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[44] »Ich hatte mich eben auf eine Gartenbank niedergelassen,« fuhr die Prinzessin Lilla in ihrer weitschweifigen Erzählung fort, »um mir über meine Unvorsichtigkeit nutzlose Vorwürfe zu machen, als ein Bedienter kam und mir meldete, daß mein Vater mich zu sehen wünsche. Ich hielt mich dazu nicht fähig und sagte daher dem Boten, er möchte mich beim Könige entschuldigen, indem ich unpaß wäre. ›Dies wird nicht wohl angehen,‹ erwiderte er, ›dieweil die Fee Pflasterhold (so hieß meine Pate) angekommen ist und nach Eurer Gnaden recht sehnlich verlangt.‹ Ich war mehr tot als lebendig, da ich dies hörte, und der Schreck fuhr mir in alle Glieder. Nach einer Pause endlich antwortete ich, daß ich erscheinen würde, man möchte mir nur einige Zeit vergönnen, mich umzukleiden. Der Page ging und überließ mich einer grenzenlosen Angst. ›Ach,‹ rief ich aus, ›mußte denn meine Pate schon heute eintreffen, oder erst heute, sie hätte uns ja schon gestern mit einem Besuche beglücken können. Ach, wie wird mir's ergehen, wenn[44] sie erfährt, was ich ihr nicht verbergen kann! Wenn mir die Alte doch nur die Nadel für diesen Abend noch borgen wollte! Aber nun ist sie fort, und Pflasterhold verlangt recht sehnlich nach mir! Aber so geht es den Hochmütigen! Hätt' ich die Nadel bescheidentlich versteckt in eine Falte meines Gewandes, so hätte ich alles Unheil vermeiden können.‹ Auf diese Weise zankte ich noch lange mit mir selbst, bis mir einfiel, daß es Zeit sein möchte, mich anzukleiden. Ich erschwerte der Kammerfrau dies Geschäft so ziemlich; endlich mußte ich mich fortbegeben. Meine Furcht vor der Fee war unüberwindlich. Den Korridor, den ich passieren mußte, durchwandelte ich mit abgemessen Schritten und betrachtete jedes Gemälde aufmerksam, bis endlich mein Vater die Tür aufriß, wahrscheinlich mich zu holen, und rief: ›Da ist sie ja!‹
Als mich aber die Fee ansichtig wurde, stund sie sittsam auf, indem sie mir einen tiefen und langsamen Knix machte. Ich machte ihr wieder einen langsamen Knix, aber mein Herz pochte nur desto schneller. Hierauf ging ich auf sie zu und küßte ihr die Hand mit einer gar demütigen Miene. ›Ei sieh da,‹ hub sie an, indem sie mir auf die Wangen klopfte, ›wie sie demütig geworden ist, das arme Kind! Sie hat das muntere Wesen ihrer früheren Jahre ganz abgelegt.‹ ›Ich wüßte nicht,‹ sagte mein Vater, ›sie scheint mir nur erschrocken.‹ ›Das arme Kind!‹ wiederholte die Fee, indem sie mich mitleidig ansah. Ich aber hatte mich sittsamlich auf den Rand eines Stuhles begeben, wo ich jeden Augenblick das Wort erwartete, das mich zerschmettern sollte. Sie redete aber viel mit meinem Vater, und nach und nach war mir alle Furcht verschwunden, als sie plötzlich anfing: ›Daß ich's nicht vergesse, scheues Kind, zeiget mir doch das Nädelchen, so ich Euch geschenkt habe zum Angebinde. Es ist gar köstlich anzuschauen, unten Stahl, oben Silber und eitel Gold der Knopf. Mögt Ihr mir's herbringen, es ist zu mancherlei Dingen nütze.‹ Ohne zu wissen, was ich tat, ging ich hinaus, allein jetzt fragte sich's, was ich tun sollte? Plötzlich kam mir in Sinn, daß die Alte, so mir die Nadel abgenommen, wohl die Fee Pflasterhold selbst müsse gewesen sein, die diese Gestalt geborgt hätte, um meine Sorgfalt in Versuchung zu führen. In diesem[45] Gedanken immer mehr bestärkt, trat ich ganz schüchtern hinein, warf mich der Pflasterhold zu Füßen und begann fast weinerlich: ›O beste Pate! Verzeiht mir meinen Fehltritt, für den ich allbereits gestraft bin. Möchtet Ihr mir wiedergeben, was Ihr mir genommen habt! Die Reue, die ich fühle, ist innerlich, möchtet Ihr gnädig mit mir verfahren!‹ Aus ihren erstaunten Mienen sah ich aber wohl, daß sie von nichts unterrichtet sei. Ich erzählte ihr daher alles. Da ich zu Ende war, stand sie ganz zornmutig auf und sagte: ›Ungehorsames Kind! Ich will Euch nicht mehr strafen, als Ihr durch den Verlust Eures Kleinodiums gewitzigt seid, das ich Euch nicht mehr ersetzen kann. Jedoch die, die es Euch genommen hat, muß eine Fee gewesen sein, weil sie die geheimen Kräfte der Dinge erkannte. Ihr sollt wissen, was Ihr verloren habt.‹
Hierauf erzählte sie mir von den Wunderkräften der Nadel. Sie sprengt alle Schlösser und Riegel, sie macht den, der sie trägt, unsichtbar auf sein Verlangen, welches die alte Diebin benutzt hat, und jeder, der mit dem Knopfe derselben berührt wird, bleibt unbeweglich stehen, bis ihn die Berührung der Spitze wieder lebendig gemacht hat. Nachdem die Fee mir dies umständlich vorgehalten, reiste sie unverzüglich von dannen, ohne daß sie mir verziehen hatte.«
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Rosensohn
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