Dritter Akt.

[132] Pallast in Theben.

Lajus, Jokaste.


LAJUS.

Ja, nach Delphi will ich reisen, theures Weib, mit Melchior,

Und ich lege dann der Pythia meinen Traum von heute vor:

Krank in einem Schiffe saß ich, durch den Schwung der Welle krank,

Die sich bald erhob zu Bergen, bald in tiefe Thäler sank.

Endlich wollt' ich mich erbrechen, und ich öffne schon den Mund,

Sieh, da flattert eine große Fledermaus mir aus dem Schlund,

Diese setzt sich auf die Brust mir, frißt mir Leber weg und Milz,

Nur anstatt des Herzens fand sie nichts als einen rothen Pilz.

JOKASTE.

Blos Erinnerungen sind es von dem Schicksal jener Nacht,

Als ich unsern Sohn vor zwanzig Jahren einst zur Welt gebracht:

Wollten wir an Träume glauben, welch ein Ende nähme das?

LAJUS.

Mir den Tod von Sohnes Händen kündete Tiresias.

JOKASTE.

Jenen hat ein Leu Cithärons zwanzig Jahre lang verdaut.

LAJUS.

Ach, und wüßtest du, was in der Unterwelt ich dann geschaut,

Als ich todt hinabgestiegen! Schon in Charons Nachen stand

Fast ein ganzes Volk, vernichtet, ohne Herd und Vaterland,[133]

Das gebracht die letzten Opfer, seinem Könige zulieb,

Der's zum Dank dann strich mit Ruthen, ja mit Skorpionen hieb!

Mehr gekrönte Gimpel sah ich, als es Grillen giebt im Gras,

Einen Vatermörder endlich, welcher fromm im Kempis las;

Aber nur mit Einem Auge, denn das andre schielte dreist

Nach verbuhlten Frau'n, es blieb ihm keins für seines Vaters Geist,

Der mit offnen Augen hinter seinem Sessel schnarchend schlief;

Aber ich erwachte schaudernd, während ich um Hülfe rief.

JOKASTE.

Laß die Nachtgespenster, freue dich des Tags!

LAJUS.

Ich eile fort,

Hole mir von Delphi's Dreifuß irgend ein Orakelwort.


Ab.


JOKASTE.

Kann ich doch indeß mit meinen beiden Sängern mich erfreu'n,

Ein'ge Lesefrüchte sammeln, einige Gedichte streu'n!

Ach, da las ich just im Houwald eine Stelle, welche nie

Wieder aus dem Kopfe geht mir, oder aus der Phantasie;

Denn in einem Trauerspiele tritt (die Feinde heißt das Stück)

Eine Fürstin auf um Mitternacht und wünscht den Tag zurück,

Und sie sagt, dieß auszudrücken, wie's nur ein Genie vermag:

Daß ich wäre deine Mutter, um zu wecken dich, o Tag!

Welch ein kühnes Bild, wie würdig eines Wesens auf dem Thron!

Welch ein zarter Wunsch von dieser königlichen Weibsperson!

Jene wäre gern des Tages Mutter, fragte mich genau

Was ich gerne wäre, Houwald, würd' ich sagen: Deine Frau!


Ab.

[134] Pallast in Corinth.


ZELINDE allein.

Wie oft entstieg bereits der Badewanne

Des Meers Apoll und tauchte neu sich nieder,

Und immer lebt Diagoras im Banne,

Wiewohl ich wünschte fast, er kehrte wieder,

Damit ich zeigte meinem bösen Manne,

Welch einen Busen mir bedeckt das Mieder,

Getreu und fleckenlos nach achtzig Lenzen,

Und immer voll moralischer Sentenzen!


Ein keckes Wagstück komme mir zu Statten,

Und offenbare meiner Tugend Zauber,

Da jener Buhler, der sie stellt in Schatten,

Mich täglich spröder fand und täglich tauber:

Bald siehst du jeglichen Verdacht ermatten,

O Polybus, und siehst mich rein und sauber,

Wie wenig auch für deine Frau du glühest,

Und blos um's Bergbauwesen dich bemühest!


Zelinde. Oedipus.


OEDIPUS.

Dich um was zu fragen, Mutter, kam ich; doch es fällt mir schwer.

ZELINDE.

Immer läufst du doch mit deinen Freunden in der Stadt umher!

Bei Bankett und Tanz und Ballspiel, Stiergefecht, Turnier und Streit

Bist du Tag und Nacht beschäftigt, und verlierst die schöne Zeit.

OEDIPUS.

Um die Zeit, o liebe Mutter, ist es ein besondres Gut,

Der verliert sie nie, der immer, was gebeut die Stunde, thut:

Blos die lange Weile nenn' ich Zeitverlust, und diese kaum,[135]

Denn sie lehrt, wie lang das Leben, das uns dünkt ein kurzer Traum.

ZELINDE.

Was begehrst du?

OEDIPUS.

Bei dem Ringspiel gab es Widerspruch und Zank,

Und es schalt mich Einer Bastard, der vor mir zu Boden sank:

Dieses Wort hat augenblicklich meinen ganzen Muth gebeugt,

Und ich bitte, mir zu sagen, ob ich ehlich bin erzeugt?

ZELINDE.

Welche Frage! Welche Sitten! Fällt man mit der Thür in's Haus?

OEDIPUS.

Bin ich, oder bin ich nicht es?

ZELINDE.

Fragt man denn so rund heraus?

OEDIPUS.

Wie ein Pfeil nach seinem Ziele fliegt des braven Mannes Wort.

ZELINDE.

Wenn du so verfährst, so scheuchst du nächstens alle Menschen fort.


Ab.


OEDIPUS.

Will es Diese nicht entdecken, frag' ich bei'm Orakel an,

Denn die Wahrheit hat von jeher blos den Schurken wehgethan.


Ab.

Platz vor dem Tempel in Delphi.


DIE PYTHIA allein.

Dem Gotte klag' ich, der mich hält gebunden

An diesen Dreifuß, meine Leiden alle,

Und zeig' ihm alle meine Seelenwunden:

Zwar ist sie herrlich, diese Tempelhalle,

Die Säulen schlank, das Thor in Erz gegossen,

Und auf dem Dache selbst erglühn Metalle;

Doch hab' ich Glück und Freude hier genossen?

Hat je gedankt mir ein beredter Frager,[136]

Dem ich der Zukunft Himmel aufgeschlossen?

Da grau vor Alter ich und bleich und hager,

Wie könnt' ich kosten je das Blut der Rebe?

Wie könnt' ich ruhn auf einem weichen Lager?

Die Rosen bilden überall Gewebe,

Und Liebe schläft an jedes Baches Borden,

Ich aber kenne nur den Gott und bebe!

Da silberweiß mir jedes Haar geworden,

Was frommt's, wenn mein Orakelspruch erklinget

Unwiderstehlich wie ein Sturm im Norden?

Mit keiner Blumenkette mehr umschlinget

Die Erde mich, und mancher Thor verlachte

Mich als Betrüg'rin, welche Mährchen singet:

O schnöder Pöbel, den ich ganz verachte,

Der gern mir möchte jedes Wort verpönen,

Als ob er könnte denken, was ich dachte!

Er läßt ein bloßes Rabenlied ertönen;

Doch wenn ich öffne meine blassen Lippen,

So ist's, als öffne sich der Quell des Schönen!

Den Schiffer warn' ich vor des Lebens Klippen,

Doch läßt er sich vom Wellentanz ergötzen,

Bis er zu Grunde geht an Felsenrippen.

Was sing' ich Wahrheit diesem Volk von Klötzen,

Das kaum ertragen kann ein Bischen Lüge,

Denn selbst die Götter sind ihm nichts als Götzen!

Ich winde Kränze blos um Aschenkrüge.


Ab in den Tempel.

Oedipus, späterhin Lajus und Melchior.


OEDIPUS.

Heil'ge Stätte, wo zu schwachem, sterblich eingeschränktem Sinn

Unerschaffne Wesen reden durch den Mund der Priesterin!

Dich begrüß' ich, deiner Schatten, deiner Lorbeerbüsche Nacht,

Deine Gipfel, deine Quellen, deines Tempels alte Pracht![137]

Lehre mich mein eignes Wesen kennen, lehre mich verstehn,

Wer ich bin, woher ich komme, und wohin ich werde gehn!


Ab in den Tempel.

Lajus. Melchior.


LAJUS.

Ueberall zu wenig Ehrfurcht zeigt man mir und Devotion.

