Fünfter Akt.

[91] Saal im Gasthof zur Gabel.


DER WIRTH allein.

Verdächtig kommt mir diese fremde Lady vor,

Die nie den Schleier lüftet und so wenig spricht.

Reich mag sie seyn, nach Allem, was der Diener sagt,

Steinreich; doch eine Fledermaus an Häßlichkeit,

Wenn nicht was Fürchterlich'res noch dahintersteckt,

Man hat Exempel in der Zeit, daß Affen selbst

Auf Reisen gingen, Urangutangs ihren Geist

Ausbildeten und hie und da schriftstellerten.

Doch bergen Solche mit Bedacht ihr Angesicht,

Und bleiben stets, wie Recensenten, anonym.

Vielleicht auch ist die Lady die berüchtigte

Prinzessin mit dem Schweinerüssel, welche sich

Vormals in Deutschland sehen ließ, wiewohl man glaubt,

Daß eine blos symbolische Person sie war,

Des deutschen Nationalgeschmacks Versinnlichung;

Denn blos Gemeines nutzt sich ab in der Hand des Volks,

Wie würde gang und gäbe das Erhabene?

Auch fällt noch eine dritte Möglichkeit mir ein:

Vielleicht, daß einst der guten Lady Mutter sich

An Herrn von X versehen hat, und hinter drein

Ein Demagogenriechernashornsangesicht

Zur Welt gebracht, ein immerwährend schnüffelndes.


Wirth. Schmuhl.


SCHMUHL.

Hat man der Lady Thee servirt?

WIRTH.

Drei Kannen voll;

Reicht's hin?

SCHMUHL.

Es reicht. Doch zündet jetzt die Lichter an.[92]

WIRTH.

Sogleich!


Ab.


SCHMUHL.

Da steht der verwünschte Schatzbehälter noch,

Zwar uneröffnet, aber schwer wie Blei. Ich ließ

Hier in den Vorsaal setzen ihn geflissentlich:

Vielleicht gelingt mir's heute Nacht im Mondenschein

Ihn fortzuschaffen, während unsre Lady schnarcht,

WIRTH zurückkommend.

Die Dame sitzt ja stets im Schleier. Ist sie schön?

SCHMUHL.

Nicht eben blendend.

WIRTH.

Aber doch auffallend?

SCHMUHL.

Ja,

So ziemlich.

WIRTH.

Das vermuth' ich. Wird sie reich geschätzt?

SCHMUHL.

Was meint ihr, daß dem Postillon Trinkgeld sie gab?

WIRTH.

Je nun, vielleicht dasselbige was Geliert einst,

Um das Rhinoceros zu sehen, eingesteckt?

SCHMUHL.

Ein Stück Papier als unbegränzten Wechselbrief,

Zahlbar für Jeden, und einige Besitzungen

Im Norden Grönlands.

WIRTH.

Himmlische Verschwenderin!

Den Göttern dank' ich, daß sie dich ins Haus geführt!

SCHMUHL.

Vielleicht, wenn etwa morgen ihr die Zeche macht,

Gibt sie zum Angedenken euch Australien.

WIRTH.

Wie konnte sie so Vieles denn erübrigen,

Wofern sie nicht aus fürstlichem Geblüte stammt?

SCHMUHL.

Das fragt bei Rothschilds, oder sonst in Israel.

Ich lege nachgerade mich zu Bette jetzt.


Ab.


WIRTH.

Schlaft wohl! – das nenn' ich einmal eine Reisende![93]

Wenn aber diese Lady nicht ein Töchterchen

Von einem Dalai Lama, ja, Großmogul, ist,

So will ich nicht der Speisewirth zur Gabel seyn!

Sie ist vielleicht dieselbe Tibetanerin,

Von welcher neulich mitgetheilt ein Reisender,

Daß sie die künft'ge Heldin eines Trauerspiels

Des Dichters wäre, der die Schuld geschneidert hat,

Die Geschichte war höchst tragisch, ungefähr wie folgt:

Ein frommer Taschenspieler ging als Missionär

Nach Asien und verliebte sich mit Leidenschaft

In eine junge, tibetanische Person,

Hübsch, reich, ein wahres Muster von Vollkommenheit.

Doch um sie zu besitzen, soll der Bräutigam

Den Glauben wechseln, eine Sache, die vorerst

Ihm nur geringe Skrupel macht. Er dachte so:

Da doch auf keine Weise sich das Christenthum

Anheischig macht, in dieser Welt die Herzen schon

Zu beglücken, durch harmonische Befriedigung in

Des ganzen Menschen, wie es das Heidenthum gethan,

Da es höchst naiv jenseitiges Glück allein verspricht,

So reicht's ja hin, in der andern Welt ein Christ zu seyn

In dieser blos ein Glücklicher, was Jeder wünscht.

