn einmal die flatternde Phantasie beim Flügel haschen, und sie zwingen, recht sittsam und ordentlich zu erzählen, wie sich Alles begeben hatte. Vor zwanzig Tagen ungefähr hielten der Augustus, Galerius und Tiridates ihren feierlichen Einzug in Nikomedien. Es war eins der glänzendsten Feste, das ich je, selbst in Rom, gesehen hatte. Die angesehensten Einwohner, alle öffentlichen Autoritäten zogen ihnen im prächtigsten Anzuge[33] und mit feierlichem Gepränge entgegen; aber Alles verschwand vor der Pracht des ankommenden Hofes. Der Kaiser zwar und Cäsar Galerius machten trotz des ausserordentlichen Schimmers, der sie umgab, nicht viel Effekt, wenigstens nicht auf mich, und ich glaube, halb Nikomedien (so hoch wird sich wohl das weibliche Geschlecht hier belaufen) war einerlei Meinung mit mir, was auch die sogenannten Verständigen oder die Schmeichler von ihren bedeutenden Physiognomien, dem Herrscherblick, den Heldenstirnen sagten. Für mich waren es ein paar alte Herren ohne alles Interesse. Desto prächtiger nahmen sich dicht hinter ihnen die Prinzen Constantin und Tiridates aus. So herrlich, so blendend, wie diesmal, hatte ich sie nie gesehen. Sie ritten auf stolzen Pferden mit allem Anstande geschickter Reiter, die Sonne zog blendende Funken aus ihren Rüstungen, und die Helmbüsche wogten auf und nieder, wie sich ihre Pferde tanzend unter ihnen bewegten. Ihre schönen Gestalten waren durch die schimmernden Umgebungen sehr erhoben, und die Stimmen zwischen dem edlen Ernst des blonden Britten, und dem freundlichen Feuer des dunkeln Armeniers getheilt. Nicht weit davon im Gefolge ihrer ersten Offiziere befand sich Agathokles. Auch sein Anzug war prächtig, wie es die Feier und sein Stand forderte, aber ich muß dir aufrichtig bekennen, so wohl er mir damals gefiel, als die Blicke des ganzen Volkes an ihm als Siegesboten hingen, so verschwand er heute gänzlich vor der Schönheit und dem Glanz der beiden Fürsten. Was auch die Philosophen sagen mögen, Schönheit und hohe Geburt sind keine so ganz gleichgültigen Eigenschaften, und wenn sie auch keine Verdienste verleihen, so dienen[34] sie doch dazu, die, welche schon vorhanden sind, in ein blendendes Licht zu stellen.

Tiridates mit allen seinen guten Eigenschaften als der Sohn eines Bürgers, der etwa durch Unglück sein Vermögen verloren hätte, würde unser Mitleid erregen, und wir würden uns freuen, wenn ihm der Zufall wieder sein väterliches Gut zurückgäbe. Aber hier ist ein Fürst, der letzte Sprößling eines erlauchten Hauses, an dessen Willen einst das Schicksal von Millionen hing, durch einen Usurpator seines Throns, seiner Rechte beraubt, und verfolgt, nur durch die Treue eines alten Dieners gerettet. Dieser Fürst hat nun sein Reich mit Hülfe seiner Freunde erobert. Er ist wieder König, sein Wille lenkt wieder das Geschick von Tausenden. Wie ganz anders ist dieser Eindruck! Und wenn das Gemüth durch jene Erzählung vorbereitet ist, den merkwürdigen Mann mit günstiger Stimmung zu betrachten, dann vollendet noch eine schöne Gestalt den Zauber des ganzen Bildes. Wer kann sich dessen ganz erwehren? Wer wird läugnen, daß der schöne Tiridates als Privatmann, oder der Fürst in alltäglicher Bildung nicht halb so interessant seyn würde? Das wissen auch die Dichter, und darum stellen sie uns so gern Fürsten, Helden, Götter der Erde dar, lassen sie von großen Schicksalen gebeugt, oder erhoben werden, und schildern sie uns obendrein als vollendete Schönheiten.