MELCHIOR.

Welchem Steiße läßt sich ansehn, daß er saß auf einem Thron?

Wenn die Leute wissen könnten, daß du, Herr, der König bist,

Würden mehr Respekt sie zeigen, als bisher geschehen ist.

OEDIPUS zurückkehrend.

Kurz und dunkel war das Wort der Pythia, das ich kaum verstand:

Meide stets, so sprach sie, meide, meide stets dein Vaterland!

Nun, so will ich nach Böotien, wenn man mich Corinths beraubt:

Nach Corinth zu gehn, nicht Jedem, sagt das Sprüchwort, ist's erlaubt.

LAJUS.

Aus dem Wege mir.

OEDIPUS.

Warum denn?

LAJUS.

Aus dem Wege, Vagabund!

Oder mit dem Zepter schlag' ich dir die Nasenspitze wund.

OEDIPUS.

Was verlangst du?

LAJUS.

Mehr Respekt, Mensch!

OEDIPUS.

Mehr Respekt vor deinem Bart

Allenfalls, doch keineswegs Respekt vor deiner Lebensart!

LAJUS.

Aus dem Wege, Wurm! Ich schlage dir die Kniee sonst entzwei![138]

OEDIPUS.

Ich zerbreche dir den Schädel, wie ein hartgesottnes Ei!


Er erschlägt ihn und entflieht.


MELCHIOR.

Wehe, weh mir! Wie nach Theben bring' ich nun ein solches Wort?

Ahnung also war es, was ich gestern Abend hörte dort?

Denn Jokastens Harfe krachte, mächtig erst und dann gelind;

Doch ich dachte blos, es wäre neben ihr der Dichter Kind!


Ab mit dem Leichnam.

Pallast in Theben. Jokaste mit ihren Hofdichtern, Kind und Kindeskind.


JOKASTE.

Was giebt's im literär'schen Fach für Neuigkeiten, Freunde, jetzt?

KINDESKIND.

Ein Epigramm auf unsern Kind.

JOKASTE.

Auf unsern Kind? In Schrecken setzt

Mich solch ein Wort! Wer wagt zu schmähn den besten Sänger dieser Flur?

KIND.

Auch sagt das Sinngedichtchen nichts, als daß ich klein sei von Statur,

Und fordert mich zum Wachsen auf! Das nenn' ich einen leichten Witz!

KINDESKIND.

Auch schreibt das Ganze noch sich her von unserm Dresdner Musensitz,

Und einem Anekdötchen, das man vorgesucht aus altem Kram.

KIND.

Als nämlich einst Napoleon auf seiner Flucht durch Dresden kam

Von Moskwa, ließ er bitten mich, damit er fördre seinen Zug,[139]

Die Siebenmeilenstiefel ihm zu borgen, die das Däumchen trug.

JOKASTE.

Das ist für Sie nur ehrenvoll, und jener Spötter war zu dreist.

KIND.

Und wenn ich kurz bin von Statur, so bin ich doch ein langer Geist!

JOKASTE.

Das ist gewiß, und Jeder fühlt's, der Ihre Poesien vernimmt.

KINDESKIND.

Sie sind ein wasserreicher Strom, den Keiner bis an's Ende schwimmt!

JOKASTE.

Verachten wir die Spötterei'n, und bilden, wie wir täglich thun,

Den akadem'schen Minnehof, und stellen eine Frage nun,

Von euch erörtert und glossirt.

KINDESKIND.

Das Thema geb' uns deine Gunst,

Wir schmücken dann es reichlich aus mit jedem holden Schmuck der Kunst.

JOKASTE.

So stell' ich euch die Frage denn, ob ein verliebter Dichter mehr,

Ob mehr ein unverliebter gilt bei'm literarischen Verkehr?

KIND.

Mich dünkt, daß ein verliebter mehr vermag.

KINDESKIND.

Ein unverliebter, mich.

JOKASTE.

Ein Thema, das man oft glossirt, ich geb' es euch geflissentlich:


Süße Liehe denkt in Tönen,

Denn Gedanken stehn zu ferne,

Nur in Tönen mag sie gerne

Alles, was sie will, verschönen.

KIND.