So dachte dieser Philosoph und Proselyt.

Nun aber kam das Schwerste, was er nicht bestand:

Er soll, um zu bewähren sich als Gläubiger,

Verzehren eine Speise, die, bereits verdaut,

Im Darm des Dalai Lama schon gewesen war.

Er stutzt, er kommt auf keine Weise zum Entschluß:

Umsonst beschwört der Priester ihn, der Lama selbst,

Die Geliebte läßt ihn ihre Reize hoffend schau'n,

Und bringt auf goldnem Teller ihm die Süßigkeit.

Vergebens! Stets noch zaudert er, und kehrt sich ab,

Und Eckel frißt der Seele tiefstes Mark ihm auf.

(Wie wird der große Dichter diesen großen Kampf

Uns conterfei'n, den ärgsten, den ein Mensch gekämpft,

In einem wahren Meisterstück von Monolog!)[94]

Beleidigt tritt die Tibetanerin zuletzt

Von ihm zurück, um einem Eingeborenen

Die Hand zu reichen. Dieser führt sie zum Altar.

Der Missionär verzweifelt, krampfhaft windet sich

Sein Innerstes, von eifersüchtiger Qual bewegt.

Und horch! Auf einmal jubelt es im Tempel auf:

Halt! Halt! Er hat gegessen das Geheiligte,

Er ist der Sieger seiner selbst, bekrönet ihn!

Doch ach, zu spät! die Beiden waren schon vermählt.

Welch eine Lage! Wehe! Welch ein tragisches

Geschick für unsern Helden! Mit den Zähnen knirscht

Er laut, und schlägt die Stirne sich, und flucht sich selbst,

Umsonst vollbracht' ich, heulet er, das Gräßliche!

O wehe, wehe, wehe, wenn die Pole sich

Berühren, und des einen Pols Produkte durch

Den andern Pol verschlungen werden, wehe dann!

Er spricht's, und nun, in jenen widersinnigen,

Hiatusreichen Halbtrochä'n, die Jeder kennt,

Wo bald ein Reim sich findet, bald auch wieder nicht,

Bricht unser Missionarius den Geist heraus,

Versteht sich, blos den Müllnerischen, doch vermischt

Mit eines Lama's heiligem Ingrediens.


Wirth, Damon.


DAMON.

Seyd ihr der Wirth zur Gabel?

WIRTH.

Ja, zu dienen, Herr!

DAMON.

Kann ich ein Obdach finden hier, für diese Nacht?

WIRTH.

Die Stuben zwar sind schon besetzt; doch wollt ihr hier

Im Saale bleiben, schaff' ich eine Streu herein!

DAMON.

Ich ziehe vor, zu schlafen auf dem Kanapee.

WIRTH.

Wie's euch beliebt. Doch bitt' ich, schnarcht mir nicht zu laut![95]

Hierneben schläft die reichste Lady von der Welt.

Seht hier die Kiste, welche voll von Louisd'ors,

Doch ist das nichts, verglichen mit dem Uebrigen!

Zwar ganz geheuer ist sie nicht, den Schleier legt

Sie nie von sich, und ihre Mutter hat vielleicht

Sich in Berlin, wie's häufig dort geschieht, versehn.

Doch geht man leicht darüber weg, ein Billionär

Darf bis auf einen gewissen Grad unleidlich seyn.

Doch seyd ihr müde, wie mir scheint, gehabt euch wohl,

Und macht euch hier, so gut ihr könnt, im Saal zurecht;

Bis morgen räumt die Lady dort das Kabinet.


Ab.


DAMON.

Hier wär' ich nun wohl vom Galgen befreit; doch hungrig und ärmer als Hiob!

Wie werd' ich die Nacht, und den kommenden Tag, und die kommenden Tage verbringen?

Nichts könnt' ich mit mir fortnehmen, ja nicht einmal die gelehrten Excerpten,

Die in Deutschland kein Buchhändler verschmäht und verabsäumt hätte, das weiß ich:

Was recht schwerfällig und ledern erscheint, das halten die Deutschen für gründlich,

Denn diese Nation saalbadert so gern, saalbadert herab von der Kanzel,

Saalbadert zu Haus, saalbadert sodann vor Gericht, saalbadert im Schauspiel;

Drum sind auch blos Saalbader in Gunst bei ihr, Saalbader in Achtung;

Drum liest sie nur dich, statt Goethe und statt Jean Paul, saalbadernder Clauren,

Und blättert, anstatt in der Bibel, in euch, saalbadernde Stunden der Andacht!

Ach, während der Wirth mir erzählte, befiel mich im Herzen die stärkste Versuchung:

O hätt' ich doch nur die geringste Partie vom Riesenvermögen der Lady![96]

Sie könnte mir wohl abtreten ein Theil, nur ein Röllchen Dukaten als Zehrgeld:

Es erfordert ja doch ein gerechtes Gesetz gleichmäßige Gütervertheilung!

O könnt' ich doch nur aufsprengen dahier die gewaltige Kiste von Eisen!

Aber das ist ganz unmöglich, scheint's, da zu stark und fest sie verwahrt ist.

Mag seyn, daß drinnen im Schlafkabinet zur Seite der Lady die Börse

Auf dem Nachttisch liegt, die könnt' ich ja wohl, ganz ohne Gefährde, stipitzen.

Doch würde mir wach die Britannierin? Dann müßt' ich verstopfen den Mund ihr.

Wie verhängnißvoll, daß gerad' ich noch mithabe die Gabel des Mopsus!

Nur ein Stich, so spaziert noch heute mir durch elysäische Felder die Lady:

Glückseliges Loos! Auch sagte der Wirth, sie wäre vermuthlich ein Scheusal.

Hat Herkules nicht von solchem Gethüm die gesäuberten Länder befreit einst?

Und thu' ich es auch, kann seyn, daß sie mir auch Tempel errichten und Statuen.

Nun will ich hinein, doch horch! mir scheint, daß eben die Lady heraus will.


Damon, Mopsus.


MOPSUS.

Was fliehst du mich, Schlaf? Ihr Ahnungen, ach! was legt ihr euch über die Brust mir,

Wie ein Alp, der fest sich die Klau'n einklemmt in den athmenden Busen des Mägdleins?

DAMON.

Das wundert mich sehr, daß sie Mägdlein ist annoch; doch sagt sie es selbst ja.

MOPSUS.

O mußte denn auch der Gasthof just zur goldenen Gabel getauft seyn![97]

DAMON.

Was flüstert sie da von der Gabel, sie hat mich am Ende belauscht, die Verschmitzte.

MOPSUS.

Abscheulicher Traum, wie quältest du mich! Ich sah den lebendigen Satan;

Zwar Anfangs wand' er den Rücken mir zu; doch plötzlich steckte den Kopf er

Sich zwischen die Beine hindurch und besah mich in dieser entsetzlichen Stellung,

Mit funkelndem Blick, und loderndem Bart, und feurigen Zähnen im Rachen.

DAMON.

Wenn sie lange so fort vom Teufel erzählt, gleich fällt in die Hose das Herz mir.

MOPSUS.

Dann sah ich den Tod mit der Sense vor mir, und er mähte mich unter die Bettstatt.

DAMON.

Jetzt siehst du den Tod mit der Gabel vor dir, gib drein dich, oder du stirbst doch!

MOPSUS.

Wie wird mir, o Gott! Ist's Damon nicht? Ist's nicht mein Richter und Schultheiß?

Mit der Gabel, o weh! Jetzt bin ich dahin, jetzt hat mir geschlagen das Stündlein!

DAMON.

Was lispelt sie da?

MOPSUS.

Stich zu! Stich zu! Gern ruf' ich

dem Leben Ade zu!

DAMON.

Wie entschlossen! Das ist kein weibisches Weib, die ist, wie Johanne, die Päpstin.

MOPSUS.

Stich zu! Stich zu!

DAMON.

Ich getraue mich nicht, stich selbst,

hier hast du die Gabel!

MOPSUS.

Ja, ich sterbe, ja, mich Arme drückt die Schuld und kneipt die Sünde,

Meine Kinder stach ich selbst ab, wie die Gräfin Orlamünde:

Diese läßt als weiße Frau nun ihre Schlüsselbündel kollern,[98]

Wenn ein Fleck sich soll verdunkeln an der Sonne Hohenzollern!

DAMON.

Sagt' ich's nicht? Man wird poetisch auf des Lebens letzten Stadien.

MOPSUS.

Sieh mich sterben; aber wisse, daß ich Mopsus aus Arkadien!


Er ersticht sich.


DAMON.

Ist es möglich? Ja, die Stimme fiel mir auf, ich ruf' um Rettung:

Hülfe, Hülfe her!

MOPSUS.

Vergebens! Dieß ist des Geschicks Verkettung,

Nichts errettet mich.

DAMON.

Mir ist es blos zu thun um dein Vermächtniß,

Schenke mir vor ein'gen Zeugen deine Gelder zum Gedächtniß!

Hülfe! Hülfe!


Die Vorigen, Schmuhl, der Wirth, Dienerschaft.


SCHMUHL.

Nun, was gibt es?

DAMON.

Mopsus hat sich selbst erstochen.

SCHMUHL.

Du hier, Damon?

DAMON.

Schmuhl, und du hier?

WIRTH.

Kommt die Hoheit in die Wochen?

DAMON.

Nein, sie stirbt, doch mir vermacht sie diese mächtige Schatulle.

WIRTH.

Solch ein Testament ist wirklich eine wahre goldne Bulle.

SCHMUHL.

Mir gehört die Kiste, Mopsus!

DAMON.

Daß der Böse dich verderbe!

Mir gehört sie.

MOPSUS.

Theilt euch beide brüderlich darein, ich sterbe.


Er stirbt.
[99]

SCHMUHL.

Her die Kiste!

DAMON.

Her die Kiste!

WIRTH.

Was rumort denn drin im Kasten?

Horch, es kracht, es springt der Deckel, wie emporgesprengte Lasten!


Der Deckel springt auf, Salome erscheint in einer Glorie.


DAMON.

Was? Ein Geist, anstatt des Geldes? Schafft mir solche Schätze weiter!

SCHMUHL.

Das ist Salome, doch jetzo scheint sie ganz verklärt und heiter.

SALOME.

Ja, gekommen ist die Stunde, diese Brut ist ausgerottet,

Und ihr seht den Geist erlöset, welcher nun der Bande spottet,

Welcher, da dieß fratzenhafte, mördrische Geschlecht bezwungen,

Seinen Fittich stolz erhebet von der Erde Niederungen.

Folget seinem Flug und lasset unter euch der Sorgen jede,

Und mit Adlerklau'n zum Himmel trägt er euch als Ganymede!

Wo die Schönheit mit verschämtem Lächeln senkt den Blick, den süßen,

Und von stäter Jugend träumet zu des ew'gen Vaters Füßen;

Wo ein holder Wonnetaumel spielt in alle Seelentriebe,

Holder als ein menschlich Auge, wenn es blickt den Blick der Liebe!

Dort, wo Friede wohnet, mögt ihr seligen Gesängen lauschen;

Aber lebet wohl, es fangen meine Flügel an zu rauschen!


Sie verschwindet.


DAMON.

Hast du vom Galimathias dieses Geists ein Wort verstanden?

SCHMUHL.

Wenig gilt ein Wort im Leben, wäre nur das Geld vorhanden![100]

DAMON.

Dürfen Geister denn betrügen? Welch ein schändliches Verfahren!

SCHMUHL.

Freilich, doch die Menschen ködert man so selten mit dem Wahren;

Darum lenkt als Arzt der Dichter noch am ersten ihren Willen,

Denn in Süßes eingewickelt reicht er die verhaßten Pillen.

DAMON.

Wenigstens zufrieden bin ich, daß ich vom Verdacht gereinigt,

Und kein Sirmio mit einem peinlichen Prozeß mich peinigt;

Alle ruf' ich hier zu Zeugen wider eine solche Fabel!

Aber im Archiv bewahren werd' ich diese Wundergabel.

Jetzo geh' ich nach Arkadien, wo ich meine Schweine mäste,

Unterdessen Gott befohlen!


Ab mit den Uebrigen, die den Leichnam wegtragen.


SCHMUHL.

Nun beginnt, ihr Anapäste!


Er tritt vor.


Sein Abschiedswort thut euch durch mich der Comödiendichter zu wissen,

Der oftmals schon, im Laufe des Stücks, vortrat aus seinen Coulissen!

Ueberseht huldreich die Gebrechen an ihm, laßt euch durchs Gute bestechen!

Man liebt ein Gedicht, wie den Freund man liebt, ihn selbst mit jedem Gebrechen;

Denn, wolltet ihr was abziehen von ihm, dann wär' es derselbe ja nicht mehr,

Und ein Mensch, der nichts zu verzeihen vermag, nie seh' er ein Menschengesicht mehr!

Wohl weiß der Poet, daß dieses Gedicht ihm Tausende werden verketzern,

Ja, daß es vielleicht Niemanden gefällt, als etwa den Druckern und Setzern:

Es verleidet ihm auch wohl ein Freund sein Werk, und des Kritikers Laune verneint es,[101]

Und der Pfuscher vermeint, er könne das auch; doch irrt sich der Gute, so scheint es.

Durch Deutschland ist, die Latern' in der Hand, nach Menschen zu suchen so mißlich;

Wohlwollende triffst du gewiß niemals, kurzsichtige Tadler gewißlich.

Zwar möchte das Volk, aus eitler Begier, an poetischen Genien reich seyn,

Doch sollen sie auch Bußprediger, ja, Betschwestern und Alles zugleich seyn!

Doch, reichten sie nichts als milchige Kost, als ganz unschuldige Speise,

Dann wären sie wohl viel weiser als Gott, der Thoren geschaffen und Weise.

Was Jedem geziemt, das üb' er getrost, mit dem Seinen bescheide sich Jeder:

Im Sonnensystem ist Raum für mehr, als für des Zeloten Katheder!

Wir schelten es nicht, will Einer die Welt und die weltlichen Dinge verpönen,

Doch wer anschaut die Gebilde der Kunst, geh' unter im Geiste des Schönen!

Ein Pedant, den nichts zu begeistern im Stand, armselig steht er und einsam,

Zwar hat er vielleicht mit den Thieren den Fleiß, doch nichts mit den Menschen gemeinsam!

Glaubt nicht, daß unser Poet, der gern, was krank ist, sähe geheilet,

Mißgünstigen Sinns Eingebungen folgt, wenn er auch Ohrfeigen vertheilet:

Wer Haß im Gemüth und Bosheit trägt und wer unlautere Regung,

Dem weigert die Kunst jedweden Gehalt und die Grazie jede Bewegung.

Wen kümmert es, was ein Poet urtheilt? Doch, zeigte sich Einer empfindlich,[102]

Uebertreff' er ihn auch, denn er macht sich dadurch zu gediegneren Worten verbindlich.

Doch, kommt er kutschirt mit leichtem Gepäck und gekritzelter Stümperdepesche,

Gleich schicke man ihn über Schilda zurück, in des Nicolai Kalesche!

Euch aber, zur Gunst und zur Liebe geneigt, weissage der Dichter vertraulich

Des Gedichts Vorzug, wie er selbst es versteht, denn er hält es für hübsch und erbaulich:

Ihr findet darin, bei sonstigem Spaß, auch Rath und nützliche Lehre,

Und Alles zum Trotz dem Verkehrten der Zeit und dem Trefflichen Alles zur Ehre.

Ihr findet darin manch witziges Wort und manche gefällige Wendung,

Und erfindende Kraft und Leichtigkeit und eine gewisse Vollendung;

Denn, wie sich enthüllt jemaliger Zeit Volksthum in den epischen Liedern,

So spiegelt es auch in Comödien sich, mit allen Gelenken und Gliedern;

Drum hat der Poet euch Deutschland selbst, euch deutsche Gebrechen geschildert,

Doch hat er den Spott durch freundlichen Scherz, durch hüpfende Verse gemildert.

Nicht wirkungslos bleibt dieses Gedicht, das glaubt nur meiner Betheurung,

Und der wahren Comödie Sternbild steht im erfreulichen Licht der Erneu'rung.

Der Aesthetiker wird's, da es nun da ist, als ganz alltäglich ermessen,

Doch bitt' ich, ihr Herrn, des Columbus Ei nicht ganz und gar zu vergessen!

Liebhaber jedoch, gern werden sie es anhören; und gern es in Lettern[103]

Anschauen sofort, auch würden sie gern es vernehmen herab von den Brettern;

Laut heischten sie dann, mit Heroldsruf, nach Weise der alten Thesiden:

Es erscheine der Chor, es erscheine der Chor des geliebten Aristophaniden!

Wie bedarf er des Ruhms und der Liebe so sehr, im Bewußtseyn gährender Triebe,

Ihm werde zum Ruhm der Befreundeten Gunst; denn Ruhm ist werdende Liebe.

Nun sey es genug! Stets reiht an die Zeit des musikaufwirbelnden Reigens

Sich die Stunde des Ruh'ns und ich lege sogleich an die Lippe den Finger des Schweigens;

Denn die Zeit ist um, nun schlendert nach Haus, doch ja nicht rümpfet die Nasen,

Und begnügt euch hübsch mit dem Lustspiel selbst, und den zierlichen Schlußparabasen!

Quelle:
August von Platen: Die verhängnisvolle Gabel / Der romantische Ödipus. Stuttgart 1979, S. 91-104.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon