Erster Auftritt.

[3] Der Schauplatz zeiget einen angenemen und weitläuftigen Garten unweit der Haupt-Stadt in Thracien.

Orasia, Ismene.

Aria.


ORPHEUS.

Wie hart ist mir das Schicksal doch?

Wie lange hofft mein Herz vergebens?

Wie lange währt mein Seufzen noch?

Wann freu' ich mich einst meines Lebens?

Wie hart ist mir das Schicksal doch?

Wie lange hofft mein Herz vergebens?

Ismene, schau, wie sich mein Geist

Mit blossem Kummer speis't,

Mit Thränen tränket!

ISMENE.

Was ist es, Königinn,

Das dich so heftig kränket?

ORPHEUS.

Ach solltest du nicht wissen,

Daß ein verborg'ner Zug mir selber mich entrissen,

Und daß ich längst nicht mehr mein eigen bin?

Ich habe dir schon oft mein Herz vertraut.

Es ist ein süsser Trost, den mein Gemüth empfindet,

Wann ich dir in geheim mein Leiden klagen kann.

Ich fühle mich in Lieb' entzündet,

Und mein entflammter Sinn

Wird bloß auf Orpheus hingelenket;[3]

Ja Orpheus ists allein, auf den mein Auge schaut,

An den mein Herz gedenket.

Jedoch, wie fang' ichs an,

Da Eurydice mir bloß mein Vergnügen hemmt,

Daß sie ihm aus den Augen kömmt?

Du weisst, daß sie allein sein Herz bezogen;

Ja ihr allein ist seine Treu gewogen.

Aria.


DER CHOR.

Lieben / und nicht geliebet seyn /

Uebersteiget alle Schmerzen.

Selbst der Tod geht zarten Herzen

Nicht so sauer ein.

ISMENE.

Bist du nicht Königinn von vielen Reichen?

Und was ist wol dem Throne zu vergleichen?

Die Cronen sind nicht jeden Tag zu kauf.

Die Liebe folgt dem Glücke;

Wohin dieß winkt, da geht sie gern zurücke.

ORASIA.

Sprich mir doch von der Liebe nicht,

Die du nicht kennest.

Ich opferte ja gern mein Glück ihr selber auf.

Allein sieht Orpheus wol nach meinem Throne?

Ist seine Lieb' ihm nicht viel mehr, als eine Crone?

Doch waffne dich, mein Sinn,

Mit Grausamkeit und List,

An meiner Neben-Buhlerinn,

An Eurydice, mich zu rächen!

Aria.


Sù, mio corg, à lavendetta!

Pace in sen' io Più non hò.

Vendicarmi à te s'aspetta!

Euridice ucciderò.

Sù, mio core, à la vendetta!

Pace in sen' io Più non hò.


Auf / mein Herz / zur Rache!

Ich weiß nichts mehr von

der Sanftmuth.

Ich warte auf Gelegenheit / mich zu rächen /

Und will Eurydice tödten.

Auf / mein etc.[4]

Noch heute werden hier die Nymphen Bluhmen brechen.

Darum, ihr Furien, schickt eure Nattern her!

Lasst sie in diesem Garten

Auf meine Feindinn heimlich warten.

So bald ihr Fuß dieß Bluhmen-Feld betritt,

Soll eurer Schlangen Gift sie rühren,

Und ein verborg'ner Stich ins Reich der Todtenführen.

Trefft aber ja sie nur allein,

Und nicht die andern Nymphen mit!

Doch, wird durch ihren Tod mein Weh gemindert seyn?

ISMENE.

Ach Königinn, ich trage Leyd mit dir,

Und fühl' in meinem Herzen

Den grösten Theil von deinen Schmerzen.

Doch willt du, daß wir hier

Noch länger uns verweilen?

Schau, Orpheus stellet sich mit Eurydicen ein.

ORASIA.

Was hinderts? bleib nur hier!

ISMENE.

Ach! laß uns lieber eilen!

ORASIA.

Nein, nein. Hier bleib' ich stehn.

Doch daß sie nur nicht unsern Kummer sehn.


Quelle:
Georg Philipp Telemann: Die wunderbare Beständigkeit der Liebe, [Hamburg] [1726], S. 3-5.
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