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[48] Lange saß er in sprachloser Betäubung auf der feuchten Erde, so sehr hatte ihn dieser schnelle Wechsel ergriffen. Doch sobald er wieder zur Besinnung kam, da dachte er an die Wunderkräfte der Nadel, die er in Händen hielt, und daß alle Schlösser und Riegel, bei ihrer Berührung aufsprängen. Er suchte nun rings an den Wänden die Türe auf. Und als er sie gefunden hatte, berührte er das Schloß mit der Wundernadel,[48] und siehe da, es sprang, und plötzlich stand er im Freien.
Kaum war er einige hundert Schritte gegangen, da kam eine Krämerin auf ihn zu, mit einer Schachtel voll allerlei Raritäten. »Wollt Ihr nichts kaufen, schöner Ritter«, sagte sie. »Wenn Ihr eine Braut habt, hier ist manches, was sie ergötzen mag. Spangen, Ohrgehänge und Ringe, Nähekissen, Spindeln und Nadelbüchschen.« »Ihr kommt wie gerufen«, sagte Rosensohn, der nichts Arges dachte. »Ein Nadelbüchschen mögt Ihr mir geben, ich habe hier eine Nadel, die ich nicht heften kann an meinem Harnisch.« Und sie gab ihm ein Büchslein; aber ehe er die Nadel hineinsteckte, kehrte er's zuerst in die Hand um, und siehe, da waren bei tausend Nadeln und immer mehr und mehr, je mehr er schüttelte. Alle waren wie seine, unten Stahl, oben Silber, von purem Gold der Knopf. »Nun mögt Ihr herausfinden, was Eurer ist«, sagte die Krämerin höhnisch, und nun merkte er, daß es Pfefferlüsch war. Er hatte aber die Nadel noch in der Hand behalten und ging getröstet seiner Wege. Und bald gelangte er zum Turme am Ende des Waldes. »Der Sohn der Rose ist da«, sprach er, »und kann Euch helfen, durch einen Zauber helfen.« Er berührte mit der Nadel die Türe des Turms. Sie sprang auf. Ein Zwerglein trat heraus, häßlich, aber nicht widrigen Angesichts. Und der Ritter sprach: »Ich kenne Euch, Ihr habt die Rose gebracht zur schönlockigen Pflegerin meiner Jugend. Sie hat mir Euch oft beschrieben, oder ist's nicht so?« »Ich bin's,« gegenredete das Zwerglein, »nun aber verliert keine Zeit und sucht die Krämerin einzuholen und mit gleicher List zu verderben. Eilet, ich folge Euch in der Ferne.«
Rosensohn ging nicht lange, da begegnete ihm schon die hämische Pfefferlüsch und sagte: »Nun, ist Eure Wahl schon getroffen, schöner Herr?« Rosensohn nahm eine traurige Miene an und sagte: »Ach, Mütterchen, ich bin in Verzweiflung, da mögt Ihr alle Nadeln wieder nehmen und selbst die meine heraussuchen. Ich kann nicht damit fertig werden.« Hierauf übergab er ihr das Büchschen. Sie grinste vor Freude, weil sie das Kleinod dabei wähnte. Da sie sich[49] aber wendete, berührte sie Rosensohn mit dem Nadelknopfe, und mitten im Umdrehen blieb sie in schiefer Stellung an Boden gewurzelt.
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Rosensohn
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