Soll das Herz sich ganz ergießen,

Strömen lassen alle Triebe,

Muß es voll sein und genießen;

Aber was, so möcht' ich schließen,

Macht das Herz so voll wie Liebe?
[140]

Tausend Harmonien entkeimen

Unserm Busen im Geheimen

Durch die Gegenwart des Schönen:

Liebe spricht von selbst in Reimen,

Süße Liehe denkt in Tönen.

KINDESKIND.

Liebe nimmt den Sinn gefangen,

Schafft Verdruß und wirkt Verblendung:

Wer im Busen hegt Verlangen,

Trachtet nur nach schönen Wangen,

Aber nicht nach Kunstvollendung.

Wem das Herz, von Liebeszwickeln

Eingepreßt, Begierden prickeln,

Dem erlischt des Geists Laterne;

Seufzer wird er blos entwickeln,

Denn Gedanken stehn zu ferne!

KIND.

Nein! Die Liebe wird gerade

Jeden Gegenstand verklären,

Wird den Pfad der Huld und Gnade

Wandeln, und auf diesem Pfade

Göttlichen Gesang gebären!

Kriechen mag sie nicht am Boden,

Nicht in steifen Perioden

Mag sie fliegen an die Sterne,

Nur in Liedern, nur in Oden,

Nur in Tönen mag sie gerne!

KINDESKIND.

Sei's der Liebe zugegeben,

Daß sie hoch den Liebsten feiert;

Doch an ihm nur wird sie kleben,

Wird vergessen Welt und Leben,

Während sie von Liebe leiert:

Nein! Die freie Seele rette

Sich von jeder Sinnenkette,

Himmlisch wird sie dann ertönen,[141]

Wird mit Engeln um die Wette

Alles, was sie will, verschönen!


Die Vorigen, Tiresias.


TIRESIAS.

O Königin! Welch Misgeschick brach über unsre Stadt herein!

Wie bin ich froh, zu finden dich im Kreise deiner Sängerlein!

Sie mögen retten uns!

JOKASTE.

Was giebt's?

KIND.

Mit Waffen bin ich nicht vertraut.

TIRESIAS.

Nicht Waffen gilt's, nur einen Vers, der gut und richtig ist gebaut.

Es hat erzürnt Apollo sich von uns Thebanern abgekehrt,

Weil wir den Götzen Kotzebue statt seiner hier im Land verehrt;

Drum hat er uns die Sphinx geschickt, so nennt sie sich, und ist ein Weib

Mit großen Flügeln an der Brust, und einem langen Drachenleib.

Sie sagt, sie wäre Mauthnerin, und sitzt auf einem Fels am Weg,

Wo Jedermann vorüber muß, weil nahe dran ein schmaler Steg;

Und keck behauptet diese Sphinx, es hätte sie gesandt Apoll,

Ein fehlerloses Distichon zu heischen hier als Straßenzoll.

Wer nun ein fehlerhaftes bringt, den stürzt sie gleich hinab die Kluft,

Und diese ward dem größten Theil der Stadt bereits zur Todtengruft;

Doch wird ein wahres Distichon ihr dargebracht, so will sogleich

Sie selbst sich stürzen in den Schlund, und Friede kehrt in dieses Reich.[142]

JOKASTE.

Was giebt es Leichtres wohl als das? Ich schicke hier die beiden Kind.

KIND.

Jedoch bedenke, Königin, daß auch die Sänger Menschen sind,

Und Irren menschlich ist! So hat ein Recensent mich jüngst geputzt,

Blos weil ich Holzklotzpflock einmal als einen Daktylus benutzt.

JOKASTE.

Dergleichen kommt ja täglich vor, seit man in Theben Verse leimt,

So las ich einen Dichter jüngst, der Löwe gar auf Schläfe reimt!

KINDESKIND.

Und freu'n auf Wein! Wir sind noch nicht die Letzten, laß uns, Bruder, gehn,

Und sinnend auf ein Distichon den Kampf mit dieser Sphinx bestehn!


Beide ab.

Die Vorigen, Melchior.


MELCHIOR.

O Königin! Wie künd' ich dir die Schreckenspost?

JOKASTE.

Welch neu Geschick?

MELCHIOR.

Erschlagen ward dein Ehgemahl von einem jungen Galgenstrick!

JOKASTE.

Wenn schon von hier und dort zugleich die Welle schlägt in's lecke Both,

Dann zeigt sich Geistesgegenwart am höchsten bei der höchsten Noth!

Zwar bin ich nur ein schwaches Weib; doch fühl' ich mich gefaßt im Schmerz,

Und weiß zu sorgen für das Volk, zu sorgen für das eigne Herz!

Durch einen Herold lasse man trompeten durch das ganze Land:

Derjen'ge, der die Sphinx erlegt, erhält Jokastens Kron' und Hand![143]

So wird vom Zolle frei die Stadt, und da gestorben ihr Tyrann,

Verschaff' ich einen neuen ihr, und mir verschaff' ich einen Mann;

Und wenn mich auch, wie früher ich geschwärmt, der Ehe süßes Joch

Mit meinem Houwald nicht vereint, bekomm' ich einen Dichter doch!


Ab.

Felsiger Weg mit einem Zollhäuschen.


DIE SPHINX allein.

Ein traurig Loos bestimmten mir die Mören:

Ich muß verbannt, auf diesem öden Berge,

So lang ich lebe, schlechte Verse hören,

Und dieß Geschlecht bestrafen dann als Scherge;

Und zeigt sich Einer, der mit Musenchören

Vertrauter ist, als diese Dichterzwerge,

So muß ich selbst in Charons Nachen steigen,

Anstatt dem süßen Klang das Ohr zu neigen.


Man nennt mich herb und allzuhart und spröde,

Doch geht's mit mir wie mit den andern Dingen:

Wer leicht und frech mit mir verfährt und schnöde,

Dem wird der Sieg zu keiner Zeit gelingen!

Mich quälen täglich Sänger und Tragöde,

Doch Keiner konnte mich bis jetzt bezwingen:

Unüberwindlich ward ich schon gescholten

Von Einem, welcher mir so viel gegolten!


Ihr Millionen oder Milliarden,

Die ihr genippt aus Hippokrene's Lache,

Versorgend jährlich mit so viel Bastarden

Die Findelhäuser aller Almanache:

Ich bin die Sphinx, die Zöllnerin der Barden,

Indem ich zinsbar eure Verse mache;[144]

Zwar Verse dünken euch bequeme Zölle,

Doch sind sie schlecht, so schick' ich euch zur Hölle!


Eine Menge Dichter, worunter auch Kind und Kindeskind, gehn vorüber. Jeder hält eine Schreibtafel in der Hand, worauf ein Distichon geschrieben steht. Die Sphinx liest die Disticha, und wirft die Verfasser nach allen Seiten in den Abgrund. Zuletzt erscheint Oedipus.


OEDIPUS.

Bist du das Ungethüm, von dem sie sagen,

Du littest keine Verse, welche hinken,

Und ließest Alle, die dergleichen wagen,

Den bittern Tod in diesem Schlunde trinken,

Und stündest ab, das arme Land zu plagen,

Wenn unter allen diesen lauten Finken

Nur Eine Nachtigall zu finden wäre,

Die ohne Fehl ein Distichon gebäre?

DIE SPHINX.

Daß Jeder das, was er betreibt, verstehe,

Wag' ich zu fodern und aus guten Gründen:

Zwar scheint ein schlechter Vers ein kleines Wehe,

Und doch erzeugt er eine Menge Sünden;

Denn allzuleicht nur wird in wilder Ehe

Sich eine schlechte That mit ihm verbünden:

Wer durch sich selbst kann keinen Kranz erreichen,

Der muß denselben ränkevoll erschleichen.

OEDIPUS.

Du scheinst die Fodrung nicht zu hoch zu stellen;

Doch wundert kaum es mich, erhabnes Wesen,

Daß unter allen jenen Junggesellen

Für keinen Deut Geschicklichkeit gewesen:

Tragödien hab' ich oft von hundert Ellen,

Doch nie ein richtig Distichon gelesen.

Hier siehst du eins auf dieses Blatt geschrieben,

So nimm es hin und lies es nach Belieben!

DISTICHON in Transparent erscheinend.

Möge die Welt durchschweifen der herrliche Dulder Odysseus,[145]

Kehrt er zurück, weh' euch, wehe dem Freiergeschlecht!


Nachdem es die Sphinx gelesen, stürzt sie sich in's Orchester hinunter und Oedipus verläßt den Schauplatz.


DIE SPHINX an die Zuschauer.

So sprang ich denn zu euch herab, und kam so ziemlich gut davon;

Doch wag' ich nicht euch anzuflehn, zu zollen mir ein Distichon!

Auch bitt' ich, habt Geduld mit mir! An Lebensart und an Costüm

Gebricht es meiner Wenigkeit, ich bin ein heidnisch Ungethüm.

Ich weiß, daß hier verboten ist, ein bischen derb zu sein und frei,

Denn überall, wo Menschen sind, versteckt ihr eure Polizei!

Ihr möchtet von der Henne Milch, ein Ei gewinnen von der Kuh,

Und zwingt den Fuß des Herkules in euren schmalen Kinderschuh:

So that man nicht in Griechenland, woher ich komme! Jede Kraft

Fand ihren Spielraum, keine gab dem Unvermögen Rechenschaft!

Gewähren ließ man, was Natur aus diesem Mann gemacht und dem,

Und ehrte jeden großen Trieb in diesem großen Weltsystem:

Im Aeschylus den hohen Trotz, den Duldersinn im Sokrates,

Die Weichlichkeit Anakreons, den Witz des Aristophanes;

Da nahm der Tänzer seinen Kranz, der Fechter seiner Fäuste Preis,

Dem Schönen ward ein schöner Freund, dem Weisen ward ein Schülerkreis:[146]

Da wuchsen ächte Männer auf, und Frauen groß, wie Sappho war,

Holdselig wie Aspasia, wie Diotima wunderbar!

Drum könnte lernen mancherlei, so scheint's, von ihnen mancher Christ,

Die Tugend unter andern auch, die nicht der Güter letztes ist!

Doch weil ihr besser seid, so ruft die Besten unter euch empor:

Wohlan! Es zeige sich Lykurg! Epaminondas trete vor!

Ihr schweigt? Je nun, zum Lobe dient es euch, von Gott so reich begabt,

Daß ihr in eurem frommen Klubb nicht einen einz'gen Heiden habt!

Euch Schande bringen könnte blos, ja selbst dem Staate blos Ruin

Ein einziger Timoleon an einem Orte wie Berlin!

Denn wißt, ich hege für Berlin im Herzen einen kleinen Groll:

Viel edle Männer walten dort; doch ist der große Haufe toll,

Dort, wo bewundert ward Fouqué und wer in dessen Stapfen trat,

Wo man den Raupel jetzt verehrt und sein Tragödienfabrikat

(Deswegen, heißt es, soll er auch, wie ein Genie die Backen blähn;

Doch will er Philomele sein, so muß er flöten, statt zu krähn:

Es ist der Ruhm an manchem Ort ein gar zu leicht erworbner Schatz,

Wo Alles nach den Sphären lauscht, wenn auf dem Schlote singt ein Spatz!)

O stünde doch im Lande Teuts ein Solon auf, und sagte dreist:

Nie schreibe mehr ein Trauerspiel, wer ganz versimpelt ist an Geist![147]

Und da's so viel Calvine giebt, durch ihre Strenge wohlbekannt,

So werde wöchentlich ein Stoß Tragödien öffentlich verbrannt:

Die Flamme schlage hoch empor, und mächtig lodernd schwängre sie

Tholucks gelehrte Stubenluft mit einem Hauch von Poesie,

Verwandle vor dem trüben Blick des ganz ascetischen Cumpans

Die ew'gen Fröste von Berlin in einen Frühling Kanaans!

Doch merk' ich, daß umsonst ich nur, der Poetasterei zu Trutz,

Die Rechtsgelehrten angeregt, die Geistlichen gefleht um Schutz:

Euch Aerzte ruf' ich endlich auf, da sonst mir keine Hülfe bleibt,

Euch Aerzte, die ihr manchem Mann manch nützliches Recept verschreibt,

Verbietet doch Romantikern Papier und Federkiel und Stift,

Und ordinirt, wenn nichts verschlägt, ein kleines Gränchen Rattengift!

Sonst wird noch eure Poesie so frei, so burschikos und flott,

Bis endlich ganz Europa ruft: Ihr Deutschen seid ein Kinderspott!

Quelle:
August von Platen: Die verhängnisvolle Gabel / Der romantische Ödipus. Stuttgart 1979, S. 132-148.
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