Gegen Abend kam er mit Agathokles zu mir. Jetzt war der Zauber verschwunden, und in der einfachen friedlichen Toga, im freundschaftlichen Gespräch gewann dieser bald wieder seinen alten Platz neben, oder selbst vor Tiridates in meinem Geiste. Ich fand ihn etwas heiterer[35] als sonst. Die tiefe Schwermuth, die ihn vorher beinahe zu jeder geselligen Freude unfähig machte, hatte sich in einen sanften Ernst verwandelt; er war freundlich, aber still, und wortarm. Tiridates hatte beschlossen, schon den folgenden Tag nach Synthium zu gehen. Ich erhielt einen Tag Aufschub von ihm, weil ich es nothwendig fand, Sulpicien erst auf diesen Besuch, und das ersehnte Ziel aller ihrer Leiden und Wünsche vorzubereiten. Am dritten Tag reiste er endlich im Gefolge eines Heeres von Sclaven, Pferden und Kameelen, die königliche Brautgeschenke trugen, ab, um seine Braut zu holen. Der Empfang soll ganz so gewesen seyn, wie ich dachte, voll Zärtlichkeit und Achtung auf der einen, voll Entzücken auf der andern Seite. Sobald Sulpicia sich von dem Freudensturm erholt hatte, wurde sie in einer prächtigen Sänfte von acht reich gekleideten Cappadociern, die in kleinen Absätzen von Andern abgelöst wurden, so schonend und so feierlich als möglich nach Nikomedien gelbracht, und ich empfing sie am Thore des prächtigen Hauses, das Tiridates schon lange gekauft, und mit königlicher Pracht hat einrichten lassen.

Hier blieb sie acht Tage bis zu ihrer Vermählung, und diese wurden größtentheils mit Zubereitungen, mit Wahl der kostbarsten Stoffe, Juwelen, Geräthschaften u.s.w. höchst angenehm zugebracht. Am Tage des Friedensfestes, das der Augustus sehr feierlich beging, wurde auch die Vermählung des armenischen Königs vollzogen, und Sulpicia erschien mit einer Pracht, die fast die Augusta und ihre Tochter, des Cäsars Gemahlin, verdunkelte. So will es Tiridates, der nichts unterläßt, wodurch er der Welt die Achtung zeigen kann, mit der er seine Frau[36] behandelt. Seit diesem Tag dauert nun das fröhliche Leben, von dem ich dir im Anfange schrieb, und nichts stört meinen Genuß, als der trübe Gedanke, daß es nicht mehr lange währen, und dann eine tödtliche Leere an seine Stelle treten wird. Tiridates führt seine Frau, so bald die Feste vorüber sind, nach Ecbatana. Sulpicia hat sich ziemlich erholt, und wird im Stande seyn, die Reise ohne Schaden für ihre Gesundheit zu unternehmen. Ihr Gemüth ist beruhigt, und so die erste Quelle ihres Uebels gehoben. Ich hoffe jetzt auf ihre gänzliche Herstellung, aber ich werde ihre Abwesenheit sehr schwer empfinden; ich werde sie, ich werde Tiridates überall vermissen. Jetzt, wo alle Zweifel verschwunden, alle ängstlichen Spannungen aufgelöset sind, und sein Geist sich ungehindert und frei entfalten kann, kannst du dir keinen Begriff machen, welch' ein angenehmer Gesellschafter er ist, höchst liebend würdig als Fürst und Mensch. Seine Heiterkeit belebt auch Sulpicien, und unser Umgang ist angenehm und fröhlich. Freilich wird Agathokles hier bleiben; wird aber sein Ernst, seine wortarme Unterhaltung im Stande seyn, mich für jenen Verlust zu entschädigen? Ich zweifle sehr. Er ist ein Feind aller lauten Freuden, alles Schimmers, aller öffentlichen Belustigungen; er war sogar entschlossen, während der Festlichkeiten nach Synthium zu gehen, und dort ganz allein seinen Gedanken und Schwärmereien zu leben. Du mußt gestehen, daß das doch zu arg war; auch ließen wir ihn diesen trübsinnigen Vorsatz nicht ausführen, und er ergab sich zuletzt unsern vereinigten Bitten und Neckereien. Wie er sich dann betragen wird, wenn unsre Freunde ferne sind, und wieder Alles stille um mich geworden ist, das wissen die Götter;[37] ich sehe dieser Zeit mit einer Art von Schauer entgegen. Doch weg mit den trüben Gedanken! Sie sollen mir die gegenwärtige Lust nicht verderben. Und so leb' wohl, lieber Bruder! Ich eile zu Sulpicien, um im Umgange meiner Freunde jede düstre Regung zu verscheuchen.

Quelle:
Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 34, Stuttgart 1828, S. 32-38.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Jean Paul

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch

Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon