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[14] Nikomedien, im März 303.
Du siehst aus der Aufschrift, daß ich in Nikomedien bin. Galerius hat einsehen gelernt, daß man in der jetzigen Epoche nicht genug thätige Menschen um sich haben kann, daß besonders ein unwissender Krieger, wie er, überall des verständigen Weltmannes bedürfe. So bin[14] ich nun wieder für ihn geschäftig. Alles geht gut – und für's erste dürften wohl Constantins hochfliegende Gedanken etwas gemäßigt werden. Diocletian, der sich seiner aus Politik gegen den übermächtigen Galerius bisher annahm, wird durch Kränklichkeit und seines Mitregenten Bestrebungen endlich dahin kommen, den Gedanken einer freiwilligen Abdankung als sehr natürlich und räthlich, vielleicht sogar als den einzigen Weg anzusehen, der ihm aus einem Labyrinth übrig bleibt, in welches ihn Galerius sehr zweckmäßige Maßregeln eingeschlossen haben. Der occidentalische Augustus muß seinem Beispiel folgen, und die Welt wird die erhabene Komödie mit Lachen oder Grauen anstaunen. Nach Maximians Entsagung tritt Constantins in seine Würde – ein wenig furchtbarer Gegner für einen Galerius. Seine schwächliche Gesundheit wird ihn an jedem kühnen Entschluß hindern, und sollte er zu lange leben, so weiß Galerius auch für solche Hindernisse Rath. Dem Golde und der Macht ist kein Weg unzugänglich. Dann übrigt nur Constantin, und – wie unternehmend und ehrsüchtig er auch seyn mag, der Kampf mit dem alleinigen Herrn der gebildeten Welt wird zu ungleich seyn, als daß er nicht erliegen müßte. Doch bis sich dies Alles entscheidet, kann mancher Zufall tückisch dazwischen treten. Ein Jahr, vielleicht noch länger, kann darüber hingehen; denn Diocletian, der Rom noch nicht als Kaiser gesehen hat, will seinen Triumph noch vorher dort feiern – und übereilt darf nichts werden.
Du siehst, daß mir das Glück zu lächeln anfängt, und es bleibt sich im Kleinen wie im Großen treu. Die andächtige Larissa war mir, wie du weißt, entflohen, gerade[15] in einem Zeitpunkte, wo ich sie als Christin und Hausgenossin – vielleicht als Mitverschworne des verdächtigen Lysias in meine richterliche Gewalt zu bekommen, und natürlicher Weise nur um einen hohen Preis zu entlassen dachte. Wie leicht wäre es gewesen, ein unbekanntes Geschöpf wie sie, in den Augen der Welt, und zuletzt in ihren eigenen, als schuldig erscheinen zu machen! Aber, wie gesagt, sie war entflohen, und keine Spur von dem Wege zu finden, den sie genommen hatte.
Endlich erfuhr ich, daß der alte Priester, mit dem sie nach Nicäa gekommen war, sich hier aufhalte, und daß ihn auf der Reise ein junges Frauenzimmer begleitet habe. Es ward mir je mehr und mehr unzweifelhaft, daß es Theophania war, daß sie in Nikomedien sey; aber alle Nachforschungen konnten nichts entdecken, wo und in welchen Verhältnissen sie hier lebe. Indessen kam der unruhige Tag, wo die christlichen Kirchen zerstört wurden. Agathokles, der sich schon einige Zeit vorher als ein Mitglied dieser Secte bekannt und geweigert hatte, sich gegen sie gebrauchen zu lassen, trat auch jetzt als ihr Vertheidiger auf, und ward ein Opfer seiner Tollheit, und seine andächtigen Mitbrüder brachten ihn in ein Haus vor der Stadt, in welchem einige alte christliche Weiber in frommem Müßiggang beisammen leben. Bei dieser Gelegenheit zählte ich nun sicher daraus, die verborgene Theophania zu entdecken, die, wenn auch sonst nichts in der Welt, doch wenigstens die Gefahr ihres Freundes bewegen würde, ihren Schlupfwinkel zu verlassen. Ich hielt mich daher viel in der Gegend dieses Hauses auf, und sieh da, am Abend des folgenden Tages, als es schon ganz dunkel geworden war, sah ich eine[16] schlanke Knabengestalt, sorglich in Mantel und Kappe verhüllt, mit einem etwas ängstlich trippelnden Schritt, von einem alten Mann begleitet, aus dem Hause treten. Die ganze Haltung des vermeinten Knaben, eine zarte weibliche Stimme, die dem Begleiter etwas leise zuflüsterte, Alles erregte Verdacht in mir, und die Muthmaßung, daß es Theophania sey, die in dieser Verkleidung den geliebten Freund besuchte, ward mir beinahe zur Gewißheit. Ich folgte ihr auf dem Fuße nach, aber unter dem Stadtthor verlor ich sie unter einem großen Haufen von Menschen, der sich hin und her drängte, und mich lange Zeit von ihr entfernt hielt. Als ich aus dem Gewühle war, sah ich keine Spur mehr von ihr, es war Nacht geworden, und ihr Entkommen eben so begreiflich, als ärgerlich für mich.
Ich war nun noch begieriger geworden, etwas Bestimmtes zu erfahren. Am nächsten Tage Abends stellte ich mich wieder auf die Lauer, und richtig kam mein verkleidetes Bürschchen desselben Weges. Ich vernahm wieder die weibliche Stimme, obwohl ich nicht verstehen konnte, was sie sagte, und ging ihr voll Neugierde nach.
Innerhalb des Thores sähe ich sie durch einige kleine Straßen bis in ein unscheinbares Haus gehen, ich ziehe mich zurück, um nicht gesehen zu werden, und wie ich vermuthen kann, daß sie in dem Zimmer ist, erkundige ich mich um die Bewohner. Das Haus gehört einem kleinen Kaufmann, der ein Christ ist, und bei dem sich seit der Zerstörung der Kirchen einige dieser Fanatiker versammeln, um ihre Ceremonien und Opfer zu halten. Ich wartete eine Weile vor dem Thore, es kamen nach und nach Menschen von allerlei Alter und Stand, die alle[17] geheimnißvoll eingelassen wurden, und ich schloß daraus, daß eben jetzt eine solche Versammlung gehalten würde, bei welcher die andächtige Theophania zu erscheinen nicht versäumen konnte. Alles schien sich natürlich und höchst wahrscheinlich an einander zu reihen, und ich beschäftigte mich in meinem Hinterhalte bereits mit Entwerfung verschiedener Plane, wie ich die gesetzwidrige Versammlung auseinander stäuben, und Theophanien zugleich in meine Gewalt bekommen könnte. Unterdessen war es spät geworden, es kam Niemand mehr, ich hörte das Thor von innen verschließen, und da ich nicht so lange warten wollte, bis die andächtige Gemeinde auseinander gehen würde, verließ ich meinen Posten mit einem süßen Gefühl naher Rache, und mit einem Kopf voll Anschläge und Plane. Meine Ungeduld ließ mich kaum den folgenden Abend erwarten. Ich war entschlossen, Theophanien geradezu anzureden, und mich ihrer ersten Bestürzung zu bedienen, um zu erfahren, was ich vermuthete. Nicht weit vom Hause begegnete sie mir, von zwei Sclaven begleitet, vermuthlich weil sie bemerkt hatte, daß man ihr auflauerte. Sie ging sehr schnell. Ich betrachtete ihre Gestalt aufmerksam, und je mehr ich sie betrachtete, je mehr überzeugte ich mich, daß dieser vermeinte Jüngling ein verkleidetes Weib sey. Daß sie etwas kleiner als Theophania schien, irrte mich nicht, denn ich maß es der männlichen Kleidung bei, und so trat ich bei einem Gebüsche, weit von den Häusern, wo es ganz einsam war, plötzlich auf sie zu, faßte sie bei der Hand, und redete sie als Larissa an; denn ich glaubte meiner Sache ganz gewiß zu seyn. Ich weiß nicht mehr, was ich gesagt habe, aber bei dem Namen Larissa fuhr mein schöner Knabe plötzlich[18] empor, vergaß seine Verkleidung, sah mir starr in's Gesicht, und – stelle dir meine Verwunderung, mein Erstaunen vor – es war die reizende Calpurnia!
Sie schien eben so betroffen über meinen Anblick und ihre Entdeckung, als ich. Sie wollte stolz und verächtlich thun, aber es gelang ihr nicht gegen einen Mann, der sie in dieser Kleidung, und auf diesem Wege getroffen hatte. Sie fühlte die Blöße, die sie mir gegeben hatte, und wurde artiger. Daß Larissa lebte, und hier in Nikomedien, und wahrscheinlich in der Nähe ihres Jugendfreundes wäre, war ihr sehr unerwartet. Es erschreckte sie, das sah ich deutlich, und ich benützte diesen Schrecken. Ich erzählte ihr Manches, das wenigstens so hätte seyn können – von Agathokles Treue zu Larissen, von manchem Schritt, den er gethan haben könnte, und – vielleicht auch gethan hat. Sie wurde zusehens stiller, nachdenklicher. An ihrem Hause beurlaubte ich mich von ihr, und erhielt mit vieler Artigkeit die Erlaubniß, unsere langst abgebrochene Bekanntschaft wieder zu erneuern, und sie zu besuchen. Was wollte sie auch Anders? Sie ist in meiner Macht, ich weiß ein Geheimniß von ihr, das sie nicht gern laut werden lassen wird, sie muß mich scheuen. So knüpfen sich leise Fäden an, und wir wollen sehen, wohin sie führen.
Zwei Tage später erfuhr ich denn auch, daß meine Vermuthungen nicht ganz ungegründet gewesen waren, und Theophania in dem Wittwenhause lebte, wohin man Agathokles nach seiner Verwundung gebracht hatte. Natürlich hatten sie sich erkannt, und alle alten Verhältnisse waren wieder hergestellt. Ich hätte nicht geglaubt, daß die Bestätigung einer Sache, die ich als längst geschehen[19] oder wenigstens als nächstens geschehend, betrachten mußte, mich so tief reizen könnte. Ich wurde ärgerlich, ich fühlte, daß Theophania, vielleicht ihrer Sonderbarkeit wegen, mir mehr war, als die schöne Calpurnia, und ich entwarf meinen Plan. Er darf sie nicht besitzen – dies zu verhindern soll meine Sorge seyn.
Indessen auch Calpurnia ist schön, ihr Vater Proconsul, und von mächtigem Einfluß, und ich werde vorsichtig genug seyn, um über Theophaniens ungewissen Besitz ein so nahes reizendes Glück nicht zu verscherzen. Ich denke immer, es sollen sich Beide vereinigen lassen. Nächstens hörst du mehr und bedeutenderes von mir. Leb' wohl!
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