97. Tiridates an Constantin.

[38] Amida, im März 305.


Die wichtigen Ereignisse, die sich bei Euch in Nikomedien zubereiten, und die noch wichtigeren Folgen, die daraus entspringen können, haben mich bestimmt, nach Bithynien zu gehen, wo ich in ungefähr acht Tagen einzutreffen hoffe. Die Gunst und die Macht des Cäsar Galerius hat bisher meine Rechte unterstützt und aufrecht erhalten; es kann seyn, daß der künftige Augustus dieselben Gesinnungen beibehält, aber es kann auch seyn, daß Politik oder Laune ihn umstimmen, und so glaube ich, daß es auf jeden Fall gut ist, bei der wichtigen Catastrophe gegenwärtig zu seyn. Dir, mein Constantin, brauche ich die unbestreitbaren Ansprüche eines eingebornen Fürsten auf den Thron seiner Voreltern nicht an's Herz zu legen. Nicht blos deine Gesinnungen gegen mich, auch deine Denkart im Allgemeinen bürgt mir dafür, daß du sie jederzeit ehren und anerkennen wirst; und so kann ich auch, ohne den Vorwurf der Heuchelei zu verdienen, dich versichern, daß ich es für eine sehr günstige Wendung des Schicksals ansehen würde, wenn es dich bei den bevorstehenden Veränderungen an einen Platz stellen möchte, auf dem dein gerechter Sinn, deine Klugheit und Kraft, die Macht des römischen Staates aufrecht erhalten, und die Ruhe der letzten zwanzig Jahre fortsetzen kann.

Meine Calpurnia war sehr vergnügt, als ich ihr meinen Entschluß mittheilte. Die Aussicht, ihren Vater, ihren Bruder, so viel werthe Freunde wieder zu sehen, erfüllte sie mit so reger Munterkeit und Thätigkeit, daß sie selbst unter ihren Augen alle Anstalten zur Abreise[39] treffen ließ. Wir sind in Amida, wie du aus der Ueberschrift des Briefs gesehen hast, und folglich an der Grenze des Reichs. Sobald Calpurnia und mein Sohn, den ich mitbringe, sich in etwas von den Beschwerden einer schnellen Reise erholt haben werden, setzen wir sie ununterbrochen fort, und denken in wenig Tagen dir mündlich zu sagen, wie sehr wir Beide dich lieben und schätzen. Leb' wohl!

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Caroline Pichler: Agathokles. Erstes bis Sechstes Bändchen, Schriften, Band 36, Stuttgart 1828, S. 38-40.
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