Nr. 123. Die verwiesene Papiermüllerin.

[88] Hinter Goslar lag eine Papiermühle, darinnen wohnten ein paar alte Leute, die hatten nur einen Sohn. Als der haranwuchs, schaffte er sich eine Liebste an, und das wollten die alten Eltern nicht leiden. Er ließ sich aber nicht davon abbringen und freite sie. Einige Zeit nach der Hochzeit starb die Alte und der Papiermüller übergab dem Sohne die Meisterstätte und das ganze Kram, zog selbst nach Goslar und nahm da Quartier. Die Zeit lief hin und die junge Frau gebar einen Sohn. Die beiden Dienstmädchen mußten bei der Wöchnerin wachen. Als es gegen Mitternacht war wurden die Mädchen gleich der Wöchnerin müde und alle schliefen ein. Da sie am Morgen aufwachten, lag der Knabe tot neben der Wöchnerin und niemand wußte, auf welche Weise er zu tode kommen war.

Die Zeit ging wieder hin und die junge Papiermüllerin gebar ein kleines Mädchen. Dabei ereignete sich alles wie zuvor. Eine Zeit lang nach dem Tode der Tochter gebar die Frau wieder einen Knaben. Da war unter den beiden Dienstmägden eine neue, die verzählte der andern in der ersten Nacht etwas und dadurch blieben beide wach. Es war aber eine wundervolle Nacht, der Mond schien hell und als es so gegen elf war, sprach das neue Mädchen, sie wollten gar ein bißchen ausgucken. Nun lag der Papiermühle gegenüber ein großes Angebäude, da entstand plötzlich ein Geräusch und dann ging dort ein Fenster auf und guckte eine weiße Gestalt heraus. Als die Glocke zwölf schlug, schloß die weiße Gestalt das Fenster, holschte wieder über den Boden herüber und ging fort.

Wie der junge Herr am Morgen aufstand, erzählten die Mägde ihm das. Er wollte ihnen anfangs nicht glauben und beschloß, in der folgenden Nacht selbst mit aufzubleiben. Sobald die Glocke nun elf schlug, kam die Gestalt wieder[88] und der junge Papiermüller erkannte seine Mutter. Schlag zwölf warf die Gestalt wieder das Fenster zu und verschwand. Am andern Tage wurde der alte Papiermüller herbeigeholt, auch der blieb die Nacht auf und überzeugete sich, daß die ersten beiden Kinder von niemand anders als von seiner Frau getötet sein konnten. Er bestellete also sogleich zwei Barfüßer, welche den Geist verweisen sollten. Auch der Arzt und die Hebamme wurden herbeigeholet, für den Fall, daß der Wöchnerin etwas geschähe, weil der Geist auf der Kammer, wo sie lag, verwiesen werden sollte. Die Barfüßer befahlen dem Müller, daß er während der Verweisung alles im Hause offen lassen sollte, und das geschah auch; doch machte der Wächter, als er vorbeikam, die Hausthür und das Dielfenster zu. Die beiden Barfüßer beschrieben zuerst drei Ringe auf dem Fußboden der Stube. Es waren aber die beiden ein junger Mönch und ein alter. Der junge setzte sich unten ans Bett an einen kleinen Tisch, nahm sein dickes Buch, legte es verkehrt und fing an, so darin zu lesen; der alte stellete sich neben ihn. Nun kam auf den Glockenschlag elf die Alte ans Fenster im Angebäude. Als sie ein Schäuerchen (Weilchen) ausgeguckt hatte, schob sie das Fenster zu und kam herein. An dem vordersten Ringe blieb sie stehen. Da sprach der junge Barfüßer: »Geist, bist du ein guter Geist oder ein böser Geist? So gebiete ich dir zu reden.« Sie antwortete nicht und er frug zum zweiten male. Sie antwortete aber wieder nicht und als er zum dritten male frug, hielt sie ihm vor, daß er seiner Mutter einmal einen Pfennig weggenommen hätte. Er sagte zwar, daß er sich dafür Papier gekauft hätte, aber dennoch mußte er aufstehen, und der Alte setzte sich an seine Stelle. Als der sie auch also anredete, begann sie sich zu schütteln und gestand, sie könne nicht ruhen, weil sie nicht gewollt, daß ihr Sohn seine Frau freien sollte, auch daß sie am Tode der beiden Kinder schuldig wäre. Und wenn das Mädchen diesmal nicht munter geblieben wäre, so wäre es dem dritten Kinde ebenso ergangen. Da verwies der Barfüßer sie ins Rote Meer, sie aber fing an zu betteln: sie möchten ihr doch einen Winkel im Hause lassen, und wenn es nur ein[89] Loch wäre, wo sie hineinkriechen könnte. Da frug dieser Barfüßer ihren Sohn und ihren Mann, ob sie haben wollten, daß sie im Hause bleiben solle. Die wollten es nicht leiden und sprachen: nein, sie soll ins Rote Meer. Sobald die Glocke zwölfe schlug, wendete sie sich um und war verschwunden und ließ einen furchtbaren Gestank zurück. Als sie herunter kamen auf die Diele, wo der Wächter alles zugemacht hatte, hatte sie das eine Fach von den Fensterruten mit herausgenommen. Von der Zeit an aber ist sie nicht wieder gekommen.

Quelle:
Heinrich Pröhle: Harzsagen, zum Teil in der Mundart der Gebirgsbewohner. Leipzig 21886, S. 88-90.
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